[275] An meinen lieben Freund S**r

Nach dem Englischen des Swift.


Wien im Sommermond 1786.


So wie, erpicht auf Braten und Tockayer,
Der feiste Mönch, der jede Kirchenfeyer
Der Kirche halb, und halb der Küche weiht,
Sich auf das Fest des Ordensstifters freut,
Weil, während man am Hochaltare singet,
Und feyerlich das blanke Rauchfass schwinget,
Melodisch auch der Bratenwender schnarrt,
Und blinkend schon die volle Flasche harrt,
So sehnt' ich, Freund! mich nach dem Freudenmahle,
Das gestern du in deinem Gartensaale
Mir zugedacht: doch, Lieber! das Geschick
Hielt schadenfroh mich in der Stadt zurück.
Ich war bereit, mein Wort als Mann zu halten:
[276]
Doch Klärchen zog die Stirn' in dunkle Falten,
Und sprach voll Ernst: »Landstreicher, bleib zu Haus,
Und gieb dein Geld nicht stäts für Kutschen aus!
Ich wittre Sturm; denn mürrisch sitzt die Katze
Im Winkel dort, und haschet mit der Tatze
Nicht so, wie sonst, possierlich nach dem Schwanz.
Mein hohler Zahn fieng gestern abends ganz
Entsetzlich an zu wüthen, und die Düfte
Des nahen Schlauchs durchwürzten rings die Lüfte.«
Unschlüssig stand ich an der Pforte, so
Wie Cäsar einst am Flusse Rubiko.
Doch plötzlich ward's am Kahlenberge düster:
Ein Wirbelwind erhob sich: längst dem Ister
Versammelten die Wassernymphen sich,
Ihr Leinenzeug zu retten: fürchterlich
Balgt' in der Luft der Wind sich mit dem Staube,
Und mancher Hut ward dem Orkan zum Raube.
Dem Säufer gleich, der bey dem Trinkgelag
[277]
Mehr Wein verschlingt, als er ertragen mag,
Spie häufig nun die überfüllte Wolke
Den Regen aus, und drohete dem Volke,
Das im Bezirk der weiten Kaiserstadt
Sich gütlich thut, ein zweytes Sündenbad.
Manch schönes Kind floh itzt zur Krämerbude,
Feilscht' allerhand, bot wie ein karger Jude
Nur halben Preis, und kauft' am Ende nichts.
Der Wiederkunft des holden Sonnenlichts
Gewärtig, stand, wie ein verlornes Schäfchen,
Mit leerem Sack manch armes wälsches Pfäffchen
Am Kirchenthor, und that beschämt zum Schein,
Als wollt' es gern nach einer Sänfte schreyn.
Umsonst bestritt mit ihrem Regenschirme
Frau Susens Hand des Wirbelwindes Stürme:
Ihr Obdach fliegt zersplittert in den Koth,
Und spottend lacht der Pöbel ihrer Noth,
Welch einen Schwarm von mancherley Gelichter
Paart' itzt der Sturm! ein auf den Putz erpichter
Exjesuit, dem seines Kleids Ruin
[278]
Viel näher lag, als Kirchendisciplin,
Sprach friedlich hier mit einem Jansenisten,
Und dort stand dicht bey Maurern, Atheisten
Et cetera der fromme Vater Fast,
So wie ein Schaaf sanft zwischen Böcken grast
Wie schmiegte sich, als trommelnd Schloss' auf Schlosse
Nun über ihm die Wölbung der Karosse
Erschütterte, so mancher Seladon!
So schmiegte sich, als einst Laokoon
Mit frecher Hand dem hölzernen Wallachen
Auf offnem Markt zu Troja in den Rachen
Die Lanze stiess, in stäter Todsgefahr
Im Bauch des Gauls der Griechen feige Schaar,
Ein Lumpenvolk, das letztlich, gleich brutalen
Kadetten, statt den Fuhrlohn zu bezahlen,
Vom Leder zog, die Kutscher Schurken hiess,
Und sie zum Dank wie Hunde niederstiess.
Nun stand die Stadt, so weit mein Blick zu sehen
[279]
Vermochte, rings im Wasser, und Trophäen
Von mancher Art riss die ergrimmte Flut
Wild mit sich fort. Hier kreutzt' ein alter Hut
Im Golf herum: dort an der Rhede schifften
Zwo Hauben hin: hier legten Merzens Schriften,
Die, leider Gott! das Ketzervolk nicht liest,
Aus Sympathie an einem Haufen Mist
Vor Anker sich: dort segelten die Fetzen
Von einem Hemd mit andern seltnen Schätzen
Des Trödelmarkts: hier schwamm auf offnem Meer
Ein armer Schuh, und kläglich hinterher
Der ganze Kram von einem Hökerweibe.
Beherzt sah ich durch meine Fensterscheibe,
Und dachte froh: wie selig ist der Mann,
Der trocken nun im Zimmer sitzen kann!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ratschky, Joseph Franz. Gedichte. Gedichte. An meinen lieben Freund S**r. An meinen lieben Freund S**r. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8D00-5