[13] Die Pythia

Ich dichte nicht in frohen Stunden –
Mein Leben ist an solchen leer!
Ich dichte nicht, um zu gesunden –
Genesung gibts für mich nicht mehr.
Ich dichte nicht, um zu erstreben
Des Ruhmes gleißnerische Pracht,
Die, statt Unsterblichkeit zu geben,
Ein zweites Mal nur sterben macht.
Ich dichte nicht, um mich zu krönen
Mit meiner Leiden Dorngeflecht;
Die Menge würde mich verhöhnen
Und sprechen: Es geschah Dir Recht!
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Mein Lieb quillt aus demselben Borne,
Aus dem das Wort der Pythia brach,
Als rauh und wild im Siegerzorne
Der Macedonier zu ihr sprach.
Des Schicksals nachtumflorten Willen,
Der Zukunft keimevollen Grund
Sollt' ihm ihr Seherspruch enthüllen,
Allein verschlossen blieb ihr Mund.
Doch nichts kann sein Verlangen wenden,
Nichts beugen seinen starren Sinn!
Mit frevelhaft vermessnen Händen
Faßt er die bleiche Priesterin.
Zum Schlunde, dunkel, unergründlich,
Drängt er sie zürnend mit Gewalt,
Bis: »Ja! du bist unüberwindlich!«
Sie angst- und zorndurchschauert lallt. –
So ward', was jemals ich gesungen,
Den Blick gerichtet himmelwärts,
Mir nur erpreßt und abgedrungen
Vom wilden Ueberwinder, Schmerz.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Paoli, Betty. Die Pythia. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6765-4