239. Erlöste Geister.

1.

Ein Bauer, der ein Nachtwandler war, starb. Nach seinem Tode erschien er, wenn die Leute gerade zu Tische saßen, in der Stube, setzte sich hinter den Ofen und rauchte. Weil das den Menschen im Hause sehr unangenehm war, so fragten sie ihn eines Tags, »was sein Begehr wäre.« Darauf sagte er: das Geld, welches bei seinen Lebzeiten im Hause abhanden gekommen wäre, und wovon sie geglaubt hätten, daß es gestohlen sei, habe er im Zustande des Nachtwandelns weggenommen und auf den Hausboden um den Schornstein gelegt; sie möchten es von dort wegnehmen und den Armen geben, dann habe er Ruhe. Als das geschehen war, ließ sich der Verstorbene nicht wieder sehen.

2.

Einem Küster, der gerade Heu einfahren wollte, war das Seil durchgerissen, womit der Heubaum auf dem Wagen befestigt werden sollte. Da er nun kein anderes zur Hand hatte, so holte er ein Thurmseil, vergaß aber nachher dasselbe wieder an seinen Ort zu bringen. Bald darauf starb er. Als einige Tage nachher seine Tochter in den Thurm ging, um zu läuten, stand mit einem Male ihr Vater leibhaftig vor ihr. Sie fragte den Todten, was sein Begehr sei. Dieser erwiederte, sie solle das Seil, welches noch im Hause liege, wieder in den Thurm bringen und ihm die Hand darauf geben, daß sie es wirklich thun wolle; wenn sie das verspräche, so würde er nicht wieder kommen. Das Mädchen wickelte schnell ihre Schürze um die Hand und hielt sie ihm so hin. Der Geist griff, indem er die Hand faßte, gleich durch die Schürze durch.

3.

Ein Mann in Wulften war sehr bequem. Wenn er von seinen Aeckern Steine abgelesen hatte, ging er mit denselben über die Felder seiner Nachbaren hin nach einer angerfûr, um sie da auszuschütten, und ließ dabei, um es sich leichter zu machen, immer mehrere Steine auf anderer Leute Aecker fallen. Als er gestorben war, kam er eines Tages in der Dämmerung zu seiner [226] Frau und bat sie ihm zehn Säcke zu geben. Die Frau fragte ihn, was er damit machen wolle; er sagte, wenn er zurück käme, wolle er es ihr sagen, und erhielt die Säcke. Nachts um ein Uhr kam er wieder und brachte die Säcke zurück; zugleich erzählte er ihr, er habe von den Aeckern die Steine abgelesen, welche er bei Lebzeiten absichtlich habe darauf fallen lassen, und bat sie zugleich, den Eigenthümern dieser Aecker eine gewisse Summe als Entschädigung zu geben. Das möge sie ihm versprechen und ihm die Hand darauf geben. Sie versprach es auch und reichte ihm die Hand. Am anderen Morgen war die Hand, welche sie ihm hingereicht hatte, ganz verbrannt und fiel ab; aus den Säcken aber war der Boden heraus, so viele Steine hatte der Todte darin getragen.

4.

Die Magd eines Schullehrers fand eines Mittags, als sie die Betglocke läuten wollte, die Gestalt eines Mädchens auf einem Grabe sitzen. Als sich dieselbe Erscheinung noch zweimal wiederholte, wagte die Magd den Geist zu fragen, was sein Begehr sei. Die Gestalt erzählte ihr darauf, daß sie bei ihren Lebzeiten ein uneheliches Kind bekommen und dieses getödtet habe. Weil sie aber gestorben sei ohne ihre Sünde gebüßt und ohne das heilige Abendmahl genommen zu haben, so habe sie jetzt nicht eher Ruhe im Grabe, bis jemand für sie das gethan habe. Die Magd versprach ihr das Abendmahl für sie zu nehmen, und reichte ihr, als der Geist einen Handschlag forderte, die Hand hin, welche sie aus Vorsicht mit ihrer Schürze umwickelt hatte. Kaum war das geschehen, so war diese auch ganz schwarz gebrannt. Als nun die Magd ihr Versprechen erfüllt hatte und das dem Geiste verkündigte, sagte dieser ihr vielmals Dank und verschwand vor ihren Augen.

5.

Eine Edelfrau war so geizig und hartherzig, daß sie keinem Armen etwas gab. Das ging so weit, daß sie den Armen, die sie darum baten, nicht einmal die abgerahmte Milch gab, sondern sie jedes Mal gleich in den Schweinetrog schüttete. Ihre Magd dagegen war mitleidig und goß oft solche Milch in den Gossenstein, woraus dann die Armen sie verstohlener Weise holten. Dafür erhielt sie auch manches Gotteslohn. Die Edelfrau starb, zeigte sich aber nach ihrem Tode alle Tage im Hause, indem sie leibhaftig auf dem Schweinetroge saß. Die Magd, welche sie wohl erkannte, fragte sie endlich, warum sie [227] wieder erschiene. Die Frau antwortete, sie könne nicht selig werden; wenn sie ihr aber nur ein einziges Gotteslohn abgeben wolle, so werde sie die Seligkeit erlangen. Die Magd erwiederte, sie wolle ihr gern alle ihre Gotteslohne geben, sie hoffe sich wieder andere zu erwerben. Darauf schied die Frau mit dem herzlichsten Danke von der Magd und sagte, sie werde nun nicht wieder kommen, denn jetzt werde sie selig werden.

6.

Der Ritter Hans von Lichtenstein zeichnete sich durch seine große Stärke und Gewandtheit vor vielen anderen Rittern aus, so daß er allen Bewohnern der Gegend große Furcht einflößte. Seine große Kraft wandte er aber nur zu schlechten Dingen an und von Glauben und Gottesfurcht wollte er nichts wissen. Als er gestorben und begraben war, erschien er eines Mittags zwischen elf und zwölf Uhr seinem getreuen Hofmeister auf einer großen Breite Landes, auf einem »rothen Schimmel« sitzend und mit feuriger Kleidung angethan. »Sage meiner Frau,« sprach der Geist, »sie möge dem Nachbar dieser Breite Landes das unterste Stück zurückgeben; ich habe dasselbe durch einen falschen Eid an mich gebracht, und kann deshalb nicht zur ewigen Ruhe gelangen, sondern muß ewig in der Hölle bleiben.« Der Hofmeister versprach alles getreulich zu bestellen und ging mit den Worten fort: »morgen Mittag bringe ich Nachricht.« Nachdem er nun der Frau von Lichtenstein die seltsame Erscheinung erzählt und den Auftrag seines verstorbenen Herrn ausgerichtet hatte, erwiederte diese: »hat er im Leben Unrecht gethan, so mag er dafür büßen; ich gebe kein Land heraus.« Am nächsten Mittage begab sich der Hofmeister erwartungsvoll an dieselbe Stelle. Um die elfte Stunde erschien ihm sein Herr in demselben Anzuge und hörte mit Schrecken die Botschaft von seiner Frau. »Wenn denn,« sprach er, »meine Frau kein Erbarmen mit mir hat, so nimm du morgen Mittag eine Hacke und eine Mulde, und bringe mir diese hierher. Du kannst jedoch einmal mit mir gehn und sehen, wie es mir in meiner jetzigen Lage geht.« Darauf führte er den Hofmeister zu dem Eingange einer Höhle in dem Lichtensteiner Holze und bat ihn ihm zu folgen. Als der Lichtensteiner an seinem Aufenthaltsorte angelangt war, setzte er sich auf ein rothes Ruhebett nieder. Der Ort war mit rothen Stühlen und anderen rothen Geräthen ausgeschmückt. Alsbald erschienen auch rothe Diener, brachten rothe Pantoffeln, schenkten rothen Wein ein und [228] trugen rothe Speisen auf den Tisch. Nachdem der Hofmeister das alles gesehen hatte, entfernte er sich, um seinen Auftrag auszurichten. Am folgenden Mittage ging er mit den beiden gewünschten Werkzeugen zu der bekannten Stelle, um sie dem Herrn zu geben. Dieser erschien auch bald und sagte: »setze Dich so lange nieder, bis ich fertig bin.« Der Hofmeister that das. Nun fing der Herr gewaltig an zu arbeiten, um die Erde, die er sich einst zugeschworen hatte, wieder an das andere Stück zu schaffen. Als die Glocke zwölf schlug, kam der Edelmann mit den Werkzeugen wieder, gab sie zurück, bedankte sich und sprach: »es ist nur gut gewesen, daß die Hacke ein langes Eisen hatte, sonst wäre ich nicht fertig geworden und hätte dann ewige Qualen erdulden müssen.« Der getreue Diener sprach erschrocken: »saget mir doch, Herr, warum Ihr Euch unglücklich nennt, da Ihr doch alles so bequem habt und auf einem rothen Pferdchen reiten könnt«. »Ach,« antwortete der Edelmann, »das ist eben, was mich quält. Alles, was ich trinke, ist Feuer; was ich esse, ist Feuer; worauf ich reite, ist Feuer, und was ich athme, ist Feuer. Es ist gar schrecklich, das Leben in der Hölle. Nun ich das Land zurückgegeben habe, erhalte ich Vergebung und kann in den Himmel kommen. Lebe wohl!« – Mit diesen Worten verschwand er.

Noch jetzt ist das Land zu sehen, welches der Edelmann an das andere Stück gebracht hat. Die Stelle aber, wohin er den Hofmeister führte, um seine Qualen zu schauen, wird noch jetzt die Hölle genannt.


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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 239. Erlöste Geister. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BF38-0