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Johannes Proelß
Katastrophen
Poetische Bilder aus unserer Zeit

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Zum Geleit.


Ein Märchen leitet die kleinen poetischen Erzählungen ein, die ich in diesem Buche zusammenstelle, und die sich als poetische Bilder aus unserer Zeit, als realistische Darstellungen des modernen Lebens geben. Dieselben entstanden sämmtlich unter dem Eindruck gewaltiger, herzerschütternder Unglücksfälle, denen manches kraftvolle Menschendasein zum Opfer fiel: sie schildern allgemein betrauerte Katastrophen im Leben der Natur und der Gesellschaft im Zusammenhang mit Konflikten der Herzen und der Gemüther, welche über die verheerende [7]Wirkung der ersteren den verklärenden Schimmer der Versöhnung breiten. So blüht aus der Asche einst kraftvoller Bäume die duftige Blume des Waldes.

Das Märchen »Hans im Glück« dagegen erstand im Gemüthe des Autors zu einer Zeit seligen Glücks, die vom frischen Hauche des Frühlings, der in der Natur wie in seinem Herzen fröhliche Ostern hielt, durchweht war.

Der Sinn des Märchens aber ist der: wahrhaft glücklich auf Erden ist allein der Mensch, dessen Auge geschärft ist für die Schönheiten der Welt außer ihm, dessen Ohr im Stande ist, den harmonischen Akkord zu erfassen, welcher auch für die Dissonanzen des Daseins besteht. Ihm ist die Erde weder die schlechteste der Welten, noch die denkbar beste, aber der vorhandene Ausgleich zwischen Gut und Schlimm, Schön und Häßlich versöhnt ihn immer aufs neue mit den Schattenseiten des Lebens. Wessen Seele dieses Glück birgt, dem genügt es aber auch nicht, sich seiner in selbstsüchtigem Behagen zu erfreuen, der fühlt sich auch angetrieben, die von ihm empfundene Harmonie zwischen sich und der Welt anderen zu [8]verkünden als ein Apostel der Liebe zum Leben, als ein Gegner seiner Verächter. Dieses Glücksempfinden und seine Verkündigung ist Poesie. Unser »Hans im Glück« ist solch ein Glücklicher: Nur als Ahnung regt in dem Knaben sich Anfangs das poetische Drängen. Aber die Mauern der Schule versperren ihm den Weg zur Erkenntniß, die ihm das Wesen seines Berufs offenbart. Nur tastend findet er den rechten Pfad. Er empfindet die Poesie vergangener Zeiten und fremder Sinnesgenossen; er glaubt sie für sich zu gewinnen durch das Studium abstrakter Regeln, nach denen das Schöne sich bilde, aber erst der Genuß des eigenen Lebens, die Empfindung seines Zusammenhangs mit der Natur und seinen Mitmenschen, das Glück der Liebe und der freien Lebensbestimmung lösen seiner Seele die Zunge… Es ist der Entwicklungsgang des modernen Dichters. Uns Söhne der Gegenwart nimmt die Schule und deren scholastischer Vergangenheitskultus frühe in ihre beengende Zucht. Auf dem Umweg durch die Welt fremder Geisteswerke, durch die dürre Haide der abstrakten Theorie gelangen wir erst auf die fette grüne Weide des [9]Lebens… Wohl dem, dessen Sinn darüber nicht jene Frische des Blicks, jene Feinheit des Gehörs für die unmittelbare Poesie des eigenen Daseins verliert!

Die folgenden kleinen Beiträge zur Poesie der Gegenwart sind von ihrem Autor geistig empfangen worden mitten in dem lauten, dissonanzenreichen Getümmel, das der Zusammenprall der öffentlichen Meinungen, Forderungen und Klagen in dem Redaktionsbureau einer großen Zeitung erzeugt. Während er die herzerschütternden Berichte über den furchtbaren Brand des Ringtheaters zusammenstellte, stieg vor seiner Seele das kleine Lebensbild auf, welches dieser verheerenden Katastrophe eine versöhnende Seite abgewinnt. Während er die Einzelheiten der letzten großen finanziellen Krise in Paris für feine publizistischen Berufszwecke studirte, entstand »Lili«, eine Erzählung, welche für die Katastrophe des plötzlichen Vermögensverlustes ein harmonisch ausklingendes Gegenbild bietet. Das große nationale Unglück der letzten Rheinüberschwemmung regte ihn zur Gestaltung der Hochflutgeschichte an, die »zwischen Himmel und Wasser« den Sonnenschein der Poesie [10]verklärend fallen läßt und der zerstörenden Elementargewalt der Natur die siegreiche Ueberlegenheit der Kultur gegenüberstellt.

Der Dichter will sein Recht. Der Publizist stellt das Unglück dar in seiner ganzen schreckensvollen Größe, auf daß praktisch gegen seine Folgen und seine Wiederkehr angekämpft werde; der Dichter aber wird gerade auch hier seine Wünschelruthe benutzen, die ihm selbst da, wo Jammer und Elend herrschen, das Vorhandensein einer besonderen Glücksquelle zu verrathen vermag; er wird gerade auch hier dem Gedanken der Versöhnung zum Triumph verhelfen. Denn selbst dort, wo der Tod sein grausames Tagewerk verrichtete, kann sein Auge die Blume des Trostes emporblühen sehen.

Dieses Amt des Versöhners ist nicht die einzige Mission, welche der Dichter auf Erden hat. Er kennt noch eine höhere, die im Gegensatz zu jener, die gedankenlose Zufriedenheit mit den Zuständen der Welt aufrüttelt aus ihrem Stumpfsinn und der Menschheit Ideale vorführt, die erstrebt werden können und sollen zum Heile der Gesammtheit der Menschen. Aber schon diese [11]eine Mission macht den Beruf des Dichters zu einem innigst beglückenden, zu einem der Welt unentbehrlichen. Denn was ist ohne den Glauben an die Möglichkeit eines Glückes auf Erden, ohne die Liebe des Einzelnen zum Leben alles Mühen um den Fortschritt und die Vervollkommnung der allgemeinen Zustände? Wer kämpft muthig, wenn ihm das Dasein nichts werth ist? —


Frankfurt a. M., 15. April 1883.

Johannes Proelß.

Hans im Glück.
Ein Frühlingsmärchen

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Er war ein schmucker Klosterschüler und seine Kameraden nannten ihn »Hans im Glück«. Sein eigener Name lautete zwar ganz anders und vom Glück der Welt hatte er bisher wenig erfahren. Vielmehr war das Schicksal schon recht bös mit ihm umgegangen; es hatte ihn, den jüngsten Sohn eines ritterbürtigen Hauses, rücksichtslos zur Klerikerlaufbahn verdammt, obgleich sein thatenmuthiger, lebensdurstiger Sinn nach ganz anderen Dingen stand. Und auch nachdem das Schicksal in so wichtiger Sache gar widrig gesinnt sich erwiesen, hatte es nachträglich noch oft den flotten Jungen recht unfreundlich am krausen Gelock gezaust, denn [3]er war jähen Sinnes und mußte dies öfters büßen. Also bei Lichte betrachtet, hatte unser Hans im Glück – Pech, aber dies stand ja auch nicht im Widerspruch mit dem Märchen, nach dessen Helden die eifrigen Lateinschüler der Benediktinerabtei ihren frohherzigen Gefährten nannten. Wie dieser hatte er zwar nie einen gewichtigen Goldklumpen erhalten und somit auch nie einen solchen mit einem Gaul umtauschen können, und diesen mit einer Kuh, einem Schwein, einer Gans, einem Wetzstein, der schließlich in den Ziehbrunnen fällt. Wohl aber hatte er wie dieser einen echten Goldschatz im Herzen, ein zufrieden Gemüth, das sich schnell mit jeder neuen Lage des Lebens versöhnt und auf deren gute Seiten den Blick gerichtet hält, das lächelnd einen Verlust hinnimmt, weil es weiß, daß damit auch eine Last von der Seele genommen. Er war einer jener fröhlichen Gesellen, denen die Welt so schön erscheint, die Sonne so hell erglänzt, der Duft der Blumen so süß ist, daß sie auch mit batzenleerer Tasche, wie jener Hans im Glück des Märchens rufen können: So glücklich wie ich bin, gibt es keinen Menschen unter der Sonne.

Auch heute war er nicht trüben Sinnes, obgleich er wahrlich Ursache dazu hatte. Denn fällt es dem jungen Blute schon an und für sich schwer, [4]lange stille zu sitzen, so pflegen Schloß und Riegel diesen Zwang zur Qual zu steigern. Und heute war Hans im Glück in Arrest. War da des Morgens ein vornehmer Jungherr auf den Klosterhof geritten gekommen, um bei seinem Ohm, dem hochwürdigen Herrn Abt, Einkehr zu halten. Es war gerade Freistunde und der seines Reiters ledige Rappe reizte bald die Neugier der unternehmenden Klosterschüler. Hans hatte eine passende Gelegenheit wahrgenommen, sich in den Sattel des stolzen Hengstes geschwungen und festen Griffes das Roß zu allerhand kühnen Reiterkünsten genöthigt. Unter dem Jubel der Kameraden war er in den Klosterhof gesprengt und hatte auf den zierlich gewundenen Kieswegen seine ritterlichen Uebungen fortgesetzt. Inzwischen war der stolze Herrensohn zurückgekehrt, begleitet von seinem hohen Verwandten. Er vermißt sein Pferd; man ruft, man sucht danach — die Freude des jungen Volkes findet ein jähes Ende und ihr Held bekommt zunächst in einem der düsteren Bibliothekzimmer Muße, über die Wahrheit nachzudenken, daß wer zu hoch steigt, auch leicht fällt. Doch ihn focht dies wenig an. Sein Auge blieb hell und klar und weidete sich an dem funkelnden Spiel der goldig glänzenden Staubkörnchen, das ein breiter Sonnenstreif, der durch [5]die grünen Butzenscheiben fiel, sichtbar machte. Der hoffnungerweckende Sonnenstrahl fiel auch auf eine Flucht schön vergoldeter Bücherrücken auf einem der Regale und bei deren Anblick verschwand erst recht jede Spur von Sorge und Kummer auf des Jünglings Gesicht. Das waren ja seine Freunde, die so oft heimlich durchstudirten Folianten: da das »große Heldenbuch«, daneben das »kleine«, hier das Lied Gutrun und da eine saubere Handschrift von Minneliedern, deren melodischer Klang schon mehr als einmal sein Herz berauscht und von denen er so manches auswendig wußte. Das war seine Lieblingslektüre; so ein Sänger zu werden, ein Freund, ein Liebling von Vornehm und Gering, von Frauen und Jungfrauen um seiner Lieder willen, dünkte ihm noch begehrenswerther, als Heldenruhm und der Preis des Siegers im Buhurt. So saß er versunken in die Welt einer ihm aus der Vergangenheit lockend entgegendämmernden Poesie und las und las, nicht merkend, daß der Sonnenstrahl allmählich der Dämmerung wich, ja einmal — zweimal gar überhörend, daß dicht vor ihm am Fenster leise geklopft ward.

Ein Freund hatte nicht ohne Gefahr die Höhe gewonnen, um ihm mitzutheilen, daß der Abt aufs höchste über seinen Streich, den er als [6]persönliche Beleidigung aufgenommen, empört sei, und ihm diesmal gar schwere Strafe drohe.

Mitten in seinem Traume von Heldenruhm und Dichterglück gestört, achtete Hans nur wenig der Warnung. Er dankte, nahm Abschied, empfahl dem Freunde herzliche Grüße an die Kameraden. Allein gelassen, suchte er dann weiter zu lesen; doch die Finsterniß wehrte es ihm. Alte Pläne von Flucht und abenteuerlicher Fahrt wurden in seiner Seele wieder lebendig. So träumte er vor sich hin.

Es war Mitternacht vorüber, da beleuchtete der Mond eine schlanke Jünglingsgestalt, die sich gewandt dem Fensterrahmen der Bibliothek enthob, dann sacht herniederglitt, leise über den Hof schlich, die Mauer hinanklomm und — ein Sprung: der Klosterhof umschloß eine freie Seele weniger. Allein, ohne Lebensplan, ohne Mittel und Kenntniß des Weges schritt Hans seinen Pfad immer dem Mondlicht entgegen und doch — in seiner Seele jauchzten Wonnemelodien. Wohl hatte er allen sicheren Besitz seines Lebens eingetauscht um wilde Ungewißheit; er aber war und blieb doch — Hans im Glück.

Es war heller Morgen, als er mitten im Wald einem Reiter begegnete. Es schien ein vornehmer Herr zu sein, sein Roß war wohl gerüstet [7]und auch die Kleidung zeugte vom edlen Stande des Mannes. Aber ein Kriegsmann war er nicht; der weiße Bart, die hohe Stirn gaben der hageren Gestalt den Charakter eines Gelehrten.

»Wo hinaus, junger Gesell?« hörte sich Hans angeredet.

»In die weite Welt«, gab dieser zurück.

Der Alte lächelte und sagte: »Das ist aber sehr weit, junger Freund. Habt Ihr kein näheres Ziel?«

»Nicht, daß es mir bekannt wäre. Doch vertrau’ ich dem Glücke, das wird mich schon führen.«

»Ihr habt ein gutes Vertrauen. Wenn es aber nicht Stich hält.«

»Ich kann warten. Einmal wird sich’s schon belohnt finden.«

Der Alte lächelte von neuem. »Wißt, Gesell, Ihr gefallt mir. Vielleicht hat das Glück bereits seine Hand im Spiel gehabt, als wir uns begegnen mußten. Sagt einmal, was wollt Ihr denn am liebsten werden.«

»Ein fahrender Sänger«, war Hansens schnelle Antwort. »Wißt Ihr etwa einen Meister, der mich in der Kunst unterweisen kann.«

»Ob ich den weiß«, sagte der Alte und strich [8]sich über den weißen Bart. »Bin ich doch selbst ein solcher, dazu kundig geheimer Wissenschaft. Könnt Ihr schreiben?«

»Das will ich meinen. Gothisch, arabisch und griechisch. Komme ja direkt von der Schule.«

»Das ist gut. So ist Euer Glück gemacht, wenn Ihr nur als mein Schreibergesell mit mir gehen und mir helfen wollt bei meiner Arbeit. Auf drei Jahre seid der meine. Dann geb’ ich Euch frei. Ich brauch’ eine glückliche Hand; die habt Ihr, wie ich merke; ich will sie hoch schätzen. Mit reichem Lohn sollt Ihr dann von mir ziehen.«

Hans wars zufrieden und schloß sich dem einsamen Reiter an. Sie bogen seitwärts und bald öffnete sich eine breite Lichtung, an deren Ende ein stattliches Schloß erglänzte. Das war des Alten Wohnsitz. Staunenden Auges betrat Hans an der Seite seines Gönners die prächtigen Gemächer. Diener waren nicht sichtbar. Aber es war, als ob unsichtbare Geister dem Alten zur Verfügung ständen. An den Thüren berührte er nur einen kleinen Knopf; die Pforte sprang auf. Sie setzten sich in einem Gemach vor einen Tisch. Der Alte berührte auch hier eine Reihe von Knöpfen und die Tafel bedeckte sich mit Speisen und Getränken. Dann führte Doktor [9]Scholastikus — so nannte sich selbst der seltsame Wirth — unseren jungen Freund in sein Laboratorium. Die Wände waren mit Bücherreihen bedeckt, auf Tischen stand allerhand seltsam Geräth — Tiegel, Amphoren, Retorten — in einer Ecke erblickte Hans ein Gerippe und in der Mitte des Raumes brodelte ein Schmelzofen.

Zunächst wurde Hans angewiesen aus alten Folianten Abschriften von alchimistischen Recepten zu machen. Er schüttelte zwar den Kopf, inwiefern das alles mit der Poesie zu thun haben solle. Aber doch spannte das dunkle, geheimnißvolle Wesen sein Interesse. Er merkte bald, daß der Alte bestrebt war, den Stein der Weisen durch allerlei chemische Verbindungen künstlich herzustellen und wie der Weisheit war er auch der Schönheit auf der Spur. Wenn er beide Aufgaben gelöst hätte, würde er zugleich der weiseste Mann und der größte aller Künstler geworden sein. Die vielen hierzu nöthigen Studien brachte er nicht allein fertig. Deßhalb hatte er sich den sprachenkundigen Springinsfeld eingefangen. Der glaubte zwar anfangs nicht an die hohe Mission seines Meisters, aber er sah ein, daß er bei dieser Arbeit mancherlei lernen könne. Allmählich, nachdem er mehr und mehr in die Künste des Adepten eingeweiht worden, verlor sich jedoch auch seine [10]Seele in diese Welt voll dunkler Probleme und halbgelöster Räthsel. In einem Gemach neben seiner Arbeitsstube arbeitete der Alte mit Vorliebe. Hier durfte er ihn nicht stören. Das Betreten dieses Gemachs hatte er ihm streng untersagt. Denn hier sann und schuf der Meister ganz für sich, um das Wesen der Schönheit und damit aller Kunst und Poesie Seele auf künstliche Weise zu ergründen und darzustellen.

Einst hatte Hans bis tief in die Nacht vor seinen Retorten und Tiegeln gesessen. Er hatte am selben Tage eine Mischung gefunden, die genau erfüllte, was er aus einer dunklen Weisung des Nostradamus herausgedeutet. Lange hatte sein Blick das Flackern der Flamme verfolgt, unwillkürlich war seine Hand dabei einem Drücker neben dem Herde nahegekommen, den er ehedem nicht bemerkt hatte. Da gieng plötzlich die Thüre des Nebenzimmers auf, eine weiche Musik ertönte und jenseits der Schwelle erblickte er eine feenhaft schöne Mädchengestalt, die mit lockenden Mienen ihn grüßte. Da hielt es ihn nicht mehr zurück. Er eilte auf sie zu. Das lichtgoldne Haar glitzerte vor seinen Augen mit verwirrendem Glanze, die blauleuchtenden Blicke der Jungfrau schienen ihn zu umarmen; er breitete seine Arme aus, er riß das bezaubernde Geschöpf an sein [11]Herz; heiß inbrünstig suchte er ihre Lippen. Doch entsetzt fuhr er zurück. Kalt und hart war der Mund den er berührte; hart und wächsern der Leib den er umfaßt hielt; eine leblose Puppe lag in seinen Armen.

Gebrochen an allen Gliedern erhob er sich. Er warf die Thür entsetzt zu. Von Frost durchschüttelt taumelte er zurück zu seinem Schmelzofen. Die Flamme dünkte ihn zu schwach, er schürte sie, daß sie hell emporschlug. Der Feuerschein that ihm wohl. Doch merkte er nicht, wie derselbe den Kessel allmählich zum Glühen brachte. Der Boden ward röther und röther — und auf einmal dröhnte ein furchtbarer Knall durch’s Gemach. Eine Explosion war erfolgt. Die Scheiben der Fenster zersprangen, sie selbst flogen auf. Hans lag in tiefer Ohnmacht.

Als er aufwachte, fluthete der linde Hauch eines Frühlingsmorgens durch das Zimmer und fächelte seine Schläfe. Würziger Fliederduft mischte sich in das Grüßen und lauten Schalles tönte ihm durch die Stille entgegen das Lied der Nachtigall.

Er eilte an’s offene Fenster. Im Morgendämmerschein lag eine blühende Frühlingslandschaft vor ihm ausgebreitet. Wie eine Auferstehungsoffenbarung trat ihm die Natur in all [12]ihrer Schönheit und Frische entgegen. Er strich sich über die Schläfe. »Wie schön, wie schön!« rief er und athmete tief und durstig die klare, dufterfüllte Luft ein, als schlürfe er Nektar. Da drang lautes Schelten an sein Ohr. Doktor Scholastikus war im Nebenzimmer erschienen und bemerkte an seiner Schönheitspuppe die Spuren sträflicher Umarmung.

Doch nicht mit Schrecken, nur mit Ekel und Spott erfüllte der Lärm den jungen Gesellen. Wie hatte er nur so lange sein Leben in dieser Winternacht verträumen können. Was waren ihm jetzt die Schätze, die ihm der Alte in Aussicht gestellt. Er ließ sie hinter sich! Frohgemuth stieg er auf den Sims des Fensters — und eine Sekunde später lag Hans in Glück unten auf dem weichen Rasen, dem Frühling am Herzen.

Wie berauscht von all der Lebenswonne, die seine Adern durchschauerte, schritt er hin durch die Gänge des großen Gartens. Die Vergangenheit kam ihm vor wie ein wüster Traum, die Gegenwart hatte ihn neu geboren. Schöne Jahre seiner Jugend hatte er vergeudet an eitle Schemen, und der Poesie, der zu dienen sein Herz sich sehnte, war er inzwischen ferner gerückt, als in der Umfriedung der Klostermauern. Wo war sie zu finden? Nicht in Büchern, nicht in phantastisch [13]erfaßten Gesetzen der Natur, die diese doch nur entwürdigten, dessen war er sich jetzt klar! Der Natur? Ja, zu dieser, der reinen, großen, fühlte er sich gezogen mit magnetischer Gewalt!

So wogte es auf und nieder in seinem Herzen, während er unter dem schneeigen Gezweig eines blühenden Apfelbaumes sich gelagert hatte und in’s klare Blau des Himmels blickte. Der Baum erhob sich dicht bei dem Bretterzaun, der den Schloßgarten von der Außenwelt trennte. Hans lag mit dem Rücken gegen den Zaun und erst der feurige Streif, welcher von der aufgehenden Sonne über denselben hinweg in den Garten fiel, veranlaßte ihn, sich umzuwenden. Er fuhr mit der Hand über die Augen wie geblendet. Was war das? Das waren nicht Sonnenstrahlen, die ihn zwangen das Auge niederzuschlagen und gleich darauf wieder zu erheben! Diese Strahlen kamen aus Augen von klarem und doch feurigem Glanze, deren Blick freundlich auf ihn niedergerichtet war. Wie ein holder Genius der Natur erschien ihm das frische Mädchen, das, die halb entblößten Arme auf die Planke gestützt, nun ihr schwarzes Krausköpfchen vorbeugte und den sie grüßenden jungen Mann freundlich anlachte. Mit Staunen hörte sie von ihm, was der alte Schloßherr eigentlich [14]treibe und wie er selbst vor geraumer Zeit in dessen Dienste gerathen.

»Wißt Ihr auch Junker, daß man Euch das viele Studiren und Nachtwachen ansieht.« Sie sah ihm dabei tiefer ins Auge und beide wurden darüber roth. »Es war wohl höchste Zeit, daß Ihr dem bösen Manne Valet sagtet und zu uns kamet. Uns ist vor ein paar Wochen der Lehrer im Ort gestorben und ich will wetten, mein Vater, der Schulze, gibt Euch gerne die Stelle.«

»Ich aber wollte ein Spielmann werden.«

»Ei, das könnt Ihr auch bei uns. Den Liedersang lernt man am besten im Freien, in der Natur; darum sind auch die Vöglein in ihm solche Meister. Im Waldesrauschen, im Frühlingsgrün mag man das Dichten wohl besser lernen als da drin in den dunklen Stuben.

»Am besten aber,« rief Hans, »bei Dir — in den Armen der Liebe!« und er neigte sich über die Planke, umarmte die holde Maid und küßte sie beherzt auf den schwellenden Mund.

Im Nu war er drüben bei ihr. Sie küßten sich sorglos und sprachen einander von Liebe, ohne zu wissen, wie es gekommen, daß deren süßer Zauber so schnell sie gefangen genommen. So giengen sie Hand in Hand der majestätisch emporwachsenden Sonne entgegen. [15]Erst jetzt fragte sie den Freund nach seinem Namen.

»Sie nennen mich ›Hans im Glück‹. Aber erst von dieser Stunde an weiß ich, wie Recht sie haben.«

Dann saßen sie nieder unter einem blühenden Fliederbusch, dessen elastisches Gezweig lauschig sie umfieng. Sie frugen sich anfangs viel und gaben treulich Bescheid, schließlich war Frage und Antwort nur noch ein einziger Kuß.

In ihr Schweigen aber tönte festlich und fröhlich das Lied der gefiederten Sänger des Waldes und es war, als ob tausendstimmig es durch die Lüfte hallte: Nun bist Du’s wirklich! Heil, Heil, »Hans im Glück«!

An jenem Tage jedoch erstand in des Gesellen liebseligem Gemüth das erste wahrhaft eigene Lied. Lateinische Hexameter hatte er wohl früher mit Eifer geschmiedet, die neue Weise entstand mühelos, von innen heraus. Das Versmaß gab ihm weder Ovid noch ein deutscher Meister und den Text entnahm er keinem Rezept der Magie. Es kam aus dem Herzen, wie das Lenzentzücken und die Liebe über dasselbe gekommen. Es war das Walten der allmächtigen Natur.

Und ein Hans im Glück blieb er sein Lebelang. Nun ist er längst gestorben. Aber sein [16]Lied lebt noch heute und Knaben und Mädchen singen es, wenn sie am Frühlingsmorgen über den blumigen Anger durch die blaue Luft schreiten und heimlich träumen von dem wahren Glück des Lebens, von dem Geheimniß aller Poesie, der Liebe.

[17][18]

Durchs Fegefeuer zum Paradies.

[19][20]

Nochmals, ich bitte Dich, laß’ heute das Theater und bleibe daheim. Ich bin nicht wohl und die ganze Woche schon sind wir nicht zu Ruhe gekommen. Laß uns einmal den heutigen Abend in der eigenen Häuslichkeit verbringen.«

Kurt Fernau’s Stimme bringt die Bitte ruhigen Tones hervor, obgleich ein leises Zittern derselben auch die nur mühsam unterdrückte Erregung verräth.

»Du bist immer derselbe Griesgram und mußt mir alles verderben. Seit Tagen hab ich mich auf diese neue Operette gefreut und nun auf einmal, nur Deiner Grille zu lieb, soll ich daheim wie im Gefängniß bleiben. Ich will aber nicht.« [21]»Nun, wenn Dir unser Heim wie ein Gefängniß vorkommt, gut, so geh’, ich halte Dich nicht.«

Die junge, nicht geradezu auffallend, aber doch ein wenig kokett gekleidete Frau streift ein zorniger Blick des ungeduldig auf- und niederschreitenden Gatten, der, eben beim Kamin angelangt, seine nur halb gerauchte Zigarre in die glimmenden Kohlen schleudert, daß die Funken emporsprühen.

»Ja, spiele nur den Beleidigten. Diesmal behalte ich meinen Kopf!« ruft dagegen die kleine Frau, indem sie sich vom Spiegel, vor dem sie sich eben einen Bund frischer Schneeglöckchen in die Haare gesteckt hat, lebhaft abwendet und, mit dem kleinen Stiefelchen aufstampfend, eine stolze Haltung annimmt. »Wozu soll ich bei Dir bleiben? Um Deine spitzen Vorwürfe anzuhören? Ja sieh’ mich nur immer an mit Deinen großen Augen. Es ist umsonst. Ich lasse mich nicht mehr tyrannisiren! … Wenn Dir meine Freude am Leben zuwider ist, so hättest Du das bedenken sollen, ehe Du mich zur Frau nahmst.«

Der Mann seufzt und sucht jetzt mit halb wehmüthigem Blick das Auge seiner Frau. »Emmy, Du frevelst…« – »Nein, Du frevelst an mir. Ich bin noch jung; ich habe ein Recht darauf, [22]das Leben zu genießen und will es. Mama sagt es auch. Ich will mir die Lust nicht verderben lassen durch Dein sauertöpfisch Gebahren. Ich bin es müde…, ja! – recht müde! … Und damit basta. Das Billet ist da; ich hab es angenommen, und daß ich’s benutze, bin ich schon der Tante schuldig! Adieu! …«

Wenige Wochen noch und das junge Paar hätte die Erinnerung an die Hochzeit zum dritten Male festlich begehen können. Aber die Stimmung ihrer Seelen dachte nicht an solche Feier der Herzen. Der Zauber, welcher die Liebenden damals berauscht und in Bann gehalten, als sie sich die Hand zum Bunde für’s Leben gegeben, war allzu früh für ihr Glück gewichen und Emmy und Kurt waren zwar noch ein junges Paar, aber halfen bereits die Menge der unglückliche Ehen vermehren. Und doch war er, wenn auch beträchtlich älter und gesetzter als die lebhafte Lebensgefährtin, ein liebenswürdiger, stattlicher Mann, wohl im Stande jedes Weib, das ihn liebte, zu beglücken. Und auch das überschäumende Temperament und der leichte Sinn des Wiener Kindes, das er an seine Seite gefesselt, war nur die Außenseite eines Innern, dem gefährlicher Leichtsinn fremd war und starke, innige Liebesempfindung eigenthümlich. Auch hatte sie beide aufrichtige [23]Neigung zusammengeführt und der Glaube, für einander bestimmt zu sein; nicht Spekulation. Und dennoch schienen die Gluten, die einst so hell emporgeflammt, erloschen. Die Sonne des Liebesfrühlings war jäh untergegangen und kalter Frost hatte die einst so glühende Wärme der Herzen vernichtet.

Kurt Fernau, ein talentvoller Musiker, war vor fünf Jahren nach Wien gekommen, wo er an einem der großen Concertinstitute der Donaustadt lohnende Anstellung gefunden. Er war Norddeutscher von Geburt und auch nach Bildung und Wesen. Wie aber das Fremdartige auf die meisten Naturen einen ganz besonderen Reiz ausübt, so hatte auch der Zauber des Wiener Lebens ihn überkommen wie eine holdselige, süß berauschende Offenbarung. Das bestrickende Lied der schönen, berückenden Sirene an der Donau bethörte auch ihn. Auch ihm wurde das Leben hier zu einem melodischen Reigen glänzend bunter Feste und die im Walzertakte das Leben genießenden Wiener fanden in ihm einen gar wackeren Kameraden. Doch auch ihm blieb die Abspannung, die den Fremden in Vindobona’s Rosengarten so leicht befällt, ähnlich der Wirkung allzu würziger Blumendüfte, nicht erspart. Der leichte Sinn der Bewohner erschien ihm bald haltlos und selbst das wechselreiche [24]Bacchanal ihrer Freuden schal und ermüdend. Die Gegenwart befriedigte ihn nicht mehr und er begann sich zu sehnen, zu sehnen nach ruhigem, dauerndem Glück. »Laß fahren dahin das allzu Flüchtige« – im schnell verfliegenden Rausch der Sinne hatte er diese Wahrheit erkannt und nun suchte er das Glück in Dauer, die Liebe in Ruh’. Doch in dem neuen Ideal wogte noch auf und nieder die Freude an der heiteren Auffassung des Lebens, die sonnige Heiterkeit, die seiner Seele bei seiner Herkunft nach Wien so wohl gethan. Nicht ganz wollte er sie missen, nur ruhig genießen, für sich, ohne Aufregung.

In dieser Stimmung hatte er Emmy kennen gelernt. Sie zählte damals noch nicht ganz neunzehn Jahre. In dem Feuerglanz ihrer dunklen Augen, in der sanften Glut ihres noch in der Knospe befindlichen Wesens glaubte er gefunden zu haben, was er suchte, eine Vermittlerin des Glücks, das sein Herz ersehnte. Sie war das Kind eines Beamten in der Provinz und lebte seit nahezu zwei Jahren unter der Obhut ihrer Tante in Wien, einer gutmüthigen alten Damen, die ihre helle Freude hatte an dem Goldkind, das ihr von den Eltern übergeben worden war, damit es in der Kaiserstadt seine hübsche musikalische Begabung ausbilde. Auf einem Ball, der zu [25]Ehren einer musikalischen Berühmtheit gehalten wurde, in dessen hellaufwirbelnder Luft Fernau der ganze Zwiespalt seines Innern klar ins Bewußtsein trat, war er ihr zuerst begegnet. Ihm war als habe ihm die Muse seines Lebens eine Erlöserin gesendet. Die Wonne darob gab seiner Werbung jene Bestimmtheit und Kraft, denen der Erfolg selten versagt bleibt und wie im flüchtigen Begegnen der Augen sich die Seelen gefunden, so genügte ein bald sich darbietender Augenblick zum Bunde derselben für ewig. Hindernisse standen den Liebenden nicht im Wege und bald war auch der Bund vor dem Altare besiegelt.

Die volle Flut des Glücks nahm das gemeinsam bestiegene Lebensschiff der jungen Eheleute zunächst auf seine fröhlich aufschäumenden Wellen. Wohl trat bald die Verschiedenheit der beiden Naturen an tausend Punkten hervor, aber die Wahrnehmung erhöhte nur den Reiz des Lebens, erweiterte den Kreis der gemeinsamen Freuden. Die Macht der Wahlverwandtschaft entgegengesetzter Elemente schien sich wieder einmal siegreich bewähren zu wollen. Das gieng – bis nach dem ersten Rausch der Flitterwochen, nach der an Eindrücken wie an innerem Glück überreichen Hochzeitsreise und den geselligen Zerstreuungen, welche die Heimgekehrten begrüßten, bei Fernau das Bedürfniß [26]nach stillem Familienglück täglich stärker sich geltend machte und die naive Genußsucht der jungen Gattin mit allerhand Bedenken kreuzte. Was die Liebe anfangs immer wieder heilte, zerstörte jedoch der Einfluß der Tante, die, eine echte Wienerin, ihren Liebling in nichts verkürzt sehen wollte. Ihr hatte das ruhige Wesen Fernau’s von vornherein nicht so recht gefallen. Als sie aber wahrnahm, wie an dem Mann ihres lieben Miezerl täglich mehr hervortrat, daß er von Grund seines Wesens ein rechter Stubenhocker und Häferlgucker, hatte sie es für Pflicht gehalten, einen geheimen Krieg gegen ihn zu eröffnen, der zum Zweck hatte, dem überhäuslichen Schwiegersohne seine Pflicht ins Gedächtniß zu rufen, für das Vergnügen seines jungen Weibes zu sorgen. Wie so oft im Leben säte ihre falsch geleitete Liebe nur Unheil. Was im Grunde nur Einflüsterung der Tante war, nahm Fernau als Offenbarung des innersten Wesens seiner kleinen Frau; der Wahn befiel ihn, er habe sich völlig in ihr getäuscht, und damit der Glaube, strenges Auftreten könne allein vom gesunden Kern ihres Wesens noch retten, was zu retten sei.

Doch auch diese Pädagogik konnte sich keines erquicklichen Resultates erfreuen. Emmy fühlte sich von ihrem Gatten falsch verstanden und ungerecht [27]behandelt und hin und wieder mit Recht. Denn sie durfte oft für Laune und Hypochondrie halten, was thatsächlich auf seiner Seite nur ein verfehlter Versuch war, den noch wenig häuslichen Sinn seiner jungen Lebensgefährtin der eigenen Sinnesart anzupassen. Er umgekehrt nahm dieses und jenes durchaus berechtigte Aufflackern einer natürlichen, die Schranken des Sittlichen achtenden Lebenslust für bedenkliche Zeichen eines unausrottbaren Flattersinns, eines schmählichen Mangels an Liebe.

Mit besonders einschneidender Schärfe war der Zwiespalt zwischen den beiden Gatten aber erst in den letzten Wochen hervorgetreten. Der Besuch von Emmy’s Mutter hatte statt der erwünschten Gemüthlichkeit eine Reihe aufgeregter Tage gebracht, deren Festlichkeit aus Zerstreuungen und Vergnügungen bestand, an denen Fernau nur die Unbequemlichkeit verspürte. Und der Einfluß der Tante brachte es schon am ersten Tage dahin, daß für Fernau das viel bezweifelte Märchen von der bösen Schwiegermutter zur unerquicklichen Wirklichkeit wurde. Auch die Mutter der Frau versuchte nun an ihm herum zu doktern. Oft gab ein Wort das andere, aber im Geräusch der gastlichen Zusammenkünfte bei Verwandten und Freunden konnte die Verstimmung nicht zu [28]einem vollen Ausbruch kommen. Nun war – endlich, so meinte Kurt – der Besuch wieder von dannen gereist. Der geplagte Ehemann athmete auf, und er holte tief Athem, um seinen Zorn in wenig Worten auf das Haupt der Gattin zu entladen. Natürlich blieben auch unzarte Bemerkungen auf die Mutter Emmy’s nicht aus, die diese beleidigen mußten und welche sie nicht unerwidert ließ. Schon einmal hatte er eine Berufung auf die Meinung der Mutter brüsk mit der Bemerkung erwidert, er hindere sie nicht, bei dieser sich Trost zu suchen.

So stand es am heutigen Tage. Die katholische Bevölkerung feierte Mariä Empfängniß; in dem Modetheater der Saison, dem glänzend ausgestatteten Ringtheater, war eine neue Operette, ein hinterlassenes Werk Offenbach’s, angesetzt und die Tante hatte ihrem Liebling ein Billet zu verschaffen gewußt. Emmy hatte unterlassen, rechtzeitig ihrem Manne von ihrem Vorhaben etwas zu sagen, und so traf er sie am Nachmittag bei seiner Nachhausekunft vor dem Spiegel in voller Toilette, wie wir Eingangs sahen, beschäftigt, die letzte Hand an dieselbe zu legen.

Auf das verletzend genug hervorgestoßene »Adieu!« der Frau wußte sich Kurt nicht mehr zu halten. Mit hastigem Schritt vertrat er ihr [29]den Weg und mit der Linken die Klinke der Thüre ergreifend, faßte er mit der Rechten die ausgestreckte Hand der Frau…: »Hier bleibst Du…«, raunte er ihr mit von Erregung verschleierter Stimme zu. »In der That – Du hast Recht: es ist genug! Und eh’ Du gehst, sei das entscheidende Wort gesprochen. Dein ganzes Benehmen sagt mir’s: Wir passen nicht zu einander. Der Augenblick ist zu ernst, als daß ich nur Dir die Schuld daran zuschieben möchte. Aber das Eine höre: Geh’ ins Ringtheater – nur zu, ergötze Dich an der bunten Komödie – Du kannst’s ja! Geh’ wohin Du willst und amüsir’ Dich von Herzen. Aber dann geh’ auch Zu Deiner verehrten Frau Tante, betrachte deren Häuslichkeit als die Deine. Dort wirst Du ja glücklich sein… Und nun sage auch ich: Adieu! – Leb’ wohl.« Seine Stimme war während dieser Worte fester, seine Sprache abwägend geworden. Jetzt ließ er die Hand seiner Frau los, sah sie noch einmal forschend an, als wolle er ihr das Innere ergründen, und gieng dann gemessenen Schrittes aus dem Zimmer in sein Privatbureau. Emmy aber, die einen Augenblick verdutzt drein gesehen, schüttelte ihr Köpfchen, wie um unwillkommene Sorgen abzuschütteln, versuchte eine Strophe aus Strauß’ »Fledermaus« zu trällern, die freilich [30]auf den Lippen erstarb, schloß diese dann mit dem Ausdruck des Trotzes, sah nach der Uhr und verließ ohne weiteres Zögern Wohnung und Haus…

Das Haupt auf die Hände gestützt, saß Kurt vor seinem Clavier. Seine Züge waren gespannt und starr, doch im Auge schimmerte ein feuchter Tropfen. Er hatte erwartet, Emmy würde Reue bekommen, aber er hatte vergeblich geharrt. Jetzt mußte die Vorstellung von »Hofmann’s Erzählungen« bereits begonnen haben. Da schreckt ihn aus seinem düsteren Grübeln dumpfer Lärm auf. Auf den weißen Tasten vor ihm spiegelt sich eine helle Röthe… Die Dezembersonne war doch längst untergegangen, er blickt auf und eilt ans Fenster. Der Himmel ist blutigroth. Eine Feuersbrunst… sie muß mitten in der Stadt sein… Unbestimmte Ahnung treibt ihn hinunter. Seine Straße ist leer, die nächste auch. Endlich stößt er auf einen Dienstmann. »Wo brennt’s?« ruft er diesem zu. »’s ist kaum glaublich Herr,« giebt der zurück, »sie sag’n, das ganze Ringtheater ständ’ in Flammen.« – »Wie Mann! Besinnt Euch! Welches Theater,« schreit Fernau entsetzt. – »Das Ringtheater ! Freilich. Das wird a böse G’schichtn geben.« [31]Wie von tausend Dämonen verfolgt, die ihm markverzehrende Worte ins Ohr zischeln, eilt nun Fernau die Straßen hinunter. Er trifft einen Fiaker: »Schnell zum Ringtheater!« – Der Wagen saust dahin, als wüßte der Kutscher, was der Arme da drinnen dort sucht. Doch bald stockt die Fahrt. Dichtes Menschengewühl hält den Wagen auf. Leichenblaß entsteigt ihm Fernau, und wie trunken strauchelt er, denn dort vor sich sieht er das Funkenmeer stieben, den flammendurchglühten Rauch schwelen und lohen, dort vom Theater, das seine Frau, seine kleine, unbedachtsame, sorglose, und doch so liebe, einst so zärtlich geliebte Frau vor wenigen Minuten betreten.

»Sind die Besucher gerettet?« stammelt er und fürchtet sich fast, die Frage an einen der Umstehenden zu richten. »Soll wohl sein! hört’s eben einen Schutzmann behaupten.« – »Unsinn, Unsinn,« sagt dagegen ein hoher, vierschrötiger Herr daneben. »Nichts ist gerettet, und drinnen waren genug als das Feuer ausbrach. War ja da als die Geschichte begann!«

Fernau steht einen Moment wie vom Donner gerührt. Dann rafft er sich empor und kennt nur ein Ziel: das Theater selbst. Er braucht Riesenkräfte. Die Menge umstaut das Theater. Endlich ist er am Ziel. Er hat den Ring erreicht, [32]welchen die Schutzmannschaft um den Platz vor dem Theater bildet. Nun durchbricht er auch den. »Halt mein Herr!« herrscht ihn einer der Wächter an. »Mein Gott, lassen Sie mich! Meine Frau ist drinnen im Theater!« – »Sie irren, Alles, was drinnen war, ist gerettet! Beruhigen Sie sich. Zurück, treten Sie zurück!« Fernau weicht der Macht. Aber er eilt einer anderen, schwächer mit Schutzleuten besetzten Stelle zu und sucht Eingang zu gewinnen. Doch nur mit demselben Erfolg. Dabei prasselt’s, zischt’s und lärmt es von anfahrenden Spritzen, von plätschernden Wasserstrahlen, von aufgeregt hervorgebrachten Kommandoworten, dazwischen tönen Wehelaute aus dem Publikum, ängstliches Hilfeverlangen, wüthende Anklagen. Alle diese Eindrücke stürmen mit betäubender Wirkung auf den Aermsten ein, der für einen Moment gebrochen dasteht, während sein Auge in die grelle Glut starrt, welche den Platz gräßlich erhellt.

Da stürzt ein Herr, rauchgeschwärzt, aus einem der Thore, in seinem Antlitz den Ausdruck des höchsten Schreckens. Zufällig nimmt er den Weg auf jene Gruppe, zu der Fernau gehört. »Sind noch Menschen drinnen«, ruft der Erste ihm bebend entgegen. »Freilich… Oben… Rettet!« stößt der Entkommene hervor. Die [33]Nachricht verbreitet sich schnell, und gellend wie Wuthgeheul wird der Ruf nach Rettung wiederholt, während die Beamten bei ihren falschen Trostsprüchlein kaum zu beharren vermögen.

Jetzt entsteht plötzlich Stille, sie dauert einige Sekunden und dann erschüttert ein lauter Aufschrei die Luft. Ist’s Staunen, ist’s Drohung oder Klagelaut? Es ist die schreckliche Gewißheit, daß der unselige Brand wirklich auch Menschenleben in Gefahr gebracht hat. Der erste Todte war, entsetzlich verstümmelt und entstellt, herausgetragen worden. Vierzehn weitere Opfer folgen. Man trägt die Leichen nach dem Polizeigebäude. Alles drängt diesem Kondukte zu. Fernau jedoch steht still. Er will und kann nicht an das Gräßlichste glauben, seine Frau nicht suchen unter den Sterbenden. Sein Auge sieht an der reich dekorirten Front des brennenden Prachtgebäudes empor, es sucht die Fenster ab, ob sich an ihnen keine Spur von Geflüchteten zeige. Aber er sieht nur die Gestalten der Pompiers, die von außen auf den Simsen hinkriechen, um die Mündungen der Spritzenschläuche dem Feuerherd so nahe wie möglich zu bringen. Die Glut dort muß grenzenlos sein. Doch siehe – plötzlich erscheint eine ängstliche Gestalt auf dem Balkon und wieder und wieder eine. Aufs neue entsteht eine drückende Pause [34]schweigender Spannung. Und mit einem Klange, der fast Freude verwandt ist, ertönt der Ruf nach Leitern, Sprungtüchern, Tauen. Aber er verhallt ohne Wirkung. Von Rettungsapparaten ist noch nichts zur Stelle. Der Balkon füllt sich mehr und mehr. Der Hilferuf der vom Feuer Bedrängten dringt gellend von oben hernieder. Beim Feuerschein kann Fernau die einzelnen Gestalten erkennen. Angst entstellt Aller Züge Denn immer näher dringt zu ihnen das Krachen und Knistern von der Flammen schonungslosem Zerstörungswerk hinter ihnen. Wer weiß, wie lange dieser Standort noch ein Schutz ist…?

Fernau späht sich seine Augen aus – sucht und sucht. Da fährt er mit der Hand über die Stirn und benutzt sie als Schirm, um die Schärfe des Blicks zu erhöhen. Ist’s ein Traum? Kann es Wirklichkeit sein? Darf er das Wunder glauben? Ist die zarte Frauengestalt, die ihn hilfeflehend zu sich zu winken scheint, ist es – ja sie ist’s, seine Emmy!

Nun wird jede Sekunde zu einer Ewigkeit voll jubelnder Hoffnung, voll verzweifelnder Ungeduld. Die Augen suchen sich, haften in einander. Denn die Gluten des feindseligen, zerstörbaren Elements haben längst den Frost, der beider Herzen erstarrt hatte, geschmolzen, und neue Glut [35]voll zehrender, sorgender, quälender Sehnsucht fluthet auf und nieder in den Seelen der Gatten. Fernau hat kein Auge mehr für das, was um ihn her vorgeht. Er bemerkt nur mechanisch, daß einzelne der Männer, die auf das Sprungtuch nicht mehr warten wollen, direkt herunter springen, in die Menge, die ihrer mit offenen Armen harrt. Auch er streckt die Arme aus, voll Sehnsucht und bereit, sanft zu betten, wer dort von oben zu ihm den Sprung wage. Aber vergeblich, die junge Frau ist zu schwach für den Versuch. Wohl möchte auch sie. Da erleuchtet freudige Gewißheit den Blick. Die Zeit des Wartens ist vorüber. Die Sprungtücher sind angelangt, werden ausgebreitet. Erst werden sie von einigen Männern erprobt. Sie halten fest und tragen treu das kostbare Gut, das sich ihnen anvertraut. Und nun, ja, es ist Emmy, welche eben zwei freundliche Männer auf die Ballustrade heben. Es ist sein Lieb, was jetzt herniederspringt und das nun weinend und bebend sich in seine Arme schmiegt, stammelnd: »Da hast Du mich! Dein kleines Weib. Ganz und für immer.«

Dann schloß eine Ohnmacht ihre Lippen.

Ein grauenvoller Tag des Schreckens für Wien, für die Welt erreichte mit diesem 8.Dezember des Jahres 1881 sein Ende. Da ist kein Mensch, [36]der die Kunde von all den Schrecknissen, von den schweren, unerträglichen Prüfungen, die durch jenen gräßlichen Theaterbrand über Tausende verhängt wurden, nicht mit Trauer und Herzeleid gelesen hätte. Wohl kein Auge blieb trocken in dem sonst so lustigen Wien angesichts der furchtbaren Heimsuchung. Aber in den Thränen zweier Augenpaare mischt sich doch ein seliges Lächeln, wenn ihre Besitzer an die furchtbare Schreckensnacht denken und in inniger Umarmung tauschen sie trauliche Worte.

»Uns brachte sie doch Glück, die fürchterliche Nacht. Denn sie führte uns zum mildwarmen Lande des echten Liebesglücks – durch Frost und Gluten.«…

»Durch’s Fegefeuer zum Paradiese!«

[37][38]

Lili.

[39][40]

Das waren unbeständige Frühlingstage, die ich im Mai des Jahres 1873 in der Heimat antraf. Ich kam aus dem Süden, dem Land der Sonne und der Sorglosigkeit, daheim hiengen Wolken am Himmel, umlagerte die Sorge das Leben. Und doch war es Mai. Aber alle bösen Eigenschaften, welche der Volksmund dem oft so lieblichen April nachsagt, hatte diesmal der vielbelobte Wonnemond entfesselt und dabei herrschte sommerliche Schwüle, die sich dann und wann in Gewitterschauern über der blühenden, kaum zu frohem Dasein erwachten Erde entlud.

Eine Gewitterstimmung fand ich auch in den Kreisen meiner Bekannten und Freunde und [41]bald sollte ich erfahren, daß solche Schwüle auch im Leben der Gesellschaft gar oft Entladungen von vernichtender Wirkung zur Folge hat. Das Gewitter hieß Krisis des Geldmarktes. Das Spekulationsfieber hatte damals Menschen ergriffen, deren Gedanken- und Gesprächskreise sonst weitab von der Welt der Geldgeschäfte gelegen hatten, und mit aufgeregter Spannung verfolgte plötzlich der sonst so bedächtige Rentner das Steigen und Fallen der Course, die Erscheinungen und Bewegungen an der Börse, für die er vorher nur wenig Verständniß gehabt. Und in jenen Tagen war nur vom Sinken der Werthpapiere, nur von erschütternden Katastrophen an der Börse die Rede.

An dem Morgen, der mir heute mit greifbarer Lebendigkeit in der Erinnerung auftaucht, ließ freilich die Sonne und ihr lichtes Spiegelbild auf der Erde nichts von solchen Betrachtungen aufkommen. Wie die Jugend unter dem Gruß des Glücks, schnell und lebensfroh’, das momentan durch einen Mißerfolg gebeugte Haupt erhebt, so heben die Blätter und Blüten des Frühlings unter der Sonne erneutem Gruß duftiger und kräftiger denn vorher ihre zarten Spitzen und Häupter, als sie unter des Regens Druck und der Tropfen Last tiefgesenkt und niedergebeugt [42]wurden. Von den Stürmen der vergangenen Nacht wußte der helle Morgen nichts, der glitzernd im Sonnenlicht, über den Weinbergen und Obstgärten des Dresdner Villendorfes Loschwitz im Blau des Himmels sich wiegte. Daß am Abend vorher rauhes Wetter in den Laubkronen der Pfirsich- und Aprikosenplantagen rücksichtslos gehaust und gezaust, verrieth das rosafarbene Blütenmeer nicht, aus dessen schimmerndem Gewog die Paläste und Landhäuser, welche den anmuthigen Hügelkamm an der Elbe bedecken, malerisch hervorlugten. Was in den Kelchen der Blumen glänzte, ob es ein hängengebliebener Regentropfen von gestern oder nur perlender Morgenthau war, es wußte niemand zu sagen. Mir aber schien es Morgenthau zu sein, als ich durch die engen Bergpfade, welche die einzelnen Besitzungen trennen und verbinden, hinaufwanderte, vom Landungsplatze des Dampfschiffes, das mich nach kurzer Fahrt von Dresden heraus in diese Maienwelt gebracht hatte. Mir schien die Welt in Licht und Anmuth getaucht, als ich in das Gehege der reichen, glänzenden Besitzung eintrat, die mein Freund Erich Wollheim, wie er mir geschrieben, vor Jahresfrist hier erworben hatte und seitdem mit seinem jungen, damals ihm angetrauten Weibe bewohnte. [43]Und mir war, als hätte ich ein Eden betreten, an dessen Pforten Schutzengel Wache halten, damit die Sorge und die Noth nicht eindringen können, als ich durch die blühenden Laubgänge, an den duftenden Jasmin- und Hollunderbüschen vorbei schreitend, um eine Wendung biegend, vor ein Bild trat, das in jedem Zuge ein heiteres Daseinsglück in reichster Fülle wiederstrahlte. Von dem schloßähnlichen Bau zweigte sich rechts eine Terrasse ab, deren Gitterwerk ganz mit edlem Rebengerank umzogen war. Von dieser herab führte eine Freitreppe nach einem von Strauchwerk reich umsäumten Platz, in dessen Mitte ein Springbrunnen seinen Wasserstrahl in tausend glänzenden Tropfen in die sonnige Luft versprühte.

Auf der letzten der Stufen dieser Treppe aber stand eine lichte Gestalt, deren knospende Formen sich vom tiefblauen Hintergrund des Himmels wundervoll abhoben; eine junge vornehme Frau, ganz in Weiß gekleidet, dessen frischen Glanz der helle Ausputz nur erhöhte; ein zierliches Morgenhäubchen auf dem lockigen kindlichen Krauskopf, aus dessen Mienen die Freude lachte, als wäre die Trägerin der Genius der Freude selbst. Huldigte ihr nicht alles, was sie umgab? Die Natur selbst mit allen ihren Reizen; [44]der alte Gärtner, der ihr eben einen Strauß duftiger Moosrosen, offenbar das neueste seiner Zucht, überreichte, die schlanke Gesellschafterin, die eben davon eilte, um einen Auftrag auszuführen, Alles bis herab zu den beiden kleinen tollen Seidenspitzen, die in drolligen Sprüngen sie umspielten und ihre schwarzen koketten Näschen in den Falten der auf den Treppenstufen aufgebauschten Schleppe ihrer Gebieterin vergruben.

So trat mir die junge Frau des Hauses, die Gattin meines alten Freundes Wollheim, seine Lili, wie er sie in seinen Briefen mir genannt hatte, entgegen; mir noch unbekannt und doch erkannt, mir noch fremd und doch schon vertraut. Uns verband die Liebe zu Einem, zu Erich, ihrem Herzensschatz, meinem Jugendfreund. Er selbst war nicht anwesend, sondern schon zeitig in die Stadt gefahren. Natürlich galt unser Gespräch, ihr Geplauder ihm. Er hätte jetzt überhaupt viel in der Stadt zu thun, sagte sie, sie wisse freilich nicht was; aber wichtiges müsse es sein, sonst würde er sie nicht so oft und so lange – ganze Tage oft – sagte sie schmollend, allein lassen. Er habe sich an einem großen Bauunternehmen betheiligt, das sei alles, was sie wisse. Erich liebe es nicht, von Geschäften mit ihr zu sprechen. Und sie verstände wohl sicher nur wenig [45]davon. Im Grunde müsse sie sich auch freuen, daß ihr Mann eine Beschäftigung gefunden, die sein Inneres so in Anspruch nehme. Als er bei ihrer Verheirathung beschlossen habe, eine praktische Bethätigung seiner Kunst als Architekt zunächst ganz aufzugeben, um sich nur ganz ihr und seinen Studien im Hause zu widmen, da habe sie aufgejubelt und es sei so recht nach ihrem Wunsche gewesen. Dann aber habe sie oft recht drückend die Sorge empfunden, ob sie, ihre Unterhaltung, ihr geringes Wissen ausreichen könnten, ihm Ersatz für die reichen Eindrücke seines früheren Lebens, für den Verkehr mit Kunstgenossen, für den Reiz der Ausführung eigener Pläne zu bieten. Auch sei ihr im Hause fast nichts übrig geblieben, zu thun. Alles habe er, der Praktische, der Erfahrene, besorgt, bestellt, ausgeführt, auch im Hauswesen, in der Wirtschaft. Sie sei wohl manchmal da recht eifersüchtig auf ihr Ressort geworden, denn sie sei sich so überflüssig, so zwecklos neben ihm vorgekommen. Nur Schmuck, nur Zierrath. »Ja,« fuhr die kleine schmucke Hausfrau fort, indem sie mit naivem Stolz mit einem Schlüsselbund klirrte, welcher an altdeutschem Träger ihr vom Gürtel niederhieng, »das ist jetzt, wo Erich so oft abwesend, besser geworden und das ist auch ein Trost.« [46]Indem kam geräuschlos ein Diener über den Kiesweg in die geräumige Laube, in der wir uns niedergelassen. Schweigend servirte er die Bestandtheile eines einladenden Frühstücks. »Es ist gut, Anton«, sagte sie. »Hat der Herr Weisungen hinterlassen?« – Der Diener hatte eine ganze Liste von Aufträgen zu melden und zum Schluß den Gruß, daß er zu Tisch schwerlich zurückkommen werde. So gern er möchte, denn er erwarte Besuch – dabei nannte der Diener meinen Namen und gieng.

»So ist er nun. Bis zu den Arrangements der Küche reicht seine Sorge und dann kommt er selbst nicht zu Tisch. In der letzten Zeit ist er wirklich ein wenig zu viel vom Hause fort. Ueberhaupt« – und ein Schatten flog über die heiteren Züge – »er macht mir seit einigen Wochen rechte Sorge. So oft ist er zerstreut und bleibt abwesend, auch wenn er bei mir ist. Das war sonst nicht so. Auch sein Aussehen beunruhigt mich. Fast fürcht’ ich, daß er mir krank wird. Freilich will er nichts davon wissen; wie und wann ich auch frage, er weist alle meine Sorgen ab und lacht mich aus. Aber das Lachen kommt nicht aus dem Herzen. Ja, ja, so ganz wie Sie meinen, sind auch wir hier draußen vom Glück nicht bevorzugt und von der Sorge verschont. [47]Trotz des lichten Frühlingswetters ist mir jetzt manchmal recht trüb ums Herz… Sie haben meinen Mann noch nicht wiedergesehen?« Ich mußte es verneinen. Seit meiner Rückkunft hatt’ ich den Treuen von Angesicht noch nicht geschaut.

Erich Wollheim und ich waren Schulkameraden und als solche die besten Freunde gewesen. Verschiedenes Studium hatte dann unsere Wege getrennt; er war Architekt geworden, ich auf die Universität gegangen. Der Reichthum seines vor zwei Jahren verstorbenen Vaters, dessen einziger frühe verwöhnter Sohn er war, hatte ihm dann lange Reisen gestattet, in Frankreich, England, Italien; aber wiederholt waren wir uns auch in der Heimat wieder begegnet. Nach einigen erfolgreichen Versuchen, seine Kenntnisse und sein Talent praktisch zu verwerthen, hatte er vor Jahresfrist geheirathet und sich in die herrliche Villa in der Nähe seiner Vaterstadt mit seinem jungen Weibe eingesponnen wie in einem verwunschenen Schloß. Lili hatte schon seit längerer Zeit in seinen Briefen eine Rolle gespielt. Erst als eine ihn, den Verwöhnten, entzückende Badebekanntschaft, dann als Mittelpunkt seiner Zukunftspläne und dann eines Tages als seine Braut. Seitdem waren seine Korrespondenzen [48]sparsamer geworden; gleich nach meiner Ankunft in Dresden aber hatte ich seine dringende Einladung erhalten, ihn so bald als möglich auf seinem Landsitze zu besuchen.

Lili war das Kind eines bekannten Kunstgelehrten, der stets in der guten Gesellschaft gelebt, aber dafür und für die Erziehung seiner Kinder auch sein jährliches Einkommen hatte aufwenden müssen. So hatte sie eine Bildung, wie sie den Töchtern reicher Leute wird; als Erich die eben zur Waise Gewordene zu seiner Braut erkor, war sie jedoch mittellos. Das war ihm gerade recht. So konnte er der Geliebten alles sein; alles hatte sie von ihm zu empfangen, von seiner Liebe. Und er überschüttete das kindlich liebliche Geschöpf, das so in jeder Beziehung die Seine ward, mit Aufmerksamkeiten, mit Geschenken, mit Kostbarkeiten, deren Werth sie selbst kaum zu schätzen wußte. Das ersah ich schon aus diesem ersten Gespräch. Armuth, Entbehrung waren ihr fremd geblieben durch die frohe Wendung des Geschicks, die, als der Vater starb, ihr Wollheim an die Seite stellte. Sie kannte keine Bedürfnisse, die ihr nicht erfüllt worden wären, erst vom zärtlichen Vater, dann vom Bräutigam und Manne. Und so hatte die Welt wohl Recht, sie ein Glückskind zu nennen. [49]All’ dies überdachte ich, nachdem ich mich von der liebenswürdigen Wirthin verabschiedet hatte, auf der Rückfahrt nach Dresden, wo, wie mir Frau Lili versichert hatte, der Aufenthalt des Freundes beim Portier eines bestimmten Hotels leicht zu erfragen sein würde. In demselben pflegte er bei längerem Verweilen in der Stadt auch zu speisen. Ich sehnte mich, den Guten endlich zu treffen, nachdem wir uns in den Tagen seit meiner Rückkunft mehrmals verfehlt, wie auch heute. Umsomehr, als die Mittheilungen der kleinen Burgfee in ihrem Landidyll da draußen mir doch Sorgen um ihn rege gemacht hatten. Dennoch war der Nachmittag schon etwas vorgerückt, als ich dazu kam, das genannte Hotel aufzusuchen. Der Portier sagte, Herr Wollheim müsse jede Minute kommen. Es sei heute schon wiederholt nach ihm gefragt worden; er sei Mittags zur Table d’hote gekommen, aber gleich wieder davon geeilt, nachdem er eine inzwischen für ihn angelangte Depesche gelesen. Vier Uhr habe er als Zeit seiner Rückkehr angegeben. »Da schlägt es eben.«

Ich gieng vor die Thüre des Hotels, um zu warten. Eben kehre ich mich gegen ein Plakat, da biegt hastig ein Herr in das Portal ein, mich dabei unsanft berührend, »Pardon«, ich wende [50]mich. Ist er es wirklich? Ich traue meinen Augen nicht, als ich in das Gesicht mit den vertrauten lieben Zügen blicke, die so aufgeregt, so entstellt sind, daß ich sie nicht anzuerkennen wage. Aber er ist es doch – mein Freund Erich, wenn es auch nicht sein freundliches ruhiges Auge ist, was mit halb erschrecktem, halb ängstlichem Blick den meinen erwidert.

»Du, Du! Endlich!« stößt er kurz hervor. »Willkommen!« »Aber bitte eine Sekunde! Ich bin gleich zu Deiner Verfügung.« Er wendet sich zum Portier, der ihm eine Reihe von Briefschaften einhändigt. »Dies schickte soeben Ihr Bankier.« Erich legt alles Andere bei Seite und öffnet mit fieberhafter Spannung das Billet, nachdem er bei Seite getreten. Er liest, er stiert in das Blatt; er läßt es nicht sinken, sondern hält es starr vor sich, aber seine Hand zittert, seine Kniee wanken; ich stürze auf ihn zu. »Um Gotteswillen, was fehlt Dir?« Das erweckt ihn aus dem Seelenkampf, der offenbar ihn befallen. Ein gewaltsamer Ruck, er zerknittert das Papier und steckt es in die Tasche. »Es ist nichts, Freund. Gleich! Nur ein wenig Geduld«, sagt er leise und dann aufsehend und mir mit unsäglich wehmüthigem Blick ins Auge schauend: [51]»O, was hab’ ich gethan… Komm’ mit, Du sollst alles erfahren.«

Das schöne Frühlingswetter des Morgens war längst verzogen. Ein rauher Wind fegte durch die Straßen und trieb uns kalte Regenschauer ins Gesicht; Erich schritt stumm neben mir her. Lange wagte ich nicht, sein Schweigen zu stören, doch schließlich ertrug ich dies unheimliche Brüten nicht länger, ich rief ihn an und, um ihn auf heitere Gedanken zu bringen, begann ich von meinem Besuch in seiner Villa draußen zu erzählen, von dem Sonnenglanz umwobenen Idyll, dessen Zeuge ich heute morgen geworden, von seiner Frau!

»Mein Weib! O Gott. – Die Aermste. Ihr kann ich nicht mehr unters Auge treten. Wie soll sie, das Kind, mein Kleinod, den Schlag verwinden. O Freund, ich bin namenlos unglücklich!«

Nur allmählich erfuhr ich, was ihn betroffen. Wie er dazu gekommen, was ihn verleitet, sein ihm vom Vater in bester Ordnung hinterlassenes großes Vermögen in gewagten Spekulationen anzulegen, ich weiß es des Genauen nicht mehr. Hineingerissen in den Strudel, in das Fieber, das damals so manchen Edlen ergriffen, hatte ihn sein gutes Herz, das immer jedem begründeten [52]Appell an seine Freundschaft offen stand. Ein Akademiegenosse, Architekt wie er, der einst der Vertraute manches frohen Jugendstreiches gewesen, hatte dem Bankerott gegenüber gestanden, nachdem er, verlockt von der Gunst der Zeit, ganze Häuserreihen auf eigene Rechnung gebaut hatte, Mietskasernen, von denen er sich hohen Gewinn versprochen hatte, da ein Verkauf des ganzen Komplexes an eine Aktiengesellschaft in sicherer Aussicht stand. Allein seine Berechnungen liefen auf eine Täuschung hinaus, all sein Glück und sein Vermögen stand auf dem Spiel, die Rücksicht auf seine Kinder trieb ihn, alles zu versuchen, um einen Ausweg zu finden und er fand einen solchen in den Garantien und Anzahlungen, zu denen er seinen reichen Freund Wollheim zu bereden wußte. Dieser unbewandert in Geschäften dieser Art, überließ das Weitere seinen Bankiers und diese konnten der Versuchung nicht widerstehen, den naiven Kapitalisten, im gutem Glauben an den Erfolg ihrer Rathschläge, von einer Spekulation in die andere zu treiben. Nach und nach riß diesen die magnetische Macht des Spiels persönlich auf der beschrittenen Bahn weiter; um Verluste auszugleichen lud er sich neue Verpflichtungen auf, nahm Hypotheken auf seinen liegenden Besitz; [53]der Zusammensturz mehrerer großer Unternehmungen, an denen er hervorragend betheiligt, hatte heute den Bankerott seines Vermögens zur Wahrscheinlichkeit, zur Gewißheit gemacht! Das war die Ahnung, die ihn schon die Tage daher geängstigt und gequält; das war die innere Krankheit, die ihm sein junges Weib vom Antlitz abgelesen, ohne sie selbst zu verstehen; das war die Nachricht, die er vorhin empfangen hatte, ihn angrinsend aus den kahlen trockenen Lettern mit dem kalten Blick des Todes. – – –

Schon längst hatte ich den Freund von der Straße in ein behagliches Kneipzimmer gezogen, das wir allein innehatten; wir befanden uns in dem Hinterstübchen eines bekannten Weinrestaurants. Wie im Kreise bewegten sich die Gedanken und Bekenntnisse des schwer getroffenen Mannes: Anfang und Ende bildete stets seine Lili. Sich selbst traute er zu, den Schlag verwinden zu können, ja die Aussicht, nun gezwungen zu sein, fortan durch eigene Kraft, durch strenge Ausübung seines Berufs seinen Unterhalt zu suchen, hatte für ihn einen tröstenden Reiz. Aber wie sollte sie, die bisher nur durch das Leben getändelt, deren zarte Haut bisher nichts von der Rauheit des Lebens gefühlt, die er gehegt und gepflegt hatte wie eine Wolkenprinzessin, [54]wie sollte sie, seine duftige Maienrose, sich in die Härte des Schicksals, in ein Leben voller Entbehrungen, voller Mühe und Arbeit finden? Er lachte gellend auf. »So mußte es kommen. Ich war zu stolz, zu übermüthig geworden. Aber das die Strafe auch das unschuldige Kind treffen muß, das ist zu grausam. Ich bin nicht feig, Freund, Du weißt es. Aber heute, jetzt, überkommt es mich wie Feigheit, wie markdurchfröstelnde Furcht. Ich bin nicht im Stande, ihr unter die Augen zu treten. Lieber in den Tod – als mit ihr in das Elend.« Nach diesen Worten versank er in dumpfes Brüten, das er bald darauf wieder mit bebenden Anklagen gegen sich selbst unterbrach.

Immer hastiger, immer unruhiger sprach er, immer mehr entfärbten sich seine Wangen, trotzdem er von dem rothen Burgunder ein Glas nach dem anderen, ohne Bewußtsein davon, in hastigen Zügen leerte. Die Schwärze seines Haupthaares und Vollbartes, welche sein Gesicht umrahmten, erhöhte den Eindruck der Blässe, so daß ich eine ernstliche Erkrankung fürchten zu müssen glaubte und deshalb in ihn drang, doch zu versuchen, seiner fieberhaften Aufregung in etwas Meister zu werden, statt sie durch Selbstanklagen und fassungslose Unterwerfung unter [55]sein Geschick immer höher zu steigern. Ich hielt es für das Beste, mit ihm wieder die freie Luft aufzusuchen, damit diese und die Bewegung beitrage, ihn in etwas zu beruhigen.

Es war Abend geworden. Der Regen hatte aufgehört zu fallen; der bleigraue Wolkenhimmel war gelichtet, nur vereinzelt jagten weißschimmernde Wolkenfetzen am Monde vorüber. Unwillkürlich waren wir, ziellos durch die Straßen eilend, in die Nähe der Brühl’schen Terrasse gelangt und es überraschte mich selbst mit Grausen, als mir bewußt ward, daß neben mir der von tausend Seelenqualen gefolterte Freund von der Höhe derselben herab auf die Elbe starrte, deren freundliche Fluten ihn so oft nach dem lieblichen Heim seines Glückes getragen, welche er jetzt mied, wie eine Stätte des Grauens. Eben war der Mond wieder hervorgetreten, den auf einige Zeit eine an ihm vorbeisegelnde Wolke bedeckt hatte. Seine Strahlen spiegelten sich in der rauschenden Wasserflut unten, deren Anblick, deren heimliche Musik auf meinen stillen Nachbar offenbar eine mächtige Anziehungskraft ausübten. Unwillkürlich senkte sich sein Haupt über die Brüstung, tiefer und tiefer, als sehne er sich hinab in die kühle Tiefe, unterzutauchen in der Wogen Vergessenheit. Doch plötzlich richtete er [56]sein Antlitz wieder empor. Sein Blick folgte dem Flug der Wolken am Himmel, die, vom Schimmer des Mondlichtes durchleuchtet, über die Höhen von Loschwitz und Pillnitz ihre Bahn verfolgten. Von den Höhen der Rebengelände glänzten vereinzelte Lichter. Ich kannte sie alle die Häuser, deren Lage durch die kleinen glimmenden Lichtpunkte markirt wurde. Und ihm erst, dem Freund an meiner Seite, wie bekannt waren sie ihm. Jetzt aber sah er nur eines. Und wie er mir später gestand, war es ihm, als ob sich dies eine Licht, das aus seinem Hause zu ihm herübergrüßte, allmählich immer vergrößert habe, bis es anwuchs zur lodernden Flamme, zum mächtigen Brand, der alles, was sein war, verzehrte. Aber aus den Flammen heraus hörte er den Hilferuf einer Stimme, vernahm er den Ruf nach Rettung, rief ihn sein Weib. Da sei es mit magnetischer Gewalt über ihn gekommen: »Zu ihr! Mag alles zusammenstürzen, was dein, das höchste Glück bleibt dir bewahrt, wenn sie nur dir erhalten bleibt. Brecht zusammen, ihr Säulen und Thürme, lodert ihr Flammen, aber laßt mir, gebt mir mein Weib!«

Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust und im selben Moment fühlte ich seinen Arm krampfhaft in den meinen geschoben. Unsere [57]Blicke begegneten sich; in seinen großen glänzenden Augen schimmerten Thränen. »Ich bin bereit,« sagte er dann leise, »ich muß hinaus zu ihr und alles gestehen. Ich werde versuchen, ihr das Schreckliche mitzutheilen.«

Seine Thränen flossen reichlicher, als er mir das sagte, während ich ihn die breite Treppe der Brühl’schen Terrasse wieder herunterführte. Auf der letzten Stufe trat mir wie eine Vision das frühlingshafte Bild von heute morgen vor die Seele. Ein Schauder erfaßte mich. Der Kontrast dieses Morgens und dieses Abends, dieser freudeathmenden Frauengestalt und dem in sich gebrochenen Mann an meiner Seite war zu gewaltig.

»Nach Hause darfst Du jetzt nicht, Freund, Du bist zu aufgeregt, zu abgespannt. Ich bringe Dich in Dein Hotel. Deiner Frau ein kurzes Wort von Deiner Abhaltung zu telegraphiren, überlaß mir. Suche zu schlafen; und wenn das nicht geht, versuche Dich zu sammeln. Hast Du auch Dein Vermögen verloren, nicht hülfe- und aussichtslos stehst Du da. Deine Verbindungen werden Dir leicht ein lohnendes Arbeitsfeld öffnen. Und auch Deine Frau wird sich in das Unvermeidliche finden. Ich selbst will morgen früh hinaus zu ihr und sie vorbereiten auf die [58]schlimme Kunde. Wie manche Familie, mit der du befreundet, wird sich freuen, sie aufzunehmen, bis Du Deine neuen Verhältnisse geordnet hast. Ich habe das Vertrauen, daß sie sich gar nicht so schwer in diese finden wird.«

Erich war wie verändert. Seine Aufregung hatte sich gelegt. Mit einem weichen Klang in der Stimme, der dieser sonst fremd war, sagte er nach meinem letzten Worte leise vor sich hin: »Glaubst Du das wirklich? – Doch nein, Du irrst!« Dann schüttelten wir uns die Hände. Wir befanden uns vor dem Hotel. So schnell ließ er mich freilich nicht gehen. Er klammerte sich an meinen Vorsatz, seine Frau auf den Schlag vorbereiten zu wollen. Mit der Verabredung, daß ich das erste Schiff benutzen sollte, schieden wir endlich.

Wie verändert erschien mir die Welt, als ich am anderen Morgen den Loschwitzer Bergpfad hinanklomm, welchen ich gestern so fröhlich beschritten, daß mein Herz hätte mögen wettsingen mit der Lerche, die über mir im blauen Aether auf und nieder sich wiegte. Heute schien keine Sonne und grau war der Himmel, dem keine Lerche zuschwebte; gewitterschwül war die Luft, die mir fast den Athem benahm. Wie [59]kleinlaut betrat ich heute den Garten, aus dem mir gestern alle Wohlgerüche des Maien entgegengefluthet. Wie langsam und zaghaft schritt ich durch die Laubgänge, für deren reichen Blütenschmuck ich heute kein Auge hatte. Aber wie verändert fand ich auch die Herrin des schönen Landsitzes, die gestern alle Blumen des Gartens an heiterem Frühlingsreiz überstrahlt hatte. Sie war in der größten Unruhe. Sie kam mir, dem Gemeldeten, auf der Treppe entgegen mit herzlichem Gruß, aber auch mit der gleich darauf folgenden Frage: »Wo haben Sie meinen Mann?«

Es war mir unmöglich, unbefangen zu blicken, als ich erwiderte, daß er das erste Schiff versäumt habe, mit dem zweiten aber sicher nachkommen werde. Noch im letzten Moment habe sich ihm eine Abhaltung in den Weg gestellt. »Viele herzliche Grüße habe ich einstweilen auszurichten.« Dem sorgenvoll auf mich gerichteten Auge der in ihrer Sorge und Angst noch liebenswürdiger als gestern aussehenden kleinen Frau entgieng es nicht, daß dies nicht alles war, was ich ihr zu berichten hatte.

»Mein Gott,« rief sie, »sagen Sie mir alles! Erich ist doch nicht krank? Sie schauen drein wie ein Unglücksbote. Was ist ihm passirt? O quälen [60]Sie mich nicht. Bitte, seien Sie offen, ich ängstige mich ganz furchtbar. Trübe Ahnungen ließen mich die ganze Nacht kein Auge zuthun. Sie finden mich vorbereitet.«

Was sollte ich machen! Sie beruhigen, daß ich ihren Mann körperlich wohl verlassen, daß, was ich gesagt, die Wahrheit sei und sie ihn in einer Stunde frisch und gesund in die Arme schließen könnte. Für das Weitere fand ich noch keinen Muth.

»Gott sei Dank,« rief sie. »Wenn ich ihn nur gesund weiß, dann bin ich der Sorgen ledig. Sie glauben nicht, was ich heute Nacht ausgestanden. Ich sah ihn im Nachen auf der Elbe. Ich stand auf unserm Balkon und winkte ihm. Da erhob er sich und grüßte mich mit beiden Armen, plötzlich verlor er das Gleichgewicht, er strauchelte, fiel… doch es war ja ein Traum; er lebt mir ja, ist ja gesund! O, daß er schon da wäre!«

Ich erzählte, daß ich mit Erich gestern Abend zusammengewesen. Seine Geschäfte nähmen ihn in der That sehr in Anspruch und schienen ihm mancherlei Sorgen zu machen. Auch der Reiche müsse jetzt die Schwankungen an der Börse empfinden.

»O das dumme Geld!« rief Frau Lili dazwischen. [61]»Wissen Sie, daß ich mir manchmal wünsche, wir wären minder reich. Gerade heute Nacht mußte ich wieder diesen Gedanken nachhängen. Was hab’ ich hier draußen allein? Könnte ich meinem Mann nicht weit mehr sein, wenn wir uns zu theilen hätten in die Arbeit, die nöthig ist, um uns das Leben behaglich auszugestalten. Ist nicht der Mangel an Bedürfnissen, an Wünschen auch Armuth? Mich hat die Liebe meines Mannes mit ›Tischlein deck’ Dich‹ und ›Beuteln füll’ Dich‹ umgeben, aber die Bequemlichkeit dieses Daseins empfinde ich als Leere. Ich habe früher nie gewußt, daß der Besitz, der glücklich machen soll, erst erworben werden muß.«

Mit Erstaunen blickte ich zu der jungen Frau auf, die ich nun erst als ein wahres Kind des Glückes erkannte. »Sie sagen da goldne Weisheit. Wohl Ihnen: so werden Sie, wenn Sorge und Noth Sie einmal heimsuchen sollten, gegen ihren Besuch gewappnet sein.«

»Sie sagen das so feierlich!«

»Nun denn; Daß Sie das Ungeheuere auf einmal erfahren. Erich ist über Nacht ein armer Mann geworden. Unglück in Spekulationen, in welche ihn Freundschaft verwickelt, hat ihn seines Vermögens beraubt.« [62]Vorsichtig verfolgte ich die Wirkung meiner Worte auf Lili’s Gesichtszügen. Welch ein Wunder! Wohl waren diese ernst, doch statt Schreck und Entsetzen las ich in ihrem Ausdruck eine ruhige Weihe. Da hob sie das Haupt wie horchend gegen die Thüre. Sie hatte sich nicht getäuscht. Der leise Schritt eines Mannes ward im Nebenzimmer vernehmbar.

Die Portière schlug auseinander. Das ernste bleiche Gesicht meines Freundes zeigte sich und richtete seinen fragenden Blick auf mich und dann auf seine Frau.

»Sie weiß es?«

»Ja, Erich, ich weiß es,« antwortete ihre Stimme mit freundlichem Ernst.

Da stürzte er auf sie zu und barg sein Haupt in ihrem Schooß. »Kannst Du mir vergeben?«

»Lieb ich dich nicht, Erich? Geliebter! Nicht Dir kann ich zürnen, noch mag ich zürnen dem Schicksal! Der heutige Tag nimmt mir viel, aber er gibt mir mehr: er macht meine Liebe ebenbürtig der Deinen, er gibt Dich mir doppelt, er gibt mir die Freiheit, Dir endlich zu bethätigen, wie lieb ich Dich habe!«


*___*___*


[63]

Wieder war es Mai. Derselbe liegt in meiner Erinnerung jedoch nicht so weit zurück; es war im vorigen Jahre. Mein Weg führte mich nach Berlin in Geschäften; nebenbei hatte ich auch den Zweck, für eine mir befreundete Familie, die auf dem Lande lebt, Möbeleinkäufe zu besorgen. In den Räumlichkeiten eines bekannten Kunstschreiners fiel mir ein Credenztisch von so außergewöhnlich edlem Geschmack im Entwurf, von so liebenswürdiger Ausführung der gefälligen Motive auf, daß ich den mich durch die Ausstellung kostbarer Ausstattungsstücke begleitenden Geschäftsführer unwillkürlich fragte, ob die Zeichnung zu diesem Modell von einem neueren Meister stamme und von wem? – »Vom Architekten Wollheim,« lautete die Antwort. »Nicht wahr, eine schöne Arbeit?«

»Erich Wollheim?«

»Ja wohl, Erich ist der Vorname des Künstlers.«

Es war mein Freund. Ich hatte lange nichts von ihm gehört. Sein letzter Brief hatte mir seine Uebersiedelung nach Berlin gemeldet, wohin ihn zwei lohnende Bauaufträge führten. Das moderne Leben mit seinen tausenderlei zerstreuenden Pflichten läßt seine Söhne nicht zur Pflege von Freundschaftskorrespondenzen kommen. [64]Seit ich wußte, daß es ihm leidlich gut gieng und ihm dazu Glück gewünscht hatte, war unsere Freundschaft ohne Ausdruck geblieben. Meine anderweitigen Geschäfte hatten mich jetzt auch in Berlin nicht daran denken lassen, daß Wollheim hier wohne und ein Anrecht habe auf meinen Besuch. Nun aber zögerte ich auch keinen Augenblick länger. Ich ließ mir noch in dem Geschäfte des Möbelhändlers die Adresse des Freundes geben, bestieg dann sofort einen Fiaker und fuhr nach seiner Wohnung.

Es war ein zwar kleines aber schmuckes Gartenhaus in der Vorstadt, vor welchen der Wagen hielt. Als ich den Garten betrat, traf ich ihn voller Leben. Zwei kleine, in gesunder Lebensfülle blühende Kinder tummelten sich auf den Rasenplätzen. Vor der von rothblühenden Bohnenhecken und duftenden Hollunderzweigen umrankten Laube fand ich eine junge rüstige Frau in eine Arbeit vertieft, die sie offenbar ganz in Anspruch nahm.

Es war denn auch keine von den modischen Beschäftigungen, welche unsere Damen mehr um den Schein der Arbeit willen als aus Lust an dieser ergreifen und die ihnen so leicht von der Hand gehen. Die Dame da vor mir hatte alle Ursachen, ihre zwei Augen ungetheilt auf ihre [65]Arbeit zu richten. Mit Oelfarbe ist nicht zu spassen. Und die junge Frau war mit nichts geringerem beschäftigt, als der mühevollen Aufgabe, einer etwas verblichenen Gartenbank wieder ein frisches Aussehen zu geben, das mit dem Grün des Frühlings wohlthuend harmonire. In ihrer Rechten hielt sie einen gewaltigen Pinsel, den sie eben wieder in den großen Topf mit grüner Oelfarbe tauchen wollte, als ihr Jüngstes sie doch zu kräftig am Rocke zupfte, um nicht aufblicken zu müssen. Es war Erich’s Frau – Lili.

Und sie war keineswegs betreten über den Eintritt eines Fremden in diesen stillen Winkel häuslichen Schaffens. Mit graziöser Sicherheit stellte sie vielmehr ihr ungefüges Handwerkszeug schnell beiseite, entledigte sich der groben Schürze, die sie zum Schutz über ihr sauberes Hauskleid gebunden hatte, und mich schnell erkennend, trat sie, ein humorvolles Lächeln auf den feingeschnittenen Lippen mir entgegen, mich mit meinem Namen begrüßend.

»Endlich, Sie Ungetreuer! Herzlich willkommen in unserer Klause. Wie wird Erich sich freuen?«

»Aber ich störte Sie, gnädige Frau!«

»Keineswegs! Eine ordentliche Hausfrau [66]wird niemals gestört. Meine Oelfarbe läuft mir nicht davon und bis zu Erich’s Rückkunft wäre ich ohnehin nicht fertig geworden… Wozu den theuren Handwerkern Arbeiten überweisen, wenn man sie so leicht selbst erledigen kann,« fügte sie lächelnd hinzu.

Im gleichen Moment erklang helles Gejauchz von Kinderstimmen an der Gartenthüre. »Der Vater!« –

Es war Erich.

Wir begrüßten uns mit stummer Innigkeit. Als aber jetzt die beiden Gatten einen Willkommenskuß tauschten, bot sich mir in ihnen ein Anblick, der mir mehr sagte als lange Reden.

Dieser ernste kräftige Mann, dessen offenes Antlitz von Güte und inniger Liebe verklärt war; diese Frau mit dem geistig belebten Gesichtsausdruck, in dem alle Mienen Freude und befriedigtes Behagen ausstrahlten – das waren zwei glückliche Menschen.

»Ihr habt Euch in das Leben gefunden. Nicht wahr, es geht auch, ohne den Glanz des Reichthums?«

Erich sah mich leuchtenden Auges an.

»Ihr seid glücklich?«

»Ob wir es sind!« rief da selig die [67]Frau. »Von ganzer Seele! Das Leben und seine Sorgen mußten uns ja erst lehren, was Glück sei.«

Erich aber sagte: »Mein Glück heißt – Lili.«

[68]

Zwischen Himmel und Wasser.

[69][70]

Wenn der große Strom im ebenen Land seine Dämme durchbricht und seine massig drängenden Fluten weithin stürmen läßt über das Land, erscheint dem Zuschauer es kaum faßbar, daß die Ursachen des furchtbaren Unglücks wesentlich in jenen stillen, nur von schmalen Quellbächen durchrauschten Thälern droben im waldigen Hochgebirg zu suchen sind, an deren grünen Ufern wir so gern uns einwiegen lassen in Träume vom ewigen Frieden, den die Natur uns gewährt. Aber auch im Reich der reinen Natur walten Dämonen, die von Frieden nichts wissen wollen. Die Elementargeister des Alls sind vielmehr dort oben noch mächtiger und [71]gewaltsamer als unten in der Ebene, in welcher die Kultur kühn und mit der Ueberlegenheit des Geistes den Kampf mit ihnen aufnimmt. Furchtbar wirkt und wüthet das wild gewordenen Element das Wassers auch in diesem Kampfe; es zerstört die Anlagen des Landmanns und Winzers, es bedroht mit Vernichtung Heim, Habe und Leben der friedlichen Bewohner der Ufergebiete in den Städten und auf dem Lande. Aber die Kultur der städtereichen Gegenden bietet den Betroffenen doch wenigstens Mittel zur rechtzeitigen Vorsicht und Flucht, gewährt ihnen schnelle Hilfe und Unterstützung. Der Telegraph kündet ihnen schon viele Stunden vorher an, daß ein Steigen des Flusses im Gange, die Zeitung bringt ihnen einen Ueberblick vom Fortschritt der Hochflut, die moderne Technik stellt sich ein mit ihren Hilfs- und Rettungsmitteln und die allgemeinere Bildung ermöglicht deren raschere Verwendung. Da oben aber in den Bergen, wenn ein plötzlicher Temperaturumschlag, ein Gletscherrutsch oder sonst ein elementares Ereigniß im Nu den Gebirgsfluß anschwellen läßt, daß er die wenigen Zeugen einer selbst bis hierher gedrungenen Kultur, die Brücken und Stege, in seiner, mit rasender Wucht von der Höhe ins Thal herabstürzender Flut mit sich fortreißt, die wenigen Stätten menschlicher [72]Ansiedelung unvorhergesehen, wie durch Zauberschlag, dem Untergange nahe bringt, trifft die Hochflut selten nur auf Widerstand. Hier waltet sie rücksichtslos und unbekämpfbar mit der rasenden Laune eines Despoten, dessen Befehle sofort erfüllt werden, dem Niemand zu trotzen wagt. Und der bigotte Geist der Bewohner vieler solcher Thäler würde solchen Trotz nicht nur für vergeblich, sondern auch für freventlich halte. Sie nehmen die Heimsuchung hin wie ein Fatum. Ihr Gedanke an Rettung treibt sie nur zu Handlungen des Aberglaubens, ihre Hoffnung klammert sich an das Wunder. Ich habe einmal in den Bergen eine Nacht ausgestanden, in welcher diese starrgläubige Wundersucht mir sicher das Leben gekostet hätte, wenn nicht das siegreiche Eingreifen der höheren Einsicht, welche die Bildung und Kultur verleiht, mich noch rechtzeitig gerettet hätte.

Es waren wirklich schöne Sommertage, durchwärmt von strahlenden Sonnenschein, durchhaucht von erfrischender Waldesluft, in deren Glanz die Katastrophe wolkenbruchartig hereinbrach, welche durch die Ereignisse der Gegenwart in meinem Gedächtniß aufs neue Leben gewonnen hat. Ein mir innig befreundeter Maler, junges fröhliches Künstlerblut, hatte mit mir von München aus die [73]herrlichen Waldthale und kühlen Seegestade des bayerischen Hochlands durchstreift und mich schließlich beredet, mit ihm »ins Tirol« einen Abstecher zu machen, weil ihm viel daran lag, dort einige der so malerischen, jetzt auch hier immer seltener werdenden altbäuerischen Kostüme mit den in sie hineingehörenden Menschenkindern nach der Natur aufzunehmen. Was er suchte, hatte er bald in dem Hauptort jenes bekannten tirolischen Gebirgsthales gefunden, dessen Töchter allüberall in der Welt bekannt sind als Meisterinnen auf Guitarre und Zither und fröhliche wanderlustige Pflegerinnen des Tiroler Nationalgesangs. Hier fand er nicht nur die erwünschten Kostüme, sondern dazu auch ein in rosiger Jugend blühendes Kind dieses Thales, dessen Stimme beim Singen ebenso hell und herzig erklang wie beim Lachen, ein Modell, wie es sich nur ein Malerherz in meines Freundes Lage wünschen konnte.

Es war recht – schade. Für mich nämlich. Denn mein schönheitsdurstiger Reisekamerad hatte sich bald in den Kopf gesetzt, von diesem Prachtmädel nicht nur eine Skizze für seine Mappe zu erbeuten, sondern ein sorgfältig ausgeführtes Portrait mit heim zu nehmen, und mir blieb nichts übrig, als meine Ausflüge in die romantische Umgebung allein zu unternehmen, während [74]der glückliche Maler sich’s im Haus der Jungfer Resi wohl sein ließ. Es war seinem gemüthlichen Wesen schnell gelungen, das Vertrauen der Mutter und selbst des gestrengen Vaters zu gewinnen und damit auch die Erlaubniß, die Rosa zu konterfeien. Die alten guten Leute schmeichelte es, daß der kunstgewandte Stadtherr so viel Wesens von der Schönheit des Mädchens machte, denn Rosa war der Stolz der ganzen Familie und sie hatten Recht. Ich mußte es selbst gestehen, nachdem ich den Freund einige Mal hinüber in das Haus der ansehnlichen Bauern begleitet, sie war das schönste und feinste Mädchen im ganzen Thal. Aber freilich, das gab meinem jungen »Defregger« noch kein Recht, erstens, mich gänzlich im Stich zu lassen und zweitens gar, sich bis über die Ohren in diese Rosa zu verlieben. Mochte ihm die Welt auch darum rosenfarben erscheinen, meine Stimmung war über dem störenden Intermezzo keineswegs rosig und wäre nicht gerade noch zur rechten Zeit im Gasthof zur »Post« angenehme Gesellschaft eingetroffen, so wäre ich wahrscheinlich sehr bald aufgebrochen und hätte die Rückreise alleine angetreten. Die neuen Ankömmlinge waren ein Ingenieur und seine junge Frau, Landsleute, welche die Vaterstadt mit mir theilten. Die gegenseitigen Beziehungen [75]waren nahe genug, um unsere Begrüßung zu einer herzlichen zu machen. Beide befanden sich auf einer Hochzeitsreise, waren bereits in Venedig gewesen und hatten sich über Meran und den Brenner der Heimat wieder genähert. Hier in den Bergen wollte sich Freund Arnold noch ein wenig »aussteigen«, wie er sagte, denn er war ein passionirter Tourist, während die junge Frau sich in dem kühlen Thale von den heißen Tagen im Süden vor der Heimreise noch in aller Ruhe etwas erholen wollte.

Arnolds waren bereits zwei Tage da. Ich hatte den Tag vorher mit beiden eine größere Partie gemacht und ermüdet davon, gab ich den Plan auf, schon wieder am nächsten Morgen den Ingenieur auf einer beschwerlichen Bergfahrt zu begleiten. Dieser selbst jedoch ließ sich nicht davon abbringen, er empfahl, Abschied nehmend, sein Frauchen meiner besonderen Obhut und ich betrachtete es denn auch als meine Ritterpflicht, für die Unterhaltung der liebenswürdigen Schutzbefohlenen zu sorgen. Die erste Bethätigung derselben war, daß ich meinen Freund Fritz Werner, den Maler, beredete, heute einmal nicht hinüber ins Dorf zu gehen, sondern endlich der schönen Landsmännin und Hausgenossin die gebührende Aufmerksamkeit und Theilnahme hier im Gasthofe [76]zu bezeigen. Dieser letztere lag nämlich am linken Ufer der Ziller, während der Ort selbst am anderen Ufer sich ausbreitete. Die Verbindung vermittelte eine hochgewölbte Brücke, die zwar aus Holz, aber stattlich gebaut und fest gefügt war. Dieselbe war gleich rechts von der »Post« gelegen, von deren Eingang eine große steinerne Treppe zur steinigen Straße und weiter hin zum Flußufer führte, an welchem das klare Gewässer schäumend vorbeischoß. Am Morgen hatten wir noch alle Drei Arnold hinüber begleitet, dessen heutiges Ziel sich auf dem rechten Ufer der Ziller befand. Abends wollte er wieder zurückkommen und die junge Frau hatte sich während des Mittagessens, das wir auf dem herrliche Aussicht gewährenden Balkon des Gasthofes einnahmen, als gar schön ausgemalt, in unserer Begleitung ein gehöriges Stück dem Manne auf der Landstraße drüben entgegen zu gehen. Das Wetter schien diesen Plan nicht durchkreuzen zu wollen, denn der Himmel blieb klar und wolkenfrei, obgleich wir während der Mahlzeit deutlich und wiederholt ein Geräusch vernommen hatten, das genau wie ein entfernter Donner klang. Nachdem wir den Kaffee eingenommen, wobei Werners Skizzenbuch uns reichen Stoff zu heiterer Unterhaltung darbot, zogen wir uns auf unsere [77]Zimmer zurück. Als ich zwei Stunden später aus meiner Lektüre aufschaute und wieder ans Fenster trat, hielt ich es anfangs für einen Irrthum meiner Sinne, daß mir unten das Wasser bedeutend gewachsen und im Laufe beschleunigt erschien. Doch ich hatte recht gesehen. Und mit einer rapiden Schnelligkeit wuchs und wuchs die Flut, daß Abends 8 Uhr das Wasser bereits seine höchste Höhe in diesem Jahrhundert erreicht hatte. An eine Gefahr in dem auf festem steinernen Unterbau sich erhebenden Hotel glaubte zwar noch niemand. Aber schon gab es für mich zu trösten. Die Gattin Arnolds, deren Phantasie den geliebten Mann in tausend Gefahren sah, und die zunächst über die Brücke, durch welche die Fluten dröhnend schossen, ihm entgegeneilen wollte, war außer sich. Das letztere verhinderten ich und der Wirth, der den Zugang absperren ließ. Die Angst der zurückbleibenden Frau war um so trostloser. Und da die Situation noch durchaus nicht die Tragweite der Katastrophe überblicken ließ, war guter Trost theuer. Das wilde Getöse der aus Bergeshöhen herniederrasenden Ziller, in welcher entwurzelte alte Bäume, mächtige Holzklötze, Erdschollen, ja todte Viehkörper trieben, das anhaltende Steigen der Hochflut strafte jede leichtere Auffassung der Sachlage [78]Lügen. Das Bett der Ziller war in unserer nächsten Nähe zwar tief und weit, aber weiter oben standen seine felsigen Ufer dichter beisammen, und das zwischen ihnen eingedrängte Wasser entfaltete nun in dem weiten Raum seine Kraft um so ungestümer. Auch das Dorf am jenseitigen Ufer war im Ganzen hoch und sicher gelegen, dennoch drängte sich auch hier die Flut bereits in einzelne Gehöfte und Straßen. Wie mochte es weiter oben im Gebirge erst aussehen. An eine Flucht aus dem Hotel hatte anfangs niemand gedacht. Auch hatte der Posthalter und Wirth die Sicherheit seines Hauses verbürgen zu können geglaubt. Jetzt lag dasselbe bereits auf einer Insel, ganz von Wasser umgeben. Denn im Rücken des Hauses erhob sich eine Berglehne und zwischen jener und der steinigen Erderhöhung, auf welcher die »Post« sich erhob, hatte sich das anstürmende Wasser Bahn gebrochen, einen neuen Arm bildend.

Es war Abends 9 Uhr. Auf dem Treppenabsatz des Hotels standen Leute mit Fackeln und am jenseitigen Ufer sahen wir Windlichter zwischen den einzelnen Höfen hin- und herhuschen, hier und da auch Pechpfannen glühende Lohe entsenden. Da hörten wir auf dem Altan plötzlich einen kräftigen Juchzerruf aus der Dunkelheit des jenseitigen [79]Ufers herüberschallen. »Mein Mann! … Dem Himmel sei Dank: ja, da ist er,« jauchzte Frau Arnold, die an meiner Seite lehnte und gleich mir bis dahin wortlos dem gewaltigen Schauspiele zugeschaut hatte. Ihr Ohr hatte sich nicht geirrt. Eine männliche Gestalt stand dem Erdhügel zur Linken der Brücke und winkte heftig mit einem weißen Taschentuche uns zu, die ihm das Licht der Fackel erkennbar machte. An seine Herüberkunft war nicht zu denken, an eine Verständigung ebensowenig. Seinen Gesten war nur der Wunsch zu entnehmen, daß seine Frau sich auf ihr Zimmer zurückziehen und zu schlafen versuchen solle. Er selber wandte sich dann, indem er watend die Straße wieder gewann, dem Dorfe zu.

Als ich Arnolds Frau bis zu ihrem Zimmer geleitet hatte und aus dem Corridor auf den Vorplatz des ersten Stockes gelangte, fand ich das ganze Haus in größter Aufregung. Auf meine Frage, was es gäbe, wiesen die bleichen, verstörten Gesichter mehrerer Logirgäste nach unten, wo eben der Postmeister und sein Hausknecht allerhand Kisten und Kasten über den Hausflur nach der Treppe trugen. In dem Hausflur stand das Wasser bereits schuhhoch. In demselben Moment gab es einen furchtbaren Stoß. Ich [80]eilte auf den Altan und prallte zunächst zurück vor dem Höllenlärm des entfesselten Elements, das mit fürchterlicher reißender Geschwindigkeit aus der Dunkelheit der Berge auf die Brücke zustürmte, deren hoher dunkler Bau vom weißen Wogengischt umsprüht war, dessen Schauer im Mondlicht erglänzten. Ganze Dächer, Heustadel, Brückentrümmer und Stege kamen auf der Flut heran, wurden gegen die Brücke geschleudert und dann auch gegen unser Hotel, wenn die schweren Holzstücke in den Wasserarm geriethen, welchen die Hochflut um den Unterbau unseres Hauses herum geleitet hatte. Ein dahersausender Baumstamm war soeben auf diese Weise gegen denselben geschleudert worden, daß das ganze Gebäude in allen seinen Fugen erzitterte, und hatte sich dann quer über das Wasser gelegt. Es war ein unheimlicher Anblick. Ich sah ein, daß die Brücke zum gräßlichen Todfeind des Hauses geworden war, dem sie sonst lange Jahre hindurch ein freundnachbarlicher Kamerad gewesen. Wenn sie nicht selber stürzte und dadurch all dem Getrümmer und Gerümpel, das mit der Flut heranstürmte, eine freie Bahn schuf, war das Haus – diese Ueberzeugung überkam mich mit schaudernder Bestimmtheit – in wenigen Stunden verloren. Das Haus und seine Insassen! Denn an [81]eine Rettung auf die Berglehne war schon längst nicht mehr zu denken. Eben hatte der Posthalter, als ich ins Innere der Hotels wieder zurückkehrte, einen letzten Versuch gemacht. Er und seine Knechte hatten jetzt genug zu thun, mit Stangen und Beilen ein Feststauen der Baumstämme und Erdstücke, welche an das Haus getrieben wurden, zu verhindern. Ich ließ ihn rufen und theilte ihm meine Ansicht über die Brücke mit, traf aber mit meinem Ansinnen, dieselbe unsererseits zu zerstören, auf den härtesten Widerstand. Die Frauen seiner Haushaltung, die dabei standen, betend und weinend, erhoben vollends ein Gezeter, als hätte ich die ärgste Gotteslästerung ausgestoßen… »Was, die Bruck’n! Unsere Bruck’n mit der heiligen Jungfrau woll’ns niederreißen. Das wäre der Rest. – Jesus, Maria und Joseph!«

Jetzt erst besann ich mich, daß in der Mitte der Brücke allerdings ein stattliches Muttergottesbild stand, noch vorhin hatte ich im Mondenschein das vergoldete Scepter glänzen sehen. »Nein Herr«, sagte schließlich nach bedachtsamem Zögern der gutmüthige, aber auch resolute Posthalter, »daraus kann wirklich nichts werden! Sehen Sie – und er führte mich durch die nebengelegene offene Stube an ein Fenster – »sehen Sie dort [82]das heilige Gnadenbild funkeln? Schaun’s, ich hab’ in den entsetzlichen Stunden, die wir heute Abend erlebt haben, als mich Angst und die Hoffnungslosigkeit niederdrücken wollten, schon mehr als einmal an diesem Anblick mir Trost geholt. Grüßt es nicht gnadenreich und verheißend herüber, als ob es sagen wollte: Gebt die Hoffnung nicht auf, ich wache über Euch! Nein, daran rührt hier kein Mensch. Die heilige Jungfrau bittet für uns und der Himmel wird ein Einsehen haben.«

Er gieng und ließ mich allein. Mir aber erschien plötzlich die dunkle Brücke mit ihrem einsamen Heiligenbild wie ein gespenstiger Spuk, den ein feindlicher Dämon zwischen uns und die Rettung geschleudert. Der Tod zeigte mir sein hohles Auge, wohin ich blickte; aus der Wasserflut rauschte mir sein Gruß entgegen; von dem Himmel, aus dessen Gewölk das einfältige Gemüt der Landleute ein Wunder erwartete, klang mir kein Trost. Nur die Zerstörung der Brücke konnte ihn ja gewähren, die trotzig aus der Hochflut emporragte und zäh allen Angriffen des Wassers widerstand. So flatterte meine Hoffnung heimatlos zwischen Himmel und Wasser…

Als ich vom Fenster wieder zurück ins Haus trat und um Fritz Werner zu suchen, meinen [83]Weg ins sogenannte »Herrenzimmer« nahm, fand ich die dort anwesende Gesellschaft ohne allen Halt. Drei junge Studiosen, die beim Beginn der Hochflut noch lustig Skat gespielt hatten, traten bleich und verstört auf mich zu und äußerten sich wie Menschen, welche bereits alle Hoffnungen aufgegeben haben. Sie hatten bis vor kurzem den Hausleuten wacker geholfen, das Haus gegen den Anprall der von der Flut herangetriebenen Trümmer durch Gegenstände aller Art, die man vor das Haus staute, zu schützen. Sogar einen Wagen hatte man aus der durch das Wasser von uns getrennten Remise mit Hülfe von Stricken, die man glücklich um ihn geworfen, vor das Haus gezogen, aber er war nur zu schnell ein Opfer des gewaltigen Andrangs geworden. Ein Glück, daß die »Post« ein festes, ganz und gar aus Stein aufgeführtes Gebäude war, von guter Struktur und tief angelegtem Grundbau. Aber selbst ein solches konnte auf die Dauer einem derartigen Anprall nicht Trotz bieten. Ich theilte den Unglücksgenossen meine Hoffnung mit, daß, wenn die Brücke falle, vor welcher sich die Baumstämme und Erdschollen aufstauten, so daß die Flut aufgehalten und auf uns zugedrängt werde, wir auch erlöst sein würden; aber sie hatten bereits so sehr der Verzweiflung Raum gegeben, daß sie meinem [84]Trost nur wenig Werth beizumessen vermochten. Von dem Aberglauben, welcher der Madonna auf der Brücke Wunderkraft zutrauen wollte, hatten auch sie schon gehört. Sie wiesen dabei auf einen Mönch, der eben das Zimmer betrat, und ohne uns anzusehen, mit gefalteten Händen, leise Gebete murmelnd, dasselbe durchschritt. Noch fassungsloser fand ich die Damen unserer Gesellschaft, welche im Korridor die Frauen des Hauses jammernd und klagend umstanden, ohne daß deren Erzählungen von den Wunderthaten ihrer Brückenheiligen ihnen Trost hätte spenden können.

Am gefaßtesten fand ich die junge Frau Arnold, welche, seit sie ihren Mann in Sicherheit wußte, wie umgewandelt war und mich bat, mich auf den Balkon begleiten zu dürfen. Durch das Brausen und Tosen hörten wir dort vom Dorfe herüber die Sturmglocke läuten. Auf den Dächern der Bauernhäuser gegenüber sahen wir die geängstigten Bewohner mit Laternen, im Dämmerlicht des Mondes dem Schauspiel zuschauen. Als wir so mit Hilfe eines Feldstechers nach den einzelnen Gehöften späheten, ob denn Arnold nirgends zu entdecken sei, hörte ich dicht neben mir einen Seufzer und dann die leise gesprochenen Worte: – »Sie ist es!«… [85]Es war Werner. Er hatte starr und unverwandt hinübergesehen gleich uns, aber nur auf ein einziges Haus den Blick gerichtet, das Haus, in welchem er seine Resi wußte, von der ihn die Flut von Minute zu Minute weiter trennte. Man konnte das Gehöft von hier aus deutlich überblicken. Wir kannten es wohl. Auch Frau Arnold; denn ich hatte es beiden Gatten am Tage vorher gezeigt. Und kaum hatte die bebende Frau ihren Blick auf den stattlichen Zimmerhof gelenkt – Resi’s Vater war ein Zimmermann – als auch ihr ein freudiger Ausruf entfuhr. Zwischen einer Schaar heftig miteinander diskutirender Männer stand dort nicht nur unseres Malers Herzensschatz Resi, sondern auch Arnold, der offenbar sehr heftig in die Bauern hineinsprach. Mich überkam bei diesem Anblick die tröstliche Ahnung, daß dort zwischen jenen Männern über unser Geschick entschieden würde; daß aber das heitere Liebesverhältniß, welches Werner mit seinem herzigen Modell angeknüpft, und das ich so oft schon verwünscht hatte, bei der Lösung des tragischen Konfliktes zum rettenden Faktor wurde, konnte ich freilich nicht ahnen.

Arnold hatte gleich bei seiner verspäteten Ankunft vor der Brücke mit dem Auge des Fachmanns erkannt, daß deren Existenz für das Haus, [86]in welchem er sein holdes Weib in tausend Aengsten sah, bei der ganzen Katastrophe die Hauptgefahr sei. Die Brücke möglichst schnell zu zerstören, was es auch koste, war sofort sein Entschluß, der ihn antrieb, im Dorfe die nöthigen Schritte zu thun, um seinen Zweck zu erreichen. Doch vergeblich wandte er sich an den Schulzen. Der Gemeinde gehöre diese Brücke nur zur Hälfte und an fremdem Gute dürfe er sich nicht vergreifen. Auch würden ihn die Bauern steinigen, wenn er einem so unheiligen Vorhaben seine Unterstützung leihe. Der Pfarrer kam ihm noch ganz anders. Der wies dem »dreisten Gotteslästerer« sofort die Thür. In den Straßen, wo Arnold verschiedene Gruppen von Männern traf, die er für seine Sache zu gewinnen suchte, indem er ihnen Geld bot, fand er denselben Widerstand. Die heilige Madonna auf der Brücke werde sich selbst und auch das bedrohte Haus in der Umgebung zu schützen wissen, war überall der gleiche Bescheid. Voller Verzweiflung war Arnold schon im Begriff, wieder ans Ufer zu eilen und zu sehen, was wenigstens er allein zur Rettung des Hauses da drüben, das sein Liebstes umschloß, unternehmen könne, als er sich auf die Wohnung des Zimmermanns besann, von dem er durch mich gehört hatte, daß er sich Wernern, also einem fremden [87]Maler gegenüber, als ein zugänglicher, menschenfreundlicher Charakter bewährt hatte. Er war ins Haus getreten, hatte aber hier niemanden gefunden als eine Magd, die, an ihrem Rosenkranze Gebete abzählend, ihn auf seine Fragen mit stummem Nicken nach dem Hofe verwies.

Dort traf er den Meister und seine Gesellen mit allerhand Schutzmaßregeln beschäftigt. Gerade als er sich ihm zuwenden wollte, kam eilenden Schrittes, mit Körben beladen, Jungfer Resi auf den Hof und blieb zögernd und verlegen stehen, als sie den städtisch gekleideten Herrn bemerkte.

»Wie geht es drüben in der Post, Herr?« fragte sie plötzlich leise, indem sie ganz auf ihn zutrat.

»Noch wohl leidlich. Aber es ist die höchste Gefahr!« erwiderte er. »Habe wohl die Ehre, Fräulein Resi…, die Freund Werner so glücklich ist, malen zu dürfen?«

»O lassen’s das Geschwätz, lieber Herr. Also ein Freund sind Sie von dem Herrn Werner? Und Sie glauben, es ist Gefahr…?«

»Die größte, wenn niemand hilft!« Und nun setzte er dem Mädchen und dem herzutretenden Meister, den er höflich begrüßte, mit bebendem Eifer [88]auseinander, warum allein die Beseitigung der Brücke die Bewohner der Post vor dem sicheren Verderben retten könne. »Meine Frau ist drüben – drei Wochen sind wir erst verheirathet! Bester Herr, helfen Sie mir retten! Herr Maler Werner ist in Todesgefahr und mit ihm mehr als zwanzig andere Menschen! Kommt, überlegt’s Euch nicht lange, helft mir die Brücke zerstören!«

Inzwischen waren auch mehrere der Gesellen herzugetreten.

»Ja, Vater, helft dem Herren!« unterbrach jetzt Resi, welcher die Thränen über die Wangen liefen, die Stille, die den Worten Arnolds gefolgt war.

»Sei still, Kind! Hier haben wir Männer zu reden. Um den Herrn Werner thut’s mir leid, wie um die anderen. Aber Unglück ist Unglück. Weinst um den Maler, Kind? Freilich der wird uns jetzt fortgeschwemmt, so oder so. Ein freundlicher Herr. Würde gern etwas zu seiner Rettung thun. Aber…« Er hielt inne und schob die Mütze hinters Ohr. »Wenn’s nun mit der Brücke doch nicht recht ausgeht. Auf mich fällt die Verantwortung.«

»Bester Herr! Wer wird so fragen, wenn es gilt zwanzig und mehr Menschenleben zu retten.«

»Ihr kennt unsere Gegend nicht, Herr!« [89]Das mischte sich der Obergesell, ein hochgewachsener trotziger Bursche, ins Gespräch. Derselbe hatte mit Spannung den Verlauf desselben verfolgt und als Resi’s Thränen ihre Neigung für den fremden Maler verriethen, war ein zorniger Blick aus seinen dunklen Augen auf das Mädchen geschossen. Als aber ihr Vater die Meinung aussprach, daß mit der Brücke auch der Maler auf und davon gehen werde, hatte er schlau gelächelt. »Meister,« rief er jetzt, »laßt’s mich mit dem Herrn auf eigene Gefahr wagen. Ihr habt mir’s schon öfters verwiesen, daß ich gegen den Maler drüben aufsässig sei – der Resi wegen –, gelt, ich will’s heut beweisen, daß ich gerne sein Leben rette, wenn er nur dann diesem Hause auch ferne bleibt. Das Stadtvolk taugt nichts bei uns. Fällt die Brücke, so ist’s doch hier sicher mit der Malerei aus. Also, mit Verlaub, Meister!«

Der alte Zimmermann nickte und wandte sich nachdenklich dem Hause zu. Der Obergesell aber rief einige Knechte herbei und führte sie und den Ingenieur nach einem vom Wasser bereits bespülten Fischerschuppen, der zum Zimmerplatz gehörte und welchem sie nun lange Ruderstangen mit Eisenspitzen, mehrere Leitern und allerlei anderes Geräthe für ihr gefährliches Unternehmen [90]entnahmen. Dann verlöschten die Lichter und die Gestalten verschwanden in der Dunkelheit…

Was drüben auf dem Zimmerhof verhandelt worden war, wußten wir auf unserem Standort freilich nicht. Aber der Anblick ihres Mannes, der Gedanke, daß er, der vielbewährte Ingenieur, der schon manchen Brückenbau geleitet und in der Bekämpfung der Wassergewalt seinen Beruf sah, für uns handle, hatte auf Frau Arnold befreiend und Hoffnung erweckend gewirkt. Ich ahnte sein Vorhaben, fand aber in Werner einen Zweifler, der wegen der Theilnahme des Zimmergesellen Ignaz, den er in der Gunst Resi’s verdrängt hatte, sich beunruhigt fühlte. Er hatte sich von seiner Seite keiner Gutthat zu versehen.

Plötzlich schnitt ein furchtbarer Krach von der Brücke her unsere Vermuthungen ab. Ein zweiter, ein dritter folgte und die jenseitige Hälfte der Brücke schob sich erst langsam, dann mit schnellem Ruck in die Flut – eine schwarze, unförmige Masse sauste an uns vorbei den Strom hinunter. Bald sahen wir, wie sich das gefährliche Treibzeug mit dem Hauptzug der Strömung durch die weite klaffende Lücke auf der rechten Seite des Flusses eine bequemere Bahn suchte, als es bei uns finden konnte. Unser Haus war von der Hauptgefahr befreit und durch die stehengebliebene [91]Hälfte nicht mehr gefährdet, sondern geschützt. Wir athmeten erlöst auf und auch die übrigen Bewohner und Gäste der »Post«, welchen zu uns auf den Altan herausgeeilt waren, zeigten sich von freudiger Zuversicht erfüllt, fühlten sich mit uns gerettet. Am meisten aber jubelten die Einheimischen, triumphirend wiesen sie auf die Höhe des Mittelpfeilers der Brücke, der erhalten geblieben war und von welchem herab das Muttergottesbild mit segnend erhobenem Scepter niedergrüßte.

Wir freilich wußten es besser. Und als wir dann von einer erhöhten Stelle des jenseitigen Ufers drei Männer mächtige Fackelbrände freudig schwenken sahen, raunten wir leise in die Finsterniß hinaus: – Heil Euch! Unseren Rettern!


*___*___*


Erst mehrere Tage später konnten wir unsere Flucht aus dem Haus, in welchem wir nur – nicht durch ein Wunder – sondern durch einen Triumph der geistigen Bildung über frommen Irrwahn, durch eine That treuer Gatten- und edler Menschenliebe, dem Tode entgangen waren, bewerkstelligen. Ueberall unterwegs trafen wir auf die Spuren des grauenvollen Vernichtungswerkes der Hochflut. Im Wirthshaus zu Jenbach, [92]in dem wir Einkehr gehalten, ergriff ich ein kleines Kreisblatt und, darin lesend, fand ich plötzlich eine Notiz von etwa folgendem Wortlaut; »Durch die Gnade und die besondere Fürsorge der Mutter Gottes auf der großen Brücke zu N., welche letztere von der Hochflut nur theilweise zerstört ward, während das heilige Gnadenbild herrlich erhalten blieb, ist das neben derselben stehende Gasthaus zur ›Post‹ vor dem bereits mit Sicherheit erwarteten Untergang bewahrt worden.« Ich las die Stelle vor.

»So entstehen Legenden,« sagte der Ingenieur, »Und doch hätte der Sieg dieses Glaubens an die Wunderkraft des gepriesenen Heiligenbildes uns allen sicher das Leben gekostet, wenn…«

»Wenn Du nicht für uns gedacht und gehandelt hättest, mein Lieber,« unterbrach ihn zärtlich die Frau.

»Nein, nicht so… Wenn sich nicht eine höhere Art der Religion durch mich offenbart hätte, die uns antreibt, den Geist und die Kräfte, die uns verliehen sind, als Werkzeuge des Göttlichen in der Natur dem wilden Wüthen ihrer Elemente zum Besten der Mitwelt entgegenzusetzen.«

Werner sah dabei traurig und wie abwesend vor sich hin. Und Arnold, dies bemerkend, fuhr [93]fort: »Ei, ei! Freund Werner fängt Grillen. Aufgeschaut, Träumer! Ist durch die Hochflut auch Deine Liebe zur schönen Resi zu Wasser geworden, sie wird Dir trotzdem im Gedächtniß haften als ein schöner Sommernachtstraum, rein und klar wie der Himmel. Malerlieb’ im Gebirg thut sonst nicht gut, die Deine hat diesmal uns und vielen wackeren Mitmenschen das Leben gerettet. Ist das kein Ersatz für den Verlust Deiner Resi, die, gesteh’s nur, doch dem ehrlichen Ignaz von der Natur weit eher zubestimmt war, als Dir, Du unruhiger Zugvogel!«

Werner aber schüttelte freundlich lächelnd das lockige Haupt. »Du magst Recht haben! Jetzt aber ergreift mit mir die Gläser und trinkt vom feurigen Veltliner aufs Wohl unserer Retter! Freund Arnold lebe! Und ein Hoch den wackeren Männern, die ihm beim schwierigen Rettungswerk halfen, als wir in jener entsetzlichen Nacht in Todesgefahr schwebten – zwischen Himmel und Wasser!«

[94]

Der Todesgruß auf der Taybrücke.

[95][96]
Ade lieb Mutter.« »Mit Gott mein Kind!« –
Da pfeifts; ein Taschentuch flattert im Wind;
Der Abschiedsgruß der jungen Braut,
Die heute dem Gatten ward angetraut.
Hinhastet der hochaufächzende Zug,
Besiegend den Sturm im mächtigen Flug…
Doch dort in der Ecke das junge Paar
Wird von dem Allem nichts gewahr!
Still, Arm um Nacken, Hand in Hand,
So fliegen sie durch das schneeige Land,
Ohn’ es zu achten, weltentrückt,
Voll seliger Träume, beglückend, beglückt.
[97]
Es tauchte unter so Raum wie Zeit
Tief in dem Meere von Seligkeit,
Das durch die Herzen wogend rauscht,
Wann Liebe man um Liebe tauscht.
Genüber der lebensmüde Greis
Betrachtet die Beiden und flüstert leis:
»O gienge nimmer solch Glück vorbei,
War auch einst glücklich wie diese Zwei.«
»O Tod, du langsamer, falscher Knecht,
Wie übst du dein Amt so träg und schlecht;
Als einst ich genossen das höchste Glück –
Das war deine Zeit; was hielt dich zurück?
Hin stürmt der Zug durch die Grafschaft Perth,
Wild stürmt die See in dem buchtigen Firth,
Darein der Tay seine Wogen stürzt,
Dess’ stürmisch Gefäll seinen Lauf verkürzt.
Doch stürmischer als des Zuges Flucht,
Und stürmischer als der Wogen Wucht
Erbraust und drängt und wogt der Orkan,
Der dröhnend umheult des Zuges Bahn!
Die Liebenden träumen vom ewigen Glück,
Des Greises Seele weilt weit zurück –
[98]
Da, plötzlich zittert und wankt der Pfad
Als sich der Zug der Brücke genaht…
Ein Pulsschlag noch… Wo blieb der Zug?
Wo blieben sie, die er landwärts trug?…
Hinunter, hinab von der Brücke des Tay
Ward er gesenkt in tiefe See.
Der Sturm erbraust und heult wie vorher –
Wild tost und schäumt und gischtet das Meer –
Kein Zeichen, kein Trümmer verräth das Grab,
Dem der Tod so reiche Ernte gab.
Die junge Liebe, den müden Greis,
Sie mähte der Sturm auf des Tods Geheiß.
Doch hatte ihnen das Glück verlieh’n
Ein selig Lächeln als Gruß für ihn.
Von schweren Unglücks langem Bann
Erlöste der Tod den alten Mann –
Die Liebenden aber hat er zart
Vor aller Trübung des Glücks bewahrt.
[99]

Notes
Erste Buchausgabe: Stuttgart (Adolf Bonz & Comp.) 1883.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Proelß, Johannes. Katastrophen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-7D3F-7