258. Jühnder Streiche.

1.

Acht Jühnder gehn einst im Winter bei furchtbarem Wetter mit einander zur Stadt. Als sie zurückkommen, schlägt einer von ihnen vor, sie wollten sich einmal überzählen, um sich darüber Gewisheit zu verschaffen, ob sie auch noch alle da wären. Sein Vorschlag wird gebilligt, und er fängt an zu zählen. Er spricht: »ich bin ich,« zählt sich deshalb nicht mit, sondern fängt erst bei dem folgenden an. Da er aber auf diese Weise nur sieben zählt, so wiederholt er die Zählung mehrmals, bringt aber immer nur sieben heraus. Jetzt macht ein anderer den Vorschlag, sie wollten ihre Nasen in den Schnee drücken und dann die Eindrücke derselben im Schnee zählen und sehen, was für eine Zahl alsdann herauskäme. Sie thun das und nun kommen richtig acht heraus. Froh darüber, aber ohne begreifen zu können, wie es zugegangen sei, daß bei der ersten Art zu zählen immer nur die Zahl sieben herausgekommen ist, gehn sie weiter nach Jühnde.

2.

Die Jühnder hatten sich schon seit langer Zeit nach gutem [243] Wetter gesehnt, aber noch immer wollte es nicht kommen. Da hielten sie auf dem Gemeindeplatze () eine Versammlung und rathschlagten, wie es am ersten zu bekommen sei. Nach langem Berathen spricht einer: in der Apotheke in Göttingen sei alles zu bekommen, daher könnten sie wohl auch das gute Wetter holen. Der Vorschlag findet allgemeinen Beifall, und es wird im Namen der Gemeinde einer nach der Stadt geschickt, um es von dort mitzubringen. Der Bote geht in die Apotheke und fordert das gute Wetter. Der Apotheker merkt gleich, was es damit für eine Bewandtnis habe, heißt ihn ein wenig warten und entfernt sich dann, um das gute Wetter machen zu lassen. Nach einiger Zeit kehrt er zurück und händigt dem Boten eine Schachtel ein mit dem ausdrücklichen Bedeuten um des Himmels willen ja nicht die Schachtel zu öffnen, sonst würde das gute Wetter unfehlbar davon fliegen. Lange bezwingt der Bote seine Neugierde, als er aber in den Leinebusch gekommen war, kann er nicht länger widerstehen, öffnet die Schachtel – und das gute Wetter fliegt davon. Der Bote springt schnell hinterdrein, und ruft dabei immerfort:»up Jüne tau!« Als er ins Dorf kam und sein Unglück erzählte, gerieth das ganze Dorf in Bewegung und die Bauern zogen nach allen Seiten hin aus, um das gute Wetter wieder einzufangen, wobei sie unablässig riefen: »up Jüne tau!«

3.

Einst kommt ein Fremder nach Jühnde und meldet, in der Jühnder Feldmark sei ein Thier, das fräße alles Getreide auf, – er meinte aber die Sichel mit Zähnen. Die Gemeinde beschließt auszuziehen und das böse Thier zu tödten. Sie bewaffnen sich mit Dreschflegeln und rücken unter er Anführung ihres Bauermeisters ins Feld. Bald hatten sie auch das Thier gefunden, welches, weil die Sonne gerade darauf schien, hell glänzte und weithin sichtbar war. Die Bauern sehen die vielen Zähne des Ungeheuers und keiner will beim Angriff der erste sein; endlich sind alle darüber einig, daß der Bauermeister voran müsse. Dieser entschließt sich auch dazu und führt mit dem Dreschflegel einen gewaltigen Streich nach dem Thiere; doch da er gerade auf den Stiel trifft, so springt ihm das Ding auf die Schulter. Die Bauern halten das für einen Angriff auf ihn und wollen ihn nicht im Stiche lassen, sie schlagen also alle mit den Dreschflegeln zu und den Bauermeister todt.

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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 258. Jühnder Streiche. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BF93-2