6. Die Plesse.

1.

Als die Burg Plesse erbaut werden sollte, glaubten die Leute allgemein, die Burg könne nicht erobert werden, in deren Fundamente ein lebendiges Kind eingemauert würde. So sollte nun auch in dem Fundamente der Plesse ein Kind lebendig eingemauert [4] werden. Deshalb wurde in allen Gemeinden bekannt gemacht, wer ein Kind hierzu hergeben wolle, der solle eine Summe Geldes dafür erhalten. Lange wollte sich niemand finden, der dazu bereit gewesen wäre: endlich aber verkaufte eine Frau aus Reiershausen ihr taubstummes, dreijähriges Kind für 300 Dreier. Als nun das Kind eingemauert werden sollte, erhielt es mit einem Male die Sprache und sagte: Mutter-Brust war weicher als ein Kißchen, aber Mutter-Herz war härter als ein Stein. Und so wurde das Kind eingemauert.

2.

Um die Tiefe des Brunnens auf der Plesse zu bezeichnen, erzählt die Sage folgendes: der Eimer sei an einer Kette festgeschmiedet und diese selbst so lang gewesen, daß der Eimer, wenn er einer Ausbesserung bedurfte, nicht abgenommen wurde, sondern an der Kette bleibend nach Bovenden geschafft und in der dem Amthause gegenüberliegenden Schmiede ausgebessert wurde.

Die Quelle Mariaspring soll mit dem Brunnen auf der Plesse in Verbindung stehn. In früheren Jahren, als der Brunnen auf der Plesse noch nicht zugeworfen war, soll man einst eine Ente in den Brunnen gesetzt haben und diese soll in Mariaspring – wie Einige hinzufügen ganz ohne Federn – wieder zu Tage gekommen sein.

3.

Zu der Zeit, wo die Plesse noch bewohnt wurde, ging einst das Fräulein Adelheid von Plesse spaziren. Sie kam auf ihrem Spazirgange nach dem Arenstein in der Nähe von Mariaspring, welches damals noch nicht existirte. Der Platz gefiel ihr so sehr, daß sie ihre Dienerin zurückschickte ihre Laute zu holen. Sie spielte und sang dazu auf das lieblichste. Dies hörten zwei vorüberreitende Herren von Hardenberg, – die Hardenberger waren damals gerade mit den Plessern in Feindschaft – raubten sie und brachten sie sammt der Dienerin nach dem Hardenberge. Bald wurde das Fräulein vermißt, überall gesucht, aber nirgend gefunden; endlich erfuhr man, daß sie geraubt und auf dem Hardenberge sei. Jetzt wurde ein Knappe nach dem Hardenberge geschickt um die Entführte zurückzufordern, aber vergebens; auch der Knappe wurde zurückbehalten. Die Plesser sannen nun auf Rache und lauerten den Hardenbergern überall auf, bis es ihnen gelang einen Herrn von Hardenberg gefangen zu nehmen. Diesen befestigten sie mit Stricken an dem kleinen Thurme, daß er [5] mit dem Gesichte immer nach dem Hardenberge hinüberschauen mußte, und ließen ihn da verhungern.

4.

Der Vater Adolfs des Kühnen, Raugrafen von Dassel, hatte die Plesse an das Kloster in Nordheim versetzt. Als nun Adolf dieselbe wieder einlösen wollte, waren die Mönche wenig geneigt diese Besitzungen wieder herauszugeben und erklärten, die Plesse wäre ihnen verkauft. Zu dem Ende machten vier von ihnen einen falschen Kaufbrief und um demselben das Ansehen des Alters zu geben, räucherten sie ihn tüchtig. Einer der Mönche erklärte sich gegen diesen Betrug und meinte, es wäre doch Unrecht, aber die anderen erklärten, dies ginge ihn nichts an, sie hätten es einmal angefangen und sie wollten es auch vollenden. Nun diente in dem Kloster ein Koch, der wußte um diesen Betrug und hatte es selbst gesehen, wie die Mönche den Kaufbrief geräuchert hatten. Der Koch hatte aber seinem Bruder, der Diener des Grafen Adolf von Dassel war, alles erzählt. Als nun eines Tages der Graf tief betrübt über die Betrügerei der Mönche und ganz schwermüthig spaziren ging, begegnete ihm der Diener und fragte ihn, weshalb er so traurig sei. Der Graf antwortete: das könne er ihm nicht sagen. Doch der Diener meinte, er glaube es schon zu wissen und könne ihm vielleicht helfen. Da erzählte der Graf: er könne die Plesse nicht wieder einlösen, und wenn er das nicht könne, so könne er auch die Adelheid von Plesse nicht zur Gemahlin bekommen. Darauf erzählte der Diener alles was ihm sein Bruder von dem falschen Kaufbriefe mitgetheilt hatte. Bald nachher kam einer der Mönche aus dem Kloster zu Nordheim, der eine Wallfahrt nach Jerusalem machen wollte, hin zum Grafen, um mit ihm im Auftrage des Klosters zu verhandeln. Diesen ließ der Graf gefangen nehmen und in den Keller sperren. Alsdann zog er mit seinen Knappen vor Nordheim und steckte es an; die Adelheid von Plesse aber, welche im Kloster war, nahm er vor sich auf das Pferd und brachte sie so bis Fredelsloh. Von hier an trug er sie, die noch lebte, auf seinen Armen bis auf den Ohrenberg (Arbârg) bei Lauenberg; hier wollte er ihr einen Kuß geben, aber sie war todt.

5.

Im dreißigjährigen Kriege flüchtete ein Landgraf von Hessen nach der Plesse, seine Gemahlin reiste ihm dahin nach, fand ihn aber nicht mehr vor, indem er kurz vorher schon weiter gereist war. Sie übernachtete also nur auf der Plesse und [6] reiste am folgenden Tage – es war der 5. März – weiter. Es hatte stark geglatteist, und wie nun der Wagen den Berg hinabfährt, können die Pferde den Wagen nicht halten und er rollt hinab in einen tiefen Abgrund, der jetzt das Fürstenloch heißt. Wunderbarer Weise war die Landgräfin völlig unverletzt geblieben. Aus Dank für ihre Rettung bestimmte die Landgräfin, daß alljährlich am 5. März unter die Armen in Eddiehausen 7 Malter Roggen vertheilt, und von dem Prediger des Dorfes eine Gedächtnißrede gehalten werden solle, wofür derselbe ein Malter Roggen erhält.

Früher wurde der Roggen auf der Domäne in Eddiehausen vertheilt; später geschah dies auf dem Amte in Bovenden und so ist es noch jetzt. In neuerer Zeit war einmal die Vertheilung unterblieben, da hörte man um diese Zeit auf dem herrschaftlichen Kornboden in Eddiehausen immerfort ein gewaltiges Schaufeln. Der Volksglaube brachte damit auch folgenden Vorgang in Verbindung. Unter dem Kornboden war ein Pferdestall, worin sieben Füllen standen. In der Nacht von 5-6. März waren alle ausgebrochen, ohne daß man sehen konnte, wie dieß möglich gewesen wäre. Nur ein kleines Loch zeigte sich in der Wand, und man nahm an, daß die Füllen auf den Knien durch dasselbe gekrochen wären. Lange wurden die Füllen vergeblich gesucht: endlich sah man sie alle sieben oben auf der Plesse hart am Rande gerade über dem Dorfe stehen. Nur mit vieler Mühe wurden sie von dort weg wieder ins Dorf und in den Stall gebracht.


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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 6. Die Plesse. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BE34-D