2. Der Bußeprediger

Als ich nach Gewohnheit saß in der Schenke neulich,
Mir zu machen Erdennot durch das Glas erfreulich;
Kam ein Bußeprediger mit bestaubtem Kragen
Und hub an den Wein zu schmähn, weit- und lästermäulig.
Selber sich in heiligen Eifer redend, malt' er
Den verdammten Freund mir mit Farben ganz abscheulich;
[324]
Hätt' ich ihm geglaubt, so war in dem Höllenrachen
Von den Drachen keiner so ganz entsetzlich greulich.
Und so tobt er weiter, bis sein Gesicht in Flammen
Selber glüht, ein Höllenschlund, rötlich, trüb' und bläulich.
Meinem Schenken winkt' ich, der ihm ein Glas kredenzte
Und mit schelm'schen Blicken es unterstützte treulich.
Erstlich sträubte sich der Held, sprach den Fluch und Segen;
Endlich nahm er's an den Mund, schlürfte leckermäulig.
Mildere Beredsamkeit drauf entfloß den Lippen,
Paradiesisch lustentzückt, himmlisch morgentäulich.
Mit dem Schenken tanzt' er um, sang das Lob des Weines,
Und den alten Schmähgesang widerrief er reulich.
»O Hafis!« sprach er zu mir, »Wein ist Seelenwollust,
Wie der Himmelsmädchen Kuß ewig neu jungfräulich.«

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Rückert, Friedrich. Gedichte. Wanderung. Zweiter Bezirk. Ghaselen. 4.. 2. Der Bußeprediger. 2. Der Bußeprediger. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-A35A-3