126. Die weiße Jungfrau an der Quelle.

1.

Zwischen Bartshausen und Eimen befindet sich eine Quelle, der Klûsborre genannt. Hier soll eine Kirche, die Klûskerke, gestanden haben, der Ort selbst wird auch noch bî der Klûskerke genannt. An dieser Quelle hat nach dem Volksglauben eine weiße Jungfrau ihren Aufenthalt. Sie läßt sich Abends in der Dämmerung sehn. Wüßte Jemand das rechte Wort zu ihr zu sprechen, so könnte er sie erlösen. Einst hatte ein Mann aus Eimen Namens Henniges im dieser Gegend im Felde gearbeitet [96] und sich dann – es mochte nach Mittag sein – in der Nähe der Quelle niedergesetzt, um zu ruhen und zu essen. Dabei hatte er den Schoß seiner Jacke seitwärts auf den Boden gebreitet und sein Stück Brot darauf gelegt. Indem er nun aß, kam von der Quelle her eine große Maus mit einem Groschen im Maule und legte denselben auf seinen Schoß; dann kam sie mit einem zweiten und mit einem dritten, und so fort, bis 36 Groschen auf dem Schoße lagen. Der Mann saß ganz still und ließ dieß ruhig geschehen. Da kam aber die Maus wieder, nahm einen Groschen von dem Schoße und lief damit weg. Als der Mann das sah, sprach er vor sich hin: »warte, du sollst mir das Geld nicht wieder wegholen«! und steckte die noch übrigen fünf und dreißig Groschen schnell in seine Tasche. Die Maus ist, wie man vermuthet, die weiße Jungfrau gewesen.

2.

In der Mitte zwischen Bodensee und Bilshausen ist ein Dorf Namens Öæshûsen untergegangen. Noch jetzt ist an dieser Stelle eine unergründliche Quelle; so viel Steine und Erde man auch hineingefahren hat, so hat man sie doch nicht zuwerfen können. Eines Tages kommt im Mittage zwischen 11 und 12 Uhr ein Mann daher, der von Bodensee nach Bilshausen will. Da ihn der Durst gewaltig quälte, so ging er zu der Quelle, um daraus zu trinken. Als er nicht mehr weit davon entfernt war, sah er eine Frau aus der Quelle aufsteigen, die ein weißes Tuch über dem Kopfe und ein weißes Laken um hatte. Sie setzte sich über die Quelle, blieb da eine Weile sitzen und stieg dann wieder in dieselbe hinunter. Der Mann aber ging fort.

3.

Auf der Klages-Wiese am Weetenborn ist eine starke Quelle. An dieser läßt sich Mittags um 12 Uhr eine weiße Jungfrau sehn.

4.

Im Börle, einem kleinen Thale bei Hetjershausen, befindet sich eine Quelle. Daran sitzt zu Zeiten Mittags zwischen 11 und 12 Uhr das Börlwîf oder waschewîf. Sie hat dort ihre Wäsche ausgebreitet und trocknet dieselbe. Die kleinen Kinder werden mit ihr geschreckt.


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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 126. Die weiße Jungfrau an der Quelle. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BAB8-9