[10] [13]Der verpachtete Parnass

Furth nächst Göttweig im Herbstmond 1775.


Der Musengott war lange schon
Auf seine Jünger böse,
Weil am geweihten Helikon
Beym stäten Mordgetöse
Der zügellosen Dichterschaar
Kein kluges Wort zu sprechen war.
Des Morgens Herold, Vater Hahn,
Entkroch dem stillen Bette
Der Henne kaum, so hörte man
Auch schon die tolle Mette,
Oft trieb der scythische Tumult
Apollen von dem Bücherpult.
[13]
Er liess sich von Thaliens Hand
Den Fliegenwedel reichen,
Und zwang die Herrn, bis an den Rand
Des Pindus zu entweichen:
Allein beym nächsten Morgenroth
Gerieth er in die alte Noth.
Einst ward dem Gott der Kopf so warm,
Dass er in's Weinhaus eilte,
Wo Bachus oft mit seinem Schwarm
Die halbe Nacht verweilte.
Bon soir, sprach Thyrsiger, mon Cher!
Silen! lang' einen Sessel her!
Sprich, Bruder Phöbus! was, beym Styx!
Bringst du für neue Zeitung?
Freund! sprach Apoll nach einem Knicks
Mit Mienen voll Bedeutung,
Ich hab' es hin und her bedacht,
Ich gebe den Parnass in Pacht.
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Für hundert Stück Zechinen bist
Du heuer Herr der Dichter,
Und was für dich ein Hauptpunkt ist,
Du wirst durch neun Gesichter,
Die Momus selbst sich nicht erkühnt
Zu tadeln, Tag und Nacht bedient.
Ha! schrie der Traubenvater auf,
Der Handel lässt sich hören:
Ich gebe dir den Handschlag drauf.
Topp! ohne viel zu schwören!
Was gilt's? beym nächsten Festtagsschmaus
Sieht mir der Pindus anders aus.
Stracks rief er seiner Dienerschaft,
Den Satyrn und Mänaden,
Und gab Befehl, den Rebensaft
Hübsch hurtig aufzuladen,
Und Evoe! nun gieng's im Nu
Dem steilen Dichterhügel zu.
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Der ganze Pindus lief, als man
Den Zug ersah, entgegen,
Wie, wenn dem Hafen Schiffe nahn,
Die Waarenträger pflegen.
Willkommen, Nektar! nur herab!
Rief man, und lud die Fässer ab.
Der Wein lag kaum im Keller fest,
So hatten auch, beym Plunder!
Die Herrn Poeten schon den Rest,
Und plötzlich stand, o Wunder!
Wo man sonst Lorberwälder sah,
Ein ganzer Hain von Reben da.
Nun war alltäglich Bachanal:
Man soff sich halb zu Tode.
Ein derber Rausch beym Abendmahl
Ward allgemach zur Mode.
Da schleuderte man Teller, Topf
Und Krug einander an den Kopf.
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Oft sucht' ein trunkner Dichterling
Ein Küsschen zu erschleichen:
Allein die keusche Mus' empfieng
Den Faun mit Backenstreichen.
Wie hurtig schlich mit seinem Lohn
Das junge Herrchen sich davon!
Die Musen wollten anfangs noch
Vom Traubensaft nichts hören:
Bald aber liessen sie sich doch,
Bescheid zu thun, bethören.
Pfui, Mädchen, pfui! besorgt ihr nicht
Ein kupferfarbiges Gesicht?
Die rasche Pachtzeit strich vorbey,
Und Phöbus kam nun wieder:
Schon fern durchdrang ihm das Geschrey
Der Säufer Mark und Glieder.
Er trat, vor Ärger starr und stumm,
In sein entweihtes Heiligthum.
[17]
Seit dieser Zeit versucht' er zwar
Gelindigkeit und Strenge:
Allein noch tönen immerdar
Unbändige Gesänge
Von Nektarglut und Traubennass
Herab vom taumelnden Parnass.
Wem immer nur ein Reimchen glückt,
Prahlt in den schalsten Jamben,
Dass ihm der Wein den Kopf verrückt:
Es hagelt Dithyramben,
Und mangelt Wein, so stimmet man
Beym Wasserkrug ein Zechlied an.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ratschky, Joseph Franz. Gedichte. Gedichte. Der verpachtete Parnass. Der verpachtete Parnass. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8CC8-F