[65] [130]An Helene

Ich sah dich einmal – einmal nur – vor Jahren:
Ich sage nicht wie vielen – doch nicht vielen.
Es war in Julinacht, und aus dem vollen
Kreisrunden Mond, der gleich wie deine Seele
Den steilsten Weg hinauf zum Himmel suchte,
Fiel sanft ein silberseidner Schleier Licht –
Fiel still und schwül und schlummerselig nieder
Auf tausend Rosen, die nach oben schauten
Und die in einem Zaubergarten wuchsen,
Wo Wind auf Zehen nur sich rühren durfte –
Auf Rosen fiel er, die nach oben schauten,
Die ihre Seelen in verzücktem Sterben
Als Duft aushauchten in das Liebe-Licht –
Auf Rosen fiel er, die nach oben schauten,
Die lächelten und starben, wie verzaubert
Von dir und deines Wesens Poesie.
Ich sah dich ganz in Weiß, auf Veilchenbeet;
Auf offne Rosen, die nach oben schauten,
Fiel hell der Mond – und auch auf dein Gesicht,
Das aufwärts schaute – schaute, ach, in Leid.
War das nicht Schicksal, das in dieser Nacht –
War das nicht Schicksal (das auch Leiden heißt),
Das mir vorm Gartentore Halt gebot,
Den Schlummerduft der Rosen einzuatmen?
Kein Schritt: in Schlaf lag die verhaßte Welt;
Nur du und ich – (o Gott, wie schlägt mein Herz,
Da ich zusammen die zwei Worte nenne!) –
Nur wachend du und ich. Ich stand, ich blickte –
Und plötzlich loschen alle Dinge aus.
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(Bedenkt es wohl, es war ein Zaubergarten!)
Der Perlenglanz des Monds erlosch, die Beete,
Die moosigen Beete und gewundnen Pfade,
Die frohen Blumen, säftevollen Bäume –
Nichts sah man mehr; und selbst der Duft den Rosen
Erstarb im Arm anbetend stiller Lüfte.
All alles außer dir verschied, verhauchte,
Nichts blieb als du – als weniger denn du:
Als nur das Himmelslicht in deinen Augen –
Als deine Seele nur in deinen Augen.
Ich sah nur sie – sie waren mir die Welt.
Ich sah nur sie – sah stundenlang nur sie –
Sah nichts als sie, bis daß der Mond sich senkte.
Welch wundersame Herzgeschichten sprachen
Aus jenen himmlischen kristallnen Kugeln!
Welch dunkles Weh! Und doch welch hehres Hoffen!
Welch heiter schweigend Meer erhabnen Stolzes!
Welch kühne Ehrbegier! Und doch welch tiefe –
Unfaßbar tiefe Liebe-Fähigkeit!
Doch jetzt, doch endlich sank Diana hin
In westliches Gewitterwolken-Pfühl;
Und du entglittst wie Geist dem Grabesschatten
Der Bäume dort. Nur deine Augen blieben!
Sie gingen nicht – sie sind nie mehr gegangen!
In jener Nacht mir sorgsam heimwärts leuchtend
Verlaß'nen Pfad, verließen sie mich nie –
Nie mehr (wie all mein Hoffen doch getan).
Sie folgen mir – sie leiten mich durchs Jahr.
Sie sind mir Diener – dennoch ich ihr Sklave.
Ihr Amt ist: zu beleuchten, zu entflammen –
Mein Dienst: beseligt sein durch ihren Glanz,
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Gereinigt sein durch ihr elektrisch Feuer,
Geheiligt sein in ihrem Himmelsfeuer.
Sie füllen mir mein Herz mit Schönheit an
(Die Hoffen ist) und sind im Himmel droben
Das Sternenpaar, vor dem ich kniend liege
Im traurigstummen Wachen meiner Nacht;
Indes sogar im Mittagsglanz des Tages
Ist noch sie sehe – holde Zwillingsschwestern,
Venusse, die kein Sonnenlicht verlöscht!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Poe, Edgar Allan. Gedichte. An Helene. An Helene. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-7C6D-7