[165] Theodor Johann Quistorp
Der Hypochondrist
Ein deutsches Lustspiel

Personen

Personen dieses Lustspiels.

    • Herr Gotthart, ein Lederhändler.

    • Der junge Ernst Gotthart, ein Hypochondrist.

    • Herr Fröhlich, ein Kaufmann aus einer benachbarten Stadt.

    • Jungfer Fröhlichin, seine Tochter.

    • Frau Kreuzin, eine Witwe, die das Malum hypochondriacum hat.

    • Herr Dr. Krebsstein, ein Arzt.

    • Herr Dr. Muskat, ein Art.

    • Heinrich, des Hypochondristen Diener.

    • Kathrine, Herrn Gottharts Dienstmädchen.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Herr Gotthart. Herr Dr. Muskat. Herr Dr. Krebsstein. Sie kommen mit vielen Reverenzen herein.

HERR GOTTHART.

Nun meine Herren! Sie haben sich doch wohl sehr lange bei meinem Sohne aufgehalten. Wie ist's denn eigentlich mit ihm? Sind Sie hinter seine Krankheit gekommen?

DR.

MUSKAT. Je nun! mein lieber Herr Gotthart, was wollte es anders sein als das Malum hypochondriacum? Ja, ja, das Malum hypochondriacum ist's und nichts anders. Alle Zufälle, die der Herr Sohn uns nach der Länge erzählet hat, sind lauter Criteria des Mali hypochondriaci, wie ich Ihnen sage! Lauter Criteria des Mali hypochondriaci: Nicht wahr, Herr Kollege?

DR.

KREBSSTEIN. Ja, ja! ganz recht. Wie der Herr Kollege saget. Die Hypochondrie ist es oder, welches einerlei ist, die Melancholie; die Schwermütigkeit; die Passio hysterica; kurz die Milzsucht.

DR.
MUSKAT stutzig. Wie? Herr Doktor, halten Sie denn alle diese Krankheiten für einerlei?
DR.

KREBSSTEIN. Eben nicht für einerlei? Allein, was ist denn auch endlich für ein großer Unterschied darunter?

DR.
MUSKAT. Ei! ein gar großer Unterschied! ein sehr großer Unterschied, mein Herr Doktor!
DR.

KREBSSTEIN. Ja, ja! wenn man es so gar genau nehmen will: so ist freilich ein solcher Unterschied darunter, als inter caussam atque caussatum; morbum et symptomata. Interim posita caussa ponitur caussatum; posito morbo ponuntur symptomata! et sic vice versa. Nicht wahr?

HERR GOTTHART
knöpfet sich alle Taschen zu.
DR.

MUSKAT. Beileibe nicht, Herr Doktor! Ich statuiere gar keine Symptomata. Alle Krankheiten, die Sie mir daher genennt haben, das sind lauter Morbi particulares per se; wenigstens so viel ich die Medizin verstehe. Die Hypochondrie ist eine besondere Krankheit; die Melancholie ist eine besondere Krankheit; die Schwermut ist eine besondere Krankheit: und die Milzsucht ist auch eine besondere Krankheit. Wenn nun also jemand [166] die Hypochondrie, die Melancholie, die Schwermütigkeit und die Milzsucht zugleich hat: so hat er vier Krankheiten in einer: nämlich das Malum hypochondriacum oder Passionem hystericam complet.

DR.

KREBSSTEIN. Ganz recht, mein Herr Doktor! was heißt das aber anders als soviel: die Schwermut oder nach unserer Sprache die Melancholia und die Hypochondrie sind Symptomata von der Milzsucht; die daher, a sede principali, halb lateinisch, halb griechisch, das Malum hypochondriacum heißt? Residet enim sub hypochondriis, teste Hippocrate, Galeno, Paracelso, ac reliquis.

DR.

MUSKAT. Ei, beileibe nicht, Herr Doktor! Es sind lauter einzelne Krankheiten; lauter Morbi particulares. Sie haben auch ihre absonderlichenSedes und Radices. Die Milzsucht hat ihren Sedem in der Milz und entsteht ex obstructione fibrillarum lienis, quae est ipsius materia peccans. Die Hypochondrie hat ihren Sitz sub hypochondriis und entsteht ex stagnatione flatuum sub hypochondriis: unde oriuntur vertigines, atque imaginationes perversae, animus formidolosus atque dubius. Die Melancholie hat ihren Sitz im Geblüte und entsteht ex nimia terrestritate et spissitudine sanguinis: unde oriuntur stagnationes, atque palpitatio cordis. Wie gesaget, es sind alles lauterMorbi particulares et simplices. Zusammen aber machen sie einen einzigen Morbum compositum aus, nämlich das Malum hypochondriacum totale.

DR.

KREBSSTEIN. Und nach meiner Nosologo-semiotica sind alle diese Accidentia nichts anders als Symptomata des Morbi splenetici: und ich deriviere ihre Caussas alle aus der einzigen Verstopfung des kleinen Milzgeäders her.

DR.

MUSKAT. Nun, da haben wir's! Das macht, mein Herr Doktor, Sie sind noch einer von den alten; ein Stahlianer, ein Empirikus, der besser Rezepte machen als von Krankheiten demonstrativisch räsonieren kann.

DR.

KREBSSTEIN hitzig. Und Sie sind ein Burhavianer, ein neuer Mechanicus, ein Scientificus, der den Patienten noch einmal soviel Krankheiten an den Hals demonstrieret, als sie wirklich haben.

HERR GOTTHART
tritt zwischen beide.

Um des Himmels willen, meine Herren, erzürnen Sie sich doch nicht! Ich bin willens, Sie beide bei meinem Sohne zu brauchen, und da wäre mir's lieb, wenn Sie fein einig miteinander sein möchten. Disputieren Sie ein andermal; ich bitte [167] Sie darum! Ich habe Ihnen nun so lange zugehöret und nicht das dritte Teil davon verstanden.

DR.

KREBSSTEIN. Ich rede zu Ihrem und Ihres Herren Sohnes Besten, mein Herr Gotthart. Der Herr Doktor Muskat will ihm mit aller Gewalt vier Krankheiten an den Hals demonstrieren: und ich dächte doch, er hätte an einer genug, zumal da sie soviel gefährliche Symptomata hat.

HERR GOTTHART
verdrießlich.

Ja leider! das dünket mich auch. Einen Betrübten soll man nicht mehr betrüben! Mein Sohn ist ja schon elend genug daran!

DR.

MUSKAT auffahrend. Was? was sagten Sie, Herr Doktor Krebsstein? Ich hätte behauptet, unser Patient hätte vier Krankheiten? Was das nun für eine boshafte Fallacia conjunctionis et divisionis ist! Wissen Sie denn nicht mehr inter morbus simplices et compositos zu distinguieren? oder wollen Sie es nicht tun? Sie haben mit lauter Symptomatibus zu tun, und eben das, was Sie Symptomata nennen, das nenne ich Morbos simplices, sive particulares. Zum Gotthart. Nein, nein mein Herr Gotthart! Ihr Sohn hat nicht mehr als eine Hauptkrankheit; das einzige Malum hypochondriacum hat er und nichts mehr.

HERR GOTTHART
froh.
Je nun, meine Herren, da sehen Sie's ja! Sie sind ja eins!
DR.

KREBSSTEIN lächelnd. Ja, ja! in der Hauptsache sind wir freilich wohl eins. Es war nur ein bloßer Wortstreit, eine pure Logomachie!

DR.

MUSKAT hitzig. Freilich war es nichts anders: allein man muß doch seinem Systemati nichts vergeben, wenn man es einmal recht versteht.

HERR GOTTHART.

Um des Himmels willen, meine Herren, fangen Sie doch ja nicht wieder an! sonst disputieren Sie wieder eine gute Viertelstunde, ob es ein Wortstreit gewesen ist oder nicht. So hat denn also mein Sohn wirklich das Malen hyperondreherum?

DR.

KREBSSTEIN. Ja, ja! wie Ihnen der Herr Doktor Muskat gesaget hat, das Malum hypochondriacum mit allen seinen Morbis particularibus.

DR.
MUSKAT. Wie gesaget: das Malum hypochondriacum mit allen Symptomatibus des Herrn Doktor Krebssteins.
HERR GOTTHART.

Nun! dem Himmel sei ewig Dank, daß Sie [168] nur einmal seine Krankheit erst erraten haben! Die ganze Stadt kann nicht begreifen, was doch dem guten Menschen fehlet. Er geht; er steht; er ißt; er trinkt; er schläft auch gut; zum mindesten liegt er bis gegen den Mittag im Bette; und doch ist er immer niedergeschlagen und krank.

DR.
MUSKAT wirft den Kopf auf. Ja, ja!
HERR GOTTHART.

Er vergeht mir wie ein Schatten an der Wand. Kein Mensch tut ihm was; und doch fürchtet er sich immer. Wo er sitzet, da sitzet er wie ein toter Klotz, setzt die Hände unter den Kopf und träumet. Sonst wollte er vor Mutwillen aus der Haut fahren; und jetzt kann man ihn nicht lustig bekommen, man mag ihm auch vormachen, was man will.

DR.
KREBSSTEIN wirft den Kopf auf. Ja, ja!
HERR GOTTHART.

Wird er aber ja endlich einmal lustig: so ist er wieder lustiger, als es sich für ihn schickt. Im Augenblick aber kriegt er seine Raptus wieder und sitzt wieder da wie eine bretterne Wand. Zuweilen finde ich ihn, daß er sitzt und weinet wie ein kleines Kind. Ach! meine Herren? wenn Sie wüßten ...

DR.

KREBSSTEIN. Ja, mein Herr Gotthart, das wissen nicht nur Sie und die ganze Stadt; sondern er hat es uns alles selbst geklaget. Das sind aber eben die Symptomata von der Hypochondrie, deren es zuweilen wohl achtzig bei einem einzigen Menschen gibt.

DR.

MUSKAT. Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Doktor! das sind die Morbi particulariores, von den Morbis particularibus morbi illius compositi.

DR.
KREBSSTEIN höhnisch. Ja, ja! ich lasse mich gern unterweisen, wenn nur was dran ist!
HERR GOTTHART.

Was sollte ich mit dem Menschen endlich anfangen, so lieb ich ihn auch habe? Ich bin schon mehr als einmal willens gewesen, ich wollte ihn irgendwo einkaufen, daß er nur den Leuten aus den Augen käme. Denn ich muß soviel spitzige Nachfragen und anzügliche Reden seinetwegen in mich fressen.

DR.

KREBSSTEIN. Ei, beileibe, das nicht! Herr Gotthart. So weit muß es noch nicht kommen! Man muß dem Malo nur beizeiten vorbeugen, damit es nicht weiter um sich greife. Es sind ja noch für alles Mittel in der Welt; nur nicht wider den Tod!

HERR GOTTHART.

Ach! ich möchte fast wünschen, daß er nur lieber [169] tot wäre, wenn ich keine Sünde damit beginge. Man saget aber doch, daß für seine Krankheit noch Rat sei.

DR.

MUSKAT. Ja, ja! lassen Sie es nur auf uns ankommen, mein lieber Herr Gotthart. Innerhalb Jahresfrist soll er der gesundeste Mensch von der Welt sein.

HERR GOTTHART.
Das gebe der liebe Himmel!
DR.
MUSKAT. Ich setze meinen Kopf zum Pfande, daß ich mein Wort halten will.
DR.

KREBSSTEIN schüttelt den Kopf. Das war ein bißchen viel geredet, Herr Kollege! Ich werde freilich auch das meinige dabei tun; allein, mein lieber Herr Gotthart, Ihr Sohn muß erst gesund werden, ehe ich ihn recht kurieren kann.

HERR GOTTHART
mit einer seltsamen erstaunlichen Miene.
Erst gesund werden?
DR.

MUSKAT lacht. Ein jeder muß wissen, wieviel er versprechen kann. Der junge Herr Gotthart ist nicht der erste Hypochondrist, den ich in meiner Kur gehabt habe.

DR.
KREBSSTEIN. Das streite ich nicht. Er wird auch nicht der letzte sein, der mich konsultieren wird.
HERR GOTTHART.

Ach ja! ich weiß es, die Herren haben bei dergleichen Kranken schon Wunderkuren getan. Drum habe ich auch das Vertrauen zu Ihnen gefaßt, daß ich Sie zu meinem Sohne habe holen lassen.

DR.

MUSKAT. Ach! es kömmt nicht auf die Kranken und auf die Anzahl der Doctorum und Barbiere an! Es kömmt bloß auf die Art an, wie man kurieret. Kein Unglück kömmt allein und also auch keine Krankheit. Für jede Krankheit aber müssen auch eigene Mittel sein. Ich werde Ihrem Sohne, mein Herr Gotthart, für die Hypochondrie allerhand Resolventia und Propellentia; für die Melancholie eine besondere Speciem von einem Kräutertee und ein fleißiges Aderlassen; für die Schwermut Dilventia et Abstergentia und endlich für die Milzsucht kräftige Laxantia et Purgantia auch per vices einige Vomitiva geben.

HERR GOTTHART.
Das ist ja die ganze Apothek auf einem einzigen Krankentische!
DR.

MUSKAT. Dadurch restituiere ich ihm das Gehirn in statum naturalem; dadurch liberiere ich dieHypochondria von allen flatibus et spasinis; dadurch purifiziere ich ihm das Geblüt von den überflüssigen [170] particularis terrestribus; dadurch hebe ich ihm die obstructiones in fibrillis lienis atque hepatis und bringe sanguinem in seine gehörigeCirculation. Nur das dinge ich mir dabei aus, daß Ihr Herr Sohn immer gutes Mutes sein muß; sonst schlagen alle diese Mittel nicht an.

DR.

KREBSSTEIN. Nun, das gestehe ich! Herr Doktor Muskat! Wenn man der Natur so von allen Seiten zusetzet, so kann es nicht fehlen, der Patient muß entweder vollends toll oder vollends gesund werden.

HERR GOTTHART.
Sind Sie also mit dem Herrn Doktor Krebsstein eins, daß mein Sohn auf diese Art gesund wird?
DR.
MUSKAT. Er muß gesund werden, sage ich!
HERR GOTTHART.

Ach! das gebe doch der Himmel! Brauchen Sie nur alles, was zu brauchen ist; ich will's gern bezahlen. Ich habe doch sonst keinen Erben als diesen einzigen Sohn.

DR.

KREBSSTEIN. Nein, mein Herr Gotthart, nein! wo Sie Ihren Sohn auf solche Art kurieren lassen: so kuriere ich nicht mit.

HERR GOTTHART
erstaunt.
Ei, Herr Doktor!
DR.
KREBSSTEIN. Ihr Sohn ist ein Wassermann: er muß auch durch Wasser kurieret werden.
HERR GOTTHART
sieht den andern Doktor bestürzt an.
So?
DR.

KREBSSTEIN. Laxanzen und Purganzen schwächen den Magen; und der tauget ohnedem bei Ihrem Sohne nichts. Aderlassen ist bei einem so jungen Menschen nichts nütze; er kann sich damit bei einer schweren Krankheit noch einmal das Leben retten. Vomitive sind bei der Hypochondrie ärger als Gift: denn das Brechen ist selbst einSymptoma dieses Übels. Zum Gehirne aber muß man Ihrem Herrn Sohne vor allen Dingen nicht kommen: denn da sieht es ohnedies schon sehr alteriert aus. Alle diese Salbaldereien sind ihm mehr schädlich als nützlich.

HERR GOTTHART.
Ei, ei! ich armer Mann! Er sieht bald einen, bald den andern Doktor an und reibt sich die Stirne.
DR.

KREBSSTEIN. Seine ganze Krankheit entspringt aus der Verstopfung des kleinen Geäders in der Milz. Man muß also dieses nebst den primis viis zu eröffnen suchen. Hernach gibt sich das andere von selbst.

HERR GOTTHART.
Nun? und wie wollen Sie das machen?

So oft Dr. Krebsstein ein Brunnenwasser vorschlägt, schüttelt Dr. Muskat den Kopf dazu und lächelt; Gotthart sieht sie immer wechselsweise an.
DR.

KREBSSTEIN. Das werde ich so machen: erstlich soll mir der [171] Herr Sohn den Selzer Brunnen trinken. Wenn er davon zwanzig Flaschen im Leibe hat, so soll er den Pyrmonter anfangen. Wenn er mit diesem fertig ist, so verordne ich ihm den Seydschitzer zum täglichen Gebrauche, solange er lebet; dabei mittags und abends ein gut Glas Wein und den Tag über eine lustige Gesellschaft. Damit er immer ein fröhliches Herz habe: denn das erfordere ich vor allen Dingen.

HERR GOTTHART
schüttelt den Kopf.

Ja, ja! mein lieber Herr Doktor! Die Kur möchte ich selbst ausstehen, ob ich gleich frisch und gesund bin. Nur schade, daß mein Beutel sie nicht aushalten kann! Ich habe wohl so etwas vor mich gebracht; aber doch soviel nicht, daß ich meinen Sohn nach der Gesundheit in der ganzen Welt könnte herumreisen lassen.

DR.

MUSKAT lacht. Das dünkt mich auch, Herr Gotthart! Meine Medikamente kann man doch noch alle hier in der Stadt haben.

DR.

KREBSSTEIN. Der Herr Sohn darf auch nicht selbst in die Bäder reisen. Er kann ja die Brunnen alle hier bei meinem Schwiegersohne im Goldenen Hirsche haben: und ein schönes Glas Wein bei einer lustigen Gesellschaft findet er da auch.

DR.

MUSKAT lacht. Aha! da sehen Sie's, Herr Gotthart! Der Herr Doktor Krebsstein verordnet Sauerbrunnen und ein Glas Wein, weil sein Schwiegersohn mit beiden handelt.

DR.

KREBSSTEIN. Zu dienen, Herr Doktor! Aber verordnen Sie denn nicht Pulver zu halben Zentnern und Tropfen zu ganzen Eimern: weil Ihr Bruder der Apotheker mit Ihnen Gewinn und Verlust teilet?

DR.

MUSKAT besinnet sich. Ei! das ist doch aber eine verzweifelte Sache mit dem ewigen Brunnenwasser! Das muß ich in allen Apotheken sagen. Sie sollen gewiß keine Magenmorschellen und keinen Hippokras zum neuen Jahre mehr kriegen. Er geht drohend ab.

DR.

KREBSSTEIN. So sollen Ihnen meine Auditores gewiß dafür die Fenster einschmeißen. Ihr Diener, Herr Gotthart! Er geht ab.

HERR GOTTHART
ruft ihnen nach.

Ei, meine Herren! meine Herren! bleiben Sie doch. Ich habe Ihnen noch viel zu sagen. Ich weiß ja noch nicht, woran ich nun bin. Für sich. Doch sie kommen schon wieder. Er steht und hält die Türe offen.

2. Auftritt
[172] Zweiter Auftritt
Herr Gotthart. Heinrich, der hereingestolpert kommt.

HERR GOTTHART
erschrickt.
Heinrich, seid Ihr's?
HEINRICH
stutzt.
Ei ja, Herr Gotthart, sind Sie's?
HERR GOTTHART.

Was habt Ihr denn so eilig zu laufen? Ihr seid ja kein Mediziner. Wo sind denn die Doktores geblieben?

HEINRICH.

Ja, das mag der Geier wissen! Sie kamen die Treppe herunter gerennet, als wenn der Henker sie jagete. Drauf flogen sie zur Türe hinaus, der eine zur Rechten, der andre zur Linken, als wenn sie Quecksilber im Leibe hätten. Gelt! dachte ich, mein Herr wird seine Karbatsche bekommen und sie beide tüchtig ausgeklopftet haben!

HERR GOTTHART.
Ach was wollte er doch! die Gelehrten sind wunderliche Köpfe.
HEINRICH.
Oder vielleicht haben Sie sie wohl selbst die Treppe hinuntergeprügelt?
HERR GOTTHART.

Nun, das wäre noch besser! Ich glaube gar, Ihr denkt, ich kriege noch auf meine alten Tage solche Raptus als Euer junger Herr?

HEINRICH.

Sie fluchten aber gar zu sehr, etwas muß ihnen doch widerfahren sein. Ich bleibe darbei, sie haben Stöße gekriegt. Aber der eine muß mehr bekommen haben als der andere: denn sie brummten beständig, daß einer nicht besser wäre als der andere.

HERR GOTTHART.

Narr! Ihr habt auch mein Tage nichts anders im Kopfe als von Prügeln und Stößen. Und wenn es nun Schläge gesetzt hätte; warum kommt denn Ihr gelaufen? wollt Ihr etwa auch welche haben?

HEINRICH.

Nein, gehorsamer Diener! Ich wollte Ihnen nur melden, daß ich meinen Herrn werde anbinden, ihm Messer, Gabel, Degen, Hirschfänger, Strumpfbänder, Halstücher, ja Lichtputzen, Tabakspfeifenräumer, Schuhschnallen, Nähnadeln und alles, was ich nur finden kann, wegnehmen müssen.

HERR GOTTHART.
Und warum denn das?
HEINRICH.
Darum, daß er sich damit nicht umbringen könne.
HERR GOTTHART.
Was das nun für närrische Einfälle sind!
HEINRICH.

Ja, Herr Gotthart, Sie glauben es nimmermehr! Es ist ein ganz anders mit Leuten, die im hitzigen Fieber oder in einer Raserei [173] liegen und mit Ihrem Herrn Sohne. Er ist gar nicht krank; er steht und geht; er ißt und trinkt. Er kriegt nur zuweilen eine Karbatsche zu packen; und dann tauget er den Teufel nicht! Dann muß ich ihm nur alles aus den Augen schaffen, was nur einigermaßen einer Spitze oder Schärfe oder einem Bande ähnlich sieht; daß er sich nur kein Leid damit tue. Und auch dann fürchtet er sich noch, er möchte irgend mit dem Kopfe wider die Wand laufen: daher hat er mich oft selbst gebeten, ich sollte ihn nur im Bette anbinden.

HERR GOTTHART.

Wie? Heinrich, könnt Ihr meiner und Eures Herrn so spotten? Ist es nicht genug, daß sich die ganze Stadt mit allerhand Lügen von ihm herumträgt? Ihr dürft wahrhaftig keine neue darzu erdenken! Wie kann doch ein Mensch, der nur noch eine Unze gesunde Vernunft im Kopfe hat, solch närrisches Zeug anfangen?

HEINRICH.

So wahr ich lebe, Herr Gotthart, es ist die lautere Wahrheit! Sie wissen meines Herrn Zustand noch lange nicht recht; und wer wollte es Ihnen auch so gut sagen können als ich? Ich weiß wohl, wie sauer mir mancher Tag bei ihm wird. Bald muß ich ihm das Fenster zunageln aus Furcht, daß er Lust kriegen möchte, herunterzuspringen.Herr Gotthart schlägt die Hände zusammen. Bald sitzt er in tiefen Gedanken wie ein Stock, und dann fährt er auf und fragt mich: ob er auch was gesprochen hätte. Wenn ich ihm nun genug zugeschworen habe, daß dies nicht geschehen ist, so glaubt er mir es doch kaum. Schreibt er irgendeinen Brief, so bricht er ihn wohl zehnmal wieder auf und sieht nach, ob er auch was Unrechtes hineingeschrieben hat, oder ob er ihn mit Tinte begossen habe.

HERR GOTTHART.
Das ist ja entsetzlich!
HEINRICH.

Geht er einmal aus, und ich bin hinter ihm gegangen, so fragt er mich, wenn wir nach Hause kommen, bald aufs Blut: ob er auch einen jeden tief genug gegrüßt hat, ob er irgendeinem Bauern zu nahe gekommen oder sich mit einem Gassenjungen geprügelt habe, und was der Lappereien mehr sind, dergleichen einem kaum im Fieber träumet. Gehe ich aber nicht mit ihm, so ist der Henker gar los! denn da hat er keinen, den er fragen kann. Da kriegt er denn einen Raptus nach dem andern. Dann weiß ich mir keinen bessern Rat, als daß ich ihn geschwinde im Bette anbinde und ihm nur alles aus den Augen trage. Endlich, wenn er lange genug phantasiert hat, so muß er doch einschlafen.

HERR GOTTHART
schlägt die Hände zusammen.

Nun, das sei dem [174] Himmel geklagt! Ich armer Vater! Gott bewahre doch alle Menschen vor solchem Hauskreuze!

HEINRICH.

Ja, mein lieber Herr Gotthart! woher kömmt's? ist er nicht selbst schuld daran? Das haben wir von unserm Reisen! hätten wir nicht zu Jena so oft ... Er zeigt, wie man aus einer großen Humpe säuft. und als wir zu Halle waren so fleißig ... Er zeigt, wie man zu Dorfe reitet und fähret. so hätten wir einen gefunden Leib und ein gutes Gewissen nach Hause gebracht. Aber so geht's! die hinkenden Boten kommen alle nach.

HERR GOTTHART
zornig.

Heinrich! ich habe es Euch wohl hundertmal befohlen, Ihr sollt mir den alten Unrat nicht wieder aufwärmen. Ich habe es ihm vergeben und vergessen: so könnt Ihr's auch vergessen. Es ist ihm Strafe genug, daß er sich selbst und andern Menschen eine Last ist.

HEINRICH.

Es ist ja aber die lautere Wahrheit. Woher hat er die närrischen Zufälle alle bekommen, als daß er auf Universitäten seine schöne Natur in den Grund verderbet hat? Lunge und Leber sind ihm angestecket. Der Magen ist verschrumpft. Das Eingeweide ist verschränket: Und wenn ihm die Kolike denn einmal bis an den Hals steigt, so meint er gleich, jetzt wird's aus sein.

HERR GOTTHART.

Hört, Heinrich, ich befehle es Euch jetzt zum letzten Male: Laßt mir meinen Sohn mit seiner Krankheit zufrieden und haltet das Maul, bis ich Euch frage! Ihr seid sein Diener und nicht sein Hofmeister. Ich glaube, Ihr wollet seine Krankheit noch besser einsehen als die beiden Doktors, die doch auch auf Universitäten gewesen sind.

HEINRICH
lacht.
Oh, hoho! Haben sie die Krankheit noch nicht eingesehen? Das müssen die rechten Doktors sein!
HERR GOTTHART.

Ja freilich! Erst waren sie wegen der Krankheit eins; hernach zankten sie sich wieder drüber wie die Fischerweiber, und endlich bissen sie sich wie ein paar tolle Hunde.

HEINRICH.

Da hätte ich einen Zahnbrecher holen lassen, der ihnen das Gebiß ausgebrochen hätte; so wären sie doch ohne Schaden voneinander gekommen.

HERR GOTTHART.
Ach! ich war froh, daß sie sich nur so zum Hause hinauspackten!
HEINRICH.

Aber Herr Gotthart, warum haben Sie auch zween Doktores holen lassen? Zween Meister vertragen sich ja niemals bei einer Arbeit.

[175]
HERR GOTTHART.
Ich habe nicht gedacht, daß die Gelehrten auch der Handwerksneid plagte.
HEINRICH
lacht.
Ach! wohl noch ärger.
HERR GOTTHART.

Nun, es ist einmal geschehen. Ich habe es zu meines Sohnes Bestem getan. Vier Augen sehen ja besser als zwei.

HEINRICH.
Ja, aber viele Köche versalzen auch den Brei. Zween Mediziner, zwo Krankheiten mehr!
HERR GOTTHART.
Nun, es ist einmal vorbei, ich wünsche nur, daß sie niemals mögen wiederkommen.
HEINRICH.

Dafür stehe ich Ihnen, mein Herr Gotthart! Sie verschworen sich gar zu sehr, daß Sie Ihre Schwelle nicht wieder betreten wollten.

HERR GOTTHART.

Nun, so laßt sie laufen, daß ihnen die Beine abfallen! Ich habe mir ohnedem vorgenommen, meinen Sohn selbst zu kurieren.

HEINRICH.
Da tun Sie wohl am allerbesten, aber wie wollen Sie das machen?
HERR GOTTHART
besinnet sich eine Weile.
Höret, Heinrich! seid Ihr mir auch treu?
HEINRICH
bestürzt.

Mein Herr Gotthart! Ihr Wort in Ehren! Wo Ihnen jemand gesaget hat, daß ich Ihnen je was gestohlen, so schaffen Sie mir meinen Mann: Ich will's ihm ins Gesichte sagen, daß er ein Schelm ist.

HERR GOTTHART.
Wie? wacht Euch etwa das Gewissen auf wie Eurem hypochondrischen Herrn?
HEINRICH.
Ach nein! ich habe ein rechtes gutes Gewissen!
HERR GOTTHART.

Nun, so seid nur stille; aus die Tortur sollt Ihr nicht kommen. Ich frage nicht, ob Ihr reine Finger habet, sondern ob Ihr reinen Mund halten könnet, wenn man Euch was offenbaret?

HEINRICH.
Von mir soll nichts zuletzt auskommen: sonst will ich hier nicht gesund stehen!
HERR GOTTHART.

Ich muß es nur wagen: denn zu der Sache, die ich vorhabe, werde ich Euch auch mit brauchen müssen. Wißt Ihr das?

HEINRICH.
Ich? Nein.
HERR GOTTHART.

Ei, so hört doch und laßt mir Zeit, mich ein wenig zu bedenken. Ich will Euch die ganze Sache mit zwei Worten ausführlich erzählen. Seht nur, ich habe einen alten Vetter ...

[176]
HEINRICH.
Ja, Herr Gotthart!
HERR GOTTHART.
Er ist so ungefähr von meinem Alter.
HEINRICH.
Ja, ja.
HERR GOTTHART.
Er wohnt ...
HEINRICH.
Hier in der Breitengasse.
HERR GOTTHART.
Nein, der ist es nicht: der hat ja keine Tochter.
HEINRICH.
Ja so! er soll eine Tochter haben?
HERR GOTTHART.
Ja, der hat eine Tochter.
HEINRICH.
Ist sie auch hübsch?
HERR GOTTHART.
Ja doch, ja! habt doch nur Geduld und laßt mich ausreden!
HEINRICH.
Nun denn?
HERR GOTTHART.
Seht nur, der Mann ist vor diesem ebenso gewesen wie mein Sohn.
HEINRICH.
Hat er sich auch umbringen wollen?
HERR GOTTHART.
Ja freilich; er hat sich siebenmal erhenken, neunmal erstechen und fünfmal ersäufen wollen.
HEINRICH.
Und hat gewiß niemals dazu kommen können?
HERR GOTTHART.
Ach ja doch! er ist schon einmal so weit gewesen, daß er sich eingebildet hat, er wäre tot.
HEINRICH.
Und lebt doch noch diese Stunde?
HERR GOTTHART.
Ja, ja!
HEINRICH.
Nun, das gestehe ich! schon einmal tot zu sein und noch itzt zu leben? Das ist ein bißchen viel.
HERR GOTTHART.
Ja, höret nur, wie er sich kurieret hat?
HEINRICH.
Darnach verlanget mich recht sehr.
HERR GOTTHART.
Als ihm das Ding endlich zu tolle wird, so geht er aus Verzweiflung hin und freiet. Hört Ihr's?
HEINRICH
schüttelt den Kopf.
Ja, ja!
HERR GOTTHART.
Und zwar das lustigste Mädchen aus der ganzen Stadt.
HEINRICH.
Nun! nun! hier in der Stadt sind ihrer endlich eine Menge, man darf sie nicht weit suchen.
HERR GOTTHART.
Nun, ich sage Euch's, das lustigste Mädchen hat er sich zur Frau genommen l
HEINRICH.
Und die hat ihn wieder vom Tode erweckt?
[177]
HERR GOTTHART.
Ja, die hat ihn aus dem Grunde kurieret.
HEINRICH.
Ei! so geben Sie Ihrem Sohne auch ein so lustiges Mädchen: vielleicht kuriert sie ihn auch!
HERR GOTTHART
sieht ihn an.

Ich glaube, Ihr habt einen Affen gesehen, daß Ihr so gut raten könnet. Das ist eben meine Meinung, meines Vetters aus N. Tochter soll er haben.

HEINRICH.
Ist sie aber auch so lustig?
HERR GOTTHART
ganz lustig.

Freilich! Sie will vor Freuden aus der Haut fahren. Sie hüpft, sie tanzt, sie springt, sie singt und ist eine lebendige Unruhe.

HEINRICH.

Nun, das ist gut! das ist recht schön! Allein, mein Herr Gotthart! zum Kaufe gehören ihrer zween. Es ist die Frage, ob diese Jungfer einen so mürrischen, tiefsinnigen, ja ich möchte wohl sagen unsinnigen Menschen zum Manne haben will, als mein Herr ist? Der wird ihr wahrhaftig die Lustigkeit bald vertreiben!

HERR GOTTHART.
Ei! darum bekümmert Euch nur nicht. Es ist alles schon richtig!
HEINRICH.
Ja, vielleicht zwischen den Eltern! Aber die Töchter wollen heutigestages auch gefraget sein.
HERR GOTTHART.

Ich sage Euch, die Tochter hat selbst Lust dazu. Sie hat sich's vorgenommen, einen Mann zu nehmen, den sie auch so kurieren könnte, wie ihre Mutter ihren Vater kurieret hat; und wenn er auch noch ärger wäre.

HEINRICH.

Ei, mein Herr Gotthart! so lassen Sie sie ja morgen herüber kommen und übermorgen Hochzeit halten: denn ich fürchte, ich fürchte! wo sie meinen Herrn erst kennenlernet, sie nimmt ihn nicht!

HERR GOTTHART.

Drum vertraue ich Euch eben die Sache: daß Ihr im Anfange dann und wann manche von seinen Grillen bemänteln helft oder nur nicht viel Wesens davon machet.

HEINRICH.
Ich will es schon machen. Wenn sie nur bald hier wäre!
HERR GOTTHART.
Ich sage es Euch noch einmal, plaudert's nur nicht aus.
HEINRICH.
Herr, das Plaudern ist meine Sorge.
HERR GOTTHART.
Denn mein Vetter will ganz inkognito kommen.
HEINRICH.
Inkognito? Ist das nicht rotwelsch?
HERR GOTTHART.
Ei! das heißt verstohlen.
[178]
HEINRICH.

Nun verstehe ich's. Aber warum das? Sie werden ja ehrliche Leute sein; und was sie vorhaben, das ist auch kein Schelmstück.

HERR GOTTHART.

Das hat alles seinen guten Grund. Mein Sohn kennet weder Vater noch Tochter, und da sollen sie als Fremde, aber Bekannte bei mir einkehren. Da will ich nun sehen, wie sich die jungen Leute miteinander vertragen. Hernach will ich meinem Sohne das Geheimnis entdecken.

HEINRICH.
So? so soll mein Herr selbst noch nicht wissen, daß er Bräutigam ist?
HERR GOTTHART.
Beileibe nicht! denn ...
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Herr Gotthart. Heinrich. Kathrine.

KATHRINE.

Herr Gotthart, der Gerber Grundmann ist drunten. Er hat gehöret, daß Sie vorgestern eine Fracht Ochsenhäute bekommen. Er will etliche Hundert handeln.

HERR GOTTHART.
Ihr habt ihn doch in die Stube genötiget?
KATHRINE.
Nein, Herr Gotthart; ich habe sie alleweil erst ausgekehrt, und er hat solche schmutzige Füße.
HERR GOTTHART.

Schmutz hin! Schmutz her! grobes Mensch! Nötige ich ihn doch wohl gar auf den samtnen Lehnstuhl. Der Mann ist einer von meinen einträglichsten Kunden. Seht Ihr nicht, was er für große silberne Knöpfe am Rocke hat?

KATHRINE.
Ei nun! ich kann ihn ja noch hinein nötigen.
HERR GOTTHART.

Ja, nun hinterher! Nun will ich es wohl selber tun. Im Weggehen. Heinrich, ich sage es Euch noch einmal ... Er legt die Hand auf den Mund und geht ab.

HEINRICH.
Ja, ja, ich will es schon richtig bestellen.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Heinrich. Kathrine.

KATHRINE.
Nun? das war auch deutlich genug gewiesen, daß Ihr das Maul halten sollt.
HEINRICH.
Ja, hört, Käthchen, sagt mir erst, ob Ihr schweigen könnt.
[179]
KATHRINE.
Ach! alle Tage so gut als Ihr.
HEINRICH.
Nun, so will ich es Euch sagen. Wißt Ihr was? Der junge Gotthart, mein Herr, ist ein Bräutigam.
KATHRINE
böse.
Hört, Heinrich, wenn Ihr einen Narren haben wollt, so schafft Euch einen.
HEINRICH.
Es ist, der Henker hole mich! die Wahrheit. Der alte Herr hat mir's gesaget.
KATHRINE.
Ja, ihr seid beide die rechten, wenn's aufs Vexieren ankömmt. Aber bei mir kommt ihr unrecht an!
HEINRICH.
Kathrine, ich will nicht ehrlich sein, wo es nicht wahr ist!
KATHRINE
sieht ihn starr an.

Heinrich, ich rate Euch, lügt mir nichts vor! Ich erzähle es hernach auf dem Fischmarkte, und wenn es dann nicht wahr ist: so bestehe ich mit Lügen.

HEINRICH.
Was das nun für ein ungläubig Mensch ist!
KATHRINE.
So ist's gewiß wahr?
HEINRICH.
Ja, ja doch!
KATHRINE.
Gewiß?
HEINRICH
ungeduldig.
So gewiß, als Ihr eine Närrin seid.
KATHRINE.
Nun, dummer Mensch, werdet nur nicht böse! Fragen steht ja frei.
HEINRICH.
Das ist wohl wahr; aber Ihr fraget einem auch die Seele aus dem Leibe.
KATHRINE.
Nun, so sagt mir doch auch, lieber Heinrich! ist es gewiß wahr?
HEINRICH.
Nun, Ihr fragt ja wohl recht! Und wenn ich es nun gelogen hätte, würde ich's Euch darum sagen?
KATHRINE.
Nun, da haben wir's! sagte ich's nicht, daß Ihr mich nur zum besten habt?
HEINRICH.

Nun, nunmehr sage ich es Euch zum letzten Male: unser Phantast hier im Hause, mein junger Herr, ist ein Bräutigam.

KATHRINE.

Nun, ich kann es ja wohl glauben. Es ist ja endlich mein Schade nicht. Ich werde doch wenigstens eine schöne Schleppe, ein damasten Leibchen und ein Paar rote Strümpfe davontragen. Wo sich auch denn kein hübscher Kerl in mich verliebt, so hole sie alle der Henker!

HEINRICH.

Und ich werde eine Livrei bekommen, daß mir alle Mädchen auf der Gasse nachsehen werden. Hört, Kathrine, wo Ihr mir's auch [180] glauben wollt, so will ich Euch die ganze Sache haarklein erzählen. Sie ist aber ein bißchen weitläuftig.

KATHRINE.

Potz Velten, nein! Oder kommt mit in die Küche. Ich habe Milch beim Feuer, die wird mir über und über gelaufen sein.


Sie laufen beide fort.

Ende des ersten Aufzuges.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Der junge Gotthart. Heinrich.

ERNST GOTTHART
ganz ängstlich.

Um des Himmels willen, Heinrich! bleibt doch bei mir; oder bindet mich zum mindesten fest, ehe Ihr von mir geht!

HEINRICH.
Hilf Himmel! was gibt's denn nun wieder?
ERNST GOTTHART.
Ach!
HEINRICH.
Was ist Ihnen denn? Sagen Sie mir's doch!
ERNST GOTTHART.
Nichts.
HEINRICH
ungeduldig.
So machen Sie's immer! Sagen Sie mir doch nur, was Ihnen fehlt?
ERNST GOTTHART
seufzt.
Nichts, sage ich!
HEINRICH
böse.

Zum Henker! warum geberden Sie sich denn so wie eine kranke Frau? Haben Sie etwa eine Gräte im Halse stecken?

ERNST GOTTHART.
Ach nein!
HEINRICH.
Was denn? Einen Knochen?
ERNST GOTTHART.
Ach nein doch!
HEINRICH.
Oder haben Sie die Kolike?
ERNST GOTTHART.
Ach nein!
HEINRICH
ungeduldig.
Nun, so möchte ich doch wissen, was Ihnen denn ist?
ERNST GOTTHART
ängstlich.
Ich kann's Euch nicht sagen!
HEINRICH.
Je nun! wenn Sie's nicht sagen können, so wird's auch wohl nichts sein.
[181]
ERNST GOTTHART.
Ach! was wollte es nur nicht sein! Es ist leider mehr als zu viel!
HEINRICH
besorgt.
Nun, so sagen Sie's doch! Wer seine Not klagt, dem ist halb geholfen.
ERNST GOTTHART.
Was soll ich Euch sagen?
HEINRICH.
Was Ihnen fehlt, worüber Sie so seufzen.
ERNST GOTTHART.
Ach Heinrich! das weiß ich selbst nicht!
HEINRICH
verdrießlich.

Ja, Herr Gotthart, wo Sie's selbst nicht wissen, so weiß ich es noch viel weniger! Legen Sie sich nieder und schlafen Sie aus. Ich wollte Sie herzlich gern anbinden; aber ich muß erst ausgehen. Er will gehen Gotthart hält ihn zurück.

ERNST GOTTHART.
Heinrich! wo Ihr nicht ein steinern Herz im Leibe habt, so bleibt um des Himmels willen bei mir!
HEINRICH.
Ei, zum Henker! so sagen Sie doch, warum?
ERNST GOTTHART
ängstlich.
Seht Ihr denn nicht, daß ich meinen Paroxismus wiederhabe?
HEINRICH.

Je mit Ihrem Paroxismus! Immer kommen Sie mit dem verwünschten Paroxismus, wenn ich gerade keine Zeit habe, Sie zu warten. Sie wissen ja, daß ich notwendig ausgehen muß.

ERNST GOTTHART.
Wohin denn? Ihr ungeduldiger Mensch!
HEINRICH.

Haben Sie es denn nicht gehört? Der Herr will nicht haben, daß die fremden Gäste im Gasthofe einkehren sollen. Ich muß ja ihre Kuffer und Sachen hieherschaffen.

ERNST GOTTHART.

Gäste hin! Gäste her! bleibt Ihr bei mir. Was gehen mich die Gäste an? Sie kommen mir gerade zur Unzeit!

HEINRICH.

Ei, mein lieber Herr Gotthart, nehmen Sie mir das nicht übel: Gehen die Gäste Sie nichts an, so gehen sie mich an. Ein ehrlicher Lakai will auch gern einmal mit Ehren ein Trinkgeld verdienen. Ich muß gehen! Er will gehen.

ERNST GOTTHART
ängstlich.
Ja, so muß ich mich umbringen.
HEINRICH.
Tun Sie's immer, wo Sie das Herz haben! Ich kann Ihnen nicht helfen! Ich muß gehen! Er will gehen.
ERNST GOTTHART
kläglich.
Ihr unbarmherziger Mensch! Ist es Euch denn mehr um einen Saufpfennig als um Euren Herren zu tun?
HEINRICH
lächelnd.
Ach! Sie bringen sich nicht um! das weiß ich schon. Er will gehen.
[182]
ERNST GOTTHART.
Bleibt doch nur bei mir, geldgieriger Mensch! Ich will Euch zweimal soviel geben als die Gäste.
HEINRICH.

Ja, das wäre was Schönes! Wenn ich nun nicht hinginge und holte die Sachen nicht, so kriegte ich von den Gästen nichts, und Sie gäben mir hernach doppelt soviel: das heißt, ich kriege von beiden einen Quark. Dabei käme ich trefflich zurechte! Nein! ich gehe! Er will gehen.

ERNST GOTTHART.

Ihr höret ja aber, daß ich Euch nicht gehen lasse! Seht! da habt Ihr einen Gulden! den vertanzt künftigen Sonntag auf meine Gesundheit und bleibt jetzt bei mir. Er hält ihn beim Ärmel.

HEINRICH
besieht das Geld.

Ja, Herr Gotthart, das ist alles ganz schön und gut; ich nehme es auch mit Dank an! und wenn nur die Gäste nicht da wären; ich bliebe wohl den ganzen Tag bei Ihnen. Aber jetzt muß ich gehen, oder der Henker wird mir das Licht halten. Er will gehen.

ERNST GOTTHART
ängstlich.
Und warum denn?
HEINRICH
ungeduldig.

Ich habe es Ihnen ja wohl zehnmal schon gesagt! Ich soll der Fremden ihre Sachen von der Post holen. Sie wissen ja, daß Sie selbst deswegen früher vom Tische aufgestanden sind, und wir armen Menschen, die Köchin und ich, wir haben unsre Mittagsmahlzeit gar bis auf die Nacht verlegen müssen; denn heute abend kriegen wir doch nichts.

ERNST GOTTHART.
Nun, so bleibt doch nur noch eine Viertelstunde bei mir!
HEINRICH.
Ich kann aber nicht!
ERNST GOTTHART.
Nur eine halbe Viertelstunde!
HEINRICH.
Ich kann unmöglich!
ERNST GOTTHART.
Nur fünf Minuten. Er zieht die Uhre heraus.
HEINRICH
böse.
Zum Henker! so sagen Sie mir auch, was ich soll?
ERNST GOTTHART
ängstlich.
Ach! ich sehe wohl, es muß nur heraus. Hört nur, Heinrich, habt Ihr heute bei Tische nichts gemerkt?
HEINRICH.

Nichts anders, als daß Sie brav gegessen und getrunken und wenig gesprochen haben: welches auch das klügste ist.

ERNST GOTTHART
ängstlich.

Ei! darnach frage ich nicht! Habt Ihr aber nicht in meinem Gesichte eine gewisse ungewöhnliche Verzuckung bemerkt?

HEINRICH
schüttelt den Kopf.
Nein, keine andere, als die alle Menschen beim Essen und Trinken machen.
[183]
ERNST GOTTHART.

Ach! ich sehe wohl, Euch muß man so fragen, wie man die Bauren ausfragt. Ängstlich. Sagt mir doch, Heinrich, habe ich nicht heute bei Tische meinem Vater ein schiefes Maul gemacht?

HEINRICH
lacht sehr.
Dachte ich's nicht, das so was kommen würde!
ERNST GOTTHART
ängstlich.
Nun, so redet doch.
HEINRICH
lachend.
Ei Possen! wie wollten Sie dazu gekommen sein? Sein Sie doch nicht wunderlich!
ERNST GOTTHART.
Nun, nun! es fiel mir nur so ein, ob ich's auch getan haben möchte.
HEINRICH
lachend.
Ei, Herr Gotthart! wenn Sie's getan hätten, so würden Sie's ja wissen!
ERNST GOTTHART
böse.
Narr! wenn ich es wüßte, so würde ich Euch nicht darum fragen.
HEINRICH.
Nun, ich weiß es noch weniger als Sie.
ERNST GOTTHART.
Ihr müßt es wissen!
HEINRICH.
Ich weiß es aber nicht!
ERNST GOTTHART.
Ganz gewiß nicht?
HEINRICH
lachend.

Bedenken Sie doch nur einmal, wie soll ich's denn wissen! Ich gehe ja bei Tische wohl zehnmal aus und ein. Indessen kann viel geschehen, das ich nicht weiß.

ERNST GOTTHART.
So habt ihr's nicht gesehen?
HEINRICH.
Nein doch! nein.
ERNST GOTTHART.
Ach! Ihr habt's gesehen und wollt es mir nur nicht sagen.
HEINRICH.

Um des Himmels willen! wenn Sie es getan haben, so müssen Sie es ja selbst am besten wissen: denn betrunken sind Sie ja nicht. Und haben Sie es nicht getan, was fragen Sie mir denn die Seele aus dem Leibe?

ERNST GOTTHART.

Ich sage Euch ja, daß ich es nicht weiß. Ich stehe noch deswegen im Zweifel. Aber ich muß eine Gewißheit davon haben.

HEINRICH.
Wissen Sie denn nun selbst nicht mehr, was Sie tun?
ERNST GOTTHART.
Ei! ich weiß es wohl. Ich weiß es nur nicht recht.
HEINRICH.
Ach! bekümmern Sie sich doch nicht um geschehene Dinge, und hoffen Sie immer das Beste.
ERNST GOTTHART.
Das Beste hoffen? Das kann ich nicht!
[184]
HEINRICH.
So wollen Sie denn durchaus dem Herrn ein schiefes Maul gemacht haben?
ERNST GOTTHART.

Das ist es eben, was mich so martert! Es liegt mir auf dem Herzen wie ein Mühlstein; und wo ich gewiß werde, daß ich mich so sehr vergangen habe, so erhänge ich mich den Augenblick. Er windet die Hände. O Himmel!

HEINRICH
lachend.
Nun, das hieße aus der Traufe in den Platzregen! Gesetzt nun, Sie hätten es auch getan ...
ERNST GOTTHART
sehr erschrocken.
Wie? Was?
HEINRICH.

Ich sage ja nur, gesetzt! Gesetzt nun, Sie hätten dem Herrn Vater ein schiefes Maul gemacht: wer weiß, ob er es auch gesehen hat?

ERNST GOTTHART
ängstlich.
Ach! ich muß doch besorgen, daß er's gesehn hätte!
HEINRICH
lachend.
Und wenn er's nun auch gesehen hätte; wer weiß, ob er sich's zu Gemüte gezogen?
ERNST GOTTHART
ängstlich.
Ach! ich müßte doch besorgen, daß er sich's zu Gemüte zöge!
HEINRICH.

Gesetzt nun, daß er sich's auch zu Gemüte gezogen hätte; wer weiß, ob er's Ihnen nicht schon wieder vergeben hat?

ERNST GOTTHART.
Ach! wie wollte er mir das vergeben?
HEINRICH.

Je, warum denn nicht? Und wenn er es Ihnen auch nicht vergäbe, wollten Sie sich denn darüber gleich erhenken?

ERNST GOTTHART
ängstlich.

Ja freilich! was wollte ich anders machen? Mein Vater würde mich doch gewiß enterben. Wenn er mich nun enterbte, so würde ich hier aller Menschen Spott. Kein Mensch würde sich meiner annehmen. Zivildienste kriegte ich nicht, und zum Kriege tauge ich nicht. Ich müßte also betteln gehen. Wenn ich betteln ginge, könnte ich leicht Hunger leiden: wenn ich Hunger litte, könnte ich leicht stehlen: wenn ich stöhle, könnte ich leicht aufgehangen werden: und ehe ich mich von einem Scharfrichter hängen lasse, eher ...

HEINRICH.
Wollen Sie es selbst tun? Er lacht sehr. Schön! schon!
ERNST GOTTHART.
Jawohl!
HEINRICH
lachend.
Was das nun wieder für halsbrechende Schlüsse und Einfälle sind!
ERNST GOTTHART.
Ja! sind sie nicht richtig?
[185]
HEINRICH.

O ja! ebenso richtig als meines vorigen Herrn seine. Der ging niemals in die Kirche; denn er schloß so: wer in die Kirche geht, der kann leicht fallen. Wer fällt, der kann leicht ein Bein brechen. Wer ein Bein bricht, der kann leicht ein Krüppel werden. Ehe ich also in tausendfache Not gerate: so gehe ich lieber nicht in die Kirche.

ERNST GOTTHART.
Ach! das ist ein gottloser Mensch gewesen. Der hat seine Vernunft gemißbrauchet.
HEINRICH.
Und Sie gebrauchen Ihre auch gewiß nicht recht!
ERNST GOTTHART.
Ach, was wollte ich nur nicht! Es ist ja alles ganz vernünftig. Hört nur! wenn ...
HEINRICH
ungeduldig.

Ei! ich mag nichts mehr hören! Bedenken Sie doch nur einmal: die ganze Ursache, warum Sie sich erhenken wollen, ist diese: weil Sie besorgen, Sie möchten den alten Herrn Gotthart böse gemacht haben. Aber wenn Sie sich nun erhenkten: würden Sie ihn da nicht noch zehnmal böser machen? He? was meinen Sie?

ERNST GOTTHART.

Ja, Ihr mögt schwatzen, wie Ihr wollt! Ich muß wissen, ob ich meinem Vater ein schiefes Maul gemacht habe oder nicht. Ehe werde ich nicht ruhig: und sollte ich ihn auch selbst darnach fragen.

HEINRICH
lachend.

Sei'n Sie doch nicht wunderlich! Wenn ich einem eine Maulschelle gegeben hätte, wie wollte ich doch ihn selbst ...

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Der alte Gotthart. Der junge Ernst Gotthart. Heinrich.

HERR GOTTHART
zum Heinrich.

Nun, das ist Euer Glück, Heinrich, daß ich Euch hier bei meinem Sohne finde; sonst setzte es heute gewiß zum ersten Male Schläge. Ich stehe vor der Türe und warte wie ein Narr, ob Ihr mit den Sachen von der Post kommt. Endlich, da ich lange genug Schildwacht gestanden: so höre ich, daß Ihr noch nicht einmal aus dem Hause seid.

ERNST GOTTHART.

Verzeihen Sie es ihm, liebster Herr Vater; ich bin allein schuld, daß er noch hier ist: und wo Sie deswegen ungehalten sind, so zürnen Sie mit mir. Ich habe ihn nicht von mir lassen können. Er küßt dem Vater die Hand.

HEINRICH.

Ja gewiß, ich wäre schon längst hin und wieder zurück; [186] allein Sie sehen es dem jungen Herrn wohl an, daß er wieder seinen Paroxismus hat. Er meint ...

HERR GOTTHART.
Schweigt! Ich will's von Euch nicht hören, was er hat. So befindst du dich nicht wohl, mein Sohn?
ERNST GOTTHART.
Ach nein! Herr Vater. Ich habe gleich nach der Mahlzeit meinen Zufall wie der bekommen.
HEINRICH.
Ja! und denn muß er notwendig jemanden um sich haben.
HERR GOTTHART.

Nun, so will ich jetzt lieber selbst bei dir bleiben, ehe ich es in der Höflichkeit wider die Fremden verstoße. Heinrich, lauft und schafft die Sachen von der Post her und macht an die Gäste meine Empfehlung: ich hoffte doch, sagt nur, daß es bei der Abrede bleiben, und sie bei mir fürlieb nehmen würden.

HEINRICH.
Gar wohl. Ich bin im Augenblicke wieder hier. Will gehen.
HERR GOTTHART.

Heinrich! noch eins. Sagt der Kathrine, sie sollte alles hübsch auskehren und rein machen, damit die Gäste nicht sagen, man könne es doch gleich sehen, wenn man zu einem Witwer käme: so unsauber sähe das Haus aus. Hört Ihr's?

HEINRICH.
Ja, ja, ich will es bestellen. Er geht ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Der alte Herr Gotthart. Ernst Gotthart.

HERR GOTTHART.

So sage mir doch, mein Sohn, was fehlt dir denn nun schon wieder? Ich dachte, heute solltest du mir einmal recht lustig sein?

ERNST GOTTHART
fällt auf die Knie und küßt dem Alten die Hände.

Ach allerliebster Herr Vater! vergeben Sie es meiner Schwachheit, wofern ich mich an Ihnen versündiget habe!

HERR GOTTHART.

Stehe auf, mein Sohn! steh auf! du weißt ja, daß ich dir einmal versprochen habe, alles zu vergessen und zu vergeben. Ich will aller der Dinge nicht mehr gedenken.

ERNST GOTTHART.

Ach! freilich haben Sie mir wohl das Vergangene gütigst vergeben! allein heute habe ich mich wohl allzu gröblich an Ihnen versündiget, Herr Vater!

HERR GOTTHART.
Heute?
ERNST GOTTHART.
Ja, bei Tische.
[187]
HERR GOTTHART.
Bei Tische?
ERNST GOTTHART.
Ja, Herr Vater: wofern es geschehen ist, so ist es bei Tische geschehen.
HERR GOTTHART.

Womit denn? Du hast ja fast kein Wort geredet. Ich hätte es lieber gesehen, du wärest muntrer gewesen, als daß du so tiefsinnig dasitzest und keinen Laut von dir gibst.

ERNST GOTTHART.
Mit Worten ist es auch nicht geschehen, Herr Vater!
HERR GOTTHART.
Und womit denn?
ERNST GOTTHART.
Mit Gebärden.
HERR GOTTHART.

Ei! nicht doch! Ich habe dich fast die ganze Mahlzeit über angesehen und mich gewundert, daß dir das Gesicht immer in einerlei Falten geblieben ist.

ERNST GOTTHART.
Auch der Mund, Herr Vater?
HERR GOTTHART.
Ja, auch der Mund; außer wenn du einen Bissen gegessen hast: da muß man ihn ja wohl verzerren.
ERNST GOTTHART.

Nun, gottlob! da fällt mir ein schwerer Stein vom Herzen! Meine ganze jetzige Unruhe, Herr Vater, rührte bloß daher, daß ich mir einbildete, ich hätte Ihnen über Tische ein schiefes Maul gemacht.

HERR GOTTHART
stutzt und schüttelt den Kopf.

Nun! das wäre freilich grob genug gewesen! Aber sage mir einmal, Ernst, wie kömmst du immer mehr auf solche Gedanken, da du doch, wie ich sehe, Furcht un Liebe gegen mich hast?

ERNST GOTTHART.

Ach! liebster Herr Vater, vernünftig kann ich Ihnen darauf nicht antworten! solche närrische Einfälle kriege ich täglich mehr als tausend; und da hilft keine vernünftige Vorstellung.

HERR GOTTHART.

Aber Ernst, solange du noch eine gesunde Vernunft hast, so kannst du ja wohl sehen, daß es lauter Possen sind.

ERNST GOTTHART.
Ei! das sehe ich freilich wohl!
HERR GOTTHART.
Und doch kannst du sie nicht aus dem Kopfe kriegen?
ERNST GOTTHART.

Das ist eben meine ganze Krankheit. Ja, ich bin schon froh, wenn es nur so bleibt, daß die Vernunft nur noch im Gleichgewichte steht: denn wo meine Phantasie einmal stärker wird als die Vernunft, so bin ich hin!

[188]
HERR GOTTHART.
Hast du denn das nicht den beiden Doktors geklagt? Was sagen die dazu?
ERNST GOTTHART.

Ach! die guten Leute! die haben mich heute fast zu Tode damit gequälet, daß ich mir ein ruhiges und fröhliches Gemüt anschaffen soll.

HERR GOTTHART.

Ja, das haben sie mir auch gesagt; und mich dünkt, das ist auch wohl der beste Rat. Denn, sie sagten, ihre Arzeneien schlügen sonst nichts an.

ERNST GOTTHART.

Ja, so mögen sie nur lieber alle fortbleiben! Bedenken Sie es nur selbst, Herr Vater, ich soll ein fröhliches, ruhiges Gemüt haben, ehe sie mich kurieren können; und in der Schwermut besteht eben meine ganze Krankheit.

HERR GOTTHART.

Aber, lieber Ernst, warum bist du nun schwermütig? Es fehlt dir ja in der Welt an nichts. Du mußt dir nur immer was Gutes vorstellen, und wenn du es auch gleich nicht hast.

ERNST GOTTHART.

Und ich stelle mir gerade immer was Böses vor: was mir oft gar nicht einmal zustoßen kann. Darüber vergesse ich alles Gute, was ich wirklich besitze oder doch haben könnte.

HERR GOTTHART.
Ei! das mußt du aber eben nicht tun.
ERNST GOTTHART.
Ja, wie kann ich mir helfen? Eben als gestern ...
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Die Vorigen. Kathrine.

KATHRINE.
Herr Gotthart, die Frau Kreuzin läßt sich melden. Sie will Ihnen die Abschiedsvisite geben.
HERR GOTTHART
verdrießlich.

Ich wollte, daß sie auf dem Blocksberge wäre! Nun muß sie mit ihrem Abschiednehmen kommen, da ich eben gute Freunde bei mir habe. Sie verderbt uns die ganze Gesellschaft.

ERNST GOTTHART.
Ach! die arme Frau hat ebenfalls die Hypochondrie!
KATHRINE.
Was soll ich antworten?
HERR GOTTHART.

Ei! mit der verdrießlichen Visite! Hört, Kathrine! sagt: ich ließe die Frau Kreuzin schön grüßen, und ich wüßte wohl, daß sie nicht gern bei vielen Leuten wäre; ich hätte aber heute etliche [189] Freunde aus der Fremde bei mir: ich ließe ihr also eine glückliche Reise wünschen.

ERNST GOTTHART.

Mein Herr Vater, wo Ihnen dieser Besuch nicht gar zu sehr zuwider ist, so lassen Sie sie immer kommen! Ich wollte sie doch gern einmal sprechen. Sie hat überaus viel wider das Hypochondriacum gebraucht; ich möchte doch gern hören, was ihr am besten bekommen ist.

HERR GOTTHART.
Von Herzen gern, mein Sohn. Sonst aber taugt die Frau in Gesellschaften gar nichts.
ERNST GOTTHART.
Ach! ich bitte Sie recht sehr darum, Herr Vater.
HERR GOTTHART.
Nun, meinethalben! Hört, Kathrine, sagt: Ihr Besuch sollte mir herzlich lieb und angenehm sein.
KATHRINE.
Gut, so will ich sagen. Sie mag es glauben oder nicht. Geht ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Der alte Herr Gotthart. Ernst Gotthart.

HERR GOTTHART.

Nun, Ernst, den Besuch nehme ich bloß dir zuliebe an. Nun tue du mir auch den Gefallen und sei hübsch lustig und munter, daß meine Gäste von deiner Krankheit nicht viel merken.

ERNST GOTTHART.
Ja, liebster Herr Vater, soviel mir nur möglich ist.
HERR GOTTHART.
Versuche es nur einmal. Geht's einmal an: so geht es auch wohl öfters an.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Herr Gotthart. Ernst Gotthart. Dr. Krebsstein.

DR.
KREBSSTEIN. Gehorsamer Diener, mein Herr Gotthart. Er grüßt sie beide.
HERR GOTTHART.

Ihr Diener, Herr Doktor! Ich dachte, Sie würden gar nicht mehr wiederkommen, weil Sie vorhin so zornig weggingen.

DR.

KREBSSTEIN. Ei! Herr Gotthart, das habe ich nach der menschlichen Schwachheit und nicht nach meinem medizinischen Gewissen geredet. [190] Ein rechtschaffener Medikus muß einen Kranken nicht eher verlassen, als bis kein Odem mehr in ihm ist.

ERNST GOTTHART.

Ja, wenn mir nur Ihr Beistand was nützte, Herr Doktor: aber bisher bin ich noch wenig davon gebessert gewesen. Nehmen Sie mir das nicht übel.

DR.

KREBSSTEIN. Ja, das macht, Sie haben so viele Arzeneien eingenommen, die Ihnen der Herr Doktor Muskat verordnet hat. Das Zeug ist Ihnen wie lauter Gift im Leibe!

ERNST GOTTHART.
Wie? Sie sind ein Medikus und raten mir von den Arzeneien ab?
HERR GOTTHART.
Ja, mein lieber Ernst, der Herr Doktor ist den Apothekern gar nicht gut.
DR.

KREBSSTEIN. Ei, Arzeneien und Arzeneien ist wieder was anders! Ich meine die Tränke, die Pulver, die Tropfen, die Pillen, die Klistiere, die Magenpflaster und alle Schmieralien. Das Zeug ist zu nichts nütze, als den Apotheker reich und den Kranken arm und elend zu machen.

HERR GOTTHART.
Ja, das kann freilich wohl wahr sein. Setzen Sie sich doch, Herr Doktor. Sie setzen sich alle.
DR.

KREBSSTEIN. Sie können es als ein paar vernünftige Leute, meine Herren, selbst begreifen. Der Mensch hat fast einen Eimer voll Blut im Leibe. Was wollen nun zwanzig oder vierzig, ja lassen Sie es auch sechzig und siebzig Tröpfchen Arzenei sein, in einer so großen Menge Bluts wirken? Was soll doch eine Messerspitze Pulver ausrichten? Das Zeug bleibt im Magen liegen, und der kranke Teil empfindet nichts davon. Ist's nicht wahr?

ERNST GOTTHART.
Zum mindesten ist es sehr wahrscheinlich.
DR.

KREBSSTEIN. Nun, sehen Sie! drum will ich Ihnen eben eine Arzenei eingeben, die Ihnen gewiß Ihren ganzen Körper durchdringen muß. Drei Kannen müssen doch wohl mehr verschlagen als ein halber Löffel voll!

ERNST GOTTHART
erschrocken.
Drei Kannen Tropfen?
HERR GOTTHART.
Ach, mein armer Ernst!
DR.

KREBSSTEIN lächelnd. Ja, ja, drei Kannen! Aber gute Tröpfchen! Rechte schöne Tröpfchen! Er zieht ein Glas aus der Tasche. Sehen Sie?

[191]
ERNST GOTTHART.
Wie? Sie wollen mich mit Weine kurieren!
DR.

KREBSSTEIN. Ja, ja! mit Wein und Wasser. Er zieht wohl ein Dutzend kleine Fläschchen aus den Taschen. Sehen Sie, hier habe ich Ihnen Proben von allerlei Brunnen mitgebracht und zu jedem Brunnen eine Probe Wein, die dazu getrunken werden muß. Sie sollen die Brunnen nur einmal kosten, Herr Gotthart. Sie schmecken gar nicht übel.

HERR GOTTHART.
Ei nein! ich will lieber die Weine kosten. Darauf verstehe ich mich besser.
DR.

KREBSSTEIN gibt ihm ein Fläschchen mit Wein. Kosten Sie einmal diesen Wein, Herr Gotthart. Er ist von Anno 1718.

HERR GOTTHART
schmeckt.
Ja, ja. Der Wein ist gut.
DR.
KREBSSTEIN zum Ernst Gotthart. Schmecken Sie einmal diesen Brunnen dazu.
ERNST GOTTHART
schmeckt.
Er schmeckt ein wenig salzig.
HERR GOTTHART.
Gib doch her. Er nimmt das Fläschchen und kostet und speit aus. Pfui, das garstige Zeug!
ERNST GOTTHART.
Ach! ich habe wohl garstigere Arzeneien verschlucken müssen!
HERR GOTTHART.

Da mußt du ein besser Geschicke zum Kranksein haben als ich. Ich würde vor Abscheu gegen die Arzeneien gesund.

DR.

KREBSSTEIN gibt Herrn Gotthart noch ein Fläschchen. Da, kosten Sie einmal diesen Wein: Der gehört zum Pyrmonter Brunnen.

HERR GOTTHART
kostet.
Das ist auch ein schönes Glas Wein.
ERNST GOTTHART
kostet den Brunnen.
Der Brunnen schmeckt nicht übel: kosten Sie ihn doch, Herr Vater.
HERR GOTTHART.

Pfui! weg mit dem Zeuge! Es ist eine Sünde, den schönen Wein damit zu verderben. Wenn ich meines Sohnes Krankheit hätte, so tränke ich den Wein allein und ließe Brunnen Brunnen sein.

ERNST GOTTHART
kostet die Brunnen nach der Reihe, und der Doktor gibt dem Vater immer die Weine dazu.
DR.
KREBSSTEIN zum Alten. Dies ist der Selzer.
HERR GOTTHART.
Der Selzer schmeckt schön.
DR.
KREBSSTEIN. Dies ist der Egersche.
HERR GOTTHART
kostet.

Der Egersche schmeckt noch besser. Gelt, mein Sohn! die Brunnen schmecken aus meinem Fläschchen besser als aus deinem?

[192]
ERNST GOTTHART.

Gewiß, Herr Vater, diese Brunnen schmecken doch besser als eine Arzenei, die ich noch eingenommen habe.

HERR GOTTHART.

Und mir gefällt es daran, daß sie doch noch deutsche Namen haben, die ein Christenmensch verstehen kann. Er zieht eine große Rechnung von etlichen Bogen aus der Tasche. Sehen Sie nur, Herr Doktor, was das hier für arabisches Zeug ist. Es sieht nicht anders aus als ein Zauberzettel, womit der Teufel beschweret werden soll. Sonne, Mond und Sterne und alles Henkerszeug hat mein Sohn in den Leib gekriegt; und das soll ich nun so teuer bezahlen.

DR.

KREBSSTEIN nimmt die Rechnung. Ja, ja! die Apothekerzettel sehen nicht anders aus. Er blättert darin. Hat der Herr Sohn alles das eingenommen?

HERR GOTTHART.
Ja, leider! hat er's verzehret.
DR.
KREBSSTEIN. Ja, so wundert mich's, daß er noch lebet!
ERNST GOTTHART
erschrocken.
Was sagen Sie, Herr Doktor?
DR.

KREBSSTEIN. Ja, ja! mich wundert's, daß Sie noch leben. Hätten Sie das Geld meinem Schwager zugewandt, so wären Sie schon gesund.

HERR GOTTHART.

Da sagt aber Herr Doktor Muskat nein dazu. Er spricht, die Brunnen wären meinem Sohne so schädlich wie Gift.

DR.

KREBSSTEIN. Das macht, er will nur den Apotheker reich machen. Und ich sage Ihnen, die Tropfen und Pulver, und was hier auf dem Zettel steht, das ist Gift für Ihren Herrn Sohn gewesen.

HERR GOTTHART.
Ich armer Mann! was soll ich denn machen?
DR.

KREBSSTEIN. Um Ihr Gewissen zu retten, so müssen Sie meinem Rate auch folgen, wie Sie dem Doktor Muskat gefolgt sind.

HERR GOTTHART.
Nun, ich will mich nur noch ein paar Tage bedenken.
DR.

KREBSSTEIN steht auf. Das tun Sie, Herr Gotthart, und trauen mir als einem redlichen Manne, daß außer der Brunnenkur kein Rat für Ihren Herrn Sohn ist. Ihr Diener, leben Sie wohl.

HERR GOTTHART UND ERNST GOTTHART.
Gehorsamer Diener.

Sie wollen ihn begleiten, er will es aber nicht haben und zieht die Türe hinter sich zu.
7. Auftritt
[193] Siebenter Auftritt
Herr Gotthart. Ernst Gotthart.

HERR GOTTHART.
Welcher von beiden hat nun recht?
ERNST GOTTHART.
Das weiß der Himmel.
HERR GOTTHART.

Ja, mein lieber Ernst, du tätst mir einen großen Gefallen, wenn du allen beiden zum Possen von dir selbst gesund würdest.

ERNST GOTTHART.

Wenn es nur so bleibt, als es jetzt ist, so hoffe ich noch wohl ... Er drängt sich dicht an seinen Vater an.

HERR GOTTHART
erschrocken.

Was ist dir, Ernst? Was hast du nun schon wieder für eine Grille? Weg damit! kleide dich geschwinde anders an. Und komm dann hinunter. Ich will indessen die Fremden erwarte Er will abgehen.

ERNST GOTTHART.
Ach liebster Herr Vater, bleiben Sie!
HERR GOTTHART.
Warum? was ist dir?
ERNST GOTTHART.
Ach Herr Vater! ich kann unmöglich durch diese Wolke gehen: ich werde ja ganz naß.
HERR GOTTHART.
Was für eine Wolke?
ERNST GOTTHART.
Diese dicke schwarze Wolke, hier vor mir. Sehen Sie sie nicht?
HERR GOTTHART.

Hilf, Himmel! Ernst! kömmst du denn gar von Sinnen? Eine Wolke im Zimmer? Du bist ja nicht auf dem Blocksberge?

ERNST GOTTHART.
Ei, Herr Vater! Sie müssen sie sehen. Es ist ja eine rechte Wetterwolke!
HERR GOTTHART.

Ach! welch ein Kreuz ist das nicht, wenn man solche Narrheiten geduldig anhören muß! Ich bitte dich, Ernst, laß dir doch solche Fieberträume nicht einkommen! Was wäre denn hier für eine Wolke in der Stube? Ich sehe ja nichts als die Türe?

ERNST GOTTHART.
Ja, Herr Vater, so müssen Sie gewiß vorangehen: sonst wage ich es nicht.
HERR GOTTHART.

Ei! wenn es darauf ankömmt, so gib mir die Hand. Ich will dich auf deine Stube führen. Wir wollen sehen, daß wir trocken durchkommen.

ERNST GOTTHART
mit fürchterlichen Gebärden.
Ei, Herr Vater! sehen Sie, die Wolke verläßt uns nicht. Sie zieht immer vor uns her.

Ende des zweiten Aufzuges.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Der alte Herr Gotthart. Heinrich, der allerlei Tee-und Kaffeegeräte bringt und es auf einen Tisch setzt.

HERR GOTTHART.
Nun, Heinrich! ist alles fertig? kann ich die Fremden nur herauf nötigen?
HEINRICH.

Ja, mein Herr Gotthart, ich und der Kaffee, wir sind fertig. Wo sonst nichts mehr fehlt, so können Sie sie nur herbringen.

HERR GOTTHART.

Nun, so will ich sie holen ... Aber ... es ist gut, daß ich eben dran denke, Heinrich: hättet Ihr mir heute zu Mittage nicht bald den ganzen Handel verderbt?

HEINRICH
stutzt.
Wieso, Herr Gotthart?
HERR GOTTHART.

Daß Ihr den Brief von den Fremden meinem Sohne gabt. Wenn er ihn nun erbrochen hätte; da würde es schön verschwiegen gewesen sein. So nachlässig seid ihr Leute!

HEINRICH.

Je, mein Herr Gotthart, wie konnte ich wissen, daß der Brief an Sie wäre! Es stand ja Monsör drauf; und solche alte Leute, wie Sie sind, die heißen nicht mehr Musge.

HERR GOTTHART.

Ja, warum nicht? und wann ich auch einem Bürgermeister schriebe, so würde ich ihn doch Monsieur nennen. Monsieur heißt soviel als Herr.

HEINRICH
verwundernd.

So? Ja, jetzt besinne ich mich. Das Mädchen, die ihn brachte, sagte auch, er wäre an den Herrn. Indessen jetzo heißt doch alles Herr, was nur zween Beine am Leibe hat. Wer kann sich in soviel Herren finden?

HERR GOTTHART.

Jawohl! wenn Ihr nur nicht so unachtsam wäret. Habe ich Euch nicht hundertmal gesagt, wenn Briefe kämen, darauf mein Name steht, so sollt Ihr sie mir zuerst bringen?

HEINRICH.
Wenn sie nun aber an den Musge Gotthart, an den jungen Herrn, sind?
HERR GOTTHART.
Das schadet nicht! was die Leute an meinen Sohn schreiben, das werde ich auch wohl lesen können.
HEINRICH.

Nun, da sieht man's! So manches Haus, so manche Weise! [195] Als ich bei meinem vorigen Herrn war, so mußte ich, wenn eine Magd einen Brief brachte, ihn immer erst dem jungen Herrn zeigen.

HERR GOTTHART.

Ja, der junge Herr mag ein lustiger Kauz gewesen sein! Gottlob! daß mein Sohn zu solchen Streichen nicht geneigt ist! Aber, potztausend! daß der Kaffee nicht kalt wird! Ich muß gehen. Er geht ab.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Heinrich alleine, der die Stühle um den Kaffeetisch zurechte setzt. Bald darauf kommen die Frau Kreuzin, Jungfer Fröhlichin, Herr Fröhlich, der alte Herr Gotthart und der junge Ernst Gotthart. Die Frau Kreuzin und Jungfer Fröhlichin nötigen einander in der Szene.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ei, ich bitte ganz ergebenst, gehen Sie doch voran!
FRAU KREUZIN.
Es wird nicht geschehen! Tun Sie es doch.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ich bitte Sie gar zu sehr! Ich bin hier ja halb zu Hause.
FRAU KREUZIN.
Nun, so nehme ich es als einen Befehl an. Sie tritt herein, die andern folgen.
HERR GOTTHART.

Ei! ich dächte, Sie hätten sich unten schon zur Genüge gewiesen, daß Sie komplimentieren können. Haben Sie noch nicht genug? Nun, Frau Kreuzin, setzen Sie sich hier in den Lehnstuhl.

FRAU KREUZIN.
Ach! das wird nicht geschehen! Jungfer Fröhlichin, Sie werden so gütig sein und sich hineinsetzen.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Sie werden mich doch so sehr nicht versuchen! das wird nimmermehr geschehen.
HERR FRÖHLICH.

So recht, meine Tochter! alt bei alt und jung bei jung. Kommen Sie, Frau Kreuzin! Ich will mich neben Sie setzen: und Herr Gotthart bleibt bei uns. Das junge Paar wird sich schon miteinander vertragen. Sie setzen sich alle.

HERR GOTTHART.
Nun, Heinrich, geschwinde! Kaffee her!
HERR FRÖHLICH.

Das ist wahr! der Kaffee bleibt doch noch immer Mode wie das liebe Brot! Ich habe ihn aber doch nun in sechs Jahren nicht getrunken.

HERR GOTTHART.
So, Herr Vetter? Trinken Sie keinen Kaffee?
HERR FRÖHLICH.

Nein; seitdem ich mit dem Herrn Vetter von der [196] Frankfurter Messe kam, so habe ich keinen in meinen Mund genommen. Ich bekomme immer ein böses Gewissen darnach.

HERR GOTTHART.

Nun gut! Sie sollen gleich Tee bekommen. Wollen Sie indessen mein Haus und Gewölbe besehen, Herr Vetter? so will ich Sie herumführen. Ich trinke auch nicht gern Kaffee: ich kann nicht gut darauf schlafen.

HERR FRÖHLICH.

Von Herzen gern, Herr Vetter.Er steht auf. Ich habe ohnedem etwas von Handelssachen mit Ihnen zu reden.

HERR GOTTHART
steht auch auf.

Nun, so kom men Sie, Herr Vetter. Mein Sohn! vertreibe indessen dem Frauenzimmer die Zeit mit allerhand lustigen Gesprächen. Wir alten Männer wissen nicht mehr mit ihnen umzugehen.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ei, Herr Vetter! sind Sie so spaßhaft?
HERR GOTTHART.
Nun, nun! wir kommen bald wieder, Jungfer Muhme.

Herr Fröhlich und Herr Gotthart gehn ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Frau Kreuzin. Jungfer Fröhlichin. Herr Ernst Gotthart. Heinrich reicht den Kaffee auf einem Teller herum.

FRAU KREUZIN
zur Jungfer Fröhlichin.
So trinkt der Herr Vater keinen Kaffee?
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Nein; er macht ihm ein schweres Geblüt.
ERNST GOTTHART.

Es ist gut, daß ich das höre. Ich will auch keinen mehr trinken. Er gibt dem Heinrich die Tasse wieder hin.

FRAU KREUZIN.
Da tun Sie recht, Herr Gotthart! Uns Hypochondristen ist der Kaffee so schädlich wie Gift.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Wie, Frau Kreuzin? So haben Sie auch die Hypochondrie?
FRAU KREUZIN.

Ach, leider! mehr als zu viel! Ich heiße Kreuzin und habe auch mein Kreuz. Seitdem ich Witwe bin, habe ich das Unkraut am Halse.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Nun! so werde ich doch einmal recht hören können, wie es denn eigentlich mit der Hypochondrie beschaffen ist. Mein Vater hat zwar ehemals auch diese Krankheit gehabt: allein, seit er [197] sie losgeworden, ist er diesem Übel so gram, daß er gar nicht mehr davon reden mag; darum habe ich es niemals von ihm erfahren können. Allein, es mag doch ein possierliches Ding damit sein.

FRAU KREUZIN
seufzend.

Ach! spotten Sie nur nicht, Jungfer Fröhlichin! Wohl dem, der es niemals erfahren hat! Es kann keine Todesangst größer sein.

ERNST GOTTHART.

Ja freilich, Frau Kreuzin! ich wollte gern einen Mühlstein zehn Meilen weit tragen, wenn ich dies Unglück nur damit loswerden könnte.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
So erzählen Sie mir doch nur, worin es denn eigentlich bestehe?
FRAU KREUZIN.

Ja, das weiß ich gewiß selbst nicht; aber was ich fühlen und leiden muß, das weiß ich mehr als zu wohl. Bedenken Sie nur, wie mir's gestern gleich nach dem Kaffee erging. Meinem Bedünken nach war ich ganz frisch und gesund: mit eins steigt mir ein Dampf in den Kopf, daß ich dachte, er würde mir in tausend Stücken springen. Ich konnte nicht anders denken, als daß mir alle Adern bersten müßten. Kaum besorgte ich das, so borste mir wirklich eine Ader hinten im Kopfe. Da sah ich nun den lebendigen Tod vor Augen. Ich wollte meine Leute rufen: allein, ich fiel nieder und blieb tot. Ja, es kam mir nicht anders vor, als daß ich im Sarge lag, und ich ärgerte mich nur, daß mir die Leute die eine Manschette anders gekraußt hatten als die andere.


Ernst Gotthart höret emsig zu: Jungfer Fröhlichin hält sich das Schnupftuch vor, um das Lachen zu verbergen. Heinrich gibt Kaffee herum, allein es will ihn niemand nehmen, daher trägt er das Kaffeebrett mit dem Zeuge weg.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Das ist auch ärgerlich genug!
FRAU KREUZIN.

Den Augenblick aber erwachte ich und sah, daß ich noch lebte. Bedenken Sie nun, wie mir zumute war! Ich wußte wahrhaftig in einer ganzen Stunde nicht, ob ich lebte oder tot wäre? Können Sie nun wohl glauben, daß die rechte Todesangst was Ärgers sein könne?

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Gewiß nicht: denn es ist eben die leibhaftige Todesangst gewesen, die man bei Leuten findet, welche nicht gern sterben wollen. Allein, es ist doch bloß ihre eigene Einbildung schuld daran gewesen.

ERNST GOTTHART.

Ei, Frau Kreuzin! das ist noch gar nichts. Mir ging es vor vierzehn Tagen noch viel ärger. Ich wär auf meiner Stube und [198] lag im Fenster, um mir die Grillen zu vertreiben. Da kam ein alter Mann gegangen, und es rührte ihn der Schlag, gerade gegenüber meinem Fenster. Da ward meine Hypochondrie rege, und ich stellte mir nicht anders vor, als daß ich den alten Mann zu Tode gesehen hätte. Sogleich bildete ich mir ein, ich hätte Basiliskenaugen. Ich laufe in der größten Angst herum und sehe von ungefähr in den Spiegel: und weil mir einfällt, ich hätte Basiliskenaugen, so ward mir nicht anders, als wenn ich vor mir selbst zerbörste ...

JUNGFER FRÖHLICHIN
sieht ihn an und lacht.
ERNST GOTTHART.
Ja, ich hätte wohl darauf geschworen!
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Warum zerberste denn ich anjetzt nicht
ERNST GOTTHART.

Hören Sie nur weiter. Als ich mich nun lange genug besehen hatte und das Gedärme mit aller Gewalt wieder hinein haben wollte, so sah ich, daß das Bersten nichts anders war, als daß ich mir in der Angst die Weste ausgerissen hatte.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.
Nun? so war ja alles gut?
ERNST GOTTHART.

Ei! es war nur desto schlimmer! Ich laufe den Augenblick zu meinen Büchern und schlage nach, was ich für ein Crimen begangen haben möchte, wenn ich den alten Mann wirklich zu Tode gesehen hätte, und was darauf für eine Strafe stünde? Ich machte mir in Gedanken den ganzen peinlichen Prozeß, beantwortete die Inquisitionsartikel, führte meine Defension pro avertenda; sprach ein Urteil über mich und stand die ganze Tortur nach allen Graden glücklich aus ...

JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.
Das will ich glauben. Aber sagen Sie mir, wie kriegten Sie die Daumschrauben auf?
ERNST GOTTHART.

Hören Sie nur: den Augenblick kömmt der alte Mann auf meine Stube, und da sehe ich nicht nur, daß er noch lebt: sondern daß es unser alter Holzhacker ist, der unten im Keller wohnet, und von dem ich weiß, daß er sonst mit dem Schlagflusse behaftet ist. Sagen Sie nun, ob man für solche Todesangst nicht lieber einen Mühlstein schleppen möchte?

JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht, was sie kann.

Nun, Herr Vetter! wo Sie mir das im Ernste gesagt haben, so lache ich Sie dafür tapfer aus. Mit der Frau Kreuzin hatte ich noch einiges Mitleiden: aber mit Ihnen? das ist ja gar zu arg! Zum Henker! glauben Sie es denn etwan noch Ihrer Amme zu Ehren, daß es Basilisken gibt, die vor sich selbst zerbersten? Warum spiegeln sich die Gecken? Ich habe gedacht, das Märchen von den [199] Basilisken wäre nur eine Satire auf die häßlichen Jungfern, die doch so gern in den Spiegel gucken, ob sie gleich rote Augen haben.

ERNST GOTTHART.

Um des Himmels willen, Jungfer Muhme! scherzen Sie nur nicht gar zu sehr. Wenn es vorbei ist, so sehe ich es ebenso gut, daß es lauter leere Einbildungen sind. Allein, wenn einem gleichwohl solche Vorstellungen einfallen ... Er schüttelt den Kopf.

FRAU KREUZIN.

Ja! da haben Sie wohl recht, Herr Gotthart. Ich erfahre es leider zur Genüge an mir. Sind Sie denn Herr über Ihre Gedanken, Jungfer Fröhlichin?

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ei! wie wollte mir doch so was einfallen können? Es ist ja eben, als wenn ich mir einbilden wollte, Sie wüßten anjetzt, was ich von Ihnen denke.

FRAU KREUZIN.

Ja, da kommen Sie eben auf den rechten Punkt! Meinen Sie denn, daß man sich das nicht auch vorstellen kann? Ach, das versalzet mir manche Gesellschaft! Ich sitze manchmal bei einem Besuche und beiße mir fast die Lippen entzwei aus Furcht, ich möchte sagen, was ich dächte. Gleichwohl, wenn ich nach Hause komme, so ängstige ich mich doch noch ganze Wochen lang, ob die Leute auch möchten erraten haben, was ich denke?

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Nun, das gestehe ich, Frau Kreuzin! Auf diese Art sind Sie freilich bedaurenswert! Nein. Das Lachen muß ich wohl oft verbeißen; aber mit dem Sprechen habe ich keine Not. Wenn ich nicht reden will, so sage ich gewiß kein Wort.

ERNST GOTTHART.

Ja, meine liebe Jungfer Muhme! Sie richten uns nach sich. Aber Sie haben ja kein Malum hypochondriacum.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.

O das ist mir auch von Herzen lieb! Wissen denn aber die Hypochondristen gar nicht mehr, was sie tun?

ERNST GOTTHART.

Nein, Jungfer Muhme, ich weiß zum mindesten niemals gewiß, was ich tue. Mir kann ein jeder einbilden, was er will. Sagt man, ich habe das Podagra, so kann ich gleich auf keinem Fuße mehr stehen. Sagt man: ich hätte die Schwindsucht, so fühle ich gleich den Schmerz in der Lunge. Sagt man, ich sähe elend aus, so verliere ich den Augenblick meine Gestalt.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht sehr.
Nun, das ist lustig!
ERNST GOTTHART.

Ei! was wollte es doch lustig sein! Denken Sie nur, als Sie vorhin mit der Frau Kreuzin redeten, so fiel mir ein, ich hätte [200] Ihnen die Schuhschnalle aufgelöset und schämte mich nicht nur, was die Frau Kreuzin davon sagen würde, sondern wußte auch nicht, wie ich mich bei Ihnen entschuldigen wollte.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht sehr.
Nun, wahrhaftig!
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Die Vorigen. Herr Dr. Muskat.

DR.

MUSKAT. Ihr Diener, mein Herr Gotthart. Ich bin zwar vorhin mit einigem Unwillen von hier gegangen; allein wenn ich es recht bedenke, so ist's doch eine Gewissenssache, daß ich Sie so gar verlassen soll.

ERNST GOTTHART.
Sie sind gar zu gütig, mein Herr Doktor.
DR.
MUSKAT. Wie befinden Sie sich denn anjetzt?
ERNST GOTTHART.
Anjetzt ist es zwar noch so ziemlich; vor einer Stunde aber war mir sehr übel.
JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.
Ja freilich! wenn man auch zum Basilisken wird; da kann einem wohl nicht gut zumute sein.
FRAU KREUZIN.

Ach, lieber Herr Doktor, ich liege an einerlei Krankheit mit dem Herrn Gotthart. Geben Sie mir doch immer einen guten Rat, mein Herr Doktor!

DR.
MUSKAT. So? so sind Sie auch eine Hypochondriaca? Was haben Sie denn bisher gebraucht?
FRAU KREUZIN.

Ach! ich möchte fast sagen, alles! Ich habe den Selzer, den Pyrmonter, den Egerschen Brunnen gebraucht ...

DR.

MUSKAT. Da haben wir's! mit dem verwünschten Wasser! Ich sage es Ihnen, das Wasser ist den hypochondrischen Leuten wie ein Gift. Nehmen Sie doch um des Himmels willen, Herr Gotthart, meinen Rat an, und trinken Sie keine Brunnen: sonst sind Sie des Todes.

ERNST GOTTHART
erschrocken.
Ei! beileibe nicht.
FRAU KREUZIN.

Endlich bin ich es überdrüssig geworden und habe mir jetzt vorgenommen, eine Reise nach Hamburg zu tun: ob mir etwa die dortige Luft besser bekommen möchte als die hiesige. Sie schieben doch alle meine Krankheit auf die hiesige Luft.

DR.
MUSKAT. Ei! Sie haben in Hamburg so gutHpochondriacos, als wir sie hier haben.
JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht.
Ja, das denke ich auch!
[201]
DR.

MUSKAT. Indessen kann Ihnen die Veränderung und Bewegung auf der Reise schon gut bekommen. Ich will Sie heute oder morgen einmal besuchen, Frau Kreuzin.

FRAU KREUZIN.

Mein lieber Herr Doktor, in zwo Stunden bin ich nicht mehr hier. Der Wagen steht schon vor meiner Türe.

DR.

MUSKAT. Ei! das ist schade! Sie müssen doch etwas mit auf die Reise nehmen. Es könnte Ihnen ja unterweges was zustoßen.

FRAU KREUZIN.
Ja freilich wohl. Ich werde es aber kaum abwarten können.
DR.

MUSKAT. Ei! mein lieber Herr Gotthart. Sie haben oben noch soviel Arzeneien stehen, die ich Ihnen bisher verschrieben habe. Es ist fast noch alles da. Lassen Sie sie doch herunterholen. Ich will geschwinde eine Komposition für die Frau Kreuzin zusammengießen. Man kann doch die arme Frau nicht unterweges darben lassen.

ERNST GOTTHART.
Von Herzen gerne. Was ich habe, das ist alles zu Ihren Diensten. Er steht auf und ruft den Heinrich.
FRAU KREUZIN.
Ich bin Ihnen für Ihre Dienstfertigkeit sehr verbunden, mein Herr Gotthart.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Wenn ein Hypochondrist dem andern hilft: so freuen sich die Engel im Himmel.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Heinrich.

HEINRICH.
Was befehlen Sie? mein Herr Gotthart.
ERNST GOTTHART.
Geht auf meine Stube und holt alle die Arzeneien herunter, die auf dem großen Tische stehen.
HEINRICH.
Gar wohl. Er geht ab.
FRAU KREUZIN.
So meinen Sie nicht, Herr Doktor, daß die Hamburger Luft gesünder sei als die hiesige.
DR.

MUSKAT. Das sage ich eben nicht. Ich sage nur, manchmal ist die Veränderung der Luft ein besser Mittel als die Luft selbst. Es kann sein, daß Sie sich dort besser befinden: es kann aber auch wohl nicht sein.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Den Gesunden ist alles gesund. Sollte nicht den Hypochondristen auch alles hypochondrisch sein, Herr Doktor?

DR.
MUSKAT lächelnd. Das kann wohl kommen.
6. Auftritt
[202] Sechster Auftritt
Frau Kreuzin. Jungfer Fröhlichin. Ernst Gotthart. Dr. Muskat. Heinrich, der ein großes Brett voller Arzneigläser bringt und es auf den Kaffeetisch setzt.

DR.

MUSKAT. Soso! mein Freund. Setzt es nur hieher. Er rückt sich einen Stuhl an den Tisch und setzt sich nieder. Nun, meine liebe Frau Kreuzin, nun klagen Sie mir Ihre Not! Was fehlt Ihnen denn eigentlich? Er nimmt ein großes leeres Tropfenglas in die Hand.

FRAU KREUZIN
stöhnend.
Ach! mein lieber Herr Doktor, das entsetzliche Magendrücken!
DR.

MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt eins von den Tropfengläsern, macht es auf und schmeckt; macht aber ein garstig Gesicht und speit aus und gießt etwas in das große Glas hinein. Nun? worüber klagen Sie noch mehr?

FRAU KREUZIN
stöhnend.
Ich habe gar keinen Appetit zum Essen.
DR.

MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein ander Glas, macht's auf, kostet, macht ein garstig Gesicht, speit aus und gießt ein. Was fehlt Ihnen denn noch mehr?

FRAU KREUZIN.
Ach! ich habe eine so große Beängstigung auf der Brust!
DR.

MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein ander Glas, macht's auf, kostet's, macht ein garstig Gesicht, speiet aus und gießt ein. Was fehlt Ihnen weiter?

FRAU KREUZIN.
Ich habe solche üble Nächte!
DR.
MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein ander Glas und macht es wie vorhin. Was fehlt Ihnen mehr?
FRAU KREUZIN.
Ach, die heftigen Kopfschmerzen!
DR.

MUSKAT. Für die Kopfschmerzen wollen wir ein Pülverchen nehmen. Er macht ein Päckchen Pulver auf, kostet's, speit aus und schüttet eins hinein. Was fehlt Ihnen mehr?

FRAU KREUZIN.
Ich habe zuweilen solch Herzpochen!
DR.

MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein ander Glas mit Tropfen und macht es wie vorhin. Was fehlt Ihnen denn noch sonst?

FRAU KREUZIN.
Ei, mein lieber Herr Doktor, die Verstopfungen! die Verstopfungen!
[203]
DR.
MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein ander Glas und machet es wie zuvor.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Schütten Sie für die Verstopfungen nicht eine Handvoll Pillen hinein?
DR.
MUSKAT. Ach nein. Was fehlt Ihnen denn sonst noch?
FRAU KREUZIN.

Ach! mein lieber Herr Doktor, ich muß mich immer mit solchen seltsamen Gedanken plagen. Bald bilde ich mir ein, daß mir eine Ader gesprungen ist.

DR.
MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein Glas mit Tropfen und tut wie zuvor. Was bilden Sie sich mehr ein?
FRAU KREUZIN.
Neulich dachte ich, daß ich im Sarge läge, und daß man mich nicht nach meinem Sinne gekleidet hätte.
JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht.
DR.
MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein Glas mit Tropfen und tut wie zuvor. Haben Sie noch sonst was?
FRAU KREUZIN
ängstlich.

Der junge Herr Gotthart erzählte vorhin, daß er sich eingebildet, er hätte Basiliskenaugen. Das geht mir nun im Kopfe herum. Wenn es nun wahr wäre, was könnte ich hier nicht für ein Unglück haben!

JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht sehr.
DR.

MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein Glas mit Tropfen, macht es wie vorhin und gießt damit sein Glas voll. Herr Gotthart, Sie möchten immer was einnehmen für Ihre Basiliskenaugen.

ERNST GOTTHART.
Von Herzen gern.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ei, Possen! Herr Vetter! Ihre Basiliskenaugen nehme ich über mich, zu kurieren.
DR.

MUSKAT. Ja, meine liebe Frau Kreuzin, nunmehr muß Ihnen nichts mehr fehlen! Mein Glas ist ganz voll. Er bindet es zu.

FRAU KREUZIN.

Ach! wenn es mir nur für alles das hilft, was ich Ihnen geklagt habe, so will ich gern zufrieden sein.

DR.

MUSKAT gibt ihr das Glas. Nun, da haben Sie dies, nehmen Sie davon fünfzig bis sechzig Tropfen ein, so oft Ihnen was vorkömmt, und haben Sie einen guten fröhlichen Mut und ein gelassenes Gemüt dabei.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ja, mich dünkt auch, wenn der fröhliche Mut in dem Glase wäre, so könnte das andere alles daraus gegossen werden.

DR.

MUSKAT zur Jungfer Fröhlichin. Spotten Sie nur nicht! Ich [204] habe wohl eher solche lustige Schmetterlinge gekannt, die auf ihr Alter die ärgsten Hypochondriaci geworden sind.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht.
DR.

MUSKAT. Ja, ich muß noch zu einer Wöchnerin gehen. Leben Sie wohl, Frau Kreuzin! ich wünsche Ihnen eine glückliche Reise.

FRAU KREUZIN.
Ihre Dienerin, Herr Doktor. Ich bin Ihnen für Ihren guten Rat verbunden. Sie will ihm Geld geben.
DR.
MUSKAT. Ei, Frau Kreuzin! ich kann es nicht nehmen. Es sind ja des Herren Gottharts Arzeneien.
FRAU KREUZIN.
Ei, es ist auch nur eine kleine Erkenntlichkeit für Ihren guten Rat.
DR.

MUSKAT nimmt's. Nun, so danke ich sehr schön. Herr Gotthart, weil Sie itzt Gesellschaft haben, so besuche ich Sie schon ein andermal. Er geht ab.

ERNST GOTTHART.
Ihr Diener, mein Herr Doktor! nehmen Sie doch das Geleite mit sich.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Frau Kreuzin. Jungfer Fröhlichin. Ernst Gotthart.

JUNGFER FRÖHLICHIN
zur Frau Kreuzin.
Nun können Sie getrost nach Hamburg fahren. Nun haben Sie ein hundertjährig Leben in dem Glase.
FRAU KREUZIN.

Ach! ich wollte, daß ich nur schon da wäre. Ach, die böse, dicke, schwermütige Luft hier in der Stadt!

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ja! nun soll gar die Luft schuld haben. Bedenken Sie nur, haben Sie denn in Hamburg nicht so gut Winter Sommer, Frühling und Herbst als hier?

FRAU KREUZIN.

Ach! alle hamburgische Doktors, die ich um Rat befragt, die haben alle Schuld auf die hiesige Luft geschoben; und wem soll man mehr glauben als ihnen? Aus Eigennutz werden sie's doch nicht sagen.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.

Ei, das ist artig! Und wenn Sie nun in Hamburg die Hypochondrie bekommen hätten; wäre denn die dasige Luft nicht schuld daran?

FRAU KREUZIN.
Ei, die hamburgische Luft ist eine ganz andere Luft als die hiesige.
[205]
JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.

Ja, das glaube ich! denn Hamburg ist eine andere Stadt als diese, und diese Stadt ist ein anderer Ort als Hamburg. Es ist eben solch ein Unterschied darunter als zwischen meiner Andrienne und Ihrer Andrienne. Es ist aber doch beides eine Andrienne.

FRAU KREUZIN.

Ja! und so wie Ihnen meine Andrienne nicht passen würde und mir Ihre nicht: so ist auch nicht allen Menschen eine jede Luft gesund. Denn so wie ...

8. Auftritt
Achter Auftritt
Herr Fröhlich. Herr Gotthart. Die Vorigen. Heinrich kömmt mit dem Teezeuge hinterher.

HERR FRÖHLICH.
Ich denke gar, das Frauenzimmer disputieret.
FRAU KREUZIN.

Ach, es ist gut, daß Sie wiederkommen, meine Herren! Ihre Jungfer Tochter hat uns beide hier zum besten.

HERR FRÖHLICH.
Wie? meine Tochter, bist du so lose?
JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.

Ei, Herr Vater! die Frau Kreuzin und der Herr Gotthart erzählen mir auch soviel kurzweilige Sachen von ihrer Hypochondrie, daß ich das Lachen unmöglich verbeißen kann.

HERR FRÖHLICH.

Du mußt aber auch nicht gar zu lustig sein, meine Tochter: insonderheit auf anderer Leute Unkosten. Es mag dir wohl nur so kurzweilig vorkommen.

FRAU KREUZIN.

Ach! das sind wir von den sanguinischen Temperamenten schon gewohnt. Sie sind wie die Heiden und lachen über alles.

HERR FRÖHLICH.

Sagte ich's nicht, daß sie gelehrt redeten. Sie sprechen ja gar von Temperamenten. Da scheide ich heraus!

HERR GOTTHART.

Nun, wie steht's? Sind Sie auch wohl bewirtet worden? Befehlen Sie nicht etwa noch ein Schälchen Kaffee?

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ach! wir sind so tief in die hypochondristischen Gespräche geraten, daß wir den Kaffee darüber vergessen haben.

HERR GOTTHART.

Nun, Heinrich, so macht, daß wir jetzt Tee bekommen. Heinrich gießt Wasser auf und macht den Tee zurechte. Nun, mein Sohn? wie ist's? wie sitzest du da, als wenn du träumest?

ERNST GOTTHART
kömmt aus tiefen Gedanken.

Ich, Herr Vater? ich ... dachte ... ich stünde auf einem Turme, und da dachte ich, wenn ich nun den Schwindel kriegte ...

[206]
HERR GOTTHART.
Ei! ich dachte gar! wie das nun in Gesellschaften läßt! Schäme dich doch!
HEINRICH
kömmt und reicht Tee herum.
FRAU KREUZIN.

Nein, Heinrich! für mich danke ich. Ich trinke keinen Tee auf den Kaffee. Wer wird wohl den Knecht auf den Herrn setzen?

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Nun, Heinrich, so gebe er mir's her. Ich halte keine so gewissenhafte Rangordnung unter Tee und Kaffee. Und soll ja der Kaffee der Herr sein, so mag er auch einen Diener hinter sich haben: so hat es doch ein Ansehen.

FRAU KREUZIN.

Ja, ja. Einem gesunden Magen ist alles gesund. Aber ein hypochondristischer Magen, der ist von lauter Postpapier. Man muß mit ihm umgehen wie mit einem Spinngewebe.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Nein, mein Magen ist wie ausgepicht. Weich und hart, kalt und warm, süß und sauer, alles durcheinander. Das tut mir gar nichts!

FRAU KREUZIN.

Ja, ja! das ist sehr gut für den, der ihn hat; aber allen Leuten ist das nicht gegeben. Sie steht auf, die andern auch.

HERR GOTTHART.
Wie, Frau Kreuzin? Brechen Sie schon auf?
FRAU KREUZIN.

Ja, es wird Zeit sein. Ich habe noch ein paar Visiten zu machen. Ich danke Ihnen, daß Sie mir haben erlauben wollen, meinen Abschied von Ihnen zu nehmen.

HERR GOTTHART.
Es ist mir recht angenehm gewesen. Ich werde die Ehre haben, Sie hinunter zu begleiten.
FRAU KREUZIN.

Ihre Dienerin. Nun, so will ich meine Komplimenten bis unten versparen. Leben Sie wohl, Jungfer Fröhlichin! Leben Sie wohl, Herr Gotthart, und folgen Sie mir bald nach Hamburg! Leben Sie wohl, Herr Fröhlich! Es ist mir lieb gewesen, daß ich die Ehre gehabt habe, Sie kennenzulernen.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ei, Frau Kreuzin, ich laufe noch ein wenig mit. Nach dem Kaffee ist eine kleine Bewegung gesund.
ERNST GOTTHART.

Leben Sie wohl und beständig vergnügt, Frau Kreuzin. Wenn ich nicht hier dem Herrn Vetter Gesellschaft leisten müßte, so wollte ich Sie auch begleiten.

HERR FRÖHLICH.
Leben Sie wohl! Ich wünsche gute Besserung.

Frau Kreuzin, Jungfer Fröhlichin und Herr Gotthart gehen ab. Heinrich trägt das Glas mit Tropfen nach.
9. Auftritt
[207] Neunter Auftritt
Herr Fröhlich. Ernst Gotthart.

ERNST GOTTHART.
So haben Sie sonst auch die Hypochondrie gehabt, Herr Vetter?
HERR FRÖHLICH.
Ich? Wer hat Ihnen das gesagt?
ERNST GOTTHART.

Die Jungfer Muhme sagte es vorhin, Sie hätten sie zwar gehabt, aber Sie wären sie auch glücklich wieder losgeworden.

HERR FRÖHLICH
etwas verwirrt.

Ei! Herr Vetter, meine Tochter hat Ihnen nur was weismachen wollen! Sie ist ein leichtfertiges Mädchen: das sehen Sie ja wohl.

ERNST GOTTHART.
Ei! so haben Sie diese Krankheit niemals gehabt?
HERR FRÖHLICH.
Ach nein, wie ich Ihnen sage!
ERNST GOTTHART.
Befehlen Sie etwa noch ein Schälchen Tee? Er geht zum Tische und will einschenken.
HERR FRÖHLICH.

Nein, Herr Vetter, ich danke. Ich habe unten Ihres Herrn Vaters Palmsekt versucht, und da mag ich mir den Geschmack nicht verderben.

10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Jungfer Fröhlichin. Herr Gotthart. Die Vorigen.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.

Nun, Herr Vetter, den Sermon sollten Sie gehöret haben! Meine Tage habe ich ein so lustiges Abschiedskompliment nicht gehöret. Es war mehr eine juristische Protestationsschrift als ein Kompliment. Sie hat wohl hundertmal protestiert, wofern sie etwas gesprochen hätte, das mir nicht angenehm gewesen wäre, so wollte sie es doch nicht in der Absicht gesagt haben, mich zu beleidigen. Ich wollte wohl darauf schwören, daß Sie sie mit Ihrer Furchtsamkeit angesteckt haben.

ERNST GOTTHART.
Wie? bin ich furchtsam gewesen?
HERR GOTTHART.

Freilich hast du deine hypochondristischen Mucken wieder gehabt: und ich habe dich doch so sehr gebeten, du sollst dir deine Krankheit nicht so merken lassen.

ERNST GOTTHART
beschämt.

Ach, liebster Herr Vater! ich hoffe, [208] der Herr Vetter und die Jungfer Muhme werden es nicht ungütig deuten. Die Frau Kreuzin stöhnte so viel, daß ich endlich mitstöhnte.

HERR GOTTHART.
Hast du sie denn nun gefragt, was du von ihr wissen wolltest?
ERNST GOTTHART
blöde.

Nein, Herr Vater. Die Jungfer Muhme sagte, der Herr Vetter wären auch einmal hypochondrisch gewesen und doch gesund worden. Da dachte ich, ich täte besser, daß ich ihn fragte, was er gebraucht hätte, als die Frau Kreuzin, die noch diese Stunde krank ist.

HERR GOTTHART
verdrießlich.
Nun, so hätte ich auch ihres verdrießlichen Besuchs überhoben sein können.
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ei, Herr Vetter, zum mindesten ist mir der Besuch der Frau Kreuzin sehr angenehm gewesen. Ich hätte kein größeres Vergnügen haben können, als ich gehabt habe. Ich habe in dieser halben Stunde mehr gelacht, als wenn ich einen halben Tag Pfand gespielt hätte.

HERR FRÖHLICH.

Ja! ja! du bist immer lustig, Lieschen; und wenn du auch bei deiner seligen Mutter ihrem Sarge säßest.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ei, warum nicht, Herr Vater? Mit Pinseln und Klagen weckte ich sie doch nicht wieder auf.
HERR FRÖHLICH.

Das ist wohl wahr: aber höre, was hast du dem Herrn Vetter für Wind vorgemacht? ich hätte vor diesem auch die Hypochondrie gehabt? Wie kannst du das sagen? Er winkt ihr immer mit den Augen.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ja, freilich, Herr Vater, haben Sie's nicht ... Verwirrt. Je ... haben Sie es nicht gehabt, so haben Sie sich auch nicht daran dörfen kurieren lassen. Ich wollte nur gern dem Herrn Vetter was vorreden. Er tat mir so ängstlich, wie die Kreuzin davon anfing, daß es mich jammerte. Ich muß ihn ja ein bißchen auslachen. Sie lacht.

HERR FRÖHLICH.
Ei, du könntest mich aber mit deinem Geschwätze in der Leute Mund bringen! das ist mir ungelegen!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Nun, lieber Herr Vater! ich habe ja nichts mehr gesagt, als daß Sie es nur vor diesem gehabt hätten; jetzt aber hätten Sie es gar nicht mehr. Das ist ja nichts Böses! Gesetzt, ich hätte gesagt, Sie hätten vor zehn Jahren ein Fieber gehabt und in der Phantasie allerhand seltsame Dinge angegeben: wäre Ihnen denn das eine Schande? Wenn Sie nur wieder davon genesen sind.

[209]
HERR GOTTHART.

Nun, Herr Vetter, wofern es Ihnen beliebt, so wollen wir anjetzt ein wenig in meine Wohnstube gehen, da ist die Aussicht schöner als hier. Heinrich soll uns Tabak und Pfeifen bringen.

HERR FRÖHLICH.

Ja, ja, Herr Vetter! ich habe gern eine freie Aussicht. In meinem Hause kann ich aus einem Zimmer in fünf Gassen sehen.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Da stehe ich manchen halben Tag am Fenster oder vor der Türe und lache alle possierlichen Leute aus, die vorbeigehen und närrisch Zeug machen.

HERR GOTTHART.
Nun, so kommen Sie.
ERNST GOTTHART.
Ich werde die Ehre haben, Sie zu führen. Er gibt der Jungfer Fröhlichin die Hand.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
So recht, Herr Vetter! kommen Sie nur mit mir, ich will Sie noch recht munter und lustig machen!

Sie gehen alle ab.

Ende des dritten Aufzuges.

4. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
ERNST GOTTHART
allein.
Er geht auf und nieder und singt.
Ihr stillen Lüfte hört mein Klagen:
Denn was mir auf dem Herzen liegt,
Das darf ich keinem Menschen sagen:
Als nur, ich lebe mißvergnügt.
Und dies vermehret meine Pein,
Daß ich muß stumm und stille sein.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Ernst Gotthart. Jungfer Fröhlichin.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ei, ei, Herr Vetter! können Sie so schön singen? Wissen Sie auch, daß ich Sie belauschet habe?
[210]
ERNST GOTTHART.
O gehorsamer Diener! das ist zuviel Ehre für meine schlechte Poesie.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
So? so haben Sie das Liedchen gar selbst gemacht?
ERNST GOTTHART.

Ja, Jungfer Muhme, ich habe so ein bißchen vom Reimen und Komponieren gelernet, und da mache ich mir zuweilen so selbst ein Liedchen, um mir die Grillen zu vertreiben.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Potz Velten, Herr Vetter! sind Sie so geschickt? Aber warum machen Sie sich solche traurige Sachen, wenn Sie sich damit die Schwermut vertreiben wollen? Das ist ja Stroh zum Feuer! Rechte lustige Stückchen sollten Sie sich machen. Hübsche schwäbische Tänze, lustige Menuetten, geschwinde Polonaisen und Murkis, die brav hurtig gehen; aber nicht solche melancholische Klagelieder!

ERNST GOTTHART.

Ja, für meine guten Freunde mache ich allerdings zuweilen so was Lustiges: aber wenn ich für mich selbst poetisiere, so richte ich es nach meinem Malo hypochondriaco ein.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ei! das sollten Sie bleibenlassen, Herr Vetter! Damit verderben Sie sich den Magen. Indessen ist es mir lieb, daß Sie für andere Leute auch was Lustiges machen können.

ERNST GOTTHART.
Ja, und da richte ich mich nach Ihrem sanguinischen und lustigen Temperamente.
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ei! Herr Vetter! so müssen Sie mir auch einen Text zu einem kleinen lustigen Tanze machen. Aber es muß alles ebenso lustig sein, als ich selbst bin.

ERNST GOTTHART.
Von Herzen gern. Ich will es so gut machen, als ich kann.
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Sagen Sie doch davon nicht. Es wird schon gut werden. Wissen Sie was? Ich habe neulich bei meinem Tanzmeister einen Tanz gelernet, der so recht nach meinem Sinne ist, und meine Französin hat den Text dazu gelehrt. Er ist französisch.

ERNST GOTTHART.
So?
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Hören Sie doch einmal. Ich will ihn Ihnen vorsingen. Damit Sie den Takt hören. Ich bitte mir's aber aus, daß Sie mich mit meiner Stimme nicht auslachen; ich habe nun schon keine Nachtigall werden sollen. Das wissen Sie.

ERNST GOTTHART.
Ei! verachten Sie sich doch nicht so.
[211]
JUNGFER FRÖHLICHIN
singt.
Ma Commère, quand je danse,
Comment va mon Cotillon?
Ma Commère, quand je danse
Comment va mon Cotillon?
Il va decà:
Il va delà:
Il va toujours de haut en bas.

Da capo.
ERNST GOTTHART.

Ja, ja, ich höre schon, es ist der Kotillon. Aber gefällt Ihnen denn der französische Text nicht? da Sie doch Französisch gelernet haben?

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ei! was wollte er mir gefallen! Meine Französin hat mir ihn deutsch übersetzen müssen, und weil sie keine Verse machen kann, so hat sie auch keine Reime hinein gemacht. Hören Sie nur einmal, wie das kauderwelsch klingt. Sie singt.

Wenn ich tanz', Gevatterin,

Sagt, wie geht mir denn mein Rock?

Wenn ich tanz', Gevatterin,

Sagt, wie geht mir denn mein Rock?

Bald ist er hie,

Bald ist er da;

Er geht immer auf und ab.

V.A.

Ha, ha, ha, ha! Sollte sich ein Mensch nicht krank lachen, wenn er dergleichen Zeug höret? Ich weiß nicht, ob die Reime schuld daran sind, oder ob der Text selbst so possierlich ist, als er mir vorkömmt?

ERNST GOTTHART.

Nein, Jungfer Muhme, an den Reimen liegt es nicht. Der Text an sich selbst ist so kauderwelsch, als die meisten französischen Chansons sind. Sie sind selten viel klüger als unsere Ringelreime, die die Kinder auf den Gassen singen. Aber wenn ein Ding nur Reime hat, so singt es der Franzose, es mag nun sonst gehauen oder gestochen sein.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Sie können wohl recht haben.
ERNST GOTTHART.
Hätte ich diesen Kotillon gemacht, ich schämte mir die Augen aus dem Kopfe.
[212]
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ja, Herr Vetter, das macht, die Franzosen haben selten was vom Malo hypochondriaco.
ERNST GOTTHART
lachend.
Nein, das ist eben ihre Nationalkrankheit nicht.
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Es ist aber schade um den schönen Tanz, daß er einen so läppischen Namen vom Unterrocke hat. Ich tanze ihn so sehr gern: und allemal hat man doch keine Musik, da muß ich mir nun dazu singen: denn das ewige Hum-hum oder La-la-la ist mir unerträglich.

ERNST GOTTHART.
Ja, ja, es kommt freilich kein Verstand heraus.
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Nun, wie gesagt, Herr Vetter, Sie müssen mir zu meinem französischen Tanze einen hübschen lustigen deutschen Text machen.

ERNST GOTTHART.
Ja, ja, Jungfer Muhme. Sie können sich darauf verlassen. Ich will Ihnen einen machen.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Nun, so lassen Sie ihn hören. Ich will ihn gleich auswendig lernen.
ERNST GOTTHART.

Ja, meine liebe Jungfer Muhme, das geht so geschwinde nicht an. Verse machen erfordert sehr viel Zeit.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ei, warum denn?
ERNST GOTTHART.
Wenn es was Gutes sein soll. Ich verschreibe oft einen ganzen Bogen über eine Arie von vier Zeilen.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Schade um das schöne Papier!
ERNST GOTTHART.

Wenn ich nun lange genug ausgestrichen und meine Gedanken wohl hundertmal umgeschmolzen habe, so weiß ich doch oft zuletzt selbst nicht, welches die besten sind. Es gibt bei einem jeden einzelnen Worte unsäglich viel zu bedenken und zu beobachten.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Nun, so was Extrafeines und Wunderwürdiges darf es ja eben nicht sein. Wenn es nur ein wenig gescheiter ist als das französische.

ERNST GOTTHART.

Ja! das ist Ihnen wohl genug: aber mir nicht. Ich wollte gern was machen, was nicht nur besser wäre als das französische; sondern auch besser als alles, was man noch von dieser Art im Deutschen gesehen hat.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Behüte der Himmel! Herr Vetter, so mühsam müssen Sie sich's nicht machen. Sie sind ein junger Mensch, von Ihnen begehrt man keine untadelhaften Meisterstücke.

[213]
ERNST GOTTHART.

Ei! was sagen Sie, Jungfer Muhme? eben die jungen Leute sind's, von denen die Nachwelt die Meisterstücke dieser Zeiten zu gewarten hat. Das müßte ein schlechter Kopf sein, der nicht jetzt schon aus Schulen bessere Gedichte machte, als die anderen Dichter in ihrem dreißigsten oder vierzigsten Jahre machen.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
So? ist die Vollkommenheit heutezutage so sehr mit dem kahlen Kinne verbunden?
ERNST GOTTHART.

Ich kenne Greise von zwanzig Jahren, die an ihre Wäscherinnen und Schneidertöchter Verse machen, die unsre Zeit kaum wert ist zu lesen, und die Leibniz und Euklides kaum verstehen würden.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.
Verstehen Sie denn aber diese Menscher?
ERNST GOTTHART.

Ja, ich habe die Ehre, keine davon zu kennen. Sie werden von den Herren Dichtern immer unter den edlen Namen Phyllis, Chloris und so weiter verkappt; ungeachtet ihre eigene Namen vielleicht Käthe, Röse und Else heißen.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.

Nun, dergleichen Meisterstücke für solche Leserinnen! Mich dünkt, das heißt die Perlen vor die Säue werfen.

ERNST GOTTHART.

Ach! glauben Sie das nicht! es kömmt nur darauf an, was man den Leuten zu lesen gibt. Einer von meinen gelehrten Freunden hat neulich auf eine gründliche Art denn das ist allemal seine Gewohnheit. bewiesen: daß noch alles Frauenzimmer in der Welt in kurzem die mathematischen Gedichte so gut verstehen würde, als sie die Pamela verstehen.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht sehr.
Und wie will er das machen?
ERNST GOTTHART.
Er will keine andere als solche schwere Verse schreiben.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Wer wird aber das Frauenzimmer zwingen, sie zu lesen? Wie? wenn sie nun den Plunder hinwerfen?
ERNST GOTTHART.

Es kann sein, daß ihm von diesem Unglücke etwas geahndet hat: drum teilt er auf eine so neue als scharfsinnige Art das menschliche Geschlecht in zwo Klassen ein; nämlich in kluge Leute und in das Frauenzimmer.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht sehr.

Er tut dem Frauenzimmer, die er kennt, und mit denen er umgeht, wahrhaftig viel Ehre an! denn von [214] den andern kann er doch nicht urteilen. Indessen, Herr Vetter, wir wollen lieber wieder auf unser Liedchen kommen.

ERNST GOTTHART.

Ich will es Ihnen gewiß machen, Jungfer Muhme. Aber die Zeit, wenn Sie es kriegen werden, kann ich Ihnen nicht bestimmen. Es können sich täglich Hindernisse finden! und sieben Tage machen dann eine Woche; vier Wochen machen einen Monat; zwölf Monate machen ein Jahr; und wer weiß, ob ich nicht noch dieses Jahr sterbe.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ei, ich dachte gar sterben! kommen Sie schon wieder auf Ihre Todesgedanken?
ERNST GOTTHART.
Was ist natürlicher, als daß ein junger kränklicher Mensch stirbt?
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Drum eben will ich die Verse jetzt von Ihnen haben, weil wir noch beide am Leben sind, und weil Sie sie noch machen, und ich sie singen kann. Hören Sie, ich habe beim Pfandspielen, und wenn wir Hechte gesessen haben, auch so ein bißchen Reimen gelernet. Helfen Sie mir nur auf die Sprünge. Sagen Sie mir nur die erste Zeile, so will ich sehen, ob ich die andere etwa selbst machen kann.

ERNST GOTTHART
verdrießlich.

Ei! Jungfer Muhme, das wird ein ebenso abgeschmacktes Mischmasch werden, als der französische Kotillon ist!

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Was schadet's? Wir wollen einmal der französischen Flüchtigkeit zum Possen versuchen, ob wir nicht auch aus dem Stegereife dichten können?

ERNST GOTTHART.
Wenn Sie es durchaus befehlen, so muß ich mir's wohl gefallen lassen.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Nun, so fangen Sie an.
ERNST GOTTHART.
Aber, Jungfer Muhme, wir bringen wahrhaftig nichts Kluges heraus!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Wer hat Ihnen denn gesagt, daß ich was Kluges daraus haben will? Ich bin ja kein Ballenbinder und Sackträger, daß ich zur klugen Hälfte des menschlichen Geschlechtes gehörte. Es soll alles nur lauter Spaß sein. Fangen Sie an.

ERNST GOTTHART
singt.
Auf, mein Sinn sei frisch und frei!
JUNGFER FRÖHLICHIN
singt.
Flieh die Grillenfängerei.
Nun weiter!
ERNST GOTTHART
singt.
Scherz und sing,
JUNGFER FRÖHLICHIN
singt.
Tanz und spring;
[215]
BEIDE
singen.
Denn mein Herz ist guter Ding'.

V.A.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.

Ei, Herr Vetter! Sehen Sie, wir leben noch ein Jahr beisammen: denn wir haben einerlei Gedanken. Wir müssen's noch einmal singen, damit ich es behalte.


Sie singen es beide noch einmal.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Gut, gut! Nun will ich's so leicht nicht vergessen!
ERNST GOTTHART.
Sagen Sie's ja keiner Seele, daß ich Ihnen eine Silbe darzu angegeben habe.
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Nein, nein! fürchten Sie nichts. Aber nun müssen wir auch einmal darnach tanzen, Herr Vetter; damit ich sehe, ob ich nach dem deutschen Texte auch den Takt halten kann.

ERNST GOTTHART.
Sie sind viel zu geschickt, als daß Sie ihn verfehlen sollten.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Nun, so tanzen Sie es doch nur einmal mit mir. Sie fasset ihn bei der Hand.
ERNST GOTTHART
zieht sich.
Ich kann nicht tanzen.
JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht.
Ja, wer eine Närrin wäre und das glaubte!
ERNST GOTTHART.
Wie gesagt: ich kann nicht tanzen!.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ei, Possen! Sie sind auf Universitäten gewesen und werden nicht tanzen können?
ERNST GOTTHART
verdrießlich.
Versichert, Jungfer Muhme! Ich kann den Tanz nicht und tanze auch überhaupt nicht.
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ei, Sie müssen mit mir tanzen. Einem Hypochondristen ist die Bewegung gesund. Die Wahrheit zu sagen, ich kann ihn auch nicht recht: so lernen wir ihn beide bei dieser Gelegenheit.

ERNST GOTTHART
lacht.
Je! was wollen wir denn daran tanzen, wenn Sie ihn nicht können, und ich ihn auch nicht kann?
JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht sehr.

Ich glaube, Ihnen ist bange, daß uns die Wand auslachen wird: denn sonst kann es doch niemand tun. Kommen Sie; ich singe schon!


Sie faßt ihn bei der Hand, er macht seitwärts verdrießliche Mienen. Sie singen beide und tanzen. Am Ende kömmt Jungfer Fröhlichin heraus, und Ernst Gotthart hilft ihr wieder zurechte.
[216]
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ei, ei! heißt das den Tanz nicht können, Herr Vetter! und Sie helfen mir noch zurechte? Sagen Sie mir, um des Himmels willen, was haben Sie nun wieder für Grillen? Sie stehen ja ganz betrübt?

ERNST GOTTHART.
Ei! wie glücklich sind Sie nicht, Jungfer Muhme, daß Sie ein freudiges Gemüt haben können!
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Je, warum sollte ich das nicht haben? Ich habe ja niemanden was zuleide getan?
ERNST GOTTHART.
Ich meines Wissens auch nicht; aber darauf kömmt es nicht an!
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Es fehlt mir auch auf der Welt, Gottlob! an nichts.
ERNST GOTTHART.
Mir auch nicht; aber das macht es noch lange nicht aus!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ich besorge meine Hausgeschäfte recht mit Spielengehen, und wenn ich nun dann und wann eine Freistunde habe oder bei guten Freunden bin: warum sollte ich mir da nicht alles mögliche Vergnügen machen?

ERNST GOTTHART.
Ja, ja! es ist ganz gut: wem es nur gegeben ist!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ei! solange man noch jung ist und für nichts zu sorgen hat, so muß man sich seine jungen Jahre auch zunutze machen. Sie werden einem doch einmal für voll angerechnet. Meine selige Mutter sagte zwar zu mir: wer gern tanzt, dem ist bald gepfiffen.

ERNST GOTTHART
seufzend.
Ja! da hat sie wohl ein wahres Wort gesagt!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Allein, ich habe doch von andern gehört, daß sie in ihrer Jugend leichtlich keine Lustigkeit ausgeschlagen hat.

ERNST GOTTHART
niedergeschlagen.
Es ist allerdings schön, wenn man die beste Zeit seines Lebens mitnehmen kann, weil sie noch da ist.
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Und warum tun Sie es denn nicht, Herr Vetter! Warum verderben Sie den besten Teil ihrer Jahre mit der Kalendermacherei und den ewigen sorgsamen Vorstellungen?

ERNST GOTTHART
niedergeschlagen.

Ach! Jungfer Muhme! quälen Sie mich nur mit solchen Fragen nicht! Meine beste Zeit ist dagewesen und kömmt nimmermehr wieder!

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ei, Possen, Herr Vetter! vor den Jahren [217] müssen die Sorgen nicht kommen. Singen Sie nur fleißig das Liedchen, was wir jetzt gemacht haben, und tun auch hübsch darnach: so wird die gute Zeit bald wiederkommen.

ERNST GOTTHART
betrübt.

Ach, liebe Jungfer Muhme! wie kann ich lustige Lieder singen, wenn mein Herz voller Angst ist? Lustige Lieder sind nur für solche fröhliche Gemüter, als Ihres ist.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ei, Herr Vetter! können Sie lustige Verse machen, so können Sie sie auch wohl singen!
ERNST GOTTHART.

Aber meine lustige Verse sind auch immer für fremde Leute. Ich habe keinen Vorteil davon, als daß ich andere Leute lustig mache und mich selbst dabei kränke.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

So bilden Sie sich doch nur einmal ein, Sie wären an der lustigen Leute ihrer Stelle; ich will mir einbilden, daß ich an Ihrer Stelle sei. Sie sollen sehen, was das für ein lustiger Hypochondrist sein wird! Und damit Sie sehen mögen, wie sehr ich Ihnen für das Liedchen verbunden bin: so will ich Ihnen auch etwas schenken, das Ihnen vielleicht angenehmer sein wird, als der Tanz war. Sie zieht etwas, das in ein Papier gewickelt ist, aus der Tasche.

ERNST GOTTHART.
Um des Himmels willen! Jungfer Muhme, führen Sie mich nicht in Versuchung.
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Nun, nun, Herr Vetter! es war Ihnen einmal zugedacht gewesen; aber nun haben Sie es gar verdient. Sie will es ihm geben.

ERNST GOTTHART
weigert sich.
Nimmermehr, Jungfer Muhme!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Nun, warum denn nicht? Es ist kein Geld, das dörfen Sie nicht glauben. Es ist nur sonst etwas, das die jungen Herren von den Jungfern wohl anzunehmen pflegen.

ERNST GOTTHART
weigert sich immer.
Nein, nein! ich nehme es nicht an; und wenn es auch Ihr eigen Bildnis wäre!
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Nun, das wäre auch artig! und warum denn nicht?
ERNST GOTTHART.
Nein, Jungfer Muhme, ich mache mir ein Gewissen daraus.
JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.

Sie machen sich ein Gewissen, zu nehmen, und sind eines Kaufmanns Sohn? Nein. Ich halte es ganz [218] anders. Wenn mir jemand was schenken will, so nehme ich es mit allem Danke an. Nehmen Sie's immer, Herr Vetter!

ERNST GOTTHART
weigert sich.

Nein! wenn ich's nähme, so hätte ich in meinem Leben keine ruhige Stunde. Wollen Sie mir ja was schenken, Jungfer Muhme, so schenken Sie mir einen Kuß: davon haben Sie keinen Schaden und ich auch nicht. Ein Kuß hat nichts zu sagen: das versichern alle Moralisten, Zivilisten und Kanonisten.

JUNGFER FRÖHLICHIN
besinnt sich ein wenig.

Hm! ... Aber die Kanonisten können doch nicht wissen, ob ich nicht das Malum hypochondriacum bekäme, wenn ich Sie küßte?

ERNST GOTTHART
erschrocken.
Das Malum hypochondriacum?
JUNGFER FRÖHLICHIN
ernsthaft.

Ja, ja, Herr Vetter! Wenn ich küssen soll, so kriege ich augenblicklich schwermütige Gedanken. Soll ich einen Junggesellen küssen, so besorge ich immer, er möchte es einem Juristen ausplaudern, der mich denn gleich zu seiner Braut machte. Soll ich einen Ehemann küssen, so denke ich, seine Frau möchte es übelnehmen. Und soll ich endlich ein ander Frauenzimmer küssen, wie das anjetzt die ärgerliche Mode ist, so denke ich auch, ich tue unrecht daran. Mancher fromme Junggeselle ärgert sich doch daran.

ERNST GOTTHART.

Ei! so behüte mich der Himmel, daß ich Ihnen einen Kuß anmuten sollte? Lieber wollte ich Ihnen den Tod gönnen, als daß Sie sich durch meine Schuld das Malum hypochondriacum zuziehen sollten. Ihre Besorgnisse sind alle in LL. et communibus opinionibus Doctorum gegründet.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Darum eben! so verlangen Sie nichts von mir, was ich ohne meinen größten Schaden nicht geben kann, und nehmen hübsch das, was ich Ihnen selbst anbiete. Es ist nur eine goldne Schnur um den Hut, so wie die jungen galanten Herren sie anjetzt durchgängig tragen. Sie kostet mir nichts. Nehmen Sie sie nur. Sie will sie ihm geben.

ERNST GOTTHART.
Nein doch, nein! Jungfer Muhme. Ich nehme von Ihnen nun einmal gar nichts an.
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Wollen Sie mich denn etwa recht böse machen, Herr Vetter Schon gut!Sie will die Tresse wieder einstecken.

ERNST GOTTHART
erschrocken.
Sind Sie böse, Jungfer Muhme!
JUNGFER FRÖHLICHIN
tut böse.
Ja freilich! Sie sollten sich schämen, einem Frauenzimmer den Korb zu geben!
[219]
ERNST GOTTHART.

Nun, damit Sie sehen sollen, daß ich mir lieber alles Unheil zuziehen als Sie erzürnen will, so will ich mir's von Ihnen ausbitten.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Nun, da haben Sie's! Sie gibt ihm die Tresse, er nimmt sie und küßt ihr die Hand. Ich glaube doch gar, Sie denken, ich habe sie meinem Vater aus dem Laden gemauset.

ERNST GOTTHART.
Ei, beileibe! das sage ich nicht!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ich wollte wohl wetten, daß Sie das denken und befürchten, daß Sie noch nach diesem einen großen, gewaltigen, kostbaren, gefährlichen Prozeß darüber bekommen möchten. Nicht wahr?

ERNST GOTTHART.
Nein, das besorge ich eben nicht. Aber ...
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Aber es könnte doch wohl sein? Nicht wahr? Sie lacht.
ERNST GOTTHART.

Je nu! wer kann alle künftige Fälle vorher wissen? Aber wenn man doch sieht, daß sie möglich sind, so ...

JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.

Je! mit Ihren künftigen Möglichkeiten! Wie? wenn künftig einmal der Himmel einfiele? Was fingen Sie denn an?

ERNST GOTTHART.
Ei, Jungfer Muhme! das ist nicht möglich!
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ja, warum nicht? Es sind ja keine Balken darunter?
ERNST GOTTHART.

Nun, nun! sein Sie nur zufrieden! und setzen Sie mir keine neue Zweifel in den Kopf, Jungfer Muhme. Ich habe ja Ihr Geschenk angenommen.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Der alte Herr Gotthart. Ernst Gotthart. Jungfer Fröhlichin.

HERR GOTTHART.
Sieh da! dachte ich's nicht, daß ihr Vögel hier miteinander allein sein würdet?
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ja, Herr Vetter. Wir haben auch Verse miteinander gemacht. Zum Ernst Gotthart. Kommen Sie, Herr Vetter, wir wollen sie dem Papa einmal vorsingen und vortanzen.

HERR GOTTHART.

Ich danke Ihnen, Jungfer Muhme. Es ist mir leid, wofern ich eine so lustige Gesellschaft störe. Herr Gotthart will noch [220] gern vor Tische ein wenig vors Tor spazierengehen, und da sollst du ihm Gesellschaft leisten, Ernst. Für mich ist das Wetter schon ein wenig zu rauh, und die Jungfer Muhme möchte von der Reise müde sein.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ja, Herr Vetter, heute bitte ich freilich, mich zu verschonen. Aber morgen will ich mitgehen, wohin Sie wollen.

HERR GOTTHART.

Gehe also, mein Sohn. Zur Jungfer Fröhlichin. Ich will Ihnen unterdessen die Zeit vertreiben, so gut, als ich kann. Sie werden ohnedem bald wiederkommen.

ERNST GOTTHART
bekümmert.
Darf ich denn wohl den Heinrich mitnehmen, Herr Vater?
HERR GOTTHART.
Ja, ja. Es möchte was zu schicken vorfallen.
ERNST GOTTHART.
Nun, so empfehle ich mich Ihnen solange, Jungfer Muhme.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ihre Dienerin, Herr Vetter! kommen Sie bald wieder.

Ernst Gotthart geht ab.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Herr Gotthart. Jungfer Fröhlichin.

HERR GOTTHART.

Nun, das höre ich recht gern! Jungfer Muhme. Sie haben also Verse miteinander gemacht und darnach getankt. Das ist mir ungemein lieb! Auf diese Weise glaub' ich doch, daß Sie Ihr Wort halten und meinen Sohn kurieren werden. Er hat meines Wissens in Jahr und Tag nicht getanzt. Ohne Zweifel sind es doch verliebte Verse gewesen, die Sie gemacht haben?

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ja, warum nur nicht verliebt! Ihr Herr Sohn hat nicht für einen Dreier verliebtes Blut in dem Leibe.
HERR GOTTHART.

Ja, das weiß ich leider! Seitdem er von Universitäten gekommen ist und seinMalum mitgebracht hat, so achtet er auch das schönste Frauenzimmer nicht. Allein, ich dächte, Jungfer Muhme, Sie müßten ihn durch Ihre Lustigkeit verliebt machen.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht.

Das weiß ich nicht. Allein, es muß doch ein recht verzweifeltes Zeug sein, die Hypochondrie. Was meinen Sie wohl? Er getrauete sich nicht einmal, mir einen Kuß zu geben, aus Furcht, daß ich das Malum hypochondriacum bekommen möchte.

[221]
HERR GOTTHART.
Wie? Sie haben ihm einen Kuß angeboten, und er hat ihn nicht haben wollen?
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ach nein! Herr Vetter! Sie müssen mich auch recht verstehen. Es kam ihm selbst von ungefähr die Lust darnach an: und da wandte ich nur vor, ich möchte das Malum hypochondriacum darnach kriegen: den Augenblick verging ihm aller Appetit darnach.

HERR GOTTHART.

Ja, das glaube ich! warum haben Sie ihm auch das gedroht, Jungfer Muhme? Mit der Hypochondrie kann man ihn ärger schrecken als mit dem Kobolde.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ich dachte, ich wollte es einmal so mit ihm machen, als ein gewisser Wundarzt es mit seinem Kranken gemacht, der sich eingebildet, er hätte eine Nase, die fünf Ellen lang wäre.

HERR GOTTHART.

Haha! ich sehe schon. Sie haben sich einmal seiner Schwachheit gleichstellen wollen, um zu sehen, ob er seine eigne Torheit an andern nicht erkennen würde.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Das war eben meine Meinung, Herr Vetter. Man kann ja einem Kinde seine Unart nicht besser abgewöhnen, als wenn man sie ihm nachmachet und fraget: Wie läßt mir das? Nehmen Sie mir's nicht übel, daß ich Ihren Herrn Sohn mit einem Kinde vergleiche.

HERR GOTTHART.

Nein, nein; Sie haben ganz recht. Aber bei einem Hypochondristen hilft das alles nichts. Man macht ihn nur noch zehnmal ärger, wenn man seine Torheit annimmt. Das habe ich oft erfahren. Mein Sohn hält alles für Ernst und nicht für eine Vexiererei; so leichtgläubig ist die Hypochondrie.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Unmöglich!
HERR GOTTHART.

Ja, ja, wie ich Ihnen sage: Ich habe dergleichen Exempel an meinem Sohne oft erlebt. Ich wollte Ihnen wohl ein paar Begebenheiten erzählen; allein Sie möchten meinem Sohne nur gram werden: und das wollte ich nicht gern.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ach nein, Herr Vetter! sorgen Sie dafür nicht. Die Unarten, die ein Mensch nur wegen seiner Krankheit hat, die vergehen auch gemeiniglich mit der Krankheit wieder; und ich hoffe, Ihren Sohn noch gesund zu machen.

HERR GOTTHART.

Nun, daran werden Sie ein christliches Werk tun! So will ich Sie Ihnen nur getrost erzählen. Ich muß doch ohnedem [222] suchen, wie ich Ihnen die Zeit vertreibe. Was meinen Sie wohl? meinem Sohne kömmt es einmal im Schlafe vor, als wenn er sich einen Nagel durch den Fuß getreten hätte.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lächelnd.
Nun?
HERR GOTTHART.

Den Augenblick erwacht er dar über; und weil er in der Nacht keinen Lärmen machen will, aus Furcht, wir möchten uns entsetzen und vor Schrecken den Tod haben: so verbindet er sich im Finstern den Fuß, so gut er kann, und geht wieder zu Bette und schläft auch bis an den hellen Mittag ganz geruhig.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Nun, das war eine fromme Wunde!
HERR GOTTHART.

Wie sie ihn aufwecken, daß er zu Tische kommen soll, so springt er aus dem Bette; erschrickt aber und besinnt sich, daß er einen lahmen Fuß hat. Er besieht und befühlt sich, sieht aber kein Blut auf dem Verbande und fühlt auch keine Schmerzen. Er löset endlich die Binde auf und findet weder Wunde noch Narbe.

JUNGFER
FRÖHLICHIN Ja, ja, im Traume läst sich's gut schlagen, hauen und stechen, es gibt keine Wunden.
HERR GOTTHART.

Gleichwohl blieb er dabei, er hätte sich den Fuß verwundet und meinte, die Wunde wäre nur deswegen so geschwinde zugeheilet, weil er sie gleich den Augenblick zugebunden und nicht zum Bluten kommen lassen.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Nun, das gestehe ich! zu solchen Einbildungen gehört ein hypochondristischer Glaube!
HERR GOTTHART.

Hören Sie nur weiter. Des Abends, da er wieder zu Bette gehen soll, so entdeckt er seine Not dem Diener Heinrich. Ich hatte nun dem Kerl scharf anbefohlen, er sollte ihm in allen Stücken nachgeben und sich, soviel möglich, in ihn schicken. Daher rät ihm der wunderliche Kauz, er sollte, wenn er sicher schlafen wollte, künftig allemal mit Pantoffeln zu Bette gehen.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Der Vogel! und der Herr Sohn tat es auch wirklich?
HERR GOTTHART.

Ja, so wahr ich hier stehe! Ein ganzes halbes Jahr lang ist er beständig mit Pantoffeln zu Bette gegangen, bis ich endlich dahinter kam. Hätte es länger gewähret, er hätte mich um alles mein Bettzeug gebracht. Alle Monate mußte ich die Betten überziehen lassen, und kein Mensch konnte begreifen, wovon die Wäsche so zerrissen war.

[223]
JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht sehr.

Auf die Art wunderte mich's nicht, wenn er gar gepanzert und gestiefelt zu Bette gegangen wäre, aus Furcht, daß er sich einmal den Rückgrat zerbrechen möchte. Wie gewöhnten Sie ihm aber endlich diese spanische Mode ab?

HERR GOTTHART.

Womit? damit, daß ich ihm vernünftig vorstellete, wie lächerlich seine Torheit wäre, und dem Diener in seiner Gegenwart einen derben Verweis für seinen eulenspiegelschen Rat gab.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lachend.

Nun! so wundert mich's nicht, daß er so treuherzig glauben konnte, ich kriegte vom Küssen die Hypochondrie.

HERR GOTTHART.

Wissen Sie was, Jungfer Muhme? Wir wollen es auf den Abend bei Tische so einfädeln, daß er sie noch einmal um einen Kuß bitten soll, und da müssen Sie ihm auch einen erlauben, damit er sehe, daß Sie ihn nur vexiert haben.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht.
Ei! gehorsame Dienerin.
HERR GOTTHART.

Nun, ich bitte Sie recht sehr darum, Jungfer Muhme. Der Herr Vater ist, die Wahrheit zu sagen, jetzt mit ihm deswegen ausgegangen, daß er ihm eine Lust und Liebe zum Frauenzimmer beibringen will.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lacht sehr.

Nun, das bekenne ich! das ist schön, wenn der Schwiegervater dem Schwiegersohne Lust und Liebe zur Braut beibringen muß. Aber sagen Sie mir doch, Herr Vetter, weiß denn schon jemand von Ihren Leuten, was wir im Sinne haben? Sie sind ja gar zu erschrecklich gefällig und freundlich gegen mich, insonderheit die Kathrine.

HERR GOTTHART.
Die Kathrine?
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Wie gesagt. Ich habe fast mit Gewalt Ihre Küche, Ihre Schlafstube und alle Schränke und Betten hier im Hause besehen und bewundern müssen; und dabei sagte sie mir soviel Schönes von Ihnen, von Ihrer Haushaltung und insonderheit von dem jungen Herrn vor, daß ich mir nichts anders einbilden kann, als daß sie den Braten riecht.

HERR GOTTHART.

Ei, ei! das will ich doch nimmermehr hoffen! oder der Schleichvogel muß uns belauscht haben. Aber warte! ich will dich gewiß noch heute abend wieder belauren.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
St! mich dünkt, ich höre was rauschen. Es rührt sich was vor der Türe.
5. Auftritt
[224] Fünfter Auftritt
Herr Gotthart. Jungfer Fröhlichin. Kathrine.

HERR GOTTHART
guckt zur Türe heraus.
Kathrine! seid Ihr's?
KATHRINE
draußen.
Ja! Herr Gotthart. Störe ich Sie auch?
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ei, verflucht! Ich glaube gar, Sie denkt, wir haben hier was Heimliches vor.
HERR GOTTHART.
Kommt nur ein bißchen näher.Kathrine kömmt herein. Was habt Ihr nun draußen schon wieder zu lauren?
KATHRINE.
Ei! Herr Gotthart, wer lauret denn?
HERR GOTTHART.

Ja, ja! seid nur noch fein dreiste obendrein! Was macht Ihr denn sonst anders draußen, als daß Ihr horchen wollt, was wir hier reden?

KATHRINE
verwirrt.

Ich? Herr Gotthart? ich? ... ja, daß sich Gott erbarme! Sie denken auch immer was Böses von einem! Sie hält das Tuch vors Gesicht und tut, als wenn sie weinte.

HERR GOTTHART.
Nun, so sagt, was Ihr einmal wollt.
KATHRINE.

Je, Herr Gotthart, ich dachte, Sie sollten hinauskommen. Ich mag es vor der Jungfer Fröhlichin nicht sagen.

HERR GOTTHART.
Und warum nicht? Ist's denn was Böses?
KATHRINE.
Ei! was wollte es Böses sein. Sie sollen es ja essen.
HERR GOTTHART.
Nun, was ist's denn? Sagt es heraus? Aber lügt mir nichts vor! Ich frage nach!
KATHRINE.
Nun. Da haben Sie mich schon wieder im Verdachte. Sie weint hinter der Schürze.
HERR GOTTHART.

Was das nun für ein Mensch ist! wie die einen ehrlichen Mann vexieren kann! Sagt, was habt Ihr gewollt; oder ...

KATHRINE.

Herr Gotthart, was ich gewollt habe, das will ich noch. Zwei Batzen zu Semmel. Fünf Groschen zum Zucker an die Weinsuppe: einen Dreier zum Senfe an das Rauchfleisch, zwei Pfennige Grünes zur Karbonade ...

HERR GOTTHART.
Stille! stille!
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ei, Herr Vetter, ein Frauenzimmer darf den Küchenzettel wohl mit anhören.
HERR GOTTHART.
Könnt Ihr denn das nicht auslegen, Kathrine? Wenn's sonst nichts ist?
[225]
KATHRINE
besinnt sich.
Ja, es war auch sonst noch was.
HERR GOTTHART.
Und was denn?
KATHRINE.
Ei, es war ... ich ... ich weiß es nun nicht mehr.
HERR GOTTHART.
Stammlet nicht! sonst sind's gewiß lauter Lügen!
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Etwa nach Zimt, Nelken, Kubeben, Rosinen, Mandeln, Muskatenblumen ...
KATHRINE.

Nein, jetzt besinne ich mich. Der fremde Kutscher ist's, der die Herrschaft hergebracht hat. Er will das Fuhrlohn haben.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ei, verzweifelt! lieber Herr Vetter, so müssen Sie so gütig sein und das Geld solange auslegen oder den Kutscher solange aufhalten, bis mein Vater wiederkömmt. Ich habe wahrhaftig nichts zu versetzen als meine Sparbüchse mit etlichen silbernen Schaupfennigen.

HERR GOTTHART.

Sorgen Sie nicht, Jungfer Muhme. Ich will ihn herzlich gern bezahlen. Wenn es nur wahr ist; aber ich glaube es noch nicht.

KATHRINE.
Ja, so müßte er wieder weggegangen sein.
HERR GOTTHART
schüttelt den Kopf.
Hm! Kommt Ihr schon so? Kommen Sie, Jungfer Muhme, wir wollen doch gleich zusehen.
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ja, ich habe ihm auch noch allerlei zu sagen.
KATHRINE.

So sein Sie so gut, Herr Gotthart, und geben mir die Schlüssel zum Wäschschranke. Ich muß das Tischzeug herausnehmen.

HERR GOTTHART.
Da sind sie. Er gibt ihr die Schlüssel und geht mit Jungfer Fröhlichin ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Kathrine. Und Heinrich kömmt von der andern Seite.

HEINRICH.
Sind sie fort? Gelt, Kathrine! das Ding wäre bei einem Haare schief gegangen.
KATHRINE.

Sieh da, Heinrich! ist Er es? Ich denke gar, Er hat vor der Türe gelauret. Sind die Herren schon wieder zu Hause?

HEINRICH
mürrisch.
Ja, eben jetzt hat der Platzregen ihnen den Weg nach Hause gewiesen.
[226]
KATHRINE.
Nun, hilf Himmel! was fehlt Ihm denn, Heinrich? Er sieht ja so versauert aus.
HEINRICH.
Ei! ich wollte, daß mein junger Herr auf dem Blocksberge wäre.
KATHRINE.
Warum denn das?
HEINRICH.
Ich wollte, daß er an Händen und Füßen verlahmte!
KATHRINE.
So sage Er doch einmal, warum?
HEINRICH.
Ja, und daß ihn der Henker gar holte!
KATHRINE.
Was hat er denn getan?
HEINRICH.
Was er getan hat? Aus der ganzen Brautschaft und Heirat wird nichts. Das hat er getan!
KATHRINE.

Ei, Possen! Was wird nichts draus werden? Ich habe den alten Herrn mit der Jungfer lange genug behorcht, die Sache hat ihre Richtigkeit.

HEINRICH.
Ja, warum nur nicht! Unser Phantast will ja lieber vom Teufel was hören als vom Freien.
KATHRINE.
Der junge Herr?
HEINRICH.

Jawohl! der alte Fröhlich hat ihm unterwegens das Hochzeitmachen so süß vorgestellt, daß ich heute abends das erste das beste Mädchen mit zu Bette nehmen möchte. Er aber will lieber mit dem Alp als mit den hübschen Mädchen zu tun haben.

KATHRINE.

Mit dem Alp? Behüte mich das güldne Kalb! und der heilige Sankt Niklas bescher mir lieber sonsten was! Warum ist er denn aber so tolle?

HEINRICH.

Darum, daß er immer solche Hexenbilder im Kopfe stecken hat und sich tausend Teufelsgespenster macht, wo doch keine sind. Da meint der Eulenspiegel nun, wenn er heiraten möchte, so könnte es einmal mit der Zeit kommen, daß ...

KATHRINE.

Ei, verflucht! Wo wollten wir armen Mädchen hin, wenn die Junggesellen alle aufs Zukünftige sehen wollten? Aber da haben wir's! Habe ich's nicht gesagt?

HEINRICH.
Ei! ich wollte, daß Sie gelogen hätte; so wäre es jetzt nicht wahr.
KATHRINE.

Potztausend! Jetzt denke ich dran! Ich habe vorhin dem alten Herrn was vorgelogen: ich muß machen, daß ich nicht betrappelt werde. [227] Geschwinde, mein lieber Heinrich: lange Er mir einmal hier aus dem Schranke das oberste Tischzeug herunter, und denn komme Er in die Küche; da wollen wir weiterplaudern.


Sie laufen beide weg.

Ende des vierten Aufzuges.

5. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Ernst Gotthart allein, wischt sich den Schweiß, zupft sich oft die Perücke und tut ungemein ängstlich. Er ruft in die Szene.

Heinrich! Heinrich! kommt Ihr denn noch nicht? Der Mensch kann einen recht in Ängsten lassen! O Himmel ... Er läuft ängstlich herum. Wo der Paroxismus nicht übergeht, so bin ich des Todes! Ach! wenn ich doch nur ausgekleidet wäre! ... Vielleicht ginge es dann über! Heinrich! Heinrich! Heinrich!

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Ernst Gotthart. Heinrich mit einem Buche.

ERNST GOTTHART.

Nun, kommt Ihr einmal? Böser Mensch! kommt her geschwinde und kleidet mich aus! O Himmel! wie ist mir zumute!

HEINRICH.

Nun, da sehen Sie einmal! So machen es die Herren Gelehrten. Sie kaufen sich ganze Stuben voller Bücher und lesen doch ihr Leben lang nicht den sechsten Teil davon durch. Ich wollte wohl drauf schwören, daß Sie nicht einmal wissen, ob dies Ihr Buch ist oder nicht?

ERNST GOTTHART.
Ei, Bücher hin! Bücher her! Macht nur, daß ich Luft bekomme, Heinrich!
HEINRICH.

Wie? Ist's schon wieder unrichtig? nun es eben zum Essen geht? Ich glaube wahrhaftig, Ihr Malus vexiert Sie nur so.

ERNST GOTTHART.
Ach! so arg ist es noch nie gewesen, als es diesmal ist!
HEINRICH.
Ja, so sagen Sie immer! Aber was ist's denn schon wieder?
[228]
ERNST GOTTHART.

Ach! was wird es sein? Euch kann ich's endlich wohl sagen. Ich wollte für die Langeweile das Brot zur Tafel vorschneiden, und da wird mir auf einmal, ich weiß nicht wie, zumute! Wofern es nicht wieder übergeht, so darf ich mein Lebetag kein Messer mehr anrühren; oder ich muß besorgen, daß ich mich oder jemanden anders umbrächte.

HEINRICH
lachend.
Sachte! sachte! das können Sie ja wohl bleibenlassen?
ERNST GOTTHART.
Oder ich muß lieber Hungers sterben.
HEINRICH.
Noch besser! Er lacht.
ERNST GOTTHART.
Oder ich muß mit elfenbeinern oder knöchernen Messern essen wie die kleinen Kinder.
HEINRICH.

Nein, ich weiß noch einen bessern Rat. Wenn Sie ja wie die kleinen Kinder essen wollen, so bitten Sie die Jungfer Fröhlichin, daß Sie Ihnen bei Tische das Essen klein schneidet. Da dörfen Sie hernach nur jedes Stückchen mit der Gabel aufspießen.

ERNST GOTTHART.
Mit der Gabel? Ei! wenn ich nun mit der Gabel ein Unglück machte?
HEINRICH
lacht sehr.
Ei, Herr Gotthart, ich habe noch niemals gehört, daß sich jemand mit einer Gabel erstochen hätte.
ERNST GOTTHART.
Habt Ihr das gewiß nie gehört?
HEINRICH.
Nein, mein Tage nicht! sowenig als mit dem Löffel oder mit der Semmel. Er lacht sehr.
ERNST GOTTHART.

Ja, du lieber Himmel: so macht mich ja aber meine Hypochondrie noch vor den Jahren zu einem Kinde? wo ich sie nicht einmal loswerde!

HEINRICH.

Das war's eben, was ich sagen wollte; Sie wollten mich nur nicht hören. Da hat Ihnen die Kathrine ungefähr vor einem halben Jahre dies Buch von der Stube genommen, und wir beide lesen so alle Abende ein Kapitelchen daraus. Sie aber, denen dies Buch gehört, wissen wohl nicht einmal, daß ein trefflich schönes Rezept für dasMalus hypi ... hypi ... Je! wie heißt das Teufelszeug schon? darinnen steht.

ERNST GOTTHART.
In einem von meinen juristischen Büchern? Heinrich! Ihr seid nicht bei Sinnen!
HEINRICH.

Ja, Herr Gotthart. Hier in diesem Buche steht's. Ich werde Ihnen ja nichts vorlügen. Kathrine hat es eben jetzt von ohngefähr aufgeschlagen.Er zeigt ihm den Titel.

[229]
ERNST GOTTHART
stutzt.
Was, zum Henker, macht die Kathrine mit dem Buche? Das ist ja mein Venette!
HEINRICH.

Ich sage es Ihnen ja, was sie damit macht. Wir halten unsere Abendandachten daraus. Wozu werden die Bücher anders geschrieben, als daß man drinnen lesen soll? Aber die Herren Gelehrten haben sie, wie ich glaube, nur zum Staate und brauchen sie in der Stube anstatt der Tapeten.

ERNST GOTTHART
unruhig.

In aller Welt! Wie kömmt das Mensch zu dem Buche? Ich habe es doch nebst vielen andern solchen Schriften das erstemal, wie ich meine ängstlichen Gedanken kriegte, so sorgfältig versteckt, daß ich selbst sterben müßte, wenn ich sagen sollte, wo sie wären.

HEINRICH.

Ja, das heißt ein Buch trefflich hoch verstecken, wenn man es unter die Bänke oder hinters Bette steckt! Ich weiß davon ein Liedchen zu singen, das eben nicht zum besten klingt.

ERNST GOTTHART.

Mein Himmel! wenn mein Vater die Kathrine bei dem Buche einmal betroffen hätte, und sie hätte ihm gesagt, daß es mir gehörte: was würde der Mann nicht Böses von mir gedacht haben?

HEINRICH.

Was würde er nicht! was würde er nicht! da reden Sie schon wieder von künftigen Dingen. Genug, daß er es nun nicht gesehen hat! Aber jetzt will ich Ihnen das Rezept weisen. Wenn Sie es aber nicht wissen wollen: gut! so will ich Sie erst auskleiden. Er greift ihm an den Rock. Erst Gotthart halt ihn zurück.

ERNST GOTTHART.
So, Heinrich? So steht wirklich ein Rezept wider die Hypochondrie darinnen?
HEINRICH.

Freilich! Aber Sie wollen ja nicht hören: so müssen Sie fühlen! kommen Sie, lassen Sie sich abkleiden, daß ich wieder hinunterkomme. Es geht zur Mahlzeit. Er will ihn abkleiden.

ERNST GOTTHART
wehrt es ihm.

Nein, Heinrich. Nun ist mir mein Herz schon um einen Zentner leichter, da ich höre, daß es noch ein Rezept für meine Krankheit in der Welt gibt.

HEINRICH.
Sehen Sie wohl?
ERNST GOTTHART.

Aber ist's auch etwa ein fröhliches Gemüt? womit die beiden Mediziner mich Vormittage fast närrisch gemacht haben?

HEINRICH.
Ach nein, nein! Es ist nur sonst so was, wornach Sie ein fröhliches Gemüt bekommen sollen.
[230]
ERNST GOTTHART.
Ei! das wäre viel! Ach! mein lieber Heinrich, so zeigt mir's doch geschwinde, wo es steht.
HEINRICH
nimmt das Buch wieder.

Ja, ja! ich will es gleich wieder aufschlagen. Eins, Nulle, eins. Nein, es war weiter hinein. Er blättert lange. Es ist doch schlimm, daß ich Zahlen nicht verstehe, ob ich gleich lesen und buchstabieren kann. Er blättert immer. Sieh da! hier ist's! Ich habe ein Ohr in das Blatt gemacht. Richtig! Ein Kapitel von den Nutzbarkeiten des Ehestandes, auf der Seite drei, neun, fünf. Soll ich's Ihnen vorlesen?

ERNST GOTTHART.
Ja, mein lieber Heinrich. Lest nur!
HEINRICH.
Nun, so hören Sie. Er liest. Die Melancholischen sind dabei fröhlich ...
ERNST GOTTHART.
Wobei?
HEINRICH.

Ei, bei den Nutzbarkeiten des Ehestandes! Er liest weiter. Die Melancholischen sind dabei fröhlich, und durch dieses Mittel vergeht ihre Traurigkeit und Furcht. Ihr verlorner Appetit und geschwächter Magen wird dadurch wiederum bei Kräften erhalten. In der Tat heilet der Umgang mit dem Frauenzimmer unsere Melancholie ... Sehen Sie, der Mann hat auch selbst die Melancholie gehabt: drum sagt er unsere.

ERNST GOTTHART.
Nun, schon gut! nur weiter.
HEINRICH
liest.

Und hat weit größere Wirkung über uns ... Sehen Sie? als alle El – el, l, e, elle, b, o, bo, ellebo, r, i, bori, lebori, Ellebori, der Medicorum ... Was ist das für Zeug, Herr Gotthart?

ERNST GOTTHART.
Das ist Niesewurz.
HEINRICH.

Was, zum Teufel! geben die Leute einem ehrlichen Menschen Niesewurz ein? Wofür sehen sie ihre Kranken an?

ERNST GOTTHART.
Nun, nun! das versteht Ihr nicht! Leset weiter.
HEINRICH.

Was wollte ich's nicht verstehen? Einem Niesewurz eingeben, das heißt ja einen für einen Narren erklären. Ich habe es wohl mehr als tausendmal gehört.

ERNST GOTTHART.
Ja, im gemeinen Leben versteht man es wohl so; aber in der Medizin ist es eine Arzenei.
HEINRICH
schüttelt den Kopf.

Arzenei oder nicht! Wenn mir mein Doktor mit Ellenbogen oder Niesewurz käme, so schmiß ich ihm das Glas vor die Füße und sagte, wollt Ihr einen Narren haben, so nehmt es selbst ein.

ERNST GOTTHART
lacht.
Ich sage Euch, Ihr sollt weiter lesen.
[231]
HEINRICH
liest.

Selbst die Gedanken der Liebe erfreuen und erquicken und stärken uns: sie vermehren unsern Ca–lo–rem und dissi–dissi–pie–ren und dissipieren die dicke schwarze Galle ... Sehen Sie, da haben Sie's! Ist das nicht ein vortrefflich Rezept wider Ihre Grillen? Da dörfen Sie keinen Kräutertee trinken; keine Pillen einnehmen; keine magenstärkenden Tränke; keine blutreinigende Tropfen; keine niederschlagende Pulver und allen solchen Plunder mehr einschlucken. Nun? was sagen Sie dazu?

ERNST GOTTHART
schüttelt den Kopf.

Der Ehestand? der Umgang mit dem Frauenzimmer? und die bloßen verliebten Gedanken? das soll ein Mittel wider die Hypochondrie sein? das glaube ich mein Lebetage nicht!

HEINRICH.

Ei, hier steht's ja mit ausdrücklichen Worten gedruckt. Der Mann würde es ja nicht geschrieben haben, wenn es nicht wahr wäre. Das Buch ist ja in Leipzig gedruckt. Es muß gewiß wahr sein!

ERNST GOTTHART.

Ja, wenn ich nur nicht von allen andern Medicis gehört hätte, daß der Umgang mit dem Frauenzimmer und die verliebten Grillen einem Hypochondristen so schädlich wären als Gift. Sie sagen, das Blut wird dadurch in Wallung gebracht: weil es aber wegen seiner Dicke und der schwarzen Galle seinen Umlauf nicht haben kann, so preßt es sich nach dem Herzen. Daher entstünde das Herzpochen und die Beängstigungen. Die Ehe selbst aber soll einem Hypochondristen ärger sein als der Tod. Denn wie leicht ...

HEINRICH.

Ach schweigen Sie doch! Was Sie auf den heiligen Ehestand zu schändieren haben, das habe ich wohl gehöret, als Sie um das Tor gingen. Allein, nehmen Sie mir's nicht übel. Es ist alles falsch!

ERNST GOTTHART.
Falsch, sagt Ihr?
HEINRICH.
Lauter leere Einbildungen sind es.
ERNST GOTTHART.
Einbildungen?
HEINRICH.
Ja, ja! lauter Träume?
ERNST GOTTHART.
Ich sage: nein.
HEINRICH.
Und ich sage: ja.
ERNST GOTTHART.
Und womit wollt Ihr mir das beweisen?
HEINRICH.
Womit? damit, daß es hier in diesem Buche ganz anders steht.
[232]
ERNST GOTTHART.
Soll ich denn diesem einzigen Buche mehr glauben als allen andern Medicis?
HEINRICH.
Ja freilich.
ERNST GOTTHART.
Und warum das?
HEINRICH.
Darum, weil dem Manne, der es geschrieben hat, mehr zu trauen ist als allen übrigen Doktors.
ERNST GOTTHART.

Freilich ist das Vertrauen bei allen Medizinern die beste Arzenei. Aber warum ich dem Herrn Venette mehr trauen soll als allen seinen andern Kollegen: das weiß ich nicht. Zumal, da er ein Franzose ist.

HEINRICH.

Lesen Sie nur einmal die Vorrede. Da werden Sie finden, was das für ein Buch ist. Es ist kein gründlicheres, gelehrteres, brauchbarers, bessers, vortrefflichers, nützlichers, vollkommeners medizinisches Buch in der ganzen Welt als des Herrn Venette seines. Ja, es steht sogar darin, daß ein großer, gelehrter, berühmter Mann, der selbst ein großes Buch geschrieben haben soll, gestanden hat: daß er aus diesem Buche tausend neue Dinge gelernet habe, die er sonst nicht gewußt hätte.

ERNST GOTTHART.
Das wäre viel!
HEINRICH.

Ja. Und Sie wollen nicht einmal ein Rezept daraus annehmen? Da Sie doch selbst sehen, daß es ganz neu ist und aller andern Mediziner ihrem Rate schnurstracks zuwiderläuft.

ERNST GOTTHART
schüttelt den Kopf.

Heinrich, Heinrich! Ihr macht mir beinahe Lust zu dem Rezepte. Ein Kranker muß doch alles versuchen, was ihm die Ärzte raten; es klinge auch so widersinnig, als es wolle. Nun, es sei darum! ich will also einmal aus Desperation verliebt werden und wider alle meine ehemaligen Vorsätze auf die Freite gehen. Allein ... Er schüttelt den Kopf.

HEINRICH.

Allein! allein! mit Ihrem ewigen allein! Wenn ich schon das Wort höre, so ist es nicht anders, als wenn mich einer mit einem Eimer kaltes Wasser begösse! Suchen Sie sich doch lieber geschwinde ein hübsches Mädchen aus. Und daß Sie sehen sollen, daß ich es mit Ihnen redlich meine, so will ich auch alles mein mögliches tun, daß Sie sie auch bekommen sollen. Ich habe bei meinem vorigen Herrn in der Kunst so ziemlich ausgelernet.

ERNST GOTTHART.

Ja, Heinrich, wo ich in der Welt mit einem Frauenzimmer umzugehen oder gar zu leben wünschte: so wäre es keine andere als meine lustige Muhme, die jetzt hier im Hause ist.

[233]
HEINRICH.

Ei, desto besser! desto besser! Bringen Sie nur je eher, je lieber Ihr Jawort bei ihr an. Aber lange zaudern müssen Sie nicht. Sie bleibt nur noch zween Tage hier.

ERNST GOTTHART.

Heinrich, ich muß es Euch nur vertrauen. Mir kömmt es gänzlich so vor, als wenn die Jungfer Muhme schon ein Auge auf mich hat.

HEINRICH
stellt sich fremde.
So?
ERNST GOTTHART.

Ja. Seht nur einmal, was sie mir für eine kostbare Tresse geschenkt hat. Er sucht ganz erschrocken in allen Taschen.

HEINRICH.
Ei, zeigen Sie sie mir doch.
ERNST GOTTHART
ganz unruhig.
Hilf, Himmel! Heinrich, die Tresse ist fort. Er sucht nochmals überall.
HEINRICH.
Fort?
ERNST GOTTHART
schlägt die Hände zusammen.
Ja, so wahr ich lebe! Sie ist fort!
HEINRICH.

Ei! was wird sie fort sein. Sie werden Sie gewiß in Gedanken wieder wohin verwahret haben. Eben wie die Bücher.

ERNST GOTTHART.
Nein, Heinrich. Sie ist verloren! oder gestohlen!
HEINRICH.
Ei, suchen Sie nur erst recht nach.
ERNST GOTTHART
sucht noch einmal.
Nein, nein, sie ist fort! sie ist fort! Ich Unglückseliger!
HEINRICH
sieht sich rund herum.
Ei, sie muß sich noch finden!
ERNST GOTTHART.
Ich bin verloren! Er wirft seine Perücke auf die Erde.
HEINRICH.
Sachte, sachte! zerreißen Sie sich nicht!
ERNST GOTTHART.
Ja, ja! ich muß mich freilich zerreißen. Er windet die Hände.
HEINRICH.
Sein Sie doch nicht wunderlich! warten Sie! ich will sie suchen.
ERNST GOTTHART.

Ei, was wollt Ihr suchen! Sie wird wohl vor dem Tore liegen. Ich armer, unseliger Mensch. Er läuft ängstlich herum.

HEINRICH.

Haben Sie doch nur ein wenig Geduld! Ich will den Augenblick zurücklaufen und suchen, bis ich sie finde. Er will gehen.

ERNST GOTTHART
hält ihn zurück.
Um des Himmels willen nicht!
HEINRICH.
Warum nicht?
[234]
ERNST GOTTHART
ängstlich.
Nein, Heinrich, wo Ihr noch von mir geht, so muß ich mich gar erhenken.
HEINRICH.
Ei, Possen! tun Sie's, wo Sie das Herz haben!

Er läuft weg; bleibt aber hinter der Szene stehen und macht zu allem, was Gotthart sagt, wunderliche Stellungen.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Ernst Gotthart allein, wirft sich auf einen Stuhl.

Nun! jetzt ist es mit mir geschehen! länger kann ich es nicht aushalten! Es geht mir auch alles in der Welt die Quere! kaum erfahre ich, daß kein ander Mittel für mich sei als die Ehe, und kaum entschließe ich mich auch dazu, so ist alle Hoffnung wieder auf einmal aus. Ja, wenn ich ein ander Mädchen lieben könnte als meine Muhme! aber das kann ich nicht; und wer wird auch einen so verdrießlichen, mürrischen, melancholischen Kerl haben wollen? Ach! es muß sie noch ein rechter guter Engel regieren, daß sie mich noch vor Augen leiden mag! ... Aber was werde ich ihr antworten, wenn sie nach ihrer Tresse fragt? ... Wird sie wohl glauben, daß ich sie verloren habe? Wird sie nicht denken, ich habe sie verspielt, versoffen oder noch was ärgers damit gemacht? ... Wird sie mich nicht aufs ärgste hassen? ... Wird sie mich nicht allenthalben anschwärzen? Nein, ich kriege in meinem Leben keine Frau! ... Mit meinem Malo werde ich ins Grab fahren müssen! ... Und wer weiß, ob ich mich nicht noch achtzig Jahre darmit quälen muß? ... Ach! Himmel! noch achtzig Jahre das Malum hypochondriacum zu haben? Wie will ich das ausstehen? ... Nein! ich muß mich umbringen! ... Es kömmt auf eine böse Minute an! ... Er sucht in allen Taschen. Ich habe kein Messer bei mir ... So muß ich mich erhenken ... Er sieht sich rund in der Stube herum. Es ist kein Nagel hier, der mich tragen könnte ... Nun gut! Ich will mich mit meinem Strumpfbande erwürgen. Er fängt sich an, ein Knieband abzunehmen. Doch das Licht könnte Schaden tun! ... Es könnte ein Feuer werden, das die ganze Stadt verzehrte ... Ich will es erst auslöschen, damit ich nicht noch nach meinem Tode ein solches Elend und Unglück anrichte. Er löscht das Licht sehr sorgfältig aus, spuckt auch gar in den Docht. Heinrich schleicht sich hinter den Stuhl. Nun kann es doch wohl nicht wieder anbrennen. Er geht noch einmal hin und besieht es. Wohlan! lieber einmal gestorben als täglich solche [235] Höllenangst ausgestanden! ... Ich kriege doch wenigstens ein ehrliches Begräbnis und eine christliche Leichenpredigt: denn die ganze Stadt weiß, daß ich melancholisch gewesen bin. Er bindet sich das Band um den Hals. Nun gute Nacht, Welt: du Angstkasten!

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Ernst Gotthart. Heinrich springt erschrocken hervor.

HEINRICH.

Herr, Sie sind rasend. Er schreit. Herr Gotthart! Herr Fröhlich! Jungfer Fröhlichin! Kathrine! Licht her! Licht her!

ERNST GOTTHART
ohnmächtig.
Ach, Heinrich! seid Ihr da! Habt Ihr die Tresse?
HEINRICH.

Was wollte ich sie haben? Es ist wohl ein großes Glück, daß ich nicht darnach gegangen bin. Ich glaube wahrhaftig, Sie wären einmal so toll gewesen und hätten Ernst daraus gemacht. Es ahnte mir so was; darum ging ich nicht von der Türe weg.

ERNST GOTTHART.

Ja, so muß ich sterben! Getreuer Heinrich! Lebt wohl! sagt meinem Vater, daß ich Euch meine Wäsche und Kleider geschenkt habe.

HEINRICH.

Ei, Possen! Herr Gotthart ... Ich glaube wahrhaftig, er bleibt mir unter den Händen tot! ... Heda! Geschwinde, Licht her! Gewalt! Gewalt! Licht her! Ist denn kein Teufel im Hause, der es hört! Licht her!

5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Jungfer Fröhlichin mit einem Wachsstocke. Heinrich. Ernst Gotthart.

JUNGFER FRÖHLICHIN
erschrocken.

O Himmel! was ist's? Was ist hier zu tun? Bringt sich hier jemand im Finstern um? Heinrich? Was habt Ihr mit Eurem Herrn vor?

HEINRICH
besieht seinen Herrn, der sich das Knieband nicht aufgelöset, sondern die goldene Tresse um den Hals hat.

Nun, da sehen Sie das Spektakel, Jungfer Fröhlichin! Da will sich mein Herr erwürgen, weil er meint, daß er Ihre goldne Tresse verloren hat, und braucht selbst die Tresse dazu.

JUNGFER FRÖHLICHIN
erschrocken.

Hilf, Himmel! ist denn gar [236] kein Leben mehr in ihm? Geschwinde, macht Luft. Sie schüttelt ihn. Herr Vetter! Herr Vetter!

HEINRICH
schüttelt ihn.
Herr Gotthart?
ERNST GOTTHART
ohnmächtig.
Ach, Heinrich! die Tresse!
HEINRICH.
Hier ist sie! Hier ist sie!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ei, es ist noch Leben in ihm. Gebt mir einen Stuhl her, Heinrich. Heinrich setzt ihr einen Stuhl neben den jungen Herrn, dem sie ihr Schwammdöschen vorhält.

ERNST GOTTHART.
Wo ist sie denn?
HEINRICH.

Zum Henker! hier ist sie! Sie haben sie ja um den Hals statt des Strumpfbandes. Da ist sie! Er gibt sie ihm.

ERNST GOTTHART
besieht die Tresse.

Wie? hat sich denn mein Strumpfband in meine Tresse verwandelt? Ach! nun sehe ich's ... ich habe sie in Gedanken statt meines Kniebandes umgebunden. Nun, was das für eine Todesangst gewesen ist! ... Ist sie das auch? ... Es ist mir ja alles ganz gelbe vor den Augen.

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Kennen Sie mich denn nicht mehr, Herr Vetter?
ERNST GOTTHART.
Wer? Wer ist da?
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Ich bin's. Ihre Muhme.
ERNST GOTTHART.
O mein Engel! sind Sie es? Heinrich, ist's nicht die Jungfer Fröhlichin?
HEINRICH.
Freilich; wer wollte es sonst sein? Denken Sie nur, was Sie uns für Angst abgejaget haben!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ja, Herr Vetter, das Schrecken vergesse ich so leicht nicht! habe ich Ihnen die Tresse dazu geschenkt, daß Sie sich damit strangulieren sollen wie ein türkischer Bassa?

ERNST GOTTHART
nimmt sie bei der Hand, die er oft küßt.

Ach! ich bitte Sie tausendmal um Vergebung, Jungfer Muhme! Ich konnte mir nicht anders einbilden, als daß sie fort wäre: und da scheuete ich mich dermaßen vor Ihrem Zorne, daß mir der Tod dagegen was Geringes zu sein schien.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Aber, um einer leidigen Tresse willen, die Sie für verloren halten, sich umzubringen? Ist das nicht zuviel? Heinrich zeigt ihm die Perücke. Setzen Sie nicht Ihre Perücke wieder auf? Sie möchten sich sonst erkälten.

[237]
ERNST GOTTHART.

Ach allerteureste Jungfer Muhme! ich werde mich nicht eher zufrieden geben, bis Sie mir mein Vergehen verziehen haben.

JUNGFER FRÖHLICHIN
lächelnd.

Nun, ich will sehen, ob das möglich ist. Aber sagen Sie mir nur, verdient wohl eine so schlechte Tresse ...

ERNST GOTTHART
küßt ihr die Hand.

Ach! Jungfer Muhme, mich brachte nicht sowohl der Verlust der Tresse in Verzweiflung als die unzähligen Sorgen, die ich mir wegen des Zukünftigen machte.

HEINRICH
zupft ihn.
Herr Gotthart, setzen Sie doch die Perücke auf, und sitzen Sie nicht so im bloßen Kopfe.
ERNST GOTTHART
sieht sich um.
Wartet doch!
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Wer setzt Ihnen aber solche ungegründete Grillen in den Kopf? Sind Sie es nicht selbst?
ERNST GOTTHART.
Ja, allerliebste Jungfer Muhme! wer ist wohl Herr über seine Gedanken?
HEINRICH
wirft die Perücke wieder hin, wo sie gelegen hatte.
Meinethalben bleib du da liegen!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Ei, Herr Vetter, die Entschuldigung hilft Ihnen nichts. Sind Sie nicht Herr über Ihre Gedanken, wenn Sie Ihnen einfallen: so sind Sie doch wenigstens insoweit Herr darüber, daß Sie sie unterdrücken können.

ERNST GOTTHART.

Nein, Jungfer Muhme, das ist mir ebenso unmöglich. Ich habe es wohl tausendmal versucht; allein es geht nicht an. Er fühlt sich nach dem Kopfe. Heinrich, wo ist meine Perücke?

HEINRICH.

Da liegt sie. Ich habe Sie Ihnen schon so oft angeboten. Sie wollen sie ja nicht haben. Er hebt sie auf und gibt sie ihm.

ERNST GOTTHART.
Um Verzeihung, Jungfer Muhme. Bin ich denn gar außer mir selbst gewesen? Er setzt sie auf.
JUNGFER FRÖHLICHIN
ernsthaft.

Herr Vetter! Sie sagten, es wäre Ihnen nicht möglich, Ihre aufsteigenden sorgenvollen Gedanken zu ersticken?

ERNST GOTTHART
zuckt die Achseln.
Nein, englische Jungfer Muhme!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Das ist aller Hypochondristen ihre Entschuldigung. Allein, nehmen Sie mir's nicht übel: Sie fangen die Sache nur nicht recht an. Ich habe Sie heute mit Ihrer Hypochondrie schon genug [238] ausgelacht und gehofft, Sie würden dadurch einsehen lernen, daß diese Krankheit zum Teile lächerlich sei. So hat meine selige Mutter es mit meinem Vater gemacht und hat ihn glücklich kurieret. Allein, da ich mit ebenderselben Kur nicht fortkomme: so wollen wir doch einmal von der Sache ernsthaft reden.

ERNST GOTTHART.

Ach, mein Engel! reden Sie, was Sie wollen. Zürnen Sie, schelten Sie, lachen Sie mich aus; ich will es alles gelassen ertragen.

HEINRICH
setzt die Hände in die Seite.
Nun; das soll mich verlangen!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Nein, Herr Vetter, schelten und zürnen will ich mit Ihnen nicht. Allein, hören Sie mich nur ein wenig. Das glaube ich Ihnen gern, daß Sie alsdann, wann Ihre verwirrte Einbildungskraft rege wird, die Torheit Ihrer Gedanken nicht sogleich einsehen können. Allein, Sie und alle Ihre Kollegen, die werten Herrn Hypochondristen, sollten doch nur einmal bei gelassenem Gemüte eine Betrachtung über alles das Vergangene anstellen: so würden sie sich leicht überzeugen, daß es lauter Torheiten gewesen. Diese Wahrheit müßten sie sich zu einer festen Regel setzen und allemal, wenn das Malum sich wieder meldete, den Schluß machen: es wäre auch wieder eine bloße Einbildung und ein leerer Dunst.

HEINRICH.
Ich glaube gar, Sie haben studiert!
ERNST GOTTHART.

Ach, Mühmchen! Sie reden wie ein Engel! Aber helfen Sie mir doch wenigstens auf die Spur, wie man eine solche allgemeine Betrachtung anstellen kann.

JUNGFER FRÖHLICHIN.

Herzlich gern, Herr Vetter. Antworten Sie mir nur immer auf meine Fragen: so werden Sie sich von selbst darauf führen. Besteht nicht Ihre ganze Hypochondrie darinnen, daß Sie sich ohn Unterlaß mit fürchterlichen Gedanken plagen?

ERNST GOTTHART
seufzt.
Ja freilich!
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Und ein zukünftiges ungewisses Übel so besorgen, als ob es gegenwärtig und gewiß wäre?
ERNST GOTTHART.
Ja, ja!
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Oder daß Sie sich auch aus jeder Kleinigkeit ein abscheuliches, fürchterliches Meerwunder machen?
HEINRICH.
Ja, ja! da liegt der Hund begraben!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Haben Sie aber bisher endlich nicht noch immer gefunden, daß die Sorge wegen des Zukünftigen teils unnötig, teils [239] ein Hirngespinst gewesen? und daß auch das gegenwärtige Böse entweder sehr klein oder gar leicht zu verbessern gewesen?

ERNST GOTTHART.
Ja, das ist wohl meistenteils so herausgekommen.
HEINRICH.

Gelte! Sie wissen noch wohl, wie es Ihnen mit dem alten Holzhacker und mit den Pantoffeln im Bette gegangen ist?

ERNST GOTTHART.
Haltet Euer Maul!
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Haben Sie nicht vielmehr mit der Zeit bei einer gelassenen Überlegung gefunden, daß das, was Sie anfangs nicht unbillig für einen Fehler oder für etwas Übles gehalten, nachmals zu Ihrem Vergnügen oder Sie desto behutsamer zu machen, ausgeschlagen ist?

ERNST GOTTHART.
Jawohl.
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Haben Sie ferner mit allen Ihren Sorgen jemals wohl das geringste gebessert, sondern es nicht vielmehr noch zehnmal ärger gemacht, als es an sich gewesen!

ERNST GOTTHART.
Was soll ich sagen? Es ist nicht anders. Ich bekenne es.
HEINRICH.
Mich dünkt auch! die Mordgeschichte mit der goldenen Tresse ist eine feine Probe davon.
JUNGFER FRÖHLICHIN.

Müssen Sie also nicht endlich erkennen, daß alle Ihre bisherige Grillenfängerei eitel Torheit gewesen? und können Sie sich nicht daraus eine Regel aufs künftige machen, um alle sorgenvolle Kümmernisse gleich für dasjenige zu halten, was sie wirklich sind; nämlich für einen leeren Dunst?

ERNST GOTTHART
küßt ihr die Hand.

Ach, Jungfer Muhme! Sie haben einen englischen Verstand! Ich wundere mich nun nicht mehr, daß Sie ein so ausgeräumtes, frohes Gemüt haben. Wollte der Himmel, ich könnte zeitlebens um und bei Ihnen sein! Ihre vernünftigen Vorstellungen kurieren mich viel besser als alle Brunnen und Rezepte. Sie sehen es doch ein, daß meine Krankheit mehr am Gemüte als am Leibe liegt. O wie ruhig würde meine Seele sein, wenn ich Sie täglich sehen, sprechen und bewundern könnte!

JUNGFER FRÖHLICHIN
lächelnd.

Nein, Herr Vetter, der täglichen Erinnerung wird es nicht gebrauchen. Sie können sich, wenn Sie nur wollen, mit dem, was ich Ihnen jetzt gesagt habe, lebenslang behelfen. Sie brauchen deswegen eben nicht beständig bei mir zu sein. Es wird Ihnen [240] gewiß so oft beifallen, als Sie sich meiner Wenigkeit erinnern werden. Halten Sie nur dabei eine ordentliche Diät und versäumen keine Gelegenheit, sich eine Lust zu machen: so werden die Mediziner und die Krankheiten zugleich von Ihnen wegbleiben.


Heinrich stößt und zupft seinen Herrn und winkt ihm, er soll mit der Sprache herausrücken.
ERNST GOTTHART.

Ach, allerliebste Jungfer Muhme! nur das reizende Vergnügen Ihres Umganges müssen Sie mir nicht entziehen. Er küßt ihr die Hand. Glauben Sie, Ihre vortrefflichen Regeln würden alle ihre Kraft verlieren, wenn ich sie nicht oftmals aus Ihrem schönen Munde wiederholen hörte. Er seufzt. Ach! ...

JUNGFER FRÖHLICHIN.
Was haben Sie nun wieder für eine Not?
ERNST GOTTHART.
Ach! darf ich es sagen?
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Nur heraus! Besorgen Sie schon wieder was?
ERNST GOTTHART
seufzend.
Ja!
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Und was denn?
ERNST GOTTHART.
Daß ich zu kühn in meiner Hoffnung bin!
JUNGFER FRÖHLICHIN.
Nun! das möchte ich hören! Sie kühn? das wäre gewiß das erstemal! Heraus damit!
ERNST GOTTHART.

Ich will es wagen, weil Sie es zumal selbst befehlen. Sollte es nicht dem Himmel und Ihnen gefallen, mir die Last so vieler martervollen Stunden durch den Besitz Ihrer reizenden Person nunmehro mit unverrückter Zufriedenheit zu vergelten? Er küßt ihr die Hand.

HEINRICH
tut einen großen Sprung.
Nun, dazu hat ein Herz gehört, so groß wie ein Groschenbrot!
JUNGFER FRÖHLICHIN
lächelnd.

Ei, Herr Vetter! die Frage habe ich mir nicht vermutet, und Sie wer den wohl wissen, daß es eine Frage ist, die in dieser Welt noch nie zum ersten Male gleich beantwortet worden ist.

ERNST GOTTHART
verliebt.

Nun, so will ich Sie zu tausend Malen gefragt haben, engelschönes Mühmchen! Ich lasse gewiß nicht nach, bis Sie mich durch ein erwünschtes Ja erfreuen. Er sieht sie sehr verliebt an und hält ihre Hand fest an seine Brust.

[241]
JUNGFER FRÖHLICHIN
lächelnd.
Ei, Herr Vetter! können die Hypochondristen auch scherzen?
HEINRICH
ernsthaft.
Nein, nein! ich stehe für ihn, es ist sein rechter Ernst.
JUNGFER FRÖHLICHIN
lustig.

Ei nun, Herr Vetter! was ist dran gelegen? Unsere Väter sitzen gewiß unten und haben sich in den böhmischen Krieg vertieft. Kommen Sie! wir wollen einmal einen Spaß machen! wir wollen hinuntergehen und ihnen ganz unvermutet sagen, daß wir Braut und Bräutigam wären. Mich soll verlangen, was sie darzu sagen werden.

ERNST GOTTHART
besorgt.
Sollten sie es aber auch wohl übelnehmen?
JUNGFER FRÖHLICHIN
faßt ihn bei der Hand.
Kommen Sie nur!
HEINRICH
schiebt ihn hintennach zur Türe hinaus.

Gehen Sie! gehen Sie! Ich bitte Sie um des Himmels willen. Werden Sie nicht wieder wunderlich, ... Da die andern fort sind. nun Ihnen die Jungfer eine halbe Unze Witz in den Kopf praktiziert hat.


Ende des Lustspiels.

[242]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Quistorp, Theodor Johann. Drama. Der Hypochondrist. Der Hypochondrist. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8AFD-5