Die Sechste Hinführung

Christus Jesus wird von Pilato zu dem Vierfürsten Herodes geführet, woselbst Er zu verachtung seines königlichen Namens mit Einem weissen Kleide wird angeleget und von des Herodes Hofe-Schrantzen verspottet.

1.
Hat den, Mein Gott, daß noch kein Ende,
Daß man dich führet hin und her,
Daß man dich schleppet mit Beschwehr
Durch der verfluchten Mörder Hände?
Ach nein! Pilatuß lässet dich
Zu seinem Feind' Herodes bringen,
Daß Ihnen mücht' hiedurch gelingen,
In Freündschafft zu vertragen sich.
2.
Gleich wie der Wolff und Fuchs sich lieben,
Im fall' ein Lämlein sterben sol,
So wissen diese beid' auch wol
In grosser Untreü sich zu üben:
Das Lämlein Jesus sol allein
Den Streit, den sie so lange hegen,
Durch seinen Tod beiseiten legen
Und Ihrer Freündschafft Anfang sein.
3.
Herodes zwahr wird hoch erfreüet,
Als Christus da komt vor Ihn stehn;
Ein Zeichen wolt' Er von Ihm sehn,
Dieweil Er trefflich ward beschreiet.
Sie rupfen Ihn bald hie, bald da:
Herodes und die Diener fragen,
Die Hohenpriester stehn und klagen,
Der Herr spricht weder Nein noch Ja.
4.
Bald wird dem Heiland angezogen
Ein Purpur kleid mit Hohn und Spott.
Es wird hiedurch der fromme Gott
Zur Ungedult doch nicht bewogen.
Die Redligkeit wird ausgelacht;
Ja der die gantze Welt versöhnet,
Muß leiden, daß man Ihn verhönet
Und ein Gelächter auß Ihm macht.
5.
Waß ist der Hoff mit seinem prangen?
Ein Haus, wo list und Bösheit wohnt,
Wo Sünd' und Unrecht wird belohnt,
Wo man die Tugend hält gefangen.
Eß ist ein Ohrt, wo Gunst und Recht
Sich mitteinander nicht vertragen,
Wo Heüchler fromme Leüte plagen,
Wo Falscheit üben Herr und Knecht.
6.
Herr Jesu, der du bist geführet
Vor des Tyrannen Heücheltrohn,
Ich laügn' eß nicht, O Gottes Sohn,
Daß Ich bin selber mit spatzieret:
Ich zog dich mitten durch die Statt,
Ich schlug dich fast an allen Ohrten,
Ich schmähte dich mit losen wohrten,
Biß daß du würdest müd' und Matt.
[213] 7.
Gedencke nicht der Missethaten,
Wodurch Ich dich so sehr verletzt:
Du hast dich Ja zuem Fluch gesetzt,
Den Sündern dieser Welt zu rahten;
Du mustest ia Sünd', Höll' und Tod
Durch deinen bittren Tod versenken,
Dagegen Freüd' und Leben schenken.
Herr Jesu, hilff aus aller Noht!
8.
Lass dir dein Kirchlein sein befohlen,
Daß beides durch Gewalt und List
So grausahmlich gequählet ist:
Von Dir kan Sie nur hülffe hohlen.
Erwekke dich, den Ihr ist weh',
Ihr herligkeit wird fast zuer Schande,
Die Feinde plagen sie zu Lande,
Ja stellen Ihr auch nach zuer See.
9.
Es plagen Sie Pilatus freünde,
Herodes Brüder leben noch.
Ach sehet, welch ein schweres Joch
Bereiten Ihr der Wahrheit Feinde!
Es zittert schon daß gantze Land;
Man ist bemühet, durch die waffen
Die Gottesfurcht hinaus zu schaffen,
Man siehet nichts als Raub und Brand.
10.
Die Laster stehn in voller blühte,
Dieweil der Krieg ohn' Ende tobt;
Die Tyrannei wird noch gelobt,
Es wird verbannet Lieb' und Gühte.
Die Welt ist froh, die Kirch' allein
Muß Jämmerlich auff dieser Erden
Durch List und Macht gequählet werden
Und Jederman ein Scheüsahl sein.
11.
Steh' auff, Herr Jesu, zu verderben,
Die Deine Kirch' aus aller Macht
Zu dämpfen gäntzlich sind bedacht;
Lass Dein' und Ihre Feind' ersterben.
Steh' auff, es ist ia hohe Zeit,
Hilff deinem Völklein und zerstreüe
Der Feinde Schaar, damit sich freüe
Die gantze wehrte Christenheit.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Rist, Johann. Gedichte. Geistliche Lieder. Die Sechste Hinführung. Die Sechste Hinführung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9A04-5