Der Secundus

In der gesangweis des Römers.


2. april 1535.

1.
Als Secundus philosophus, der meister hoch
von Athen, viler meister hohe schul durchzoch,
das er alle freie künste möcht leren;
Eins mals hort er zu schul, wie von natur die weib
weren geiler, fürwitziger, unkeusch von leib
weder die man, verwegen irer eren.
Als er nun in sein vatterlant
kam, der freuntschaft entwachsen, nach vil jaren,
auch seiner muter unbekant,
an der meint er die warheit zu erfahren.
heimlich er um sie bulen wart;
durch hohe bit sein muter wurt beweget
und in gewert nach weibes art.
als er sich beizuschlafen zu ir leget
lag er, als einem sun gebürt,
züchtig bis es wart tagen,
das er sein muter nit berürt;
als sie das spürt,
wurt in verwundrung sie gefürt,
tet trutzig zu im sagen:
[85] 2.
»Was bistu zu mir kumen zu versuchen mich?«
Secundus sprach: »es zimet mir mit nicht, das ich
einge, da ich bin vormals ausgegangen.«
Die frau sprach: »wer bistu, der dises hat geton?«
do antwort er: »wiß, ich bin Secundus, dein son.«
do wart das weib mit solcher scham umfangen,
Das sie vor seinen augen starb.
als Secundus sah, das durch sein anzeigen
sein muter so gehling verdarb,
da setzet er im für ein ewig schweigen,
seiner zungen zu straf und buß.
als keiser Adrianus das vernume,
sant nach im, da stunt Secundus
stilschweigent vor dem keiser wie ein stume;
zu reden im der keiser bot,
doch schwieg er auf sein fragen.
der keiser meint, er trieb den spot;
in zoren rot
verurteilt er in zu dem tot,
sein haubt im abzuschlagen.
3.
Der keiser den henker doch unterricht vorhin,
wan er niderkniet, so solt er vermanen in,
zu reden, darmit zu fristen sein leben
Und wen er redt, solt er den kopf im hauen rab;
schwieg aber er, solt er den strick im schneiden ab
und in frei quit ledig los wider geben.
Als er nun niderkniet nachmals,
sprach der henker: »red, so mag dir gelingen.«
schweigent aufrecket er sein hals,
der henker stecket ein des schwertes klingen,
fürt in wider zum keiser, der
bot, wolt er nit reden, das er doch schriebe.
man bracht papier und dinten her,
der keiser in mit hoher frag umtriebe
[86]
von got, himel und element,
die er schriftlich erkleret
und blieb forthin alzeit schweigent
bis an sein ent,
leret allein mit seiner hent
vil hoher kunst beweret.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Sachs, Hans. Gedichte. Geistliche und weltliche Lieder. Der Secundus. Der Secundus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B07D-E