[62] 31. Vision

Am Felsenvorgebirge schroff,
Das von des Meeres Wellen troff,
Die schäumend es umrangen,
Da stand ich ein verlaßner Mann,
Und manche warme Träne rann
Mir über bleiche Wangen.
Doch ringsumher war Scherz und Spiel,
Sie sangen, schossen nach dem Ziel,
Und tanzten in die Runde:
Es schenkten manchen Becher Wein
Die Mädchen ihren Buhlen ein
In dieser frohen Stunde.
Und als ich schaute rund umher,
Ward mir das Herz im Busen schwer;
Denn ach, mich kannte Keiner!
Mich fragte Keiner liebentglüht:
Was ist die Wange dir verblüht?
Was fehlt dir, stiller Weiner?
Der Abend nahte dunkelgrau,
Die Blumen füllten sich mit Tau,
Der Himmel mit Gestirnen;
Doch immer hüpften ihren Tanz
Im Abendrot, im Sternenglanz
Die Knaben und die Dirnen.
Und weil ich stund am jähen Rand,
Stieß mich hinab die Felsenwand
Der Menge bunt Gewimmel:
Da haschten mich die Wolken auf,
Und trugen mich hinauf, hinauf,
In ihren schönen Himmel.

Notizen
Erstdruck 1821.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Platen, August von. 31. Vision. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-7941-1