[175] Der Fuchs und das Eichhorn

Der Attila für Huhn und Hähne,
Herr Fuchs, war alt und wohlbetagt;
Er kam um alle seine Zähne
Und ward vom Podagra geplagt.
Das alte deutsche Sprichwort sagt:
Der allerärgste Schelm auf Erden
Muß noch zuletzt ein Mucker werden.
Warum? Ist hier die Frage nicht;
Genug, der alte Bösewicht
Begann itzt seine Räubereyen
Durch Seufzen, Fasten und Kasteyen,
Vor allen Thieren zu bereuen.
Mit thränenvollem Angesicht
Trat er nach den zermalmten Knochen
Von einem jungen Auerhahn,
Dem er nur erst vor wenig Wochen
Mit schlauer Wuth den Hals gebrochen,
Voll Andacht eine Wallfahrt an.
Er wählte sich die rauhsten Stege,
Die man im Wald nur finden kann
Und traf auf seinem weiten Wege
Ein junges rasches Eichhorn an.
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Er sah es mit vergnügten Sprüngen
Sich auf die höchsten Wipfel schwingen,
Und schnell erhebt sich in der Brust
Des Büßers eine fromme Lust,
Sich an dem Tänzer zu erbauen
Und ihn von nahem zu beschauen.
Sey mir gegrüßet, lieber Sohn,
So sprach er in gebrochnem Ton,
Ich sehe mit vergnügtem Herzen
Dich so beglückt, so sorgenfrey,
Des Lebens Gram vorüberscherzen.
Doch ich gestehe dir dabey,
Daß ich auf meinen Pilgerzügen
An der entfernten Wolga Strand
Vorlängst ein weißes Eichhorn fand,
Das in der seltnen Kunst zu fliegen
Es dir noch weit zuvor gethan.
Der Vorwurf kränkte Mäzchens Ehre.
Ich dächte, hub es höhnisch an,
Daß ich kein Klotz im Springen wäre.
O! sprach der Alte, glaube mir,
Du kannst mit jenem Wunderthier
Auf keine Weise dich vergleichen.
Es drückte fest die Augen zu
Und konnte doch so flink wie du
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Die Wipfel tausendjährger Eichen
Mit einem sichern Flug durchstreichen.
Ha, sprach das Eichhorn, blöder Greis!
Das kann ich auch, so viel ich weiß.
Es schließet flugs die Augenlieder,
Nimmt einen ungemeßnen Satz
Und stürzet auf den Rasenplatz
Zu Meister Fuchsens Füßen nieder,
Der plözlich alle seine Kraft
Verrätherisch zusammenraft,
Um unsern Springer bey dem Nacken
Mit scharfen Krallen anzupacken.
Das Eichhorn schrie: Barmherzigkeit!
Herr Fuchs, der Spaß geht allzuweit;
Sie thun als wollten Sie mich fressen.
Nur sachte, lieber kleiner Sohn,
Sprach Reinecke mit bitterm Hohn,
Ich habe längst den Spaß vergessen
Und suche mir ein Abendessen.
Auf diesen freundlichen Bericht
Rief Mäzchen voller Angst und Grauen:
O Zevs ... jedoch ich murre nicht;
Ein zu gerechtes Strafgericht
Giebt mich in dieses Heuchlers Klauen;
Allein du falscher Bösewicht,
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Der lachend mir den Nacken bricht,
Ich sah dich erst als Pilger wallen,
Ich hörte dein Gebet erschallen,
Und nun dankst du den Göttern nicht,
Die dir ein fettes Mahl bescheren?
Ein Heuchler will auch selbst zur Zeit,
Wenn er den Arm dem Laster leiht,
Die Welt durch falschen Schein bethören.
Der alte Schelm war schon bereit
Den Leckerbissen aufzuzehren;
Doch itzt sieht er ein Haselhuhn
In einem niedern Busche ruhn.
Ich muß mich, denkt er, nicht verrathen,
Hier giebt ein zweytes Meisterstück
Vielleicht mir einen zweyten Braten.
Voll Andacht kehrt er seinen Blick
Nach des Olymps lazurnen Kreisen
Und faltet, um den Zevs zu preisen,
Der Pfoten blutgefärbtes Paar.
Das Eichhorn nimmt des Zeitpunkts wahr,
Und schneller als des Habichts Schwingen
Durch die zertheilten Lüfte dringen,
Erreicht es einen sichern Ast.
Hier sah es unter tausend Flüchen
Den Gaudieb sich vor Schaam verkriechen,
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Und rief ihm nach: Mein frommer Gast
Willst du hinfort ein Eichhorn speisen,
So mußt du nie die Götter preisen,
Als bis du es verzehret hast.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Pfeffel, Gottlieb Konrad. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Erster Teil. Viertes Buch. Der Fuchs und das Eichhorn. Der Fuchs und das Eichhorn. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-7268-7