Die erste Saat

(1841)


Hier ist die Stätte, seht! Hier fällten
Den unbetretnen Urwald wir,
Mit unserm Schweiße hier bestellten
Wir das jungfräuliche Revier!
Hier soll die Heimat sich erneuen,
Hier, von Europa wir verbannt,
Wolln wir den ersten Samen streuen
In dieses neue, fremde Land.
Reicht her das Korn – o sei willkommen,
Du unsrer Heimat teure Frucht,
Die wir als Erbschaft mitgenommen,
Als Pfand der Zukunft auf der Flucht!
Als wär's ein Kind, das wir versenken,
So streut dich zögernd unsre Hand,
Und unsre tiefsten Herzen denken
An das geliebte Vaterland.
Als du zuerst emporgewachsen,
Ein grüner Halm aus dunkler Gruft,
Am Elbestrand, im schönen Sachsen,
Da küßte dich die deutsche Luft;
Da schien auf dich, da floß hernieder
Die deutsche Sonne, deutscher Tau,
[182]
Und deutscher Lerchen süße Lieder
Begrüßten die geschmückte Au.
Drauf als die Halme höher rauschten,
Als schon die Frucht im Keime schwoll,
O Gott, da standen wir und lauschten
Wehmütiger Erwartung voll.
Und als sich wiegten deine Ähren,
Gekleidet all in lautres Gold,
O damals, damals wieviel Zähren
Sind abwärts in den Sand gerollt!
Denn ach! schon suchten die Gedanken
Fern überm Meer ein neues Ziel,
Im Geiste schon sahn wir uns schwanken
Fernhin auf ungewissem Kiel:
Was nützt es, daß geerntet werde,
Was wogt das Korn, was blüht der Wein,
Soll nimmer doch auf deutscher Erde
Der Freiheit teure Saat gedeihn?
Und als man unter Spiel und Scherzen
Das reife Korn in Garben flocht,
Wie hat da schon in Abschiedsschmerzen
Der Busen ängstlich uns gepocht!
Die andern schwangen sich im Tanze,
Da schrie die Fiedel, klang das Horn:
Doch wir, im letzten Abendglanze,
Wir banden schweigend unser Korn. –
Nicht eine Hand voll Erde nahmen
Wir zum Valet von unsrer Flur:
Nur deutsche Frucht, nur deutschen Samen!
Denn Leben bringt Lebend'ges nur.
Und wie ein Fähnrich seine Fahne
Pflanzt auf des letzten Walles Rand,
So, jenseits nun dem Ozeane,
Wird es gepflanzt in fremdes Land.
O du, gesät in guter Stunde,
Du Samen unsers Vaterlands,
Wachs und gedeih in fremdem Grunde,
In einer andern Sonne Glanz!
[183]
Es wird dich keine Lerche grüßen,
Wie du sie einst vernommen hast,
Kein Kranz von Rosen wird versüßen
Des heißen Erntetages Last.
Und doch, will's Gott, so sollst du sprießen
In stolzen Halmen, frei und stark,
Und freie Männer solln genießen
Dein vaterländisch deutsches Mark.
So, während wir an fremdem Strande
Mit Tränen unsre Aussaat weihn,
O möge so im Vaterlande
Der Freiheit teure Frucht gedeihn!

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TextGrid Repository (2012). Prutz, Robert Eduard. Gedichte. Gedichte. Die erste Saat. Die erste Saat. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8A67-4