22. Letzter Wunsch

Hoc erat in votis.

Hor.

Wann, o Schicksal! wann wird endlich
Mir mein letzter Wunsch gewährt?
Nur ein Hüttchen, still und ländlich,
Nur ein kleiner eigner Herd;
Und ein Freund, bewährt und weise,
Freiheit, Heiterkeit und Ruh'!
Ach und sie! das seufz' ich leise,
Zur Gefährtin sie dazu.
Wenn ich noch ein Gärtchen hätte,
Bauten wir's mit eigner Hand.
Statt geschorener Boskette
Und der Hagenbuchenwand
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Dämmert' uns ein Dach von Latten,
Dicht mit Rebengrün bedeckt,
Tief in Silbertannenschatten
Vor des Neides Blick versteckt.
Statt Kanäl' und Gartenteiche
Nur ein Röhrenbrunnentrog;
Statt Alleen und Taxussträuche
Früchte, die ich selbst erzog,
Durch ein Gatter, nur von Pfählen,
Durch den Vorhof, eng und klein,
Eilt' ich, statt nach Marmorsälen,
In ihr trautes Kämmerlein.
Bei des heitern Morgens Frische
Hörten wir im Buchenhain,
Dort am Wasser im Gebüsche,
Nachtigallenmelodein.
Auch begänne sie Gesänge,
Wäre Philomel' entflohn,
Und in meine Seele dränge
Tiefer noch ihr süßer Ton.
Unterm Strauch voll Hagerosen,
Auf dem rotbeblümten Klee,
Könnten wir so traulich kosen,
Wie auf seidnem Kanapee.
In dem Duft entblühter Bohnen,
Unter Pappeln, hoch und schlank,
Bauten wir, trotz goldnen Thronen,
Eine kleine Bretterbank.
Beeren, die ihr Finger drückte,
Honig, der der Wab' entfloß,
Kräuter, die vom Beet' sie pflückte,
Milch, die sie in Schalen goß:
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Ha! bei solchem Göttermahle
Säßen wir, wie froh, wie stolz!
Wär' auch Löffel, Kelch und Schale
Nur aus weißem Buchenholz.
Mit den holden Dörferinnen,
Nach der Weidenpfeife Schall,
Einen Maientanz beginnen,
Gält' uns mehr als Maskenball.
Lieber, als der Prunk der Bühnen
Dem verwöhnten Städterschwarm,
Wär' ein Pfänderspiel im Grünen
Mir an meines Mädchens Arm.
In gestirnten Sommernächten,
Wenn der Mond die Schatten hellt,
Wallte sie an meiner Rechten,
Durch das taubeträufte Feld.
Oft zum milden Abendsterne
Hüb' ich den entzückten Blick;
Öfter senkt' ich ihn, wie gerne!
Auf ihr blaues Aug' zurück.
Vieles wünscht' ich sonst vergebens!
Jetzo nur zum letztenmal
Für den Abend meines Lebens
Irgendwo ein Friedensthal;
Edle Muß' in eigner Wohnung,
Und ein Weib voll Zärtlichkeit,
Das, der Treue zur Belohnung,
Auf mein Grab ein Veilchen streut.

Notes
Erstdruck in: Musenalmanach, hg. von Voß und Goeking, Hamburg (Bohr) 1791.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Salis-Seewis, Johann Gaudenz von. 22. Letzter Wunsch. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B419-C