Metamorphosen
(Metamorphoses)

Erstes Buch

[5] Erstes Buch.

Inhalt. Weltschöpfung. Die vier Zeitalter. Giganten. Lycaon. Die große Flut. Deucalion und Pyrrha. Erneuerung der Thierwelt. Python. Daphne. Jo (Argus; Syrinx).


Lust wird rege zum Sang, wie sich Formen in andere Körper

Wandelten. Götter, o seid – ihr habt ja auch sie gewandelt –
Meinem Beginnen geneigt, und vom Uranfange der Schöpfung
Führt bis auf unsere Zeit des Gedichts fortlaufenden Faden.
Ehe denn Meer und Land und der alles bedeckende Himmel,
War in dem ganzen Bereich der Natur ein einziges Aussehn,
Das man Chaos genannt, ein verworrenes rohes Gemenge,
Anderes nicht als träges Gewicht und zwistige Keime
Trübe zu Einem gehäuft von lose verbundenen Stoffen
Noch goß kein Titan in das Weltall leuchtende Strahlen;
Noch nicht füllete aus durch Zuwachs Phöbe die Hörner;
Eignes Gewicht auch hielt noch nicht frei schwebend die Erde
In der umfließenden Luft; noch breitete Amphitrite
[5] Nicht weithin an dem Rand daliegender Länder die Arme;
Da, wo Aether, alldort war Erdreich, Luft und Gewässer.
So war nicht zum Stehen das Land, zum Schwimmen die Woge;
Lichtes entbehrte die Luft; die Gestalt blieb keinem beständig.
Eins war feindlich im Wege dem Anderen, weil in der Masse
Kaltes im Streit stets lag mit Warmem, mit Trockenem Feuchtes,
Weiches mit Hartem und mit dem Gewichtigen das, was gewichtlos.
Aber dem Zwist gab Schlichtung ein Gott und die bessere Triebkraft;
Denn er schied von dem Himmel das Land und vom Lande die Wogen,
Und von der dunstigen Luft los trennt' er den lauteren Himmel.
Als er so sie entwirrt und dem finsteren Haufen entnommen,
Schloß er gesondert im Raum sie zusammen in friedlicher Eintracht.
Ohne Gewicht stieg auf lichtvoll des gewölbeten Himmels
Feurige Kraft und ersah sich die Statt in der obersten Höhe.
Ihr ist die Luft am nächsten im Raum und in Mangel der Schwere.
Dichter als sie zog an die gröberen Theile die Erde,
Niedergedrückt durch eignes Gewicht. Das umströmende Wasser
Wählte den äußersten Sitz und umschloß den gefestigten Erdkreis.
Wie er so das Gemisch, wer jener der Götter gewesen,
Ordnend hatte zertheilt und in Schichten gefügt das zertheilte,
Rundete er im Beginn, auf daß nach jeglicher Seite
Gleich sie wäre, zur Form großmächtiger Kugel die Erde.
[6] Dann goß Fluten er aus und hieß sie von tobenden Winden
Schwellen und rings umfahn der umgürteten Erde Gestade;
Quellen gesellt' er dazu und Seen und unendliche Sümpfe
Und wies Flüssen die Bahn in den Grenzen gewundener Ufer,
Die in verschiedenem Lauf theils werden geschlürft von dem Grunde,
Theils hinkommen zum Meer, und empfangen vom offenen Felde
Freierer Flut anstatt der Ufer bespülen die Küsten.
Ebenen ließ er sich auch ausdehnen und Thäler sich senken,
Wälder sich decken mit Laub, aufsteigen die steinigen Berge.
Und wie den himmlischen Raum zwei Gürtel durchschneiden zur Rechten,
Links gleichviel und heißer als sie in der Mitte der fünfte,
So in die nämliche Zahl schied auch die geschlossene Masse
Sorglich der Gott, und es trägt gleich viele der Striche die Erde.
Der in der Mitte sich zieht, ist nicht vor Hitze bewohnbar;
Zwei deckt mächtiger Schnee; zwei legte er zwischen die beiden,
Denen er Mäßigung gab, mit der Glut die Kälte vermengend.
Darob schwebet die Luft, die lastender ist als das Feuer
Soviel, wie an Gewicht nachstehet der Erde das Wasser.
Dort hieß Nebel er auch, dort dunstige Wolken sich lagern
Sammt dem Donnergeroll, das menschliche Herzen erschrecke,
Und mit den Blitzen zugleich die Frost herführenden Winde.
Ihrem Gelüste jedoch gab nicht zum Schweifen den Luftraum
[7] Frei der Besteller der Welt. Kaum wird jetzt ihnen gewehret,
Da in verschiedenem Strich sein Weh'n doch jeglicher richtet,
Daß sie zerreißen die Welt: so liegen in Hader die Brüder.
Fern zu Aurora entwich, gen Persien und Nabatäa
Und zu den Höhen der Ost, die stehen im Lichte des Morgens;
Abendlich Land und die Küsten gewärmt von der sinkenden Sonne
Liegen dem Weste zunächst; die Scythen befällt und die sieben
Stiere der schaurige Nord; durch unablässige Wolken
Näßt gegenüber das Land der regengeschwängerte Südwind.
Drobhin lagert' er dann den klar durchsichtigen Aether,
Der von Schwere befreit nichts hat von der irdischen Hefe.
Kaum nun hatt' er verzäunt das alles in sichere Grenzen,
Als die Gestirne, die lang sich gepreßt in jenem Gemenge
Bargen, am Himmel umher glanzreich anhuben zu flimmern.
Jetzo, damit kein Raum ermangele seiner Bewohner,
Haben den himmlischen Sitz mit den Sternen die Göttergestalten;
Wohnstatt ward in den Wellen verlieh'n den glänzenden Fischen;
Thiere bekam das Land und Vögel der regsame Luftraum.
Aber es fehlete noch ein Geschöpf, das höher in Würde
Mit tiefdenkendem Geiste den anderen könnte gebieten.
Sieh, da wurde der Mensch, ob ihn aus göttlichem Samen
Machte der Bildner der Welt, der Urquell besserer Schöpfung,
Oder die Erd' im Beginn, die sich vom erhabenen Aether
Eben gelöst, noch Keime behielt gleichartigen Himmels
Und des Japetus Sohn sie gemengt mit fließenden Wellen
[8] Bildete gleich der Gestalt der alles beherrschenden Götter.
Während die Erde gebückt ansehen die andern Geschöpfe,
Gab er erhabenes Gesicht dem Menschen und ließ ihn den Himmel
Schauen und richten empor zu den Sternen gewendet das Antlitz.
Also kleidete sich die völlig veränderte Erde,
Formlos eben und wüst, mit den neuen Gebilden der Menschen.
Erst nun sproßte von Gold das Geschlecht, das sonder Bewachung
Willig und ohne Gesetz ausübte das Recht und die Treue.
Strafe wie Furcht war fern; noch lasen sie drohende Worte
Nicht am gehefteten Erz; noch stand ein flehender Haufe
Bang vor des Richters Gesicht: Schutz hatten sie ohne den Richter.
Noch nicht hatte, gefällt auf heimischen Bergen, die Fichte,
Andere Welt zu seh'n, sich gesenkt in die flüssigen Wogen;
Noch von keinem Gestad', als dem ihrigen, wußten die Menschen.
Noch umgürteten nicht abschüssige Gräben die Städte;
Kein krummgehendes Horn und keine gestreifte Drommete
War, kein Helm, kein Schwert. In behaglicher Muße vergingen
Ohne des Kriegers Bedarf die Tage den sicheren Völkern.
Undienstbar und verschont von dem Karst und von schneidender Pflugschaar
Nimmer verletzt gab alles von selbst die gesegnete Erde,
Und mit Speisen begnügt, die zwanglos waren erwachsen,
Lasen sie Arbutusfrucht, Erdbeeren an sonniger Halde
[9] Oder am rauhen Gerank Brombeeren und rothe Cornellen
Und von dem ästigen Baume des Jupiter fallende Eicheln.
Da war ewiger Lenz, und gelind mit lautem Gesäusel
Küßte die Blumen der West, die sprosseten ohne Besamung.
Nicht vom Pfluge bestellt trug bald auch Halme die Erde;
Ohne zu ruh'n ward grau von belasteten Aehren der Aecker.
Ströme von Milch nun wallten daher und Ströme von Nectar,
[10] Und gelb tropfte herab von grünender Eiche der Honig.
Als nunmehr, da gestürzt in des Tartarus Dunkel Saturnus,
Jupiter lenkte die Welt, da folgte das silberne Alter,
Schlechter als Gold, im Werthe voraus dem röthlichen Erze.
Jupiter schmälerte nun die Zeit vormaligen Frühlings
Und ließ wandeln das Jahr durch Winter und ungleichmäß'gen
Herbst und flüchtigen Lenz und Glut vierfältig geschieden.
Jetzo geschah es zuerst, daß schwül von trockener Hitze
Brannte die Luft und das Eis starr hing von den Winden verdichtet.
Jetzo traten sie ein in Wohnungen. Wohnungen waren
Höhlen und dichtes Gesträuch und mit Bast verbundene Zweige.
Jetzo wurde zuerst in gezogenen Furchen der Ceres
Samen verscharrt, und vom Joche gedrückt aufseufzten die Rinder.
Drauf als drittes erwuchs nach ihnen das eherne Alter,
Wilder im Sinn und derb und den schrecklichen Waffen geneigter,
Aber verbrecherisch nicht. Hart ist das letzte von Eisen.
Jählings brachen herein in die Zeit von schlechterer Ader
Alle die Gräu'l; es entflohen die Scham und die Treu' und die Wahrheit,
Und an die Statt einzogen Betrug und tückische Falschheit,
Hinterlist und Gewalt und verruchte Begier des Besitzes.
Segel entfaltete nun der Schiffer den wenig bekannten
Winden, und Kiele, die lang auf hohen Gebirgen gestanden,
[11] Schwammen geschaukelt umher auf nimmer befahrenen Wogen.
Fluren, zuvor wie die Luft und das Licht der Sonne gemeinsam,
Zeichnete jetzt mit begrenzendem Strich vorsichtig der Messer;
Und nicht wurde geheischt blos Saat und schuldige Nahrung
Von dem ergiebigen Feld: ein ging's in der Erde Geweide.
Schätze, die jene versteckt und stygischen Schatten genähert,
Werden gewühlt an's Licht, Anreizungen böser Gelüste.
Heillos Eisen bereits und Gold heilloser als Eisen
Stiegen herauf: auf steiget der Krieg, der streitet mit beidem
Und mit der blutigen Faust schlägt klirrende Waffen zusammen.
Lebensbedarf gibt Raub. Von dem Wirth der Gast, von dem Eidam
Selber der Schwäher bedroht; auch selten sind Brüder in Eintracht;
Tod gar sinnet der Mann dem Weib, wie diese dem Gatten;
Graunvoll brauen den Trank Stiefmütter von bleichendem Sturmhut;
Lang vor der Zeit schon forschet der Sohn nach den Jahren des Vaters.
Achtende Scheu ist dahin, und von blutbefeuchteten Ländern
Kehrte die Jungfrau heim Asträa, der Himmlischen letzte.
Daß nicht sicherer sei als die Erde die Höhe des Aethers,
[12] Trachteten nun, wie man sagt, nach dem himmlischen Reich die Giganten,
Und zu den Sternen hinan aufthürmten sie mächtige Berge.
Da mit geschmettertem Blitz durchbrach der allmächtige Vater
Stracks den Olymp und schlug vom Pelion nieder den Ossa.
Als die entsetzliche Brut nun selbst von der Masse gedrückt lag,
Ward, von dem strömenden Blute der Söhne begossen, die Erde
Feucht – so kündet die Mähr – und belebte das warme Geblüte,
Und daß bliebe hinfort ein Denkmal ihres Geschlechtes,
Gab sie ihm Menschengestalt. Indeß auch diese Verfügung
Sprach den Himmlischen Hohn, nach gräßlichem Morde begierig
Und unbändigen Sinns: man ersah, sie stammten von Blute.
Wie von der Höhe der Burg das sah der saturnische Vater,
Seufzet er tief, und gedenk unlängst des scheuslichen Mahles
Am lycaonischen Tisch, das neu noch wenig bekannt war,
Faßt er gewaltigen Zorn im Gemüth, wie er Jupiters würdig,
Und er berufet den Rath. Kein Zögern verweilt die Geruf'nen.
[13] Hoch geht droben ein Weg, bei heiterem Himmel bemerkbar,
Der, Milchstraße genannt, am Lichtglanz eben zu kennen.
Dort ist der Himmlischen Pfad zu des mächtigen Donnerers Wohnung
Und zu dem Königessitz. Mit Besuchen bei offenen Thüren
Füllen sich rechts und links die Säle der höheren Götter.
Niedere wohnen zerstreut allerorts. Stolz haben im Vorgrund
Ihre Penaten gesetzt die hehren Gewalten des Himmels.
Das ist der Ort, den wohl, wenn Worten gestattet die Kühnheit,
Ich des Himmels Palast mir möchte getrauen zu nennen.
Als in dem Marmorgemach nun saßen die oberen Götter,
Schüttelte höher an Platz und gestützt auf das helfene Scepter
Jupiter drei- viermal des Schrecken erregenden Haupthaars
Locken, davon sich gereget die Erde, das Meer, die Gestirne.
Also entströmte darauf unmuthigen Lippen die Rede:
»Mehr nicht hab' ich gezagt für die Weltherrschaft im Gemüthe
Dazumal wie die Brut der Schlangenfüßler die hundert
Arme geregt und gehofft den eroberten Himmel zu greifen.
Denn, wie grimmig der Feind auch war, doch ruhte auf Einem
[14] Haufen allein und Einem Geschlecht die erhobene Fehde.
Jetzo muß ich, soweit rings Nereus rauscht um den Erdkreis,
Weih'n dem Verderb das Menschengeschlecht. Bei den Fluten der Tiefe
Schwör' ich, die unter der Erd' hingleiten im stygischen Haine.
Erst sei alles versucht, doch nimmer zu heilende Wunde
Muß ausschneiden der Stahl, daß nicht das Gesunde verderbe.
Hab' ich doch auch Halbgötter und ländliche Mächte, die Nymphen,
Faune und Satyrvolk und Silvane die Berganwohner:
Diese, von uns noch nicht zu der Ehre des Himmels erhoben,
Sollten zum wenigsten frei die beschiedene Erde bewohnen.
Glaubt ihr aber genug, ihr Himmlischen, jene gesichert,
Da mir, der ja den Blitz, der euch stark hält in den Händen,
Lauernde Fallen gestellt der berüchtigte rohe Lycaon?«
Murren erhob sich umher, und mit glühendem Eifer verlangt man
Ihn, der solches gewagt. So, wenn ein verworfener Haufe
Trachtet zu tilgen im Blut des Cäsar den römischen Namen,
[15] Steht von plötzlichem Schreck ob solchem erhabenen Sturze
Starr das Menschengeschlecht, und schaudernd entsetzt sich der Erdkreis;
Und nicht minder ist dir die Treue der Deinen, Augustus,
Lieb, als sie Jupiter war. Wie dieser dem wirren Gerede
Wehrte mit Wort und Hand, saß lautlos da die Versammlung.
Als nun ruhte der Lärm von des Herrschenden Würde beschwichtigt,
Da bricht wieder der Gott mit folgender Rede die Stille:
»Längst hat jener verbüßt – darum nicht sorget – die Strafe;
Welches jedoch das Vergeh'n, und welches die Rache, vernehmet.
Uns war böses Gerücht von der Zeit zu Ohren gedrungen:
Wünschend, es sei unwahr, entschweb' ich dem hohen Olympus
Und durchstreife die Erd', ein Gott im menschlichen Bilde.
Säumniß wär' es, wieviel allorts ich gefunden von Bosheit,
Aufzuzählen: zurück blieb hinter dem Wahren der Leumund.
Ueber des Wildes Versteck, den gefürchteten Mänalus, zog ich,
Ueber Cyllene hinaus und die Fichten des kalten Lycäus.
In's ungastliche Haus des wilden arcadischen Herrschers
Tret' ich sodann, da der Abend bereits mit der Dämmerung einbrach.
Zeichen verlieh ich, ein Gott sei nah, und zu beten begonnen
Hatte das Volk. Erst höhnet die frommen Gebete Lycaon; –
Bald: ›Ob dieser ein Gott, ob ein Sterblicher, will ich erproben –
Sprach er – zu klarem Beweis; unzweiflig entscheid' ich die Wahrheit.‹
Meuchlerisch mich bei Nacht im bannenden Schlummer zu morden
Trachtet er. Also beliebt ihm Probe zu halten der Wahrheit.
Nicht zufrieden damit durchschneidet er einem der Geiseln,
Die ihm das Volk der Molosser gesandt, mit dem Schwerte die Kehle,
[16] Und so kocht' er zum Theil in siedendem Wasser die Glieder
Halb lebendig, zum Theil auch briet er sie über dem Feuer.
Wie er sie nun auftischt, da stürz' ich mit rächender Flamme
Nieder das Haus auf den Herrn und die gleich strafbaren Penaten.
Jener entfliehet geschreckt, und zur Stille des Feldes entkommen
Heulet er laut und versucht zu sprechen umsonst. Von ihm selber
Sammelt im Munde sich Wuth, und mit der gewohneten Mordgier
Bricht in die Heerden er ein, auch jetzt am Blute sich letzend.
Rauh in Haare verkehrt sich das Kleid, in Beine die Arme:
Wolf ist er nun und bewahrt noch Spuren der vorigen Bildung.
Noch ist dasselbige Grau, derselbige Trotz in den Zügen,
Ebenso funkelt der Blick, dasselbe Gebilde der Wildheit.
So ist gestürzt ein Haus; doch nicht war werth zu verderben
Eines allein: wo Erde sich dehnt, herrscht wilde Erinnys.
Jeder, so dächte man, schwor zum Vergeh'n. Auf alle denn falle
Ohne Verzug – so steht der Entschluß – die verwirkete Strafe!«
Jupiters Worte belobt ein Theil, und des Grollenden Ingrimm
Stacheln sie an; ein Theil stimmt zu durch Zeichen des Beifalls.
Allen jedoch weckt Schmerz der Verlust des Menschengeschlechtes:
[17] Welch Aussehen hinfort, so fragen sie, werde die Erde
Zeigen, von Sterblichen leer? wer Weihrauch auf die Altäre
Streuen? ob reißendes Wild denn solle verheeren die Länder?
Doch den Besorgten verbeut – er werde des Weiteren walten –
Bang zu verzagen das Haupt des Unsterblichen, und er verheißet
Ungleich früherem Volk ein Geschlecht seltsamer Entstehung.
Und schon wollt' er den Blitz auf alle die Länder versenden,
Doch er besorgt, daß Feuer vielleicht der heilige Aether
Fange von soviel Glut, und brenne die Axe des Weltalls,
Und er erwägt, daß stehe verhängt, einst werde die Zeit sein,
Wo mit der Erde das Meer und die Feste des Himmels ergriffen
Stehen in Brand, und wanke der Welt mühvolles Gefüge.
Drum bleibt ruh'n das Geschoß von der Hand der Cyclopen geschmiedet.
Andere Strafe beliebt, das Menschengeschlecht zu vernichten
Unter der Flut und rings Platzregen zu gießen vom Himmel.
Schleunig verschließet er nun den Nord in des Aeolus Höhlen,
Alle die Winde dazu, die jagen verhüllende Wolken,
Und läßt schnauben den Süd. Der aber mit triefenden Schwingen
Stürmet hinaus, pechschwarz umschattet das schreckende Antlitz.
Schwer ist von Regen der Bart; Flut strömt vom graulichen Haupthaar;
Nebel benetzen die Stirn; naß tropfen die Brust und die Flügel.
Jetzt, wie er drückt mit der Hand die weithin hangenden Wolken,
Tönt ein Gekrach, und gedrängt nun stürzen von oben die Güsse
Juno's Botin im Schmuck des schillernden Farbengewandes,
[18] Iris schöpfet die Flut und bringt Zuwachs dem Gewölke.
Niedergestreckt ist die Saat und des Landmanns sehnliche Hoffnung
Lieget beweint, und des Jahrs langwierige Müh ist verloren.
Jupiters Zorne genügt noch nicht sein Himmel: zum Beistand
Schickt mithelfende Flut nun auch sein bläulicher Bruder.
Dieser berufet die Ströme gesammt, und als sie gehorsam
Füllten des Königes Haus: »Nicht will ich mit langer Ermahnung –
Sprach er – vergeuden die Zeit: laßt strömen, soviel ihr vermöget.
Solches ist noth. Die Häuser erschließt und die Dämme beseitigt
Und laßt schießen zumal die Zügel den drängenden Wogen.«
So der Befehl. Sie geh'n und lockern den Quellen die Mündung,
Und nun wälzen sie sich mit entfesseltem Lauf in die Meerflut.
Aber den Dreizack stach er selbst in den Grund, und die Erde
Bebte vom Stoß und erschloß mit dem Ruck Auswege den Wassern.
Außer der Bahn nun stürzen durch offne Gefilde die Flüsse;
Saaten zugleich und Gehölz und Heerden und Männer und Häuser
Raffen sie mit und sammt den Gebilden die heiligen Kammern.
Wo noch stehet ein Bau, der solches Verderben vermochte
Unverrückt zu besteh'n, da geht doch höher die Woge
Ueber den First, und vom Strudel bedrängt verschwinden die Thürme.
Schon war zwischen der See und dem Land kein sichtlicher Abstand;
Alles umher war Meer, und das Meer war ohne Gestade.
Dieser erklimmet die Höh'; im gebogenen Nachen gesessen
[19] Rudert der Andere dort, wo er unlängst hatte gepflüget;
Der schifft über die Saat und des untergegangenen Landguts
Firsten, und jener ergreift den Fisch im Wipfel der Ulme.
Zufall fügt, daß der Anker sich senkt auf grünende Wiese
Oder der bauchige Kiel anstreift an Rebengelände.
Wo noch eben sich Gras abrupfeten schmächtige Ziegen,
Strecken sich jetzt mit gedunsenem Leib unförmliche Robben.
Nereus' Töchter erstaunt sehn Haine und Häuser und Städte
Unter der Flut. Delphine durchziehen die Wälder und rennen
Wider das hohe Gezweig und schlagen die schwankenden Stämme.
Schafen gesellt schwimmt ängstlich der Wolf; gelbmähnige Löwen
Trägt und Tiger die Flut; nicht frommet dem Eber des Blitzes
Kraft, und der flüchtige Fuß hilft nichts dem entführeten Hirsche.
Wenn er lange gespäht nach Land, wo zu fußen vergönnt sei,
Fällt mit ermüdetem Flug in die See der schweifende Vogel.
Ueber die Hügel ergoß sich des Meeres unermeßliche Willkür,
Und an die obersten Höh'n schlug brandend das neue Gewoge.
Wellen entraffen die Meisten, und deren geschonet die Wellen,
Diese bezwingt bei dürftiger Kost langwieriger Hunger.
Von der Aonier Volk trennt Phocis ätolische Fluren,
Fruchtbares Land, da es Land noch war, doch ein Theil von dem Meere
Dazumal und ein weites Gefild urplötzlicher Wasser.
Dort, Parnassus genannt, strebt hoch ein Berg zu den Sternen
Mit zweitheiligem Haupt und beherrscht mit dem Gipfel die Wolken.
Wie Deucalion hier – denn das Uebrige deckte die Meerflut –
[20] Sammt dem vermähleten Weib anfuhr im gebrechlichen Nachen,
Beten sie an die Mächte des Bergs und corycische Nymphen
Und, die jetzt das Orakel besaß, die enthüllende Themis.
Nie war besser ein Mann als er und dem Rechten ergeb'ner;
Nie trug irgend ein Weib mehr Scheu als sie vor den Göttern.
Als nun Jupiter sieht in Morästen versumpfen den Erdkreis,
Und daß übrig verblieb von all den Tausenden Einer,
Und daß übrig verblieb von all den Tausenden Eine,
Beid' unsträflichen Sinns und beide Verehrer der Gottheit,
Theilt er die Wolken und zeigt, da der Regen verscheucht von dem Nordwind,
Wieder dem Himmel die Erd' und wieder den Aether der Erde.
Nicht bleibt zürnend die See. Hinlegend die zackige Waffe,
Glättet die Flut der Beherrscher des Meers, und den blaulichen Triton
Rufet er, der, an der Schulter bedeckt von hastenden Schnecken,
Ueber der Tiefe sich hebt, und heißt in die tönende Muschel
Blasen den Gott und heim mit gegebenem Zeichen bescheiden
Wogen und Ströme zumal. Der nimmt die hohle Drommete,
Welche gewunden sich dehnt in die Breite vom untersten Wirbel,
Jene Drommete, davon, wenn sie Luft in Mitten des Meeres
Aufnimmt, hallet der Strand, wo Phöbus sich senkt, wo er aufsteigt.
Jetzt auch, wie sie den Mund, der bethaut vom triefenden Barte,
Jenem berührt' und blies das Zeichen gebotenen Rückzugs,
Scholl sie zu allen gesammt, zu den Wellen des Landes und Meeres,
Und zu denen sie scholl, die alle gehorchten und standen.
[21] Fallend verliert sich die Flut; auf scheinen zu tauchen die Hügel;
Schon hat Küsten das Meer; voll wallen im Bette die Ströme;
Boden ersteht, und es hebt sich das Land, wie die Wellen sich senken,
Und nach langem Verzug nun zeigen die Wälder entblößte
Wipfel und halten im Laub noch Schlamm, der haften geblieben.
Dastand wieder die Welt. Wie er leer sie sah und verlassen
Und das verödete Land in schauriges Schweigen versunken,
Sprach Deucalion so mit quellenden Thränen zu Pyrrha:
»Schwester und Ehegemahl, du einziges Weib auf der Erde,
Die mir verwandtes Geschlecht und vom Ahn die gemeinsame Herkunft,
Dann das Lager vereint, nun selber Gefahren vereinen:
Von den Gefilden zumal, die der Morgen bestrahlt und der Abend,
Sind wir beide das Volk. Das Uebrige raffte die Meerflut.
Und noch immer ist nicht die Bürgschaft unseres Lebens
Sicher genug; auch jetzt noch ängstigen Wolken die Seele.«
Wie, wenn dich das Geschick verschonete ohne den Gatten,
Wäre dir jetzt, du Arme, zu Muth? Wie könntest du einsam
Dann aushalten die Angst? Wer sollte dich trösten im Schmerze?
Ich – das glaube gewiß – wenn dich auch deckte die Meerflut,
Folgte dir nach, o Weib, und mich auch deckte die Meerflut.
›Könnt' ich doch mit der Kunst des Vaters von neuem die Völker
Schaffen und lebenden Geist einflößen gestalteter Erde!
Nun ist übrig in uns den zweien die sterbliche Gattung –
So war Götterbeschluß – wir bleiben als Bilder von Menschen.‹
Sprach's und weinte mit ihr. Sie beschließen der himmlischen Gottheit
Betend zu nah'n und Rath zu erfleh'n durch heiligen Ausspruch.
Sonder Verzug geh'n beide zugleich an den Strom des Cephisus,
Der noch nicht sich geklärt, doch einhielt frühere Grenzen.
Als sie die Finger darauf in die Wellen getaucht und mit Tropfen
[22] Kleider besprenget und Haupt, da lenkt zu der heiligen Göttin
Tempel die Schritte das Paar. Noch war an dem Hause der Giebel
Schmutzig von häßlichem Tang, und des Feuers entbehrte der Altar.
Wie an den Stufen sie nun anlangeten, warfen sich beide
Nieder, das kalte Gestein zu küssen mit bebendem Schauer,
Und so huben sie an: »Wenn Himmlische rührt und erweichet
Andachtsvolles Gebet, wenn göttliches Zürnen zu wenden;
Themis, so sprich: was sollen wir thun, den Verlust zu ersetzen
Unsres Geschlechts? Hilf, Gütigste, auf dem versunkenen Leben.«
Themis gerührt ertheilte den Spruch: »Weg gehet vom Tempel,
Hüllt euch beide das Haupt und lös't die gegürteten Kleider,
Und so werft das Gebein der großen Erzeugerin rückwärts.«
Lang hält Staunen sie starr; dann bricht mit der Stimme das Schweigen
Pyrrha zuerst und versagt dem Gebote der Göttin Gehorsam,
Und sie fleht um Erlaß mit bebenden Lippen und schaudert
Durch das zerstreute Gebein zu kränken den Schatten der Mutter.
Beide erwägen indeß für sich des gegebenen Ausspruchs
Dunkel verschleierten Sinn und prüfen die Worte genauer.
Drauf mit tröstlichem Wort aufrichtend die Epimethide
Sagte Prometheus' Sohn: »Mich trügt entweder die Einsicht,
Oder der Spruch ist gerecht und räth kein sträflich Beginnen.
Zeugerin nennt er die Erd', und im Leibe der Erde die Steine,
Däucht mir, sind das Gebein; die sollen wir hinter uns werfen.«
Ob auch froh die Titane vernimmt des Gatten Enthüllung,
Doch ist ihr Hoffen verzagt. So sind mißtrauisch die beiden
Gegen das Göttergebot. Doch was mag schaden die Probe?
Weg nun gehn sie und hüllen das Haupt und entgürten die Kleider;
Hinter sich werfen sie dann auf den Weg die geheißenen Steine.
Und das Gestein – wer glaubt' es, wofern nicht zeugte das Alter? –
Wird von der Spröde befreit und verlieret die starrende Härte,
Wird allmälig erweicht und beginnt sich erweicht zu gestalten.
[23] Bald, wie es wachsend sich hob und zu milderem Wesen sich wandte,
Trat schon sichtlich hervor, doch noch undeutlich im Umriß,
Menschengestalt, gleichwie aus eben behauenem Marmor,
Nicht vollendet genug und ganz wie rohe Gebilde.
Was an den Steinen jedoch war feucht durchdrungen von Säften
Und was erdiger Stoff, das ward zum fleischigen Leibe;
Aber was unbeugsam und fest, geht über in Knochen,
Und was Ader zuvor, das bleibt mit dem selbigen Namen.
Kurz nur währte die Frist, da gewann durch göttliche Fügung
Alles Gestein, das der Mann entsendete, männliches Antlitz,
Während vom weiblichen Wurf ein Weib neu trat in das Leben.
Davon sind wir ein hartes Geschlecht, ausharrend in Mühsal,
Und wir geben Beweis, woher wir genommen den Ursprung.
Drauf von sich selber gebar die Erde die andern Geschöpfe
Mannigfaltiger Art, als warm von dem Feuer der Sonne
Ward das verbliebene Naß, und der Schlamm und die wässrigen Sümpfe
Schwollen von Hitze gespannt, und befruchtete Keime der Wesen,
Wie in dem Schooße der Mutter genährt vom belebenden Boden,
Wuchsen und mehr und mehr in feste Gestalt sich begaben.
Also, wenn sich verliert von den nassen Gefilden des Nilus
Siebenmündiger Strom und zum früheren Bette zurückkehrt
Und von dem Aethergestirn der frische Morast sich erhitzet,
Trifft zahlreiches Gethier in gewendeten Schollen der Landmann
[24] Und sieht manche davon erst eben begonnen, gerade
Während der Zeit der Geburt, und andere in der Entwicklung
Noch nicht fertig gediehn; oft ist an dem selbigen Körper
Lebend bereits ein Theil, der andere klumpige Erde.
Denn wo Feuchte gewinnt und Wärme die richtige Mischung,
Wird empfangen die Frucht, und alles entsteht von den beiden.
Während das Feuer im Streit mit dem Naß, bringt dunstiger Brodem
Alles hervor, und der Zeugung ist hold zwieträchtige Eintracht.
Wie nunmehr, von der neulichen Flut noch schlammig, die Erde
Von dem ätherischen Strahl und den Gluten der Höhe gewärmt war,
Brachte sie Arten hervor unzählige, und sie erneute
Alte Gebilde zum Theil, theils zeugte sie neue Geschöpfe.
Zwar ihr war's zum Leid, doch dich auch, mächtiger Python,
Zeugte sie jetzt, und dem neuen Geschlecht, unförmliche Schlange,
Warst du ein Graun: soviel einnahmest du Raum an dem Berge.
Aber der schießende Gott, der nimmer die Waffe des Bogens
Brauchte zuvor, als nur bei Hirschen und flüchtigen Rehen,
Streckt' ihn hin zahllos mit Geschossen beschwert, da der Köcher
Fast sich erschöpft, und das Gift floß aus durch schwärzliche Wunden.
Und daß nimmer den Ruhm des Werkes vertilge das Alter,
Stiftet' ein heiliges Fest mit gefeierten Kämpfen Apollo,
Von dem gebändigten Thiere die pythischen Spiele geheißen.
Wer von den Jünglingen dort mit der Faust, mit den Füßen, dem Rade
Hatte gesiegt, empfing die Ehre des eichenen Laubes.
[25] Lorbeer war noch nicht, und von jeglichem Baume bekränzte
Seine von wallendem Haar anmuthigen Schläfe sich Phöbus.
Phöbus liebte zuerst die peneische Daphne, wofür nicht
Blindes Geschick ihn entflammt, nein rächender Zorn des Cupido.
Denn jüngst hatte gesehn, wie die Hörner er bog am gespannten
Strange der delische Gott, noch stolz auf der Schlange Besiegung.
»Was soll kräftige Wehr bei dir, muthwilliger Knabe? –
Spottet' er – solches Geräth ist unseren Schultern geziemend,
Die wir sicher das Wild wie den Feind zu treffen verstehen,
Die wir Python erlegt, der gebläht mit dem giftigen Bauche
So viel' Hufen beschwert, unlängst mit unzähligen Pfeilen.
Wenn du entfachst mit der Fackel ich weiß nicht welches Verlangen,
Lass' es Genüge dir sein: nicht eigne dir unseren Ruhm an!«
Venus' Knabe versetzt: »Dein Bogen, o Phöbus, erreiche
Alles, der meinige dich! So weit vor dem Gott die Geschöpfe
Weichen gesammt, so weit steht dein Ruhm unter dem meinen.«
Sprach's und säumete nicht und theilete rasch mit bewegten
Schwingen die Luft und stand auf der schattigen Höh' des Parnassus.
Zwei der Geschosse entnimmt er dem pfeilumschließenden Köcher,
Ungleichartig an Kraft. Eins scheucht, eins wecket die Liebe.
Welches sie weckt, ist golden und glänzt mit spitziger Schärfe;
Welches sie scheucht, ist stumpf, und Blei ist unter dem Rohre.
Dieses versendet der Gott zur peneischen Nymphe; das andre
Schnellet er durch das Gebein in's innerste Mark dem Apollo.
Der fühlt Liebe sogleich; sie flieht vor des Liebenden Namen:
Nun an der Wälder Versteck und am Fang des erbeuteten Wildes
Findet sie Lust nach dem Bilde der stets jungfräulichen Phöbe.
[26] Fesselnd schlang sich ein Band um das kunstlos liegende Haupthaar.
Viele wohl warben um sie; doch jene den Werbenden abhold,
Flüchtig und scheu vor dem Mann, durchstreift Einöden der Wälder,
Und sie bekümmert sich nicht um Hymen und Amor und Ehe.
»Tochter – ermahnte sie oft ihr Vater – ich harre des Eidams.«
»Tochter – ermahnte sie oft ihr Vater – du schuldest mir Enkel.«
Sie, der wie ein Vergehn hochzeitliche Fackeln verhaßt sind,
Steht im schönen Gesicht von züchtiger Röthe begossen,
Und mit schmeichelndem Arm umschlingend den Nacken des Vaters
Bittet sie: »Wehre mir nicht, jungfräulich, geliebtester Vater,
Immer zu sein. Einst hat es Dianen vergönnt der Erzeuger.«
Jener gestattet es zwar; doch nicht läßt sein dich der Liebreiz,
Was du begehrst, und deine Gestalt wehrt deinem Verlangen.
Phöbus liebt und ersehnt der geschaueten Daphne Umarmung
Und hofft, was er ersehnt. Ihn trügt sein eignes Orakel.
So wie der Aehren beraubt verbrennen die nichtigen Stoppeln,
Wie von der Fackel der Zaun aufflammt, die ein Wanderer sorglos
Näherte oder vielleicht in der Frühe des Morgens zurückließ:
So ist entfacht zur Flamme der Gott, und im ganzen Gemüthe
Lodert er auf und nährt die vergebliche Liebe mit Hoffnung.
Kunstlos sieht er das Haar ihr hangen im Nacken und denket:
»Wie, wenn es wäre gepflegt?« Die Augen, von Feuer erglänzend,
Schauet er licht wie Gestirn. Er schauet den Mund, und Genüge
Findet er nicht vom Schau'n. Er preiset die Finger und Hände,
Preiset den Arm und die Achsel entblößt bis über die Hälfte.
[27] Was sich verbirgt, dünkt schöner ihm noch. Sie flieht wie ein Lufthauch
Schwebend davon und steht nicht still, wie er solches ihr nachruft:
»Nymphe, du Kind des Peneus, verzieh! Nicht folg' ich ein Feind dir.
Nymphe, verzieh! So fliehet das Lamm vor dem Wolf, vor dem Löwen
Also der Hirsch, vor dem Aar mit zitternder Schwinge die Taube,
Jedes vom Feinde gescheucht. Mich nöthiget Liebe zu folgen.
Ach, wenn du nur nicht fällst, und den Fuß unwerth der Verletzung
Nur nicht ritzet ein Dorn, und Schmerz durch mich du erleidest!
Rauh ist der Weg, auf welchem du eilst. Sei mäßig im Laufe –
Höre mich – hemme die Flucht! Selbst will ich dir mäßiger folgen.
Wem du gefällst, erforsche doch erst. Kein Mann vom Gebirge
Bin ich oder ein Hirt; nicht hab' ich auf Rinder noch Schafe
Acht hier lässig in Tracht. Du weißt nicht, Thörin, du weißt nicht,
Wem du entfliehst; drum fliehest du nur. Die delphische Landschaft,
Tenedos huldiget mir und Claros und Patara's Hofburg.
Jupiter hat mich gezeugt. Durch mich wird kund, was gewesen,
Was sein wird und was ist. Durch mich stimmt Sang zu den Saiten.
Sicher ist unser Geschoß; doch sicherer trifft wie das unsre
Eins noch, welches mir schlug im ruhigen Busen die Wunde.
Heilende Kunst ist erfunden von mir, und Helfer auf Erden
Werd' ich genannt, und uns sind dienstbar Kräfte der Kräuter.
Ach daß keines vermag von den Kräutern die Liebe zu heilen,
Und dem Besitzer die Kunst nicht nützt, die jeglichem nützet!«
Mehr noch hätt' er gesagt; doch ängstlich entflohe des Peneus
Tochter und ließ ihn selbst und die unvollendete Rede,
Reizend zu sehn auch da. Den Körper enthüllten die Winde,
[28] Und das Gewand ward flatternd bewegt vom begegnenden Hauche,
Und das gehobene Haar trieb rückwärts drängender Luftzug.
Flucht zeigt schöner den Wuchs. Da mag der unsterbliche Jüngling
Nicht mehr schmeichelndes Wort aufwenden, und wie ihn Cupido
Selbst antrieb, so folgt er beschleunigten Laufes den Schritten.
Wie wenn im offenen Felde den Hasen der gallische Spürhund
Schauet, und dieser mit Hast nach dem Fang strebt, jener nach Rettung;
Immer erscheint einholend der Hund, jetzt ihn zu packen
Hofft er und streift ganz nah mit der schnappenden Schnauze die Läufe;
Jener vermeinet bestürzt, schon sei er gefangen, und reißt sich
Los von dem beißenden Zahn und verläßt den berührenden Rachen:
So ist eilig in Furcht die Dirne, der Gott in Erwartung.
Doch der Verfolgende rennt, von den Fittigen Amors gefördert,
Schneller und gönnt nicht Rast, und dicht an der Fliehenden Rücken
Ist er gebeugt und behaucht im Nacken das fliegende Haupthaar.
Nun, da versagte die Kraft, erblaßte sie, und von der Mühsal
Flüchtigen Laufes erschöpft, die peneischen Wellen gewahrend,
Flehte sie: »Vater, ach hilf, wenn Macht euch Strömen gegeben!
(Wandele diese Gestalt, darin zu sehr ich gefallen.)«
Wie sie kaum es erfleht, faßt starrende Lähmung die Glieder,
Und mit geschmeidigem Bast umzieht sich der schwellende Busen.
Grünend erwachsen zu Laub die Haare, zu Aesten die Arme;
Fest hängt, jüngst noch flink, ihr Fuß an trägem Gewurzel!
Wipfel verdeckt das Gesicht; nichts bleibt wie die glänzende Schönheit.
So auch liebt sie der Gott. Au den Stamm die Rechte gehalten
Fühlt er, wie noch aufbebt in der bergenden Rinde der Busen,
Und mit den Armen die Aest', als wären es Glieder, umfangend,
Gibt er Küsse dem Holz. Den Küssen entzieht sich das Holz auch.
»Weil du – sprach er sodann – nicht mein kannst werden als Gattin,
Werde denn mein als Baum. Dich soll nun ständig die Leier,
[29] Dich soll tragen das Haar, dich ständig der Köcher, o Lorbeer!
Latiums Führern gesellt sei du, wenn fröhliche Stimmen
Jubeln Triumph, und zum Capitol lang wallet der Festzug.
Treulicher Wächter zugleich den augustischen Pfosten in Zukunft
Sollst du stehn vor dem Thor und in Mitten die Eiche behüten.
Und wie jugendlich trägt mein Haupt frei wachsende Locken,
Halte du fort und fort die beständige Zierde des Laubes.«
Päan hatt' es gesagt. Der Lorbeer nickte mit jungen
Zweigen dazu und schien wie ein Haupt zu bewegen den Wipfel.
In Hämonien liegt, von bewaldeten Steilen umschlossen,
Tempe genannt ein Hain, durch welchen vom unteren Pindus
Strömend zu Thal sich wälzt in schaumigen Wellen Peneus
Und im gewichtigen Fall mit flüchtigen Dämpfen getränkte
Wolken erregt und die Wipfel umher mit spritzendem Regen
Netzet und mit dem Gebraus nicht blos das Nahe betäubet.
Hier ist das Haus und der Sitz, hier sind die Gemächer des großen
Stromgotts. Hausend allhier in der felsumwölbeten Grotte
[30] Gab er den Wellen Gesetz und den Wellen bewohnenden Nymphen.
Dorthin kamen zuerst zusammen die heimischen Flüsse,
Zweifelnd im Sinn, ob sie Trost, ob Glückwunsch brächten dem Vater,
Pappelumlaubt Spercheos und rastlos immer Enipeus,
Greis Apidanus auch und der sanfte Amphrysos und Aeas;
Andere Ströme sodann, die, wo das Gelüste sie hintreibt,
Führen hinab zum Meer vom Irren ermüdete Wellen.
Inachus nur ist fern. In der untersten Grotte verborgen,
Mehrt er mit Zähren die Flut; denn Jo betrauert der Aermste
Als ein verlorenes Kind. Er weiß nicht, ob sie am Leben,
Ob bei den Manen sie sei; doch sie, die er nirgends gefunden,
Scheint ihm nirgends zu sein, und er fürchtet im Herzen das Schlimmste.
Jupiter hatt' unlängst, wie sie kehrte vom Strome des Vaters,
Jene geschaut und gesagt: »O Jungfrau Jupiters würdig,
Die einst liebend beglückt, ich weiß nicht wen, in den Schatten
Komm zum stämmigen Hain – und er wies nach dem Schatten des Haines –,
Da Glut sendet zunächst in die Mitte des Kreises die Sonne.
Hegest du Scheu allein zu betreten die Schlüfte des Wildes,
Sicher geleitet ein Gott dich hinein in die Tiefe des Waldes,
Und kein niedriger Gott, nein, welcher das himmlische Scepter
Hält in gewaltiger Hand und zuckende Blitze versendet.
Fliehe mich nicht!« Denn sie floh. Hinweg schon über die Weiden
Lerna's war sie geeilt und Lyrcea's waldige Fluren:
Da umhüllte der Gott mit bergendem Dunkel die Lande
Weit und breit und hemmte die Flucht und nahm ihr die Ehre.
Grad' auf die Felder hinab sah Juno indeß von der Höhe
Und war höchlich erstaunt, daß Nacht am heiteren Tage
Flüchtige Nebel gebracht. Wohl merkte sie, daß sich die Dünste
[31] Weder entwanden dem Fluß, noch stiegen vom wässrigen Boden,
Und nach dem Ehegemahl sucht rings ihr spähendes Auge,
Da ihr die Schliche bekannt des öfter betroffenen Gatten.
Wie sie ihn nicht im Himmel entdeckt: »Ich irre mich – sprach sie –
Oder ich werde gekränkt.« Und der Höhe des Aethers entglitten,
Hatte sie Stand auf der Erd' und hieß sich entfernen die Nebel.
Doch er hatte geahnet der Gattin Besuch und gewandelt
Inachus' Tochter zuvor in Gestalt weiß glänzender Färse.
Auch als Kuh ist sie schön. Die saturnische Göttin, ob ungern,
Preiset das stattliche Rind, und sie fragt, unkundig erscheinend,
Wessen es sei und woher und wohin zur Heerde gehörig.
Daß sie die Erde gezeugt, lügt Jupiter, weiterem Forschen,
Wie sie entstand, zu entgehn. Zum Geschenke begehret sie Juno.
Was nun thun? Hart wär' es, hinweg die Geliebte zu geben;
Weigerung regte Verdacht. Hier ist es die Scham, die ihm zuräth;
Dort räth Liebe ihm ab. Scham wäre gewichen vor Liebe:
Doch wenn das leichte Geschenk der Genossin des Stamms und des Lagers
Würde versaget, die Kuh, nicht Kuh dann möchte sie scheinen.
Als er die Buhle geschenkt, war frei doch nicht von Besorgniß
Juno sogleich, denn sie scheute den Gott und bangte vor Diebstahl,
Bis sie den Argus bestellt zum Hüter, den Sohn des Arestor.
Hundert Augen zugleich trug Argus am Haupt in der Runde:
Immer ergaben sich zwei in wechselnder Folge dem Schlummer,
Während die anderen all' achtsam auf dem Posten verblieben.
Wie er den Stand auch immer gewählt, er schaute nach Jo;
Jo stand vor dem Blick, auch wenn er gewendet das Antlitz.
Weiden darf sie am Tag; ist unter der Erde die Sonne,
Schließt er sie ein und legt um den Hals unwürdige Bande.
Nahrung ist ihr das Laub von den Bäumen und bittere Kräuter.
Statt auf schwellendem Pfühl muß ruhn auf dem Boden die Arme,
Der nicht immer begras't, und sie trinkt aus schlammigen Flüssen.
[32] Wenn sie mit Flehen empor zum Argus die Arme zu heben
Trachtete, war sie der Arme beraubt, die sie hübe zum Argus.
Wollte sie klagen ihr Leid, so stieg ein Gebrüll aus dem Munde:
Bebend vernahm sie den Ton und erschrak vor der eigenen Stimme.
Auch an den Strand, wo oft sie vormals pflegte zu spielen,
Kam sie, an Inachus' Strand, und wie sie im Wasser die neuen
Hörner erblickt, da bebt sie und flieht vor sich selbst mit Entsetzen.
Keine Najade erkennt, auch Inachus selber erkennt nicht,
Wer sie sei; doch sie folgt dem Erzeuger und folget den Schwestern;
Streicheln läßt sie sich gern und tritt den Bewundernden näher;
Inachus reicht ihr gerupfetes Gras, der bejahrte Stromgott:
Jene beleckt ihm die Hand, gibt Küsse den Fingern des Vaters
Und gönnt Thränen den Lauf, und wenn nur folgten die Worte,
Würd' um Hilfe sie flehn und Namen verkünden und Schicksal.
Aber gezeichnet im Staub mit dem Fuß gab traurige Kunde
Von dem gewandelten Leib ein Zug an der Stelle der Worte.
»Weh mir!« rufet im Schmerz Greis Inachus aus, und die Hörner
Hält er umfaßt und den schneeigen Hals der stöhnenden Färse:
»Weh mir! – klaget sein Ruf – du bist's, o Tochter, die ringsum
Ich in den Landen gesucht? Du warst mein Jammer verschollen
Minder, denn also entdeckt. Du schweigst, und erwidernde Worte
Redest du nicht und drängst nur Seufzer vom Grunde des Herzens
Und, was allein dir vergönnt, du brummst zu unseren Klagen.
Arglos richtet' ich zu für dich Brautkammer und Fackeln;
Erst nach dem Eidam stand mein Hoffen und dann nach den Enkeln.
Nun harrt dein von der Heerde ein Mann, ein Sohn von der Heerde;
Und nicht ist mir erlaubt durch Tod mein Leiden zu ändern:
Mir zum Verderb ja bin ich ein Gott, und unsere Trauer
Dehnet in ewige Zeit die verschlossene Pforte des Todes.«
Aber den jammernden Greis drängt fort der gestirnete Argus,
[33] Reißt vom Vater das Kind und treibt sie zu anderen Weiden.
Selber begibt er sich fern auf die Höhe des ragenden Berges,
Wo er sich setzt und weit nach jeglicher Seite sich umschaut.
Doch der Unsterblichen Haupt kann länger der Phoronide
Qual nicht sehn, und den Sohn, den die lichte Plejade geboren,
Rufet er her und gebeut durch Mord zu vertilgen den Argus.
Rasch nimmt jener den Hut auf das Haupt, an die Füße die Flügel
Und in die mächtige Hand die Schlummer verleihende Ruthe.
Wie er sich fertig gemacht, springt Jupiters Sohn von des Vaters
Burg auf die Erde hinab. Dort wieder entfernt er die Flügel
Und legt nieder den Hut und behält in den Händen den Stab nur.
Damit treibt er als Hirt quer durch die Gefilde die Ziegen,
Die er im Geh'n mitbracht', und bläs't auf gefügeten Halmen.
Zauberisch klang das neue Getön dem junonischen Wächter:
»He, wer immer du seist, – rief Argus – du könntest dich setzen
Zu mir hier auf den Stein; denn üppiger wächst für die Heerde
Nirgends das Gras, und du siehst für Hirten erquicklichen Schatten.«
Atlas' Sproß nahm Sitz und wußte mit vielem Gerede
Plaudernd zu dehnen den Tag und strebte die wachsamen Augen
Einzuwiegen gemach mit dem Spiel auf verbundenen Rohren.
Jener bekämpfet jedoch des Schlummers gelinde Bestrickung,
Und obschon sich dem Schlaf ein Theil von den Augen ergeben,
Hält er die anderen wach. Auch fragt er – denn neulich erfunden
War das flötende Spiel – was Anlaß gab zur Erfindung.
[34] Drauf sprach also der Gott: »In Arcadiens kalten Gebirgen
War die schönste im Kreis der nonacrischen Hamadryaden
Eine Najad' unlängst: die Nymphen benannten sie Syrinx.
Mehrmals war sie bereits entschlüpft nachstellenden Satyrn
Und den Göttern zumal, die der schattige Wald und das Saatfeld
Heget. Sie weihte sich ganz der ortygischen Göttin mit Neigung
Und jungfräulichem Sinn. Nach Sitte Dianens gegürtet
Konnte sie täuschen und selbst wol gelten als Tochter Latona's,
Wär' ihr nicht ein Bogen von Horn und ein goldener jener.
Doch so täuschte sie auch. Wie sie einst heimging vom Lycäus,
Schaute sie Pan, und das Haupt umwunden mit nadliger Fichte
Hub zu reden er an.« Noch war zu erzählen die Rede,
Und wie die Nymphe gefloh'n, nicht achtend der dringenden Bitten,
Durch pfadloses Gefild, bis daß zu des sandigen Ladon
Ruhigem Strom sie gelangt, und als die Wellen versperrten
Weiteren Lauf, um Wandlung gefleht zu den flüssigen Schwestern;
Wie dann Pan, da schon er gedachte zu haschen die Syrinx,
Statt der Nymphe Gestalt Sumpfrohr in den Armen gehalten,
Und als seufzend er stand, die wehende Luft in dem Schilfe
Leises Geflüster erregt, das ähnlich ertönte wie Klage,
Wie er entzückt vom Zauber des Tons und der neuen Erfindung
Hatte gesagt: »Das soll fortan uns beide vereinen!«
Und an den Halmen sodann, die er ungleich unter einander
Hatte verbunden mit Wachs, den Namen des Mädchens erhalten.
[35] Solches zu sagen bereit sah schon der cyllenische Jüngling
Alle die Wimpern gesenkt und verdeckt vom Schlummer die Augen.
Gleich nun hält er die Stimme zurück und verstärkt die Betäubung,
Mit dem bezaubernden Stab die schläfrigen Lider bestreichend.
Rasch dann führt er den Streich auf den Nickenden mit dem gekrümmten
Schwert, wo das Haupt sich schließt an den Hals, und stürzt ihn vom Felsen
Blutig hinab und beflecket das schroffe Gestein mit dem Blute.
Argus, du liegst, und das Licht, das so viel Leuchten erfüllte,
Ist dir verlöscht und es hüllt Ein Dunkel das Hundert von Augen.
Juno nimmt sie heraus und setzt in des heiligen Vogels
Federn sie ein und füllet den Schweif mit gestirnten Juwelen.
Zornig entbrannte sie jetzt und verschob nicht länger die Rache.
Graunvoll rückt sie dem Blick und dem Geist der argolischen Buhle
Vor der Erinnys Gestalt und senket verborgene Strahlen
Ihr in die Brust und jagt sie im Schreck rings über den Erdkreis.
Du warst übrig zuletzt, Nilstrom, der unendlichen Drangsal.
Als sie diesen erreicht, da sank sie am Rande des Ufers
Nieder, die Knie gebeugt, und mit rückwärts strebendem Nacken,
Was allein ihr vergönnt, das Gesicht zu den Sternen erhebend
[36] Schien sie mit Klagegestöhn und Thränen und schmerzlichem Brüllen,
Jupiter zeihend der Schuld, zu erflehen ein Ende der Leiden.
Da bat jener, den Arm um den Hals der Gemahlin geschlungen,
Endlich zu setzen ein Ziel der strafenden Pein: »Für die Zukunft –
Sprach er – banne die Furcht! Nie soll Ursache des Schmerzes
Jo dir sein.« Und er heißt es vernehmen die stygischen Sümpfe.
Als nun Juno erweicht, nimmt jene das frühe Antlitz
Wieder und wird wie zuvor. Von dem Körper entweichen die Haare;
Schrumpfend vergeht das Gehörn; eng zieh'n sich die Kreise der Augen;
Schmäler das Maul; nun kehren zurück die Schultern und Hände;
In fünf Zehen getheilt allmälig verliert sich die Klaue;
Und nichts bleibet an ihr von der Kuh als die blendende Weiße.
Aufrecht schreitet begnügt mit nur zwei Füßen die Nymphe;
Worte getraut sie sich kaum, daß nicht nach Sitte des Rindes
Brülle der Mund, und versucht sich verzagt abbrechend im Reden.
Leinwand tragende Schaar ehrt jetzt die gefeierte Göttin.
Ihr wird endlich geglaubt, daß Epaphus sei von des großen
[37] Jupiter Samen gezeugt, und rings in den Städten besitzt er
Tempel der Mutter gesellt. An Stolz war ihm wie an Jahren
Phaethon gleich, Sol's Sohn. Als der einst prahlte mit Hochmuth
Und vor ihm nicht wich und sich rühmte des Phöbus als Zeugers,
Trug's nicht Inachus' Sproß: »Du glaubst auch – sprach er – der Mutter
Alles, o Thor! Dich blähet das Bild des erlogenen Vaters.«
Phaethon glüht im Gesicht, und die Scham nur hemmte den Jähzorn,
Und vor Clymene bracht' er des Epaphus Schmähung und sagte:
»Daß du, Mutter, es recht auch fühlst, ich habe geschwiegen,
Ich so trotzig und keck. O Schmach, daß jener den Vorwurf
Uns zu sagen vermocht, und wir ihn nicht zu entkräften!
Aber wenn anders ich bin aus himmlischem Samen entsprossen,
Gib mir Beweis von dem hohen Geschlecht mir den Himmel zu sichern.«
Phaethon sprach's und umfing der Zeugerin Hals, und bei Merops
Und bei dem eigenen Haupt und den Hochzeitfackeln der Schwestern
Bat er sie kund zu thun durch ein Zeichen den wirklichen Vater.
Clymene, mochte sie nun mehr folgen den Bitten des Sohnes
Oder dem Zorn, den gab die Beschuldigung, streckte die Arme
Beide zum Himmel empor, und schauend zum Glanze des Phöbus
Sagte sie: »Dort bei dem Licht in der Pracht hellblitzender Strahlen
Schwör' ich dir, Sohn, bei dem Licht, das uns anhöret und anblickt:
Er, den droben du siehst, ja Sol, der Erquicker des Weltalls,
[38] Hat dich gezeugt. Ist Lüge mein Wort, dann geb' er sich nimmer
Mir zu schaun, dann scheine der Tag mir heute zum letzten.
Leicht ist die Mühe für dich, die Penaten des Vaters zu finden:
Nah angrenzet das Haus, wo er aufsteigt, unserem Lande.
Bist du gewillt, geh hin, und er wird dich selber belehren.«
Phaethon springt sogleich, als solches die Mutter geredet,
Auf in freudiger Hast, und im Geist umfaßt er den Aether.
Sein Aethiopengeschlecht durcheilet er rasch und die Inder
Unter dem heißen Gestirn und erreicht Sol's östliche Wohnung.

Zweites Buch

[39] Zweites Buch.

Inhalt. Phaethon. Die Heliaden. Cycnus. Callisto. Der Rabe (Coronis). Nyctimene. Aesculapius. Ocyrrhoe. Battus. Aglauros (die Mißgunst). Europa.


Stattlich erhöht stand da Sol's Burg auf ragenden Säulen

Hell von blinkendem Gold und von flammengleichem Pyropus.
Glänzendes Elfenbein war oben die Zierde des Giebels;
Strahlend prangten die zwei Thorflügel im Lichte des Silbers.
Ueber den Stoff noch siegte die Kunst. Dort hatte gebildet
Mulcibers Meißel das Meer, wie es rings umgürtet die Länder,
Und die gerundete Erd' und den Himmel über der Rundung.
Bläuliche Götter umschließet die Flut, den blasenden Triton,
Proteus' Wandelgestalt und, wie er den mächtigen Rücken
Drückt mit den Armen dem Wal, den Riesen Aegäon, und Doris
Und, die Doris gebar. Theils scheinen zu schwimmen die Jungfrau'n,
Theils auf felsigem Riff sich die grünlichen Haare zu trocknen,
[40] Theils auf Fischen zu ruh'n. Nicht gleich ist bei allen das Antlitz,
Ohne verschieden zu sein, so wie es bei Schwestern geziemend.
Männer besitzt und Städte die Erd' und Wälder und Thiere,
Flüsse und Nymphen dazu und die anderen Mächte der Fluren.
Darob stehet gewölbt das Gebilde des glänzenden Himmels,
Und sechs Zeichen sind rechts und sechs auch links an dem Thore.
Als nunmehr dorthin auf steigendem Pfade gelangt war
Clymene's Sohn und trat in das Haus des bezweifelten Vaters,
Lenkt er die Schritte sofort nach dem Antlitz seines Erzeugers;
Fern dann bleibet er stehn; denn näher vermochte sein Auge
Nicht zu ertragen das Licht. Da saß im Purpurgewande
Phöbus auf prächtigem Thron, der glänzte von hellen Smaragden.
Neben ihm stand Tag, Monat und Jahr zur Rechten und Linken,
Zum Jahrhundert gesellt, und gleich abstehende Stunden,
Stand frisch grünender Lenz, umwunden von blühendem Kranze,
Stand mit dem Aehrengeflecht im Haar der entkleidete Sommer,
Stand der Herbst mit dem Saft der gestampfeten Trauben besudelt,
Endlich der Winter beeis't und struppig das greisende Haupthaar.
Dorther mitten im Raum ward Sol den betroffenen Jüngling,
Der bang staunte, gewahr mit den alles erblickenden Augen.
»Was trieb dich zu dem Gang? Was suchest du, Phaethon, – sprach er –
Hier in der Burg, du Sproß, der nicht zu verleugnen dem Zeuger?«
Jener versetzt: »O gemeinsames Licht des unendlichen Weltalls,
Vater Phöbus, wofern du mir solche Benennung gestattest,
Und nicht Clymene Schuld mit falschem Gebilde verhehlet,
Gib mir, Erzeuger, ein Pfand, das mich als wirklichen Sprößling
Zeige von dir, und unser Gemüth von dem Zweifel befreie.«
Phaethon sprach's. Ablegt der Erzeuger die blendenden Strahlen,
Die umglänzten sein Haupt, und gebeut ihm näher zu gehen,
[41] Und er umarmt ihn und spricht: »Wohl bist du der Meine zu heißen
Würdig, und Clymene that dir kund wahrhaftigen Ursprung.
Daß du dem Zweifel entsagest, erbitte beliebige Gabe,
Und ich gewahre sie dir. Der Pfuhl, bei welchem die Götter
Schwören, von uns noch nimmer geschaut, sei Zeuge des Wortes!«
Kaum war solches gelobt, als jener den Wagen des Vaters
Heischt und das Recht für den Tag die geflügelten Rosse zu lenken.
Jetzo bereut sein Vater den Schwur, und er schüttelt im Unmuth
Drei vier Mal sein leuchtendes Haupt: »Durch das deinige – sprach er –
Ward sinnlos mein Wort. O, wär' es vergönnt, das Verheiß'ne
Nicht zu verleih'n! Dies würd' ich dir, Sohn – ich gesteh' es – versagen.
Warnung jedoch ist vergönnt. Nicht ist dein Verlangen gefahrlos.
Großes erstrebt dein Wunsch, o Phaethon, was den geringen
Kräften mit nichten geziemt, noch so unmännlichen Jahren.
Dir fiel sterbliches Loos; nicht sterblich ist, was du begehrest.
Höheres gar, als was zu erreichen den Himmlischen möglich,
Forderst du ohne Bedacht. Sich selbst mag jeder genügen;
Aber von allen vermag auf der feurigen Achse zu stehen
Keiner denn ich. Der Beherrscher sogar von dem weiten Olympus,
Der mit der schrecklichen Hand hinschmettert vernichtende Blitze,
Lenkt nicht dieses Gespann: und was gleicht Jupiters Größe?
Steil ist der Weg im Beginn, wo kaum in der Frühe die frischen
Rosse sich mühen hinan. Hoch steigt er in Mitten des Himmels,
Wo tief unten das Meer und die Lande zu sehen mir selber
Oftmals graut, und die Brust mir erbebt vor banger Besorgniß.
Jäh ist am Ende die Bahn und bedarf der sicheren Leitung.
Dann ist Thethys sogar, die mich in dem Schooß der Gewässer
Unten empfängt, in Furcht, daß schwindligem Sturz ich erliege.
Denke dazu, daß gerafft von ständigem Schwunge der Himmel
[42] Mitzieht hohe Gestirn' und in eiligem Wirbel herumdreht.
Gegen ihn streb' ich mit Macht, und der Kraft, die alles bewältigt,
Trotz' ich und lenke die Fahrt entgegen der wälzenden Kreisung.
Laß dein sein das Gespann: was thätest du? Kannst du dich stemmen
Wider den rollenden Pol, daß nicht dich entführte die Achse?
Haine vielleicht auch dort und Häuser und Städte zu finden
Wähnst du in deinem Gemüth, und Tempel mit reichen Geschenken:
Durch Nachstellungen gehet der Weg und Gebilde von Thieren.
Wenn du die Bahn auch hältst und nie abschweifst in die Irre,
Mußt du durch das Gehirn des begegnenden Stieres dich winden,
Durch des Centauren Geschoß und den Rachen des grimm'gen Löwen,
Am Scorpion auch hin, der krümmet die dräuenden Scheeren
Weit ausgreifend im Kreis, und am Krebs, der anders sie krümmet.
Auch ist dir das Gespann, vom sprühenden Feuer getrieben,
Das es verschließt in der Brust und aus Maul und Nüstern hervorschnaubt,
Nicht zu bändigen leicht. Kaum leiden mich selber die Rosse,
Wenn heiß dränget der Muth, und der Nacken erwehrt sich der Zügel.
Drum, daß nicht ich dir sei unseliger Gabe Verleiher,
Hüte dich, Sohn, und bess're den Wunsch, da noch es vergönnt ist.
Daß du von unserem Blut dich glaubest erzeugt mit Gewißheit,
Willst du ein sicheres Pfand. Ich gebe das Pfand durch Besorgniß:
Väterlich Bangen erweis't als Vater mich. Schau und betrachte
Nur mein Gesicht! O könntest du mir in den Busen das Auge
Senken und innen die Angst des liebenden Vaters erkennen!
Ja, was immer die Welt – blick' um dich – heget an Reichthum,
Unter dem Köstlichen all auf Erden, im Meer und im Himmel
[43] Wähle dir irgend ein Gut: nicht soll Fehlbitte dich kränken.
Steh' von dem Einen nur ab, was Strafe mit richtigem Namen,
Ruhm nicht ist. Zum Geschenk, o Phaethon, heischest du Strafe.
Was umfängst du den Hals mir, Thor, mit schmeichelnden Armen?
Zweifle nicht, du erlangst, – ich schwor bei den stygischen Fluten –
Was du immer gewünscht; doch mußt du verständiger wünschen.«
Also mahnte der Gott. Doch jener verschmähte die Warnung
Und hält fest am Entschluß und brennt vor Begier nach dem Wagen.
Drum, so lang es vergönnt, noch säumig geleitet der Zeuger
An Vulcanus' Geschenk den erhabenen Wagen, den Jüngling.
Dran war golden die Achs' und dunkel die Deichsel und golden
Außen am Rade der Kranz und silbern die Reihe der Speichen.
Chrysolithen am Joch und gereihte Edelgesteine
Gaben die Strahlen zurück dem widergespiegelten Phöbus.
Als noch dies und die Kunst der muthige Phaethon staunend
Musterte, sieh, da thut im gerötheten Osten Aurora
Wach das purpurne Thor schon auf und den rosenbestreuten
Vorhof. Bald ist das Heer der Gestirne verscheucht, und den Zug schließt
Lucifer, welcher zuletzt abzieht von der Wache des Himmels.
Wie er der Erd' ihn sah sich nah'n und sich röthen das Weltall
Und gleichsam an dem Monde die Enden der Hörner vergehen,
Heißt der Titan das Gespann anschirren die hurtigen Horen.
Rasch ist gethan das Gebot, und die glutausschnaubenden Renner,
Die mit Ambrosiasaft sich gesättiget, führen von hohen
Krippen die Göttinnen her und befestigen klirrende Zäume.
Jetzo bestrich dem Sohne mit heiliger Salbe das Antlitz
Phöbus und ließ ihm Kraft zu bestehen die sengende Flamme,
[44] Und mit Strahlen umgab er sein Haar und ahnend das Unheil
Drängte er Seufzer hervor aus bekümmertem Herzen und sagte:
»Kannst du wenigstens hier des Vaters Ermahnungen folgen:
Schone den Stachel, o Sohn, und kräftiger brauche die Zügel.
Selbst da eilen sie schon. Müh ist's, ihr Streben zu hemmen.
Auch nicht wähle die Bahn durch die fünf gradlaufenden Bogen.
Schräg hin zieht sich ein Pfad in weit abbiegender Krümmung,
Der mit der Grenze begnügt von dreien der Zonen vermeidet
So den südlichen Pol wie am nördlichen Himmel den Bären:
Dort einschlage den Weg. Du erkennst noch deutliche Gleise.
Und daß Himmel und Erd' empfahn gleichmäßige Wärme,
Senke du nicht, noch treib' in die Höhe des Aethers den Wagen.
Gehst du hinauf zu hoch, so verbrennst du die himmlischen Häuser;
Gehst du zu tief, die Erd'; am sichersten hältst du die Mitte.
Daß auch nicht rechtsab zur gewundenen Schlange dich reiße,
Noch dich führe das Rad linksab zum gesenkten Altare,
Halte dazwischen die Bahn. Des Weiteren walte Fortuna!
Möge sie besser als du Acht haben und helfen: ich wünsch' es.
Während ich rede, berührt das Ziel am hesperischen Strande
Längst die thauige Nacht. Nicht frei steht längere Säumniß.
Auf denn, es drängt! Hell glänzt, da geflohen das Dunkel, Aurora.
[45] Nimm die Zügel zur Hand! Doch bist im Gemüthe du lenksam,
Mache dir unseren Rath, nicht unseren Wagen zu Nutze,
Da du es kannst und Stand noch hast auf gediegenem Grunde,
Eh rathlos du beschwerest die leider begehrete Achse.
Daß du sicher es schaust, laß Licht mich geben den Ländern.«
Leicht im Schwunge besteigt den flüchtigen Wagen der Jüngling
Und steht oben und hält in der Hand die gegebenen Zügel
Freudig und dankt von da dem nicht gutheißenden Vater.
Pyrois, Aethon indeß und Eous und Phlegon der vierte,
Phöbus' Flügelspann, erfüllen die Lüfte mit Wiehern
Flammenden Hauchs und schlagen im Drang mit den Hufen die Barren.
Als die Tethys zurück, nicht ahnend des Enkels Verhängniß,
Hatte geschoben, und frei dalag der unendliche Weltraum,
Stürzen sie hastig dahin, und die Luft mit den Hufen zertheilend
Bahnen sie sich durch Wolken den Weg, und von Schwingen gehoben
Eilen dem Ost sie voraus, der weht von derselbigen Gegend.
Aber die Last war leicht und nicht zu verspüren dem edeln
Sonnengespann, und das Joch entbehrte der sonstigen Schwere.
So wie das bauchige Schiff, dem fehlt die gebührende Ladung,
Schwankt und, weil es zu leicht, haltlos auf dem Meere dahintreibt,
Also, befreit vom gewohnten Gewicht, thut Sprünge der Wagen,
Und hoch wird er geschnellt in die Luft und erscheint wie ein leerer.
Aber das Viergespann stürzt wild, wie es solches gewahret,
Von dem befahrenen Raum und läßt von der früheren Ordnung.
Jener in Angst weiß nicht die vertraueten Zügel zu lenken,
Noch auch, welches der Weg, und wüßt' er es, wär' er doch machtlos.
Jetzt erwarmten zuerst von den Strahlen die kalten Trionen,
[46] Und sie versuchten umsonst in verbotene Flut sich zu tauchen,
Die sich gelagert zunächst dem eisigen Pole, die Schlange,
Träge von Kälte zuvor und keinem ein Bild des Entsetzens,
Thauete auf und schwoll von der Glut zu neuem Ergrimmen.
Du auch flohest gestört nach der Sage von hinnen, Bootes,
Ob auch säumig du warst und dich dein Wagen zurückhielt.
Doch als Phaethon jetzt, der unglückselige, schaute
Hoch vom Aether hinab auf die tief tief liegenden Länder,
Ward er bleich, und die Knie erbebten in plötzlichem Schrecken;
Und bei dem blendenden Licht umzog ihm Dunkel die Augen.
Hätt' er doch nie, so wünscht er, berühret die Rosse des Vaters!
Hätt' er doch nimmer erkannt das Geschlecht und erreicht das Verlangen!
Merops' Sohn gern blieb er genannt. Nun irret er unstät
Wie vor dem stürmenden Nord ein Schiff, wenn die Zügel in Ohnmacht
Frei sein Lenker ihm gibt und es Göttern vertraut und Gelübden.
Was nun thun? Viel hat er bereits vom Himmel im Rücken;
Vor ihm dehnet sich mehr. Im Geiste bemißt er die Strecken.
Vorwärts bald, wohin das Geschick zu gelangen ihm wehret,
Schaut er, zum Untergang; bald rückwärts schaut er zum Aufgang.
Rathlos starrt er in Angst und läßt nicht fahren die Zügel,
Noch auch zieht er sie an, noch weiß er die Namen der Rosse.
Hier und da auch sieht er mit Zittern am wechselnden Himmel
Wundergestalten zerstreut und Gebilde von dräuenden Thieren.
Südwärts zeigt sich ein Ort, wo die Scheeren in doppelter Windung
Krümmet der Scorpion und beugend den Schwanz und die Arme
[47] In den Bereich von zwei Sternzeichen die Glieder hinausreckt.
Als den Phaethon sah, wie er troff vom Schweiße des schwarzen
Giftes und ihn mit dem Stich des gebogenen Stachels bedrohte,
Ließ er vor eisigem Schreck sinnlos aus den Händen die Zügel.
Als die aber erschlafft nun oben die Rücken berührten,
Schweifen die Rosse vom Weg und sprengen von keinem gehalten
Durch den entlegensten Raum, und wohin sie treibt das Gelüste,
Jagen sie ohne Gesetz, und an Sterne, die oben im Aether
Fest stehn, rennen sie an und raffen den Wagen durch Wildniß.
Bald in schwindelnde Höhn, bald fahren sie jach in die Tiefe
Auf abschüssigem Pfad und gehn ganz nah an der Erde,
Und mit Verwunderung sieht tief unter dem ihrigen Luna
Laufen des Bruders Gespann und es dampfen gesenkt die Gewölke.
Feuer ergreift nunmehr an den ragenden Höhen die Erde:
Berstend zerreißet der Grund und lechzt, da die Säfte versieget.
Dürr entfärbt sich das Gras; mit dem Laube verbrennen die Bäume,
Und die getrocknete Saat gibt Stoff dem eignen Verderben.
Kleiner Verlust! Mit den Mauern vergehn großmächtige Städte;
Ganze Länder sogar mitsammt den bewohnenden Völkern
Wandelt in Asche der Brand. Mit den Bergen entbrennen die Wälder.
Athos, Tmolus entbrennt, der cilicische Taurus und Oete,
Ida, trocken anjetzt, vormals reichhaltig an Quellen,
Helicons Jungfraunhöh' und der später öagrische Hämos.
Von der gedoppelten Glut brennt nun ins Unendliche Aetne;
Auch der getheilte Parnaß und Cynthus und Othrys und Eryx,
Rhodope auch, nun endlich des Schnees entbehrend, und Mimas;
Dindyma, Mycale brennt und zur Feier erkoren Cithäron.
[48] Keinen Gewinn vom Frost hat Scythien: Caucasus brennet:
Ossa mit Pindus zugleich und groß vor beiden Olympus,
Luftige Alpenhöhn und der wolkige Apenninus.
Da sieht Phaeton nun, wie auf jeglicher Seite der Erdkreis
War von den Flammen erfaßt, und er kann nicht tragen die Hitze.
Kochende Luft, gleichwie dem Schlunde des Ofens entstiegen,
Athmet er ein, und fühlt, wie unter ihm glühet der Wagen,
Und nicht kann er die Asch' und die aufwärts fliegenden Funken
Länger bestehn, und es hüllet ihn rings heißqualmender Rauch ein.
Schwarz von Dunkel umdrängt weiß nicht er, wohin er sich wende,
Noch wo er sei, und er irrt nach Gefallen der fliegenden Rosse.
Damals trat, wie man glaubt, das Blut Aethiopiens Völkern
Bis in die äußerste Haut und brachte die dunkele Farbe.
Libyen ward damals, weil Glut aufzehrte die Nässe,
Trockener Sand. Damals mit zerstreueten Haaren beweinten
Quellen die Nymphen und Seen. Es vermißt die pirenischen Wellen
Ephyre, Argos vermißt Amymóne, Böotien Dirce.
Nicht die Flüsse sogar, die empfangen geschiedene Ufer,
Bleiben verschont. Sieh, Tanais dampft in Mitten der Wellen,
Auch Peneos der Greis und der Teuthranteer Caicus
Und mit dem phegischen Strom Erymanthus der rasche Ismenos,
Xanthus bestimmt zu erueuetem Brand und der gelbe Lycormas
Und der treibet sein Spiel mit geschlängelten Wellen, Mäandros,
Melas Mygdoniens Fluß und der Tänarusstrom Eurotas.
Babylons Strom auch brennt, Euphrates; es brennet Orontes,
Ganges, Phasis zugleich und der schnelle Thermodon und Ister.
Siedend empört sich Alpheos, es brennt Spercheos' Gestade,
Und von den Gluten zerfließet das Gold, das Tagus herabführt.
[49] Die mit hellem Gesang die mäonischen Ufer erfüllten,
Wurden gewärmt, die Vögel der Flut, im Bett des Caystros.
Fern an's Ende der Welt entwich der erschrockene Nilstrom,
Und er versteckte das Haupt, das er jetzt noch birgt, und die sieben
Mündungen lagen in Staub, nun sieben vertrocknete Thäler.
Gleiches Geschick entleert die Ismarier Hebrus und Strymon,
Padus und Rhodanus auch und den Rhein, die hesperischen Ströme,
Und, dem Obergewalt auf Erden verheißen, den Thybris,
Allorts berstet der Grund; in den Tartarus dringt durch die Spalten
Helle des Tags und schreckt mit der Gattin den König der Tiefe.
Selber das Meer sinkt ein, und ein Feld von trockenem Sande
Steht, wo See jüngst stand, und Höhen, die unter der Fläche
Ruheten, steigen hervor und mehren zerstreute Cycladen.
Rettung sucht auf dem Grunde der Fisch, und über die Wogen
Wagt sich der krumme Delphin nicht mehr in die Lüfte zu schnellen.
Leblos schwimmen gestreckt auf den Rücken die Leiber von Robben
Oben umher auf der Flut. Selbst Nereus, meldet die Sage,
Hielt sich mit Doris versteckt und den Töchtern in laulichen Grotten.
Dreimal wagte Neptun aus dem Wasser zu heben die Arme
Und sein finstres Gesicht. Drei Male vertrieb ihn die Hitze.
Aber umströmt, wie sie war, hob jetzo die gütige Erde
Zwischen den Wassern der See und all den geflüchteten Quellen,
Die sich zusammengedrängt in den Schooß der dunkelen Mutter,
Bis zum Halse gedörrt ihr allerzeugendes Antlitz
Und hielt schützend die Hand an die Stirn und bebte gewaltig
Alles erschütternd umher und versank um weniges tiefer,
Als sie gewöhnlich erscheint, und sprach mit dem heiligen Munde:
»Willst du es so, und hab' ich's verdient, was, höchster der Götter,
[50] Zaudert dein Blitz? Laß mich, wenn ich doch durch Feuer vergehn soll,
Durch dein Feuer vergehn! Im Verderb sei Trost der Verderber!
Kaum noch kann ich die Kehl' aufthun, um solches zu reden –
Dampf schloß eben den Mund – Sieh hier die versengeten Haare;
Siehe die Augen erfüllt und erfüllt von Asche das Antlitz!
Gibst du also mir Dank und Lohn für gedeihliches Schaffen
Und für treulichen Dienst, daß Wunden ich dulde vom Karste
Und von gebogenem Pflug und ständig im Jahre gequält bin,
Daß ich dem Vieh sein Laub und die harmlose Speise der Feldfrucht
Reiche dem Menschengeschlecht und euch süßduftenden Weihrauch?
Aber, wenn ich das Verderben verwirkt, was haben die Wellen,
Was dein Bruder verwirkt? Warum denn fallen die Fluten,
Die ihm das Loos zusprach, und stehen vom Aether entfernter?
Doch wenn weder zu mir, noch Liebe zum Bruder dich rühret,
Rühre dir doch dein Himmel das Herz. Schau um nach den Polen:
Beiden entsteigt schon Rauch. Wenn diese das Feuer versehret,
Stürzet das himmlische Haus euch ein. Schwer mühet sich Atlas,
Und kaum hält er gestützt mit den Schultern die glühende Achse.
Geht zu nichte das Meer und die Erd' und die Feste des Himmels,
Dann in den Chaos zurück versinken wir. Rett' aus den Flammen,
Was noch übrig verblieb, und berathe das Beste des Weltalls.«
Also hatte die Erde gesagt; denn nimmer ertragen
Konnte sie länger den Qualm, noch Weiteres reden; das Antlitz
Zog sie zurück in sich und in Höhlen, die näher den Manen.
Aber die Himmlischen nimmt der allmächtige Vater zu Zeugen
Und ihn selbst, der geliehn das Gespann, daß alles verderbe,
Rett' er nicht in der Noth. Und er steigt auf die oberste Zinne,
Wo er Gewölk anhäuft und weit umziehet die Lande,
[51] Wo er den Donner erregt und schleudert geschwungene Blitze.
Aber Gewölk war nicht, womit er umzöge die Lande,
Noch war Regen ihm jetzt zu Gebot, den er gösse vom Himmel.
Donner erscholl, und rechts vom Ohr auf den Lenker des Wagens
Sandt' er im Schwunge den Blitz, und vom Leben zugleich und den Rädern
Rafft' er ihn weg und bezwang mit schrecklicher Flamme die Flammen.
Scheu fährt auf das Gespann und reißet im Sprung auf die Seite
Schleunig den Hals aus dem Joch und verläßt die zersprengeten Riemen
Dorthin fällt das Gebiß, und dort von der Deichsel gerissen
Lieget die Achs' und hier die Speichen zerbrochener Räder,
Und weit fliegen zerstreut vom zertrümmerten Wagen die Reste.
Phaeton aber, vom Brande die röthlichen Haare verwüstet,
Stürzt kopfüber hinab, und im Strich langhin durch die Lüfte
Flieget er, wie wenn ein Stern bisweilen dem heiteren Himmel
Wenn nicht wirklich entfällt, doch scheint, als ob er entfiele.
Fern vom heimischen Land nimmt jenen im Westen der große
Strom Eridanus auf und bespült sein rauchendes Antlitz.
Vom dreizackigen Strahl noch rauchend bestatten den Leichnam
Nymphen hesperischer Flut und zeichnen den Stein mit dem Denkspruch:
»Phaethon ruht allhier, der lenkte den Wagen des Vaters.
Wenn er ihn auch nicht hielt, doch sank er in großem Beginnen.«
[52] Denn sein Vater verbarg trostlos in schmerzlicher Trauer
Sein umhülltes Gesicht, und – wofern wir glauben der Sage –
Ohne die Sonne verging ein Tag. Die Lohe gewährte
Helle des Tags, und es bot doch einigen Nutzen das Unheil.
Clymene aber, nachdem sie gesagt, was alles zu sagen
Bei so schwerem Geschick, durchwanderte jammernd und sinnlos
Und mit zerrissenem Kleid am Busen die sämmtlichen Lande;
Suchend die Glieder zuerst, bald nur die Gebeine des Todten,
Fand die Gebeine sie doch am fremden Gestade begraben,
Warf an der Stätte sich hin und begoß mit Zähren den Namen,
Den auf dem Marmor sie las, und wärmt' ihn am offenen Busen.
Ebenso weih'n Wehklag' und Thränen des Helios Töchter,
Eitele Gabe dem Tod, und die Brust mit den Händen sich schlagend
Rufen sie ihn, der nimmer vernimmt die schmerzlichen Klagen,
Phaethon, Tag und Nacht und werfen sich über das Grabmal.
Viermal war's, daß Luna den Kreis mit vereinigten Hörnern
Füllete: jene nach Brauch – Brauch ward aus dem steten Gebahren –
Schrieen ihr Ach und Weh. Da klagt Phaethusa, der Schwestern
Aelteste, als sie den Leib auf die Erde gedachte zu lagern,
Daß ihr die Füße erstarrt. Die lichte Lampetie trachtet
Helfend der Schwester zu nah'n und haftet an plötzlicher Wurzel.
Als mit den Händen das Haar sich wollte zerzausen die Dritte,
Raufet sie Laub. Die siehet mit Angst, wie die Schenkel ein Stamm hält;
Jene, wie länger gedehnt zu Aesten ihr werden die Arme.
Während sie staunen darob, umzieht schon Rinde die Weichen,
[53] Und nach einander um Bauch und Brust und Schultern und Hände
Schlingt sie sich; frei war nichts, als der Mund, der rief nach der Mutter.
Was kann diese noch thun als hierhin eilen und dorthin,
Wo sie das Herz hinzieht, und küssen, so lang es vergönnt ist?
Das nicht blos: sie versucht von den Stämmen zu reißen die Leiber
Und mit der Hand das zarte Gezweig zu brechen. Da rinnen
Blutige Tropfen herab, gleichwie aus offener Wunde.
»Mutter, o schone doch mein! – ruft jegliche, wie sie verletzt wird –
Schone doch mein! Mein Leib ja wird in dem Baume zerrissen.
Lebe denn wohl!« Und Rinde verschloß die redenden Lippen.
Thränen noch fließen heraus und erstarren vom jungen Gezweige
Tropfend am sonnigen Strahle zu Bernstein, welchen der klare
Strom aufnimmt und sendet zum Schmuck den latinischen Frauen.
Zeuge des Wundergeschicks war Cycnus, des Sthenelus Sprößling,
Welcher, obwohl durch Blut dir verwandt von Seiten der Mutter,
Näher dir, Phaethon, stand durch treue Gesinnung. Verlassen –
Denn der Ligurer Volk und mächtige Städte beherrscht' er –
Hatt' er sein Reich und erfüllt mit Klagen die grünenden Ufer
[54] Und des Eridanus Strom und den Wald, den mehrten die Schwestern.
Siehe, verdünnt ist die Stimme dem Mann, und weißes Gefieder
Macht unkenntlich das Haar, und lang von der Brust in die Höhe
Streckt sich der Hals, und ein Band verknüpft die gerötheten Zehen;
Fittige wachsen ihm an; stumpf ragt ein Schnabel am Munde.
Neu wird Cycnus ein Schwan, und er traut nicht Jupiters Himmel,
Wie des Feuers gedenk, das jener gesendet mit Unrecht;
Weiher bewohnt er und offene Seen, und hassend das Feuer
Hat er gewählt zum Sitze der Glut feindselige Wasser.
Phaethons Vater indeß im Trauergewand und entbehrend
Selber der schimmernden Pracht, wie er pfleget zu sein, wenn er finster
Mangelt der Welt, verwünschet das Licht und sich mit dem Tage,
Senkte in Trauer das Herz und fügt noch Groll zu der Trauer,
Und er verweigert der Welt den Dienst. »Unruhig – begann er –
War zur Genüge mein Loos von der Zeiten Beginn, und es reut mich
Jetzo der Müh'n, die ich ohn' End', ohn' Ehre bestanden.
Fahre denn nun, wer will, den Licht herführenden Wagen,
Und mag keiner, gestehn die Ohnmacht sämmtliche Götter,
Fahr' er selbst, daß doch, wenn er unsere Zügel versuchet,
Einmal ruhe der Blitz, womit er verwaiset die Väter.
Hat er gespüret die Kraft der feurigen Renner, so sieht er,
Daß nicht Tod sich verwirkt, wer nicht sie tüchtig gelenket.«
Als so redete Sol, umstehen ihn alle die Götter:
Daß er mit finsterer Nacht nicht wolle verhüllen das Weltall,
Bitten sie flehenden Tons. Das geschleuderte Feuer entschuldigt
Jupiter auch und fügt noch königlich Drohen zur Bitte.
Da holt ein die vom Schreck noch betäubten und bebenden Rosse
Phöbus und läßt dran aus mit Stachel und Geißel den Ingrimm;
Denn Grimm hegt er und schiebt auf jene des Sohnes Verderben.
[55] Achtsam aber umgeht der allmächtige Vater des Himmels
Riesige Mauern und forscht, ob nichts einstürze, zerrüttet
Durch des Feuers Gewalt. Wie er fest noch alles gefunden
Und im tüchtigen Stand, durchspäht er die Erd' und der Menschen
Arbeit. Aber zumeist für sein Arcadien ist er
Liebend besorgt. Neu stellet er her die Quellen und Flüsse,
Die noch scheuen den Lauf; Gras gibt er dem Boden, den Bäumen
Wieder ihr Laub und heißt frisch grünen beschädigte Wälder.
Während er geht und kommt, hat eine nonacrische Jungfrau
Fest ihn gebannt, und es glimmt im Mark das empfangene Feuer.
Nicht war jener Geschäft die Wolle geschmeidig zu ziehen,
Noch zu verändern das Haar in Tracht. Wenn die Spange das Kleid ihr
Und ein schneeiges Band nachlässige Locken gefesselt,
Und den geglätteten Spieß sie führete oder den Bogen,
War sie in Phöbus' Gefolg, und der Trivia werther besuchte
Keine des Mänalos Höh'n. Doch Macht ist nimmer beständig.
Ueber die Mitte hinaus stand hoch am Himmel die Sonne,
Als sie trat in den Hain, den kein Zeitalter gelichtet.
Drauf von der Achsel entnahm sie den Köcher und spannte den straffen
Bogen zurück und ließ auf dem grasigen Boden sich nieder,
Und ausruhend beschwert' ihr Haupt den bebilderten Köcher.
[56] Jupiter, wie er sie sah daliegen von keinem gehütet,
Sprach: »Diesmal wird nichts von dem Handel erfahren die Gattin,
Oder erfährt sie es auch: was kann ihr Schelten mich kümmern?«
Gleich nun zeiget er sich in Gestalt und Tracht der Diana:
»Jungfrau – sagt er zu ihr – du meiner Gefährtinnen eine,
Wo im Gebirg' heut' hast du gejagt?« Sie erhebt sich vom Rasen:
»Sei mir – sprach sie – gegrüßt, o Gottheit meines Bedünkens
Höher, und hört' er es selbst, als Jupiter!« Lachend vernimmt er's,
Froh, daß sie über ihn selbst ihn stellt, und bedeckt sie mit Küssen
Nicht in züchtigem Maß und nicht nach Sitte der Jungfrau.
Wie sie beginnt, in welchem Gehölz sie gejagt, zu erzählen,
Hindert er durch Umfahn, nicht ohne Vergehn sich verrathend.
Zwar sie kämpfet und ringt, so viel ein Mädchen vermögend –
Sähest du zu, o Tochter Saturns, du wärest gelinder! –
Zwar sie ringt; doch welch ein Weib, ja wer von den Göttern
Hielte vor Jupiter Stand? Siegreich kehrt wieder zum Aether
Jupiter. Ihr ist verhaßt das Gebüsch und die wissende Waldung,
Und sie vergaß, wie sie wandte den Fuß, fast Köcher und Pfeile
Aufzuheben vom Gras und vom Aste zu nehmen den Bogen.
Sieh, Dictynna einher auf der Höhe des Mänalos schreitend,
Von dem Gefolg umringt und stolz auf des Wildes Erlegung,
Wird sie gewahr und rufet sie her. Die Gerufene fliehet
Und hegt Furcht im Beginn, daß Jupiter sei in der Jungfrau.
Als sie jedoch nun auch sah nah'n die begleitenden Nymphen,
Wußte sie, Trug sei fern, und trat in die Reihe der Andern.
Ach, wie fällt es so schwer, Schuld nicht zu verrathen im Antlitz?
Kaum vom Boden erhebt sie den Blick; nicht ist sie der Göttin
Immer zur Seite wie sonst und nicht im Zuge die Erste,
Sondern sie schweigt und beweist die beleidigte Scham durch Erröthen.
Wäre sie Jungfrau nicht, wohl konnte Diana an tausend
Zeichen erkennen die Schuld. Die Nymphen erkannten sie, sagt man.
[57] Wieder erhoben am Mond sich die Hörner zum neunten der Kreise,
Als beim Jagen, erschöpft von den Flammen des Bruders, die Göttin
Kam in ein kühles Gehölz, aus dem mit Gemurmel ein Bächlein
Rann und im gleitenden Lauf mitrollte geglättete Steinchen.
Wie sie die Stätte gelobt, senkt leicht sie den Fuß in die Wellen;
Die auch lobt sie und spricht: »Nah ist kein spähender Zeuge;
Laßt uns baden den Leib in den überströmenden Wassern.«
Schamroth steht die Parrhaserin da. Sie entkleiden sich alle;
Eine nur suchet Verzug; der Zögernden nimmt man die Hülle.
Wie das Gewand hinfällt, wird sichtlich die Schuld mit der Nacktheit.
Jene gedachte bestürzt mit den Händen den Schooß zu verdecken:
»Geh – sprach Cynthia – fern von hier, daß die heilige Quelle
Nicht du entweihst!« und gebot ihr zu weichen aus ihrem Gefolge.
Längst schon hat' es gemerkt des mächtigen Donnerers Gattin
Und auf gelegene Zeit die empfindliche Rache verschoben.
Grund ist nicht zum Verzug; denn schon war Arcas der Knabe –
Dieses zumeist war Juno's Verdruß – von der Buhle geboren.
Als sie den zornigen Sinn auf ihn mit dem Auge gerichtet:
»Das noch hatte gefehlt fürwahr, Ehbrecherin, – sprach sie –
Daß Frucht reifte von dir, und ruchbar wurde die Kränkung
Durch die Geburt und meines Gemahls Unehre bezeuget.
Du sollst büßen dafür. Ich will die Gestalt dir benehmen,
Freche, darin du gefällst dir selber und unserem Gatten.«
Sprach's und faßte sie vorn an der Stirn bei den Haaren und warf sie
Mit dem Gesicht auf den Grund. Demüthig erhob sie die Arme:
Sieh, da hüllten sich rauh in schwärzliche Zotten die Arme,
Und krumm wurden die Händ' und erwuchsen zu kralligen Tatzen,
Nun als Füße gebraucht, und durch weitoffenen Rachen
Ward entstellt das Gesicht, das Jupiter hatte gepriesen.
Daß auch Bitten das Herz nicht rührten und flehende Worte,
Wird ihr die Sprache geraubt. Ein Laut nur zornig und drohend
Und voll Schrecken und Graus entringt sich der heiseren Kehle.
Aber der frühere Sinn bleibt auch, da sie Bärin geworden,
Und sie bekundet den Schmerz durch unablässiges Stöhnen
Und hebt so, wie sie sind, zu Himmel und Sternen die Hände
[58] Und klagt Jupiter an, weil Rede gebricht, in Gedanken.
Ach, wie irrte sie oft, da sie nicht in der Oede des Waldes
Wagte zu ruhn, vor dem Haus und im Feld, das selbst sie besessen!
Ach, wie oft durch Felsen gejagt vom Bellen der Hunde
Floh sie dahin voll Angst, die Jägerin bang vor den Jägern!
Oft wenn sie Wild gesehn, versteckt sie sich ihrer vergessend,
Und vor Bären erschrickt, die sie schaut im Gebirge, die Bärin,
Und sie erbebt vor Wölfen, wiewohl ihr Vater dabei war.
Siehe, der Sproß von Lycaons Geschlecht, nicht kennend die Mutter,
Arcas erscheint, dem fast dreimal fünf Jahre vergangen.
Während er folget dem Wild und gütige Forste sich aussucht
Und mit geflochtenem Garn umstellt erymanthische Waldung,
Stößet die Mutter ihm auf, und sobald sie gewahret den Arcas,
Stehet sie still und gleicht der Erkennenden. Jener erschrocken
Bebt – denn er kannte sie nicht – vor ihr, die das starrende Auge
Endlos richtet auf ihn, und da näher zu gehn sie begehrte,
Wollt' er die Brust ihr schon durchbohren mit tödtlicher Waffe.
Doch der Allmächtige schützt, und zugleich sie selbst und die Unthat
Hebt er hinweg, und im Sturm durch luftige Leere sie raffend
Stellt er am Himmel sie hin und macht sie zu nahen Gestirnen.
[59] Da schwoll Juno im Zorn, als unter den Sternen die Buhle
Leuchtete. Nieder zum Greis Oceanus und zu der grauen
Thethys stieg sie in's Meer, die oft schon weckten den Göttern
Heilige Scheu, und gefragt um des Wegs Ursache begann sie:
»Was vom ätherischen Sitz der Unsterblichen Königin führe,
Fragt ihr, zu euch? Jetzt herrscht ein anderes Weib in dem Himmel.
Lügnerin heiß' ich, wofern, wenn die Nacht verfinstert das Weltall,
Hoch am Himmel ihr nicht die neulich verherrlichten Sterne,
Mein Leidwesen, erblickt dort, wo um das Ende der Achse
Sich der äußerste Kreis und im Raume der kürzeste windet.
Soll noch Einer sich scheu'n die Juno zu kränken und zittern
Vor der Beleidigten Zorn, die allein nur nützt, wo sie schadet?
Seht, was ich Großes gethan, wie endlos meine Gewalt ist!
Mensch nicht ließ ich sie sein, sie ist Göttin. Also verhäng' ich
Strafe dem schuldigen Thun; so weit reicht unser Vermögen!
Lass' er die alte Gestalt doch kehren und schwinden des Raubthiers
Züge, wie schon er gethan bei der Phoronide von Argos.
Warum freit er sie nicht und führet sie Juno verstoßend
In mein Ehegemach und nimmt zum Schwäher Lycaon?
Aber wofern euch rühret die Schmach des beleidigten Zöglings,
Haltet vom bläulichen Grund stets ferne die sieben Trionen,
[60] Und das Gestirn, das steht am Himmel zum Lohne der Unzucht,
Scheucht, daß nicht in die lautere Flut sich tauche die Buhle.«
Folgsam nickten des Meers Gottheiten. Auf lenksamem Wagen,
Steiget die Tochter Saturns in die Luft mit den farbigen Pfauen,
Denen der farbige Glanz jüngst ward nach Argus' Erlegung,
Aehnlich wie jüngst auch du dich kleidetest, schwatzender Rabe,
Während du weiß erst warst, urplötzlich in schwarzes Gefieder.
Silbern erglänzte zuvor mit schneeigen Federn der Vogel,
Daß den Tauben er glich, daran kein Makel zu sehen,
Und mit den Gänsen sich maß, die mit wachsamer Stimme bewahrten
Roms Capitol nachmals, und mit wellenbefreundeten Schwänen.
Ihm war die Zunge Verderb. Durch Schuld der geschwätzigen Zunge
Hat sich das blendende Weiß in dunkele Farbe gewandelt.
Reizender war kein Weib im Hämonierland, als Coronis
Aus Larissa entstammt. Du liebtest sie, delphischer Jüngling,
Als keusch oder belauscht von Keinem sie war. Doch des Phöbus
Vogel ertappte sie einst in Buhlschaft, und zu entdecken
Jenem die heimliche Schuld, ein unnachsichtiger Bote,
Nahm er schleunig den Weg zum Herrn. Mit geschwungenen Flügeln
Folgt ihm, daß sie genau es erführe, die plaudernde Krähe.
Als sie vernommen des Wegs Ursache, begann sie: »Zum Heil nicht
[61] Thust du den Gang. Gib Acht, was unsere Zunge voraussagt!
Sieh, was ich war, was ich bin, und frage, warum es geschehen:
Treue, so wirst du ersehn, war Verderb. Einst hatte den Sprößling,
Welchen gebar kein Weib, Erichthonius, Pallas verschlossen
In dem geflochtenen Korb, der gemacht von actäischem Reisig,
Und ihn vertraut den drei Jungfrauen, des doppelten Cecrops
Töchtern, zur Hut, doch sollten sie nicht das Verborgene schauen:
Mitten im regsamen Laube versteckt auf der buschigen Ulme
Sah ich spähend ihr Thun. Das Vertrauete wahren die beiden,
Herse und Pandrosos, treu. Doch Eine der Schwestern, Aglauros,
Nennet sie feig und trennt das Geflecht mit den Händen, und innen
Sehen sie liegen ein Kind und einen sich reckenden Drachen.
[62] Pallas thu' ich es kund. Dafür wird mir die Belohnung
Also gezollt, daß ich heiße verjagt aus dem Schutze Minerva's,
Und mich verdrängt der Vogel der Nacht. Dem Geflügel zur Warnung
Sei mein Loos, daß Keiner Gefahr mit der Stimme sich schaffe.
Aber von selbst wohl nicht, da nimmer ich solches begehret,
Wählte sie mich? Das magst du von Pallas selber erfragen.
Wie auch zürnend sie sei, nicht wird es die Zürnende leugnen.
Denn mich zeugte berühmt im phocischen Lande Coroneus –
Kund ist, was du da hörst – und ich war einst Königestochter
Und – nicht denke gering – von reichen Bewerbern begehret.
Schönheit war mir Verderb. Denn während ich einst, wie ich pflege,
Oben im Sand mich erging am Gestade mit langsamen Schritten,
Sah mich der Herrscher des Meers und erglühete, und wie er lange
Hatte verschwendet die Zeit mit Bitten und schmeichelnder Rede,
Sinnt er Gewalt und verfolgt. Ich flieh' und verlasse den festen
Strand und mühe mich ab umsonst in dem lockeren Sande.
Himmlische ruf' ich zum Schutz und Sterbliche; aber zu keinem
Menschen gelangte mein Ruf. Für die Jungfrau sorgte die Jungfrau,
Und sie rettete mich. Zum Himmel erhob ich die Arme:
Leichtes Gefieder begann die gehobenen Arme zu schwärzen.
Rückwärts war ich bemüht das Gewand von der Schulter zu werfen:
[63] Flaum war jenes und stak schon fest in der Haut mit den Wurzeln.
Jetzo versucht' ich die nackende Brust mit den Händen zu geißeln:
Nackende Brust war nicht, noch waren mir Hände geblieben.
Laufend erhob ich den Fuß: nicht hemmte der Sand ihn wie vormals;
Leicht nur schwebt' ich am Boden dahin, und bald in die Lüfte
Schwang ich mich auf und ward schuldlose Gefährtin Minerva's.
Doch was frommet mir das, wenn Nyctimene, welche zum Vogel
Ward durch gräßliche Schuld, auf uns in der Ehre gefolgt ist?
Oder ist dir noch nicht die Geschichte zu Ohren gekommen
Auf ganz Lesbos bekannt, wie Nyctime ihres Erzeugers
Lager entweiht? Auch jetzt als Vogel, bewußt des Verbrechens,
Flieht sie die Blicke der Welt und die Helle des Tags, und im Dunkel
Birgt sie die Schmach und wird von Allen verjagt aus dem Aether.«
Also plauderte sie. »Verwünscht – antwortet der Rabe –
Seist du mit deinem Geschwätz! Wir spotten der nichtigen Warnung.«
Und er vollbringt den begonnenen Weg und erzählt dem Gebieter,
Daß er Coronis gesehn bei einem hämonischen Jüngling.
Wie von der Schuld der Liebende hört, entfällt ihm der Lorbeer,
Und mit dem Schlägel verliert die Farbe zugleich und die heit're
Miene der Gott. Wie die Brust dann kochte von wallendem Zorne,
Rafft er die ständige Wehr, und spannt an den Hörnern ihn krümmend
Straff den Bogen und trifft die Brust, die zuvor an der seinen
Hatte geruht so oft, mit dem unvermiedenen Pfeile.
Doch die Getroffene ächzt und beströmt mit purpurnem Blute,
Als sie den Stahl auszog aus der Wunde, die blendenden Glieder;
Und sie begann: »Ich konnte den Fehl, o Phöbus, dir büßen,
Aber gebären zuvor. Zwei sterben wir nun in der Einen.«
[64] Weiteres nicht, und zugleich mit dem Blute verrann ihr das Leben.
In den entseeleten Leib zog ein die Kälte des Todes.
Ach, den Liebenden reut zu spät die grausame Strafe.
Und sich, daß er es hört' und so aufloderte, haßt er,
Haßt den Vogel zugleich, der ihn zu erfahren den Treubruch
Zwang, die Quelle des Grams; nicht minder die Hand und den Bogen
Hasset er und mit der Hand die zu voreiligen Pfeile,
Und die Gesunkene wärmt er und strebt zu zwingen das Schicksal
Durch zu spätes Bemühn und übt nichts fruchtende Heilkunst.
Als er verloren die Müh nun sah und errichtet den Holzstoß
Und zu verbrennen bereit in dem Leichenfeuer die Glieder,
Da stieß klagend der Gott – denn es ziemt nicht himmlischem Antlitz
Feucht von Thränen zu sein – aus innerstem Herzen gepreßte
Seufzer hervor, nicht anders, als wenn vor den Augen der Sterke
Schallenden Schlages das Beil, rechtsher vom Ohre geschwungen,
Plötzlich dem saugenden Kalb die gewölbete Schläfe zerschmettert.
Wie er jedoch auf die Brust dankmissende Düfte gegossen
Und sie umarmt und gethan, was wider Gebühr ihr gebührte,
Duldete Phöbus es nicht, daß auch sein Samen in Asche
Sänke mit ihr. Aus den Flammen hervor und dem Schooße der Mutter
Riß er den Sohn und trug ihn zur Höhle des zwiefachen Chiron.
[65] Doch ihm, welcher für sich den Lohn untrüglicher Zunge
Hoffte, dem Raben verbot er bei weißem Geflügel zu sitzen.
Aber der Halbmensch war auf den Zögling göttlichen Stammes
Stolz indeß, und er trug mit Freuden die ehrende Bürde.
Siehe, da kommt die Schultern umwallt von röthlichem Haupthaar
Chirons Tochter herzu, die am Ufer des reißenden Stromes
War in vergangener Zeit von der Nymphe Chariclo geboren
Und Ocyrrhoe hieß. Zu verstehen die Künste des Vaters
War noch nicht ihr genug; sie sang der Geschicke Geheimniß.
Die nun, wie im Gemüth sie ergriff weissagender Wahnsinn
Und sie erfüllte der Gott, den sie trug im Busen verschlossen,
Schaute das Kind und rief: »Heilbringer dem Kreise der Lande,
Wachse, du Knabe, heran! Dir werden der Sterblichen Leiber
Oftmals danken sich selbst. Du darfst das genommene Leben
Führen zurück; doch wagst du den Göttern zuwider es einmal,
Wird dies ferner zu thun dein Ahn mit der Flamme dir wehren.
Leichnam wirst du sodann, kein Gott mehr sein, und vom Leichnam
Wandelst du dich zum Gott, und zweimal wechselt dein Schicksal.
Du auch wirst, kein Sterblicher jetzt, o theuerer Vater,
Da dich bestimmt die Geburt zu bleiben in ewigen Zeiten,
Einst dir wünschen den Tod, wenn in den verwundeten Gliedern
Brennend dich martert und quälet das Blut der entsetzlichen Schlange.
[66] Dir, dem Ewigen, gibt dann Tod zu erleiden die Gottheit,
Und dir wird von den drei Göttinnen der Faden zerschnitten.«
Uebrig war vom Geschick noch Einiges. Tief aus dem Busen
Seufzet sie auf und benetzt mit quellenden Thränen die Wangen.
»Ach, mir kommet zuvor das Schicksal, – rief sie – versagt ist
Weiteres Wort, und der Stimme Gebrauch schon wird mir benommen.
So viel ist ja die Kunst nicht werth, die das Zürnen der Gottheit
Auf mich zog. O hätt' ich doch nimmer geschaut in die Zukunft!
Schon entweichet gemach – so scheint mir – das menschliche Antlitz,
Schon lockt Gras als Kost; schon durch die Gefilde zu laufen
Treibt mich die Lust. Die verwandte Gestalt der Stute gewinn' ich,
Aber warum denn ganz? Ist doch zweileibig mein Vater.«
Also redete sie, doch war am Schlusse die Klage
Wenig verständlich bereits, und es waren verworrene Worte;
Nicht mehr Worte sodann; doch schien's nicht Stimme des Rosses,
Nur als ob sie ein Roß nachahmete. Aber in kurzem
Wieherte wirklich ihr Mund, und sie neigte die Arme zum Grase.
Bald sind die Finger verknüpft, und je fünf Nägel verbindet
Mit fortgehendem Horn ein Huf. Zu größerer Weite
Dehnt sich der Mund und der Hals. Das Ende des wallenden Mantels
Wurde zum Schweif, und das Haar, wie es lose den Nacken bedeckte,
Senkte sich rechts als Mähne hinab. Neu wurde die Stimme
Und das Gesicht. Auch gab ihr anderen Namen das Wunder.
Weinend begehrte von ihr Beistand der philyrische Heros,
[67] Delphischer Gott, umsonst. Denn vernichten den Willen des großen
Jupiter konntest du nicht, und wenn du ihn könntest vernichten,
Warst du doch fern. Du zogest in Elis umher und Messene.
Damals war's, wie ein Fell nach Sitte der Hirten dich deckte,
Und in der Linken den Stab aus dem Walde du trugst, in der andern
Hieltest das flötende Spiel mit den sieben gestufeten Rohren.
Während der Liebe du fröhnst und der Pfeife Getön dich ergötzet,
Wanderten unbewacht auf die pylischen Aecker die Kühe,
Wie uns kündet die Mähr. Sie sieht der atlantischen Maja
Sohn und treibt sie hinweg und versteckt sie schlau in dem Walde.
Niemand hatte bemerkt den Diebstahl außer ein Alter,
Dort in den Fluren bekannt; die Nachbarn nannten ihn Battus.
Ueber die Triften im Wald und die grasigen Weiden des reichen
Neleus hatt' er die Hut und die Heerden erlesener Stuten.
Ihn zog jener besorgt mit schmeichelnder Hand auf die Seite:
»Fremdling, wer du nur bist, wenn Einer dich fraget, so leugne, –
Sprach er – daß du gesehen das Vieh. Und damit du den Dienst nicht
Thuest umsonst, nimm hier dir die stattliche Kuh zur Belohnung.«
Und er gab ihm die Kuh. Sie nehmend erwidert der Fremdling:
»Gehe getrost! Der Stein wird eher verrathen den Diebstahl.«
Und er wies auf den Stein. Zum Schein geht Jupiters Sprößling;
Doch bald kehrt er und spricht in Gestalt und Stimme verändert:
»Sahest du Rinder vielleicht hier gehen des Weges, o Landmann,
Sei mir behülflich dazu und sei kein Hehler des Raubes!
Siehe, zum Lohn auch wird dir die Kuh mit dem Stiere gepaaret.«
Da sich verdoppelt der Preis, antwortete der Alte: »Sie müssen
Dort sein unten am Berg. Dort waren sie unten am Berge.«
[68] »Mich verräthst du an mich? – sagt lachend der Atlantide –
Mich, Treuloser, an mich?« Und er macht zum Felsen verhärtet
Sein wortbrüchiges Herz. Noch heißet der Stein der Entdecker,
Und unschuldigem Fels ist die Schande geblieben von Alters.
Schwebend erhob sich von dort mit den Schwingen der göttliche Herold;
Auf die munychische Flur und das Lieblingsland der Minerva
Sah er im Fluge hinab und die Bäume des schmucken Lyceum.
Und es geschah an dem Tag, daß züchtige Mädchen die reinen
Heiligthümer gemäß dem Brauch in bekränzeten Körben
Trugen zur festlichen Burg der Pallas hinan auf dem Scheitel.
Dorther sieht der geflügelte Gott sie kehren, und gradaus
Nimmt er den Weg nicht ferner; er kreist im ständigen Ringe.
Gleichwie, wenn er gesehn die Geweide, der räub'rische Weihe,
Da er sich scheut und die Diener gedrängt umstehen das Opfer,
Sich in die Runde bewegt und weit nicht mag sich entfernen,
Und heißhungrig umfliegt mit schlagenden Schwingen die Beute,
Also beuget den Flug der behende cyllenische Jüngling
Ob der actäischen Burg einkreisend die selbigen Lüfte.
Sowie Lucifer licht vor den anderen Sternen erglänzet,
Und vor Lucifer licht erglänzet die goldene Phöbe,
So ging herrlich einher in Schöne vor allen den Jungfrau'n
Herse und war des Zugs und ihrer Gefährtinnen Zierde.
Ob der Gestalt staunt Jupiters Sohn, und schwebend im Aether
Ist er im Herzen entbrannt, wie wenn balearische Schleudern
[69] Schnellen das Blei. Das fliegt und erglüht von der steten Bewegung,
Feuer, das nicht es gehabt, in der Höhe der Wolken gewinnend.
Anderen Weg nun nimmt er, anstatt nach dem Himmel zur Erde,
Und er verstellt sich nicht: so schenkt er Vertrauen dem Wuchse.
Sei untadlig er schon, doch strebt er sich noch zu verschönen:
Achtsam streicht er das Haar und sorgt, daß zierlich der Mantel
Falle, und daß der Besatz recht sichtbar sei und der Goldschmuck;
Daß der gerundete Stab, der bringt und bannet den Schlummer,
Sei in der Hand; daß am sauberen Fuße die Fittige glänzen.
Drei Gemächer geziert mit Elfenbein und mit Schildpatt
Waren im inneren Haus. Du, Pandrosos, hattest das rechte
Inne, das linke Gemach Aglauros, das mittlere Herse.
Die so das linke besaß, nahm wahr Mercurius' Ankunft
Jetzo zuerst, und sie wagte den Gott nach dem Namen zu fragen,
Und weßhalb er genaht. »Ich bin – so sprach er – des Atlas
Und der Pleïone Sproß, der des Vaters befohlene Worte
Trägt durch die Lüfte dahin. Mein Vater ist Jupiter selber.
Vorwand sinn' ich dir nicht. In Treue der Schwester ergeben
Sei du nur, und zu meinem Geschlecht laß Muhme dich nennen.
Herse gilt der Besuch: den Liebenden, flehn wir, fördre.«
Spähend betrachtet den Gott mit den nämlichen Augen Aglauros,
Womit jüngst sie geschauet der blonden Minerva Geheimniß,
Und schwer wiegendes Gold zum Lohn des gefälligen Dienstes
Heischt sie für sich. Doch muß er das Haus inzwischen verlassen.
[70] Auf sie wandte den Blick umdüstert die kriegende Göttin,
Und mit solcher Gewalt aus dem Innersten drängte sie Seufzer,
Daß erschüttert sie Brust und zugleich aufbebte die Aegis
Ueber der streitbaren Brust. Sie gedenkt, wie frech das Geheimniß
War von jener enthüllt, da sie einst des lemnischen Gottes
Mutterentbehrenden Sohn dem Beding zuwider erblickte,
Und wie lieb sie dem Gott und lieb nun würde der Schwester
Und noch reich nach des Goldes Empfang, das sie geizig gefordert.
Rasch zu der Mißgunst Haus, das strotzt von schwärzendem Moder,
Nimmt sie den Weg. Tief unten versteckt in entlegenem Thale
Stehet ihr Haus der Sonne beraubt, nie offen den Winden,
Traurig und arm und voll unrührigen Frostes und ständig
Bar der erwärmenden Glut und beständig belastet mit Dunkel.
Als hierhin sie gelangt, die streitbare männliche Jungfrau,
Bleibet sie stehn vor dem Haus – denn selbst zu betreten die Wohnstatt
Ziemet ihr nicht – und klopft mit der Spitze des Speers an die Pfosten.
Gleich ging auf die erschütterte Thür. Da sieht sie die Mißgunst
Drinnen am Natternfleische, der Speise der tückischen Laster,
Nagen und wendet sich ab von dem Anblick. Aber die Mißgunst
Hebt vom Boden sich träg und lässet die Leiber der Schlangen,
Die sie zur Hälfte verzehrt, und naht schwerfälligen Schrittes.
Wie sie die Göttin gewahrt von Gestalt ansehnlich und Waffen,
Seufzet sie auf und verzieht bei dem tiefen Gestöhne das Antlitz.
Bleichheit wohnt im Gesicht, und am Leib ist schmächtige Dürre;
Nirgends ein sicherer Blick; gelb sind vom Roste die Zähne,
Grün von Galle die Brust, voll giftigen Geifers die Zunge.
Lachen ist fern, wenn nicht es erregen gesehene Schmerzen;
Nie auch labt sie der Schlaf, da wachsame Sorgen sie stören,
[71] Sondern sie schaut, und vergehet vor Unlust über den Anblick,
Lästiges Menschenglück und nage an sich und an Andern
Und ist Marter sich selbst. Ob auch Abscheu sie erfüllte,
Redete kurz sie doch Tritonia an mit den Worten:
»Senke dein zehrendes Gift in die eine der Töchter des Cecrops, –
Solches ist Noth – die Aglauros sich nennt.« Nicht Weiteres redend
Floh sie und drängte zurück mit gestemmeter Lanze die Erde.
Jene mit schielendem Blick nachsehend der fliehenden Göttin
Murmelte leise für sich; denn daß es erreichte Minerva,
Kränkte sie. Und sie ergreift den Stab, den Dornengeflechte
Ringsum hielten verhüllt, und bedeckt von schwarzem Gewölke
Tritt, wo immer sie wandelt, die blühenden Augen sie nieder
Und macht dorren das Gras und knicket die obersten Spitzen.
Völker befleckt und Städte zugleich und Häuser des Mundes
Anhauch. Endlich erblickt sie die hehre tritonische Feste,
Die vorleuchtet an Geist und Macht und festlichem Frieden.
Thränen versagt sie sich kaum, da sie Thränenwerthes vermisset.
Als sie nun das Gemach der cecropischen Tochter betreten,
Richtet sie aus den Befehl und rührt mit der rostigen Rechten
Ihr an die Brust und erfüllt ihr Herz mit stachligen Dornen,
Flößt das verderbliche Gift ihr ein, und durch die Gebeine
Gießet sie schwarz wie Pech und tief in die Lunge den Geifer.
Daß durch weiteren Raum nicht schweife die Quelle des Leidens,
Rückt sie der Herse Gestalt ihr vor und der glücklichen Schwester
Liebesverein und den Gott im lockenden Bilde der Schönheit.
Alles vergrößert sie noch, daß Cecrops Tochter gestachelt
Am still nagenden Schmerz erkrankt und ängstlich in Nächten,
Aengstlich seufzet des Tags und kläglich am schleichenden Gifte
Hinsiecht, ähnlich dem Eis, das schmelzt unsichere Sonne.
Also brennet in ihr das Glück der begünstigten Herse,
[72] Wie wenn Glut manchmal an dornige Sträucher gelegt wird,
Die nicht lodern im Brand und langsam glimmend verkohlen.
Sterben wollen sie oft, um nicht dergleichen zu sehen,
Oft auch als ein Vergehn es erzählen dem strengen Erzeuger.
Endlich setzte sie vorn auf die Schwelle sich hin, wenn er käme,
Abzuweisen den Gott. Wie Schmeicheln und freundliche Worte
Jener und Bitten versucht, erwiderte sie: »Spare die Mühe!
Nimmer verlass' ich den Sitz, bis du dich von hinnen begeben.«
»Wohl, das möge – versetzt der behende Cyllenier – gelten.«
Und er erschließt mit dem Stab die gemeißelte Thür. Wie die Jungfrau
Aufzustehen sich müht, kann keines von allen den Gliedern,
Die wir beugen im Sitz, vor trägem Gewicht sich bewegen.
Zwar sie ringt sich empor mit gerichtetem Rumpfe zu heben,
Aber der Kniee Gelenk ist steif, und rieselnde Kälte
Schleicht in die Zeh'n, und des Blutes entleert erbleichen die Adern.
Wie stets weiter der Krebs, dies nimmer zu heilende Uebel,
Um sich greift und fügt zu behafteten Theilen gesunde,
Also drang in die Brust allmählich der tödliche Winter,
Bis er am Ende die Wege des Lebens verschloß und den Athem,
Rede versuchte sie nicht, und hätte sie Rede versuchet,
Fehlte der Stimme die Bahn. Schon haftete Stein in dem Nacken;
Schon war hart das Gesicht, und sie saß ein entseeltes Gebilde.
Weiß war nicht das Gestein: vom Gemüthe behielt sie die Farbe.
Als er den frevelnden Sinn und die trotzigen Worte geahndet,
Geht von dem Lande hinweg, dem Pallas gegeben den Namen,
[73] Atlas' Enkel und steigt in den Aether mit schlagenden Flügeln.
Jupiter ruft in bei Seit', und den Zweck der Liebe verschweigend,
Spricht er: »O Sohn, der treu stets meine Befehle verkündet,
Mache dich auf und gleite hinab rasch, wie du gewohnt bist,
Und nach dem Land, das links zu deiner Erzeugerin aufschaut
Und das sidonische heißt bei dem eingebornen Volke,
Wende dich. Treibe sodann, die du fern auf grasiger Weide
Dort siehst gehen am Berge, des Königes Rinder zur Küste.«
Jupiter sprach's, und getrieben vom Berg schon ziehet die Heerde
Nach dem befohlenen Strand, wo die Tochter des mächtigen Königs
War zu spielen gewohnt, umringt von tyrischen Jungfrau'n,
Nicht wohl gehen vereint, noch haben gemeinsame Wohnung
Lieb' und Herrschergewalt. Er läßt die Würde des Scepters;
Er, der Vater und Herr der Unsterblichen, dem in der Rechten
Zuckt dreispitziger Strahl, der winkend erschüttert den Erdkreis,
Kleidet sich jetzt in des Farren Gestalt, und gesellt zu den Rindern
Brüllt er und wandelt umher gar stattlich im üppigen Grase.
Weiß ist die Farbe wie Schnee, den weder mit drückender Sohle
Trat ein schreitender Fuß, noch löste der wässrige Südwind.
Feist ist der fleischige Hals, und dem Bug enthangen die Wampen.
Klein zwar ist das Gehörn, doch möchtest du sagen, von Händen
Sei es gemacht, und mehr durchscheinend als reine Juwelen.
Nicht ist drohend die Stirn, noch Furcht einflößend das Auge;
Sanftmuth spricht das Gesicht. Es erstaunet die Tochter Agenors,
Daß er von Wuchs so schön und nichts Feindseliges drohe.
Doch ob zahm er sich zeigt, sie fürchtet zuerst die Berührung;
Bald dann wagt sie zu nah'n und Blumen zu reichen dem Maule.
Deß ist der Liebende froh und bedeckt der erwarteten Wonne
Harrend mit Küssen die Hand; kaum, kaum verschiebt er das Weit're.
Und bald treibet er Scherz und springt im grünenden Grase;
Bald im gelblichen Sand hinstreckt er die schneeige Seite,
Und wie gemach ihr benommen die Furcht, beut bald er zum Klatschen
[74] Mit jungfräulicher Hand ihr die Brust, bald wieder die Hörner,
Sie zu umflechten mit Grün. Auch wagte die fürstliche Jungfrau,
Unkund, wen sie bestieg, auf dem Rücken des Stieres zu sitzen.
Da schleicht sachte der Gott vom Land und vom trockenen Ufer
Und setzt vorn in die Flut die betrüglichen Schritte der Füße,
Geht dann weiter und trägt quer über des mittleren Meeres
Fläche den Raub. Sie erbangt, und zurück zum verlassenen Strande
Schaut sie und hält mit der Rechten ein Horn, auf den Rücken die andre
Stemmend; das lose Gewand ist geschwellt vom Hauche des Windes.

Drittes Buch

[75] Drittes Buch.

Inhalt. Cadmus. Drachenzähne. Actäon. Semele. Tiresias. Echo und Narcissus. Pentheus (die tyrrhennischen Schiffer).


Längst nun hatte der Gott, von der Hülle des trügenden Stieres

Wieder befreit, sich entdeckt und bewohnte dictäische Fluren,
Als unkundig Agenor gebeut die Entführte zu suchen
Cadmus dem Sohn und, fänd' er sie nicht, als Strafe Verbannung
Ihm androht, hartherzig und liebender Vater in Einem.
Als er die Erde durchirrt – wer könnte, was Jupiter hehlet,
Irgend erspäh'n? – da meidet das Land und den Zorn des Erzeugers
Flüchtig Agenors Sohn und fragt das Orakel Apollo's
Flehend um Rath und forscht, welch Land er solle bewohnen.
»Dir begegnet ein Rind – sprach Phöbus – im einsamen Felde,
Das nie spürte ein Joch, nie zog am gebogenen Pfluge.
Dem geh nach auf der Spur, und wo es sich lagert im Grase,
Alldort gründe die Stadt, und böotische sollst du sie nennen.«
[76] Kaum erst war er hinab vom castalischen Borne gestiegen,
Da sieht Cadmus ein Rind hinwandeln gemächlich und hutlos,
Das von dienstlichem Zwang noch trug kein Zeichen am Nacken.
Achtsam folgt er und setzt den gehaltenen Schritt in die Spuren,
Während er schweigend des Wegs Anrather verehret, den Phöbus.
Hinter sich ließ sie die Flut des Cephisus und Panopes Fluren:
Da blieb stehen die Kuh und erhob zum Himmel die schmucke
Stirn mit dem hohen Gehörn und erschütterte brüllend die Lüfte,
Und so schauend zurück zu der Schaar nachfolgender Männer
Lagert sie sich und streckt im bettenden Grase die Seite.
Dank füllt Cadmus' Gemüth und die neubetretene Erde
Deckt er mit Küssen und grüßet die fremden Gebirge und Felder.
Jupiter wollt' ein Opfer er weih'n, und er sendet die Diener,
Daß sie vom Borne geschöpft herbrächten lebendiges Wasser.
Alt stand dorten ein Wald, der nie von dem Beile versehrt war,
Mitten darin ein Geklüft von Gestrüpp umwachsen und Sträuchern,
Das zu niedrem Gewölbe sich schloß mit der Steine Gefüge,
Reich an sprudelndem Naß, wo gelagert in bergender Höhle
Hauste die Schlange des Mars hellschimmernd mit goldenem Kamme.
Feuer entsprühet dem Blick; der Bauch ist strotzend von Gifte;
Dreifach stehen die Zähne gereiht; drei Zungen bewegt sie.
Als nunmehr in den Hain eintraten die tyrischen Männer
Mit unseligem Schritt, und Geplätscher erregte die Urne,
Niedergetaucht in die Flut, da streckte der dunkele Drache
Lang aus der Höhle das Haupt und erhob entsetzliches Zischen.
[77] Stracks ist entfallen der Krug, und das Blut entwich aus dem Körper.
Und im plötzlichen Schreck erzitterten allen die Glieder.
Aber den schuppigen Leib in verschlungene Kreise geringelt
Bäumt sich jener im Sprung hoch auf zu gewaltigem Bogen,
Und in die weichende Luft bis über die Hälfte sich richtend
Ueberschaut er den Wald und ragt so groß mit dem Leibe,
Wie, wenn du ganz ihn erblickst, der theilt den doppelten Bären.
Und die Phöniker im Nu, sei's, daß sie die Waffen ergriffen
Oder die Flucht, sei's, daß sie der Schreck an beiden gehindert,
Packet er. Diese mit Biß und jene mit langer Umstrickung
Tödtet er, andere dazu mit der Pest des giftigen Hauches.
Sol schon hatte verkürzt in der Mittagshöhe die Schatten;
Was die Gefährten verziehn, nimmt Wunder den Sohn des Agenor,
Und nach geht er der Spur. Vom Fell, das entrissen dem Löwen,
War er bedeckt; ein Spieß und ein Speer mit blinkendem Eisen
Waren ihm Wehr und der Muth noch besser denn jegliche Waffe.
Als er trat in den Hain und sah die getödteten Leiber
Und als Sieger darob den Feind mit dem riesigen Leibe,
Wie er mit blutiger Zung' umleckte die traurigen Wunden,
Sprach er: »Eueren Tod entweder, ihr Wackeren, räch' ich,
Oder ich folg' euch nach.« Sprach's, hob mit der Rechten ein Felsstück
Auf vom Boden und warf das mächtige mächtigen Schwunges.
Ragende Mauern zugleich mit hochaufsteigenden Thürmen
Hätten gewankt von der Wucht: der Wurm blieb sonder Verletzung,
Und von den Schuppen geschützt und der Härte des schwärzlichen Balges
Wies er den kräftigen Prall von der Haut wie unter dem Panzer.
Aber dem Spieß obsieget er nicht mit der selbigen Härte,
Der allda, wo in Mitten sich krümmt das geschmeidige Rückgrat,
Haftete und mit dem Stahl sich ganz in die Weichen versenkte.
Jener ergrimmt vor Schmerz, und das Haupt nach dem Rücken gebogen
[78] Wird er die Wunde gewahr und beißt in den steckenden Wurfspieß.
Wie er mit vieler Gewalt ihn gerüttelt nach jeglicher Seite,
Riß er den Schaft nur los; fest saß im Knochen das Eisen.
Als nun wieder ein Grund zu seinem gewohneten Zorne
Kam hinzu, da schwoll ihm die Kehle von strotzenden Adern.
Weißlicher Schaum umfließet den Pest ausströmenden Rachen,
Und von den Schuppen ertönt ein Schlürfen im Sand, und der schwarze
Hauch aus dem stygischen Schlund steckt an die vergifteten Lüfte.
Aber in Windungen rollt er selbst zu unendlichen Kreisen
Bald sich ein, bald steht er gerader empor als ein Baumstamm;
Jetzt mit gewaltigem Schwung, wie gedrängt vom Regen ein Waldstrom,
Schießt er und drückt mit der Brust darnieder die hemmenden Stämme.
Cadmus weicht ein wenig zurück und hält mit des Löwen
Hülle dem Anfall Stand und wehret dem nahenden Rachen
Ihm vorstreckend den Speer. Er rast, und verwundet das harte
Eisen mit eitelem Biß und schlägt in die Schärfe die Zähne.
Und schon hatte das Blut zu entströmen dem giftigen Gaumen
Angefangen und roth den Rasen gefärbt mit Bespritzung.
Aber die Wunde war leicht, weil jener vom Stich sich zurückbog
Und den verletzeten Hals wegzog und weichend verwehrte
Fest zu haften dem Stahl und nicht ließ weiter ihn dringen:
Bis stets folgend den Speer in die Gurgel gestoßen Agenor's
Sohn eintrieb, und zuletzt dem immer Gedrängten ein Eichbaum
Sperrte den Weg und zugleich mit dem Holze der Nacken durchbohrt ward.
Abwärts bog sich der Baum von des Drachen Gewicht und erseufzte,
Weil er fühlte den Stamm vom Ende des Schwanzes gegeißelt.
Während der Sieger den Raum des bewältigten Feindes betrachtet,
Scholl urplötzlich ein Ruf – nicht war zu erkennen, von wannen;
Aber erscholl –: »Was schauest du, Sohn des Agenor, die Schlange,
Die du erlegt? Auch du wirst bald als Schlange geschauet.«
[79] Lang stand jener betäubt, und mit der Besinnung die Farbe
War ihm gefloh'n und die Haare gesträubt vor kaltem Entsetzen.
Siehe, gesenkt aus der oberen Luft ist Pallas, des Mannes
Schützerin, nah und heißt ihn bergen die Zähne des Drachen
Als zukünftigen Volks Anwuchs in gelockertem Erdreich.
Cadmus gehorcht und wie mit dem Pflug er geöffnet die Furche,
Streut er die menschliche Saat hinein, die befohlenen Zähne.
Drauf – kaum glaublich fürwahr – erhoben gemach sich die Schollen,
Und aus den Furchen zuerst ward sichtlich die Spitze der Lanze,
Decken von Häuptern sodann, die nickten mit farbigem Helmbusch;
Bald auch Schultern und Brust und mit Waffen belastete Arme
Treten hervor, und es wächset die Saat schildtragender Männer
Also, wenn sich erhebt auf festlicher Bühne der Vorhang,
Steigen die Bilder empor, und zeigen zuerst die Gesichter,
Dann allmählich den Leib, und im ruhigen Zuge gehoben
Stehen sie ganz und setzen den Fuß auf dem untersten Rande.
Gegen den anderen Feind will Cadmus die Waffen ergreifen:
»Waffne dich nicht – so ruft von dem Volk, das die Erde geschaffen,
Einer ihm zu – und menge dich nicht in die heimische Fehde!«
Und nachgehend durchbohrt er der erdentsprossenen Brüder
Einen mit starrendem Schwert. Selbst fällt ihn ein Spieß aus der Ferne.
Der auch, welcher den Tod ihm sendete, scheidet vom Leben
Eben so bald und verhaucht den eben empfangenen Odem.
Aehnliche Wuth faßt Alle gesammt, und die plötzlichen Brüder
Tilgen einander im Kampf durch wechselseitige Wunden,
Und mit zuckender Brust schon schlug die gefallene Jugend,
Kurz zu leben bestimmt, den blutigen Boden der Mutter.
[80] Fünf nur blieben verschont. Davon war einer Echi'on.
Der warf auf das Geheiß Trito'nia's nieder die Waffen,
Heischend und gebend zugleich die Gewähr versöhnlichen Friedens.
Sie nun nahm zu Genossen des Werks der sido'nische Fremdling,
Als er baute die Stadt, wie der Spruch des Phö'bus geboten.
Schon stand The'ben erbaut, und du mochtest erscheinen, o Ca'dmus,
Durch die Verbannung beglückt. Du hattest bekommen zu Schwähern
Ve'nus und Mars: dazu das Geschlecht von der edlen Gemahlin,
Soviel Töchter und Söhn' und Enkel, die Pfänder der Liebe,
Die auch Jünglinge schon. Doch wisse, den letzten der Tage
Muß erst immer der Mensch abwarten, und glücklich geheißen
Darf kein Sterblicher sein vor dem Tod und dem Leichenbegängnis.
Bei so reichlichem Glück war zuerst, o Cadmus, ein Enkel
Dir Ursache des Grams und die neu an die Stirne gefügten
Hörner und ihr, mit dem Blut des Gebieters gesättigte Hunde.
Forschest du aber genau, so findest du Tücke des Zufalls
Und nicht Frevel dabei. Denn war wohl Frevel ein Irrtum?
Rot war gefärbt das Gebirge vom Mord vielfältigen Wildes,
Und schon hatte die Schatten der Dinge verkürzet der Mittag,
Und gleich weit stand ab von jedem der Ziele die Sonne,
Als die Genossen der Jagd, die schweiften im pfadlosen Forste,
So mit zufriedenem Mund herrief der hya'ntische Jüngling:
»Garne und Stahl sind feucht, ihr Gefährten, vom Blute des Wildes,
[81] Und Glück brachte der Tag uns genug. Wenn wieder Auro'ra
Führet herauf das Licht auf den safranfarbigen Rädern,
Gehen wir neu ans Werk. Jetzt ist von der doppelten Grenze
Phö'bus entfernt gleich weit und spaltet mit Gluten die Felder.
Laßt für heute das Werk und hebt die geflochtenen Garne.«
Wie er gebot, so thun die Männer und ruhn von der Arbeit.
Nah war schattig ein Thal mit Föhren und spitzen Cypressen,
Das Garga'phie hieß, der geschürzten Dia'na geheiligt.
Dort im entlegensten Schoß ist eine umwaldete Grotte,
Nicht ein Gefüge der Kunst. Die Natur mit der eigenen Triebkraft
Ahmete nach die Kunst; denn sie hatte von lebendem Bimsstein
Und leichthangendem Tuff selbständig den Bogen gewölbet.
Rechtsher rieselt ein Quell, durchsichtig von hellem Gewässer,
Rings von grasigem Rand umsäumt das geräumige Becken.
Hier war's, wo von der Jagd ermüdet die Göttin der Wälder
Pflegte mit lauterem Tau jungfräuliche Glieder zu netzen.
Jetzt auch trat sie hinein, und der waffentragenden Nymphe
Gab sie den Spieß und samt dem entspanneten Bogen den Köcher.
Über den Arm legt eine sodann den fallenden Mantel.
Zwei entfesseln den Fuß. Die geschickte isme'nische Nymphe
Cro'cale bindet indes das im Nacken zerstreuete Haupthaar
Sorglich zusammen zum Wulst, obgleich ihr eignes gelöst war.
Ne'phele, Hy'ale dann und Phi'ale, Rha'nis und Pse'cas
Schöpfen die Flut und gießen herab aus geräumigen Urnen.
Als mit gewohnetem Naß sich dort die Tita'nin bespülte,
Siehe, da kommt, nachdem ein Teil der Geschäfte verschoben,
Zwecklos irrend im Wald, den nie er gesehen, des Cadmus
[82] Enkel in jenes Gehölz. So leitete ihn das Verhängnis.
Aber sobald er betrat die von Quellen betauete Grotte,
Schlugen die Nymphen bestürzt bei des Mannes erschreckendem Anblick
Nackt, wie sie waren, die Brust und füllten mit plötzlichem Schreien
Rings den heiligen Hain und schützten gedrängt um Diana
Sie mit dem eigenen Leib. Doch höher als sie ist die Göttin
Selber und überragt bis zum Halse die anderen alle.
Wie in glühendem Rot, wenn die Sonne genüber es anstrahlt,
Pfleget zu stehn das Gewölk wie im Purpurschimmer Aurora:
Also erglüht das Gesicht der entkleidet geschauten Diana.
War sie auch von der Schar der begleitenden Nymphen umgeben,
Stand sie doch schräg auf die Seite geneigt, nach hinten das Antlitz
Beugend, und wie sie zur Hand gern hätte gehabt die Geschosse,
Schöpfte sie Flut, die sie hatte zur Hand, und goß sie dem Manne
Über das Haupt, und das Haar ihm bespritzend mit rächenden Wellen
Sprach sie die Worte dazu, Vorboten des nahen Verderbens:
»Magst du es jetzt kund thun, daß ohne Gewand du mich schautest,
Wenn du es kund thun kannst.« Nicht weiteres drohend verleiht sie
Seinem begossenen Haupt das Geweih zählebenden Hirsches,
Und gibt Länge dem Hals und spitzt ihm oben die Ohren,
Und mit Füßen vertauscht sie die Hände, die Arme mit langen
Beinen und überziehet mit fleckigem Felle den Körper.
Furcht auch ist ihm verliehn. Fort eilt Auto'noë's Sprößling
Und sieht während des Laufs mit Verwunderung, daß er so schnell ist.
Wie er jedoch das Gesicht und die Hörner im Wasser erblickte,
Wollt' er rufen entsetzt: »Weh mir!« Nicht folgte die Stimme.
Dafür kam ein Gestöhn. Feucht ward von Thränen das Antlitz,
Welches das seinige nicht. Den Geist nur hatt' er behalten.
Was nun soll er thun? Heimkehren zum Königspalaste
Oder sich bergen im Wald? Scham hinderte jenes, die Furcht dies.
[83] Während er schwankt, ersehn ihn die Hund', und das Zeichen mit Bellen
Gibt Mela'mpus zuerst und Ichno'bates trefflich im Spüren,
Dieser von gnosischem Stamm, von spartanischer Rasse Melampus.
Flüchtiger rennen herbei als sausende Winde die andern:
Pa'mphagus, Do'rceus auch und Ori'basus, A'rcader alle;
The'ron grimmig und wild, mit dem starken Nebro'phonos Lä'laps,
Pte'relas hurtig im Lauf und die scharf auswitternde A'gre
Und von dem Eber gehaun unlängst der kecke Hylä'us,
Na'pe gezeugt vom Wolf und Pöme'nis, welche den Schafen
Achtsam folgt, und begleitet von zween der Söhne Harpy'ia,
La'don dazu mit schmächtigem Bauch, sikyonischer Herkunft,
Ca'nace, Dro'mas sodann und Sti'cte und Ti'gris und A'lce,
A'bolus schwarz von Haar und Leu'con mit schneeigen Zotten,
La'con rüstig an Kraft und stark im Rennen Ae'llo,
Tho'us und flink und behend mit dem cyprischen Bruder Lyci'sce.
Und an der dunkelen Stirn mit schneeiger Mitte gezeichnet
Ha'rpalos, Mela'neus auch und La'chne mit struppigem Leibe;
La'bros, Agri'odos dann, die Söhne lakonischer Mutter,
Vom Dictä'er gezeugt, und mit gellender Stimme Hyla'ctor,
Und viel andre dazu. Die stürmen nach Beute begierig
Über Gestein und Felsen und unzugängliche Klippen,
Da, wo schwierig der Weg, und da, wo keiner gebahnt ist.
Selbst nun fliehet er dort, wo oft er Verfolger gewesen;
Ach, er flieht vor dem eignen Gefolg! Gern hätt' er gerufen:
»Ach, Actä'on ja bin's! Erkennt doch euren Gebieter!«
Worte gebrechen dem Wunsch. Vom Gebell hallt wieder der Äther.
Melanchä'tes zuerst verwundete jenem den Rücken,
Dann Theri'damas auch; Oresi'trophos biß sich am Bug ein.
Später begann ihr Lauf, doch über den Berg auf dem Richtpfad
Eilten dem Schwarm sie voraus. Indes den Gebieter sie hielten,
Drängt sich die Meute herzu und schlägt in den Körper die Zähne.
Schon zu Wunden gebricht es an Raum. Er stöhnet, und Töne,
Nicht wie ein Mensch, doch auch wie ein Hirsch niemals sie hervorbringt,
Stößet er aus und erfüllt das bekannte Gebirge mit Wehruf,
Und mit gebogenem Knie demütig und Bittenden ähnlich
[84] Wirft er schweigend umher, als wären es Arme, die Blicke.
Aber den bissigen Trupp hetzt noch mit dem üblichen Zuruf
Sein argloses Gefolg' und sucht mit den Augen Actä'on –
Und ruft laut, als wär' er entfernt, um die Wette Actäon –
Jener bewegt bei dem Namen das Haupt – und alle beklagen,
Daß er fern und des Fangs Schauspiel so lässig versäume.
Fern sein möcht' er, allein er ist nah. Er möchte der Meute
Grimmiges Thun nur sehn und nicht auch selber empfinden.
Ringsum stehn sie gedrängt, in den Leib einsenkend die Schnauzen,
Und zerfleischen den Herrn im Bilde des trügenden Hirsches.
Erst, wie am Ende geflohn durch vielfache Wunden das Leben,
Ward der Zorn der köchergeschmückten Göttin gestillet.
Drob ist die Meinung geteilt. Zu hart scheint manchen Diana,
Andere nennen ihr Thun der streng jungfräulichen Sitte
Würdig und zollen ihr Lob. Grund finden so diese wie jene.
Jupiters Gattin allein verrät nicht, ob sie es tadelt
Oder belobt, doch über das Leid im Hause Age'nors
Ist sie im Herzen erfreut, und sie trägt von der tyrischen Buhle
Über den Haß auf die Glieder des Stamms. Zu dem früheren Anlaß
Kommt als neuer der Schmerz, von des mächtigen Jupiter Samen
Se'mele schwanger zu sehn. Da löst sie die Zunge zum Schelten:
»Was denn hab' ich erreicht durch all mein Schelten?« – begann sie –
»Züchtigen muß ich sie selbst, verderben sie selbst, wenn ich heiße
Juno die Große mit Fug, wenn wirklich das funkelnde Scepter
Mir in der Rechten gebührt, wenn ich Königin, Schwester und Gattin
[85] Ju'piters bin, doch Schwester gewiß. Ich dächte, die Liebschaft
Wär' ihr genug und kurz nur unseres Bettes Beschimpfung.
Doch sie empfängt – das noch! – und trägt im befruchteten Schoße
Deutliche Schuld und hofft, was ich kaum ward, von dem einen
Jupiter Mutter zu sein. So gibt ihr Dünkel die Schönheit.
Aber sie soll sich versehn! Nicht will ich Satu'rnia heißen,
Wenn ihr Jupiter nicht sie senkt zu den stygischen Wogen.«
Damit steigt sie vom Thron, und geborgen in goldener Wolke
Kommt sie an Se'mele's Thür. Nicht eher entfernt sie die Wolke,
Bis sie ein Mütterchen war und die Schläfe verhüllet mit Grauhaar
Und sich die Haut mit Runzeln gefurcht und mit wankenden Schritten
Trug den gebogenen Leib und nachahmt die Stimme der Greisin.
Semele's Amm' ist sie gleich, der Be'roë aus Epidau'rus.
Als nunmehr ein Gespräch sich entspann, und im langen Geplauder
Jupiter wurde genannt, da sprach sie mit Seufzen: »Ich wünsche,
Daß das Jupiter ist; doch fürcht' ich alles. Wie viele
Gaben für Götter sich aus und gelangten in keusche Gemächer!
Jupiter sein, das genüget noch nicht: er beweise die Liebe,
Wenn er wirklich es ist. Wie er groß und herrlich der hehren
Juno pfleget zu sein, so groß und herrlich, verlange,
Soll er umfahn auch dich und zuvor dich schmücken als Herrscher.«
Also wurde bethört von Juno die Tochter des Cadmus,
Und sie begehrt ein Geschenk von Jupiter ohn' es zu nennen.
»Wähle!« – versetzt ihr der Gott – »Nicht soll Fehlbitte dich kränken.
Daß auch völlig du glaubst: die Gewalt des stygischen Stromes
Soll mitwissen den Schwur. Den Gott selbst fürchten die Götter.«
Froh des Verderbs, zu glücklich im Wunsch und dem Tode verfallen
Durch so blinde Gewähr, sprach Semele: »Wie du in Hoheit
Wirst von Juno umarmt, wenn den Bund der Venus ihr schließet,
Also zeige dich mir.« Der Redenden wollte die Lippen
Schließen der Gott: schon waren entflohn die schleunigen Worte.
[86] Jupiter seufzt; denn zurück kann sie nicht nehmen die Bitte,
Noch er selber den Schwur. So steigt er empor in den Äther,
Tief im Herzen betrübt, und zieht nachfolgende Wolken
Winkend heran und fügt Platzregen und Winden geselltes
Wetterleuchten dazu und Donner treffenden Blitzstrahl.
Aber er sucht, soweit er vermag, sich die Kraft zu benehmen.
Nicht mit dem feurigen Strahl, der den hunderthänd'gen Typho'eus
Hinschlug, waffnet er sich: zu schrecklich ist seine Zerstörung.
Leichter ist noch ein anderer Blitz, dem weniger Flamme,
Weniger Wut und Grimm verliehen die Hand der Cyklopen,
Zweites Geschoß von den Göttern genannt. Das nimmt er und schreitet
Ins ageno'rische Haus. Es erträgt den ätherischen Aufruhr
Nicht der sterbliche Leib und verbrennt von den bräutlichen Gaben.
Aber das Kind, das noch unzeitige, wird aus der Mutter
Schoße gerettet und zart in den Schenkel des Vaters genähet –
Wenn das Glauben verdient – und erfüllet die reifenden Monde.
Heimlich erzog in der Wiege zuerst ihn I'no, die Muhme;
Nymphen von Nysa darauf empfingen den Knaben und hielten
Ihn in der Grotte versteckt und reichten ihm nährende Milch dar.
Während sich solches begab nach des Schicksals Walten auf Erden
Und in der Wiege geschützt der wiedergeborene Ba'cchus
Lag, ließ Ju'piter einst nach der Sage, von Ne'ktar erheitert,
Lastende Sorgen beiseit' und trieb mit der müßigen Ju'no
Froh kurzweiligen Scherz und äußerte: »Euere Wollust
Ist doch größer gewiß, als die uns Männern zu teil wird.«
Juno verneint. Es beliebt, des gelehrten Tire'sias Meinung
[87] Einzuholen darob: der kannte die beiden Genüsse.
Denn er hatte verletzt zwei Leiber gewaltiger Schlangen,
Die sich gepaart im grünen Gebüsch, mit dem Streiche des Stabes.
Sieh', aus dem Mann ward plötzlich ein Weib, und sieben der Herbste
Hatte er also verlebt. Im achten erblickt' er dieselben
Wieder und sprach: »Wenn ein Hieb auf euch so wirket mit Zauber,
Daß er des Thäters Geschlecht zum entgegengesetzten verwandelt,
Schlag' ich wiederum euch.« Wie er traf die nämlichen Schlangen,
Kehrte die früh're Gestalt und die erstverliehene Bildung.
Dieser, von beiden gewählt, den launigen Streit zu entscheiden,
Pflichtet dem Ju'piter bei. Das nahm Satu'rnia, sagt man,
Über Gebühr und nicht der Sache gemäß sich zu Herzen,
Und sie verwies in ewige Nacht die Augen des Richters.
Für das benommene Licht – denn nie darf Thaten von Göttern
Ändern ein anderer Gott – gibt ihm der allmächtige Vater
Zukunft wissenden Geist und mildert die Strafe durch Ehre.
Jener, gefeiert vom Ruf in allen aonischen Städten,
Gab dem fragenden Volk unfehlbar wahre Bescheide.
Wie untrüglich sein Wort, das nahm am ersten die blaue
Nymphe Liri'ope wahr. Einst mit dem gewundenen Strome
Engte Cephi'sus sie ein, und als sie die Wellen umschlossen,
Übt' er Gewalt. Vom befruchteten Schoß der schönsten der Nymphen
Wand sich ein Kind ans Licht, schon damals würdig der Liebe
Und Narci'ssus genannt. Befragt, ob diesem bestimmt sei
Einst an Jahren gereift langwährendes Alter zu schauen,
Sprach: »Wenn er sich nicht kennt!« der schicksalkündende Seher.
[88] Lang schien eitel und leer sein Ausspruch. Doch ihn bewähren
That und Erfolg und die Art des Tods und die Neuheit des Wahnsinns.
Jetzo hatte bereits der Cephi'sier eines zu fünfzehn
Jahren gefügt und konnte so Knab' erscheinen wie Jüngling.
Viele begehreten sein der Jünglinge, viele der Mädchen.
Aber es war in der zarten Gestalt so fühlloser Hochmut:
Keiner bewegte sein Herz von den Jünglingen, keines der Mädchen.
Ihn nahm wahr, wie er trieb in die Netze die schüchternen Hirsche,
Einst die Nymphe des Schalls, die weder versagen die Antwort,
Noch kann sprechen zuerst, die alles erwidernde Echo.
Noch war Echo ein Leib, nicht Laut, und die Lippen gebrauchte
Nicht zu anderem Dienst als jetzt die schwatzende Nymphe,
Daß sie zurück nur gab von gereiheten Worten die letzten,
Das war Juno's Werk, weil oftmals, wenn im Gebirge
Leicht sie hätte ertappt mit Jupiter liegende Nymphen,
Jene mit langem Gespräch die Göttin geflissentlich aufhielt,
Bis die Nymphen gefloh'n. Wie solches Satu'rnia merkte,
Sprach sie: »Der Zunge Gewalt, die mich arglistig betrogen,
Soll dir gering hinfort und kurz der Stimme Gebrauch sein!«
Drohungen folgte die That. Sie aber verdoppelt die Laute
Immer am Schluß und sendet zurück die vernommenen Worte.
Als die nun den Narci'ssus erblickt, der in pfadlosen Fluren
Schritt umher und erglüht, da folgt sie heimlich den Spuren,
Und je mehr sie ihm folgt, je drängender spürt sie die Flamme
Nicht in anderer Art, als wenn leicht zündender Schwefel
Vorn um die Fackel getupft auffängt die genäherte Flamme.
O, wie wollte sie oft schon nahen mit kosenden Worten
Und sanft bitten und fleh'n! Ihr wehrt die Natur und vergönnt nicht,
[89] Daß sie rede zuerst. Doch steht sie, was jene gestattet,
Harrend der Töne bereit, darauf sie gebe die Antwort.
Laut sprach grade verirrt von der Schar der treuen Begleiter
Jener: »Ist jemand da?« Und »da« antwortete Echo.
Jener erstaunt und wendet den Blick nach jeglicher Seite.
»Komm!« so tönt sein schallender Ruf. Sie rufet den Rufer.
Rückwärts schaut er und spricht, da wiederum keiner erschienen:
»Warum fliehest du mich?« Was er sprach, dasselbe vernahm er.
Jetzo bleibet er stehn; getäuscht von des Zwiegesprächs Bilde
Sagt er: »Vereinen wir uns!« und Echo, die keinem der Töne
Antwort gäbe so gern, läßt: »Einen wir uns!« sich vernehmen,
Und sie selber entzückt ihr Wort, und sie tritt aus dem Walde,
Um den ersehneten Hals die liebenden Arme zu schlingen.
Aber er flieht und entreißet im Fliehn der Umschlingung die Hände:
»Eher – so ruft er – den Tod, als daß du mir nahtest in Liebe!«
Echo erwiderte nichts denn: »Daß du mir nahtest in Liebe!«
Sie, die Verschmähte verbirgt sich im Wald, mit Laub das verschämte
Antlitz deckend, und lebt fortan in entlegenen Höhlen.
Aber die Liebe verbleibt und wächst vom Schmerz der Verachtung.
Wachende Sorge verzehrt den kläglich vergehenden Körper;
Siechtum macht einschrumpfen die Haut, und die Säfte des Leibes
Schwinden gesamt in die Luft. Nur Stimm' ist übrig und Knochen.
Stimme verbleibt; zu Gestein – so sagen sie – wurden die Knochen.
Seitdem birgt sie der Wald, und nie im Gebirge gesehen
Wird sie von allen gehört. Als Schall nur lebt sie beständig.
So war diese von ihm, so andere Nymphen der Wellen
Oder der Berge verhöhnt, so früher die männlichen Scharen.
Endlich die Hände gestreckt zum Himmel begann ein Verschmähter:
»So mag lieben er selbst, so nie das Geliebte besitzen!«
Seinem gerechten Gebet stimmt zu die rhamnu'sische Göttin.
Schlammlos war ein Quell mit silbern erglänzenden Wellen,
Den niemals ein Hirt, noch am Berge geweidete Ziegen
Hatten berührt, noch anderes Vieh, den keiner der Vögel
[90] Hatte getrübt, kein Wild, kein niedergefallener Baumzweig.
Rings war Rasen umher, den nahe Bewässerung nährte,
Und ein Gebüsch, das den Ort nicht ließ von der Sonne erwärmen.
Hier einst lagerte sich vom Eifer der Jagd und von Hitze
Müde der Knabe, gelockt von dem Quell und der Schöne der Stätte.
Während den Durst zu löschen er strebt, wird anderer Durst wach;
Denn im Trinken vom Schein des gesehenen Bildes bezaubert,
Liebet er nichtigen Wahn: er hält für Körper, was Schatten.
Sich anstaunet er selbst, und starr mit demselbigen Blicke
Ist er gebannt, wie ein Bild, aus parischem Marmor gefertigt;
Liegend betrachtet er stets gleichwie zwei Sterne die Augen,
Schaut mit Entzücken das Haar, das Apollo's würdig und Bacchus',
Schauet den elfenen Hals und die Glätte der bartlosen Wangen
Und des Antlitzes Reiz und in schneeiger Weiße die Röte;
Alles bewundert er selbst, was wert ihn macht der Bewundrung;
Sich ersehnt er bethört; der preist, wird selber gepriesen,
Der da strebet, erstrebt, und zugleich entzündet und brennt er.
Wie oft naht er umsonst mit Küssen dem trügenden Borne!
Wie oft mitten hinein den gesehenen Hals zu ergreifen
Taucht er die Arm' in die Flut und faßt sich nicht in den Wellen!
Unkund, was er erblickt, glüht für das Erblickte der Jüngling;
Der sein Auge betrügt, der Wahn auch hält es gefesselt.
Was, Leichtgläubiger, strebst du vergebens nach flüchtigem Scheinbild?
Nirgends ist, was du begehrst; sieh weg, und es flieht das Geliebte;
Schatten ist, was du gewahrst, vom widergespiegelten Bilde!
Nichts ist eigen daran; mit dir nur kam und verbleibt er,
Weggehn wird er mit dir, wenn wegzugehn du vermöchtest.
Nicht das Verlangen nach Ruh' und nicht das Verlangen nach Speise
Kann von dem Ort ihn ziehn: im beschatteten Grase gelagert,
Schaut er die leere Gestalt mit unersättlichen Blicken,
Und er vergeht durch das eigne Gesicht, und ein wenig erhoben
Spricht er, die Arme gestreckt zu den ringsum stehenden Wäldern:
[91] »Hat je einer geliebt, ihr Wälder, mit härteren Qualen?
Denn ihr wißt es und war't schon vielen gelegener Schlupfort.
Seid ihr, da euer Bestand so viel Jahrhunderte währet,
Eines gedenk in der Länge der Zeit, der also geschmachtet?
Vor mir steht es und lockt; doch was dasteht, so verlockend,
Ach, ich find' es ja nicht. So fesselt den Liebenden Irrwahn.
Was noch mehret den Schmerz, nicht trennt uns Weite des Meeres,
Nicht ein Gebirg', ein Weg, noch Mauern mit sperrenden Thoren:
Karges Gewässer verbietet zu nah'n. Selbst möcht' er umarmt sein;
Denn so oft ich den Mund darbiete den lauteren Wellen,
So oft kommt er zu mir mit aufwärts strebendem Antlitz.
Fast, fast scheint er berührt. Wie klein, was die Liebenden scheidet!
Wer du auch seist, komm her! Was trügst du mich, einziger Knabe?
Wer entführet dich mir? Mir sind doch Alter und Bildung
Nicht so, daß du sie fliehst; mich liebten ja sehnlich die Nymphen.
Hoffnung, ich weiß nicht welche, verheißt dein freundliches Antlitz;
Streck' ich die Arme nach dir, so streckst du von drüben die Arme;
Lach' ich, lachst du mir zu; auch sah ich zum öfteren Thränen,
Wenn ich weinte, bei dir; dem Wink auch winkst du entgegen,
Und, soviel mir verrät des reizenden Mundes Bewegung,
Gibst du Worte zurück, die uns nicht dringen zu Ohren.
Ich bin, merk' ich, es selbst. Nicht täuscht mich länger mein Abbild.
Liebe verzehrt mich zu mir; ich schür' und fühle die Flamme.
Was thun? Soll ich flehn? Mich anflehn lassen? Um was dann?
Was ich begehre, ist mein. Zum Darbenden macht mich der Reichtum.
Daß ich vom eigenen Leibe mich doch zu trennen vermöchte!
Was kein Liebender wünscht, ich wünsche mir fern, was ich liebe.
Weg schon nimmt mir die Kräfte der Schmerz, es bleibt meinem Leben
Nicht ein langer Bestand, und in frühesten Alter vergeh' ich.
Mir ist der Tod nicht schwer, da im Tod aufhören die Leiden;
Ihm nur, den ich geliebt, ihm wünscht' ich ein längeres Leben.
Nun mit einander vergeh'n wir zwei in der einzigen Seele.«
Sprach's und kehrte zurück sinnlos zu dem nämlichen Bilde,
Und er trübt mit Zähren die Flut, und im kreisenden Wasser
[92] Wurde verdunkelt das Bild. Wie er weggehn sah die Erscheinung,
Rief er: »Wo fliehest du hin? O bleib und verlasse so fühllos
Mich, den Liebenden, nicht. Was nicht zu berühren vergönnt ist,
Laß mich wenigstens schau'n und nähren den traurigen Wahnsinn.«
Während er klagt, zertrennt er das Kleid vom obersten Saume;
An die enthüllete Brust dann schlägt er mit marmornen Händen,
Und die geschlagene Brust ward sanft mit Röte bezogen,
So wie der Apfel sich zeigt, der weiß zur Hälfte, zur Hälfte
Rot aussieht, und wie mit gesprenkelten Beeren die Traube,
Wenn sie, gereift noch nicht, sich purpurn pfleget zu färben.
Als er solches erblickt im wieder geklärten Gewässer,
Trug er länger es nicht: wie gelbliches Wachs an gelindem
Feuer gemach hinschmilzt, und wie von der wärmenden Sonne
Taut in der Frühe der Reif, so auch, von der Liebe verzehret,
Schwindet er hin und vergeht allmählich vom inneren Feuer.
Nicht ist die Farbe wie sonst mit der Weiße vereinigte Röte;
Hin ist die blühende Kraft und was eben entzückte das Auge,
Und nicht bleibet der Leib, den früher ersehnete Echo.
Als die aber es sah, obgleich voll Zorn und gedenkend,
Fühlte sie Leid, und so oft der Bejammernswürdige: »Wehe!«
Ausrief, hallte das Wort sie nach und erwiderte: »Wehe!«
Und wenn jener im Schmerz sich schlug mit den Händen die Arme,
Gab auch diese zurück die nämlichen Töne des Schlagens.
Also sprach er zuletzt im gewohnten Gewässer sich spiegelnd:
»Ach du Knabe, geliebt umsonst, – gleichviele der Worte
Hallte der Ort – leb wohl!« »Leb wohl!« auch redete Echo.
Kraftlos ließ er das Haupt nun sinken auf grünenden Rasen;
Tod umnachtet den Blick, der bewundert des Blickenden Schönheit,
Da auch noch, wie er längst dem Reiche der Toten gehörte,
Schaut' er sich selbst in der stygischen Flut. Die Najaden, die Schwestern
[93] Trauern und weihen dem Bruder vom Haupt Haarlocken; es trauern
Auch die Drya'den um ihn: beistimmet den Trauernden Echo.
Scheiter besorgte man schon und schwingende Fackeln und Bahre:
Da war nirgend der Leib. Für den Leib ist sichtlich ein Blümlein,
Safrangelb, um die Mitte besetzt mit schneeigen Blättern.
Kund ward dies und erwarb in Achaia's Städten dem Seher
Wohlverdieneten Ruhm, und groß war der Name des Au'gurs.
Ihn mißachtet allein von allen der Götterverächter
Pe'ntheus, Echi'ons Sohn: zu den kündenden Sprüchen des Greises
Lacht er mit Hohn, und die Nacht und den Schaden benommenen Lichtes
Wirft er ihm vor. Doch jener bewegt die ergraueten Schläfe:
»Wahrlich, ein Glück für dich, wenn du auch – sprach er – des Lichtes
Würdest beraubt, daß nicht du erblicktest die bacchische Feier!
Denn es erscheint ein Tag, der nicht, so schwanet mir, fern ist,
Wo allhier einziehet der Sprößling Se'mele's, Li'ber.
Wenn du diesem versagst alsdann die Ehre der Tempel,
[94] Wirst du liegen zerstückt und zerstreut allorts und die Wälder
Färben mit Blut und die Mutter zugleich und die Schwestern der Mutter.
Ja, es geschieht! Du wirst die Ehre versagen der Gottheit
Und, daß ich in der Nacht zu hell nur schauete, klagen.«
Ihm der solches gesagt, heißt gehen der Sohn des Echion.
Was er verheißen, erfolgt, und das Wort des Sehers erfüllt sich.
Liber erscheint, und es dröhnet die Flur von festlichem Jauchzen.
Alle zu Hauf, mit Männern gemischt so Mütter wie Schnuren,
Stürzen sie, Edle wie Volk, zu der neu anhebenden Feier.
»Was für ein Wahn, o Schlangengeburt, du Same des Ma'vors,
Blendete eueren Geist? – sprach Pentheus – Wirkt so gewaltig
Erz anschlagend an Erz und die Flöte gebogenen Hornes
Samt dem Gauklerbetrug, daß, die nicht streitbare Schwerter,
Nicht Drommeten geschreckt, nicht Scharen mit fertigen Speeren,
Weibergeschrei nunmehr und von Wein aufgährender Wahnsinn
Und unzüchtiger Schwarm und nichtige Trommeln bezwingen?
Kann ich euch Greise versteh'n, die über die Weite der Meerflut
Ty'ros hieher, hieher ihr gebracht landflücht'ge Pena'ten,
Nun sie ohne Gefecht preisgebt? dich, stärkeres Alter,
Jünglinge, näher mir selbst, die ihr besser denn festliche Thy'rsen
Trüget die Wehr in der Hand und den Helm statt Laub auf dem Haupte?
Seid, ich bitt' euch, gedenk, woher ihr genommen den Ursprung;
[95] Nehmet von ihm, der einst allein so viele getötet,
Nehmt von dem Drachen den Mut. Im Kampf für den Quell und den Weiher
Fand er den Tod; doch ihr, o sieget für euere Ehre!
Er gab Helden den Tod; jagt ihr Weichlinge von dannen.
Wahret den Ruhm, den die Väter ererbt. Wenn lange zu stehen
Theben verbot das Geschick, o daß doch Männer die Mauern
Stürzten und Schleudergerät, daß rasselte Eisen und Feuer!
Elend wären wir dann, doch schuldlos und zu beklagen,
Nicht zu verhehlen das Los, und der Scham entbehrten die Zähren.
Nun soll Thebens gar sich bemeistern ein wehrloser Knabe,
Dem nicht Fehde behagt, noch Waffen, noch Tummeln der Rosse,
Sondern das Haar mit Myrrhen gesalbt und weibische Kränze,
Purpur dazu und Gold in bunte Gewänder gewoben.
Nötigen will ich ihn bald – steht ihr nur ab – zu bekennen,
Daß er den Vater erdacht und erlogen die heilige Feier.
Hat Acri'sius Mut zu verachten die eitele Gottheit
Und ihm, wie er genaht, zu verschließen die Thore von Argos:
Pentheus sollte sich scheu'n und Theben gesamt vor dem Fremdling?
Auf denn rasch – so gebeut er den Dienenden – auf, und den Führer
Schleppet in Banden mir her! Fern sei fahrlässiges Zaudern!«
Darob tadeln der Ahn und A'thamas und der Verwandten
Übrige Schar ihn laut und müh'n sich umsonst ihn zu halten.
Heftiger macht die Warnung ihn noch, und gereizt und gesteigert
Wird die gehinderte Wut, und es schadete selber die Hemmung.
Also hab' ich geseh'n, wo nichts dem strömenden wehrte,
Ruhiger fließen zu Thal und mit mäßigem Rauschen den Gießbach;
Wo ihn Stämme jedoch aufhielten und sperrende Blöcke,
Nahm er schäumend den Weg und kochend und wilder vom Hemmnis.
Siehe, sie kehren zurück voll Blut und versetzen dem Herrscher,
Da nach Bacchus er fragt: »Ihn selber erblicken wir nirgends;
[96] Diesen Begleiter jedoch und Diener der bacchischen Feier
Brachten wir ein.« Und sie führen, geschnürt auf den Rücken die Hände,
Einen Tyrrhe'ner herbei, der dem Dienste des Gottes gefolgt war.
Pe'ntheus richtet auf ihn die vom Zorn erschrecklichen Augen,
Und wiewohl er mit Müh' aufschiebet die Strafe, beginnt er:
»Du, zu sterben bestimmt, auf daß zur Lehre den andern
Sei dein Tod, sprich, welches dein Nam' und der Name der Eltern,
Wo du zu Haus, und warum du hältst an den neuen Gebräuchen.«
Jener versetzt furchtlos: »Mein Nam' ist Acö'tes; die Heimat
Ist Mäo'nien mir, aus niederem Volke die Eltern.
Felder vererbte mir nicht zu bestellen von rüstigen Stieren,
Noch horntragendes Vieh, noch wollige Herden der Vater.«
Auch er selbst war arm und pflegte mit Netzen und Angel
Schnellende Fische zu fah'n und herauf am Rohre zu ziehen.
Ihm war all sein Vermögen die Kunst. Wie er diese mir lehrte,
Sprach er: »So nimm denn hin, des Berufs Nachfolger und Erbe,
Meinen Besitz!« Und wie er verschied, da ließ er zurück mir
Nichts wie die Flut: die kann ich mit Fug nur nennen mein Erbgut.
Bald auch, daß ich gebannt nicht blieb' an dieselbigen Klippen,
Lernt' ich dazu das Steuer des Kiels mit lenkender Rechten
Drehen, und samt dem Regengestirn der ole'nischen Ziege
[97] Merkt' ich den Bären mir wohl und Tay'gete und die Hya'den,
Auch von den Winden den Strich und den Schiffen gelegene Häfen
Wie nach De'los ich einst hinsteuere, land' ich an Chi'os'
Küsten und werde zum Strand rechtshin von den Rudern getrieben;
Leicht dann thu' ich den Sprung und steh' auf dem sickernden Sande.
Als vorüber die Nacht – früh war's, da sich eben Auro'ra
Rötete – stehe ich auf, und mit Wasser das Schiff zu versorgen
Mahn' ich und zeige den Weg, der führe zum strömenden Borne.
Was mir verheiße die Luft, erspäh' ich selber vom Hügel,
Rufe die anderen dann und kehre zurück zu der Barke.
»Hier sind wir!« so spricht von den Mannen der erste, Ophe'ltes:
Ihm folgt längs dem Gestad', als vermeintliche Beute gefunden
Im einsamen Gefild, ein Knäblein, gleichend den Jungfrau'n.
Schwer scheint dieser von Wein und Schlaf im Taumel zu wanken,
Folgend mit Müh'. Ich schaue die Tracht und den Gang und das Antlitz:
Nichts erblickt' ich daran, was sterblich zu achten gewesen;
Und ich ersah es und sprach zu der Schar: »Noch bin ich in Zweifel,
Was für ein Gott dies ist, doch dies muß sicher ein Gott sein.
Wer du auch bist, sei hold und fördere unsere Arbeit.
Woll' auch diesen verzeih'n!« »Für uns nur spare die Bitte!«
Ward ich von Di'ctys gemahnt, der gewandt wie keiner die höchsten
Raaen hinan und herab am Tau zu klimmen verstanden.
Li'bys stimmet ihm bei und der blonde Mela'nthus, des Schnabels
Wache, Alci'medon auch, und der mit der Stimme den Rudern
[98] Angab Ruhe und Maß, der Erwecker des Eifers Epo'peus,
Alle die anderen auch. So blind ist Gier nach der Beute.
»Daß mit der heiligen Last sich Schuld aufbürde die Barke, –
Rief ich – gestatt' ich nicht: hier hab' ich des Rechtes am meisten.«
Und vor den Eingang stell' ich mich hin. Frech wütet am meisten
Ly'cabas unter der Zahl, der gejagt aus tuskischer Stadt einst
In der Verbannung erlitt die Strafe für gräßliche Mordthat.
Dieser mit Jünglingsfaust schnürt, während ich wehre, die Gurgel
Kräftig mir zu und hätte hinab ins Meer mich geschleudert,
Wär' ich, wiewohl sinnlos, nicht hangen geblieben im Tauwerk.
Beifall zollt ihm die ruchlose Schar. Da endlich beginnet
Bacchus, – denn Bacchus war's – als ob sein Schlummer gelöst sei
Durch das Geschrei und Besinnung gekehrt in die Brust nach dem Rausche:
»Was geht vor? Was für ein Geschrei? Wie kam ich, ihr Schiffer,
Sagt, wie kam ich hierher? Wohin denn wollt ihr mich bringen?«
»Laß nur schwinden die Furcht! – sprach Pro'reus – Nenne den Hafen,
Den zu erreichen du strebst: wir landen dich, wo du begehrest.«
»Nun, so richtet die Fahrt – antwortete Liber – nach Naxos;
Denn dort bin ich zu Haus. Euch wird es ein gastliches Land sein.«
Tückisch gelobt es die Rotte zu thun bei dem Meer und bei allen
Göttern und heißt dem bebilderten Kiel mich geben die Segel.
Rechts war Naxos von uns. Da ich rechtshin stelle die Leinwand,
[99] Sagt mir jeder: »Was machst du, Verblendeter? Was für ein Wahnsinn
Hat dich, Acö'tes, erfaßt? Links wende dich.« Viele bezeichnen,
Was ihr Begehr, durch Wink; ins Ohr auch flüstert mir mancher.
Höchlich erstaunt' ich und sprach: »So nehme das Steuer ein andrer!«
Und ich zog mich zurück vom Dienste der Schuld und der Arglist.
Alle schreien mich an und ringsum murret der Haufe:
Aber Ätha'lion spricht: »Auf dir nur, wahrlich, beruht wohl
Unser alleiniges Heil!« Und er tritt für mich an die Stelle,
Thut mein Amt und erwählt abwärts von Naxos die Richtung.
Da nun schaute der Gott, sich stellend, als ob er die Tücke
Jetzt erst merkte, hinaus ins Meer vom gebogenen Spiegel,
Und wie ein Weinender stand er und sprach: »Nicht diese Gestade,
Schiffer, verspracht ihr mir; dies Land nicht hab' ich erbeten.
Wofür hab' ich denn Strafe verdient? Was habt ihr des Ruhmes,
Wenn ihr Männer den Knaben betrügt, ihr viele den Einen?«
Thränen vergoß ich längst. Doch es lacht der verworfene Haufe
Unserer Thränen und drängt die Wogen mit eilenden Rudern.
Bei ihm selbst nun schwör' ich es dir – denn näher als jener
Ist kein Gott – daß ich so gewiß dir Wahres verkünde,
Wie unglaublich es scheint. Steh'n blieb nicht anders die Barke
Mitten im Meer, als hätte sie Stand auf trockenem Stapel.
Jene, zum höchsten erstaunt, verharren im Schlage der Ruder,
Lassen die Segel herab und streben mit doppelter Kraft fort.
Epheu jetzo umstrickt die Ruder und kriecht in geschweifter
Windung umher und bezieht mit schwellenden Dolden die Segel.
Aber, umwunden die Stirn mit beerengefülleten Trauben,
Schwingt er selber den Stab umflochten von rankendem Weinlaub.
Tiger umlagern den Gott und eitle Gebilde von Luchsen
[100] Und furchtbares Gezücht buntfleckiger Pardeltiere.
Wild aufspringen sie all', ob das nun wirkte der Wahnsinn,
Oder die Angst, und zuerst fängt an sich am Leibe zu schwärzen
Me'don und krumm zu gehn mit dem auswärts tretenden Rückgrat.
Ihm ruft Ly'cabas zu: »In welch ein Wundergebilde
Wandelst du dich?« Selbst hat er ein klaffendes Maul und die Nase
War ihm gestülpt, und die härtere Haut umzog sich mit Schuppen.
Li'bys, nach vorn zu drängen gewillt das stehende Ruder,
Sieht, wie in kürzerem Raum die Hände sich engen und Hände
Nicht mehr sind wie zuvor, schon Flossen verdienen zu heißen.
Einer, bemüht nach gewundenem Tau zu strecken die Arme,
Stehet der Arme beraubt, und gekrümmt mit verstümmeltem Körper
Springt er hinab in die Flut. Der Schweif ist geendet zur Sichel,
Wie sich rundet das Horn an dem halb nur sichtlichen Monde.
Ringsum springen sie nun und triefen von vieler Bespritzung,
Tauchen hervor aus der Flut und kehren zurück in die Wogen,
Tummeln sich spielend umher wie im Tanz und werfen die Leiber
Üppig und blasen das Meer, das sie schlürften, aus offenen Nüstern.
Von den Zwanzig zuvor – denn soviel führte die Barke –
Blieb ich übrig allein. Da ich bang und von Kälte geschüttelt
Stand, kaum meiner bewußt, weckt Mut mir der Gott mit den Worten:
»Banne die Furcht und halt' auf Di'a.« Gelangt zu dem Eiland
»Tret' ich in heiligen Dienst und teile die bacchischen Feste.«
[101] »Lang nun hörten wir zu – sprach Pentheus – deinem Geschwätze,
Daß der Verzug gar hätte vermocht den Zorn zu entkräften.
Schleunig ergreift, ihr Diener, den Mann, und zum stygischen Dunkel
Sendet hinunter den Leib, mit gräßlichen Qualen gemartert.«
Gleich von dannen geschleppt wird drauf der Tyrrhener Acötes,
Sicher im Kerker verwahrt. Doch während das schreckliche Werkzeug
Zu dem gebotenen Tod sie rüsteten, Eisen und Feuer,
That nach der Sage von selber die Thüre sich auf, und die Fesseln
Sanken, von keinem gelöst, freiwillig herab von den Armen.
Aber der Sohn des Echi'on beharrt. Nicht sendet er fürder,
Sondern er selbst geht hin, wo geweiht zur Feier Cithä'ron
Festlich erschallt von Getön und lautem Geschrei der Bacchanten.
So wie ein mutiges Roß, wenn das Zeichen zur Schlacht der Trompeter
Bläst aus klingendem Erz, aufwiehert und glühet von Kampflust:
So ist Pentheus erregt, da langes Geheul zu dem Äther
Steiget, und wieder entbrennt sein Zorn vom gehörten Getöse.
Außen von Wald umkränzt liegt fast auf der Mitte des Berges
Frei von Bäumen ein Feld, ersichtlich von jeglicher Seite.
Hier nun, wie er das Fest unheiligen Auges betrachtet,
Sieht ihn die Mutter zuerst, und zuerst hineilend in Tollheit
Wirft sie zuerst nach dem eigenen Sohn den verletzenden Thyrsus.
»Kommt! – so rufet sie dann – kommt her, ihr ogy'gischen Schwestern!
[102] Dort auf das riesige Tier, das streift durch unsere Felder,
Dort auf den Eber die Jagd!« Da stürzt auf den einen der ganze
Rasende Schwarm, und zu Hauf' verfolgen den Bebenden alle,
Ihn, der bebt nunmehr, nun minder Vermessenes redet,
Nun sich selber verdammt, nun, daß er gefrevelt, bekennet.
Als doch blutet sein Leib: »Auto'noë, Schwester der Mutter –
Flehet er – hilf! O laß dich rühren den Schatten Actäons!«
Doch nichts weiß von Actäon ihr Herz, und des Bittenden Rechte
Reißt sie hinweg. Ein Ruck der I'no verstümmelt die andre.
Arme gebrechen ihm nun, die klagend er hübe zur Mutter;
Aber ihr zeigend den Rumpf, der beraubt der zerstückelten Glieder,
Rufet er: »Mutter, o sieh!« Bei dem Anblick jauchzet Agau'e,
Wirft den Nacken umher und schüttelt das Haar in den Lüften,
Und das entrissene Haupt umfassend mit blutigen Fingern
Schreit sie: »Jo', mein Werk ist der Sieg, ihr begleitenden Weiber!«
Nicht rafft schneller das Laub, das gerührt vom herbstlichen Froste
Nur noch lose sich hält, der Wind von dem ragenden Baume,
Als die Glieder des Manns durch frevelnde Hände zerstoben.
[103] Warnung nehmend begeh'n die isme'nischen Frauen den neuen
Dienst und ehren gesamt die heil'gen Altäre mit Weihrauch.

Viertes Buch

[104] Viertes Buch.

Inhalt: Minyas' Töchter (Dercetis, Semiramis, die Najade, Pyramus und Thisbe, Venus und Mars, Leucothoë, Clytie, Daphnis, Sandon, Celmis, Cureten, Crocus und Smilax, Salmacis). Athamas und Ino (die Furien). Die Ismeniden. Cadmus und Harmonia. Perseus mit dem Medusenhaupte (Schlangen, Atlas, Andromeda's Befreiung, Korallen, Medusa).


Mi'nyas' Tochter jedoch, Alci'thoë, meinet, des Gottes

Orgien brauche sie nicht. Daß Bacchus von Jupiter stamme,
Leugnet sie noch mit vermessenem Trotz, und es teilen die Schwestern
Solch unheiligen Sinn. Zu dem Fest hieß kommen der Priester
Frauen und Mägde zugleich, ablassend von ihren Geschäften,
Decken mit Fellen die Brust, vom Haupt abnehmen die Binden,
Kränze sich legen ins Haar, in die Hand grünlaubige Thyrsen.
Furchtbar werde versäumt zum Zorne sich wenden die Gottheit,
Hatte voraus er gesagt. So Mütter wie Schnuren gehorchend
Lassen Geweb' und Korb und die unvollendete Arbeit.
Weihrauch dampft, und es schallt: Heil, Bro'mius, Ba'cchus, Lyä'us,
[105] Feuergezeugter, allein Zweimüttriger, Wiedergeborner!
Ny'seus! tönet ihr Ruf und: nimmer geschorner Thyo'neus!
Heitrer Lenäus! erschallt's, du Pflanzer der labenden Traube,
E'leleus, Eu'an dazu, Nycte'lius, Vater Ja'cchus
Und was du sonst für Namen noch hast bei den grajischen Stämmen,
Liber, in reichlicher Zahl. Dir bleibt nie welkende Jugend;
Du wirst droben geschaut im Himmel als ewiger Knabe,
Allen in Schöne zuvor; du trägst, wenn dir fehlen die Hörner,
Jungfrauähnliches Haupt. Dir huldigt bezwungen der Aufgang.
Bis wo Ganges benetzt am Ende die bräunlichen Inder.
Pe'ntheus schlachtest du hin und den Beilaufheber Lyku'rgus,
[106] Hoch zu feiernder Gott, die Verächter; du wirfst die Tyrrhe'ner
Nieder ins Meer. Du beugst den Hals, den prächtige Zügel
Schmücken, dem Luchsegespann. Mitziehn Bacchanten und Sa'tyrn
Samt dem trunkenen Greis, der am Rohre die schlotternden Glieder
Stützet und haltlos hängt auf dem Rücken des bauchigen Esels.
Wo du ziehest des Wegs, tönt lärmender Jünglinge Jubel,
Weiblicher Stimmen Geschrei, von den Händen geschlagene Trommeln,
Bauchiges Erz und der Bux mit der langhin gehenden Röhre.
»Nah' uns gnädig und mild!« – so flehen die Ismeni'den,
Und sie begehn den geheißenen Dienst. Nur My'nias' Töchter,
Durch unzeitiges Werk der Mine'rva die Feier entweihend,
Hecheln Wolle daheim, drehn Fäden mit hurtigem Daumen,
Oder beschicken Geweb' und drängen die Mägde zur Arbeit.
Eine davon, mit dem Daumen behend ausziehend den Faden,
[107] Spricht: »Da andere ruhn und folgen ersonnener Feier,
Laßt auch uns, die zu Haus hier Pallas, die bessere Göttin,
Fesselt, das nützliche Werk leicht machen mit wechselnder Rede,
Und mit ergötzlicher Mähr, daß lang nicht werde die Weile,
Laßt jedwede von uns die müßigen Ohren erfreuen!«
Billigend heißen zuerst sie selber erzählen die Schwestern.
Uneins erst in der Wahl – denn sie konnte so vieles erzählen –
Sinnet sie, ob sie von dir, babylonische De'rcetis, rede,
Die mit gewandeltem Leib, da Schuppen verhüllten die Glieder,
Schwamm im Weiher umher, wie glaubet das Volk Palästina's;
Ob vielmehr, wie die Tochter von ihr die letzten der Jahre,
Als ihr Gefieder gesproßt, auf ragenden Türmen verlebte;
Oder, wie einst mit Bann und mit allzu wirksamen Kräutern
Jünglinge eine Najad' in schweigende Fische verkehrte,
[108] Bis sie Gleiches erlitt; ob lieber, wie dunkele Früchte
Trägt, weil Blut ihn genetzet, der Baum, der weiße getragen.
Dies zu erzählen beliebt, weil nicht alltäglich das Märchen,
Und so hebet sie an, aus der Woll' ausziehend den Faden:
»Thi'sbe und Py'ramus einst, der Jünglinge schönster der eine,
Hoch die andre berühmt vor allen den Mädchen im Osten,
Wohnten als Nachbarn dort, wo die prächtige Stadt nach der Sage
Hatte Semiramis rings mit Backsteinmauern umgeben.«
Umgang brachte zuweg' und vertrautes Gewöhnen die Nähe;
Liebe erwuchs mit der Zeit, und sie wären vereint von den Fackeln,
Ohne der Väter Verbot. Was die nicht konnten verbieten:
Beider Gemüt war gleich entzündet von heißem Verlangen.
Jeglicher Zeuge ist fern. Sie reden mit Winken und Zeichen,
Und je enger beschränkt, je mächtiger wallet die Flamme.
Von kaum merklichem Riß, den schon beim Bau sie bekommen,
War durchspalten die Wand, die gemein jedwedem der Häuser.
Dieses Gebrechen, erkannt noch nie seit Reihen von Jahren,
Ward – was merkt nicht Liebe? – zuerst euch Liebenden sichtbar,
Dann als Weg für die Stimme gewählt, und in leisem Geflüster
Pflegten verstohlen hindurch zu gehn liebkosende Worte.
Oft, wenn sie standen davor, hier Thisbe, Pyramus drüben,
Und jedwedes den Hauch auffing von des anderen Munde,
Sprachen sie: »Neidische Wand, was bist du der Liebenden Hemmnis?
Wieviel hätt' es bedurft, daß ganz du uns ließest vereint sein
Oder, wenn dieses zuviel, uns Raum doch gäbest zum Küssen!
Doch nicht weigern wir Dank. Dir sind wir mit Freuden erkenntlich,
Daß zu befreundetem Ohr Durchgang du gewährest den Worten.«
Wenn von einander getrennt sie solches vergeblich geredet,
Sagten sie gegen die Nacht Lebwohl und gaben ein jedes
Küsse der scheidenden Wand, die nicht hinüber gelangten.
[109] Früh nun hatte verscheucht die nächtlichen Leuchten Aurora,
Und das betauete Gras mit Strahlen die Sonne getrocknet,
Als der gewöhnliche Ort sie vereint. Mit leisem Geflüster
Klagen sie lang und beschließen sodann die Hüter zu täuschen
Mitten in schweigender Nacht und sacht aus der Thüre zu schleichen,
Wenn sie entkommen dem Haus, die Gebäude der Stadt zu verlassen,
Dann, daß draußen sie nicht fehlgingen im weiten Gefilde,
Beide zu kommen zum Grabe des Ninus und sich zu verbergen
Unter dem schattigen Baum. Dort ragte beladen mit weißen
Früchten ein Maulbeerbaum ganz nahe bei kühlendem Borne.
So ist bestimmt, und das Licht, das langsam schien zu entweichen,
Sinkt in die Wogen hinab, und die Nacht steigt auf aus den Wogen.
Sacht dreht Thisbe die Thür in der Angel und schlüpft in dem Dunkel
Leise hinaus, von keinem bemerkt, und verhüllet das Antlitz
Langt bei dem Hügel sie an und setzt an dem Baume sich nieder.
Liebe machte sie stark und beherzt. Da nahet ein Löwe
Frisch von dem Morde der Rinder befleckt den schäumenden Rachen,
Daß er sich lösche den Durst im nahen Gewässer der Quelle.
Diesen gewahrte von fern im Mondschein Babylons Tochter
Thisbe und floh mit ängstlichem Fuß zur finsteren Höhle;
Aber sie ließ auf der Flucht das Gewand entfallen dem Rücken.
Als mit reichlichem Tranke der grimmige Leu sich gesättigt,
Sieht er, während zum Wald er zurückkehrt, ohne die Jungfrau
Liegen das dünne Gewand und zerfetzt es mit blutigem Maule.
Später entschritten dem Haus nimmt wahr in dem lockeren Sand
Sichere Spuren des Tiers und erblaßt im ganzen Gesichte
Pyramus. Wie er das Kleid auch findet vom Blute gerötet,
Spricht er: »Dieselbige Nacht wird Tod zwei Liebenden bringen;
Ach, und die würdigste war doch sie vieljährigen Lebens!
Ich nur trage die Schuld; ich habe dich, Ärmste, gemordet,
Der ich kommen dich hieß bei Nacht an grausige Stätte,
[110] Und als der Spätere kam. Reißt unseren Körper in Stücke,
Und mit dem grimmen Gebiß zehrt auf die verruchten Geweide,
All ihr Löwen zumal, die ihr haust hier unter dem Felsen!
Aber den Tod zu wünschen ist feig.« Und die Hülle der Thisbe
Hebt er vom Boden und nimmt sie mit in den Schatten des Baumes.
Wie dem bekannten Gewand er Thränen gegeben und Küsse,
Spricht er: »Empfange denn nun auch unseres Blutes Beströmung«;
Und er versenkt in die Weichen den Stahl, mit dem er gegürtet;
Rasch dann zieht er ihn sterbend heraus aus der blutenden Wunde.
Hochauf spritzte das Blut, wie er rücklings lag auf dem Boden,
Ähnlicher Art, wie wenn die beschädigte bleierne Röhre
Aufplatzt und mit Gewalt weithin feinstrahliges Wasser
Schleudert aus zischendem Loch und die Luft wegdrängt mit dem Schusse.
Von dem bespritzenden Blut gehn über die Früchte des Baumes
Plötzlich in schwarze Gestalt, und die Wurzel vom Blute befeuchtet
Tränkt sie mit punischem Saft und färbt die hangenden Beeren.
Sieh, da kehrt noch bang, um nicht den Geliebten zu täuschen,
Thisbe zurück und sucht mit Augen und Herzen den Jüngling.
[111] Ihm, wie großer Gefahr sie entging, zu erzählen verlangend.
Während den Ort sie erkennt und am Baum die gesehene Bildung,
Macht sie die Farbe der Frucht doch irr: ob dieser es wäre,
Stutzte sie. Zweifelnd im Sinn sah zuckende Glieder sie plötzlich
Schlagen den blutigen Grund, und sie wich mit dem Schritt, und im Antlitz
Wurde sie bleicher als Bux und schauderte ähnlich dem Meere,
Welches erbebt, wenn leicht hinstreift an dem Spiegel ein Lufthauch.
Aber, sobald sie erkannt nach kurzem Verzug den Geliebten,
Schlägt sie mit hallendem Streiche die schuldlos leidenden Arme,
Rauft sich das Haar und umschlingt den teueren Leib, und die Wunde
Füllt mit Thränen sie an und mischt mit dem Blute der Zähren
Heißen Erguß und bedeckt mit Küssen das eisige Antlitz.
»Pyramus – jammert sie laut – was raubte dich mir für ein Schicksal?
Pyramus, rede zu mir! Sieh, deine geliebteste Thisbe
Nennet dich. Höre mich doch und erhebe das liegende Antlitz!«
Als sie Thisbe gesagt, schlug wieder die brechenden Augen
Pyramus auf und schloß, wie er Thisbe geschaut, sie für immer.
Jetzo gewahrt sie ihr eignes Gewand und die elfene Scheide
Ohne das Schwert. »Dein Arm, Unglücklicher – ruft sie – und Liebe
Haben den Tod dir gebracht. Auch mir ist der Arm zu dem Einen
Stark: auch mir wird Kraft zu Wunden verleihen die Liebe.
Ja, dir folg' ich im Tod; dann heiß' ich deines Verderbens
Grund und Begleiterin auch, und den allein mir entreißen
Konnte der bittere Tod, soll Tod auch nicht mir entreißen.
Um dies einzige nur seid noch von uns beiden gebeten,
O von mir und von ihm ihr viel unglücklichen Väter:
Uns, die entschlossene Lieb' in der Stunde des Todes vereinte,
Uns mißgönnet es nicht, beisammen zu ruhen im Grabe.
Doch du Baum, der du jetzo die klagliche Leiche des einen
Deckst mit deinem Gezweig, bald deckst von zweien die Leichen:
[112] Wahre die Zeichen der That und behalte für immer der Trauer
Ziemende dunkele Frucht als Mal zwiefältigen Mordes.«
Sprach's, und unter die Brust sich stemmend die Spitze des Schwertes,
Stürzte sie sich in den Stahl, der noch von dem Morde gewärmt war.
Aber es rührt' ihr Wunsch die Götter und rührte die Eltern.
»Denn, wenn ganz sie gereift, ist schwarz an den Beeren die Farbe,
Und was die Flammen verschont, das ruht in gemeinsamer Urne.«
Damit war sie am Schluß. Kurz währte die Frist, und zu reden
Hub Leuco'noë an. Still waren die achtsamen Schwestern.
»Ihn auch, welcher das All durchdringt mit dem himmlischen Lichte,
Faßte die Liebe, den Sol. Sols Liebschaft will ich erzählen.
Dieser zuerst, wie Glauben besteht, sah, daß im geheimen
Buhleten Venus und Mars. Der Gott sieht alles am ersten.
Drob unwillig entdeckt er dem Junogeborenen Gatten
Schleunig die Schande des Betts und den Ort der Schande. Dem Gatten
Wich die Besinnung zugleich und das Werk, das eben die Rechte
Fertigte. Ketten sofort ganz dünn aus Erze geschmiedet,
Schlingen und Netze dazu, die den Blick wohl konnten betrügen,
Feilt er zurecht. Nicht mögen das Werk die zartesten Fäden,
Nicht am hohen Gebälke das Spinnengewebe beschämen.
Daß es dem leisesten Druck nachgibt und schwacher Berührung,
Macht er zugleich und legt es geschickt ringsher um das Lager.
Wie in das Bett nun kam mit dem Buhlen zusammen die Gattin,
Sind durch die Kunst des Gemahls und die schlau erfundenen Bande
Mitten im Liebesumfahn die beiden ertappt und gefangen.
Jetzo im Nu geht auf die helfene Thür, und die Götter
Lässet der Lemnier ein. Sie lagen verschlungen in Schande.
Aber es wünscht wohl mancher der nicht trübsinnigen Götter
[113] So in Schande zu sein. Die Himmlischen lachten, und lange
Blieb das Tagesgespräch im ganzen Oly'mpus der Vorfall.
Bald mit Strafe vergilt den Verrat die kythe'rische Göttin.
Denn nicht minder ihm selbst, der störte die heimliche Liebe,
Stört sie mit Liebe die Ruh. Was frommt, o Sohn Hype'rions,
Farb' und Gestalt dir nun und die Fülle des strahlenden Lichtes?
Du, des eigene Glut durchbrennet die sämtlichen Lande,
Brennest von anderer Glut. Da alles zu schauen dir obliegt,
Schaust du Leuco'thoë nur und heftest allein auf die Jungfrau
Augen, die doch zukommen der Welt. Am östlichen Himmel
Steigst du zu früh bald auf, bald sinkst du zu spät in die Wogen,
Und du verlängerst vertieft im Schauen die Stunden des Winters;
Manchmal fehlest du ganz, und das Siechtum deines Gemütes
Dringt in das Licht und dunkel erschreckst du der Sterblichen Seelen.
Auch nicht stehest du bleich, weil näher der Erde des Mondes
Bild dir sperrte den Weg: es entfärbt sich also die Liebe.
Sie nur trägst du im Sinn. Nicht Kly'mene hält dich, noch Rhodos,
Nicht die schönste der Frauen, die Mutter der ä'ischen Ci'rce,
[114] Kly'thie nicht, die heiß, obgleich vom Geliebten verschmähet,
Deine Umarmung ersehnt' und zu eben der Zeit an der Wunde
Schmerzvoll litt. Dich ließ Leuco'thoë viele vergessen,
Die Eurynome einst, des Weihrauch zeugenden Landes
Schönste, gebracht zur Welt. Als aber die Tochter heranwuchs,
War sie der Mutter voraus, wie allen die Mutter, an Schönheit.
Im achämenischen Reich war Orchamus König, ihr Vater,
Der als siebenter Sproß von dem Urahn Be'lus gezählt wird.«
Unter dem westlichen Pol ist die Weide des Sonnengespannes,
Welchem als Gras Ambrosia dient. Die nähret die Glieder
Müde vom Dienste des Tags und kräftigt sie wieder zur Arbeit.
Während die Rosse sich dort abrupfen das himmlische Futter,
Und sich umher ausbreitet die Nacht, tritt in das geliebte
Zimmer der Gott, die Gestalt der Mutter Eury'nome borgend.
Mit zwölf Mägden erblickt er Leucothoë, wie sie geschäftig
Glattes Gespinst beim Licht auszieht an gedreheter Spindel.
Drauf nun, wie er geküßt als Mutter die teuere Tochter,
Sprach er: »Die Sach' ist geheim; geht fort, ihr Mägd' und benehmet
Nicht der Mutter das Recht, ein Wort im Vertrauen zu reden.«
Also geschah, und als im Gemach kein Zeuge geblieben,
Sagte der Gott: »Ich bin's, der misset die Länge des Jahres.
Ich, der alles erschaut, der macht, daß alles die Erde
Schauet, das Auge der Welt. Du gefällst mir, glaub' es.« Sie zittert;
Rocken und Spindel entfällt im Schrecken den lässigen Fingern.
Selber die Furcht stand schön. Und der Gott, nicht länger verziehend,
Kehrte zurück in die wahre Gestalt und den ständigen Schimmer.
Jene, wie sehr sie geschreckt auch war, von dem plötzlichen Anblick,
Fügte, besiegt von dem Glanz, sich dem Gott, einstellend die Klage.
[115] Kly'thie sah es mit Neid – denn vormals hatte sie Phöbus
Über die Maßen geliebt – und gestachelt von Zorn auf die Buhle,
Macht sie die Liebschaft kund und meldet dem Vater der Tochter
Ruchbare Schuld. Der aber im Grimm gräbt sonder Erbarmen,
Während sie fleht und zum Lichte des Sol aufhebet die Hände
Und: »Ich erlitt abwehrend Gewalt!« ihm beteuert, sie grausam
Tief in die Erd' und beschwert sie dazu mit sandigem Hügel.
Diesen zerstreut mit Strahlen der Sohn Hype'rions und schafft dir
Ausgang, wo du vermagst aus der Grube zu heben das Antlitz.
Aber du konntest das Haupt nicht mehr aufrichten, o Nymphe,
Schon von der Erde erdrückt; du lagst ein verblichener Leichnam.
Nie seit Pha'etons Brand war schmerzlicher irgend ein Anblick,
Gehet die Sage, wie der, für den Lenker des Flügelgespannes.
Lang war jener bemüht, wenn möglich, die frostigen Glieder
Durch der Strahlen Gewalt zur Wärme des Lebens zu wecken;
Aber dieweil das Geschick so großem Beginnen entgegen,
Sprengt' er auf Leib und Ort wohlriechenden Nektar und sagte,
Als noch viel er geklagt: »Doch sollst du berühren den Äther.«
Sieh, da zergeht alsbald, durchdrungen vom himmlichen Nektar,
Schmelzend der Leib und tränkt mit duftigen Tropfen das Erdreich;
Und aus den Schollen gemach, darinnen er Wurzel geschlagen,
Hebt sich ein Weihrauchstamm und zerteilt mit der Spitze den Hügel.
[116] Aber der Klythie mag, wenn auch entschuldigen konnte
Liebe den Schmerz und Schmerz den Verrat, der Spender des Lichtes
Nicht mehr nahn, und er setzet dem Bund mit jener ein Ende.
Seitdem schwand sie dahin, unsinnig sich härmend in Sehnsucht,
Nie zu den Nymphen gesellt, und im Freien auf offener Erde
Saß sie bei Tag und Nacht, achtlos auf das hangende Haupthaar,
Und neun Tage hindurch sich Trank und Speise versagend,
Gab sie dem nüchternen Mund nur Tau und eigene Thränen.
Nie auch wich sie vom Sitz. Zum Gesichte des wandelnden Gottes
Schaute sie nur und wandte sich stets nach ihm mit dem Antlitz.
Haften verblieb, wie es heißt, am Boden ihr Leib, und die fahle
Bläss' entfärbt sich zum Teil zu saftentbehrendem Kraute;
Rot ist gefärbt ein Teil, und violenähnliche Blume
Deckt das Gesicht. Sie wendet, obgleich von der Wurzel gehalten,
Immer dem Sol sich zu und bewahret verwandelt die Liebe.
Schluß war nun, und es hatten gehorcht auf das Wunder die Ohren.
Glauben versagt ein Teil, ein Teil meint, wirkliche Götter
Hätten zu allem die Macht; doch nicht ist Bacchus darunter.
Jetzt an Alcithoë ist, wie die Schwestern geschwiegen, die Reihe,
Und sie beginnt mit dem Schiff durcheilend den stehenden Aufzug:
»Nicht die verbreitete Mähr von der Liebe des Hirten am Ida
[117] Daphnis ersah ich mir aus, den die eifersüchtige Nymphe
Hart ließ werden zu Stein. So heiß drängt Schmerz die Verliebten.
Auch nicht red' ich, wie einst der natürlichen Ordnung entgegen
Mann bald war, bald Weib der wechselgestaltige Sandon.
Die auch, Stahl anjetzt, sonst Jupiters treuer Gefährte,
Celmis, und euch, Cureten, erzeugt vom reichlichen Regen,
Crocus und Smilax auch in niedliche Blumen verwandelt
Lass' ich weg, und den Sinn soll fesseln ergötzliche Neuheit.
Warum Sa'lmacis kam in Verruf, weshalb sie verweichlicht
[118] Mit arg wirkendem Born und erschlafft umflossene Glieder,
Höret es. Wenig bekannt ist der Grund, allkundig der Zauber.«
Von Mercu'rius einst erzeugt mit der Göttin Cythe'ra's
Ward von Najaden ein Knab' in der Ida Grotten erzogen.
Also war sein Gesicht, daß leicht so Vater wie Mutter
Wieder erkannte der Blick; auch ward er nach beiden geheißen.
Wie er erreicht dreimal fünf Jahre, da zog von der Heimat
Bergen der Knabe hinaus, und getrennt von der nährenden Ida
War es ihm Lust zu schweifen umher durch fremde Gefilde,
Fremde Gewässer zu sehn, und die Mühen verringerte Neugier.
Auch zu dem lykischen Land und den Karern, Lykiens Nachbarn,
Kommt er des Wegs. Hier lockt ihn mit glänzendem Wasser ein Weiher
Klar bis zum untersten Grund. Dort war kein sumpfiges Röhricht,
Dort kein mageres Schilf, noch Binsen mit stachlicher Spitze.
Hell durchscheinet die Flut. Doch außen umsäumet den Weiher
Frisch aufkeimendes Gras und grün stets bleibender Rasen.
Die ihn bewohnet, die Nymph' ist zur Jagd untüchtig, und niemals
Ziehet den Bogen sie straff, noch mag sie eifern im Wettlauf,
Von den Najaden allein ganz fremd der behenden Diana.
Oft wohl sprachen zu ihr – so meldet die Sage – die Schwestern:
»Salmacis, nimm den Spieß, den zierlich gefertigten Köcher,
Und mit der stärkenden Jagd vertausche behagliche Muße!«
Doch nicht nimmt sie den Spieß, noch den zierlich gefertigten Köcher,
Mag mit der stärkenden Jagd nicht tauschen behagliche Muße,
Sondern bespület in dem Wasser des Borns die reizenden Glieder,
Streichet die Haare sich glatt mit dem Kamm von cytorischem Buxbaum,
Oder befragt, was schön ihr stehe, die spiegelnden Wellen;
Mit durchsichtigem Kleid auch öfter umgeben den Körper
Wählt bald schwellendes Laub, bald schwellendes Gras sie zum Lager;
Oft pflückt Blumen sie ab. Auch damals pflückte sie Blumen,
[119] Als sie den Knaben erblickt und des kaum Erblickten begehret.
Noch nicht nahet sie ihm, obgleich sie sich eilte zu nahen,
Bis sie geordnet den Putz und musternd besehen den Anzug,
Freundlich die Miene gemacht und verdient liebreizend zu scheinen.
»Jüngling – redet sie nun – als einer der Götter zu gelten
Würdig zumeist! Wofern du ein Gott, wohl bist du Cupido;
Doch wenn sterblicher Art, dann selig die beiden Erzeuger,
Glücklich der Bruder von dir, fürwahr zu beneiden die Schwester,
Falls dein eine du nennst, und die einst dich säugte, die Amme!
Doch glückselig und reich vor allen und über die Maßen,
Die als Braut dir gehört, die würdig du findest der Fackel.
Hast du diese bereits, sei mein Umfangen verstohlen;
Hast du sie nicht, sei ich's, und laß uns einen das Brautbett!«
Hiermit schwieg die Najad'. Es errötet die Wange des Jünglings,
Welchem die Liebe noch fremd. Doch schön auch stand das Erröten.
So ist der Apfel zu sehn, der hängt am sonnigen Baume,
Oder das Elfenbein, das gefärbt ist, oder mit Weiße
Röte vereinend der Mond, wenn fruchtlos helfenes Erz tönt.
Als ihn um Schwesterkuß zum wenigsten ständig die Nymphe
Bittet und schon ausstreckt nach dem helfenen Nacken die Arme,
Ruft er: »Hinweg! Sonst flieh' ich und meide den Ort und dich selber.«
Sa'lmacis bangte darob und sprach: »Frei mögest du, Fremdling,
Hier dich ergehn!« Und sie wendet zum Schein weggehend die Schritte.
Doch stets blickt sie zurück, und versteckt im Wald der Gebüsche
Lugt sie geduckt mit gebogenem Knie. Doch jener, wie Knaben
Pflegen, und unbelauscht sich wähnend im einsamen Grase,
Geht lustwandelnd umher, und hinein in die plätschernden Wellen
Taucht er die Sohlen zuerst, dann bis an die Knöchel die Füße.
Bald auch legt er, gelockt von der Milde des schmeichelnden Wassers,
[120] Nieder das weiche Gewand von dem zartgebildeten Körper.
Da kommt Sa'lmacis ganz von Sinnen und brennt von Begierde
Nach der enthüllten Gestalt, und es glühen die Augen der Nymphe
Ähnlicher Art, als wenn vollglänzend mit lauterer Scheibe
Prallet die Sonne zurück vom entgegengehaltenen Spiegel.
Kaum erträgt sie Verzug, kann kaum ihr Entzücken verschieben,
Wünscht ihn schon zu umfahn; mit Müh' nur hält sie sich sinnlos.
Jener beklatscht sich den Leib mit offenen Händen und springet
Rasch in die Wellen hinein, und rudernd mit wechselnden Armen
Scheinet er durch in der Flut, wie wenn schneeige Lilien einer
Oder ein helfenes Bild zudeckt mit hellem Kristallglas.
»Sieg! er ist mein!« so ruft die Najad', und jegliche Hülle
Schleudert sie fort und wirft sich mitten hinein in die Wellen,
Hält den Streitenden fest und raubt im Ringen ihm Küsse,
Schiebt ihm unter die Händ' und berührt den wehrenden Busen,
Und bald schmiegt sie sich hier, bald schmiegt sie sich dort an den Jüngling.
Endlich hält sie, wie sehr er sich sträubt und sucht zu entkommen,
Ihn wie die Schlange umstrickt, die der Königsvogel davonträgt,
Und hoch rafft in die Luft – im Schweben umwickelt ihm jene
Füße und Kopf und umschlingt mit dem Schwanz die gebreiteten Flügel –
Oder wie Epheu pflegt sich zu ranken an ragenden Stämmen,
Oder wie unter der Flut der Polyp den ergriffenen Gegner
Hält mit den Fängen gepackt, die er streckt nach jeglicher Seite.
Stand hält Atlas' Sproß und weigert der Nymphe die Freuden,
Die sie ersehnt. Sie dränget und spricht, wie sie dicht an den Jüngling
Sich mit dem Leibe geführt: »Wie sehr, Grausamer, du wehrest,
Doch entkommst du mir nicht. So möge, verhängt es, ihr Götter,
Jenen von mir kein Tag, kein Tag mich trennen von jenem!«
Götter alsbald willfahren dem Wunsch. Die Körper der beiden
Werden vermengt und zu einer Gestalt mit einander verbunden.
[121] Wie oft einer gewahrt, der Zweige vereint mit der Rinde,
Daß sie verwachsen in eins und dann aufschießen gemeinsam;
Also, wie sich verschränkt die Glieder enger Verschlingung,
Sind's nicht zwei und doch ein Doppelgeschöpf, das zu heißen
Knabe so wenig wie Weib; sie scheinen so keines wie beides.
Wie er sich sieht von der Flut, worein als Mann er gestiegen,
Zum Halbmann gemacht und schlaff die Glieder geworden,
Bittet, die Hände gestreckt, mit schon unmännlicher Stimme
Hermaphrodi'tus und spricht: »Erweist, o Vater und Mutter,
Euerem Sohne die Gunst, der führt von euch beiden den Namen:
Wer in den Born hier kommt als Mann, der steige als Zwitter
Wieder heraus und erschlaffe sogleich, wie er taucht in das Wasser.«
Gütig erfüllend den Wunsch des doppelgestaltigen Sohnes,
Geben die Eltern dem Quell das Geschlecht verwirrenden Zauber.
Damit schloß das Gespräch. Noch fördern des Minyas Töchter
Immer das Werk und verachten den Gott und entweihen die Feier,
Als mit dumpfem Getön von keinem gesehene Trommeln
Treffen das Ohr und Flöten dazu mit gebogenem Horne
Schallen und klirrendes Erz. Duft steigt von Myrrhen und Safran,
Und – kaum glaublich erscheint's – zu grünen beginnet der Webstuhl,
Während das hangende Zeug sich belaubt als treibendes Epheu
[122] Oder als Reben sich zeigt; was jüngst noch Faden gewesen,
Wandelt in Ranken sich um; Weinlaub entsprießet dem Aufzug;
Purpurgewirk gibt her den Schimmer zu farbigen Trauben.
Nunmehr hatte der Tag sich geneigt, und gegen die Zeit war's,
Die nicht Helle des Tags, doch auch nicht Dunkel zu nennen,
Sondern der Übergang zur dämmernden Nacht von dem Lichte.
Plötzlich erschien's, wie wenn bebte das Haus und harzige Fackeln
Flammten empor und rot sich erhellte von Glut das Gebäude
Und laut heulten umher Trugbilder von reißenden Tieren.
Längst schon suchen Versteck im rauchigen Hause die Schwestern,
Jed' an gesondertem Ort, und meiden das Licht und das Feuer.
Während sie sich Schlupfwinkel ersehn, spannt zwischen die kleinen
Glieder sich Haut, und die Arme beziehn kaum merkliche Schwingen.
Aber zu sehen die Art, wie die alte Gestalt sie verloren,
Ist von dem Dunkel verwehrt. Nicht hob sie vom Boden Gefieder;
Dennoch schwebten sie frei mit hell durchscheinenden Flügeln.
Wie sie zu reden sich mühn, tönt schwach nach dem Maße des Körpers
Nur ein Geschwirr, und sie klagen ihr Leid in leisem Gewisper.
Häuser bewohnen sie stets, nicht Wälder, und hassend die Helle,
Fliegen sie nachts und werden genannt nach dem Flattern am Abend.
In ganz Theben berühmt war jetzt die Gottheit des Bacchus,
Und von der hohen Gewalt des neu einziehenden Gottes
Redet die Muhm' allorts. Sie allein von allen den Schwestern
War vom Leide verschont und empfand nur Leid um die Schwestern.
Ju'no aber gewahrt, wie die Kinder und A'thamas' Lager
[123] Und der erzogene Gott das Gemüt ihr wandten zur Hoffart,
Und sie ergrimmt und spricht für sich: »Macht hatte der Bastard,
Daß er gewandelt ins Meer die mäonischen Schiffer versenkte
Und die Geweide des Sohns hingab zum Zerreißen der Mutter
Und mit Gefieder den Leib umhüllte den drei Minyaden:
Juno sollte sich nur abhärmen auf Rache verzichtend?
Das wohl ist mir genug? das wohl all unser Vermögen?
Er lehrt, was wir zu thun. Man darf auch lernen vom Feinde.
Wozu mächtig die Wut, hat jener am Morde des Pe'ntheus
Über Genüge gezeigt. Warum nicht sollte denn I'no
Folgen, gestachelt von Wut, dem Beispiel ihrer Verwandten?«
Steil geht nieder ein Pfad, umdüstert von giftigen Eiben,
Der in das untere Reich durch schweigende Stille hinabführt.
Nebel verhaucht unrührig die Styx. Neukommende Schatten
Steigen hinab alldort und Gebilde bestatteter Toten.
Winter beherrscht und Grau das dornige Land und die neuen
Manen sind ungewiß, wo der Weg zur stygischen Stadt sei,
Wo sich der finstere Dis erkoren die schaurige Hofburg.
Zahllos sind an der Stadt Zugäng' und offene Thore
Allseits, und wie das Meer die Flüsse von allen den Ländern,
Also empfängt dies Reich die sämtlichen Seelen, und nimmer
Wird es dem Volke zu eng, noch merkt es der Menge Vermehrung.
Ohne Gebein und Leib gehn blutlos irrende Schatten.
Manche besuchen den Markt und manche das Haus des Beherrschers;
Andere treiben Gewerb' als Nachbild früheren Lebens.
Dorthin zwingt sich zu gehn, entstiegen dem himmlischen Wohnsitz –
Soviel that sie dem Haß und dem Zorn – die saturnische Juno.
Wie sie hinein nun trat, und gedrückt von dem heiligen Leibe
[124] Seufzend die Schwelle sich bog, hob Cerberus dräuend der Häupter
Drei und erhob dreifaches Gebell. Sie rufet die Schwestern,
Welche geboren die Nacht, die streng unerbittlichen Mächte.
Vor dem verriegelten Thor, das schließt mit Stahle den Kerker,
Saßen sie da, wegkämmend vom Haar schwarzschillernde Nattern.
Aber sobald sie Juno erkannt im Schatten des Dunkels,
Stunden die Göttinnen auf. Die Statt heißt Ort der Verdammnis.
Tityos bot alldort zum Zerfleischen die Leber und deckte,
Wie er so lag, neun Hufen zugleich. Du Ta'ntalus, haschest
Stets nach Wasser umsonst, und der Baum, der winket, entweicht dir.
Si'syphus holt und drängt das immer entrollende Felsstück.
[125] Kreisend am Rade verfolgt und flieht sich selber Ixi'on.
Die an den Vettern den Mord zu verüben gewagt, die Beli'den,
Schöpfen mit stetem Bemühn gleich wieder verlorene Wellen.
Als die Tochter Satu'rns die alle mit finsterem Auge
Hatte geschaut und Ixion zumeist, da blickt sie von diesem
Wieder auf Sisyphus hin und spricht: »Warum von den Brüdern
Trägt er ewige Pein, und stolz darf A'thamas wohnen
Im hochherrlichen Haus, der stets mir samt der Gemahlin
Hohn sprach?« Und sie erklärt die Gründe des Grolls und des Weges
Und ihr Begehr. Sie begehrt, daß stehn nicht bleibe des Cadmus
Königspalast und zu Gräul den A'thamas reißen die Schwestern.
Strenges Geheiß und Versprechen zugleich und Bitten vereinend
Regt sie die Göttinnen an. Wie Juno also gesprochen,
Schüttelt Tisi'phone wirr, wie sie hingen am Haupt, die ergrauten
Haare und wirft vom Gesichte zurück vorstrebende Schlangen;
Darauf hub also sie an: »Nicht Not ist schweifige Rede:
Achte gethan, was nur du befiehlst. Von dem freudlosen Reiche
Fleuch und begib dich zurück zu den Lüften des schöneren Himmels.«
Froh kehrt Juno zurück; doch eh' in den Himmel sie eintrat,
Ward sie vom träufelnden Naß der thaumantischen Iris gereinigt.
Aber Tisiphone nimmt die blutdurchdrungene Fackel
Unheilbrütend und wirft den Mantel sich um, den gerötet
Flüssiges Blut, und gürtet den Leib mit gewundener Schlange.
Also verläßt sie das Haus. Mit der Schreitenden gehn als Begleiter
[126] Trauer und Schrecken und Angst und unstät blickender Irrsinn.
Wie auf der Schwelle sie stand, da zitterten, heißt es, die Pfosten
An dem äolischen Thor und die Ahornflügel erblaßten;
Selber die Sonn' entwich. Bang schauet die Gattin das Schrecknis;
Athamas schauet es bang, und sie wollten enteilen dem Hause;
Aber die Thür hielt sperrend besetzt die grause Eri'nnys.
Jetzo, die Arme gestreckt, die geknotete Schlangen umwinden,
Regt sie schüttelnd das Haupt. Laut rascheln geschüttelt die Nattern.
Teils auf die Schultern gesenkt, teils auch umschlüpfend den Busen,
Zischen sie wild und speien ihr Gift und schnellen die Zungen.
Zwei der Schlangen darauf entreißt sie der Mitte des Haupthaars,
Packt und schleudert sie hin mit der unheilbringenden Rechten.
Gleich durchkriecht das Gezücht des Athamas Busen und Ino's,
Streifend die Haut mit giftigem Hauch; doch Wunden am Leibe
Schlagen sie nicht; der Geist nur fühlt die entsetzlichen Stiche.
Gräßlichen Trank auch brachte sie mit von flüssigem Gifte,
Schaum aus Cerberus' Maul und scheußlichen Geifer Echidna's,
Unstät schweifenden Wahn und verblendeten Sinnes Verstörung,
Frevel dazu und Wut und Thränen und schreckliche Mordlust,
Alles gerieben in eins und gemengt mit frischem Geblüte,
Dann im Kessel gekocht und gerührt mit grünendem Schierling.
Während sie stehen entsetzt, gießt jene den gährenden Gifttrank
Beiden hinab in die Brust und empört tief innen den Busen.
Drauf in demselbigen Kreis zum öfteren drehend die Fackel,
Folgt sie dem Brand stets nach mit schleunig geschwungenem Brande.
Ledig des Auftrags nun und siegreich kehrt sie zum öden
Reiche des mächtigen Dis und löst die umgürtende Schlange.
Ä'olus' Sohn alsbald schreit rasend inmitten des Hofes:
»Auf, ihr Gefährten, hallo! Hier stellt im Walde die Garne!
[127] Hier mit doppelter Brut soeben ersah ich die Löwin.«
Und er verfolgt, als wär' es ein Wild, wahnwitzig die Gattin,
Reißt vom Busen ihr weg den lächelnden Knaben Lea'rchus,
Während die Ärmchen er streckt, und schwingt ihn nach Sitte der Schleuder
Zwei, dreimal in der Luft und zerschmettert am harten Gesteine
Grimmig des Kindes Gesicht. Da erst ward rasend die Mutter,
Ob nun Schmerz das that, ob Schuld das verbreitete Gift war.
Laut aufheult sie und flieht wahnsinnig mit fliegenden Haaren.
Während auf nackendem Arm sie das Kindlein trägt, Melice'rtes,
Schreit sie: »Bacchus, io!« Laut lacht beim Namen des Bacchus
Juno und spricht: »So möge Gewinn dir bringen der Zögling!«
Weit in das Meer hängt über ein Fels; ihn höhlen die Fluten
Unten am Fuß, und er schirmt wie ein Dach vor Regen die Wellen.
Starr ist das Haupt und ragt mit der Stirn in die offene Meerflut.
Dorthin – Kräfte verlieh ihr der Wahnsinn, – kletterte Ino,
Und in die Fluten hinaus, nicht säumend in ängstlichem Zagen,
Stürzte sie sich und die Last. Weiß schäumte die Woge vom Anprall.
Aber im Herzen gerührt von der schuldlosen Enkelin Leiden
Schmeichelte Venus dem Ohm und bat: »O Gott der Gewässer,
Dem die Gewalt zufiel, die dem Himmel am nächsten, Neptunus,
Großes begehr' ich fürwahr; doch laß dich jammern die Meinen,
Die des Ionischen Meers endloses Gewog' umherwirft:
Nimm als Götter sie auf. Ich stehe ja selber der Meerflut
Nicht gar fern, wenn anders aus Schaum inmitten der Tiefe
Einst ich erwuchs und behielt daher den grajischen Namen.«
[128] Nickend verhieß ihr Gewähr Neptunus, und alles, was sterblich,
Nahm er von ihnen hinweg und verlieh ehrwürdige Hoheit
Ihrer Gestalt und erneute zugleich mit der Bildung den Namen;
Denn Leucothea nannt' er die Mutter, Palämon den Meergott,
Ihre sidonischen Frau'n, die der Spur, so weit sie vermochten,
Waren gefolgt, erspähen die letzten am Rande der Klippe.
Nicht mehr zweifeln sie nun an dem Tod und schlagen den Busen,
Jammernd um Cadmus' Geschlecht, und zerreißen Gewänder und Haupthaar,
Während als wenig gerecht und grausam gegen die Buhle
Ueber Gebühr die Göttin sie schmähn. Nicht litt die Beschimpfung
Juno und sprach: »Ihr selbst sollt werden das größeste Denkmal
Unserer Grausamkeit!« Und die That kam rasch nach den Worten.
Die sich getreu erwiesen zumeist, rief aus: »In die Wogen
Folg' ich der Königin nach!« Doch wie sie zum Sprunge bereit war,
Konnte sie nicht sich regen und hing an die Klippe geheftet.
Während die Andere strebt wehklagend den Busen zu geißeln,
So wie Gebrauch, fühlt schon sie erstarrt die strebenden Arme.
Jene, die eben gestreckt nach den Wellen des Meeres die Hände,
[129] Streckte gewandelt in Stein nach den nämlichen Wellen die Hände.
Dieser, wie grade das Haar sie ergriff und raufte vom Scheitel,
Waren im Haar urplötzlich erharscht die Finger zu sehen.
Jede verbleibt als Fels in dem Thun, darin sie betroffen.
Auch ward Vögel ein Theil. Noch jetzt mit den Enden der Flügel
Streifen im dortigen Meere die Ismeniden die Fläche.
Aber Agenors Sohn weiß nicht, daß Tochter und Enkel
Götter geworden im Meer. Von dem Gram und der Reihe der Leiden
Und von den Zeichen besiegt, die er häufig gesehen, verläßt er,
Der sie gegründet, die Stadt, als ob ihn drückte des Ortes,
Nicht sein eigenes Geschick, und lang in die Irre getrieben
Kam er zuletzt zum illyrischen Land mit der flüchtigen Gattin.
Als sie von Jahren und Mühen gebeugt durchgingen vom Anfang,
Was ausstand ihr Geschlecht und ihre Beschwerden besprachen,
Sagte der Greis: »Vielleicht, daß heilig gewesen der Drache,
Den ich erlegt mit dem Speer zur Zeit, da ich, kommend von Sidon,
Natternzähne gestreuet, die seltsame Saat, in das Erdreich.
Wenn so sicheren Zorns ihn rächt Fürsorge der Götter,
Wünscht' ich selber den Leib langhin als Schlange zu strecken.«
Sprach's und begann den Leib langhin als Schlange zu dehnen,
Und er gewahrt, wie sich härtet die Haut, und Schuppen ihr wachsen,
Und der gedunkelte Leib bunt schillert mit bläulichen Flecken.
Vorwärts fällt er hinab auf die Brust, und in Eins sich verschlingend
Engen sich nach und nach zu gerundeter Spitze die Beine.
Arme verbleiben ihm noch. Die verbliebenen Arme erhebt er,
Während ihm Thränen bethau'n sein jetzt noch menschliches Antlitz.
[130] »Komm – so redet er dann – o komm, unglückliche Gattin;
Rühre mich an, da etwas von mir noch bleibt, und die Hand hier
Nimm, da sie Hand noch ist, eh' völlig die Schlange mich einnimmt.«
Mehr gern hätt' er gesagt; da war urplötzlich die Zunge
In zwei Theile getrennt, und es standen die Worte dem Willen
Nicht zu Gebot, und so oft er Klage gedacht zu erheben,
War's ein Gezisch: das ließ die Natur ihm übrig als Stimme.
Schlagend die nackende Brust mit der Hand ruft jammernd die Gattin:
»Cadmus, o bleib' und wind', Unglücklicher, dich aus dem Unthier!
Cadmus, was wird? Wo ist dein Fuß? Wo Schultern und Hände,
Wo das Gesicht und die Farb' und alles, indem ich noch rede?
Warum wandelt ihr nicht auch mich, ihr Götter, zur Schlange?«
So rief klagend sie aus. Er belecket der Gattin das Antlitz,
Schlüpft, als ob er bekannt schon wär', in den theueren Busen,
Schmiegt sich liebend ihr an und schlingt sich vertraut um den Nacken.
Wer nah steht – nah stand das Gefolg' – ist entsetzt. Doch die Gattin
Streichelt den schlüpfrigen Hals des kammaufrichtenden Drachen.
Da sind plötzlich es zwei, und sie kriechen in Windungen einig,
Bis sie erreicht das Versteck des nahe gelegenen Haines.
Jetzt auch flieh'n vor dem Menschen sie nicht, nicht schlagen sie Wunden,
Und was sie waren zuvor, deß denken die friedlichen Drachen,
Doch ein erheblicher Trost war beiden gewesen der Enkel,
Als sich gewandelt ihr Leib. Ihm zollte bezwungen Verehrung
Indien; ihm zum Ruhm errichtete Tempel Achaja.
Nur der abantische Sproß, der stammte von gleichem Geschlechte,
[131] Ist es, Acrisius, noch, der ihm der argolischen Hauptstadt
Mauern verschließt und den Gott mit Waffen befehdet und läugnet,
Daß er des Jupiter Sohn. Ihm schien auch Jupiters Sohn nicht,
Der im regnenden Gold empfangen von Danae, Perseus.
Aber, es reut ihn bald – so wirksam zeigt sich die Wahrheit –
Daß er beleidigt den Gott und nicht den Enkel gewürdigt.
Längst war jener versetzt in den Himmel; der Andere aber,
Kehrend mit rühmlichem Raub, mit dem schlangenumringelten Schreckbild,
Theilte die regsame Luft mit rauschend gezwungenen Flügeln.
Während als Sieger er schwebt' hoch über dem libyschen Sande,
Rannen zur Erde hinab Blutstropfen vom Haupte der Gorgo,
Welche das Land einsog und belebte zu schillernden Schlangen.
Drum ist jenes Gebiet unsicher von häufigen Ottern.
Darauf im unendlichen Raum von zwistigen Winden verschlagen
Treibt bald hier, bald dort nach der Weise der wäss'rigen Wolke
Jener umher und schaut auf weit abstehende Länder
Hoch vom Aether hinab und fliegt rings über den Erdkreis.
Dreimal sah er den Krebs, dreimal die frostigen Bären;
Oft zu dem Untergang, oft ward er entführt zu dem Aufgang.
Endlich bei sinkendem Tag, besorgt sich der Nacht zu vertrauen,
Macht im hesperischen Land er Halt, im Gebiete des Atlas,
Kurz zu rasten gewillt, bis wieder die Gluten Aurora's
Lucifer rufe hervor und Aurora den Wagen des Tages.
Dort, mit dem riesigen Leib obragend vor allen den Menschen,
[132] Hausete Atlas, der Sohn des Japetus. Waltend als König
Hatt' er das äußerste Land und das Meer, das unter des Phöbus
Keuchenden Rossen sich beugt und empfängt die ermattete Axe.
Heerden von wolligem Vieh wol tausend und tausend von Rindern
Irrten im Gras, und beschränkt war nirgends der Boden vom Nachbarn.
Auch war ein Baum alldort, deß Blätter von strahlendem Golde
Glänzten und Aeste von Gold und Aepfel von Golde verdeckten.
»Freund – sprach Perseus zu ihm – wofern dich hohen Geschlechtes
Ehre zu rühren vermag: von Jupiter bin ich entsprossen;
Hörst du von Thaten mit Lust: mit Lust wohl hörst du die meinen.
Obdach wünsch' ich und Rast.« Da wurde des alten Orakels
Jener gedenk. So hat gesagt die parnassische Themis:
»Einst kommt, Atlas, die Zeit, wo dein Baum des Goldes verlustig
Stehet, und Jupiters Sohn die rühmliche Beute davonträgt,«
Darum hatte besorgt mit sicheren Mauern den Garten
Atlas umhegt und zum Hüter gesetzt großleibigen Drachen,
Jeden, der fernher kam, wegweisend aus seinem Gebiete.
Ihm auch ruft er im Zorn: »Geh fort, sonst möchtest du wenig
Von dem erlogenen Ruhm und wenig von Jupiter haben!«
Drohungen folget Gewalt, und er will ihn drängen von hinnen,
Wie er noch säumt und derbe gesellt zu glimpflichen Worten.
Perseus schwächer an Kraft – wer hätte die Kräfte des Atlas? –
Sprach: »Weil unsere Gunst du gering nur achtest im Werthe,
Nimm denn dieses Geschenk!« Und er hielt ihm vor mit der Linken,
Rückwärts selber gewandt, das starrende Haupt der Medusa.
Groß, wie er war, wird Atlas zum Berg. Denn es gehen in Wälder
Haupthaar über und Bart; Anhöh'n sind Schulter und Hände;
Was noch eben das Haupt, ist oben am Berge der Gipfel;
Knochen erstarren zu Stein. Drauf wachsend nach jeglicher Seite
[133] Dehnt' er unendlich sich aus – so wollet ihr Götter – und mächtig
Ruhte das Himmelsgewölb' auf ihm sammt allen Gestirnen.
Festhielt Hippotes' Sproß in dem ewigen Kerker die Winde,
Und in der Höh' ging auf am Himmel der Mahner zum Tagwerk,
Lucifer, strahlend in Glanz. Da bindet die Fittige Perseus
Wieder an jeglichen Fuß und schnallt die gebogene Wehr um
Und durchschneidet die Luft mit dem Schwung der geflügelten Sohlen.
Völker unendlich an Zahl tief unter sich lassend und seitwärts
Wird der Aethioper Land er gewahr, die Gebilde des Cepheus.
Schuldlos sollte gerad' Andromeda büßen der Mutter
Frevelndes Wort auf Geheiß des unbarmherzigen Ammon.
Als an das harte Gestein mit den Armen geschlossen die Jungfrau
Sah der abantische Held – wenn nicht vom Winde das Haupthaar
Wäre bewegt, und Zähren ihr nicht heiß flössen vom Auge,
Hätt' er ein Werk von Marmor gewähnt – entbrennt er im Innern,
Ohn' es zu wissen, und staunt, und betroffen vom Bilde der Schönheit
Hätt' er vergessen beinah in der Luft zu schlagen die Flügel.
[134] »O du – spricht er gesenkt – die anderer Bande denn dieser
Werth, der Bande, wodurch sich sehnende Herzen vereinen:
Thue dem Fragenden kund den Namen des Landes und deinen,
Und was die Fesseln bewirkt.« Erst schweigt sie und scheut sich, ein Mädchen,
Anzureden den Mann, und sie hätte das sittsame Antlitz
Gern mit den Händen bedeckt, wenn nicht die Bande sie hielten.
Nur die Augen vermag sie zu füllen mit quellenden Thränen.
Wie er zum öfteren drängt, daß nicht sie schiene zu hehlen
Eigene Schuld, entdeckt sie den Namen des Landes und ihren,
Und wie großes Vertrauen die Mutter gesetzt auf die Schönheit.
Aber noch hatte sie nicht ihm alles verkündet, da rauschte
Plötzlich die Flut, und hervor aus der unermeßlichen Tiefe
Taucht ein Gethier und bedeckt mit der Brust weit reichend die Fläche.
Aufschreit jene vor Angst. Mit dem Vater ist nahe die Mutter,
Beide in Trauer und Noth, doch sie mit größerem Rechte.
Beistand bringen sie nicht, nur Thränen entsprechen dem Jammer
Und wildtobenden Schmerz, und sie hangen am Leib der Gebund'nen,
Als der Fremde beginnt: »Zeit bleibt euch immer zu Thränen
Lange genug; kurz nur ist die Stunde gemessen zur Rettung.
Würb' ich, Perseus, um sie, des Jupiter Sohn und der Jungfrau,
Die mit befruchtendem Gold im Gewahrsam Jupiter füllte,
Perseus, welcher bezwang die schlangenumzottelte Gorgo
Und in ätherischer Luft mit Fittigen wagte zu gehen,
Würde die Braut mir sicher erkannt. Zu dem herrlichen Brautschatz
Tracht' ich verdienstliche That, wenn Götter gewogen, zu fügen.
Daß sie, wofern mein Arm sie befreit, mein werde, beding' ich.«
Solchen Beding geh'n ein – wer hätte gezögert? – die Eltern,
Bitten und fleh'n und versprechen das Reich noch d'rüber zur Mitgift.
Sieh, wie ein treibendes Schiff mit dem Stoß des beschlagenen Schnabels
Furchet die Wasser, bewegt von der Jünglinge schwitzenden Armen,
Also mit drängender Brust zertheilte die Wogen das Unthier,
So weit noch von dem Fels, wie weit in dem mittleren Luftraum
[135] Fliegt das geschwungene Blei, wenn es schnellt balearische Schleuder.
Da steigt plötzlich, das Land mit dem Fuß abstoßend, der Jüngling
Hoch in die Wolken empor. Wie das Thier den Schatten des Mannes
Sieht auf der Fläche des Meers, fährt grimmig es los auf den Schatten.
Doch, wie im offenen Feld oft Jupiters Vogel die Schlange,
Die er von oben erspäht, wie sie sonnet den bläulichen Rücken,
Packt von hinten und rasch, daß nicht sie den grimmigen Rachen
Wende, dem schuppigen Hals einschlägt die begierigen Krallen:
Also in eiligem Flug durch luftige Leere sich stürzend
Drückte des Inachus Sproß des Unthiers Rücken und bohrte
Rechts in des Schnaubenden Bug bis zur hakigen Krümme das Eisen.
Schwer von der Wunde verletzt hebt bald es sich hoch in die Lüfte,
Bald taucht's unter die Flut, bald ähnlich dem wüthenden Eber
Fährt es umher, den schreckt das Gewühl umklaffender Hunde.
Jener, dem schnappenden Maul ausweichend mit hurtigen Flügeln,
Haut, wo Blöße sich beut, auf den muschelbesäeten Rücken,
Haut in die Seiten mit Macht auf die Rippen, und wo sich verdünnend
Endet der Schwanz als Fisch, mit dem sichelförmigen Schwerte,
Aber das Unthier speit mit purpurnem Blute vermischte
Flut aus dem Maul, und schwer von Bespritzung triefen die Flügel.
Länger zu trau'n wagt nicht dem schlürfenden Fersengefieder
Perseus, als er ein Riff wahrnimmt, das frei mit der Spitze
Ragt bei ruhiger See, bei wallendem Meere bedeckt wird.
Dort gestemmt und gefaßt mit der Linken die vorderste Zacke
Bohret er drei vier Mal ausholend den Stahl in die Weichen.
[136] Klatschen und Jubelgeschrei erfüllte den Strand und der Götter
Hocherhabenen Sitz. Voll Freude begrüßen den Eidam,
Ihn als einzigen Schutz und Erhalter des Hauses erhebend,
Cepheus der Vater zugleich und Cassiope. Ledig der Fesseln
Wandelt die Tochter einher, Anlaß und Belohnung des Kampfes.
Aber der Held schöpft Wasser und wäscht sich die siegenden Hände.
Und daß nicht in dem Sande das Schlangengesicht er versehre,
Deckt er den Boden mit Laub, und im Meere gewachsene Stengel
Streut er und legt darauf das Haupt der Phorcide Medusa.
Sieh, das Gewächs, noch frisch und belebt von saugendem Marke,
Litt von dem Ungethüm und erstarrte von seiner Berührung
Und nahm auf in Gezweig und Laub fremdartige Härte.
Aber die Nymphen des Meeres versuchen die Wundererscheinung
Auch an andrem Gesträuch und freuen sich des gleichen Erfolges,
Streu'n auch Samen davon in die Flut zu öfteren Malen.
Jetzt noch immer verbleibt dieselbe Natur den Korallen,
Daß an berührender Luft sie Härte gewinnen, und was erst
Strauch war unten im Meer, zu Stein wird über dem Meere.
Dreien der Götter erhöht drei Rasenaltäre der Sieger,
[137] Dir, Mercurius, links, dir rechts, kriegskundige Jungfrau;
Mitten ist Jupiters Herd. Man schlachtet die Kuh der Minerva
Und dem Beschwingten das Kalb, dir höchster der Götter, den Farren.
Schleunig vermählt er sich nun Andromeda ohne die Mitgift,
Seinen erstrittenen Preis. Hymenäus und Amor mit Fackeln
Ziehen voraus; reich nähret die Glut süßduftendes Rauchwerk;
Festlich mit Kränzen behängt ist das Haus, und Leier und Flöte
Schallen umher und Gesang allerorts, die glücklichen Zeichen
Frohen Gemüths. Weit steht mit entschlossenen Flügeln geöffnet
Prangend von Golde der Saal, und es treten die edeln Cephenen
Ein zu dem Hochzeitsmahl, das köstlich der König bereitet.
Als nach beendetem Schmaus vortreffliche Gabe des Bacchus
Allen erheitert den Geist, fragt Lynceus' Sproß nach des Landes
Art und üblichem Brauch und nach Sinn und Sitte der Männer.
Der ihn dessen belehrt, sprach darauf: »Nun, tapferer Perseus,
Thue – wir bitten dich – kund, durch was für List und mit welcher
Männlichen That du erlangtest das schlangenhaarige Antlitz.«
Drauf erzählte der Sproß des Agenor, am frostigen Atlas
Lieg' ein Gebiet, umschanzt vom Bollwerk felsiger Steilen,
Vorn im Geklüft dort hätten gewohnt zwei Schwestern, des Phorcus
Töchter, die in den Gebrauch des einzigen Auges sich theilten.
Das nun hab' er entwandt, indem er mit schlauem Betruge
Während des Wechsels die Hand hinhielt. Durch pfadlose Oede
Und durch Klippen sodann, die starrten von brüchigen Wäldern,
[138] Sei er zum Sitz der Gorgonen gelangt, und auf Feldern und Wegen
Ringsum hab' er gesehn viel Bilder von Menschen und Thieren,
Die aus belebten in Stein umwandelte Schau der Medusa.
Doch er habe geschaut im spiegelnden Erze des Schildes,
Den an der Linken er trug, die Gestalt der grausen Medusa,
Und weil lastender Schlaf sie selber gebannt und die Schlangen,
Hab' er dem Rumpf entrissen das Haupt, und der flügelbeschwingte
Pegasus sei aus dem Blute der Mutter gezeugt mit dem Bruder.
Auch langwieriger Fahrt nicht falsche Gefahren erzählt er,
Was er von oben herab für Länder gesehen und Meere,
Was für Sterne sogar er berührt mit geschwungenen Flügeln.
Wider Erwarten jedoch schwieg jener; und einer der Edlen
Wieder beginnt und fragt, warum nur sie von den Schwestern
Wechselnd mit Haaren gemischt am Haupte die Schlangen getragen.
»Weil – antwortet der Gast – du erfragst, was werth der Erzählung,
Höre den Grund deß, was du erfragst. Obsiegend in Schönheit
War der beneidete Wunsch zahlreicher Bewerber Medusa;
[139] Aber es fiel kein Theil an der ganzen Gestalt in das Auge
Mehr, wie das Haar. So hört' ich von manchen, die selbst es gesehen.
Diese entehrte der Fürst des Meeres, wie es heißt, in Minerva's
Tempel. Von hinnen gewandt hielt Jupiters Tochter die Aegis
Vor ihr keusches Gesicht, und damit nicht fehlte die Strafe,
Ließ sie der Gorgo Haar sich wandeln in scheußliche Hydern.«
Jetzt noch immer mit Angst zu schlagen erbebende Feinde,
Trägt sie vorn auf der Brust von ihr selber geschaffene Schlangen.

Fünftes Buch

[140] Fünftes Buch.

Inhalt. Perseus im Kampfe mit Phineus. Prötus. Polydectes. Die Musen (Pyreneus). Wettstreit der Musen und Pieriden (die Götter in Aegypten; Raub der Proserpina; Cyane; der bestrafte Bube; Ascalaphus; Sirenen; Arethusa; Lyncus).


Als noch solches erzählt in Mitten der Schaar der Cephenen

Danae's göttlicher Sohn, füllt plötzlich ein drängender Haufe
Tosend den fürstlichen Saal. Doch nicht hochzeitliche Feier
Kündet der steigende Lärm; er deutet auf grimmige Waffen;
Und das erheiterte Mahl, im Nu zum Getümmel verwandelt,
War zu vergleichen dem Meer, das wild aus ruhiger Glätte
Rasender Winde Gewalt aufregt zu erhobenen Wogen.
Phineus, allen voran, der Fehde verwegener Stifter,
Schwingend den eschenen Speer mit der erzbeschlagenen Spitze,
Ruft: »Hier sieh mich genaht, den Rächer entrissener Gattin!
Dich soll Jupiter nicht, zum erlogenen Golde gewandelt,
Noch das Gefieder entziehn!« Ausholt er zum Wurfe; doch Cepheus
Ruft: »Was machst du?« ihm zu. »Was treibt für ein Geist dich, o Bruder,
Wüthend zu frevelnder That? Wird also gelohnt dem Verdienste?
Willst du mit solchem Geschenk der Geretteten Leben vergelten,
Die, wenn das Wahre du suchst, nicht Perseus sondern des Nereus
[141] Töchter im Zorn dir geraubt und Ammon der doppeltgehörnte
Und das Gethier, das groß, mein Fleisch und Blut zu verschlingen,
Kam aus der Tiefe herauf! Damals ward dir sie entrissen,
Als zum Verderben sie ging, wenn nicht im Herzen gefühllos
Grad' ihr Verderben du willst und an unserer Trauer dich weidest.
Traun, nicht ist es genug, daß müßig, wie jene man anschloß,
Du es geseh'n und nicht ihr geholfen, der Ohm und Verlobte:
Aergern willst du dich gar, daß irgendwer sie gerettet,
Und ihm entreißen den Preis! Wenn der so groß dir geschienen,
Konntest du wol von dem Fels, daran er geschmiedet, ihn holen.
Laßt ihn, der ihn geholt, der nicht mein Alter verwaist ließ,
Nehmen, wozu ihn Verdienst und Versprechen berechtigt, und denke:
Vorzug ward ihm ja nicht vor dir, vor sicherem Tode.«
Jener entgegnete nichts. Auf ihn abwechselnd und Perseus
Blickend besinnt er sich nur, ob diesen, ob jenen er treffe.
Kurz nur war der Verzug, und er schwang die Lanze mit Kräften,
Wie sie der Zorn ihm gab, und warf vergeblich auf Perseus.
Fest stak jene im Pfühl. Da erst sprang grimmig vom Lager
Perseus auf, und er hätte dem Feind mit der wiedergesandten
Waffe die Brust durchbohrt, wenn rasch nicht hinter den Altar
Phineus trat; und der Herd – unwürdig! – beschützte den Frevler.
Doch nicht fruchtlos fuhr in die Stirne des Rhötus die Spitze.
Als der lag, und den Stahl aus dem Schädel gerissen die Seinen,
Strampelt er noch und bespritzt mit Blut die stehenden Tische,
Da nun aber entbrennt in dem Volk unbändiger Ingrimm;
Speere versenden sie rings, und den Tod, sagt mancher, verdiene
Cepheus selbst mit dem Eidam zugleich. Doch über die Schwelle
[142] War schon Cepheus hinaus, als Zeugen die Götter des Gastrechts
Rufend und Recht und Treu, daß er nicht Schuld an dem Aufruhr.
Pallas die streitbare naht und deckt mit der Aegis den Bruder,
Daß sich erhöht sein Muth. Da war ein Indier Athis,
Den in kristallener Flut Limnate, die Tochter des Ganges,
Sagt man, gebar, gar stattlich an Wuchs, den prächtiger Anzug
Steigerte, blühend und frisch ein sechzehnjähriger Jüngling.
Tyrisches Kriegergewand, umsäumt von goldenen Streifen,
Hüllte den Leib: es schmückte den Hals ein goldnes Gehänge
Und ein gewundenes Band das myrrhenbefeuchtete Haupthaar.
Mit dem geworfenen Spieß auch noch so Entferntes zu treffen
War er geschickt, doch mehr noch geschickt den Bogen zu spannen.
Wie auch jetzt mit der Rechten er bog die geschmeidigen Hörner,
Schlägt auf ihn mit dem Brand, der raucht' auf der Mitte des Altars,
Perseus ein und zerquetscht das Gesicht am zerschmetterten Schädel.
Als ihn, wie er umher im Blut das gepriesene Antlitz
Wendete, Lycabas sah, den Assyrier, ihm als Gefährte
Innig vereint und nie aufrichtige Liebe verläugnend,
Weint er um Athis den Freund, der unter der bitteren Wunde
Schon aushauchte den Geist; dann rafft er den Bogen von jenem
Eben gespannt und spricht: »Mit mir nun sollst du dich messen!
Lange fürwahr nicht soll dich erfreuen des Knaben Verderben,
Das mehr Schimpf dir bringet als Ruhm.« Nicht hatt' er die Worte
Alle gesagt, da schwirret das scharfe Geschoß von der Sehne.
Wohl wich jener ihm aus, doch hing es im faltigen Kleide.
Auf ihn richtet die schon beim Mord der Medusa bewährte
Harpe Acrisius' Sproß und durchbohrt ihm die Brust. Und der Andre
Sah mit Augen, die schon im verhüllenden Dunkel ihm schwammen,
[143] Sterbend nach Athis sich um, und niedergeworfen zum Freunde
Nahm er hinab zu den Manen den Trost des vereinigten Todes.
Siehe, vom Libyervolk Amphimedon und von Syene
Phorbas, Metions Sohn, in den Kampf zu eilen begierig,
Waren im Blut, das weit den befeuchteten Boden erwärmte,
Gleitend zur Erde gestürzt. Das Schwert wehrt beiden das Aufstehn,
Da es dem Phorbas sich senkt in den Hals, in die Rippen dem Andern.
Actors Sohne jedoch, dem Erytus, welcher als Waffe
Trug ein gewaltiges Beil, naht Perseus nicht mit dem Schwerte;
Mit zwei Händen zugleich aufhebend den riesigen Mischkrug,
Schwer von der Masse des Stoffs und rauh von erhabenem Bildwerk,
Schmettert er los auf den Mann. Der speiet gerötheten Blutstrom
Rückwärts fallend und schlägt mit sterbendem Scheitel das Estrich.
Abaris nun, der kam vom Caucasus, und Polydämon
Aus der Semiramis Blut und den Spercheiaden Lycetus,
Helices, der sich das Haupt nie schor, sammt Phlegyas Clytus
Streckt er dahin und tritt auf geschichtete Haufen von Leichen.
Phineus, da er dem Feind nicht wagt in der Nähe zu stehen,
Schleudert von Ferne den Speer. Der fliegt abirrend zu Idas,
Der sich umsonst enthalten des Kampfs und zu keinem geschlagen.
Dieser, mit finsterem Blick anschauend den grausamen Phineus,
Spricht: »Weil du in den Streit nicht ziehest, erfahre denn, Phineus,
Wen du zum Feinde gemacht, und büße mit Wunde die Wunde!«
Doch, wie er eben zurück die entrissene Waffe zu senden
Trachtete, sank er erschöpft von des Blutes Verlust in die Kniee.
Auch vom Cephenengeschlecht nach dem König der Erste, Odites,
Fällt durch Clymenus' Schwert; Prothoenor erlieget vor Hypseus;
Dieser vor Lynceus' Sproß. Emathion war, der bejahrte,
Unter der Zahl, ein Wahrer des Rechts und Verehrer der Götter.
Weil ihn selber am Kampf sein Alter verhinderte, stritt er
Heftig mit Worten und schalt und verwünschte die frevelnden Waffen.
Dem schlug, wie er sich hielt mit zitternden Händen am Altar,
[144] Chromis hinweg mit dem Schwerte das Haupt; das lag auf dem Herde
Und stieß Worte des Fluches mit halblebendiger Zunge
Dort noch aus und verhauchte den Geist in die Mitte des Feuers.
Ammon und Broteas drauf, die Zwillingsbrüder, im Faustkampf
Nimmer besiegt, wenn ein Schwert sich ließe besiegen durch Faustkampf,
Sanken von Phineus' Hand; zu jenen der Priester der Cerer,
Ampycus, auch an den Schläfen umhüllt von schneeiger Binde.
Du, Lampetides, auch, nicht tüchtig zu solchem Geschäfte,
Sondern ein friedliches Werk, zur Stimme die Laute zu schlagen;
Mahl und Feier mit Sang zu verherrlichen, warst du gerufen.
Als der fern dastand, in der Rechten den harmlosen Schlägel,
Rief ihm Pettalus zu hohnlachend: »Den stygischen Manen
Singe den Schluß! Und er stößt ihm den Stahl in den linken der Schläfe.
Hinsinkt jener und rührt mit sterbenden Fingern der Leier
Saiten und während des Falls wird klagende Weise vernommen.
Doch nicht straflos läßt ihn fallen der wilde Lycormas;
Rechts vom Pfosten der Thür losreißend den stämmigen Barren
Schlägt auf den Knochen er ein in Mitten des Nackens, und jener
Stürzte zur Erde dahin, nach Art des geschlachteten Stieres.
Pelates mühte sich jetzt, der Cinyphier, auch von dem linken
Pfosten zu ziehen das Holz; wie er zog, ward von des Marmaren
Corythus Speer ihm die Rechte durchbohrt und gespießt an den Balken.
Abas stach in die Brust dem Gehaltenen; aber er sank nicht,
Sondern mit haftender Hand hing sterbend er da an dem Pfosten.
[145] Sieh, auch Meneleus fällt, der stand auf Seiten des Perseus,
Dorylas auch, im Gebiet nasamonischer Stämme der reichste,
Dorylas, reich an Gefild, daß mehr kein Anderer hatte
Oder nur ebensoviel einbrachte von Spelt in die Speicher.
Ihm stak quer in den Weichen am Bauch das geworfene Eisen:
Dort kommt sicher der Tod. Als diesen der Bringer der Wunde
Sah ausröcheln den Geist und verdrehen die brechenden Augen,
Sprach er, der bactrische Mann Halcyoneus: ›Nimm von den Feldern
Allen das Stück, wo du liegst!‹ und ließ den verbluteten Leichnam.
Auf ihn schwinget den Speer, noch warm aus der Wunde gerissen,
Rächend des Abas Sproß, und grad' in die Nase getrieben
Fährt er zum Nacken hinaus und raget nach vorn und nach hinten.
Clanis und Clytius auch, die Söhne der selbigen Mutter,
Fällte gefördert vom Glück sein Arm mit verschiedener Wunde.
Clytius' Hüften durchdrang, vom wuchtigen Arme geschwungen,
Beide der eschene Speer; mit dem Munde biß Clanis den Wurfspieß.
Hinsank Celadon auch, der Mendesier; ebenso Astreus,
Mit palästinischem Weib erzeugt von bezweifeltem Vater;
Auch Aethion, zuvor ein kundiger Deuter der Zukunft,
Jetzt von der Schau der Vögel getäuscht, und Thoactes, des Königs
Waffengenoß, und durch Mord des Erzeugers berüchtigt Agyrtes.
Aber zu thun bleibt mehr als gescheh'n; denn alle den Einen
Wollen sie morden im Grimm. Rings stellt der verschworene Haufe
Sich für die Sache zum Kampf, die Verdienst und Treue befehdet.
Hierher wünschen den Sieg der umsonst rechtschaffene Schwäher
Und mit der Mutter die Braut und erfüllen mit Jammer die Hallen.
Aber das Waffengeklirr tönt vor und der Fallenden Aechzen,
[146] Und die Penaten beströmt, da sie doch schon waren geschändet,
Reichlich Bellona mit Blut, und neu stets rührt sie den Streit auf.
Rings um den Einen gedrängt sind Phineus und folgend dem Phineus
Hunderte. Rechts und links, zahlreicher als Hagel im Wetter,
Fliegen Geschosse vorbei und sausen um Augen und Ohren.
Perseus lehnt an den Stein der mächtigen Säule die Schultern;
Also den Rücken gedeckt und die Stirn zuwendend den Feinden
Hält er den Drängenden Stand. Eindringt von der Rechten Ethemon
Vom nabatäischen Volk, linksher der chaonische Molpeus.
Wie sich der Tiger besinnt, wenn er hört vom Hunger gestachelt
Von zwei Heerden zugleich das Gebrüll aus verschiedenen Thälern,
Wo er zuerst hinstürz' und brennt sich auf beide zu stürzen:
So war schwankend der Held, ob rechts, ob links er sich wende.
Molpeus treibt er hinweg, in den Schenkel das Eisen ihm bohrend,
Und es genügt ihm die Flucht. Denn Zeit nicht gönnet Ethemon,
Sondern begierig in Wuth ihm oben den Hals zu verwunden
That er den Stoß mit dem Schwert, doch ohne die Wucht zu ermessen,
Daß es zerbrach; an dem äußern Rand der getroffenen Säule
Sprang die Klinge entzwei und fuhr in die Kehle dem Eigner.
Aber zum Tod gab nicht hinreichenden Grund die Verletzung.
Während er bebt und umsonst die kampfuntüchtigen Arme
Ausstreckt, stößt ihn der Held mit der Wehr des Cylleniers nieder.
Doch da männlichen Muth sah endlich erliegen der Menge
Perseus, sprach er: ›Wohlan! Weil also ihr selber mich zwinget,
Soll mir helfen der Feind. Hinweg kehrt alle das Antlitz,
Wer zugegen als Freund!‹ Und das Haupt der Gorgo enthüllt er.
›Anderen suche den Sinn mit dem Spuk zu verrücken!‹ erwidert
Thescelus. Doch wie die Hand zu entsenden den tödtlichen Wurfspieß
Trachtete, stand er, ein Bild von Marmor, in dieser Geberde.
[147] Ampyx, diesem zunächst, dringt gegen des großen Lynciden
Mutherfüllete Brust mit dem Schwert; doch während er eindringt,
Ist ihm die Rechte erstarrt, und zurück nicht kann sie, noch vorwärts.
Nileus drauf, der sich von dem siebenfältigen Nilstrom
Fälschlich nannte gezeugt und auch auf dem Schilde die sieben
Mündungen theils in Gold, theils hatte gebildet in Silber,
Sprach: ›Sieh, Perseus, hier von unsrem Geschlechte den Ursprung!
Groß wird sein dein Trost bei den schweigenden Schatten des Todes,
Daß solch edelem Mann du erlagst.‹ Das Ende der Rede
Ward ihm versagt in Mitten des Rufs, und sprechen zu wollen
Schien der geöffnete Mund, doch Durchgang fehlte den Worten.
Die schilt Eryx und spricht: ›Euch bannt nur Mangel des Muthes,
Nicht die gorgonische Kraft. Mir nach zum gemeinsamen Anlauf!
Strecket zu Boden den Mann, der kämpft mit verzauberten Waffen!‹
Anlauf that er bereits; da fesselt die Erde die Füße,
Und er verblieb als starres Gestein ein gewaffnetes Standbild.
Doch die hatten gebüßt nach Verdienst. Als Streiter des Perseus
Focht Aconteus mit, und während für diesen er kämpfte,
Fiel auf die Gorgo sein Blick, und Stein durchdrang ihm die Glieder.
Noch glaubt jenen belebt Astyages, und mit dem Schwerte
Führt er den Streich auf ihn. Hell klirrt abprallend die Klinge.
Während Astyages staunt, trifft ihn auch gleiche Verwandlung,
Und in dem Marmorgesicht ist noch des Verwundeten Miene.
Kund die Namen zu thun von den Männern aus niederem Volke
Währte zu lang. Zweihundert zum Kampf noch blieben der Männer,
Und es verkehrt zweihundert in Stein die geschauete Gorgo.
Da nun endlich gereut die rechtlose Fehde den Phineus.
Doch was thun? Er erblickt Bildsäulen verschieden in Stellung,
Und er erkennet sie wohl, und jeglichen rufend mit Namen
Fleht er um Schutz und berührt ungläubig die Körper der Nächsten,
Marmor waren sie all. Er wendet sich ab, und in Demuth
[148] Schräg die Arme gestreckt und die siegeinräumenden Hände:
›Perseus – sprach er du – siegst! Nimm weg dein gräßliches Schreckniß;
Nimm, o nimm es hinweg, das versteinernde Haupt der Medusa,
Wer auch immer sie sei! Nicht Haß, noch Trachten nach Herrschaft
Trieb uns ja in den Streit; um die Braut nur hoben wir Waffen.
Dir gab rühmliche That, doch Zeit uns höheren Anspruch.
Daß ich sie dir nicht ließ, ist mir leid. O, gönne das Leben,
Tapferer, mir, das nur! Dein möge das Andere bleiben!‹
Als er solches gesagt und nach ihm nicht wagte zu blicken,
Den mit der Stimm' er bat, sprach jener: ›Verzagender Phineus,
Was ich vermag zu verleih'n und dem Feigen ein großer Gewinn ist, –
Banne die Furcht – sei verlieh'n; dich soll kein Eisen verletzen.
Ja, ich stifte dir auch ein ewig bestehendes Denkmal,
Und stets sollst du geschaut noch werden im Hause des Schwähers,
Daß Trost habe mein Weib an dem Bildniß ihres Verlobten.‹
Sprach's und kehrte zugleich dorthin das phorcynische Antlitz,
Wo sein banges Gesicht hinwandte der meidende Phineus.
Wie er den Blick auch jetzt von hinnen zu wenden versuchte,
Starrt ihm der Hals, und zu Stein ist verhärtet die Feuchte der Augen.
Noch ist scheu das Gesicht und flehend am Marmor die Züge,
Schlaff die Hände gesenkt und knechtisch gedrungen die Haltung.
Mit der Gemahlin betritt als Sieger die heimischen Mauern
Abas' Sproß und bekrieget den Prötus, des schuldlosen Ahnes
Retter und Rächer zugleich. Denn es hatte den Bruder mit Waffen
Prötus verjagt und Besitz von Acrisius' Veste genommen.
[149] Doch nicht Waffengewalt, noch die tückisch eroberte Veste
Schützt vor dem gräßlichen Blicke des schlangenumringelten Schreckbilds.
Doch du warst, Polydectes, du Herr der kleinen Seriphus,
Nicht von des Jünglings Muth, den alle die Kämpfe bewiesen,
Noch von den Leiden erweicht; du übst, im Gemüthe verhärtet,
Unerbittlichen Haß, und es wird kein Ende der Feindschaft.
Selber den Ruhm auch schmälerst du ihm, und den Mord der Medusa
Nennst du erdichtete Mähr. ›Hier hast du Beweis von der Wahrheit!
Nehmet die Augen in Acht!‹ sprach Perseus, und von Medusa's
Antlitz war blutleer zu Kiesel des Königes Antlitz.
Soweit war als Gefährtin dem goldentsprossenen Bruder
Pallas gefolgt. Nun flog sie, geborgen in hüllender Wolke,
Fort von Seriphus und ließ rechts Gyaros liegen und Cythnus:
Ueber das Meer, wo der Weg am kürzesten, eilt sie gen Theben
[150] Und zu dem Jungfraunberg, dem Helicon. Dort auf der Höhe
Machte sie Halt und begann zu den neun tonkundigen Schwestern:
›Vom neu sprudelnden Born traf unsere Ohren die Kunde,
Den mit gehärtetem Huf jüngst brach das medusische Flugroß.
Der ist des Wegs Anlaß. Ich wollte das Wunderereigniß
Schauen; ich sah, wie das Roß entstand aus dem Blute der Mutter.‹
Aber Urania sprach: Was auch dich bewogen, o Göttin,
Unsere Wohnung zu seh'n, wir freuen uns dessen von Herzen,
Doch das Gerücht ist wahr, und wirklich ist Schöpfer der Quelle
Pegasus.« Hin dann führt sie zum heiligen Borne die Göttin.
Als sie mit Staunen beseh'n die vom Hufschlag fließenden Wellen,
Mustert Minerva umher den Hain ehrwürdigen Alters,
Auch die Grotten und voll buntfarbiger Blumen den Rasen
Und nennt ob des Berufs und der Stätte die Mnemoniden
Glücklich im Loos, worauf ihr erwiderte eine der Schwestern:
»Du, zur Genossin bestimmt, Tritonia, unserem Chore,
Wenn nicht rüstige Kraft dich riefe zu höheren Werken,
Wahrheit sprichst du und preisest mit Recht die Kunst und die Wohnstatt.
[151] Uns fiel freundliches Loos; nur müßten wir sicherer leben.
Aber – dem Frevel ist nichts ja verwehrt – jungfräuliche Herzen
Setzt leicht alles in Schreck. Noch steht mir der grause Pyreneus
Vor dem Gesicht; noch hat mein Gemüth nicht ganz sich gesammelt.
Daulis Gebiet und das Land der Phocier hatte der Wüthrich
Inne mit thracischem Heer und besaß unrechtliche Herrschaft.
Der sah uns auf dem Weg zum parnassischen Tempel und sagte,
Während, die Mienen verstellt, er huldigte unserer Gottheit:
›Mnemoniden – er hatt' uns erkannt – o, rastet ein wenig;
Kommt und bedenkt euch nicht bei mir Unwetter und Regen –
Regen ergoß sich – zu meiden im Haus. In niedere Hütten
Traten ja Himmlische oft.‹ Durch Rede bewogen und Lage
Folgten wir willig dem Mann und traten hinein in das Vorhaus.
Nun war der Regen vorbei, und der Nord, der bezwungen den Südwind,
Scheuchte das dunkle Gewölk hinweg vom erheiterten Himmel;
Und wir verlangten zu gehn; doch Pyreneus, schließend die Pforte,
Wollte Gewalt anthun. Wir aber entkamen mit Flügeln.
Jener, als wär' er zu folgen bereit, stand hoch auf der Zinne;
›Wo ihr findet die Bahn, wird mir nicht minder die Bahn sein!‹
Ruft er und stürzt sich hinab von der Spitze des Thurmes im Wahnsinn
Und fällt auf das Gesicht und schlägt mit zerschmettertem Schädel
Sterbend den Grund, der roth sich färbt mit dem ruchlosen Blute.«
Während die Muse noch sprach, durchschwirrte die Lüfte Gefieder,
Und das begrüßende Wort ward laut von der Höhe der Aeste.
Auf blickt Pallas und forscht, woher so deutlich gesprochen
Töne der Ruf, und vermeint, daß menschliche Zunge geredet.
[152] Vögel waren es, neun an der Zahl, die, klagend ihr Schicksal,
Auf das Gezweig sich hatten gesetzt, nachsprechende Elstern.
›Die auch haben – begann zur verwunderten Göttin die Göttin –
Neulich gemehrt, in der Wette besiegt, den Schwarm des Geflügels.
Pieros hat sie gezeugt, in Pella's Fluren begütert,
Dem sie Euippe gebar, die Päonerin, die zu Lucina
Neunmal rief, neunmal in Nöthen des Kreißens, um Beistand,
Hochmuth wegen der Zahl ward rege den thörichten Schwestern,
Und das hämonische Land und achaische Städte durchwandernd
Kamen sie her und riefen zum Streit mit den prahlenden Worten:
»Unverständiges Volk mit den eitelen Klängen zu täuschen
Laßt nur ab! Mit uns, wenn irgend Vertrauen ihr heget,
Thespische Göttinnen, kämpft. An Kunst so wenig wie Stimme
Stehen wir nach, und die Zahl ist gleich. Entweder bezwungen
Räumt den medusischen Quell und Hyantia's Born Aganippe,
Oder Emathia's Flur bis zu den beschneiten Päonen
Räumen wir selbst. Zu entscheiden den Streit sei Sache der Nymphen.«
Schimpflich erschien's in den Kampf zu willigen, aber zu weichen
Schimpflicher. Schwur nun thun bei der Flut die erkorenen Nymphen,
Und Sitz nehmen sie rings auf bequem erwachsenen Steinen.
Ohne zu losen beginnt zu singen der Himmlischen Kriege,
Die sich erboten zum Streit, und sie hebt die Giganten zu falschen
Ehren und setzet herab die Thaten der mächtigen Götter:
Und sie erzählt, wie entsandt aus den Tiefen der Erde Typhoeus
[153] Schrecken den Göttern erregt, und wie sie den Rücken gewendet
Alle zur Flucht, bis daß das ägyptische Land den Erschöpften
Zuflucht gab und der Nil mit den sieben geschiedenen Strömen;
Wie auch da sie verfolgt der erdegezeugte Typhoeus,
Und sich die Götter versteckt in trügender Thiere Gestalten.
»Führer des wolligen Viehs wird Jupiter, – sagt sie – von wannen
Jetzt noch krummes Gehörn er trägt als libyscher Ammon;
Bock wird Semele's Sohn; der Delier wählt sich den Raben,
Juno die schneeige Kuh, die Schwester des Phöbus die Katze,
Venus den Fisch zum Versteck, der Cyllenier Flügel des Ibis.«
Somit hatte den Mund sie tönend bewegt zu den Saiten.
Nun trifft uns Aoniden die Reih. Doch fehlet dir Muße
Wohl und die Lust, dein Ohr auch unserem Sange zu leihen?‹
»Zögere nicht, – sprach Pallas darauf – sag' an in der Ordnung
Euer Gedicht!« Und sie saß in dem luftigen Schatten des Haines.
»Eine – versetzte die Muse – bestand für alle den Wettstreit,
Und Calliope tritt, mit Epheu gehalten das lose
Haupthaar, vor und versucht mit dem Daumen die klagenden Saiten
Und fügt solchen Gesang hinzu der geschlagenen Leier:
[154] ›Ceres theilte zuerst mit gebogenem Pfluge die Schollen,
Gab Feldfrüchte den Ländern zuerst und mildere Nahrung,
Ordnete Sitten zuerst; ja, alles ist Gabe der Ceres.‹«
Ceres gebührt mein Sang. O, daß ich vermöchte der Göttin
Würdig zu singen ein Lied. Sie sicher ist würdig des Liedes.
Auf den gigantischen Leib ist gethürmt die trinacrische Insel
Weit sich dehnend und hält mit gewaltiger Wucht den Typhoeus
Niedergedrückt, der gewagt zu hoffen ätherischen Wohnsitz.
Oft zwar stemmt er sich an und kämpft in die Höhe zu kommen;
Aber die Rechte bedeckt der ausonische Felsen Pelorus,
Du, Pachynus, die Link', und die Schenkel beschwert Lilybäum.
Aetna belastet das Haupt, wo rücklings liegend Typhoeus
Sand ausschleudert und Glut ausspeit aus dem gräulichen Schlunde.
Oftmals ringt er hinweg zu drängen das zwängende Erdreich
Und sich zu wälzen vom Leib die Städt' und mächtigen Berge.
Davon bebet das Land, und es fürchtet der Schweigenden König,
Daß aufbreche der Grund und im gähnenden Spalt sich eröffne,
Und eindringender Tag erschrecke die zitternden Schatten,
Bang vor solchem Verderb stieg Dis aus dem finsteren Reiche
Jetzo herauf und fuhr, vom Gespanne der Rappen gezogen,
Um des siculischen Lands Grundvesten mit spähender Vorsicht.
Als er genügend erforscht, das nichts dort wankend geworden,
Und sich entschlagen der Furcht, sah jenen die Göttin von Eryx
Schweifen vom heiligen Berg und umarmend den Sohn mit den Flügeln
Sagte sie: ›Du mein Schild, o Sohn, mein Arm und Vermögen,
Nimm das Geschoß, Cupido, womit du alle bezwingest,
Und mit schwirrendem Pfeil durchbohre den Busen des Gottes,
Dem vom dreifachen Reich das letzte der Loose gefallen.
Götter der Höh' und Jupiter selbst und die Mächte des Meeres
[155] Bändigest du und ihn, der beherrschet die Mächte des Meeres.
Was soll Tartarus ruh'n? Warum nicht dehnest du weiter
Dein und der Mutter Gebiet? Hier gilt's ein Drittel des Weltalls.
Achten sie uns doch schon – dank unsrer Geduld – in dem Himmel
Beide gering, und mit mir wird Amors Stärke verringert.
Siehst du es nicht, wie Pallas bereits und Diana die Schützin
Ab von mir sich gewandt? Und Jungfrau, so wir es dulden,
Bleibt Proserpina auch, denn sie heget die selbige Hoffnung.
Auf denn, wenn du mich liebst! Für unsere gemeinsame Herrschaft
Eine die Göttin dem Ohm.‹ So redete Venus. Der Knabe
Löste den Köcher und nahm heraus von den tausend Geschossen
Eins, das die Mutter gewählt. Dem gleicht kein andres an Schärfe,
Keins trifft weniger fehl und ist mehr dem Strange gehorsam.
Drauf anstemmt' er das Knie und krümmte die biegsamen Hörner
Und traf mitten in's Herz den Dis mit dem hakigen Rohre.
Mit tiefgehender Flut liegt nahe den Mauern von Henna,
Pergus genannt, ein See. Mehr Sänge von Schwänen als dieser
Hört selbst nicht in dem Strom hingleitender Wellen Caystros.
Rings das Ufer entlang kränzt Wald die Gewässer und wehret
Phöbus' glühendem Stich mit dem Laub, wie mit schützendem Vorhang.
Kühlung beut das Gezweig, und die Au nährt tyrische Blumen.
Ständiger Frühling herrscht. Wie Proserpina dort in dem Haine
Spielt' und Violen sich bald, bald silberne Lilien pflückte,
Und sich in kindlicher Lust anfüllte den Korb und den Busen
Und es im Sammeln zuvor thun wollte den anderen Mädchen,
Schaut und begehrt und entführet sie Dis, fast alles auf einmal.
So ist die Liebe beeilt. Bang ruft die erschrockene Göttin
Mutter und Freundinnen an um Schutz, doch öfter die Mutter;
Und wie sie klagend das Kleid von dem oberen Saume zerrissen,
Fielen herab aus dem losen Gewand die gesammelten Blumen,
[156] Und so zeigte sich noch in dem kindlichen Alter die Einfalt:
Dieser Verlust auch füllte mit Schmerz die Seele der Jungfrau.
Rasch hin jagte der Dieb, und jegliches rufend mit Namen
Trieb er die Rosse zur Hast und schüttelte kräftig die Zügel
Dunkel wie Eisen gefärbt auf Hälsen und Mähnen der Renner.
Durch tiefgründende Seen hin eilt er und durch der Paliken
Schwefeldünstigen Pfuhl, der kocht aus geborstenem Boden,
Und wo Bacchis' Geschlecht, von der doppeltumwogten Corinthus
Stammend, erbaute die Stadt in der Mitt' unähnlicher Häfen.
Zwischen Cyane liegt und Pisa's Quell Arethusa,
Eine geschlossene Bucht, die ragende Hörner verengen.
Dort war jene, von der den Namen empfangen der Weiher,
Cyane, hochberühmt vor allen sicilischen Nymphen.
Die, aus der Mitte der Flut sich bis an die Hüften erhebend,
Hatte die Göttin erkannt und rief: ›Nicht weiter des Weges!
Darfst du Ceres zum Trotz ihr Eidam werden? Nur Bitten
Standen dir zu, nicht Raub. Wofern mit Großem Geringes
Mir zu vergleichen vergönnt; um mich auch freiet' Anapis;
Aber ich folgt' ihm gebeten und nicht, wie diese, geängstigt.‹
Cyane sprach's, und die Arme gestreckt nach verschiedener Seite
[157] Sperrt sie den Weg. Da hielt der Saturnier länger den Zorn nicht.
Sondern er trieb sein grauses Gespann, und das Königesscepter
Schwang er mit kräftigem Arm und schleudert' es tief in den Strudel.
Siehe, zum Tartarus that Weg auf die getroffene Erde
Und gab mitten im Schlund Aufnahme dem stürzenden Wagen.
Cyane nun trug Leid um der Göttin Raub und der Quelle
So mißachtetes Recht, und sie trägt untröstliche Wunde
Still in verschwiegener Brust und verzehrt sich völlig in Zähren,
Und in die rinnende Flut, darinnen sie eben als Gottheit
Waltete, wird sie verdünnt. Man sah, wie der Leib sich erweichte,
Biegsam wird das Gebein, und die Nägel die Härte verloren;
Und von der ganzen Gestalt wird flüssig zuerst, was am dünnsten,
Erst ihr bläuliches Haar, dann Finger und Schenkel und Füße –
Gliedern von schmächtiger Art ist ja leicht in kaltes Gewässer
Ueberzugehn. Die Schultern darauf und Rücken und Seite
Schwinden hinweg und die Brust zu rieselnden Bächen geschmolzen.
Endlich ersetzt das lebendige Blut im versehrten Geäder
Wasser, und übrig ist nichts, was wäre mit Händen zu greifen.
Rings in jeglichem Land inzwischen und jeglicher Tiefe
Wurde vergeblich gesucht von der ängstlichen Mutter die Tochter.
Niemals sah, mit befeuchtetem Haar aufsteigend, Aurora,
Daß sie gerastet vom Weg, nie Hesperus. Leuchtende Fichten
Nahm sie in jegliche Hand, an den Gluten des Aetna entzündet,
Und trug ohne zu ruh'n sie hin durch thauende Nächte.
Wenn vor dem heiteren Tag hinwieder verblichen die Sterne,
Suchte vom Morgen sie auf bis spät zum Abend die Tochter.
Matt nun war sie vom Weg und lechzte vor Durst, und die Lippen
[158] Hatte genetzt kein Quell: da sieht sie ein niedriges Häuschen
Strohbedeckt und klopft an die Thür. Ein Mütterchen zeigt sich
Oeffnend und siehet die Göttin und reicht ihr, um Wasser gebeten,
Süßes Getränk, das sie hatte bestreut mit gerösteter Gerste.
Während sie schlürfte den Trank, trat hin vor die Göttin ein Bube
Dreisten Gesichts und frech und lacht und nannte sie gierig.
Zorn ist Ceres erregt, und sie gießt, da Neige geblieben,
Ueber den Sprechenden aus das Klare gemischt mit der Hefe.
Flecken beziehn das Gesicht; was eben als Arm er bewegte,
Regt er als Bein; anfügt sich ein Schwanz den gewandelten Gliedern
Und zu kleiner Gestalt, daß Macht zum Schaden gebreche,
Schrumpfet er ein, noch kleiner im Maß wie die winzige Echse.
Während das Mütterchen staunt und weint und greift nach dem Thierchen,
Nimmt er die Flucht und sucht ein Versteck, und entsprechend dem Aussehn
Wird er genannt, am Leibe besternt mit gesprenkelten Tropfen.
Was für Lande durchirrt und was für Gewässer die Göttin,
[159] Wäre zu sagen zu lang. Nichts blieb zu durchsuchen auf Erden.
Nach Sicanien kehrt sie, und ringsum forschend im Gehen
Kam sie zu Cyane auch. Wenn die nicht wäre gewan delt,
Hätte sie alles erzählt! doch Mund und Zunge gebrachen,
Wenn sie zu reden gedacht, und es war kein Mittel zum Sprechen.
Aber sie ließ ein Zeichen ersehn; Persephone's Gürtel,
Der an der Stätte gerad' in den heiligen Weiher gefallen,
Wohl der Mutter bekannt, ließ oben im Wasser sie schwimmen.
Wie ihn die Göttin erkannt, da rauft sie, als wüßte sie nun erst,
Daß ihr die Tochter geraubt, das kunstlos hangende Haupthaar
Und schlägt wieder die Brust und wieder mit offenen Händen.
Fremd ist die Gegend ihr noch; doch alle die Länder verwünscht sie,
Nennet sie undankbar, unwürdig der Gabe der Feldfrucht,
Und das trinacrische Land vor anderen, wo sie die Spuren
Fand vom Verlust. Drum brach sie die schollumkehrenden Pflüge
Dort mit zerstörender Hand und gab im Zorne den Landmann
Sammt dem bestellenden Stier in den Tod und ließ die Gefilde
Vorenthalten das Gut und machte verdorben den Samen.
All der Segen der Flur, deß Ruhm ging über den Erdkreis,
Bleibt nun aus. Es erstirbt in den sprießenden Halmen die Aussaat.
Bald rafft heftige Glut sie hinweg, bald heftiger Regen;
Sterne zugleich sind schädlich und Wind, und die gierigen Vögel
Picken gestreuete Saat, und wuchernd umdrängen den Weizen
Lolch und Disteln im Feld und nicht zu vertilgendes Unkraut.
Da aus der elischen Flut hob sich die alpheische Nymphe,
[160] Und von der Stirn zum Ohr hinstreichend die triefenden Haare
Sagte sie: ›Mutter der rings auf Erden erkundeten Jungfrau
Und der ernährenden Frucht, stell' ab die unendliche Drangsal,
Und nicht zürne so hart der treu dir ergebenen Erde.
Sie ja verschuldete nichts, und dem Raub erschloß sie sich ungern.
Nicht für die Heimat fleh' ich: von fern her bin ich ge kommen.
Pisa ist Heimat mir, und wir leiten von Elis den Ursprung.
Uebergesiedelt bewohn' ich Sicanien, aber vor allen
Halt' ich werth dies Land. Hier hat Arethusa Penaten,
Hier jetzt häuslichen Sitz. Den schone, du gütigste Göttin!
Aber warum ich von dort durch die Wogen des Meers mich entfernte
Und mich begab weit weg nach Ortygia, dies zu erzählen
Kommt wol schickliche Zeit, wenn du erst wieder von Sorge
Frei sein wirst, und erheitert dein Blick. Mir bietet die Erde
Durchgang unten im Grund, und entführt durch dunkele Höhlen
Heb' ich allhier mein Haupt und schau' entwohnte Gestirne,
Als ich im stygischen Schlund so hinfloß unter der Erde,
Sah ich Proserpina dort, dein Kind, mit eigenen Augen.
Zwar ist traurig sie noch und von Angst nicht frei in den Zügen,
Aber doch Königin jetzt, die höchste des finsteren Reiches,
Aber die waltende Frau doch jetzt bei dem Todtenbeherrscher.‹
Wie sie die Kunde vernahm, stand da wie versteinert die Mutter
Und war lang wie vom Donner gerührt. Doch die Macht der Betäubung
Wich vor der Macht des Schmerzes zuletzt, und sie stieg mit dem Wagen
In die ätherische Luft. Dort ganz in Wolken das Antlitz
Trat sie vor Jupiter hin mit fliegenden Haaren im Unmuth:
›Für mein Blut und zugleich für das deinige, Jupiter, – sprach sie –
Komm' ich dich anzufleh'n. Wenn nichts du achtest die Mutter,
[161] Rühre den Vater das Kind, und nicht sei minder um jene
Darum etwa besorgt, weil wir sie getragen im Schooße.
Siehe, die Tochter, die lang ich gesucht, ist endlich gefunden,
Wenn ja finden du nennst nur sicherer noch zu verlieren
Oder zu wissen den Ort, wo sie ist. Die Entführung verzeih' ich
Gibt er sie nur mir zurück. Denn Jupiters Tochter geziemet
Doch kein Räuber zum Mann, wenn auch er geziemet der meinen.‹
Drauf hob Jupiter an: ›Pfand ist und Beschwerde gemeinsam
Mir die Tochter wie dir. Doch wenn wir mit richtigem Namen
Wollen benennen die That, so war's mit nichten Beschimpfung,
Liebe vielmehr. Auch haben wir nicht uns zu schämen des Eidams,
Wolltest du, Göttin, ihn nur. Laß Anderes fehlen: wie viel schon,
Jupiters Bruder zu sein! Doch auch das Andere fehlt nicht;
Denn in dem Loos nur steht er mir nach. Doch wenn du nach Scheidung
Also verlangst, so soll Proserpina kehren zum Himmel,
Nur mit dem festen Beding, wenn nichts anrührte von Speise
Drunten ihr Mund. Denn so ist verhängt im Rathe der Parcen.‹
Jupiter sprach's. Doch Ceres entschließt sich die Tochter zu holen.
Nicht so will's das Geschick, weil nicht mehr drunten die Jungfrau
Fastete. Während sie ging ohn' Arg' im gewarteten Garten,
Hatte vom hangenden Baum sie gepflückt rothwangigen Apfel;
Sieben Kerne sodann, entnommen der gelben Umhüllung,
Hatte zerdrückt ihr Mund, und allein zugegen von allen
Nahm es Ascalaphus wahr, den weiland – sagen sie – Orphne,
[162] Nicht die geringste an Ruf von der Schaar der avernischen Nymphen,
Unter dem schwarzen Geklüft aus Acherons Liebe geboren.
Dieser ersah's und benahm durch Verrath ihr schnöde die Rückkehr.
Erebus' Königin seufzt und gibt dem gehässigen Zeugen
Vogelgestalt, und das Haupt, das Phlegethons Wellen bespritzen,
Bildet zum Schnabel sie um, zu Federn und glotzenden Augen.
Er sich selber entrückt, wird braun mit Flügeln bekleidet
Und wird dicker am Kopf und krümmt weitgreifende Krallen,
Und das Gefieder bewegt er kaum an den lässigen Armen.
Also ein häßlich Geschöpf, annahende Trauer verkündend,
Hockt er als Uhu nun, für die Menschen ein grausiges Schreckbild.
Doch der hatte vielleicht für seine verrathende Zunge
Strafe verdient. Woher habt ihr, acheolische Mädchen,
Füße wie Vögel und Flaum, da ihr tragt jungfräuliches Antlitz?
Wohl, weil da, als Blumen im Lenz Proserpina pflückte,
In der Gefährtinnen Zahl ihr wart, sangreiche Sirenen?
Als ihr die Lande gesammt umsonst durchsucht nach der Göttin,
Wünschtet ihr auch alsbald, daß euere Sorge den Meeren
Kund sei, über der Flut zu steh'n mit dem Ruder der Flügel.
Götter vernahmen den Wunsch willfährig, und euere Glieder
Saht ihr plötzlich gefärbt von gelbumhüllenden Federn.
[163] Doch daß jener Gesang, die köstliche Gabe des Mundes,
Lockend das Ohr zu fesseln bestimmt, nicht misse die Zunge,
Ist jungfräulich Gesicht und menschliche Stimme geblieben.
Zwischen dem Bruder getheilt im Wunsch und der trauernden Schwester
Gibt von dem rollenden Jahr nun Jupiter jedem die Hälfte.
Jene verweilt, zwei Reichen gesellt als gemeinsame Gottheit,
Bei dem Gemahl fortan sechs Monde und sechs bei der Mutter.
Umgewandelt sogleich ist ihr das Gemüth und das Antlitz;
Die selbst konnte dem Dis jüngst traurig erscheinen, der Göttin
Stirn ist heiter und frei, wie die Sonne, die wässrige Wolken
Vorher hatten verdeckt, siegreich aus den Wolken hervortritt.
Ceres die segnende fragt, nun froh, da die Tochter bewilligt,
Was dich vertrieb, warum du ein heiliger Quell, Arethusa.
Schweigend verharrte die Flut, und die Göttin erhob aus des Bornes
Tiefe das Haupt, und das grünliche Haar mit den Händen sich trocknend
Gab sie Bericht von des elischen Stromes vormaliger Liebe:
›Eine vom Nymphengeschlecht, das wohnt in Achaia – sprach sie –
War ich zuvor, und nie hat eine mit größerer Jagdlust
Forste durchstreift, nie Garne gestellt mit größerer Jagdlust.
Aber obschon ich nie mich bemüht um die Ehre der Schönheit,
Ob auch rüstig und derb, ich hatte den Namen der Schönen.
Doch es beglückte mich nicht mein allzugepriesenes Antlitz;
Ländlich und schlicht sah ich mit Erröthen die Gaben des Leibes,
Darob Andre sich freu'n, und ich hielt zu gefallen für Sünde,
[164] Aus dem stymphalischen Wald – ich entsinne mich – kam ich ermüdet:
Heiß war's und von der Müh' war verdoppelt die drückende Hitze.
Sieh, da beut sich ein Fluß, der ohne Gewirbel und Murmeln
Rann durchsichtig zum Grund, daß zählbar war auf dem Boden
All das kleine Gestein; kaum schienen die Wellen zu gleiten.
Grauliches Weidengebüsch und vom Wasser genährete Pappeln
Spendeten Schatten, von selbst erwachsen, den hangenden Ufern.
Nah hintretend benetzt' ich zuerst die Sohlen des Fußes,
Drauf bis zum Knie das Bein; dann lüsterner lös' ich den Gürtel,
Und mein weiches Gewand der gebogenen Weide vertrauend
Tauch' ich mich nackt in die Flut. Doch wie ich sie schlug und heranzog
Gleitend auf jegliche Art, und warf ausgreifende Arme,
Nahm ich wahr in der Mitte des Stroms ein verdächtiges Rauschen,
Und schnell trat ich geschreckt an den Rand des näheren Ufers.
»Flieh' doch nicht, Arethusa!« erscholl aus seinen Gewässern,
»Flieh' doch nicht!« scholl neu der heisere Ruf des Alpheus.
Ohne Gewand, wie ich war, entfloh ich – am anderen Ufer
Lag das Gewand. Darum drängt glühender noch der Verfolger.
Und weil nackend ich war, erschien ich ihm desto bereiter.
So lief eilend ich fort, so drängte mich eilend der Unhold,
Wie vor dem Habicht flieh'n mit zitternder Schwinge die Tauben,
Und wie der Habicht pflegt zu jagen die zitternden Tauben.
Bis nach Orchomenus hin und Psophis und über Cellene
Und Erymanthus hinaus und des Mänalus Krümmen nach Elis
Dauert' ich aus im Lauf, und nicht war rascher Alpheus.
Doch auf die Länge den Lauf aushalten, an Kräften ihm ungleich,
Konnt' ich nicht; er war der langen Beschwerde gewachsen.
Dennoch eilt' ich dahin durch Feld und bewaldete Berge,
Ueber Gestein und Klippen hinweg, wo nirgends ein Weg war.
Hinter mir stand die Sonn', und ich sah, wie ein Schatten sich langhin
[165] Streckte den Füßen voraus, wofern nicht Furcht es gesehen.
Aber gewiß doch schreckte der Schall von Tritten, und heftig
Blies an die Binde des Haars der keuchende Athem des Mundes.
»Hilf – so rief ich erschöpft von der Flucht – Dictynna! Er faßt mich.
Stehe der Deinigen bei, der Begleiterin, welcher den Bogen
Oft zu tragen du gabst und im Köcher verschlossene Pfeile!«
Jene erhört mein Fleh'n, und eine der dichtesten Wolken
Wirft sie über mich hin. Rings späht nach der Dunkelumhüllten
Tappend der Strom und forscht rathlos um den bergenden Nebel.
Zweimal ging er bethört um den Ort, wo Schutz mir geworden;
Zweimal rief er: »Io, Arethusa, io, Arethusa!«
Wie war da mir Armen zu Muth! Wohl so, wie dem Lamme,
Wenn es der Wölfe Geheul um das hohe Gehege vernommen,
Oder dem Hasen im Busch, der aus dem Verstecke der Hunde
Feindliche Schnauzen erblickt und den Leib nicht wagt zu bewegen,
Jener jedoch weicht nicht, weil weitere Spuren der Füße
Nirgends hinaus er gewahrt. Er bewacht das Gewölk und die Stelle.
Da fällt frostiger Schweiß auf meine belagerten Glieder,
Und ringsum von dem Leib entrinnen mir bläuliche Tropfen.
Wo ich setze den Fuß, da wallet ein See; aus dem Haupthaar
Triefet mir Thau, und schneller, als jetzt ich erzähle das Wunder,
Lös' ich in Nässe mich auf. Doch auch die theueren Wellen
Kennet der Strom, und der Mannesgestalt, die er lieh, sich begebend
Wird er zur eigenen Flut, mit mir sich zu mischen gewandelt.
Delia spaltet den Grund, und gesenkt in verborgene Höhlen
Fließ' ich Ortygia zu, die wegen der gleichen Benennung
[166] Meiner Gebieterin werth mich zuerst vorzog an die Lüfte.‹
So Arethusa's Bericht. Drauf schirrt die befruchtende Göttin
An ihr Drachengespann und bändigt mit Zäumen die Rachen
Und fährt hin durch die Luft in der Mitte von Himmel und Erde.
Auf die tritonische Stadt zum Triptolemus senkt sie den leichten
Wagen sodann und gibt ihm Samen und heißet ihn streuen
Theils in rohes und theils in lang brachliegendes Erdreich.
Ueber Europa hinweg und Asien hatte der Jüngling
Schwebend befahren die Luft. Nun kommt er an Scythiens Küsten.
Lyncus gebot alldort. Er betritt die Penaten des Königs.
Wie er gekommen des Wegs und warum und nach Namen und Heimat
Wird er gefragt und versetzt: ›Triptolemus heiß' ich, und Heimat
Nenn' ich die hohe Athen. Nicht kam ich zu Schiff auf den Wogen,
Noch auf dem Lande zu Fuß: mir öffnete Bahnen der Aether.
Ceres' Geschenk herbring' ich, auf daß es gestreut im Gefilde
Reichlich geerntete Frucht und harmlose Speise gewähre.‹
Neid empfand der Barbar, und er nimmt, um Geber der Wohlthat
Selber zu sein, ihn gastlich in's Haus und fällt mit dem Schwerte
Während des Schlummers ihn an. Wie er trachtet die Brust zu durchbohren,
Macht ihn Ceres zum Luchs. Dann heißt sie wieder in Lüften
[167] Tummeln das hehre Gespann den beschützten mopsopischen Jüngling.
Also beschloß die Größte von uns den bedungenen Wettsang,
Und einmüthigen Spruchs ward uns heliconischen Jungfrauen
Zuerkannt von den Nymphen der Sieg. Als noch die Besiegten
Schmähten und schimpften, begann sie: ›Dieweil euch nicht, mit dem Wettkampf
Strafe verwirkt zu haben, genügt, und ihr kränkende Reden
Fügt zu der Schuld, und uns nicht zusteht fernere Langmuth,
Wollen wir Strafe vollzieh'n und folgen dem Rufe des Zornes.‹
Lachend vernimmt's die emathische Schaar und verachtet die Drohung.
Als sie zu sprechen jedoch und frech mit den Händen zu nahen
Strebten mit lautem Geschrei, erkannten sie, wie an den Nägeln
Sproßte Gefieder hervor, und mit Flaum sich deckten die Arme.
Ein' an der Anderen sieht, wie der Mund zum hornigen Schnabel
Spitz sich schließt, und dem Walde zunächst ein neues Geflügel.
»Geißeln wollten sie sich; da schwebten sie an den bewegten
Armen empor in die Luft als Elstern, des Hains Schreihälse.«
Noch ist den Vögeln die Lust zum Sprechen geblieben von Alters,
Heis're Geschwätzigkeit und die Sucht zu stetem Geplauder.
[168][169][1]

Sechstes Buch

Sechstes Buch.

Inhalt: Ara'chne (Rho'dope und Hä'mus; Ö'noë; Anti'gone; Ci'nyras' Töchter. Truggestalten der Götter). Ni'obe. Die lykischen Bauern. Ma'rsyas. Pe'lops. Te'reus, Pro'cne und Philome'la. Bo'reas; Ca'laïs und Ze'tes.


Achtsam hatte gelauscht Trito'nia solcher Erzählung

Und den Gesang und den Zorn der ao'nischen Mädchen gebilligt.
»Loben ist wenig«, – begann sie für sich – »selbst muß ich gelobt sein,
Und schwer büße die Schuld, wer Hohn spricht unserer Gottheit!«
Auf der Ara'chne Geschick, der Mäo'nerin, sinnt sie im Geiste,
Die, wie sie hatte gehört, an Lob in der Wollebereitung
Nicht nachstand ihr selbst. Nicht Ort, noch edele Herkunft,
Kunst nur brachte ihr Ruhm. Ihr Vater, aus Co'lophon I'dmon,
Tauchte die saugende Woll' in den Saft phocä'ischer Muscheln.
Tot war die Mutter bereits, doch die auch war aus dem Volke
[1]
Und mit dem Mann ganz gleich. Doch rings in den ly'dischen Städten
Hatte sich jene durch Fleiß denkwürdigen Namen erworben,
Ob auch niedrer Geburt sie bewohnte das kleine Hypä'pa.
Oftmals, dort zu besehn die bewundrungswürdige Arbeit,
Kamen die Nymphen herzu von den Weinhöh'n ihres Timo'lus,
Kamen entstiegen dem Fluß herzu die pacto'lischen Nymphen,
[1] Und nicht sahen sie bloß mit Ergötzen die fertigen Zeuge,
Auch die Fertigung selbst – so paarte Geschick sich mit Anmut –
Wenn zum Ballen zuerst sie vereinte die gröbere Wolle,
Wenn mit den Fingern den Stoff sie schlichtete, oder geschmeidig
Machte mit häufigem Strich dem Nebel vergleichbare Flocken,
Oder mit gleitendem Daumen umschwang die gerundete Spindel,
Oder wenn stickend sie saß; sie lernte, so schien es, von Pa'llas.
Doch sie leugnet erzürnt, daß Meisterin wäre die Göttin:
»Streite sie« – sprach sie – »mit mir! Nichts will ich bezwungen verweigern.«
Greisengestalt nimmt Pallas und fügt sich verstellt an die Schläfe
Trügliches Grau und stützt mit dem Stab die gebrechlichen Glieder.
Drauf hub also sie an: »Nicht bringen die höheren Jahre
Unannehmliches nur: es kommt mit dem Alter Erfahrung.
Unseren Rat nicht achte gering. Bei den Sterblichen magst du
Immer den größesten Ruhm in der Wollarbeit dir erstreben;
Weiche der Göttin jedoch und reuig erbitte Verzeihung
Für das vermessene Wort. Der Bittenden wird sie verzeihen.«
Grimm schaut jene sie an und läßt vom begonnenen Faden,
Und kaum haltend die Hand und Zorn in den Mienen bekennend
Gibt sie folgender Art der verkleideten Pallas zur Antwort:
»Arm an Verstand und geschwächt vom lastenden Alter erscheinst du.
Schlimm, wer gar zu lange gelebt. So fades Gerede
Höre, wenn eine du hast, die Schnur an oder die Tochter.
Rat schon find' ich genug in mir selbst. Daß deine Vermahnung
Fruchtete, wähne du nicht; wir bleiben bei unserem Sinne.
Warum kommt sie nicht selbst? Warum scheut jene die Wette?«
»Wohl«, – sprach Pallas –»sie kam.« Und der Greisengestalt sich begebend,
Stand als Göttin sie da. Ihr zollen die Nymphen Verehrung
Und die mygdo'nischen Frau'n; frei nur vom Schreck ist die Jungfrau.
[2] Aber sie ward doch rot, und von selbst ging über ihr Antlitz
Plötzliche Glut und schwand gleich wieder hinweg, wie in Purpur
Pflegt zu erscheinen die Luft, wenn früh Aurora heraufzieht
Und nach geringem Verzug abblaßt vor den Strahlen der Sonne.
Doch sie beharrt im Entschluß, und nach thörichter Palme begierig
Nennt sie in ihren Verderb. Nicht weigert sich Ju'piters Tochter,
Noch auch warnet sie mehr und verschiebt nicht länger den Wettstreit.
Ohne Verzug nun nehmen sie Stand an gesonderten Stellen,
Und jedwede bespannt mit feinstem Gespinste den Webstuhl.
Fest ist der Zettel am Baum und vom Rohre geschieden der Aufzug.
Zwischengefügt wird jetzt vom spitzigen Schiffchen der Einschlag,
Den abwickelt die Hand, und quer durch die Fäden gezogen
Von des gestoßenen Kamms durchbrochenen Zähnen verdichtet.
Beide beeilen das Werk und rühren, am Busen gegürtet,
Während die Müh' ihr Eifer verkürzt, die kundigen Arme.
Dort wird Purpur gewebt, der ty'rischen Kessel empfunden,
Schatten dazu so zart und kaum zu gewahrenden Wechsels,
Wie beim Regenerguß, wenn die Strahlen sich brechen, ein Bogen
Pflegt mit gewaltigem Runde zu zeichnen die Weite des Himmels;
[3] Licht erglänzten darin zahllose verschiedene Farben,
Doch die Veränderung selbst entgeht dem betrachtenden Auge:
So ist, was sich berührt, ganz gleich, das Entferntere ungleich.
Dort durchwirken sie auch mit geschmeidigem Golde die Fäden,
Und im Gewebe erhebt sich ein altertümlicher Inhalt.
Auf der cecro'pischen Burg stellt Pallas den Felsen des Ma'vors
Dar und aus früherer Zeit den Streit um den Namen des Landes.
Harrend in würdigem Ernst auf erhöheten Sesseln, in Mitten
Jupiter, sitzen die zwölf Unsterblichen. Jeden der Götter
Zeichnet besondere Gestalt. Hochherrlich ist Jupiters Aussehn.
Stehend erscheint der Beherrscher des Meers, und mit mächtigem Dreizack
Stößt er auf rauhes Gestein und lockt aus der Wunde des Felsens
Springende Flut, durch solchen Beweis die Stadt zu gewinnen.
Doch sich gibt sie den Schild und mit schneidender Spitze die Lanze
Und auf dem Haupte den Helm; die Brust ist beschützt von der Ä'gis.
Dar dann stellt sie im Bild, wie getroffen von ihr mit dem Speere
Zeugte das Land samt Beeren den Schoß des graulichen Ölbaums,
Und wie die Götter gestaunt. Ihr Sieg ist das Ende der Arbeit.
Daß an anderen auch des Ruhms Mitwerberin lerne,
Was sie zu hoffen als Lohn für solch unsinniges Wagnis,
[4] Fügt vier Wetten sie bei in gleichviel Ecken des Werkes,
Sichtlich in farbigem Glanz und in zierlichen Bildchen gezeichnet.
Rho'dope zeigt ein Winkel dem Blick und den thrakischen Hä'mos,
Frostige Höh'n nunmehr, doch vormals sterbliche Leiber,
Die sich zu nennen gewagt mit dem Namen der obersten Götter.
Aber ein anderer Teil enthält der pygmä'ischen Mutter
Trauriges Los. Die mußte, besiegt in der Wette, zum Kranich
Werden auf Ju'no's Geheiß und bekriegen das eigene Völklein.
Auch Anti'gone's Bild ist gewirkt, die sich mit der Gattin
Jupiters einst zu messen gewagt. Die Königin Juno
Schuf zum Vogel sie um. Nicht I'lion mochte sie schützen,
Vater Lao'medon nicht, daß nicht sie in weißem Gefieder
Beifall gebe sich selbst als Storch mit dem klappernden Schnabel.
Die von den Ecken noch frei, nimmt Ci'nyras auf den verwaisten:
Der hält jammernd umfaßt die Stufen des Tempels, der Tochter
[5] Glieder zuvor, und scheint auf die Steine gesunken zu weinen.
Außen umgibt sie den Rand mit des Ölbaums friedlichen Zweigen.
Das ist der Schluß und sie endet das Werk mit dem heiligen Baume.
Doch die Mäonerin malt Euro'pa, berückt von des Stieres
Trugbild. Wirklich erschien der Stier und wirklich die Meerflut.
Nach dem verlassenen Land – so wähnte man – blickte die Jungfrau,
Und man ersah, wie sie rief die Gefährtinnen und die Berührung
Scheute der hüpfenden Flut und die furchtsame Sohle zurückzog.
Auch Aste'rie malt sie, gefaßt von dem ringenden Adler;
Le'da bildet sie auch, wie der Schwan sie deckt mit den Flügeln;
Dann, wie Jupiter, sich in der Hülle des Sa'tyrs versteckend,
Füllte mit doppelter Frucht die reizende Tochter des Ny'cteus;
[6] Wie er Amphi'tryon war, da er dir, Tiry'ntherin, nahte;
Wie er zur Da'naë kam als Gold, als Feuer Ägi'na,
De'o's Tochter als Schlang', als Hirt Mnemo'syne täuschte.
Dich auch zeigt sie, Neptu'nus, gesellt zur äolischen Jungfrau,
Die als grimmiger Stier du gewannst. In Gestalt des Eni'peus
Zeugst du Alo'eus' Geschlecht, bist Widder der Bisalti'de.
[7] Sie auch, golden an Haar, der Frucht allgütige Mutter,
Fühlt dich als Roß; dich fühlt als Vogel die schlangenbehaarte
Mutter vom fliegenden Pferd; als Delphin auch fühlt dich Mela'ntho.
Allen verleiht sie treue Gestalt und bildet die Gegend
Ebenso treu. Da steht auch Phö'bus in bäurischer Bildung;
Hier mit der Hülle vom Leu, dort mit dem Gefieder des Habichts;
Wie er berückt als Hirt die Tochter des Ma'careus, I'sse;
Wie als Traube verstellt Eri'gone Li'ber betrogen;
[8] Wie Satu'rnus gezeugt als Roß den zwiefachen Chi'ron.
Wo an dem äußersten Rand sich schmal ein Streifen herumzieht,
Webt noch Blumen sie ein durchflochten mit Epheuranken.
Nicht kann Pallas das Werk, nicht kann es verkleinern die Mißgunst.
Aber es kränkt der Erfolg die männliche blonde Minerva,
Und sie zerreißt das bunte Gewirk, die himmlischen Laster,
Und wie gerade sie hielt vom cyto'rischen Berge das Webschiff,
Schlug sie drei, viermal auf die Stirne die Tochter des I'dmon.
Nicht trägt jene die Schmach, und sie schnürt sich entschlossen die Kehle
Zu mit dem Strick. Mitleidig erlöst die Hangende Pallas:
»Lebe denn« – sagte sie – »fort, doch ständig, du Frevlerin, hange,
Und dies selbe Gericht, daß nicht dich getröste die Zukunft,
Sei auch deinem Geschlecht und den spätesten Enkeln gesprochen.«
Und sie besprengt mit dem Saft hekate'ischen Krautes im Weggehn
Jener den Leib, und sofort, wie das traurige Gift sie berührte,
Schwinden die Haare hinweg und die Nase zugleich und die Ohren.
Klein einschrumpfet das Haupt, und klein wird alles am Körper;
Schmächtige Finger bekommt an der Stelle der Beine die Seite;
Sonst ist alles nur Bauch. Aus dem noch sendet sie immer
Fäden und fügt mit Fleiß als Spinne die alten Gewebe.
Durch ganz Ly'dien geht und Phry'giens Städte die Kunde
Solchen Geschicks und erfüllt mit Gerede die Weite der Länder.
Ni'obe hatte gekannt die Gewandelte vor der Vermählung,
Als in Mäo'nien noch am Si'pylus wohnte die Jungfrau.
[9] Doch nicht ward sie gemahnt von der Strafe der Landesgenossin,
Himmlischen nachzustehn und minder vermessen zu reden.
Vieles erweckte den Stolz; doch weder die Künste des Gatten,
Noch ihr beider Geschlecht und die Größe des mächtigen Reiches
Freueten so ihr Gemüt, obwohl das alles sie freute,
Wie der Kinder Besitz, und Ni'obe wäre von allen
Glücklichste Mutter genannt, wenn nicht sie sich selbst es geschienen.
Denn des Tire'sias Kind, die zukunftwissende Ma'nto,
Schritt in den Gassen einher, weil göttlicher Drang sie ergriffen,
Mit dem begeisterten Ruf: »Kommt, all' ihr isme'nischen Weiber,
Bringt der Lato'na zugleich und den beiden Latonagezeugten
Rauch mit frommem Gebet, und das Haar durchflechtet mit Lorbeer.
Solches gebeut Latona durch mich.« Die thebanischen Frauen
Folgen gesamt, und geschmückt mit gebotenem Laube die Schläfe
Bringen sie heiligem Brand Weihrauch und bittende Worte.
Da kommt Niobe her, umringt von der Schar des Gefolges,
Prächtig im phrygischen Kleid, das reich mit Golde durchwirkt war.
Schön, soweit es der Zorn zuließ, und bewegend das schmucke
Haupt mit dem lockigen Haar, das über die Schultern herabfiel,
Stand sie, gehoben das Haupt, und rief, stolz wendend die Blicke:
»Welch ein verblendeter Wahn, den gesehenen Göttern gehörte
Vorzuziehn! Warum ist Latona geehrt an Altären,
Und mir huldigt ihr nicht mit Weihrauch? Mir ist der Zeuger
Ta'ntalus, welcher allein zum Mahl mit den Göttern gesessen.
Nah den Pleja'den verwandt ist die Zeugerin. A'tlas der starke
Ist mein Ahn, der trägt mit dem Nacken die Axe des Äthers.
[10] Jupiter auch ist mein Ahn, und ich rühme mich seiner als Schwähers.
Mich scheut Phrygiens Volk; mir steht zu Gebote des Ka'dmus
Königssitz, und die Mauern, gefügt von den Saiten des Gatten,
Werden beherrscht von mir und dem Mann mit den Stämmen des Landes.
Wohin immer den Blick in den Räumen des Hauses ich wende,
Stellt unendliches Gut sich dar. Auch blühende Schönheit,
Göttinnen ziemend, ist mein, und Jünglinge sieben und Töchter
Gleichviel rechnet dazu und bald Eidame und Schnuren.
Fragt denn nun, ob der Grund zu unserem Stolze berechtigt,
Und dann wagt es und zieht mir vor die Titane Latona,
Die ein Cö'us gezeugt und der die geräumige Erde,
Als in den Nöten sie war, die kärgliche Stätte verweigert.
Himmel und Wasser und Land war euerer Göttin verschlossen,
Und es verstieß sie die Welt, bis der Schweifenden De'los in Mitleid
Zurief: ›Fremd irrst du auf dem Festland, ich in den Wogen!‹
Und ihr bewegliche Statt einräumete. Mutter von zweien
Wurde sie dort: das ist von meinen Geburten ein Siebteil.
Mein ist das Glück, – wer leugnet es wohl? – und glücklich verbleib' ich:
Des auch bin ich gewiß. Mich sichert die Fülle des Segens;
Ich bin höher, als daß Fortu'na vermöchte zu schaden.
[11] Vieles entreiße sie mir, viel mehr doch muß sie mir lassen.
Über die Furcht ist hinaus mein reicher Besitz. Und gesetzt auch,
Einige könnt' ich vielleicht einbüßen vom Heere der Kinder,
Nie doch werd' ich so arm, daß zwei nur blieben, Latona's
Sämtliche Schar. Wie viel sind die wohl besser als keine?
Lasset den heiligen Dienst! Schnell geht und leget den Lorbeer
Ab von dem Haupt!« Sie legen ihn ab und lassen die Feier;
Aber mit stillem Gebet – das dürfen sie – flehn sie zur Gottheit.
Zorn ist der Göttin erregt, und hoch auf dem Gipfel de Cynthus
Trat sie den Zwillingen nah und sprach nachfolgende Worte:
»Ich, die Mutter ihr nennt, die stolz auf eure Geburt ist
Und nur Juno allein, sonst keiner der Göttinnen nachsteht,
Soll nicht Göttin sein, und von immer geehrten Altären
Werd' ich verdrängt, o Kinder, wenn ihr nicht meiner euch annehmt.
Nicht das kränkt mich allein; auch Schmähungen fügte zum Frevel
Tantalus' Tochter hinzu, und unter die eigenen Kinder
Stellte sie euch, und verwaist – das falle zurück auf sie selber –
Nannte sie mich und bewies, die Verruchte, die Zunge des Vaters.«
Bitten mit diesem Bericht noch wollte vereinen Latona.
»Laß« – sprach Phöbus – »Verzug nur brächte der Strafe die Klage.«
Phöbe stimmet ihm bei; und in schleunigem Flug durch die Lüfte
Hatten, in Wolken gehüllt, sie erreicht die kadmei'sche Feste.
Weithin dehnte sich aus an den Mauern ein offenes Blachfeld,
Fort und fort von den Rossen gestampft, wo der Räder Getümmel
Und der zermalmende Huf daliegende Schollen gelockert.
Mutige Rosse besteigt von den sieben Erzeugten Amphions
Dort ein Teil, und von tyrischem Stoff rotglänzenden Rücken
Sitzen sie auf und lenken von Gold schwer wiegende Zügel.
Jetzt, wie einer davon, den einst als früheste Bürde
Niobe trug, Isme'nos, den Lauf des trabenden Tieres
Hielt im gemessenen Kreis und das schäumende Maul ihm bezähmte,
[12] Rief er: »Wehe mir!« aus und trug in der Mitte des Busens
Haftenden Pfeil, und aus sterbender Hand loslassend die Zügel
Sank er vom Bug rechtshin allmählich hinab auf die Seite.
Si'pylus, diesem zunächst, der hörte das Klirren des Köchers,
Floh, die Zügel verhängt, wie der Steuerer, ahnend das Wetter,
Flieht, wenn er schaut das Gewölk und alle die hangenden Linnen
Läßt von den Raaen herab, auf daß kein Lüftchen entschlüpfe.
Aber der Jagende ward von dem unvermeidlichen Pfeile
Dennoch erreicht, und zitternd am Schaft saß oben im Nacken
Fest das Geschoß, und nackt stand vor aus der Kehle das Eisen.
Vorgeneigt, wie er war, stürzt über die Mähn' am gestreckten
Hals er hinab und befleckt mit rauchendem Blute die Erde.
Tantalus, der von dem Ahn den Namen geerbt, und der arme
Phä'dimus hatten gerad', einstellend bisherige Übung,
Sich zu der Jünglinge Lust, zum glänzenden Ringen gewendet,
Und schon hielten sie sich und rangen in enger Umschlingung,
Brust anstemmend an Brust, als, sausend vom schnellenden Strange,
So wie sie waren verschränkt, ein Pfeil durchbohrte die beiden.
Beide stöhnten zugleich; die im Schmerz sich windenden Glieder
Ließen sie sinken zugleich und verdrehten, gestreckt an den Boden,
Sterbend die Augen zugleich und verhauchten die Seele gemeinsam.
Diese gewahrt Alphe'nor, und wund sich schlagend den Busen
Eilt er hinzu, im Umfahn die erkalteten Glieder zu heben.
Er auch fällt bei dem liebenden Dienst; denn der delische Jüngling
Bohrt in die innerste Brust ihm das unheilschwangere Eisen.
Mit dem entzogenen geht ein Stück von der Lunge, am Haken
Haftend, heraus, und das Blut strömt aus in die Luft mit dem Leben.
Doch nicht warf in den Staub einmaliger Schuß Damasi'chthon
Wallenden Haars. Ihn traf das Geschoß am beginnenden Schenkel,
Wo sich das sehnige Knie einbiegt zur weichen Vertiefung.
Während herauszuziehn er versucht die verderbliche Waffe,
Dringt ihm ein anderer Pfeil in den Hals bis an das Gefieder.
[13] Wieder hinaus stößt diesen das Blut, und im treibenden Sprudel
Spritzt es empor und zerteilt weithin mit dem Strahle die Lüfte.
Der noch übrig allein, Ili'oneus streckte die Arme
Flehend umsonst und rief: »O, all ihr Götter gemeinsam«, –
Wußt' er doch nicht, daß Gebet nicht wäre von nöten zu allen –
»Schonung!« Gerührt war jetzt, da er längst nicht konnte das Eisen
Hemmen, der schießende Gott; doch litt von gelindester Wunde
Jener den Tod, denn es schnitt in das Herz nur wenig die Spitze.
Jammer des Volks und Gerücht von dem Leid und der Ihrigen Thränen
Brachten vom plötzlichen Fall bald sichere Kunde der Mutter,
Und sie erstaunt, daß solches vermocht die Götter, und eifert,
Daß sie es hätten gewagt, daß soviel Recht sie besäßen.
Denn der Gemahl Amphion, die Brust durchstoßen vom Stahle,
Hatte verscheidend zugleich mit dem Leben geendet die Trauer.
Wie war Niobe jetzt der andern Niobe ungleich,
Die noch eben das Volk wegtrieb von Latona's Altären
Und in der Mitte der Stadt mit erhobenem Nacken einherschritt,
Weckend der Ihrigen Neid, nun mitleidswürdig dem Feinde.
Über die Leichname wirft sie sich hin, und ohne zu wählen
Spendet sie Küss' umher an alle die Söhne zum Abschied.
Dann zum Himmel gestreckt die geröteten Arme beginnt sie:
»Weide dich nun an unserem Schmerz, grausame Latona;
Labe das harte Gemüt! Ich werde getragen in sieben
Leichen zu Grab. Frohlock' und jauchze, du siegende Feindin.
Doch wie, Siegerin du? Mir bleibt mehr übrig im Elend,
Als dein eigen im Glück. Nach soviel Leichen noch sieg' ich.«
Niobe sprach's. Da tönt am gespanneten Bogen die Sehne,
Daß jedweder erbebt, nur Niobe nicht, vor Entsetzen.
Unglück hat sie gestählt. In schwarze Gewänder gekleidet
Standen mit hangendem Haar an den Bahren der Brüder die Schwestern.
[14] Eine davon, ausziehend den Pfeil, der stak im Geweide,
Starb verblutend dahin, auf den Bruder gesenkt mit dem Antlitz.
Eine, zu trösten bemüht die unglückselige Mutter,
War urplötzlich verstummt, und gekrümmt von verborgener Wunde
Hielt sie die Lippen gepreßt, bis daß ihr entflohen der Atem.
Fliehend umsonst sank diese dahin; auf der Schwester verhauchte
Jene den Geist; die hält sich versteckt; die irrt in Verzweiflung.
Sechs nun litten den Tod, an verschiedenen Wunden erlegen;
Nur die Letzte verblieb, die ganz mit dem Leibe die Mutter,
Ganz mit dem Kleide bedeckt. »O, laß mir die eine, die jüngste!« –
Ruft sie – »Eine ja nur von den Vielen, die jüngste begehr' ich.«
Während sie fleht, sinkt auch die Erflehete. Zwischen den Toten
Saß sie vereinsamt da, bei dem Mann, den Söhnen und Töchtern
Und ward starr von dem Weh. Kein Haar regt wehender Luftzug;
Blutesberaubt ist bleich das Gesicht; aus traurigen Wangen
Stiert unthätiger Blick. Nichts Lebendes ist an dem Bilde.
Auch die Zunge sogar wird mit dem erharschenden Gaumen
Innen zu Stein, und den Adern gebricht das Vermögen zu schlagen.
Nicht mehr beugt sich der Hals; nicht dreht sich der Arm im Gelenke,
Noch kann schreiten der Fuß, und Gestein auch sind die Geweide.
Doch hat Thränen sie noch, und ein Wirbel gewaltigen Sturmes
Reißt sie zum Heimatland. Dort, fest auf dem Gipfel des Berges,
Steht sie und ringt und Zähren verströmt noch heute der Marmor.
Da nun fürchten gesamt so Männer wie Frauen der Gottheit
[15] Sichtbar rächenden Zorn, und eifriger dienend verehren
Alle die göttliche Macht der Zwillingsmutter Latona.
Und, wie es geht, man kommt von dem Neuen auf Altes zu sprechen.
Einer von ihnen beginnt: »In des fruchtbaren Lykiens Äckern
Trotzeten auch vordem nicht straflos Bauern der Göttin.
Zwar ist's wenig bekannt ob des niedrigen Standes der Männer,
Doch merkwürdig genug. Selbst sah ich den See und die Stätte,
Wo sich das Wunder begab. Mir hatte der Vater befohlen,
Schon zu alt und zum Weg untüchtig, erlesene Rinder
Herzuholen von dort, und mir als Führer gegeben
Einen vom Lykiervolk. Als wir durchschritten die Triften,
Sieh, da stand inmitten des Sees, von der Asche der Opfer
Schwarz, ein alter Altar, umgeben von schwankendem Rohre.
Stehn blieb jener und sprach: ›Sei gnädig!‹ mit scheuem Geflüster,
Und ich sprach es ihm nach: ›Sei gnädig!‹ mit gleichem Geflüster.
Ob den Naja'den der Herd, ob Fau'nus gehörete, fragt' ich,
Ob einheimischem Gott, und also versetzte der Fremde:
›Diesen Altar hat nicht, o Jüngling, inne ein Berggott:
Für sie steht er erhöht, der Juno die Königin weiland
Untersagte die Welt, der Zuflucht kaum auf der Irrfahrt
Delos die irrende gab, als leicht noch die Insel umherschwamm.
Dort kam endlich, gestemmt an der Pallas Baum und die Palme,
Der Stiefmutter zum Trotz mit Zwillingen nieder Lato'na.
Aber von dort auch floh vor Juno die Wöchnerin, sagt man,
Während sie trug an der Brust die beiden unsterblichen Kinder.«
[16] Lykiens Fluren betrat, das Land der Chimä'ra, die Göttin,
Matt von der langen Beschwerde: sie lechzte, da drückende Sonne
Sengte das Feld, vor Durst von der dörrenden Glut des Gestirnes,
Und leer hatten die Brust ihr gesogen die hungrigen Kinder.
Sieh, da zeigt sich dem Blick mit mäßigem Wasser ein Weiher
Unten im Thal. Dort sammelten ein Landleute mit Binsen
Buschiges Weidengesträuch und sumpfanwohnendes Schilfrohr.
Dahin lenkte den Schritt die Titane und beugte zur Erde
Nieder das Knie, zum Trunk sich kühlende Wellen zu schöpfen.
Aber das Landvolk wehrt. Zu den Wehrenden redet die Göttin:
»Wasser verweigert ihr mir? Zu aller Gebrauch ist das Wasser.
Sonne und Luft schuf nicht die Natur zu besondrem Besitze,
Noch das flüssige Naß. Ich kam zum gemeinsamen Gute.
Dennoch fleh' ich zu euch: O gebt es mir! Nicht ja gedacht' ich
Hier zu spülen den Leib und die abgematteten Glieder,
Sondern zu löschen den Durst. Dem Mund fehlt Feuchte zum Reden;
Trocken ist Gaumen und Schlund, und kaum ist Weg für die Stimme.
Trunk wird Nektar mir sein, und daß ich das Leben empfangen,
Werd' ich bekennen mit Dank. Ihr gebt mir im Wasser das Leben.
Sie auch rühren euch wohl, die an meinem Busen die Ärmchen
Halten gestreckt.« Und gerad' ausstreckten die Arme die Kleinen.
Wen nicht hätten gerührt die dringlichsten Bitten der Göttin?
Aber der Haufe beharrt bei der Weigerung; scheltende Worte
Fügen sie zu und drohn, wenn nicht sie hinweg sich begebe.
Solches genügt noch nicht: sie machen mit Händen und Füßen
Trübe den See auch selbst, und mit Bosheit übenden Sprüngen
Wühlen sie hier und dort aus dem Grunde den weichen Morast auf.
Durst wich nun vor dem Zorn. Nicht flehte die Tochter des Cö'us
Mehr die Verworfenen an, und unter der Würde der Göttin
Redete länger sie nicht. Zu den Sternen gehoben die Hände
Sagte sie: »Lebt denn hier für ewige Zeit in der Lache!«
[17] Und es geschah, wie die Göttin gewünscht. Im Wasser zu weilen
Freut sie und bald mit dem Leib ganz unterzutauchen im Sumpfe,
Jetzo hervorzustrecken das Haupt, bald oben zu schwimmen,
Oft an dem Ufer des Teichs zu sitzen und oft in die kalte
Lache zurückzuspringen in Hast. Schmähsüchtige Zungen
Üben sie jetzt auch noch und schreien mit schamloser Frechheit;
Ob auch Wasser sie deckt, keck zanken und keifen sie immer.
Heiser erschallt ihr Ruf, und es schwillt der geblähete Hals auf;
Ihr weitoffenes Maul dehnt Lästerung noch in die Weite.
Schulter berührt sich und Kopf, und der Hals scheint mitten zu fehlen.
Grün ist der Rücken und weiß der Bauch, an dem Leibe das Größte,
Und so hüpfen sie nun als Frösch' im schlammigen Wasser.
Als das endliche Los der Leute vom lykischen Volke
Also einer erzählt, da gedenkt ein and'rer des Sa'tyrs,
Der, auf tritonischem Rohr dem Sproß der Lato'na erlegen,
Züchtigung litt. »Warum entziehst du mich« – schrie er – »mir selber?
[18] Ach, mich gereut's! Soviel ist ja nicht an der Flöte gelegen.«
Während er schreit, ist die Haut ihm über die Glieder gezogen.
Wunden bedecken ihn ganz, und das Blut strömt über und über.
Offen und bloß sind die Nerven zu sehn; die zuckenden Adern
Schlagen, der Hülle beraubt, und die wallend bewegten Geweide
Konnte man zählen genau und der Brust durchscheinende Fasern.
Thränen vergossen des Hains Gottheiten, die ländlichen Faune,
Satyrn, die Brüder, um ihn und der schon ruhmreiche Oly'mpus
Samt dem Nymphengeschlecht, und wer nur dort im Gebirge
Weidete wolliges Vieh und hörnergewaffnete Rinder.
Aber das fruchtbare Land ward feucht, und die fallenden Thränen
Sog es hinab und schlürfte sie ein in die untersten Adern.
Dort ward Wasser daraus; das quoll an die ledigen Lüfte;
Dann zu dem stürmischen Meer hinstrebend in hangenden Ufern
Heißt es der Ma'rsyasfluß, von den phrygischen Strömen der klarste.
Gläubig vernahm es das Volk; dann kehrt man zum nahen Begebnis
Wieder und klagt um den Fall Amphions und seines Geschlechtes.
Niobe nur trifft Haß. Auch jetzt noch ward sie von einem,
Sagt man, von Pe'lops beweint, der, als er das Kleid von dem Busen
[19] Wegzog, Elfenbein ließ sehn an der linken der Schultern.
Die war früher zur Zeit der Geburt gleichfarbig der rechten
Schulter und auch von Fleisch. Bald, heißt es, zerstückt von dem Vater,
Wurden die Glieder vereint von den Göttern, und alles das andre
Fanden sie, aber das Stück, das zwischen dem Arm und dem Halse,
Fehlete. Elfenbein ward an des verlorenen Teiles
Stelle gesetzt und also ergänzt der verjüngete Pelops.
Edele kamen zu ihm ringsher, und die Städte der Nähe
Baten, mit Troste zu nah'n dem Trauernden, ihre Gebieter:
A'rgos und Spa'rta zugleich mit dem Pelopssitze Myce'nä,
Ca'lydon, die noch nicht von der grimmen Dia'na gehaßt war,
Auch Orcho'menos reich an Frucht und die starke Messe'ne,
Pa'trä, Cori'nthus berühmt durch Erz, und die kleine Cleo'nä,
[20] Py'los des Ne'leus Stadt, noch nicht Pitthe'isch Tröze'ne,
Alle, die sonst abschließet das Doppelgestade des Isthmus.
Oder die außen erblickt das Doppelgestade des Isthmus.
Doch wer hätt' es gedacht? Du nur warst säumig, Athe'nä.
Krieg hielt ab von dem schuldigen Dienst. Auf dem Meere gekommen
Setzte barbarisches Volk in Schreck die mopso'pischen Mauern;
Te'reus aber, der Fürst der Thraker, mit helfenden Waffen
Trieb sie hinweg und gewann durch den Sieg hochglänzenden Namen.
Ihn, der reich an Gebiet und Mannen vom großen Gradi'vus
Selber das starke Geschlecht herleitete, wählte zum Eidam
König Pandi'on und gab ihm Pro'cne. Doch nicht Hymenä'us,
Ju'no die ehliche nicht, noch die Grazie stand bei dem Lager:
Furien hielten vom Brand der Bestattung genommene Fackeln,
Furien richteten zu das Bett. Ein verrufener Uhu
Hockt' auf dem Dach und saß auf dem Giebel der bräutlichen Kammer.
Schrecknis dräute beim Fest, das Procne vereint mit Tereus;
Schrecknis dräut', als Mutter sie ward. Glück wünschete freilich
Thrakiens Volk, und sie selbst auch dankten den Göttern und hießen
Festlich begehen den Tag, da die Tochter des Königs Pandion
Freite der mächtige Fürst, und jenen, da I'tys geboren.
Also ruhet in Nacht, was frommt. Schon war vom Titanen
[21] Durch fünf Herbste geführt die Zeit des erneuerten Jahres,
Als mit bittendem Mund dem Gemahl so schmeichelte Procne:
»Hast du mich lieb, laß mich entweder besuchen die Schwester,
Oder sie komme zu mir. In kurzem, versprichst du dem Schwäher,
Kehre sie wieder zurück. Vergönnst du die Schwester zu schauen,
Dank' ich es dir wie ein Göttergeschenk.« Er gebeut in die Meerflut
Niederzuziehen den Kiel und fährt mit Segel und Ruder
In die Cecro'pische Bucht und berührt die piräische Küste.
Als er zum Schwäher gelangt, fügt sich in die Rechte die Rechte,
Und das Gespräch hebt an, und auf Glück schien alles zu deuten.
Kaum erst hatte den Grund des Besuchs und der Gattin Begehren
Jener gesagt und gelobt der Gesendeten baldige Heimkehr:
Sieh' da kommt glanzreich in prächtigem Schmuck Philome'la,
Reicher an Schönheit noch, so wie zu vernehmen wir pflegen,
Daß sich Naja'den ergehn und Drya'den in Mitte der Wälder,
Wenn nur ähnliche Tracht und Schmuck du ihnen verleihest.
Wie er die Jungfrau sieht, brennt Tereus ähnlich im Innern,
Wie wenn einer vielleicht anzündete gelbliche Ähren
Oder getrocknetes Laub und Heu auf dem Boden verbrennte.
Lockend ist schon die Gestalt. Doch angeborne Begierde
Stachelt ihn auch; denn geneigt ist das Volk zum Dienste der Ve'nus
Dort in dem Land. Durch Hang des Stamms und durch eigenen glüht er.
Reg' ist gleich der Entschluß zu bestechen die Hut der Begleiter
Und der Erzieherin Treu' und die Jungfrau selbst zu gewinnen
Durch unendliches Gut und sogar sein Reich zu vergeben
Oder zu rauben das Weib und im trotzigen Krieg zu behaupten.
Nichts ist, was er, gedrängt von dem zügellosen Verlangen,
Scheuete; Raum hat nicht in der Brust die verschlossene Flamme.
Schwer schon fällt ihm Verzug, und er kommt mit begehrlichem Munde
[22] Wieder auf Procne's Wunsch und betreibt für jene den eignen.
Sehnsucht macht ihn beredt, und so oft er drängte mit Bitten
Über Gebühr, gab immer er vor, so wolle es Procne.
Thränen vergoß er dazu, als heischt' auch diese der Auftrag.
O, ihr Götter, wie blind hält sterbliche Herzen befangen
Finstere Nacht! Da Frevel allein er sinnet, erscheinet
Tereus bieder und treu und gewinnet noch Lob von der Arglist.
Selber begehrt Philomela es auch; um die Schultern des Vaters
Schlinget sie zärtlich den Arm und bittet ihn dringend bei ihrem
Heil und gegen ihr Heil, daß sie dürfe besuchen die Schwester.
Tereus schauet sie an und schwelgt mit Blicken im voraus,
Und wie die Küsse er sieht und die Arme geschmiegt um den Nacken,
Wird das alles für ihn wie Stachel und Zunder und Nahrung
Liebender Wut, und so oft Philomela umarmte den Vater,
Wünscht' er der Vater zu sein, denn so auch sänn' er Verruchtes.
Einigen Bitten der Zwei willfahrt der Erzeuger, und freudig
Sagte die Tochter ihm Dank und wähnte, die Arme, gelungen
Ihr und der Schwester zum Heil, was beiden sich wandte zum Unheil.
Schon war wenige Müh' noch übrig dem Sol, und die Rosse
Stampften mit kräftigem Hufe die Bahn am geneigten Oly'mpus.
Königlich steht auf den Tischen das Mahl, und die Gabe des Bacchus
Blinket in Gold; dann gibt man die Glieder dem friedlichen Schlummer.
Doch der odry'sische Fürst, obwohl allein im Gemache,
Lodert für sie, und Gesicht und Bewegung und Hände sich denkend
Bildet er, was noch nicht er gesehn, nach Gefallen und nähret
Selber die brennende Lust, da den Schlaf wegscheuchte die Sorge.
Tag war's. Jetzo empfahl Pandi'on dem scheidenden Eidam,
Herzlich ihm drückend die Hand, die Gefährtin mit quellenden Thränen:
»Diese, mein teuerer Sohn, da mich zwingt nachgebende Liebe,
Da sie beid' es gewollt, du, Tereus, auch es gewollt hast,
Geb' ich dir mit. Bei Treu' und Verwandtschaft und bei den Göttern
Bitt' ich flehentlich dich: wie ein Vater beschütze sie liebreich,
Und, die der süßeste Trost für mich im bekümmerten Alter,
Schicke sie baldigst zurück – lang wird uns jeder Verzug sein.
Du auch kehre mir bald, – denn genug, daß fern ist die Schwester –
[23] Wenn du irgend mich liebst, bald kehre zurück, Philomela!«
Also mahnte der Greis und bedeckte mit Küssen die Tochter,
Und mild rannen herab bei dem Auftrag reichliche Thränen.
Dann von beiden verlangt' er zum Pfande der Treue die Rechte,
Nahm und fügete sie in einander und hieß in der Ferne
Grüßen die Tochter von ihm und den Enkel gedenksamen Mundes.
Scheidend sprach er mit Müh: »Leb' wohl!« da Schluchzen die Stimme
Drängte zurück, und erschrak vor den Ahnungen seines Gemütes.
Als Philomela den Bord des bemaleten Schiffes bestiegen,
Und durch Rudern das Meer nah kam, und die Küste zurückwich,
Rief der Barbar: »Wir haben gesiegt: mit fährt die Ersehnte!«
So frohlockt er und kann dem Gelüst kaum länger verschieben
Seinen Genuß und verwendet von ihr nun nimmer das Auge:
Ähnlicher Art, wie wenn mit den Krallen der raubende Vogel
Jupiters niedergesetzt im erhabenen Horste den Hasen –
Nirgends ist möglich die Flucht, und die Beute betrachtet der Räuber.
Nun war zu Ende die Fahrt, und sie waren gestiegen vom müden
Kiel an den heimischen Strand; da bringt zum entlegenen Hofe
Mitten im düsteren Wald Pandions Tochter der König.
Dort, wie sie zagend erblaßt und zittert und alles befürchtet
Und schon fragt, wo die Schwester denn sei, mit rinnenden Zähren,
Schließt er sie ein und verstellt sich nicht und bewältigt die Jungfrau,
Wie sie allein, ob auch zum öfteren jene den Vater
Rief und die Schwester umsonst und zumeist die waltenden Götter.
Siehe, sie bebt wie ein ängstliches Lamm, das wund aus des Wolfes
Grimmigem Rachen befreit noch nicht sich sicher bedünket,
Und wie die Taube, benetzt am Gefieder vom eigenen Blute,
Noch sich entsetzt und bangt vor den Krallen, darin sie verstrickt war.
Bald, wie Besinnung gekehrt, zerrauft sie das fliegende Haupthaar
Nach Leidtragender Art und schlägt wehklagend die Arme,
Streckt die Hände empor und ruft: »Ha, gräßliche Schandthat!«
[24] Ha grausamer Barbar! Nicht konnte des Vaters Ermahnung,
Die er mit Thränen dir gab, noch Sorge der Schwester dich rühren,
Noch die ehliche Pflicht, noch auch jungfräuliche Reinheit!
Du hast alles verstört. Mitbuhlerin ward ich der Schwester,
Du zwiefacher Gemahl, daß Procne Feindin mir sein muß.
Nimm dies Leben mir auch, auf daß, Treuloser, dir bleibe
Nicht Ruchloses zu thun! O, hättest du vor der Entehrung
Schon es gethan! Frei wäre von Schuld dort unten mein Schatten.
Wenn die Götter jedoch dies schau'n, wenn göttliches Walten
Irgend besteht, wenn nicht mit mir nun alles vorbei ist,
Büßest du mir, wann immer es sei. Selbst will ich verkünden,
Ohne zu achten der Scham, wie du freveltest. So es nur möglich,
Tret' ich unter das Volk, und bleib' ich umschlossen vom Walde,
Will ich erfüllen den Wald und bewegen die wissenden Felsen,
Daß es der Äther vernimmt und wenn irgend ein Gott in dem Äther.‹
Als darob sich geregt in dem wilden Tyrannen der Jähzorn
Und nicht minder die Furcht, da macht er, gestachelt durch beides,
Frei von der Scheide das Schwert, das er trug vom Gurte gehalten,
Und sie ergreifend am Haar und zurück ihr beugend die Arme,
Zwängt er in Banden sie ein. Darreichte den Hals Philomela,
Die vom gesehenen Schwert den Tod zu empfangen vermeinte;
Aber wie fort und fort sie entrüstet den Namen des Vaters
Ruft und zu reden sich müht, hat weg mit dem Schwert er die Zunge,
Die mit der Zang' er gepackt. Schnell zucket die Wurzel der Zunge;
Aber sie selbst liegt zitternd und lallt zur dunkeln Erde;
Wie sich hüpfend beweget der Schwanz der zerhauenen Natter,
Zappelt sie noch und sucht hinsterbend der Eignerin Spuren.
[25] Auch nach der schändlichen That – kaum kann ich es glauben – erzählt man,
Hab' er die Lust noch öfter gebüßt am verstümmelten Körper.
Heimzukehren vermag er nach solchem Beginnen zu Procne.
Die fragt, wie den Gemahl sie erblickt, nach der Schwester, und jener
Seuft in geheucheltem Schmerz und erzählt ihr erlogenes Ende.
Glauben gewann durch Thränen das Wort. Da reißt von den Schultern
Procne herab ihr Kleid, das glänzte von goldenen Streifen,
Hüllt sich in schwarzes Gewand und errichtet ein lediges Grabmal
Und bringt Sühnungen dar den erdichteten Manen und trauert
Um der Schwester Geschick, die so nicht war zu betrauern.
Sol, vollendend das Jahr, war durch zwölf Zeichen gegangen.
Was soll thun Philomela? Die Flucht ist versperrt von der Wache;
Fest aus Steinen gefügt stehn starr die Mauern des Hofes;
Stumm ist der Mund und versagt Anzeige der That. Doch im Schmerze
Wird sinnreich der Verstand und erfinderisch machen die Leiden.
Aufzug spannte sie schlau an den Baum des barbarischen Webstuhls.
Und in das weiße Geweb' einfügte sie purpurne Züge,
Kund zu geben den Greul. Dann gab sie vollendet es einer,
Die mit Gebärden sie bat, es der Herrin zu bringen. Zu Procne
Trägt sie's, wie ihr Begehr, und weiß nicht, was sie ihr bringe.
Jetzt entfaltet den Stoff des grausen Tyrannen Gemahlin,
Und sie gewahrt und liest die erschreckliche Kunde der Schwester,
Und – wer hielt' es für möglich? – sie schweigt. Schmerz schloß ihr die Lippen;
Worte, genügend dem Grimm, kann nicht auffinden die Zunge;
Auch ist der Lauf den Thränen versagt, und sie rast mit dem Unrecht
[26] Blind zu verwirren das Recht, und lebt in Gedanken der Rache.
Grade genaht war die Zeit, wo sitho'nische Frauen des Ba'cchus
Dreijahrfeier begehn. Die Nacht ist Vertraute des Festes.
Nachts hallt Rho'dope rings vom Geklirr helltönigen Erzes;
Nachts entschreitet dem Hause die Königin, und sie bequemt sich
Ganz dem göttlichen Brauch und empfängt die tollen Geräte.
Weinlaub deckt ihr das Haupt; ein übergeworfenes Hirschfell
Hängt von der Linken herab, und der Stab ruht leicht auf der Schulter.
Mit dem begleitenden Schwarm rennt Procne in schrecklicher Wildheit
Durch die Wälder einher, und von Wut des Schmerzes getrieben
Heuchelt sie bacchische Wut. Zu dem einsam liegenden Hofe
Kommt sie zuletzt, heult auf, schreit Euhö! bricht durch die Thüre,
Reißt die Schwester hinweg und stattet sie aus mit des Bacchus
Festlicher Tracht und verbirgt ihr mit Epheuranken das Antlitz
Und zieht fort mit sich die Betäubte zu ihren Gemächern.
Als Philomela gemerkt, daß sie war in der ruchlosen Wohnung,
Bebet die Arme vor Schreck und erblaßt' im ganzen Gesichte.
Procne, zur Stelle gelangt, nimmt ab die Zeichen der Weihe,
Und sie enthüllt das verschämte Gesicht der duldenden Schwester
Und will nun sie umfah'n. Doch nicht wagt jene die Blicke
Aufzuschlagen nach ihr, Mitbuhle der Schwester sich dünkend.
Wie sie, das Auge gesenkt, als Zeugen die Götter zu rufen
Und zu schwören gedenkt, daß Schimpf sie erlitten gewaltsam,
War an der Statt der Stimme die Hand. Da brennt im Gemüte
Procne und hat nicht Raum für den Zorn, und das Weinen der Schwester
Schilt sie und spricht: ›Hier dürfen wir nicht Rat suchen in Thränen,
Sondern im Stahl, und wenn eines du weißt, das über den Stahl noch
[27] Ginge. Zu jeglicher That bin ich, o Schwester, entschlossen:
Sei's nun, daß ich das Haus des Königs verbrenne mit Fackeln
Und in die Glut ihn werfe hinein, den tückischen Tereus,
Oder mit schneidendem Stahl ihm die Zung' ausreiße, die Augen,
Oder das Glied, das dich entehrete, oder mit tausend
Wunden den schuldigen Geist austreib'. Ein Großes beginn' ich,
Was nur, weiß ich noch nicht.‹ Indes so redete Procne,
Nahte ihr I'tys, der Sohn. Der ward ihr plötzliche Mahnung,
Was sie vermöge zu thun, und mit grimmigem Blick ihn betrachtend,
Sagte sie: ›Ha, wie dem Vater du gleichst!‹ Nicht Weiteres redend
Sinnet sie gräßliche That und wallt von verschwiegenem Zorne.
Doch als näher der Sohn ihr trat und die Mutter begrüßte
Und liebkosend den Hals zu sich mit den Ärmchen herabzog
Und mit Küssen zugleich sein kindliches Schmeicheln vereinte,
Wurde die Mutter bewegt, und es ruhte gebrochen die Rachsucht,
Und von Thränen benetzt ward unwillkürlich ihr Auge.
Aber sobald ihr Herz durch allzu zärtliche Liebe
Wanken sie fühlt, kehrt wieder von ihm zur Schwester sich Procne;
Dann mit wechselndem Blick hinschauend auf beide beginnt sie:
›Warum schmeichelt der ein' und schweiget die andere sprachlos?
Da er Mutter mich nennt, was nennt nicht jene mich Schwester?
Sieh, wer dich als Gemahl heimführete, Tochter Pandions!
Fällst du von Art? Greul ist es, den Gatten zu lieben in Tereus.‹
Ohne Verzug schleppt Itys sie fort, wie ein Tiger am Ga'nges
Schleppt durch schattigen Wald das saugende Junge der Hindin.
Als sie gelangt zum entlegenen Teil des stattlichen Hauses,
Stößt ihm, während die Händ' ausstreckend und ahnend sein Schicksal
›Mutter, ach Mutter!‹ er rief und den Hals ihr wollte umfassen,
Procne das Schwert in den Leib, wo die Brust sich schließt an die Seite,
Ohne zu wenden den Blick. Ihm war zum Tode die eine
Wunde genug; in den Hals nun sticht Philomela das Eisen,
[28] Und sie zerstücken den Leib, der warm noch war und des Lebens
Noch nicht völlig beraubt. Ein Teil wallt kochend im Kessel;
Anderes zischet am Spieß. Das Gemach ist feucht von dem Blute.
Zu so scheußlichem Mahl ruft Procne den arglosen Gatten.
Heiligen Dienst, von den Vätern vererbt, vorschützend, wobei nur
Zutritt habe der Mann, wies Diener sie fort und Begleiter.
Tereus aber, erhöht auf dem stattlichen Sessel der Ahnen,
Schmaust mit Behagen und häuft sein Fleisch in den eigenen Magen,
Und so blind ist der Geist: ›Her bringet mir‹ – sagt er – ›den Itys.‹
Procne vermag nicht mehr zu verhehlen die grausame Freude,
Und von dem Wunsche gedrängt, ihr eigenes Leid zu verkünden,
Sagte sie: ›Drinnen ist, was du verlangst.‹ Um schaute sich Tereus
Und fragt, wo er denn sei? Wie er fragt und wieder ihn rufet,
Springt Philomela hervor, wie sie war, bluttriefend das Haupthaar
Von dem entsetzlichen Mord, und wirft dem Erzeuger ins Antlitz
Itys' blutiges Haupt, und niemals hätte sie lieber
Sprache gehabt und die Freude bezeugt durch würdige Worte.
Da stößt weg laut schreiend den Tisch der thrakische König,
Ruft aus dem sty'gischen Thal die schlangenumringelten Schwestern
Und ist bemüht, womöglich, hervor aus geöffnetem Schlunde
Wieder das gräßliche Mahl, die gewürgeten Stücke, zu drängen, –
Oder er weint und nennt sich das traurige Grab des Erzeugten;
Jetzt mit gezogenem Schwert verfolgt er die Töchter Pandions.
Fittige schienen empor die Cecropischen Weiber zu heben;
Fittige hoben sie auch. In den Wald flieht eine; die andre
Birgt sich unter dem Dach. Noch sind von dem Morde die Spuren
Nicht verwischt an der Brust, und Blut fleckt noch das Gefieder.
Jener, von heftigem Schmerz und von Sucht nach Rache beflügelt,
[29] Nimmt des Vogels Gestalt, dem hoch auf dem Scheitel ein Busch steht.
Über die Maßen gedehnt ragt ähnlich dem Schwerte der Schnabel.
Wiedhopf ist er genannt. Sein Haupt sieht aus wie gewaffnet.
Vor dem Tage bereits und dem Ziel langwierigen Alters
Sandte der Gram Pandion hinab zu des Ta'rtarus Schatten.
Scepter und Herrschergewalt im Staate gewinnet Ere'chtheus,
Gleich durch rechtlichen Sinn und kräftige Waffen gewaltig.
Vier vom Männergeschlecht und Jungfrau'n ebensoviele
Hatt' er gezeugt; doch gleich war nur bei zwoen die Schönheit.
Davon hatte beglückt den Ce'phalus, Ä'olus' Enkel,
Pro'cris; vor Bo'reas warnt des Tereus That und die Thraker.
Lang' entbehrte der Gott die erkorene Orithyi'a,
Während er warb und statt der Gewalt erst Bitten versuchte.
[30] Doch da göttliches Wort nichts fruchtete, tobt' er im Zorne,
Wie er gewohnt und nur zu eigen dem nordischen Winde:
›Recht so!‹ – sprach er – ›warum auch ließen wir unsere Waffen,
Ungestüm und Gewalt und den Grimm und das dräuende Schnauben?
Warum wendet' ich mich zu schlecht mir ziemenden Bitten?
Mir ist gerecht die Gewalt. Mit Gewalt fortjag' ich die Wolken,
Rühr' ich die Fluten empor und stürze die knorrigen Eichen,
Härte den flockigen Schnee und schlage mit Hagel die Erde.
Wenn ich die Brüder erreicht in den Räumen des offenen Himmels, –
Das ist eben mein Feld – dann ring' ich mit wuchtiger Stärke,
Daß von unserem Prall laut dröhnt in der Mitte der Äther,
Und von dem Stoß aus hohlem Gewölk das Feuer hervorspringt.
Wenn ich in hohles Geklüft mich unter die Erde begebe
Und mit dem Rücken im Trotz an die untersten Höhlen mich stemme,
Störe die Manen ich auf mit dem Ruck und die sämtlichen Lande.
Also mußt' ich mir auch erwerben die Braut und erzwingen
Hätt' ich sollen, anstatt zu erbitten, den Schwäher Erechtheus.‹
Als so oder gewiß nicht glimpflicher jener geredet,
Setzt er die Flügel in Schwung, und rings von dem mächtigen Schlage
Spüret die Erde das Weh'n, und weit aufschauert die Meerflut.
Über Gebirg' und Höh'n nachschleifend den staubigen Mantel
Fegt er den Grund, und um die erbebende Orithyia
Schlägt er, in Dunkel gehüllt, voll Liebe die gelblichen Flügel.
Während er flog, entbrannte gefacht noch stärker die Flamme,
Und nicht hielt er zurück auf der Fahrt in Lüften die Zügel,
Bis der Cico'nen Geschlecht und Mauern erreicht der Entführer,
Wo die Aktä'erin ward des frostigen Herrschers Gemahlin
Und bald Zeugerin auch; denn Zwillingssöhne gebar sie,
Die von der Mutter den Leib und Fittige hatten vom Vater.
Doch nicht wuchsen zugleich, wie es heißt, mit dem Körper die Flügel,
Sondern so lange der Bart nicht kam zu dem rötlichen Haupthaar,
[31] War noch Ze'tes der Knab' und Ca'laïs ohne Gefieder.
Bald dann wurde zugleich nach der Weise der Vögel von Federn
Jede der Seiten bedeckt und gebräunt vom Flaume die Wange.
Nun, da die kindliche Zeit vor dem Jünglingsalter gewichen,
Zog mit den Mi'nyern aus das Paar auf dem ersten der Schiffe
Über entlegenste Flut nach dem Vlies mit der strahlenden Wolle.

Siebentes Buch

[32] Siebentes Buch.

Inhalt: Ja'son und Mede'a (Ä'son; Ba'cchus' Ammen; Pe'lias; Verzeichnis von Verwandlungen). Lob des The'seus. Heerfahrt des Mi'nos. Pest auf Ägi'na. Myrmido'nen. Ke'phalis und Pro'kris (der teumessische Fuchs).


Schon mit den Mi'nyern fuhr der paga'sische Kiel durch die Meerflut,

Schon war Phi'neus besucht, der hilflos schleppte das Alter
[33] In stets währender Nacht und verscheucht durch A'quilo's Söhne
Waren die Jungfrauvögel vom Mund des gequäleten Greises,
Und nach mancher Gefahr war unter dem Helden Jason
Endlich die Schar an dem Strom des schlammigen Phasis gelandet.
Wie sie dem Könige nah'n und das Vlies des Phri'xus verlangen,
Und der Beding laut wird, der schreckt mit gefährlichen Proben,
Zündet gewaltige Glut in der Brust der äe'tischen Jungfrau.
Als sie sich lange gesträubt, doch mit dem Verstand die Bethörung
Nicht zu besiegen vermocht, da spricht sie: »Vergebens, Medea,
Wehrest du; irgend ein Gott ist im Weg. Das sicherlich ist es
Oder ein Ähnliches doch wie dies, was Liebe genannt wird.
Warum schienen mir sonst zu hart die Gebote des Vaters?
Sind sie doch auch zu hart. Was ängstigt mich dessen Verderben,
Den kaum erst ich gesehn? Woher so bange Besorgnis?
Aus jungfräulicher Brust wegdränge die lodernde Flamme,
Wenn du, Verblendete, kannst. Ja, könnt' ich, verständiger wär' ich.
Aber mich zwingt die neue Gewalt, und es rät mir die Sehnsucht
Anderes als die Vernunft. Das Bessere seh' und erkenn' ich:
Schlechterem folgt mein Herz. Was hegest du Glut für den Fremdling,
Königstochter, und träumst dir im Sinn fremdländisches Brautbett?
Hier auch wohnt, was Liebe verdient. Sein Leben und Sterben
[34] Steht bei den Göttern allein. Doch leb' er! Dieses er flehen
Darf ich der Lieb' auch bar. Denn wessen ist schuldig Jason?
Wer, der Gefühl noch hegt, nimmt Anteil nicht an Jasons
Alter, Geschlecht und Kraft? Wen muß nicht, fehlte das andre,
Rühren sein Antlitz schon? Mich hat es gerührt im Gemüte.
Helf' ich aber ihm nicht, so behaucht ihn der Rachen der Stiere,
Und mit der eigenen Saat, mit den erdentsprossenen Feinden
Streitet er, oder er fällt dem gefräßigen Drachen zur Beute.
Duldet' ich dies, fürwahr, vom Tiger das Leben zu haben
Müßt' ich gestehn und Eisen und Stahl in dem Herzen zu tragen.
Warum seh' ich ihn nicht gar sterben, am schmählichen Schauspiel
Weidend den Blick? Warum nicht hetz' ich auf jenen die Stiere
Und die entsetzliche Brut des Gefilds und den schlaflosen Drachen?
Götter, bewahrt mich davor! Doch hier nicht gilt es zu beten,
Handeln thut not. So soll ich das Reich des Erzeugers verraten,
Über Gefahr durch mein Bemüh'n soll siegen ein Fremdling,
Daß er, gerettet von mir, dann ohne mich spanne die Segel,
Wähle ein anderes Weib, und zur Strafe verbleibe Medea?
Kann er es thun und ein Weib vor mir sich erwählen mit Undank,
Besser, er leidet den Tod. Doch nicht ist also sein Ansehn,
Sein hochherziger Sinn und des Wuchses gewinnende Schönheit,
Daß mir drohte Betrug und Vergessenheit meines Verdienstes.
Treue gelob' er zuvor, und es sollen die Götter bezeugen
Unseren Bund. Was fürchtest du noch? Auf, rüste dich; banne
Allen Verzug! Dir wird sich immer verdanken Jason.
Mit dir wird er vereint bei festlicher Fackel, und preisen
Werden als Retterin dich in pelasgischen Städten die Mütter.
Also die Schwester zugleich, den Bruder, den Vater, die Götter
Soll ich, das Land der Geburt, entführt von den Winden, verlassen?
Freilich der Vater ist hart und die Heimat ohne Gesittung;
Noch ist der Bruder ein Kind; für mich sind die Wünsche der Schwester;
[35] Innen erfüllt mich der mächtigste Gott. Nicht Großes verlass' ich;
Großes gewinn' ich, den Ruhm der Errettung achi'vischer Jugend,
Kunde von besserem Land und prächtige Städte, von denen
Hier auch kündet der Ruf, und Bildung und Künste des Landes
Und, für den ich zum Tausch gern gäbe, was alles der Erdkreis
Einschließt, Ä'sons Sohn, als dessen Gemahlin ich glücklich
Heiße und Himmlischen lieb und das Haupt zu den Sternen erhebe.
Aber erzählen sie nicht, daß drohende Berge zusammen-
Stoßen inmitten des Meers, das feindlich den Schiffen Chary'bdis
Flut bald schlürft, bald speit, und daß die verschlingende Scy'lla
Bellt im sikulischen Sund, umgürtet von wütenden Hunden?
Ist der Geliebte nur mein, und ruh' ich am Busen Jasons,
Fahr' ich durch Weiten des Meers. Nichts fürcht' ich in seiner Umarmung,
Oder wenn Angst mich erfaßt, so ist's nur Angst um den Gatten.
Gattin nennest du dich, und mit blendendem Namen, Medea.
Hoffst du das schuldige Thun zu beschönigen? Schaue, wie großen
Frevel du sinnst, und fliehe die Schuld, so lang es dir möglich.«
Also sprach sie, und Recht und sittsame Scheu und Gehorsam
Standen ihr nah, und besiegt schon wandte den Rücken Cupi'do.
Zum vieljährigen Herd der Perse'ischen He'kate ging sie,
[36] Welchen ein schattiger Hain und Stille des Waldes versteckte.
Stark war wieder ihr Herz, und es ruhte die Flamme beschwichtigt,
Als den Jason sie schaut und sich hebt das erloschene Feuer.
Rot sind die Wangen gefärbt, und sie glüht im ganzen Gesichte.
Wie oft Nahrung gewinnt von den Winden ein kärglicher Funke,
Der sich glimmend verbarg in der Hülle bedeckender Asche,
Groß dann wächst und gefacht sich erhebt zu der vorigen Stärke:
So auch loderte auf die matt schon sinkende Liebe,
Als sie den Jüngling sah, von den nah erschienenen Reizen.
Schöner als sonst auch war zufällig an eben dem Tage
Ä'sons Sproß. Leicht war zu verzeihen der liebenden Jungfrau.
Ständig an seinem Gesicht, als ob nun erst sie es schaute,
Hängt ihr gefesselter Blick, und nicht ein sterbliches Antlitz
Wähnt die Bethörte zu sehn, und sie kann nicht wenden das Auge.
Jetzt, wie zu reden beginnt und die Rechte ihr fasset der Fremdling
Und um helfenden Rat sie bittet mit schüchterner Stimme
Und ihr die Ehe verheißt, sagt jene mit rinnenden Zähren:
»Wohl erkenn' ich mein Thun, und nicht Unkunde des Rechten,
Liebe verleitet mich nur. Mein Beistand soll dich er retten.
Bist du befreit, dann löse dein Wort.« Bei der dreifachen Göttin
Heiligem Dienst, bei der Macht, die waltete dort in dem Haine,
Bei'm ansehenden Gott, der zeugte den künftigen Schwäher,
Bei dem Gelingen des Werks und der Größe der Wagnisse schwört er.
Jene vertraut und reicht ihm sogleich die bezaubernden Kräuter,
Lehret ihn auch den Gebrauch, und der Held kehrt freudig zur Wohnung.
Drauf nun hatte verscheucht die flimmernden Sterne Auro'ra.
Ringsher strömet das Volk zu dem heiligen Felde des Ma'vors
Und nimmt Stand auf den Höh'n. Der König inmitten der Menge
Sitzt im Purpurgewand mit der Zierde des helfernen Scepters.
Da schnaubt feurigen Hauch aus stählernen Nüstern der Stiere
Paar mit den Füßen von Erz, und berührt von der sprühenden Lohe
[37] Brennet das Gras. Wie laut aufkocht die gefüllete Esse,
Wie wenn mürbe gemacht im irdenen Ofen der Kalkstein,
Glühende Hitze gewinnt durch flüssigen Wassers Besprengung:
So dröhnt innen die Brust von dem Wirbel verschlossener Flammen
Und der entzündete Schlund. Doch kühn tritt ihnen entgegen
Äsons Sohn. Sie wandten ergrimmt nach des Kommenden Antlitz
Ihr furchtbares Gesicht und die eisengewaffneten Hörner,
Stampften das stäubende Feld mit der doppeltgespaltenen Klaue
Und durchdröhnten den Raum mit Qualm ausschnaubendem Brüllen.
Starres Entsetzen erfaßt die Mi'nyer. Ohne zu leiden
Von der entatmeten Glut – so kräftig erweist sich der Zauber –
Nahet er keck und streicht mit der Rechten die hangenden Wampen,
Stellt sie unter das Joch und zwingt sie zu ziehen des Pfluges
Hemmende Last und das wüste Gefild mit dem Eisen zu spalten.
Staunen ergreift die Kolcher umher. Doch die Minyer jauchzen,
Ihm anfeuernd den Mut. Jetzt nimmt er aus ehernem Helme
Schlangenzähne heraus und besät das geackerte Erdreich.
Siehe, der Boden erweicht den Gift einschließenden Samen,
Und es erwächst ein neues Geschlecht aus den keimenden Zähnen.
Gleichwie Menschengestalt annimmt in dem Schoße der Mutter
Und schon innen das Kind zum fertigen Leib sich entwickelt
Und erst völlig gereift an gemeinsame Lüfte hervorgeht:
Also, wenn es gedieh'n in der schwangeren Erde Geweiden,
Steigt ein Mannesgebild hervor aus dem zeugenden Felde,
Und – was staunlicher noch – von Geburt gleich ist er gewaffnet.
Als sie gewahrt, wie die nach dem Haupt des hämo'nischen Jünglings
Alle gedachten den Speer mit der spitzigen Schärfe zu schwingen,
Senkten in zagender Angst so Blick wie Mut die Pelasger.
Auch sie selber erschrak, die vor der Gefahr ihn gesichert.
Wie auf den einen sie sah eindringen die Menge der Feinde,
Wurde sie blaß und saß urplötzlich erkaltet und blutlos.
Daß nicht fehle jedoch des gegebenen Krautes Vermögen,
Murmelt sie helfenden Spruch und schafft mit geheimer Beschwörung.
[38] Einen gewichtigen Stein wirft unter die Feinde Ja'son,
So ablenkend den Streit von sich auf die Kämpfenden selber.
Bald ist das Erdengeschlecht, da einer den anderen mordet,
Niedergestreckt durch inneren Krieg. Die Achiver mit Glückwunsch
Halten den Sieger umfaßt und liegen in heißer Umarmung.
Gern wohl hättest auch du, o Fremde, den Sieger umfangen:
Nicht litt solches die Scham. Und du hättest ihn freudig umfangen;
Aber es hielt dich zurück die besorgliche Scheu vor dem Leumund.
Was dir erlaubt, du freust dich in stillem Entzücken und spendest
Dank dem beschwörenden Spruch und den Zauber verleihenden Mächten.
Noch war übrig, in Schlaf zu zaubern den wachsamen Drachen,
Der sich, dräuend mit Kamm, drei Zungen und hakigen Zähnen,
Lagerte, grausig zu sehn, als Wächter des leuchtenden Goldbaums.
Als er diesen bestreut mit dem Kraut lethä'ischen Saftes
Und drei Male gesagt in Schlaf einlullenden Bannspruch,
Der das tobende Meer, der reißende Ströme besänftigt,
Kommt in die Augen der Schlaf, die nie er befiel, und das Goldvlies
Nimmt der äsonische Held zum Gewinn, und stolz auf die Beute,
Sie, die verhalf zu dem Schatz, mitführend als andere Beute,
Kehrt mit der Gattin heim zum io'lkischen Hafen der Sieger.
Jetzt in Hämo'nien weihn mit den Müttern gealterte Väter
Graben zum Dank, daß die Söhne gekehrt, und es schmilzt in der Flamme
Weihrauch reichlich gehäuft, und mit Gold umzogen die Hörner,
Blutet das Tier, wie gelobt. Doch fehlt bei den Fröhlichen Ä'son,
Der schon nahe dem Tod und vom lastenden Alter geschwächt war.
Da sprach Äsons Sohn: »Du, der ich die Rettung zu danken
Freudig bekenn', o Gattin, obgleich du mir alles gegeben,
Und unglaublich erscheint die Anzahl deiner Verdienste:
Wenn dein Zauber es kann, – und was nicht könnte der Zauber? –
[39] Nimm von den Jahren mir selbst und teile sie zu dem Erzeuger.«
Thränen entrannen dazu. Sie rühret des Bittenden Liebe;
Ihr unähnliches Herz denkt an den verlass'nen Äe'tes,
Doch sie bekennt nicht solches Gefühl. »Wie frevelnd« – versetzt sie –
»Sprach dein liebender Mund, o Gemahl! Mich glaubst du vermögend
Überzutragen von dir auf andere Zeiten des Lebens?
Das gönnt He'kate nie, und du wünschest vermessen; doch will ich
Größeres, als du gewünscht, dir suchen zu geben, Jason:
Daß ich dem Schwäher durch Kunst langwährendes Leben erstatte,
Nicht durch Jahre von dir. Nur muß bei dem furchtbaren Wagnis
Helfen und mir voll Huld nah stehen die dreifache Göttin.«
Nächte gebrachen noch drei, bis ganz sich die Hörner vereinten
Zum vollständigen Rund. Wie Luna, am vollsten erglänzend
Als ein gediegenes Bild auf die Lande der Erde herabsah,
Gehet sie fort aus dem Haus, umhüllt von entgürteten Kleidern,
Nackt an den Füßen und nackt auf die Schultern gegossen das Haupthaar.
Ohne Geleit' in Mitte der Nacht durch schweigende Stille
Hebt sie den schweifenden Fuß. Tief ruhten im Schlummer entfesselt
Menschen und Vögel und Wild; kein Flüstern erhebt sich im Zaune;
Regungslos ist das Laub; still feiert der thauige Luftraum;
Sterne nur flimmern im Glanz. Zu diesen die Arme gehoben
Dreht sie sich dreimal um, sprengt dreimal, schöpfend im Flusse,
Wasser sich über das Haar, stößt dreimal lautes Geheul aus,
Läßt dann nieder das Knie an den drückenden Boden und betet:
»Nacht, Vertrauteste du tiefheimlichen Thuns, und Gestirne,
Die ihr den Gluten des Tags nachfolgt mit der goldenen Luna,
Dreihaupt Hekate auch, die du weißt um unser Beginnen
Und als Helferin nahst, ihr bannenden Künste des Zaubers,
Die du dem Zauberer leihst krafthaltige Kräuter, o Erde,
[40] Lüfte und Winde zudem, ihr Seen, ihr Ströme und Berge,
All ihr Götter der Nacht, ihr Götter der Wälder; erscheinet!
Durch die, wenn ich es will, zum Staunen der Ufer die Flüsse
Kehren zur Quelle zurück, aufgärende Flut sich beruhigt,
Ruhende Flut aufgärt, durch die ich verscheuche die Wolken
Oder sie führe herauf, fortweis' und rufe die Winde,
Giftigen Vipern den Schlund aufbreche mit Spruch und Beschwörung,
Wurzelnde Felsen im Grund und vom Sitze gerissene Eichen
Rüttele, Wälder beweg' und heiße die Berge erbeben
Und dumpf dröhnen den Grund und die Manen entsteigen den Gräbern.
Dich auch zieh' ich heran, o Mond, ob Te'mesa's Erze
Dir auch mindern die Not. Blaß färbet den Wagen des Ahnes
Unsere Kunst: blaß wird durch unseren Zauber Aurora.
Ihr habt jüngst mir die Glut der Stiere gekühlt und den Nacken,
Der noch nie sich bequemt, mit gebogenem Pfluge belastet;
Ihr habt Fehde mit sich dem Schlangengeschlechte veranlaßt,
Ihr den Wächter betäubt, der entbehrte des Schlafs, und das Goldvlies,
Da ihr den Rächer berückt, in die gra'jischen Städte gesendet.
Nun sind Säfte mir not, durch welche das Alter erneuert
Kehre zur Blüte zurück und wieder erlange die Jugend.
Ja, ihr gewähret sie mir: umsonst nicht blitzten die Sterne;
[41] Nicht ist der Wagen umsonst, den Hälsen geflügelter Drachen
Folgend, genaht.« Nah stand, aus dem Äther gesunken, ein Wagen.
Wie sie diesen bestieg und der Drachen gezäumete Hälse
Streichelte und mit der Hand leichtschwebende Zügel bewegte,
Wird sie gerafft in die Höh', und auf das thessalische Te'mpe
Schaut sie hinab und lenkt nach verlässigen Höhen die Schlangen.
Was nur O'ssa erzeugt, was Pe'lion, O'thrys an Kräutern,
Was das Pi'ndusgebirg' und größer als Pindus Oly'mpus,
Mustert sie kundig und rauft, was tauglich erscheint, mit der Wurzel,
Oder sie schneidet es ab mit der Krümme der ehernen Sichel.
Auch am Api'danusstrom und an des Amphry'sus Gestaden
Wählte sie manches Gewächs; nicht zinsfrei warst du, Eni'peus
Auch die sperche'ische Flut gab her; nicht minder Pene'us
Steuerte bei sein Teil und das Binsengestade der Bö'be.
Auch das belebende Gras am euböischen Sund bei Anthe'don
Rupfte sie, das noch nicht Ruhm hatte von Glau'cus' Verwandlung.
Als neun Male der Tag, neun Male die Nacht sie gesehen,
Wie sie geforscht allorts, von den fliegenden Drachen gezogen,
Kehrte sie heim. Den Geruch nur hatten empfangen die Drachen,
Dennoch legten sie ab die Haut vieljährigen Alters.
Außer der Schwell' und der Thüre verbleibt sie nach ihrer Zurückkunft;
Über ihr steht der Himmel allein, und der Männer Berührung
Meidet sie, und sie erbaut zwei Opferaltäre von Rasen,
Einen für He'kate rechts und den anderen links für die Jugend.
Als sie mit heiligem Kraut und Büschen umflochten die Herde
[42] Und ganz nahe dabei zwei Höhlen gewühlt in dem Erdreich,
Opfert sie drüber und stößt schwarzwolligem Schaf in die Gurgel
Schneidenden Stahl und beströmt mit dem Blute die offenen Gruben.
Flüssigen Honig sodann ausgießend darob aus der Kanne,
Lauliche Milch dann auch ausgießend aus eherner Kanne,
Murmelt sie Worte dazu und beschwört die Gewalten der Erde,
Samt dem entführeten Weib anflehend den König der Schatten,
Daß sie dem siechenden Leib nicht eilen den Atem zu rauben.
Als sie diese gesühnt mit Gebeten und langem Gemurmel,
Heißt sie zum Doppelaltar den entkräfteten Körper des Äson
Bringen und streckt ihn, versenkt durch Zauber in völligen Schlummer,
Einem Gestorbenen gleich auf untergebreitete Kräuter.
Äsons Sohn nun weist sie hinweg und die Diener und warnt sie,
Daß sie das heimliche Thun nicht stören mit weltlichen Blicken.
Folgsam gehn sie fort. Nachahmend die Art der Baccha'nten
Schreitet mit fliegendem Haar um die brennenden Herde Medea,
Taucht Kienspäne hinein in die Gruft voll schwärzlichen Blutes,
Zündet befeuchtet sie an auf den beiden Altären, und dreimal
Weiht sie den Greis zum Werk mit Feuer, mit Wasser, mit Schwefel.
Aber das Zaubergebräu, das stand auf dem Feuer im Kessel,
[43] Siedet und sprudelt indes und ist weiß vom schwellenden Schaume.
Wurzeln kocht sie darin, im hämonischen Thale geschnitten,
Samen und Blumen zugleich und Säfte von ätzender Schärfe,
Wirft auch Steine hinein, im entlegensten Osten gelesen,
Sand auch, welchen gespült des Oce'anus ebbende Strömung;
Thau auch thut sie hinzu, vom nächtlichen Monde gefangen,
Dann mit dem Fleische zugleich die verrufenen Flügel der Eule
Und das zerhackte Gedärm von dem Werwolf, welcher verwandelt
Tierischen Leib zu Menschengestalt. Auch fehlte mit nichten
Drunter der schuppige Balg der kiny'phischen dünnen Chelyder.
Vom zählebenden Hirsch auch mischte sie drunter die Leber
Und von der Krähe den Kopf, die gelebt neun Menschengeschlechter.
Als sie von dem und vielem dazu, was Namens entbehret,
Hatte die Gabe gebraut, die sollte dem Sterblichen frommen,
Rührt sie zurecht das ganze Gemisch mit des friedlichen Ölbaums
Längst vertrocknetem Ast und vermengt mit dem Obern das Untre.
Sieh, da wird zum Beginn, wie er kreist in dem siedenden Kessel,
Grün der verdorrete Stumpf; kurz währt der Verzug, und mit Blättern
Kleidet er sich und ist plötzlich behängt mit schweren Oliven.
Doch, wo Schaum hinwirft aus dem hohlen Gefäße das Feuer,
[44] Oder wohin auf die Erd' ein glühender Tropfen gefallen,
Grünet der Boden und sprießt von Blumen und schwellender Weide.
Rasch, wie das sie gewahrt, stößt zu mit dem Schwerte Medea,
Öffnet die Kehle dem Greis, und entlassend das alte Geblüte
Gießt sie den Saft ihm ein. Als diesen der liegende Äson
Aufnahm teils mit dem Mund, teils auch mit der Wunde, verlieren
Bart und Haare das Grau und gewinnen die vorige Schwärze;
Hagere Dürre vergeht; es entweichet das Gelb und die Welkheit;
Frisch ansetzendes Fleisch füllt aus hohlgehende Runzeln;
Stark ist in Fülle der Leib. Mit Bewunderung fühlet sich Äson
Ganz so wieder wie einst vor vierzig entwichenen Jahren.
Liber, welcher geschaut aus der Höhe das seltsame Wunder,
Wurde gemahnt, so könnten verjüngt auch werden die Ammen,
Die ihn genährt, und erhielt von der Kolcherin, was er begehrte.
Daß nicht raste die List, gibt Zwietracht vor mit dem Gatten
Tückisch das phasische Weib und flieht zu des Pe'lias Schwelle,
Flehend um Schutz, und dieweil ihn selber beschwerte das Alter,
Nehmen die Töchter sie auf. Bald hatte der Mädchen Vertrauen,
Freundschaft heuchelnd, erlangt die verschlagene Fremde von Kolchis.
Während sie nun anführt mit den rühmlichsten ihrer Verdienste
Und es verweilend beschreibt, wie sie Äsons Gebrechen hinwegnahm,
Ward allmählich erregt in Pelias' Töchtern die Hoffnung,
Daß durch ähnliche Kunst ihr Vater sich könne verjüngen.
Bittend verheißen sie ihr für die Gunst, was nur sie bedinge.
Stumm bleibt einige Zeit Medea und scheint zu erwägen,
Erst annehmend, und hält die verlangenden Herzen in Spannung.
Bald dann sagte sie zu und sprach: »Daß diesem Verüben
Um so mehr ihr vertraut, so soll der bejahrteste Leiter
Eueres wolligen Vieh's durch Zauber zum Lamm sich verwandeln.«
[45] Gleich wird jetzo gebracht ein Widder, von zahllosen Jahren
Kraftlos, mächtig gekrümmt das Gehörn um die Wölbung der Schläfe.
Als in den mageren Hals das hämonische Messer Medea
Hatte gesenkt und befleckt mit kärglichem Blute das Eisen,
Thut sie die Glieder des Tiers und zugleich heilkräftige Säfte
In hohlgehendes Erz. Klein werden die Teile des Leibes,
Und es entweicht das Gehörn und samt dem Gehörne die Jahre,
Und aus dem Kessel hervor läßt zartes Geblök sich vernehmen.
Bald, wie sie ob des Geblöks sich verwundern, entspringet ein Lämmlein,
Hüpft mutwillig davon und sucht milchgebendes Euter.
Pelias' Töchter erseh'n es erstaunt, und weil die Verheißung
Durch den Erfolg sich bewährt, wird dringlicher noch ihr Begehren.
Dreimal hatte, getaucht in iberische Fluten, die Rosse
Phöbus entjocht. Als hell in der vierten der Nächte die Sterne
Flimmerten, setzt trugvoll die Kolcherin lauteres Wasser
Über die knisternde Glut und Wirkung entbehrende Kräuter.
Längst nun hatte betäubt, abspannend die Glieder, den König
Und mit dem König zugleich die Wacht todähnlicher Schlummer,
Den Bannsprüche bewirkt und die Macht zwangübender Zunge.
In das Gemach auf Geheiß mit der Kolcherin traten die Töchter
Und umstanden das Bett. »Was nun, Feigherzige, säumt ihr?«
Sagte sie – »zücket das Schwert; laßt rinnen das alte Geblüte,
Daß ich mit Jünglingsblut neu fülle die ledigen Adern.
Jetzo in euerer Hand steht Leben und Alter des Vaters.
Wenn ihr ihn liebt und nicht euch hingebt eiteler Hoffnung,
Leistet dem Vater den Dienst und vertreibt mit den Waffen das Alter,
Und mit dem stechenden Stahl laßt aus die verdorbenen Säfte.«
Rasch durch lieblose That will jede beweisen die Liebe;
Schuld übte jede, der Schuld zu entgeh'n. Doch keine vermochte
Selber zu seh'n, wie sie führte den Streich, und sie wenden das Antlitz:
Blindlings stoßen sie zu wegsehend mit grausamer Rechten.
Schwimmend im Blut will noch, auf die Beuge des Armes sich stützend,
Pelias halb zerfleischt sich im Bett aufrichten, und mitten
[46] Unter den Schwertern gestreckt die erblassenden Arme beginnt er:
»Töchter, was wollt ihr thun? Was waffnet zum Morde des Vaters
Euere Hand?« Da sank den Bethörten der Mut und die Rechte.
Ehe noch weiter er sprach, schnitt Gurgel und Worte Medea
Schleunig ihm ab und warf den Zerfetzten in siedende Wellen.
Hätte sie nicht in die Luft sich begeben mit fliegenden Schlangen,
Wäre sie nicht von der Strafe befreit. Ob Pelions Wäldern
Und dem Phily'rischen Sitz hin flieht sie und über den O'thrys,
Über die Gegend, bekannt durch des alten Kera'mbus Verwandlung,
Der, auf Flügeln empor durch Schickung der Nymphen gehoben,
Als einströmendes Meer die gewichtige Erde verschüttet,
Unverschüttet entging den Deukalionischen Wogen.
Links dann ließ sie vom Weg die äolische Pi'tane liegen
Und das versteinerte Bild des gedehnt daliegenden Drachen
Und den idäischen Hain, wo Liber versteckte den Farren,
[47] Welchen gestohlen der Sohn, in Gestalt des betrüglichen Hirsches,
Auch, wo weniger Sand den Vater des Ko'rythus zudeckt,
Ferner die Flur, die Mä'ra geschreckt durch neues Gebelle,
Und des Eury'pylus Stadt, wo Hörner die ko'ischen Mütter
Trugen am Haupte zur Zeit, als He'rkules' Schar sich entfernte,
Rho'dus, dem Phö'bus geweiht, und Ja'lysus' Volk, die Telchinen,
Deren mit Blicken allein schon alles bestrickende Augen
Jupiter hassend ersah und begrub in den Wellen des Bruders.
[48] Über Carthä'a hinweg auf der lang schon blühenden Ce'a
Eilet sie, wo sich dereinst Alki'damas sollte verwundern,
Daß sich gewandelt der Leib der Tochter zur friedlichen Taube.
Hy'rie's See drauf wird sie gewahr und das ky'knische Te'mpe,
Wo sich der plötzliche Schwan aufhielt. Dort hatte dem Knaben
Phy'llius Vögel gezähmt und einen gebändigten Löwen
[49] Auf sein Geheiß ihm geschenkt, auch einen der Stiere gebändigt,
Wie er geheischt, und erzürnt, daß immer die Liebe verschmäht war,
Seinem Verlangen den Stier, die letzte Belohnung, verweigert.
Da sprach Kyknus erbost: »Du wirst es bereu'n!« Und er warf sich
Hoch vom Felsen hinab. Sie glaubten ihn alle gefallen,
Aber er schwebt' als Schwan in der Luft auf schneeigen Flügeln.
Ganz in Thränen zerschmolz, unkundig der Rettung, die Mutter
Hyrie, und es entstand gleichnamig ein See an der Stätte.
Pleuron ist nahe dabei, wo Co'mbe, des O'phius Tochter,
Einst mit zitterndem Flug sich entzog den Streichen der Söhne.
Dann auch schaut sie die Flur der Letoischen Calaure'a,
Zeuge des samt dem Gemahl zum Vogel verwandelten Königs;
Rechts Kylle'ne sodann, wo Buhle der Mutter Mene'phron
War in späterer Zeit nach Sitte vernunftloser Tiere.
Auch den Kephi'sus erblickt sie von fern, wie er weint um den Enkel,
Welchem Apo'llo verlieh die Gestalt der gedunsenen Robbe,
Und des Eume'lus Haus, der den Sohn in den Lüften beklagte.
[50] E'phyre endlich erreicht, die pirenische Stadt, das beschwingte
Drachengespann, wo einst nach der Alten Bericht in der Urzeit
Sterbliche wuchsen hervor aus regengenähreten Pilzen.
Doch als kolchisches Gift aufzehrte die neue Gemahlin,
Und das gedoppelte Meer sah lodern des Königes Hofburg,
Netzt mit dem Blute der Söhne das Schwert die entartete Mutter;
Gräßlich gerächt dann nimmt sie die Flucht vor den Waffen Jasons.
Schleunig von hinnen geführt vom Gespann der titanischen Drachen,
Tritt sie in Pa'llas' Burg, die dich, pflichttreueste Phe'ne,
Oftmals sah im Verein mit dir, Greis Pe'riphas, fliegen,
Auch auf Flügeln gewiegt die Enkelin sah Polype'mons.
Dort nimmt Ä'geus sie auf, nur darob Tadel verdienend.
Wirt nicht blieb er allein; zur Gemahlin erhob er Medea.
[51] The'seus auch war da, zur Zeit für den Vater ein Fremdling,
Er, des rüstige Kraft die Gestade des Isthmus gesichert.
Ihn ist Medea gewillt zu verderben und mischt Akoni'ton,
Welches mit sich ehdem sie gebracht von der sky'thischen Küste.
Jenes, vermeldet die Mär, sei aus des echi'dnischen Hundes
Zähnen erzeugt. Schwarz gähnt ein Geklüft mit finsterem Schlunde
Und abschüssigem Pfad, auf dem der tiry'nthische Halbgott,
Ob er sich sträubt zu meiden den Tag und die blendenden Strahlen,
Hielt die Augen verdreht, an stählerner Kette gezwungen
Ce'rberus mit sich zog, der tobend in wütendem Zorne
Ringsum füllte die Luft mit Gebell aus dreifacher Kehle,
Während das grüne Gefild er bespritzte mit weißlichem Geifer.
Der, wie man glaubt, ward hart, und aus fruchtbar treibendem Boden
Sog er den nährenden Stoff und gewann so Kraft zu verderben.
Weil im harten Gestein das Gewächs ausdauernd hervorsproßt,
Nennt es das ländliche Volk Akoni't. Das reichte der Vater
[52] Ä'geus selber dem Sohn als Feinde, bethört von der Gattin.
Theseus hielt in der Rechten bereits nichts ahnend den Becher,
Als an dem helfernen Griff des Schwertes erkannte der Zeuger
Seines Geschlechtes Beweis und den Greuel vom Munde hinwegstieß.
Zeitig entzog sich dem Tod in gezaubertem Nebel Medea.
Aber der Vater, obgleich er sich freut des geretteten Sohnes,
Denkt mit Entsetzen zurück, wie er konnte verüben die Unthat,
Da so wenig gefehlt. Die Altäre versieht er mit Feuer,
Reichlich beschenkt er die Götter dazu, und im fleischigen Nacken
Spüren die Rinder das Beil, mit Bändern umwunden die Hörner.
Festlicher hat kein Tag – so sagt man – geschienen als jener
Über Ere'chtheus' Volk. So Väter wie niedere Menge
Kommen zu Schmaus und Gelag und sie einen die Stimmen zum Liede,
Während der Wein aufmuntert den Geist: »Dich, herrlicher Theseus,
Staunet Ma'rathon an in dem Blute des kre'tischen Stieres,
Und das Kro'myon pflügt vor dem Schweine gesichert der Landmann,
Ist dein Werk und Verdienst. Durch dich auch sah des Vulca'nus
[53] Keulenbewaffneten Sproß Epidau'rus' Gefilde erliegen,
Sah der kephisische Strand erliegen den Quäler Prokru'stes;
Ke'rkyons Tod auch sahe die Ceres geweihte Eleu'sis.
Si'nis hast du besiegt, der riesige Stärke gemißbraucht,
Der Baumstämme vermocht zu krümmen und Fichten vom Wipfel
Niedergedrückt, daß weit sie verstreuten zerrissene Leiber.
Sicher und frei ist der Weg nach Alka'thoë's Le'legermauern,
Seit du Ski'ron gestürzt, und die Ruhstatt wird von dem Lande,
Wird von der Woge versagt den getrennten Gebeinen des Räubers.
Als die lange geirrt, ließ Zeit sie erstarren zu Klippen,
Wie man erzählt, und den Klippen verblieb der Name des Skiron.
Wollten wir zählen Verdienst' und Jahre von dir, vor den Thaten
Ständen die Jahre zurück. Für dich, o rüstiger Streiter,
Beten wir alle gesamt; dir weihen wir Gaben des Bacchus.«
In das Gejubel des Volks und die andachtvollen Gebete
Stimmet die Burg, und rings in der Stadt wohnt nirgends die Trauer.
[54] Aber es freute sich nicht – so ist kein reines Behagen,
Und in die Lust drängt immer sich ein die Bekümmernis – Ägeus
Unbesorgten Gemüts, daß glücklich der Sohn ihm erhalten.
Mi'nos rüstet zum Krieg, der, mächtig an Streitern und Schiffen,
Kraft doch hatte zumeist durch den Zorn im Vatergemüte,
Seines Andro'geos Tod mit berechtigten Waffen zu rächen.
Vorher wirbt er jedoch zu der Fehde befreundete Mächte;
Wo ihm der Weg freisteht, durcheilt er die Flut mit den Segeln.
A'naphe zieht er heran und Astypalä'a zum Bündnis,
Astypaläa durch Krieg, durch Verheißungen Anaphe's Eiland,
My'conos' niedrigen Sitz und das kreidige Land von Kimo'lus,
Ky'thnos' blühende Flur und die flache Seri'phos und Sy'ros,
Pa'ros das Marmorland und Si'phnos, verraten von A'rne,
Die nach des Goldes Empfang, das die Frevlerin geizig gefordert,
Als der Vogel erschien, der Gold noch liebt, in Verwandlung,
Schwarz an den Füßen und schwarz mit Gefieder bekleidet, als Dohle.
Di'dymä nicht indes, noch Te'nos, Oli'aros, A'ndros,
Gy'aros, noch Pepare'thos, ergiebig an glatten Oliven,
Geben der gnosischen Macht Zuwachs. Nun steuert zur Linken
Minos Öno'pia zu, dem Gebiete der Äaki'den.
Denn Önopia nannt' es die Vorzeit, aber Ägi'na
[55] Wurde von Ä'akus selbst nach der Mutter geheißen das Eiland.
Hastig, den Helden zu seh'n, des Ruf so weit sich verbreitet,
Drängt man sich. Te'lamon kommt und jünger als Telamon Pe'leus
Ihm entgegen eilt und der dritte der Sprößlinge, Pho'kus.
Ä'akus selbst auch tritt, von der Bürde des Alters gehindert,
Wankend heraus und fragt, was jenen bewogen zu kommen.
An sein Leid als Vater gemahnt seufzt tief und erwidert
Also der Held, dem hundert an Zahl die Stämme gehorchen:
»Fördre den Waffen den Sieg, die wegen des Sohns ich erhoben,
Hilf in der Fehde der Pflicht! Mein Wunsch ist Trost für das Grabmal.«
Drauf der aso'pische Sproß: »Unthunliches, Minos, verlangst du,
Was mein Volk nicht darf; denn es ist den kekropischen Männern
Enger als dieses vereint kein Land. So sind wir im Bündnis.«
Barsch geht jener und spricht: »Dir kommt noch sicher dein Bündnis
Teuer zu stehn.« Doch scheint es ihm rätlicher, Fehde zu drohen,
Als zu erheben und hier vorher zu vergeuden die Kräfte.
Fern noch konnte man seh'n das Geschwader der ly'ktischen Schiffe
Von der öno'pischen Stadt, als rasch mit schwellendem Segel
Nahend ein attisches Schiff einläuft im befreundeten Hafen,
Welches den Ce'phalus trug und zugleich Aufträge der Heimat.
Äakus' Söhne, wiewohl gar lange sie nicht ihn gesehen,
Kennen den Cephalus doch und geleiten ihn, als sie die Rechte
Grüßend gereicht, in des Vaters Palast. Der stattliche Heros,
Der noch immer bewahrt Merkmale der früheren Schönheit,
Tritt in das Haus, und haltend den Zweig vom heimischen Ölbaum
Hat er, der ältere Mann, zwei jüngere, Kly'tos und Bu'tes,
Neben sich rechts und links, die rüstigen Söhne des Pa'llas.
Als sie Worte getauscht, wie sie bringt die erste Begegnung,
[56] Richtete Ce'phalus aus die Bestellung des Cecropiden;
Hilfe begehrt er und mahnt an den Bund und die Rechte der Väter,
Warnt auch, daß der Besitz des gesamten Acha'ja das Ziel sei.
Als wohlredend er so die vertrauete Sache gefördert,
Sagte, die Linke gestützt auf den Griff des gebietenden Scepters,
Ä'akus: »Heischt nicht erst, nehmt hin, ihr Athener, den Beistand;
Achtet als euer getrost, was bietet die Insel an Streitmacht.
Möge sie ziehen gesamt; so steht es mit unserem Reiche.
Rüstiges Volk fehlt nicht. Für den Feind noch bleiben mir Mannen.
Glücklich ist, Dank den Göttern, die Zeit, nichts leihend zum Vorwand.«
»Ja, so möge sich dir« – sprach Cephalus – »immer an Bürgern
Mehren die Stadt. Hoch war ich erfreut, als jüngst ich gekommen,
Da so stattlich an Wuchs, so gleich im Alter die Jugend
Zu mir eilte herbei. Doch viele vermiss' ich darunter,
Die bei dem ersten Besuch in euerer Stadt ich gesehen.«
Äakus seufzt' und begann mit bekümmerter Stimme zu reden:
»Erst war traurige Zeit, doch besseres Los ist gekommen.
Könnt' ich das letztere nur euch ohne das Frühere kundthun!
Sei denn alles erzählt. Euch nicht zu ermüden mit Umschweif:
Die du vermissest, gedenk im Gemüt, sind Staub und Gebeine,
Und wie kärglicher Teil sind die von dem ganzen Verluste!
Gräßliche Seuche befiel mein Volk durch der feindlichen Ju'no
Zorn, die haßte das Land, das führte den Namen der Buhle.
Während es menschliches Los noch schien und der großen Verheerung
Anlaß dunkel verblieb, ward gegengekämpft von der Heilkunst;
Machtlos aber erlag vor der siegenden Plage die Hilfe.
Anfangs lagerte sich mit drückendem Dunste der Himmel
Über dem Land und verschloß in den Wolken erschlaffende Schwüle.
Während der Mond viermal mit vereinigten Hörnern die Scheibe
[57] Füllte, verengt viermal abließ von der Fülle der Scheibe,
Wehte beharrlicher Süd Tod bringend mit glühendem Hauche.
Zweifel ist nicht, daß Quellen und Seen auch Schaden genommen,
Da auf den Fluren umher, die keiner bestellte, von Schlangen
Kroch zahlloses Gezücht und die Wasser verdarb mit dem Gifte.
Leichen von Hunden zuerst und Gevögel und Schafen und Rindern
Zeugten und fallendes Wild von der Macht einbrechender Krankheit.
Während der Arbeit sieht mit Bestürzung der ratlose Pflüger
Fallen den kräftigen Stier und inmitten der Furche sich strecken.
Krankes Geblök stößt aus vliestragendes Vieh, und die Wolle
Fällt von selber herab, und von Siechtum schwinden die Leiber.
Sonst voll feurigen Muts und an Ruhm so reich in der Rennbahn,
Stöhnt, untüchtig zu Sieg und der früheren Ehren vergessend,
Jetzt an der Krippe das Roß, unrühmlichen Todes zu sterben.
Grimmig zu werden vergißt der Eber, dem Laufe die Hindin
Sich zu vertrau'n und der Bär zu befallen das rüstige Hornvieh.
Schlaff ist alles und schwach. In den Wäldern, auf Fluren und Wegen
Liegt abscheuliches Aas, und die Luft ist verpestet vom Moder.
Seltsam hört es sich an: kein Hund, kein gieriger Vogel
Rührte daran, kein graulicher Wolf. In Verwesung zergehend
Sandt' es verderblichen Dunst und verbreitete weit die Vergiftung.
Jetzo verheerender noch zu dem unglückseligen Landvolk
Dringet die Pest und herrscht in den Mauern der räumigen Hauptstadt.
Trocken vom Brande zuerst verschmachten die inneren Teile;
Zeichen ist Röte der Haut und glutdurchdrungener Atem.
Rauh ist die Zunge geschwellt, und es lechzt von den dörrenden Winden
Offen der Mund und zieht mit dem Atem verderbliche Luft ein.
Weder vermögen ein Bett, noch Kleider zu dulden die Franken,
Sondern sie drücken die Brust hart wider die Erde, und nicht wird
Kalt vom Boden der Leib, heiß wird von dem Leibe der Boden.
Auch kein Helfer ist nah; denn es bricht die vernichtende Plage
Ein auf die Heilenden selbst, und den Kundigen schadet das Wissen.
Jeder, je näher er steht, je treuer er wartet die Kranken,
[58] Fällt so schneller dem Tod zum Raub. Als nun der Genesung
Hoffnung entfloh'n und das Ende der Qual zu sehen im Grabe,
Folgen sie ihrem Gelüst, und es kümmert sie nimmer, was fromme;
Denn nichts frommte ja mehr. Allorts an Quellen und Flüssen
Liegen sie ohne Bedacht auf Scham und an räumigen Brunnen,
Wo nicht eher der Durst durch Trinken erlischt als das Leben.
Mancher, vom Trunke beschwert, kann nicht aufstehen und findet
Gleich im Wasser den Tod; doch so auch trinken es andre.
Oft von dem Lager empor – so ist es verhaßt den Gequälten –
Springen sie oder, wenn nicht ausreichen zum Stehen die Kräfte,
Wälzen sie hin auf dem Boden den Leib und wollen dem Hause
Jeder entfliehn. Sein eigenes Haus scheint jedem verderblich,
Und weil dunkel der Grund, ist der Ort in Verdacht, der bekannt war.
Halbtot irrten umher, die Kraft noch hatten zu stehen;
Andere sah man in Not, wie sie weinten, am Boden sich wanden,
Wie sie im Kampf mit dem Tod die ermatteten Augen verdrehten.
(Oder sie streckten empor zu dem hangenden Himmel die Arme,
Hier und dort, wo der Tod sie ereilte, den Geist aushauchend.)
Wie war da mir zu Mut! Nicht anders, als daß ich das Leben
Trug als Last und der Meinen Geschick selbst wünschte zu teilen.
Immer, wohin sich der Blick auch wendete, lag an der Erde
Niedergeworfenes Volk, wie wenn von den schwankenden Ästen
Faulendes Obst abfällt und geschüttelte Eckern vom Eichbaum.
Drüben erblickst du erhöht auf Stufen den stattlichen Tempel:
Ju'piter nennet ihn sein. Wer hat nicht eitelen Weihrauch
Jenem Altare gebracht? Wie oft, wenn dort der Erzeuger
Rettung erfleht für den Sohn im Gebet, für den Gatten die Gattin,
Gaben das Leben sie auf an dem unerbittlichen Altar,
Während sich unverzehrt noch Weihrauch fand in den Händen!
Oft, zum Tempel geführt, auch stürzten, während der Priester
[59] Sprach das Gebet und lauteren Wein goß zwischen die Hörner,
Vorher, ohne den Streich zu erwarten, ersehene Stiere.
Als ein Opfer ich selbst für mich und das Land und die Söhne
Brachte dem Jupiter dar, ließ schauriges Brüllen das Opfer
Hören, und plötzlich gestürzt, noch ehe das Beil es getroffen,
Netzt' es mit wenigem Blut das untergehaltene Messer.
Aus dem Geweid' auch war untrügliche Gottesverkündung
Nicht zu erseh'n: in das Innerste drang das traurige Siechtum.
Leichname sah ich dahin vor den heiligen Pfosten geworfen,
Ja, vor dem Altar selbst, daß abscheuvoller der Tod sei.
Selbst mit dem Strick schnürt mancher den Hals und vertreibt mit dem Tode
Furcht vor dem Tod und ruft freiwillig das kommende Schicksal.
Nicht mehr trägt man wie sonst mit Feier und Ehren die toten
Leiber hinaus: Raum hatten ja nicht für die Züge die Thore.
Unverscharrt teils liegen sie da, teils ohne Geschenke
Nimmt sie der Holzstoß auf. Die besorgliche Scheu ist gewichen;
Streit hebt an um das Holz, und sie brennen im Feuer des andern.
Niemand ist, der weint, und es irren, von keinem betrauert,
Seelen umher von Kindern und Männern, von Knaben und Greisen,
Wie für die Hügel der Raum, so mangelt das Holz für die Flammen.
Sinnlos rief ich, vom Sturm so schrecklichen Jammers bewältigt:
›Jupiter, ach, wofern nicht falsches Gerede verkündet,
Daß du Ägina umarmt vormals, die asopische Jungfrau,
[60] Und mein Zeuger zu sein du nicht, Allvater, dich schämest:
Gib mir die Meinen zurück; sonst birg auch mich in dem Grabmal!‹
Jener gewährte mit Blitz und erfreulichem Donner ein Zeichen.
›Wohl, ich vernehm's‹, – so sprach ich – ›und mög' es ein glücklicher Ausspruch
Deiner Gesinnung mir sein! Ich nehme zum Pfand die Verkündung.‹
Neben mir stand zur Zeit breitästig ein seltener Eichbaum:
Jupiter war er geweiht und gekeimt von dodo'nischem Samen.
Daran nahmen wir wahr Ameisen in langem Gewimmel,
Wie sie im winzigen Mund forttrugen gewaltige Körner
Und gleichmäßigen Pfad an der runzligen Rinde verfolgten.
Mich nahm Wunder die Zahl, und ich sprach: ›Laß, gütigster Vater,
Soviel Bürger erstehn zum Ersatz der entvölkerten Mauern!‹
Sieh, da zittert und rauscht ohn' irgend ein Wehen, die Äste
Regend, der mächtige Stamm. Schreck hielt mich gebannt, und ein Schauer
Schüttelte mich, und das Haar war straff. Doch deckt' ich mit Küssen
Brünstig die Erd' und das Holz, und ohne sie recht zu gestehen,
Gab ich der Hoffnung mich hin und nährte den Wunsch im Gemüte.
Nacht nun wird's, und den Leib, den quälende Sorgen ermüdet,
Fesselt der Schlaf. Da sah ich vor Augen die nämliche Eiche:
Gleichviel Äste wie sonst und daran gleich viele der Tierchen
Schien zu tragen der Baum, und ebenso schien er zu beben
Und zu verstreu'n auf die Flur die körnerbeladene Reihe,
Die dann plötzlich erwuchs und größer und größer erscheinend
Sich von dem Boden erhob und aufrecht stand mit dem Rumpfe
Und mit der Dünne die Zahl der Füß' und die schwärzliche Farbe
Wieder verlor und Menschengestalt anthat an den Gliedern.
Fort ist der Schlaf. Ich verwerfe den Traum im Wachen und klage,
Daß bei den Himmlischen Schutz nicht sei. Horch, großes Getümmel
Füllte das Haus, und es war, als tönten mir menschliche Stimmen,
Deren ich längst mich entwöhnt. Ich hielt auch das für ein Traumbild;
Da kommt Te'lamon rasch und ruft, aufmachend die Thüre:
[61] ›Draußen ist, Vater, zu seh'n weit über Erwarten und Glauben.
Geh nur hinaus!‹ Ich gehe hinaus, und wie ich die Männer
Hatte vermeint im Traume zu seh'n, so ganz nach der Reihe
Schau' und erkenn' ich sie jetzt. Sie nahen und grüßen den König.
Jupiter zoll' ich den Dank, wie gelobt, und den neuen Bewohnern
Teil' ich die Stadt und das Feld, das leer von den alten Bestellern,
Und Myrmido'nen benenn' ich das Volk, zu bezeichnen den Ursprung.
Kund ist dir die Gestalt; von früher das emsige Wesen
Haben sie noch, ein karges Geschlecht, ausdauernd in Arbeit,
Sparsam mit dem Erwerb und wohl das Erworbene wahrend.
Die nun sollen mit dir, an Jahren sich gleich und an Mute,
Ziehen zum Krieg, sobald sich der Ost, der glücklich dich brachte« –
Ostwind hatt' ihn gebracht – »demnächst umwandelt zum Südwind.«
Mit dergleichen Gespräch und mit anderem kürzend die Stunden,
Füllten den Tag sie aus. Drauf weiht man dem Schmause des Tages
Ende, dem Schlummer die Nacht. Licht goß goldstrahlend die Sonne,
Stets noch wehte der Ost und verwehrte den Segeln die Rückfahrt.
Früh zum Cephalus gehen die jüngeren Söhne des Pallas;
Dann zum Könige geht, von den Söhnen des Pallas begleitet,
Cephalus. Aber es lag noch tief im Schlafe der König.
Pho'kus, des Äakus Sohn, empfängt an der Schwelle die Gäste –
[62] Telamon eben erlas für den Krieg mit dem Bruder die Mannschaft.
Mit in den inneren Raum nimmt Cecrops' Sprößlinge Phocus
Zum prachtvollen Gemach. Dort setzt er mit ihnen sich nieder.
Während sie saßen, gewahrt er den Spieß, den Äolus' Enkel
Trug in der Hand, aus seltsamem Holz, mit goldener Spitze.
Als im gemeinen Gespräch nun einiges erst er geredet,
Sprach er: »Ich kenne den Wald gar wohl und des Wildes Erlegung;
Aber aus welchem Gehölz dein Schaft wohl möge gehau'n sein,
Grübl' ich im Sinn schon längst. Denn wenn es ein eschener wäre,
Müßt' er doch gelb aussehn; ein kornellener, zeigten sich Knoten.
Nimmer erkenn' ich, woraus er gemacht. Doch schöner als dieses
Haben ein Wurfgeschoß nie unsere Augen gesehen.«
Einer versetzte darauf von den attischen Brüdern: »Bewundern
Wirst du die Güte des Speers noch mehr als die äußere Schönheit.
Immer erreicht er das Ziel, und niemals lenkt ihn im Fluge
Zufall. Blutig zurück auch fliegt er, da keiner ihn herholt.«
Alles zu wissen begehrt nunmehr der Nere'ische Jüngling,
Wie und warum und von wem er bekommen das einzige Kleinod.
Jener erzählt, was er fragt, und das andre Bekannte; den Lohn nur,
Welchen er gab, verschweigt er aus Scham, und ergriffen vom Schmerze
Um den Verlust der Gemahlin, beginnt er mit quellenden Thränen:
»Dieses Geschoß – wer hätt' es gedacht? – o Göttingeborner,
Macht mich weinen und wird's noch lang, wofern mir das Schicksal
Lange zu leben vergönnt. Mir war's und der teueren Gattin
Unheilvoll. O wär' es mir nie zum Geschenke geworden!
Pro'cris war die Schwester, wenn mehr vielleicht dir zu Ohren
Orithyi'a gelangt, der entführeten Orithyi'a,
Würdiger, willst du Gestalt und Sitten der Beiden vergleichen,
[63] Selbst die Entführte zu sein. Die einte der Vater Ere'chtheus,
Einte die Liebe mit mir. Ich hieß glückselig und war es,
Wär' es vielleicht noch jetzt; doch anders gefiel es den Göttern.
Fortgang nahm nach dem Fest der Vermählung der andere Monat.
Als mich, während das Garn vielendigen Hirschen ich stellte,
Früh nach vertriebener Nacht von des immer begrünten Hyme'ttus
Oberstem Gipfel erblickt die safranfarb'ne Auro'ra
Und trotz Wehrens entführt. Nicht wird mir die Göttin verargen
Treuen Bericht. Ob lieblich sie sei mit dem rosigen Antlitz,
Ob sie dem Licht und der Nacht angrenzend sich hält in der Mitte,
Ob sie sich nährt von nekta'rischem Trank: ich liebte nur Procris;
Procris trug ich im Sinn und Procris beständig im Munde.
Auf den geweiheten Bund und das Liebesumfahn und das Brautbett
Wies ich hin und den ersten Verein im verlassenen Lager.
Nachgab jene und sprach: ›Laß, Undankbarer, die Klage:
Dir sei Procris gewährt. Doch bald, wenn ich Richtiges ahne,
Wird ihr Besitz dich gereu'n.‹ Und sie ließ mich zürnend von hinnen.
Während ich heimwärts ging und erwägte die Worte der Göttin,
Stieg allmählich die Furcht, daß Procris die ehlichen Pflichten
Treu nicht habe gewahrt. In Verdacht wohl brachten die Treue
Jugend und schöne Gestalt; den Verdacht ließ schweigen der Wandel.
Aber ich war doch fern, und ein Beispiel gab des Vergehens
Jene, von welcher ich kam, und wir Liebenden fürchten ja alles.
Kränkung zu suchen für mich und die züchtige Treu' zu berücken
War ich gewillt mit Geschenk. Aurora begünstigt den Argwohn,
Denn sie verleiht – so kam es mir vor – mir veränderte Bildung.
Nicht zu erkennen betret' ich die Pallas geweihte Athe'nä
Und geh' ein in das Haus. Nichts zeugte von Schuld in dem Hause;
Ehrbar war's und in Angst den geraubten Gebieter vermissend.
Kaum gab vielfache List zu der Erichthi'de mir Zutritt.
Wie ich sie sah, erstaunt' ich und hätte beinahe dem Vorsatz,
Sie zu versuchen, entsagt, kaum könnt' ich mich halten, die Wahrheit
[64] Ihr zu gesteh'n, kaum, wie ich gesollt, ihr Küsse zu geben.
Traurig war ihr Gemüt, doch schöner als sie in der Trauer
Ist wohl nimmer ein Weib; und sie glühte von heißem Verlangen
Nach dem entführten Gemahl. Du magst urteilen, o Pho'kus,
Wie liebreizend sie war, die reizend erschienen im Schmerze.
Was erst soll ich erzählen, wie oft sie mit züchtiger Sitte
Abwies mein Bemüh'n, wie oft sie gesagt: ›Ich verbleibe
Einem, wo immer er sei; mein soll nur einer sich freuen.‹
Welchem verständigen Mann nicht hätte zur Probe der Treue
Solches genügt? Es genügt mir nicht, und schmerzliche Wunden
Schlag' ich mir selbst, da ich Lohn für die Nacht ihr reichlich verheißend
Und stets mehrend den Preis am Ende sie bringe zum Wanken.
›Leider ein anderer ist's!‹ – so rief ich – ›der trügliche Buhle
War dein eigner Gemahl. Mein Zeugnis, Falsche, entlarvt dich.‹
Sie sprach nichts; nur niedergedrückt von stiller Beschämung
Floh sie den bösen Gemahl und die Arglist hegende Schwelle.
Hassend das Männergeschlecht, weil ich ihr bereitet die Kränkung,
Schweifte sie in dem Gebirg, obliegend dem Werke Dia'na's.
Nun, da verlassen ich war, drang noch viel stärkeres Feuer
Mir in das Mark. Ich bekannte die Schuld und erflehte Verzeihung.
Und ich gestand, daß Lohn mich selber zu gleichem Vergehen
Hätte vermocht, wenn Lohn so reich mir wäre geboten.
Als ich solches bekannt, und zuvor sie gerächt die Verführung,
Wird sie versöhnt und verlebt glückselige Jahre der Eintracht.
Auch, als hätte sie mir mit sich zu wenig gegeben,
[65] Gibt sie dazu mir den Hund, den früher die cy'nthische Göttin
Ihr mit den Worten geschenkt: ›Im Lauf wird keiner ihm gleich sein!‹
Gibt mir den Spieß auch noch, den hier in den Händen ich halte.
Was mit dem andern Geschenk sich begeben, verlangst du zu wissen.
Höre denn an. Neu wird das Begebnis sein und befremdend.
Jenen verfänglichen Spruch, den vorher keiner verstanden,
Hatte gelöst des La'ïus Sohn, und des Rätsels vergessend
Lag von der Höhe gestürzt die Verkünderin dunkeler Worte.
Denn nicht straflos läßt dergleichen die heilige The'mis.
Gleich sucht heim ein erschreckliches Tier die aonische The'bä,
Und mit Verderben des Viehs und mit eigenem mästen den Unhold
Viele vom ländlichen Volk. Wir Jünglinge all' aus der Nähe
Kommen herbei und umstellen den Raum mit weiter Umgarnung.
Jener entzieht sich im hurtigen Satz leichtfüßig den Netzen,
Über das hohe Geflecht der gestelleten Garne sich schwingend.
Jetzt von der Koppel entläßt man die Hunde; doch vor den Verfolgern
Flieht er behend und betrügt so schnell wie ein Vogel die Meute.
Nunmehr fordern von mir einstimmig sie alle den Lä'laps:
Also hieß das Geschenk. Der ringt schon längst, von der Fessel
Loszukommen, und spannt mit dem Halse die hemmende Leine.
[66] Kaum nun war er befreit, so konnten wir, wo er geblieben,
Nicht mehr seh'n. Der glühende Sand wies deutlich die Fährte,
Aber den Augen entrückt war Lälaps. Rascher als dieser
Fliegt kein Speer, noch Kugeln, versandt vom geschwungenen Riemen,
Auch kein schwebendes Rohr, das schnellt der gorty'nische Bogen.
Ragend inmitten der Flur ist ein spitzzugehender Hügel.
Diesen ersteig' ich und weide den Blick an dem seltenen Rennen,
Wie bald schien von den Zähnen gepackt, bald wieder dem Bisse
Sich zu entziehen das Tier. Gradaus nicht, noch in die Weite
Flieht er mit schlauem Bedacht; des Verfolgenden Schnauze betrügend
Dreht er sich hurtig im Kreis, daß Halt nicht finde der Gegner.
Dicht ist der Hund stets hinter ihm her, und dem Haltenden gleichend
Hält er doch nicht und thut in die Luft nichts packende Bisse.
Jetzt denn nahm ich zu Hilfe den Spieß. Weil den in der Rechten
Wägend ich hob und die Finger versucht' in den Riemen zu fügen,
Wandt' ich die Augen hinweg; und ich hatte sie kaum nach der Gegend
Wieder gelenkt, da sah ich, o Wunder, in Mitte des Feldes
Zwei Steinbilder: zu fliehn schien eines, das andre zu bellen.
Denn daß beide zugleich als Sieger beständen im Wettlauf,
Wollte ein Gott, wenn anders ein Gott auf jene Bedacht nahm.«
So weit sprach er und schwieg. »Was trägt« – fragt Phokus – »der Jagdspieß
Aber für Schuld?« Und die Schuld des Spießes verkündet er also:
»Freuden, o Phokus, und Glück sind Anfang unserer Leiden.
Jene erzähl' ich zuerst. Wie gern, Äaki'de, gedenk' ich
Noch an die selige Zeit, wo ich in den ersten der Jahre
[67] War durch die Gattin beglückt und jene beglückt durch den Gatten!
Beiderseitige Sorg' und gemeinsame Liebe verband uns.
Ju'piters Bett nicht hätte gewählt vor meiner Umarmung
Pro'kris, und mich kein Weib, ja wär' auch Ve'nus gekommen,
Je zu bethören vermocht. Gleich brannte die Glut in den Herzen.
Früh, wenn die Sonne zuerst die Gipfel der Berge bestrahlte,
Pflegt' ich mit Jünglingslust auf die Jagd in die Wälder zu gehen.
Niemals ließ ich Gefolg', noch Rosse und witternde Hunde
Mit mir zieh'n, auch nie nachtragen geflochtene Garne;
Sicher vertraut' ich dem Spieß. Wenn dann sich der Arm an des Wildes
Morde Genüge gethan, so sucht' ich mir Schatten und Kühle
Und frischgehenden Zug, der wehte vom luftigen Thale.
Säuselnde Luft war dann mir erwünscht in der Schwüle des Mittags;
Auf sie wartet' ich nur; sie war nach den Mühen Erholung.
›Liebliches Lüftchen, o komm und erfreue mich‹ – pflegt' ich zu singen;
Gar wohl weiß ich es noch – ›und schmiege dich mir an den Busen;
Lindere, wie du gewohnt, mir die Glut, daran ich verschmachte.‹
Mehr noch fügt' ich vielleicht – so riß mich fort das Verhängnis –
Schmeichelnde Worte dazu, und vielleicht auch pflegt' ich zu sagen:
›Du bist Wonne für mich; du gibst mir Erquickung und Labsal;
Du machst, daß ich den Wald, daß einsame Stätten ich liebe;
Lechzend erstrebt mein Mund stets deinen erfrischenden Atem.‹
Jemand aber vernahm mit betrogenem Ohre der Worte
Doppelten Sinn, und er hält für eine der Nymphen das Lüftchen,
Das ich zum öfteren rief, und vermeint, ich liebe die Nymphe.
Schleunig zu Prokris begibt sich der allzu eifrige Bote
Nichtiger Schuld und erzählt das Gehörte mit flüsternder Zunge.
Gläubig ist Liebe so leicht. Sie sank, da ihr wurde die Kunde,
Plötzlich zu Boden im Schmerz, und erwacht nach langer Betäubung
Jammert sie über ihr Los und nennt sich verfolgt von dem Schicksal,
[68] Klagt um gebrochene Treu', und gekränkt durch gewähntes Vergehen
Fürchtet sie, was nicht ist, den körperentbehrenden Namen,
Und es verzehrt sie der Gram, als wäre die Buhle vorhanden.
Oft hegt Zweifel jedoch und hofft sich zu irren die Ärmste,
Schenkt dem Bericht nicht Glauben und will nicht eher verdammen,
Bis sie es selber geseh'n, das schuldige Thun des Gemahles.
Als nun wieder die Nacht vor dem Licht der Auro'ra gewichen,
Geh' ich hinaus und streife im Wald, und nach glücklichem Weidwerk
Sag' ich, gelagert im Gras: ›Komm, Lüftchen, und schaffe mir Lind'rung.‹
Da kam's plötzlich mir vor, als ob ich inmitten der Worte
Etwas wie Seufzen gehört. Gleichwohl: ›Komm, trautestes!‹ rief ich.
Wieder erhob sich ein leises Geräusch im gefallenen Laube,
Und ich vermutet' ein Wild und versandte den flüchtigen Wurfspieß.
Prokris war's, und gerad' in die Brust von dem Eisen getroffen
Ruft sie: ›Wehe mir!‹ aus. So wie ich die Stimme der treuen
Gattin erkannt, lief eilends ich hin, nicht mächtig der Sinne.
Schon halbtot, das bespritzte Gewand mit Blute befleckend,
Ziehend ihr eignes Geschenk – Unseliger ich! – aus der Wunde,
Find' ich sie nun und richte den Leib, mir teurer als meiner,
Auf mit behutsamer Hand. Zum Verband für die schreckliche Wunde
Reiß' ich vom Busen das Kleid und suche zu stillen den Blutstrom,
Flehend, sie möge doch nicht so ganz mich Frevler verwaisen.
Jene der Kräfte beraubt und ringend bereits mit dem Tode,
Sprach dies Wenige noch mühvoll: ›Bei dem Bunde des Lagers
Bitt' ich flehentlich dich, bei den himmlischen Göttern und meinen,
Auch bei dem, was Gutes ich je dir gethan, bei der Liebe,
Die mir brachte den Tod, die jetzt noch währt, da ich sterbe,
Laß nicht unser Gemach einnehmen als Gattin das Lüftchen!‹
So sprach Prokris, und nun erst merkt' und belehrt' ich, der Name
Habe sie irre geführt. Doch was half noch die Belehrung?
Ach, sie sinkt, und es flieh'n mit dem Blute die wenigen Kräfte.
[69] Mich sieht immer sie an, so lang sie zu sehen vermögend,
Und sie verhaucht in mich und an meinem Munde die Seele.
Ruhiger schien sie jedoch zu verscheiden mit heiterer Miene.«
So zu den Weinenden sprach mit Thränen der He'ros, und siehe,
Ä'akus kommt mit dem Paar der Söhne zugleich und den neuen
Streitern und weist sie dem Cephalus zu mit den rüstigen Waffen.

Achtes Buch

[70] Achtes Buch.

Inhalt: Ni'sus und Scy'lla. Labyri'nth. Aria'dne's Krone. Dä'dalus und I'carus (Pe'rdix). Jagd auf den kalydo'nischen Eber. Melea'gers Tod. Die Meleagri'den. Achelo'us (die Echina'den; Perime'le). Phile'mon und Bau'cis. Pro'teus. Erysi'chthon (der Hunger). Hypermne'stra.


Als nun heiteren Tag, fortscheuchend die nächtlichen Stunden,

Lu'cifer wieder erschließt, da legt sich der Ost, und es hebt sich
Feuchtes Gewölk. Dem Kephalus beut und des Ä'akus Söhnen
Rückfahrt friedlicher Süd, von welchem getrieben sie glücklich
Vor der erwarteten Zeit anlangen am Ziele des Hafens.
Mi'nos indessen verheert die Gestade lele'gischer Stämme,
Und er versucht die Stärke des Heers an Alka'thoë's Mauern
Erst zum Beginn, wo Ni'sus gebot, dem mitten am Scheitel
Haftete zwischen dem Grau des Ehrfurcht heischenden Hauptes
Glänzend von Purpur ein Haar, die Bürgschaft mächtigen Reiches.
Sechsmal war's, daß Luna erhob aufgehend die Hörner:
Immer noch schwankte das Glück des Krieges, und zwischen den beiden
Schwebete lange der Sieg unschlüssig mit irrenden Flügeln.
Eigen dem König erhob sich ein Turm an der tönenden Mauer,
Wo der Letoische Gott nach der Sage die goldene Leier
[71] Ehdem niedergelegt. Ihr Klang blieb haften am Steine.
Dorthin pflegte sich oft zu begeben die Tochter des Nisus
Und mit kleinem Gestein nach dem hallenden Quader zu werfen,
Als noch Frieden bestand. Im Krieg auch pflegte sie oftmals
Dort vom Turme zu schau'n auf die Kämpfe des grimmigen Ma'vors.
Schon in des Krieges Verlauf auch lernte sie kennen der Fürsten
Namen und Ross' und Waffen und Tracht und kydo'nische Köcher;
Aber vor allen zumeist die Gestalt des Europischen Führers
War ihr bekannt, mehr als ihr gefrommt. Nach ihrem Erachten
War, wenn das Haupt ihm deckte der Helm mit den buschigen Federn,
Minos schön in dem Helm, und hatte den Schild er genommen,
Der hell strahlte von Erz, sah stattlich er aus mit dem Schilde.
Wenn er den schwankenden Speer ausholend erhob in der Rechten,
Lobte die Kunst im Verein mit der Kraft die bewundernde Jungfrau.
Hatt' er, das Rohr auflegend, gekrümmt den geschweifeten Bogen,
Schwur sie, wie er, so stehe, den Pfeil in der Rechten, Apo'llo.
Wenn er das Erz nun erst abnahm und entblößte das Antlitz.
Und auf schneeigem Roß, das prangte mit buntem Gedecke,
Saß im Purpurgewand und das schäumende Maul ihm zurechtwies,
War kaum ihrer bewußt, kaum mächtig der Sinne des Nisus
Tochter. Sie nannte beglückt den Spieß, den Minos berührte,
Nannte die Zügel beglückt, die er in den Händen bewegte.
Oft schon war sie gewillt, jungfräuliche Schritte zu lenken –
Ziemt' es sich nur – durch die feindliche Schar; oft war sie gewillt auch,
Hoch vom Turme den Leib in das gnosische Lager zu stürzen
[72] Oder das eherne Thor gar aufzuschließen dem Feinde
Oder was Minos von ihr sonst forderte. Wie sie nun dasaß,
Schauend das weiße Gezelt des diktä'ischen Königs, begann sie:
»Ob mich der traurige Krieg mehr freu'n soll oder betrüben,
Zweifl' ich im Sinn. Mich betrübt, daß Minos der Liebenden Feind ist.
Und doch ohne den Krieg wie wär' er bekannt mir geworden?
Aber er könnte dem Krieg absteh'n, mich nehmen als Geisel
Und zur Begleiterin mich, mich haben zum Pfande des Friedens.
Wenn sie ähnlich wie du, o schönster von allen, gewesen,
Die dich gebar, ward Liebe mit Recht in dem Gotte entzündet.
O, wie wär' ich beglückt, wenn ich könnte mit Schwingen die Lüfte
Teilen und schweben hinab in das Lager des gnosischen Königs,
Daß ich gestände die Glut und ihn fragete, was er zur Mitgift
Fordere. Nur nicht dürft' er die Feste des Vaters begehren.
Eher entsag' ich dem Glück des erwarteten Lagers, als daß mir
Dazu hülfe Verrat, obwohl schon oft die Besiegung
Vielen zum Heile gewandt großmütige Milde des Siegers.
Sicherlich führt er den Krieg mit Fug für des Sohnes Ermordung;
Ihn macht mächtig das Recht und das Recht verfechtende Waffen.
Ihm wird, glaub' ich, der Sieg. Wenn dieses Geschick zu erwarten,
Warum sollte denn Mars, nicht unsere Liebe dem König
Öffnen die Mauern der Stadt? Viel besser, er hätte die Obmacht
Ohne Verzug und Mord und Aufwand eigenen Blutes.
Denn stets bin ich in Furcht, daß einer die Brust dir verwunde,
Minos, ohne Bedacht. Wer wäre so harten Gemütes,
Daß er es wagte, den Speer auf dich vorsätzlich zu richten?
Wohl denn, es sei! Fest steht der Entschluß, samt mir ihm zur Mitgift
Zuzubringen die Stadt und ein Ende zu setzen der Fehde.
Was hilft Wollen jedoch? Stets hütet die Wache den Zugang,
Und von dem Vater geschützt ist der Thore Verschluß. Vor dem Vater,
[73] Wehe mir, bangt mir allein; nur er setzt Schranken den Wünschen.
Machten mich doch die Götter verwaist! Doch wahrlich, ein Gott ist
Jeder sich selbst, und das Glück ist abhold feigen Gebeten.
Längst schon hätte gewiß, von solchem Verlangen entzündet,
Freudig ein anderes Weib, was hemmte die Liebe, beseitigt.
Sollt' ich einer an Mut nachsteh'n? Durch Feuer und Schwerter
Würd' ich wagen zu geh'n. Und Feuer so wenig wie Schwerter
Sind ja von nöten dabei; ein Haar ist von nöten vom Vater.
Das gilt höher für mich denn Gold; dies purpurne Haupthaar
Soll mir schaffen das Glück und des sehnlichen Wunsches Gewährung.«
Während sie redete, war die Pflegerin heimlicher Sorge
Leise gekommen, die Nacht, und es wuchs ihr im Dunkel die Kühnheit.
Ruhzeit nun hub an, wo der Schlaf von den Sorgen des Tages
Matte Gemüter befängt. Da tritt in die Kammer des Vaters
Schweigend sie ein und entreißt – o Schande! – die Tochter dem Vater
Sein hochwichtiges Haar. Wie den ruchlosen Raub sie begangen,
Nimmt sie des Frevels Gewinn mit sich und entschritten dem Thore
Geht durch die Feinde sie hin – so gibt ihr Vertrauen die Großthat –
Kommt zum König und spricht zu dem höchlich Verwunderten also;
»Liebe bewog mich zur That. Ich, fürstliche Tochter des Nisus,
Scy'lla, ich bringe dir hier des Landes und meine Penaten.
Anderen Lohn nicht heisch' ich, als dich. Zum Pfande der Liebe.
Nimm dies purpurne Haar und glaube: das Haupt des Erzeugers
Geb' ich, das Haar nicht bloß, dir hin.« Und es bot ihm die Rechte
Dar das verruchte Geschenk. Doch weigernd erwehrt sich der Gabe
Minos, entsetzt vor dem Bild unglaublicher That, und erwidert:
»Daß dich aus ihrem Bereich ausstießen die Götter, du Schandmal
Unserer Zeit! Daß Länder und Meer dir würden verboten!
Wenigstens leid' ich nie, daß die Wiege des Ju'piter, Kre'ta,
Wo ich habe das Reich, solch Ungeheuer betrete.«
Minos sprach's, und nachdem den Besiegten der billige Herrscher
Ordnung bestellt und Gesetz, ließ gleich er die Taue der Flotte
[74] Lösen und rudern vom Land die kupferbeschlagenen Schiffe.
Da nun Scylla gewahrt, wie ins Wasser gelassen die Kiele
Schwammen und nicht ihr den Lohn des Verbrechens gewährte der Führer,
Wandte sie sich, als Bitten erschöpft, zu gewaltigem Zorne;
Rasend mit fliegendem Haar und die Hände gestreckt in Verzweiflung
Rief sie: »Wo fliehest du hin, die dir geholfen, verlassend,
Du, den höher ich hielt als das Heimatland, als den Vater?
Wohin willst du entflieh'n, Hartherziger, welchem den Sieg gab
Unser Vergehn und Verdienst? So rührete unsere Gabe,
Unsere Liebe dich nicht, noch daß ich einzig auf dich nur
All mein Hoffen gesetzt! Wohin nun soll ich Verlass'ne?
Heim in die Stadt? Die liegt ja besiegt. Und gesetzt, sie bestände:
Durch den Verrat ist mir sie gesperrt. Vor die Augen des Vaters?
Dir ja gab ich ihn preis. Die Schuldige hassen die Bürger;
Furcht weckt allen umher das Beispiel. Selbst mir verschlossen
Hab' ich die Lande gesamt, daß Kreta nur offen verbliebe.
Wenn du mir das auch weigerst und mich, Fühlloser, verlässest:
Nicht Europa, fürwahr unwirtliche Sy'rte, Chary'bdis,
Die stets geißelt der Süd, ein armenischer Tiger gebar dich;
Jupiter zeugte dich nicht, noch wurde vom Bilde des Stieres,
Die dich geboren, berückt – so lügt ein Märchen die Abkunft –,
Sondern ein wirklicher Stier, der grimmig zu keiner der Färsen
Liebe gefühlt, war's, der dich gezeugt. Vollziehe die Strafe,
Vater, an mir! Frohlockt ob unserer Qualen, ihr Mauern,
Die ich verriet! Ich bekenne, den Tod zu erleiden verdien' ich.
Einer von ihnen jedoch, die ich ruchlos habe beleidigt,
Bringe mich um. Warum willst du, dem unsere Schuld nur
Sieg gab, rächen die Schuld? Ein Verbrechen dem Land und dem Vater,
Muß es ein Dienst dir sein. Dich wahrlich verdient zum Gemahle
Sie, die buhlend betrog mit dem Holze den trotzigen Farren
[75] Und mißleibige Frucht in dem Schoß trug. Aber mein Rufen,
Dringt es zu Ohren dir auch? Wie, oder entführen die Winde,
Wie sie entführen dein Schiff, Fühlloser, die eitelen Worte?
Nun, nun wundert es nicht, daß Pasiphaë lieber dem Stiere
War zu Willen als dir; du hattest noch größere Wildheit.
Wehe mir! Sorglos eilt er davon, und zerteilt von den Rudern
Rauschet die Flut, und mit mir bleibt unser Gestade dahinten.
Eitles Bemüh'n, o du, der meiner Verdienste vergessen!
Dir nachfolg' ich zum Trotz, und den bauchigen Spiegel umklammernd
Lass' ich mich zieh'n durchs Meer.« Sie sprach's, und im Nu in die Wogen
Springt sie und kommt an das Schiff, da Kraft ihr verleiht das Verlangen,
Und an dem gnosischen Kiel hängt fest die verhaßte Gefährtin.
Wie sie der Vater erblickt – denn er schwebte bereits in den Lüften,
Da er sich wandelte jüngst zum bräunlich befiederten Fischaar –
Kommt er geschossen und will sie zerreißen mit hakigem Schnabel.
Jene geschreckt läßt fahren das Schiff; doch während des Falles
Schien sie zu halten die Luft, daß nicht sie berührte die Wellen.
Federn verwehrten den Fall; durch Federn zum Vogel gewandelt
Heißt sie Ci'ris und führt vom geschorenen Haare den Namen.
[76] Hundert an Zahl weiht Stiere zum Dank dem Jupiter Minos,
Wie er gelobt, sobald er vom Schiff das cure'tische Eiland
Wieder betrat, und die Burg ist geschmückt mit der hangenden Beute.
Groß war geworden indes die Schmach des Geschlechts, und der Mutter
Schändliche Lust ward kund in dem doppelgestaltigen Untier.
Minos beschloß zu entfernen den Schimpf des gemeinsamen Lagers
Und in verschlungenem Bau und dunklem Versteck zu verbergen.
Dä'dalus, rühmlich bekannt durch Geschick in den bildenden Künsten,
Schaffet das Werk. Merkmale verwirrt er und führt in die Irre
Täuschend den Blick durch die Zahl vielfältig gewundener Wege.
So wie der lautere Strom des Mäa'ndros in phrygischen Auen
Treibt sein Spiel und im zweifligen Lauf hinfließt und zurückfließt,
Wie er begegnet sich selbst und schaut auf die kommenden Wellen
Und zu der Quelle sich bald, bald wendend zum offenen Meere
Ziellos irrende Flut abmüht; so machte der Gänge
Wirrwarr Dädalus auch voll Trug, und er fand zu der Schwelle
Selbst kaum wieder den Weg: so ist das Gebäude verfänglich.
Als er den Zwitter von Stier und Mann darinnen verschlossen
[77] Und das Getier, zweimal mit aktä'ischem Blute gemästet,
Lag von dem dritten gefällt neunjährlich erneuerter Lose,
Dann die schwierige Thür, die vormals keiner gewonnen,
War auf der Jungfrau Rat mit gewickeltem Faden gefunden,
Schiffte von hinnen alsbald, entführend die Tochter des Minos,
Ä'geus' Sohn gen Di'a und ließ die Begleiterin grausam
Dort am Gestade zurück. Der verlass'nen und klagenden Jungfrau
Nahete Li'ber zu Schutz und Umfah'n, und daß sie für immer
Stehe erhöht als lichtes Gestirn, so nimmt er die Krone
Ihr von der Stirn und wirft sie empor. Die fliegt durch den Luftraum;
Sieh, da werden im Flug die Juwelen zu leuchtenden Funken,
Und sie erhalten die Statt, in Gestalt der Krone verbleibend,
Zwischen dem knieenden Bild und dem Träger der Schlange inmitten.
Dädalus aber, indes langwierigen Bannes und Kreta's
[78] Müde geworden und heim nach dem Lande der Jugend sich sehnend,
War umschlossen vom Meer. »Mag Länder er sperren und Wogen« –
Sprach er – »der himmlische Raum ist frei. Dort wollen wir ziehen.
Sei er von allem der Herr, nicht Herr von den Lüften ist Minos.«
Dädalus sprach's, und richtend den Geist auf neue Erfindung
Ändert er schlau die Natur. Denn er stellt, von der kleinsten beginnend,
Federn zusammen in Reih', auf die lange die kürzere folgend,
Daß ungleich man sie wähnte gesproßt. So geht in die Höhe
Mit dem verschiedenen Rohr allmählich die ländliche Flöte.
Unten verband er sie dann mit Wachs, mit Zwirn in der Mitte,
Und die vereinigten bog er in wenig bemerklicher Krümmung,
Wirklichen Fittigen gleich. Nah stand bei dem Werke der Knabe
I'karus, der ohn' Arg, mit welchen Gefahren er spielte,
Bald mit lachendem Mund, wenn wehende Luft sie gehoben,
Federn erhaschte im Flug, bald auch mit dem Daumen geschmeidig
Drehte das gelbliche Wachs und den Vater im Wundergeschäfte
Störte mit kindlichem Spiel. Wie an das Beginnen die letzte
Hand er gelegt, hebt selbst auf den beiden gefertigten Flügeln
Wägend der Künstler den Leib und schwebt im geschlagenen Luftraum.
Weisung erteilt er dem Sohn und spricht: »In der Mitte des Weges,
Ikarus, bleib', daß nicht dir Wasser beschwere die Schwingen,
Wenn zu niedrig du gehst, zu hoch, sie versenge das Feuer.
Fliege von beiden entfernt. Auch sieh nicht nach dem Boo'tes
Oder nach He'like hin und dem dräuenden Schwert des Ori'on.
Halte die Bahn mir nach.« Auch nützliche Lehren im Fliegen
Gibt er ihm noch und fügt an die Schultern das neue Gefieder.
Unter dem Thun und der Warnung benetzt sich die Wange des Greises,
[79] Und ihm zittert die Hand. Nun küßt er den Sohn, um ihn niemals
Wieder zu küssen hinfort, und empor von den Schwingen getragen
Fliegt er voran, voll Angst um den anderen, ähnlich dem Vogel,
Der in die Luft aus dem hohen Genist die jungen hinausführt;
Nachzukommen ermahnt er und lehrt die verderblichen Künste,
Schwingt mit den Flügeln sich selbst und blickt nach den Flügeln des Sohnes.
Mancher, indem er mit schwankendem Rohr nachtrachtet den Fischen,
Oder ein Hirt auf den Stab, ein Pflüger, gestützt auf die Sterze,
Sieht sie und staunt und vermeint, die im Äther vermöchten zu schweben,
Müßten Unsterbliche sein. Schon lag die junonische Sa'mos
Links für das fliegende Paar, das De'los verlassen und Pa'ros,
Rechts war Lebi'nthos vom Weg und die honigreiche Kaly'mne:
Als am verwegenen Flug sich der Knabe begann zu ergötzen,
Keck den Führer verließ und von Lust nach dem Himmel verleitet
Höheren Weg einschlug. Weich wird von der Nähe der heißen
Sonne das duftende Wachs, die bindende Fessel der Federn.
Weg war geschmolzen das Wachs: noch schwingt er die nackenden Arme,
Aber des Ruders beraubt kann Lust nicht fürder er fassen,
Und es empfängt den Mund, der schreiend den Namen des Vaters
Nannte, die bläuliche Flut, die drauf nach dem Knaben genannt ward.
»Ik'arus, Ikarus, komm!« – so ruft der bekümmerte Vater,
Nicht mehr Vater anjetzt – »Wo bist du? Wo soll ich dich suchen?
Ikarus!« schallt sein Ruf. Da sieht er im Wasser die Federn,
Und er verwünscht die erfundene Kunst und bestattet den Leichnam,
Und vom bestatteten Leib ist der Name verliehen dem Eiland.
[80] Während er barg im Hügel den Leib des bejammerten Sohnes,
Schaute vom schlammigen Graben ihm zu ein schreiendes Rebhuhn,
Schlug mit den Schwingen erfreut und bewies Frohlocken mit Krähen,
Einzig vorhanden zur Zeit und noch nie als Vogel gesehen,
Jüngst zum Geflügel gesellt, dir, Dä'dalus, ewig ein Vorwurf.
Denn ihm hatte den Sohn, des Geist zum Lernen begabt war,
Ohne zu ahnen sein Los, in die Lehre gegeben die Schwester,
Als zwölf Male bereits sich dem Knaben erneut der Geburtstag.
Dieser ersah nun auch als Muster das zackige Rückgrat,
Das er am Fische bemerkt, und schnitt fortlaufende Zähne
Ein in die Schärfe des Stahls und erfand die nützliche Säge.
Er auch war's, der in einem Gelenk zwei eiserne Arme
Fügte zuerst, daß, während sie schied gleichmäßiger Abstand,
Einer davon stillstand und einer im Kreise sich drehte.
Dädalus sah es mit Neid und warf ihn hinunter von Pa'llas'
Heiliger Burg und log, er wäre gestürzt. Doch Mine'rva,
Schaffenden Geistern geneigt, fing schützend ihn auf und verlieh ihm
Vogelgestalt und umhüllt' ihn inmitten der Luft mit Gefieder.
Aber die strebende Kraft des zuvor so rührigen Geistes
Ging in Flügel und Fuß. Wie früher behielt er den Namen.
Hoch vom Boden jedoch kann nicht sich erheben der Vogel,
Noch auch baut er das Nest auf Zweigen und oben im Wipfel:
Nah an der Erd' hin fliegt er und legt in Zäune die Eier;
Hohes vermeidet er bang, vormaligen Falles gedenkend.
Sichere Ruhe genoß im ätnäischen Land nach den Mühen
Dädalus. Ihm zum Schutze die Waffen ergreifend, erwies sich
Co'calus milde gesinnt. Längst war der betrübenden Sendung
[81] Wieder enthoben Athen durch Theseus' rühmliche Großthat.
Reich sind Tempel bekränzt, und Minerva, die streitbare Jungfrau,
Ruft man und Jupiter an und die anderen Götter und ehrt sie
Treu dem Gelübde mit Blut, mit Gaben und reichlichem Weihrauch.
Fa'ma die schweifende trug rings durch die argo'lischen Städte
Theseus' Ruhm, und die Völker gesamt in der reichen Achaja
Baten den Helden um Schutz, wenn große Gefahr sie bedrängte;
Ihn bat Ca'lydon auch, wiewohl dort war Melea'gros,
Dringend um Schutz mit flehendem Ruf. Anlaß zu der Bitte
Gab ein Schwein, das zürnend geschickt als Rächer Dia'na.
Ö'neus hatte zum Dank für die Fülle gesegneten Jahres
Erstlingsfrucht, wie man sagt, der Ce'res geweiht, dem Lyä'us
Spende des Weins, Palla'dischen Saft der blonden Minerva.
Allen den Himmlischen ward nach den ländlichen Mächten die Ehre,
Drüber sie wachen, zu teil, und allein ohn' Opfer gelassen
Feierte nur der Altar der vergessenen Tochter Lato'na's.
Zorn faßt Himmlische auch. »Nicht soll ausbleiben die Strafe;
Ist mir die Ehre versagt, soll nicht mir die Rache versagt sein!«
Sprach sie und schickte gekränkt als Rächer der Schmach auf des Öneus
Äcker ein Schwein. Noch nie hat größer die fette Epi'ros
Stiere gezeugt, und kleinere geh'n auf sicu'lischen Auen.
Sprühend in Feuer und Blut ist der Blick; starr sträubt sich der Nacken;
(Aufrecht stehen gesträubt wie starrende Lanzen die Borsten;)
Über die Breite der Brust fließt nieder mit heiserem Zischen
Kochender Schaum; vorsteh'n gleich indischen Zähnen die Hauer;
Blitzstrahl fährt von dem Maul, und das Laub wird brennend vom Anhauch.
[82] Bald in den Halmen zertritt die sprossenden Saaten der Eber,
Bald auch mäht er hinweg den Segen des klagenden Landmanns,
Zeitig bereits, und zerstört in den Ähren das Brot, und die Tenne
Harret umsonst und der Speicher umsonst der verheißenen Ernte.
Niedergestampft wird samt dem Geranke die schwellende Traube
Und mit den Ästen die Frucht der beständig belaubten Olive.
Auch an den Schafen erweist er den Grimm. Nicht können sie schützen
Hüter und Hund, noch auch wutschnaubende Stiere das Hornvieh.
Rings eilt flüchtiges Volk, und sie glauben sich nirgends gesichert
Als in den Mauern der Stadt, bis mit Meleagros zu sammen
Sich die erlesene Zahl ruhmgieriger Jünglinge scharte:
Ty'ndarus' Zwillingspaar, im Faustkampf dieser bewähret,
Jener zu Roß, und des ältesten Schiff Ausrüster, Ja'son;
Theseus samt dem Piri'thous auch, die glückliche Eintracht;
Zwei Thestia'den dazu und des A'phareus Söhne; mit Ly'nkeus
I'das im Lauf gar flink, und der nicht mehr weibliche Cä'neus;
Als Speerwerfer berühmt Aca'stus; der wilde Leuki'ppus;
[83] Dry'as, Hippo'thous dann; der Amy'ntor entsprossene Phö'nix;
Mit dem Acto'rischen Paar der von E'lis gesendete Phy'leus;
Te'lamon auch fehlt nicht und der Vater des großen Achi'lles;
Und mit des Phe'res Sproß der hya'ntische Held Jola'us;
Rührig Eury'tion auch und der Sieger im Rennen Echi'on;
Hy'leus, Pa'nopeus dann; der nary'cische Le'lex; der wilde
Hi'ppasus; Ne'stor der Held, jetzt noch in der Blüte der Jahre;
Die Hippo'coon fern ließ zieh'n von der alten Amy'klä;
Auch der parrha'sische Held Ancä'us; Pene'lope's Schwäher:
A'mpyx' deutender Sohn; der Ökli'de, für jetzt vor der Gattin
Sicher, und Te'gea's Kind, der Schmuck des lycä'ischen Haines.
Ihr war oben das Kleid mit geglätteter Spange geheftet;
Einfach trug sie das Haar zum einzigen Knoten gesammelt;
[84] Glänzend von Elfenbein hing links von der Schulter der Pfeile
Klirrender Hüter herab; auch hing an der Linken der Bogen.
Also der Jägerin Tracht. Das Gesicht, man hätt' es am Manne
Wohl jungfräulich mit Fug, doch männlich genannt an der Jungfrau.
Kaum erst war sie geseh'n, so begehrt schon Kalydons He'ros
Ihren Besitz zuwider dem Gott, und verborgenes Feuer
Fängt er und sagt: »O glücklich der Mann, den diese der Liebe
Würdigen wird!« Doch mehr nicht läßt ihn die Zeit und die Ehre
Reden; das größere Werk drängt jetzt voll großer Entscheidung.
Ein vielstämmiger Wald, den kein Zeitalter gelichtet,
Hebt von der Ebene an und schaut auf gesenkte Gefilde.
Als dorthin sie gelangt, sind einige Garne zu stellen
Thätig, die Hunde befreit ein Teil von der Koppel, der Fährte
Gehen die anderen nach, sich Gefahr zu erspähen beflissen.
Hohl ging nieder ein Thal, worein sich die Bäche zu senken
Pflegten, von Regen geschwellt. Auf dem Grund in schlammiger Lache
Wuchert Gestrüpp und Weidengebüsch, sumpfliebende Binsen,
Schwankendes Schilf und um ragendes Rohr kurzhalmiges Riedgras.
Aufgetrieben von dort fährt unter die Feinde der Keiler
Tobend und jach wie der Strahl, der zuckt aus zerrissenen Wolken.
Schwach vor dem Anlauf fällt das Gehölz, und gebrochene Stämme
Krachen. Die Jünglinge schrei'n und halten in rüstiger Rechten
Schützend die Spieße voraus, die schimmern mit mächtigem Eisen.
Jener versprengt die Hunde im Schuß, wie dem Wütenden einer
Sperret den Weg, und zerstreut durch seitliche Stöße die Kläffer.
Da nun sauste zuerst, von dem Arm des Echion geschwungen,
Eitel ein Speer und verwundete leicht nahstehenden Ahorn.
Wäre das nächste Geschoß nicht allzu kräftig geschleudert,
Schien es zu haften bestimmt in dem Rücken, wonach es geschnellt war.
Drobhin flog es, entsandt vom pagasischen Helden Jason.
»Wenn« – sprach Ampyx' Sohn – »ich immer dich ehrte und ehre,
Laß auch, Phö'bus, das Ziel mich treffen mit sicherem Wurfe!«
[85] Wie er vermag, willfahrt ihm der Gott. Wohl trifft er den Eber,
Doch er verwundet ihn nicht. Das Eisen am fliegenden Wurfspieß
Hatte Diana entwandt, und der Schaft kam ohne die Spitze.
Da wird rege der Zorn in dem Tier, und es brennt wie der Blitzstrahl;
Flammen entsprühen dem Blick, und die Brust schnaubt flammenden Atem.
So wie ein Steinblock fliegt, von gezogener Sehne geschleudert,
Wenn er zum Turm hinstrebt voll Kriegsvolk oder zur Mauer:
Also mit sicherer Wucht auf die Jünglinge rannte das Schwein ein,
Und den Eupa'lamus gleich und den Pe'lagon – rechts auf dem Flügel
Wachten sie – streckt' es dahin. Die Gestreckten entrafften die Freunde,
Aber Enä'simus fand nicht Schutz, des Hippo'coon Sprößling,
Vor dem vernichtenden Stoß. Wie er zitternd den Rücken zu wenden
Dachte, versagten den Dienst des Knie's durchhauene Sehnen.
Vor der trojanischen Zeit schon konnte den pylischen Kämpfer
Raffen der Tod; doch Schwung an gestemmeter Lanze sich gebend
Sprang er hinan auf die Äste des Baums, der stand in der Nähe,
Wo er aus sicherer Höh' auf den Feind sah, den er gemieden.
Jener im Grimm, nachdem er die Hauer gewetzt an dem Eichstamm,
Dräuet Verderben und stößt, den erneuerten Waffen vertrauend,
Actors stattlichem Sohn in die Lende den bohrenden Rüssel.
Aber das Zwillingspaar, noch nicht ein himmlisches Sternbild,
Kam auf Rossen gesprengt, die dem Schnee gleichkamen an Weiße,
Beide gar stattlich zu seh'n, und sie ließen die Spitzen der Speere
Beide zugleich durch die Luft hinschwirren in zitterndem Fluge.
Blut auch wäre geströmt, wenn nicht sich begab in das Dickicht,
Unzugänglich für Roß und Lanze, das borstige Untier.
[86] Ihm setzt Telamon nach, und im unvorsichtigen Eifer
Fällt er, gehemmt von der Wurzel des Baums, vornüber zur Erde.
Während ihn Peleus hebt, hat Te'gea's Heldin den raschen
Pfeil auf die Sehne gelegt und schnellt ihn vom schweifigen Bogen.
Unter dem Ohr bleibt haften das Rohr, das eben die Haut nur
Ritzte dem Eber, und färbt mit wenigem Blute die Borsten.
Über des Schusses Erfolg war sie nicht froher im Herzen,
Als Meleagros es war. Er schaute zuerst, wie erzählt wird,
Zeigte zuerst das gesehene Blut den Gefährten und sagte:
»Dir, o Heldin, gebührt der Preis und die Ehre des Tages.«
Rot sind die Männer vor Scham, und sie muntern sich auf und beleben
Schreiend den Mut und werfen gedrängt durch einander die Speere;
Aber es schadet der Schwarm und verhindert die Würfe zu treffen.
Zwang thut seinem Geschick der arkadische Träger der Streitaxt:
»Lernt« – so ruft er – »wie viel, ihr Jünglinge, männliche Waffen
Besser denn weibliche sind. Laßt mich allein nur gewähren!
Wenn ihn mit eigener Wehr auch schützt die Latonische Göttin,
Soll ihn bewältigen doch mein Arm zum Trotz der Diana.«
Also hat er gesagt hochmütig mit prahlendem Munde,
Mit zwei Händen sodann aufhebend die doppelte Streitaxt
Sich auf die Zehen gestellt, nur vorn auf den Spitzen sich haltend.
Früher erreicht den Dreisten das Wild und stößt ihm die Hauer
Beid' in die Weichen des Bauchs, wo dem Tode der schleunigste Zutritt.
Hin ist Ancäus gestreckt, und im Knäuel mit reichlichem Blutstrom
Drängt sich heraus das Gedärm, und vom Blute genäßt ist die Erde.
Grad' auf den Feind ging jetzt, mit kräftiger Rechten den Jagdspieß
Schwingend, Pirithous los, Iri'ons wackerer Sprößling.
[87] Ihm rief Ä'geus' Sohn: »Halt ein, Teil unserer Seele,
Teuerer mir als ich; bleib fern! Kraft mag sich beweisen
Fernher auch. Schlimm war der verwegene Mut für Ancäus.«
Sprach's und warf mit der Spitze von Erz die schwere Cornelle.
Wohl abmaß er den Wurf und konnte des Zieles gewiß sein,
Aber ein buschiger Ast vom Eichbaum stand in dem Wege.
Ä'sons Sohn auch warf mit dem Spieß; den lenkte vom Eber
Zufall ab zum Verderb unschuldigen Kläffers, und bohrend
Fuhr er dem Hund in die Weichen und stak durch die Weichen im Boden.
Wechsel erfuhr der Önid im Glück. Von den beiden versandten
Stak ein Speer in dem Grund und der andere mitten im Rücken.
Rasch nun, während das Tier wild tobt und im Kreise den Körper
Wendet und zischenden Schaum läßt strömen mit frischem Geblüte,
Stellt sich dem Feinde des Streichs Urheber, und Grimm ihm erweckend
Stößt er von vorn ihm grad' in die Brust den glänzenden Jagdspieß.
Freude bezeigen umher die Gefährten mit jubelndem Rufe;
Jegliche Rechte bestrebt sich die siegende Rechte zu drücken,
Und das entsetzliche Tier, das weit an der Erde gestreckt lag,
Schauen verwundert sie an und vermeinen noch nicht die Berührung
Sicher genug; doch färbt mit dem Blute sich jeder die Waffen.
Auf das verderbliche Haupt stellt jetzo den Fuß Meleagros;
»Nimm sie« – sprach er sodann – »nonakrische Dirne, die Beute,
[88] Die mir ward, und es falle der Ruhm uns beiden zum Anteil!«
Und das erstrittene Fell, das starrte von struppigen Borsten,
Gibt er ihr hin und den Kopf, mit den mächtigen Hauern gewaffnet.
Hoch war jene erfreut ob der Gabe zugleich und des Gebers;
Aber es regte sich Neid, und umher war Murren im Haufen.
Thestius' Söhne voran mit zornig erhobener Stimme
Rufen, die Arme gestreckt: »Leg' nieder, und unseren Anspruch
Maße dir, Weib, nicht an, und das eitle Vertrauen auf Schönheit
Täusche dich nicht; Schutz fändest du nicht bei dem liebenden Geber.«
Damit nehmen sie ihr das Geschenk, ihm Recht zu verschenken.
Aber des Ma'vors Sohn trug's nicht, und im wallenden Zorne
Knirscht er und ruft: »So lernt, ihr Räuber erworbener Ehre,
Wie viel fehlt von der Drohung zur That!« Und die Brust des Plexippus,
Der nicht solches besorgt, durchbohrt er mit frevligem Eisen.
Toxeus, der sich bedenkt, was zu thun, und den Bruder zu rächen
Ebenso sehnlich verlangt, wie er bangt vor dem Lose des Bruders,
Läßt nicht lang sich bedenken der Held, und im Blute des Oheims
Wärmt er den Speer, noch warm von dem vorigen Morde, von neuem.
Froh, daß Sieger der Sohn, trug Spenden zum Tempel Althäa,
Als heimtragen sie sah die verblichenen Leichen der Brüder.
Außer sich schlägt sie die Brust, und mit Klagen und ständigem Wehruf
Füllt sie die Stadt und vertauscht mit schwarzem Gewande das goldne.
Wie ihr der Mörder jedoch kund wird, ist jegliche Trauer
Plötzlich verdrängt und von Thränen in Gier nach Rache verwandelt.
Als nach des Knaben Geburt einst dalag Thestius' Tochter,
Legten ein Scheit in die Glut die dreifach waltenden Schwestern.
Mit andrückendem Daum abspinnend den Faden des Lebens
Sagten sie: »Gleichen Bestand verleihen wir dir und dem Holze,
Eben geborenes Kind.« Als nach dem gegebenen Bannspruch
Wieder die drei sich entfernt, zog weg von dem Feuer die Mutter
Schleunig den brennenden Ast und besprengt ihn mit löschendem Wasser.
[89] Lang lag jener versteckt im verborgensten Raume des Hauses,
Wo er erhalten zugleich dein Leben erhielt, Meleagros.
Den holt jetzt die Mutter hervor und Reisig und Kienholz
Heißt sie schichten und legt an die Schicht feindseliges Feuer.
Viermal war sie bereit, das Scheit auf die Flamme zu legen,
Viermal schrak sie zurück. Im Kampf sind Mutter und Schwester,
Und es gehört ein Herz zwei Namen verschiedenen Zuges.
Oft war blaß ihr Gesicht aus Furcht vor dem nahen Verbrechen;
Oft gab kochender Zorn die schreckende Röte den Augen;
Aussehn hatte sie bald, als ob sie entsetzlichen Greuel
Drohete, bald war sanft und von Mitleid zeugend die Miene.
Hatte der heftige Brand des Gemütes die Zähren getrocknet,
Drängten sich Zähren hervor hinwiederum. So wie die Barke,
Welche der Sturm fortreißt und dem Sturme begegnende Strömung,
Spürt zwiefache Gewalt und schwank jedweder gehorchet:
Also irret im Streit der Gefühle des Thestius Tochter,
Immer im Wechsel den Zorn aufgebend und wieder erweckend.
Aber die Schwester beginnt doch stärker zu sein als die Mutter,
Und zu versöhnen mit Blut durch Blut nahstehende Schatten
Übt sie im Frevel die Pflicht. Denn als das verderbliche Feuer
Loderte, rief sie: »Wohlan, mein Fleisch verbrenne der Holzstoß!«
Und das bedeutsame Holz in der Hand, die Gräßliches wagte,
Stand vor dem Grabesaltar die unglückselige Mutter,
Und sie begann: »Lenkt her, dreifältige Mächte der Strafe,
Eumeni'den, den Blick zu dem grausigen Opfer der Rache.
Frevel vergelt' und thu' ich zugleich. Tod sühnet der Tod nur;
Schuld muß sich zu der Schuld, zu den Leichen die Leiche gesellen.
Gehe das schändliche Haus durch gesteigerten Jammer zu nichte!
Öneus sollte beglückt sich erfreuen des siegenden Sohnes,
Thestius jammern verwaist? Nein, besser, ihr grämet euch beide.
[90] Ihr nur, Manen der jüngst zu den Schatten gekommenen Brüder,
Fühlt, was ich thue für euch, und empfanget das teuer erkaufte
Totengeschenk, die verdammliche Frucht aus unserem Schoße!
Weh, wo reißt es mich hin? Ihr Brüder verzeihet der Mutter!
Zu dem Beginnen versagt mir die Hand. Den Tod, ich gesteh' es,
Hat er verdient; nur ist mir des Tods Urheber zuwider.
Also er käme davon straflos? Fortlebend als Sieger
Und vom Gelingen gebläht soll jener in Kalydon herrschen,
Ihr als kärglicher Staub daliegen, als frostige Schatten?
Das darf nimmer gescheh'n. Der Schuldige sterb' und des Vaters
Hoffnung gehe zu Fall mit ihm und das Reich und die Heimat!
Wo bleibt Muttergefühl, wo bleibt Fürsorge der Eltern
Und die Beschwerden und Müh'n, die ich zehn Monde getragen?
Wärest du doch als Kind im Beginne verbrannt von dem Feuer;
Hätt' ich es nimmer gestört! Mein Dienst nur erhielt dir das Leben;
Eigene Schuld bringt jetzt dir den Tod. So büße; das Leben,
Das ich dir zweimal gab, durch Geburt und des Scheites Entraffung,
Gib es zurück nun, oder begrab' auch mich mit den Brüdern.
Ob ich es will, Kraft fehlt. Was thu' ich? Die Wunden der Brüder
Stehen vor Augen mir bald und das Bild so ruchlosen Mordes,
Bald macht weich das Gemüt Mitleiden und Liebe der Mutter.
Wehe mir! Unheilvoll ist der Sieg, doch sieget, ihr Brüder,
Wenn ich dem Trost nur auch, den euch ich gedenke zu geben,
Selbst nachfolge und euch.« Sie sprach's und mit zitternder Rechten
Warf sie von hinnen gewandt den tödlichen Brand in die Flammen.
Da kam, oder es schien von dem Scheite zu kommen ein Stöhnen,
Während es brannte, verzehrt von dem widerstrebenden Feuer.
Nichts argwöhnend und fern wird jetzt Meleagros von jenem
Feuer durchglüht und fühlt die Geweide von heimlichem Brande
Innen gedörrt; doch männlich bezwingt er die schrecklichen Schmerzen.
Daß er jedoch ruhmlos unblutigem Tode verfalle,
[91] Kümmert ihn tief, und er nennet ein Glück Ancäus' Zerfleischung.
Seinen Erzeuger, den Greis, die Brüder, die liebenden Schwestern
Ruft er unter Gestöhn und die Gattin mit sterbendem Munde,
Auch die Mutter vielleicht. Mit dem Brande steigt höher die Drangsal;
Wieder ermatten sie nun, und zugleich sind beide erloschen,
Und es verliert sich gemach in die wehenden Lüfte der Atem,
Während die Kohle gemach von weißlicher Asche umhüllt ward.
Kalydons Ruhm ist dahin. So Jünglinge trauern wie Greise;
Edele klagen und Volk ihr Leid, und am Strom des Eve'nus
Schlagen, die Haare zerrauft, an die Brust kalydonische Mütter
Staub streut über das Haar und das Greisengesicht der Erzeuger,
Jammernd am Boden gestreckt, und verwünscht das verweilende Leben.
Denn schon hatte die Hand, die gräßlicher That sich bewußt war,
Selber die Mutter bestraft mit dem Stoß tiefdringenden Eisens.
Nie, und wenn mir ein Gott auch hundert vernehmliche Zungen,
Vielumfassenden Geist und den Helikon hätte gegeben,
Könnt' ich erreichen im Wort die Klagen der jammernden Schwestern.
Anstand achten sie nicht und bleuen mit Schlägen den Busen,
Wärmen den Leib, so lang er ist, und wärmen ihn wieder,
[92] Küssen den Leichnam selbst und küssen die stehende Bahre,
Drücken, nachdem er verbrannt, an die Brust die gesammelte Asche,
Werfen sich über das Grab und umfassen den teueren Namen,
Der in den Marmor gehau'n, und benetzen den Namen mit Thränen.
Endlich, befriedigt vom Schlag, der betroffen das Haus des Partha'on,
Läßt sie, Go'rge jedoch und die Schnur der erlauchten Alkme'ne
Schonend, befiedert am Leib sich erheben die Tochter Latona's;
Fittige breitet sie aus an den Armen und macht aus dem Munde
Hornigen Schnabel und schickt sie verwandelt hinaus in die Lüfte.
Theseus kehret indes, nachdem er das Seine geholfen
An dem gemeinsamen Werk, zur Tritho'nischen Burg des Ere'chtheus.
Aber es sperrte den Weg und hielt ihn auf Achelo'us
Regengeschwellt. »Tritt ein, ruhmreicher Cecropier« – sprach er –
»Unter mein Dach, und begib dich nicht in die reißenden Wogen.
Stämme von Wucht führt mit, Felsstücke dazu in die Quere
Wälzt mit Getöse der Strom. Ich sah in der Nähe des Ufers
Hohe Gehege entrafft mit dem Vieh, und es hatten die Rinder
Nicht von der Stärke Gewinn, noch auch von der Schnelle die Rosse.
Leiber von Jünglingen auch, wenn Schnee vom Gebirge geschmolzen,
Riß in Menge hinab in den wirbelnden Strudel die Strömung.
Sicherer ist es zu ruh'n, bis daß in gewohnter Begrenzung
Rinnet der Fluß und das Bett einhalten die fallenden Wellen.«
[93] Ägeus' Sohn sagt zu und versetzt: »Obdach, Achelous,
Will ich von dir annehmen und Rat.« Er that, wie er sagte,
Und in die Halle, gebaut aus löchrigen Binsen und rauhem
Tuffstein, geht er hinein. Feucht war vom Moose der Boden;
Austern im Wechsel gefugt mit Schnecken verzierten die Decke.
Als zwei Teile des Tags durchmessen bereits Hyperi'on,
Lagerten sich auf dem Pfühl die Genossen des Weges mit Theseus.
Hier des Ixion Sproß und dort der tröze'nische Heros
Lelex, schon mit Grau durchmischt an den Schläfen das Haupthaar,
Dann auch andere noch, die würdig gehalten der Ehre,
Ob solch hohen Besuchs gar froh, Akarna'niens Stromgott.
Tische sogleich nun stellten zurecht an den Füßen entblößte
Nymphen und richteten an das Mahl. Nach der Speisen Entfernung
Brachten sie Wein in edlem Gestein. Da sprach, nach dem Meere,
Das vor Augen ihm lag, hinschauend, der treffliche Heros:
»Was für ein Ort liegt dort?« – und er wies drauf hin – »von dem Eiland
Sage den Namen mir an, obwohl nicht eines es scheinet.«
Drauf antwortet der Strom: »Nicht eins ist, was wir erblicken;
Fünf Eilande sind dort. In der Weite verschwindet die Trennung.
[94] Daß dich minder das Thun der versäumten Diana verwundre:
Nymphen waren sie sonst, die einst, da sie Farren geschlachtet
Zweimal fünf und die Götter der Flur zu der Feier geladen,
Unser mit nichten gedenk aufführten die festlichen Reigen.
Hoch aufschwoll ich und war so groß, wie wenn ich am vollsten
Walle daher, und gleich unbändig in Zorn und in Wassern
Riß ich vom Walde den Wald, vom Gefilde hinweg das Gefilde,
Und mit der Stätte die nun erst unser gedenkenden Nymphen
Wälzt' ich hinab in das Meer. Mein Strömen und jenes der Meerflut
Riß das verbundene Land von einander und schied es in Stücke
Soviel, wie du gewahrst Echina'den in Mitten der Wogen.
Doch, wie selber du siehst, weit, weit liegt eine der Inseln,
Mir gar teuer, entfernt: Perime'le nennt sie der Schiffer.
Liebe vereinigte uns, und ich nahm ihr den Namen der Jungfrau.
Zürnend erkannt' es der Vater Hippo'damas, und in die Tiefe
Stieß er zum Tode den Leib der Tochter hinab von der Klippe.
Doch ich fing sie und trug die Schwimmende: ›Dreizackträger,
Welchem das zweite der Welt, das Reich der Gewässer geworden‹ –
Betet' ich – ›hilf, und ihr, die der Vater versenkte gefühllos,
Gib du Stätte, Neptu'n, laß wenigstens selber sie Statt sein!‹
Während ich sprach, umfing schon Erde die schwimmenden Glieder,
Und dem gewandelten Leib wuchs an ein gewichtiges Eiland.«
Still schwieg jetzo der Strom. Tief hatte das Wunderbegebnis
Alle bewegt. Der Gläubigen lacht' Ixions Erzeugter,
Trotzigen Sinns, wie er war, und Verächter der Götter, und sagte:
[95] »Märchen erzählest du da, Achelous, und leihest den Göttern
Allzu große Gewalt, wenn Formen sie geben und nehmen.«
Alle entsetzten sich drob und verwarfen die frevlige Rede;
Lelex allen zuvor, an Geiste gereift und an Alter,
Redete so: »Endlos ist des Himmels Gewalt und von Grenzen
Nimmer beengt; stets ward vollführt, was Himmlische wollten.
Daß du dem Zweifel entsagst: Fern stehen auf phrygischem Hügel
Eiche und Linde vereint, umgeben von mäßiger Mauer.
Ich sah selber den Ort, denn nach den pelo'pischen Fluren,
Die sein Vater beherrscht vor Zeiten, entsandte mich Pi'ttheus.
Nahe dabei ist ein See, ehdem ein bewohntes Gefilde,
Jetzt nur Wasser, ein Sitz sumpfliebender Hühner und Enten.
Dorthin, Sterblichen gleich, kam Ju'piter; ledig der Flügel
Kam auch A'tlas' Sproß mit dem Vater, der göttliche Herold.
Hunderten nahten sie schon von Häusern und baten um Obdach;
Hunderte schlossen sich zu. Doch eines gewährete Einlaß:
War's auch niedrig und klein und gedeckt mit Stoppeln und Schilfrohr,
Bau'cis, das biedere Weib, und gleich ihr an Alter Phile'mon
Waren alldort in der Hütte vereint in den Jahren der Jugend,
Waren gealtert in ihr, und die Armut offen bekennend
Machten sie diese sich leicht und erträglich mit heiterem Gleichmut.
Eins ist es auch, ob Herrn, ob Diener du suchst in der Hütte:
Zwei nur machen das Haus, und dieselben befehlen und folgen.
Als nunmehr die Bewohner der Höh' dem bescheidenen Wohnsitz
Waren genaht und gebückt durch die niedrigen Pfosten getreten,
Hieß sie der Greis ausruhen vom Weg auf gebotenem Sessel,
Darob rohes Geweb' erst warf die geschäftige Baucis.
Eifrig zerwühlte sie dann auf dem Herde die lauliche Asche,
Weckete gestrige Glut, mit Blättern sie nährend und dürren
Rinden und fachte sie an zur Flamme mit keuchendem Atem,
Holte gespaltenes Holz und trockenes Reisig vom Boden,
Brach es entzwei und legt' es zurecht um den niedrigen Kessel.
Kohl dann, welchen der Mann im gewässerten Garten gesammelt,
[96] Streifte sie ab. Er nimmt mit der doppelzinkigen Gabel
Oben vom schwarzen Gebälk den rußigen Rücken des Schweines,
Schneidet ein mäßiges Stück alsdann von dem lange bewahrten
Vorrat ab und erweicht das Stück in den kochenden Wellen.
Beide bemühen sich auch mit Gesprächen die Weile zu kürzen,
Daß der Verzug nicht werde gemerkt. Ein buchener Kübel
Hing an der Wand, vom Pflock am verlässigen Öhre gehalten.
Lau mit Wasser gefüllt gibt der den ermüdeten Gliedern
Stärkung im Bad. Von fügsamem Ried hat mitten ein Polster
Inne das Lager, daran das Gestell und die Füße von Weiden.
Darob decken sie jetzt ein Tuch, das über die Ruhbank
Nur zu festlicher Zeit sie breiteten; aber die Decke
War auch ärmlich und alt und würdig des Weidengeflechtes.
Platz nun haben die Zwei. Hier stellt die gegürtete Alte
Zitternd den Tisch; ungleich war aber das dritte der Beine;
Scherben erhöhen das Bein. Als diese die Schiefe beseitigt
Untergelegt, wischt rein den geebneten grünende Minze.
Roh wird jetzo gebracht zweifarbige Frucht der Mine'rva,
Herbstkornellen sodann, in flüssiger Brühe geborgen,
Rettig, Endivien auch und Milch in verdichteter Masse.
[97] Eier dazu, nur leicht in der glimmenden Asche gewendet,
Alles in ird'nem Geschirr. Drauf kommt von dem nämlichen Silber
Künstlich bebildert ein Krug auf den Tisch und aus Buchen geschnitzte
Becher, mit gelblichem Wachs in der inneren Höhlung bezogen.
Kurz ist die Frist und es sendet der Herd die dampfenden Speisen.
Dann wird wieder der Wein nicht hoch von Alter geboten
Und, an die Seite gesetzt ein Weilchen, verdrängt von dem Nachtisch.
Nüsse und Feigen gemengt zu runzligen Datteln und Pflaumen,
Duftende Äpfel dazu stehn da in gespreiteten Körbchen,
Auch vom purpurnen Stocke der Reben gesammelte Trauben.
Glänzende Wab' hat mitten die Statt. Noch kommen zu allem
Freundliche Mienen hinzu und ein gern hergebender Wille.
Beide gewahren indes, wie der Krug, so oft er geleert ist,
Wieder allein sich füllt und von selber der Wein sich ergänzet.
Starr da stehn sie, vom Wunder geschreckt, und die Hände gehoben
Sprechen sie frommes Gebet, der verzagte Phile'mon und Bau'cis
Bitten um Nachsicht auch für das Mahl und die schlechte Bewirtung.
Und die alleinige Gans, die dem kleinen Gehöfte zur Hut war,
Schickten die Eigner sich an, den göttlichen Gästen zu opfern.
Sie, mit den Flügeln behend, müht lang die vom Alter Gehemmten
Ab und vereitelt ihr Thun; dann schien sie sich endlich zu flüchten
Zu den Unsterblichen selbst. Sie zu töten verboten die Götter.
›Himmlische‹ – huben sie an – ›sind wir, und gebührende Strafe
Stehet bevor den Frevlern umher. Euch wird, von dem Unheil
Frei zu bleiben gewährt. Nur geht aus euerer Wohnung;
Unserem Schritt folgt nach, und hinauf zu der Höhe des Berges
Wandert mit uns‹. Folgsam ist das Paar, und am stützenden Stabe
Sind sie bemüht zu erklimmen den lang ansteigenden Hügel.
[98] So weit, wie ein geschossener Pfeil kann gehen auf einmal,
Waren vom Gipfel sie noch: sie wandten die Augen und sahen
Alles versunken in Sumpf und nur ihr Häuschen geblieben.
Während sie staunen darob und beweinen das Los der Bekannten,
Wandelt die alte, sogar für zwei Inwohner zu kleine
Hütte zum Tempel sich um. Als Säulen erscheinen die Stützen;
Gelb erglänzet das Stroh, und das Dach ist prangend von Golde,
Künstlich gemeißelt die Thür und gedeckt mit Marmor das Estrich.
Da sprach also der Sohn des Satu'rnus mit gütigem Munde:
›Redlicher Greis und Weib, so würdig des redlichen Gatten,
Sagt nun, was ihr euch wünscht.‹ Wie er kurz sich besprochen mit Baucis,
Machte der Greis den Göttern bekannt den gemeinsamen Ratschluß:
›Euere Priester zu sein und eueren Tempel zu hüten
Wünschten wir uns, und weil wir die Jahre verlebten in Eintracht,
Nehme dieselbige Stund' uns fort, und möchte ich niemals
Schauen der Gattin Grab, noch sie mich selber bestatten!‹
Was ihr Begehr, traf ein. Sie hatten, so lange sie lebten,
Über den Tempel die Hut. Wie sie einst vor den heiligen Stufen
Standen, von Jahren gebeugt und von Alter, und eben erzählten,
Was mit der Stätte gescheh'n, sah Baucis, wie plötzlich Philemon,
Sah Philemon, der Greis, wie Baucis mit Laub sich bedeckte.
Während um beider Gesicht schon wuchs in die Höhe der Wipfel,
Wechselten Worte sie noch, so lange sie konnten, und sprachen
Beide zugleich: ›Leb wohl, o Gemahl!‹ und verdeckt vom Gezweige
Ward gleichzeitig ihr Mund. Jetzt noch zeigt Di'niäs Bürger
Dort aus Leibern gesproßt die zwei nahstehenden Stämme.
Greise, verlässig im Wort – warum auch sollten sie lügen? –
Haben mir solches erzählt. Ich habe die hangenden Kränze
Selbst an den Ästen geseh'n, und ich weihete frische und sagte:
[99] Fromme sind Himmlischen lieb, und geehrt wird, wer sie geehrt hat.«
Schluß war nun. Wie die Mär, hat alle bewegt der Gewährsmann,
Theseus aber zumeist. Als der noch göttliche Wunder
Ferner zu hören verlangt, spricht also, gestützt mit dem Arme,
Kalydons Strom: »Die Gestalt, o rüstiger Streiter, verkehrte
Manchem sich einmal nur und verharrte in solcher Erneuung.
Andere haben die Macht, sich in mehrere Formen zu wandeln,
Ähnlich wie du, Inwohner des landumfassenden Meeres,
Pro'teus: bald wie ein Leu, bald zeigtest du dich wie ein Jüngling;
Wütender Eber erschienest du jetzt, dann wieder ein Drache,
Den zu berühren man bangt, bald machten dich Hörner zum Stiere;
Oft auch konnte man dich als Stein, oft schauen als Baumstamm;
Auch bisweilen, den Schein durchsichtigen Wassers dir gebend,
Warst du ein Fluß, bisweilen der Flut feindseliges Feuer.
Gleiche Gewalt ist dem Weib des Auto'lycus, die Erysi'chthon
Zeugte, verlieh'n. Ihr Vater vermaß sich dem Walten der Götter
[100] Hohn zu sprechen und nie sie zu ehren mit Bränden des Altars.
Ce'res' Hain gar hab' er verletzt mit dem Beile, erzählt man,
Und mit dem Eisen entweiht die altehrwürdige Waldung.
Dort vieljährigen Stamms war eine gewaltige Eiche,
Selber ein Wald. In der Mitt' umgaben Erinnerungstafeln,
Bänder und Kränze den Baum, Denkzeichen erhörter Gelübde.
Unter ihm drehten sich oft die Drya'den im festlichen Reigen;
Oftmals auch, an einander gereiht mit verschlungenen Händen,
Gingen sie rund um den Stamm, und fünfzehn Ellen im Umfang
Füllte der Eichbaum aus. So tief auch unter der Eiche
Lag der übrige Wald, wie unter dem Walde der Rasen.
Aber es hielt darum nicht fern von dem Baume das Eisen
Tri'opas' Sohn, und den Dienern gebeut er, die heilige Eiche
Niederzuhau'n. Wie er zagend sie noch sieht stehen, entreißt er
Ruchlos einem die Axt und spricht die vermessenen Worte:
›Wäre sie auch nicht bloß von der Göttin erkoren und Göttin
Selber, sie soll doch jetzt mit dem laubigen Haupt an die Erde!‹
Sprach's, und während er schwingt zum Streiche die Axt von der Seite,
Schauert zusammen und stöhnt tief auf die Deo'ische Eiche,
Und es begannen zugleich mit dem Laub zu erblassen die Eicheln,
Blässe bezog nicht minder die weit abstehenden Äste.
Jetzt, wo die frevlige Hand in den Stamm ihr geschlagen die Wunde,
Floß nicht anders das Blut aus dem Spalt der geöffneten Rinde,
Als sich ein blutiger Strahl, wenn vor dem Altare als Opfer
Stürzt der gewaltige Stier, vom durchhauenen Nacken hervordrängt.
Starr sind alle darob, und einer von allen erkühnt sich
[101] Abzuhalten den Greul und dem wütenden Beile zu wehren.
Auf ihn schauet und spricht der Thessa'lier: ›Nimm die Belohnung
Frommen Gemüts!‹ Und er wendet auf ihn von dem Baume das Eisen,
Haut ihm vom Rumpfe das Haupt und schlägt in die Eiche von neuem.
Da ward also ein Ruf aus der Mitte der Eiche vernommen:
›Unter dem Holz bin ich, von den Nymphen die liebste der Ceres.
Sterbend verkünd' ich es dir voraus, daß deines Verbrechens
Strafe dir stehet bevor, ein Trost für unser Verderben.‹
Jener beharrt bei dem schuldigen Thun, und erschüttert am Ende
Durch vielfältigen Hieb und heran am Seile gezogen
Stürzte der Baum und warf durch die Last viel Stämme zur Erde.
Doch die Drya'den, bestürzt durch des Haines Verlust und den eignen,
Treten, die Schwestern gesamt, leidtragend in schwarzen Gewändern
Hin vor Ceres und fleh'n, daß Lohn Erysichthon empfange.
Ceres die liebliche nickt und macht mit des Hauptes Bewegung
Ringsum beben die Flur, die strotzende Ernten belasten.
Strafe ersinnet sie ihm gar mitleidswürdig, wofern er
Durch Thun unwert nicht wäre geworden des Mitleids:
Daß ihn der Hunger verfolg' und peinige. Aber dieweil sie
Dem nicht selbst darf nah'n – daß Ceres und Hunger zusammen
Kommen, verbeut das Geschick – ruft unter den Mächten der Berge
Eine sie her und beginnt zu der ländlichen Orea'de:
›Fern ist am äußersten Strand in dem eisigen Lande der Sky'then
Kahl und traurig ein Ort, nicht Feldfrucht tragend noch Bäume,
Dort ist starrender Frost, dort Blässe und Schauder und Hunger,
Der stets darbet, zu Haus. Den heiße dem Schänder sich bergen
In das verruchte Gedärm. Ihn soll nicht Fülle der Habe
Bannen, und unsere Macht auch soll er bezwingen im Wettstreit.
[102] Daß dich die Weite des Wegs nicht kümmere, nimm dir den Wagen,
Nimm dir mein Drachengespann und lenk' es am Zaum in der Höhe.‹
Sprach's und gab. Sie fährt durch die Luft mit dem Wagen und läßt sich
Nieder im skythischen Land. Auf dem Gipfel des starren Gebirges –
Kau'kasus wird es genannt – entschirrt sie die Hälse der Schlangen.
Den sie gesucht, den Hunger erblickt sie in steinigem Felde,
Wie er sich Gras ausrupft mit Nägeln und seltenen Zähnen,
Struppig das Haar und blaß das Gesicht, hohlliegend die Augen,
Grau die Lippen von Schmutz, voll trockenen Wustes die Kehle,
Spröde die Haut, dadurch die Geweide sich ließen erkennen.
Dürr vorstanden an tief eingehenden Lenden die Knochen;
Stelle des Bauchs war nur für den Bauch; frei, möchte man glauben,
Schwebte die Brust, nur noch von des Rückgrats Flechte gehalten.
Magerkeit hob die Gelenke hervor, und die Scheiben der Kniee
Strotzten und über Gebühr war sichtlich der Knöchel Erhöhung.
Wie sie von fern den sah, – nicht wagte sie nahe zu gehen –
That sie der Göttin Geheiß ihm kund und nach kurzem Verweilen,
Ob auch fern sie stand, ob auch kaum erst sie gekommen,
Spürete Hunger sie doch, und von hinnen gewendet die Zügel,
Trieb sie die Drachen zurück nach Hämonien hoch in den Lüften.
Aber der Hunger, wie sehr auch immer dem Wirken der Ceres
Feindlich er ist, vollzieht ihr Gebot und fliegt durch den Luftraum
Zu dem befohlenen Haus mit dem Wind, und des Götterverächters
Kammer betritt er alsbald und empfängt ihn mit doppeltem Arme,
Während in ruhigem Schlaf – denn Nachtzeit war's – er gebannt lag.
Sich einhaucht er dem Mann, und den Mund und die Brust und die Kehle
Weht er ihm an und flößt in die Adern bedürftige Leere.
Nach vollzog'nem Geheiß die fruchtbaren Lande verlassend,
Kehrt er zurück in das ärmliche Haus zum gewohnten Gefilde.
[103] Immer umschmeichelte noch Erysichthon mit sanftem Gefieder
Freundlicher Schlaf. Nach Speise verlangt er im Bilde des Traumes.
Eitel bewegt er den Mund, ermüdet den Zahn an dem Zahne,
Läßt an vermeintem Gericht Dienst thun den betrogenen Gaumen
Und schluckt nichtige Luft statt Kost mit vergeblicher Mühe.
Als nun aber die Ruh fort war, tobt brennende Eßlust,
Herrschend im gierigen Schlund und im unermeßlichen Bauche.
Lang' nicht währt's, und er heischt, was Meer, was Erde, was Luftraum
Bringen hervor, und klagt ob Hungers an reichlicher Tafel.
Selbst bei dem Mahle vermißt er das Mahl; was Städten genügte,
Was für ein Volk wohl wäre genug, ist dem einen zu wenig,
Und er begehrt stets mehr, je mehr in den Bauch er hinabsenkt.
So wie das Meer aufnimmt von den sämtlichen Landen die Flüsse,
Nie satt wird von der Flut und verschluckt die entlegensten Ströme;
Wie die verzehrende Glut auch nie sich weigert der Nahrung,
Scheiter zu Haufen verbrennt und stets, je größerer Vorrat
Ihr zufällt, mehr will und gefräßiger wird durch die Menge:
So nimmt all die Gerichte der Mund Erysichthons, des Frevlers,
Auf und begehret zugleich. Bei ihm wird jegliche Speise
Grund zur Speise und stets wird lediger Raum durch das Essen.
Schon war nun von der Gier und des Bauchs Abgrunde verringert,
Was er vom Vater geerbt; doch unverringert beharrte
Immer die schreckliche Gier, und des nimmer befriedigten Gaumens
Glut blieb stark, und zuletzt, wie der Magen verschlungen die Habe,
Blieb ihm die Tochter allein, die nicht den Vater verdiente.
Sie auch verkauft er verarmt. Den Gebieter verweigert die Edle.
Über die Wogen vom Strand hinstreckend die Hände, begann sie:
[104] ›Gib mir Schutz vor dem Herrn, du, welcher erbeutet das Kleinod
Unserer Jungfrauschaft!‹ Das hatte Neptunus erbeutet.
Dieser erhört ihr Flehen und gibt, obwohl sie noch eben
Sah der verfolgende Herr, ihr andre Gestalt und verleiht ihr
Männliche Züge und Tracht, wie Fischer sie pflegen zu haben.
Wie er sie schaut, spricht also ihr Herr: ›Du Lenker des Rohres,
Der du das hangende Erz versteckst in dem winzigen Köder:
Möge dir ruhig das Meer und möge der Fisch in der Welle
Arglos sein und erst bei dem Anbiß merken den Haken.
Die mit schlechtem Gewand und verworrenen Haaren so eben
Stand allhier an dem Strand, – ich sah am Strande sie stehen –
Sage mir an, wo sie ist, denn nicht geh'n weiter die Spuren.‹
Jene bemerkt, wie der Dienst des Gottes ihr frommt, und sich freuend,
Daß um sich sie werde gefragt, gibt also sie Auskunft:
›Wer du seiest, verzeih! Ich wandte das Auge nach keiner
Seite vom Wasser hinweg und gab nur Acht auf die Arbeit.
Daß nicht Zweifel du hegst: so wahr mir bei diesem Geschäfte
Helfe der Herrscher des Meers; schon längst hat außer mir selber
Weder ein Mann noch Weib an diesem Gestade gestanden.‹
Ihr schenkt Glauben der Herr, und den Fuß im Sande gewendet,
Geht er betrogen hinweg. Ihr kehrte die vorige Bildung.
Wie es der Vater gemerkt, daß fähig ihr Körper der Wandlung,
Gab er zum öfteren fort des Triopas Enkelin. Stute
Wurde sie bald, bald Kuh, als Hirsch, als Vogel entfloh sie,
Auf unredliche Art den gierigen Vater ernährend.
Aber nachdem der Plage Gewalt nun jeglichen Vorrat
Hatte verzehrt und der Sucht fremdartige Speise geboten,
Riß mit zerfleischendem Biß von den eigenen Gliedern der Arme
Stücke sich ab und ernährte den Leib durch seine Vermind'rung.
Doch von Fremden genug. Auch ich, ihr Männer, besitze,
Freilich beschränkt in der Zahl, das Vermögen, den Leib zu verwandeln.
[105] Denn bald bin ich zu seh'n wie jetzt, bald kriech' ich als Schlange,
Bald auch dräng' ich die Kraft in die Hörner als Führer der Rinder.
Hörner, so lang ich gekonnt: jetzt mangelt die Waffe der einen
Seite der Stirn, wie du siehst.« Und es folgeten Seufzer den Worten.

Neuntes Buch

[106] Neuntes Buch.

Inhalt: Achelo'us und He'rkules, Ne'ssus. Herkules' Tod und Vergötterung (Li'chas). Gala'nthis. Dry'ope. Jola'us. Calli'rrhoë's Söhne. By'blis. I'phis.


Was ihn zu seufzen bewog und warum an der Stirn er verstümmelt,

Fragte den Gott der neptunische Held. Drauf redete also
Ka'lydons Strom, umwunden mit Schilf die entfesselten Haare:
»Schwer fällt, was du verlangst. Denn wer wohl spräche bezwungen
Gern von dem Streit? Doch sei es erzählt. Auch war das Erliegen
Nicht so schimpflich für mich, wie rühmlich des Kampfes Bestehen,
Und es gereicht zum Trost nicht wenig die Größe des Siegers.
Wenn vielleicht das Gerede bereits dir Deïani'ra's
Namen zu Ohren gebracht, die war von den Mädchen die schönste
Und das beneidete Ziel ehdem für viele Bewerber.«
Als ich mit diesen das Haus des begehreten Schwähers betreten,
Sprach ich zu ihm: »Nimm mich zum Eidam, Sohn des Partha'on!«
So sprach Herkules auch. Die anderen wichen uns beiden.
Ju'piter bring' als Schwäher er zu, gab an der Alki'de,
Ehrenden Ruhm und der Proben Besteh'n, die Juno geboten.
[107] Ich drauf sprach: »Schimpf wär's, wenn ein Gott vor dem Sterblichen wiche« –
Noch nicht war er ein Gott – »mich siehst du als Herrn der Gewässer,
Die schräggehenden Laufs dein Reich in der Mitte durchströmen.
Eidam wird dir in mir kein fernher kommender Fremdling,
Sondern ein Landesgenoß, ein Teil von deinem Gebiete.
Wenn's mein Schade nur nicht, daß mich nicht Juno die Hehre
Hasset und fern mir stehet die Strafe befohlener Thaten.
Wenn mit dem Vater du gar noch prahlst, o Sohn der Alkme'na,
Traun, nicht bist du gezeugt von Jupiter oder in Buhlschaft.
Er soll Vater dir sein der Mutter zum Schimpf. Was dir lieber,
Ob der erdichtete Gott, ob deine Erzeugung in Schande,
Wähle dir.« Während ich sprach, sah längst mit finsteren Blicken
Jener mich an und gebot nicht stark dem entbrennenden Zorne,
Und er erwiderte bloß: »Mehr taugt mir die Faust als die Zunge.
Sieg' ich im Kampf nur ob, du magst obsiegen im Reden!«
Wild eindringt er auf mich. Nach den rühmenden Worten zu weichen
Hätte beschämt. Ich warf mein grünes Gewand von der Schulter,
Stemmte die Arme zur Wehr und hielt kampfharrend die Hände
Auswärts ab von der Brust und machte mich fertig zur Fehde.
Jener bestreut mich mit Staub, in geöffneten Händen ihn raffend,
Und wird selber gefärbt vom Wurfe des gelblichen Sandes.
Bald nun packt er den Hals, bald packt er die rührigen Schenkel,
Oder er scheint es zu thun, und befällt mich von jeglicher Seite.
Mir gibt Halt mein Gewicht, und ich werde vergebens befehdet,
Ähnlich dem Damm, auf den mit gewaltigem Rauschen die Fluten
Dringen heran: fest steht er, geschützt durch eigene Schwere.
Weniges geh'n wir zurück und begegnen uns wieder im Streite.
Jeder behauptet den Stand und will nicht weichen; vereinigt
War mit dem Fuße der Fuß, und die Brust vordrängend mit aller
Macht andrückt' ich die Stirn an die Stirn, an die Finger die Finger.
[108] Also sah ich im Kampf hochmutige Stiere sich treffen,
Wenn als Preis des Gefechts die stattlichste Kuh auf der Weide
Jeder verlangt für sich; zuschauen die Rinder in Spannung,
Wem wohl werde der Sieg zuwenden die mächtige Herrschaft.
Dreimal suchte umsonst der Alkide von hinnen zu drängen
Meine mit Wucht sich stemmende Brust; dann aber zum vierten
Reißt er vom Zwange sich los, im Ruck freimachend die Arme,
Gibt mir kräftigen Stoß, – treu will ich berichten die Wahrheit –
Dreht mich schleunig herum und hängt mir schwer auf dem Rücken.
Glaube mir nur – nicht such' ich ja Ruhm in erdichteter Rede –
Mir kam's vor, als ob mich ein Berg aufliegend bedrückte.
Mühsam bracht' ich die Arme hinein, die troffen vom Schweiße;
Mühsam löste ich ab von der Brust die harte Verschränkung.
Aber den Keuchenden drängt er und läßt nicht Kräfte mich sammeln,
Bis er des Nackens zuletzt Herr ward. Da mußte zur Erde
Endlich hinab mein Knie, und ich biß den Sand mit dem Munde.
Da ich erlegen an Kraft, muß dienen die Gabe der Wandlung,
Und ich entschlüpfe dem Mann in Gestalt langbauchiger Schlange.
Als ich aber den Leib krumm zog in gewundene Ringel,
Und mit erbostem Gezisch die gespaltene Zunge bewegte,
Lacht der tiry'nthische Held und spottet ob unserer Künste:
»Schlangen zu bändigen war mein Spielwerk schon in der Wiege« –
Sprach er – »und ständen dir nach, Achelous, die anderen Drachen,
Was für ein winziger Teil bist du von der Schlange von Le'rna!
Fruchtbar machten sie nur die empfangenen Streiche, und straflos
Ward ihr keines enthau'n von den hundert vereinigten Häuptern,
Daß nicht mächtiger ward durch doppelten Erben der Nacken.
Sie, die ästig geteilt in mordentsprossene Nattern
Groß ward durch den Verlust, ist gebändigt von mir und vernichtet.
[109] Was soll werden aus dir, der, trügliche Schlange geworden,
Fremde Waffen du führst und dich birgst in erbettelter Hülle?«
Also sprach er und packte mich rasch mit umstrickenden Fingern
Oben am Hals, und gewürgt, als ob mir Zangen die Gurgel
Zwängeten, müht' ich mich ab aus dem Daumen zu reißen die Kehle.
So auch war ich besiegt, und es blieb als dritte des wilden
Stieres Gestalt. Als Stier auftretend erneu' ich die Fehde.
Jener jedoch umschlingt linksher mit dem Arme die Wampen,
Zieht mich heran und folgt mir im Lauf, drückt nieder die Hörner,
Bohrt in den Boden sie ein und strecket mich hin in dem Sande.
Das nicht bloß; er zerbrach das starrende Horn in der Rechten,
Die es beharrlich gepackt, und ließ mir die Stirne verstümmelt.
Von den Najaden, gefüllt mit Früchten und duftigen Blumen,
Wurde geweiht mein Horn. Nun gibt es der Fülle den Reichtum.
Also erzählte der Strom, und geschürzt nach der Weise Dia'na's
Mit frei hangendem Haar trat eine der dienenden Nymphen
Jetzo herein und bracht' im gesegneten Horne den Nachtisch,
Köstliches Obst, den gesamten Ertrag von dem heurigen Herbste.
Früh, wie der Tag anbrach, und die Sonne die Gipfel berührte,
Zogen die Jünglinge fort. Nicht wollten sie warten, bis wieder
Ruhe gewonnen der Strom und friedlichen Fall, und die Wasser
Ganz sich wieder gelegt. In den Wellen versteckte das ländlich
Derbe Gesicht und das Haupt mit verstümmeltem Horn Achelous.
[110] Diesen jedoch traf nur der Verlust der entrissenen Zierde;
Nichts war sonst ihm gescheh'n; auch hehlt er mit drüber gelegtem
Schilfrohr oder mit Laub von Weiden den Schaden am Haupte.
Doch du hattest den Tod von der Glut für dieselbige Jungfrau,
Tückischer Ne'ssus, erreicht im Rücken vom fliegenden Pfeile.
Wie er zur heimischen Stadt sich begab mit der neuen Gemahlin,
War der Alkide gelangt an die reißende Flut des Eve'nus.
Reichlicher war, als sonst, durch regnende Güsse geschwollen
Und voll Strudel der Fluß, und den Durchgang wehrte die Strömung.
Während der Held, für sich nicht bang, um die Gattin besorgt ist,
Tritt ihm Nessus, an Kraft gar rüstig und kundig der Furten,
Nahe und spricht: »Laß mich Dienst thun; ich will sie, Alkide,
Bringen zum anderen Strand. Du brauch' als Schwimmer die Kräfte.«
Und der Ao'nier gab ihm die zagende Kalydoni'de,
Die vor Furcht blaß stand und vom Strom wie von Nessus geschreckt war.
Bald, wie er war, mit dem Köcher beschwert und der Beute vom Löwen, –
Über den Fluß schon hatt' er die Keule geschnellt und den Bogen –
Sprach er: »Begonnen ist nun, so seien die Fluten bewältigt!«
Und er erwägt nicht lang, noch sucht er zuvor, wo am stillsten
Gehe der Strom, und verschmäht willfährig dem Wasser zu schwimmen.
Als er, zum Ufer gelangt, aufhob den geschleuderten Bogen,
Hört' er die Gattin schrei'n. Zu veruntreu'n trachtete Nessus,
Was ihm gelieh'n. »Wozu« – rief Herkules – »reißt, du Verweg'ner,
Eitles Vertrau'n auf die Füße dich hin? Zweileibiger Nessus,
Hüte dich! Hör' und vergreife dich nicht an unsrem Besitztum.
Konnte dich Scheu vor mir nicht schrecken, so mochte des Vaters
[111] Kreisendes Rad dir wohl die verbotenen Lüste vertreiben.
Doch nicht sollst du entflieh'n, wie auch du vertrauest den Hufen.
Nicht mit dem Fuß, mit dem Schuß einhol' ich dich.« Wie er gesprochen,
Also geschah's, und er schnellte den Pfeil und traf ihn im Rücken,
Während er floh. Vor stand aus der Brust das gebogene Eisen.
Kaum war dieses heraus, so sprang aus der doppelten Öffnung
Mächtig das Blut, durchmischt mit der Pest des lernäischen Giftes.
Schnell fängt Nessus es auf. »Nicht rachlos will ich verderben!«
Spricht er für sich und reicht der Entführten sein Kleid, von dem warmen
Blut durchnäßt, zum Geschenk als liebanfachenden Zauber.
Lang war die Frist der verstrichenen Zeit, und Herkules' Thaten
Hatten die Erde erfüllt und Juno versöhnt mit dem Stiefsohn.
Opfer dem Jupiter wollt' auf Cenä'um Öcha'lia's Sieger
Weih'n, wie gelobt; da eilte voraus zu Deïanira's
Ohren die schwatzende Mär, die Falsches zu thun zu dem Wahren
Liebt und von kleinem Beginn anwächst durch häufige Lügen,
Daß von J'ole ganz der Amphitryonide bestrickt sei.
Sie, die Liebende, glaubt's, und erschreckt von der Kunde der Untreu',
Ließ die Arme zuerst den Thränen den Lauf, und in Zähren
[112] Weinte den Schmerz sie aus; bald drauf: »Was weinen wir aber?« –
Sagte sie – »freu'n nur wird sich ob unserer Thränen die Buhle.
Schon kommt jene heran; drum rasch und etwas ersonnen,
Eh' es zu spät, und in unser Gemach einziehet die andre!
Ob ich klag', ob ich schweig', heimkehre nach Ka'lydon, bleibe?
Ob ich verlasse das Haus, ob, wenn nichts weiter, mich wehre?
Wie nun, wenn ich gedenk', daß ich Schwester von dir, Melea'gros,
Kühn mich ermannte zur That, und wessen beleidigte Ehre
Fähig und weiblicher Schmerz, darthäte im Morde der Buhle?«
Vielfach hat Vorsätze ihr Geist. Dann aber beschließt sie
Hinzuschicken das Kleid durchdrungen vom Blute des Ne'ssus,
Daß es erneuete Kraft der erloschenen Liebe verleihe.
Unkund, was sie ihm reicht, reicht jene dem arglosen Li'chas
Selbst ihr eigenes Weh und bittet ihn freundlich, die Ärmste,
Daß er bringe dem Mann das Geschenk. Ohn' Arg es empfangend,
Legt um die Schultern das Gift der lernäischen Schlange der He'ros.
Weihrauch gab er und frommes Gebet der beginnenden Flamme,
Wein auch goß er dazu auf den marmornen Herd aus der Schale.
Siehe, der Plage Gewalt wird warm; und gelöst von der Flamme
Dringet sie weit umher, durch He'rkules' Glieder ergossen.
Mannhaft hielt er zurück, so lang er vermochte, die Klage.
Als die Geduld von dem Leiden besiegt, da stieß er den Altar
Weg und begann mit Geschrei zu erfüllen den waldigen Ö'ta.
Ohne Verzug nun strebt er das tödliche Kleid zu zerreißen:
Wo er es zieht, zieht jenes die Haut und – gräßlich zu sagen –
Bleibt an die Glieder geklebt, Trotz bietend den zerrenden Händen,
Oder entblößt das zerrissene Fleisch und die mächtigen Knochen.
Selber das Blut hebt an, wie zuweilen getaucht in den Löschtrog
Glühender Stahl, zu zischen und kocht von dem brennenden Gifte.
Maß ist nicht; durch die Brust geht zehrend das gierige Feuer;
Dunkeler Schweiß fließt rings vom Leibe herab, und die Sehnen
[113] Knacken vom Brande gesengt, und als vom verborgenen Gifte
Flüssig geworden das Mark, da hob er zum Himmel die Hände:
»Weide dich, Tochter Saturnus« – so rief er – »an meinem Verderben;
Weide dich nun und sieh, Grausame, von oben die Drangsal;
Labe dein hartes Gemüt! Doch rühr' ich die Feindin zum Mitleid –
Dir ja bin ich ein Feind – nimm weg die entsetzlich gequälte
Dir so verhaßte und nur zu Mühen geborene Seele.
Tod ist mir ein Geschenk; so ziemt Stiefmüttern zu schenken.
Darum hab' ich Busi'ris erlegt, der scheußlich den Tempel
Färbte mit Fremdlingsblut, und dem grausen Antä'us der Mutter
Stärkende Nähe entrückt, und vor des iberischen Hirten
Dreihaupt nicht mich entsetzt, noch auch vor Ce'rberus' Dreihaupt?
[114] Bogt ihr nicht das Gehörn, ihr Arme, dem riesigen Stiere?
Kunde von euch gibt E'lis, von euch die stympha'lischen Wellen
Und der parthe'nische Wald. Fernher trug euere Kühnheit
Aus thermodo'ntischem Gold das Gehenk mit getriebener Arbeit
Heim und die Äpfel, bewacht von dem schlafentbehrenden Drachen.
Stand nicht hielten vor mir die Centau'ren im Kampf, und der Eber
Hielt nicht Stand, Arka'diens Schreck. Nichts half es der Hy'der,
Daß im Verluste sie wuchs und gewann stets doppelte Kräfte.
[115] Ja, von menschlichem Blut auch sah ich die Rosse des Thrakers
Feist und die Krippen gefüllt mit Fetzen verstümmelter Leichen,
Sah's und stürzte sie um und erschlug so Rosse wie Eigner.
Hier von den Armen gewürgt liegt tot das neme'ische Untier.
Ich trug untergestemmt den Olymp. Müd' ist des Befehlens
Jupiters grausames Weib; ich bin nicht müde der Arbeit.
Nun kömmt neuer Verderb, dem weder vermag zu begegnen
Männlicher Mut, noch Waffen und Wehr. In den innersten Lungen
Irret gefräßiger Brand und zehrt durch alle die Glieder.
[116] Aber Eurystheus ist wohl auf, und an waltende Götter
Glauben sie noch.« So sprach er und schritt auf der Höhe des Öta
Also versehrt einher, wie wenn in dem Leibe den Wurfspieß
Trägt der getroffene Stier und der That Urheber gefloh'n ist.
Oft stieß lautes Gestöhn er aus, oft sah man ihn beben,
Oft aufs neue versucht' er das ganze Gewand zu zerreißen,
Schmetterte Stämme zur Erd' und wütete gegen die Berge,
Oder er streckte hinan zum Himmel des Vaters die Arme.
Da nimmt Lichas er wahr, der zitternd sich unter dem Felshang
Duckte, und rief, wie der Schmerz ihm die Wut aufs höchste gesteigert:
»Du hast, Lichas, gebracht die unheilbergende Gabe?
Du wirst Mörder an mir?« Bleich steht mit Zittern und Beben
Lichas und spricht voll Zagen der Schuld entlastende Worte.
Während er sprach und den Knien mit den Händen gedachte zu nahen,
Packt ihn der Held und wirft ihn zu drei, vier Malen gewirbelt
In das Eubö'ische Meer mit stärkerer Wucht als ein Wurfzeug.
Jener, indessen er flog in den luftigen Räumen, erharschte.
Wie man vermeint, daß Regen gerinnt bei frostigem Winde,
Schnee draus wird, dann, wenn sich geballt die kreisenden Flocken,
Dichter der Klumpen sich schließt und zur starrenden Schloße sich rundet:
Also auch, durch die Luft von den kräftigen Armen geschleudert,
Wurde, vor Furcht blutlos und nichts von Feuchte behaltend,
Lichas zu hartem Gestein nach des früheren Alters Berichten.
Jetzt noch ragt in die Höhe ein Fels im Euböischen Sunde,
Karg an Raum, und bewahrt noch Spuren von menschlicher Bildung.
Ihn, als fühlte der Stein, trägt Scheu zu betreten der Schiffer,
[117] Der ihn Lichas benennt. Du, Jupiters herrlicher Sprößling,
Gibst, als Bäume gefällt, die trug der erhabene Öta,
Und zum Brande gehäuft, mit dem Bogen den räumigen Köcher
Und die Geschosse, bestimmt einst nochmals Tro'ja zu schauen,
Ab an des Pö'as Sohn. Der legt dienstfertig die Flamme
Unter den Stoß, und indem in die Scheiter das gierige Feuer
Einschlägt, breitest du aus das neme'ische Fell auf des Holzes
Oberster Schicht und streckst dich, gelehnt an die Keule den Nacken,
Mit nicht andrem Gesicht, als wärst du gelagert am Gastmahl,
Kranzumwunden das Haupt bei gefülleten Bechern des Weines.
Lodernd prasselte schon rings um sich greifend die Flamme,
Und an den sorglosen Leib und an ihren Verächter zu kommen
Strebte sie. Bangen ergriff um den Schirmer der Erde die Götter.
Da mit heiterem Mund sprach also der Sohn des Satu'rnus,
Ju'piter, der es gemerkt: »Wie freut mich, ihr himmlischen Götter,
Euere Furcht! Ich wünsche mir Glück vom Grunde des Herzens,
Daß von erkenntlichem Volk ich Herrscher und Vater genannt bin,
Und daß euere Gunst auch Schutz gibt meinem Geschlechte.
Wird auch solches zu teil nur seinen gewaltigen Thaten,
Weiß ich doch selbst auch Dank. Daß aber die treuen Gemüter
Eitele Furcht nicht schreckt, laßt brennen die Flammen des Öta!
Er, der alles bezwang, wird drunten das Feuer bezwingen.
Nur sein mütterlich Teil wird spüren den starken Vulca'nus;
Was er empfangen von mir, muß ewig bestehen, dem Tode
Unzinsbar und entrückt und nimmer durch Flammen zerstörbar,
Und dies will ich erlöst von den irdischen Müh'n zu des Himmels
Räumen erhöh'n und es wird mein Thun, so hoff' ich, erfreulich
[118] Allen Unsterblichen sein. Wenn aber den Herkules jemand
Schaut als Gott mit Verdruß, der gönnt wohl nicht die Belohnung,
Aber er weiß, daß ihm sie gebührt, und billigt sie ungern.«
Beifall zollte der Rat; auch schien die Gemahlin des Königs
Mit nicht düsterem Blick zu vernehmen die übrige Rede,
Doch mit düstrem den Schluß, weil kränkend sie traf die Bezeichnung.
Mu'lciber hatte indes, was irgend der Flamme verwüstlich,
Alles von hinnen gerafft. Nicht mehr ist kenntlich geblieben
Herkules' Bild, und nichts, was stammte vom Wesen der Mutter,
Hat er bewahrt, und es bleiben an ihm nur Jupiters Spuren.
Wie sich die Schlange verjüngt, wenn der Balg mit dem Alter entfallen,
Üppigen Lebens erfreut und prangt mit erneueten Schuppen:
So mit dem edleren Teil, des sterblichen Leibes entkleidet,
Lebt der Tirynthier fort in Fülle der Kraft und beginnet
Größer zu werden und Scheu durch heilige Würde zu heischen.
Jetzt auf dem Viergespann trug ihn der allmächtige Vater
Mitten in hohlem Gewölk hinweg zu den strahlenden Sternen.
A'tlas fühlte die Last. Noch ließ von dem Zorne Eurystheus,
Sthe'nelus' Sohn, nicht ab, und er übte den Haß, wie am Vater,
Fühllos auch an dem Sohn. Doch A'rgolis' Tochter, Alkme'ne
Ständig ergeben dem Harm, hat J'ole, der sie des Alters
Klagen vertrau'n und die Thaten des Sohns, die bezeuget der Erdkreis,
Kund thun kann und ihr eignes Geschick. Denn Jole hatte
Hy'llus in Lager und Herz nach Herkules' Willen genommen
Und ihr befruchtet den Schoß mit edelem Keime. Zu dieser
Hub Alkmene an: »Dir wenigstens möge die Gottheit
Gnädig verkürzen die Frist, wenn du in der Stunde der Reife
Rufest der ängstlichen Weh'n Vorsteherin, Ilithyi'a,
[119] Die so streng bei mir sich erwiesen der Juno zuliebe.
Als nah war die Geburt des mühvollbringenden Dulders
Herkules und das Gestirn schon stand in dem zehnten der Zeichen,
Spannte gewichtige Last mir den Schoß, und was ich darin trug
War so groß, daß leicht man ersah, die umschlossene Bürde
Rühre von Jupiter her. Auch hätt' ich länger die Drangsal
Nicht zu ertragen vermocht. Noch schüttelt mich, während ich rede,
Schaudernder Frost, und ein Teil vom Schmerz ist dran zu gedenken.
Sieben der Nächte hindurch und gleichviel Tage in Nöten
Rief ich, von Leiden erschöpft und die Arme zum Himmel erhebend,
Laut Luci'na mit Schrei'n und im Gleichmaß nahende Wehen.
Zwar kam jene herbei, doch gewonnen zuvor und entschlossen,
Tückisch dahin zu geben mein Haupt der erbitterten Juno.
Als sie vernahm mein Ächzen, erkor sie zum Sitze den Altar
Dort an der Thür, und verschränkt in die Berge des rechten das linke
Knie einklemmend und fest in einander gefaltet die Finger
Hielt sie zurück die Geburt. Auch Sprüche mit flüsternder Stimme
[120] Sagte sie her, und die nahe Geburt hielt auf die Beschwörung.
Angstvoll ring' ich und schmäh' umsonst auf Jupiters Undank,
Wünsche mir ganz von Sinnen den Tod und ergieße in Klagen,
Steine zu rühren, den Schmerz. Nah steh'n die kadme'ischen Mütter,
Fleh'n mit Gelübden für mich und sprechen der Leidenden Mut ein.
Eine der dienenden Mägd' aus niederem Volke, Gala'nthis,
Golden von Haar, war da, gar hurtig im Thun der Befehle,
Durch Diensttreue mir wert. Die merkt, daß etwas verübe
Juno's feindlicher Sinn, und während sie oft durch die Thüre
Ein- und ausgeht, sieht auf dem Herde sie sitzen die Göttin,
Wie an den Knieen sie hielt mit den Fingern verschlungen die Arme.
›Wer auch‹ – sprach sie – ›du seist, Glück wünsche der Herrin! Entbunden
Ist und im Flehen erhört die argolische Mutter Alkmene.‹
Da, aufspringend im Schreck, läßt plötzlich die Göttin der Wehen
Fahren der Hände Verband. Frei war ich und konnte gebären.
Ob der gelungenen List, so sagt man, lachte Galanthis.
Aber die Lachende faßt beim Haar die entrüstete Göttin,
Zerrt sie und wehrt, wie jene den Leib von der Erde zu heben
Trachtet, und wandelt ihr um zu vorderen Füßen die Arme.
Flinkes und emsiges Thun wie früher verbleibt, und des Rückens
Farbe verändert sich nicht; die Gestalt ist der vorigen ungleich.
Weil sie mit lügendem Mund der Gebärenden half, so gebiert sie
Auch mit dem Mund und besucht wie ehdem unsere Wohnung.«
Sprach's, und der frühern Magd mit schmerzlicher Rührung gedenkend,
[121] Seufzte sie. Aber die Schnur sprach zu der Bekümmerten also:
»Du bist, Mutter, bewegt, daß sie, die euerem Blute
Fremd war, Wandlung erfuhr. Wie, wenn ich der eigenen Schwester
Wundergeschick dir erzähle, wiewohl vor Thränen und Wehmut
Fast mir die Sprache versagt? Die einzige Tochter der Mutter –
Andere Mutter ist mir – war Dry'ope, reizend wie keine
Unter Öcha'lia's Frau'n. Jungfräulicher Ehre verlustig,
Da sie erlegen dem Gott, der waltet in De'lphi und De'los,
Ward sie Andrä'mons Weib, und er galt als glücklicher Gatte.
Mit abschüssigem Rand nachbildend das schräge Gestade
Ist ein See. Rings zieht sich ein Myrtengebüsch um die Fläche.
Dort kam Dryope hin, ihr Geschick nicht ahnend und, was noch
Mehr Unwillen erregt, um Kränze zu bringen den Nymphen.
Mit sich trug sie ihr Kind, dem noch kein Jahr sich vollendet,
Mütterlich stolz an der Brust, ihm Milch darreichend zur Nahrung.
Unweit stand von dem See, mit tyrischen Farben sich schmückend,
Beeren verheißend in Blüt' ein wasserbedürftiger Lo'tos.
Dryope hatte vom Baum sich Blumen gepflückt, sie dem Söhnchen
Hinzugeben zum Spiel, und zu thun wie jene gedacht' ich« –
[122] Denn ich begleitete sie – »da sah ich entfallen der Blüte
Tropfen von Blut und die Zweige bewegt von zitterndem Schauer.
Eine der Nymphen, wie nun erst säumige Bauern erzählten,
Lo'tis, hatte darin auf der Flucht vor Pria'pus' Begierden
Ihren gewandelten Leib mit behaltenem Namen geborgen.
Nicht war dieses der Schwester bekannt, und erschrocken von hinnen
Wollte sie gehn und, die sie verehrt, die Nymphen verlassen,
Als anwurzelnd ihr Fuß festhing. Los will ich sie reißen,
Doch nur oben bewegt sie den Leib. Aufwachsend von unten
Windet sich rings um die Weichen gemach zäh haftende Rinde.
Wie sie es sieht, hebt jene die Hand, sich das Haar zu zerraufen;
Da füllt Laub ihr die Hand. Rundum war Laub an dem Haupte.
Aber der säugende Knab' Amphi'sus – denn also benannte
Eu'rytus jenen, der Ahn – fühlt, wie sich die Brüste der Mutter
Härten, und nicht mehr folget den Zügen die flüssige Nahrung.
Nah steh'n mußt' ich und sehen das grause Verderben und konnte
Helferin nicht, o Schwester, dir sein. Soviel ich vermochte,
Hemmt' ich den wachsenden Stamm und die Äste mit meiner Umschlingung,
Und – ich gesteh's – mich wünscht ich bedeckt von der selbigen Rinde.
Sieh, Andrämon, ihr Mann, und der mitleidswürdige Vater
Nahen und forschen nach ihr, und wie sie nach Dryope forschten,
Wies auf den Lotos ich hin. Sie decken mit Küssen das laue
Holz und werfen sich hin, an die Wurzeln des Baumes geklammert.
Nichts, was Baum nicht war, nun hattest du, teuere Schwester,
Als das Gesicht. Das Laub, aus dem kläglichen Körper entstanden,
[123] Wird von Thränen betaut, und so lange sie kann, und der Stimme
Weg noch bietet der Mund, gießt Klage sie aus in die Lüfte:
›Falls man dem Unglück glaubt: bei den Himmlischen schwör' ich, das Unrecht
Trifft mich wider Verdienst. Unschuldig erleid' ich die Strafe.‹
Fehllos hab' ich gelebt, und lüg' ich, so will ich verdorrend
Kahl dastehen von Laub und gefällt vom Beile verbrennen.
Aber das Kind hier nehmet hinweg von den Ästen der Mutter,
Gebt es der Amme zur Hut und laßt es an unserem Baume
Oftmals trinken die Milch, oft spielen an unserem Baume.
Kann er sprechen dereinst, dann lehret den Knaben die Mutter
Grüßen und sagen betrübt: ›Hier unter dem Stamm ist die Mutter!‹
Aber er scheue den See und pflücke nicht Blüten vom Baume,
Und er betracht' als Leib von Göttinnen alle Gesträuche.
Teurer Gemahl, leb wohl; lebt wohl auch Schwester und Vater!
Wenn ihr für mich noch Liebe bewahrt, gebt unserem Laube
Schutz vor den Bissen des Viehs und den Wunden der schneidenden Sichel,
Und weil mir vom Geschick nach euch mich zu beugen verwehrt ist,
Richtet zu mir euch auf, und so lang' ich noch zu berühren,
Kommet zu unserem Kuß, und herauf auch hebt mir den Kleinen!
Mehr ist zu reden versagt; schon über die Weiße des Halses
Windet sich schmeidiger Bast, und im steigenden Wipfel verschwind' ich.
›Nehmt nur weg von den Augen die Hand! Ohn' euere Liebe
Wird mir den sterbenden Blick schon schließen umhüllende Rinde.‹
Rede zugleich hört auf und des Mundes Bestand, und die Wärme
Hielt am gewandelten Leib noch lange das frische Gezweige.«
[124] Wie den erstaunlichen Fall noch kundthut Eurytus' Tochter,
Und mit dem Daumen genaht Alkmene der J'ole Zähren
Trocknet und selbst doch weint, da dränget ein neues Begebnis
Jeglichen Kummer zurück. Denn auf der erhöheten Schwelle,
Fast ein Knab' und die Wange bedeckt mit zweiflichem Flaume,
Stand Jola'us, verjüngt zu blühenden Jahren im Antlitz.
Ihn ließ solche Vergunst die Junonische Hebe genießen,
Weil sie bat der Gemahl. Als diese zu schwören bereit war
Solches Geschenk nach ihm an keinen vergeben zu wollen,
Litt nicht The'mis den Schwur. »Zwieträchtige Fehde« – begann sie –
»Hebt ja Theben bereits, und Ka'paneus wird zu besiegen
[125] Nur durch Jupiters Hand und die Brüder im Streiche sich gleich sein.
Lebend annoch wird schauen den eigenen Schatten der Seher
Durch den entzogenen Grund, und es wird, an der Mutter den Vater
Rächend, der Sohn in dem nämlichen Thun Pflicht üben und Frevel
Und in Entsetzen und Angst, des Verstandes beraubt und der Heimat,
[126] Vom Eumeni'dengesicht und vom Schatten der Mutter verfolgt sein,
Bis daß fordert von ihm das verderbliche Gold die Gemahlin,
Und das phege'ische Schwert durchstößt die verschwägerte Seite.
Dann von Jupiter heischt Kalli'rrhoë, die Achelo'us
Zeugete, Alter wie dies für die zwei unmündigen Söhne,
Daß nicht ohne Vergelt lang bleibe der Mord des Vergelters.
Jupiter aber gerührt nimmt dann der Schnur und des Stiefkinds
Gabe voraus und macht unbärtige Knaben zu Männern.«
Als mit verkündendem Mund die zukunftwissende Themis
Solches gesagt, ward laut bei den Göttern verworrene Rede.
Warum anderen nicht dasselbe zu geben vergönnt sei,
Murmelte man. Es klagt, daß hoch an Jahren der Gatte,
Pa'llas' Tochter; es klagt, daß grau ihr Ja'sion werde,
Ce'res, die gütige Macht, und für Erichtho'nius fordert
Mulciber Jugend zurück; auch Venus gedenkt mit Besorgnis
Künftiger Zeit und bedingt für Anchi'ses Erneuung der Jahre.
Jeglicher Gott ist für einen bedacht, und den lärmenden Aufruhr
Mehrt fürsorgliche Gunst, bis Jupiter endlich die Lippen
Öffnet und spricht: »O, habt ihr vor uns noch einige Ehrfurcht,
Wessen erkühnet ihr euch? Glaubt einer von euch sich vermögend
Zwang zu thun dem Geschick? Das Geschick hat in die verlebte
Zeit Jolaus versetzt; das Geschick läßt Jünglinge werden,
[127] Nicht einnehmendes Thun noch Waffen Kallirrhoë's Söhne.
Euch auch bannt, und daß ihr mit leichterem Mut es ertraget,
Mich selbst bannt das Geschick. Hätt' ich die Gewalt es zu ändern,
Sollte der Jahre Gewicht nicht unseren Ä'akus beugen
Und Rhadama'nthus besteh'n in dauernder Blüte des Lebens
Und mein Minos dazu, der wegen der Bürde des herben
Alters an Anseh'n schwach nicht herrscht mit der früheren Ordnung.«
Wirkung that, was Jupiter sprach, und zu klagen erkühnt sich
Keiner, da Äakus auch sie sehen und mit Rhadamanthus
Minos von Jahren erschöpft. Er, der in dem rüstigen Alter
Mächtige Völker allein mit dem Klange des Namens erschreckte,
War hinfällig anjetzt. Vor dem Deïoniden Mile'tus,
Dem Stolz weckte die Kraft der Jugend und Phö'bus der Zeuger,
Ist er in Furcht; denn er glaubt, daß der sein Reich ihm zu nehmen
Trachtet, und wagt doch nicht aus der Heimat ihn zu verweisen.
Aber du gehst, Miletus, von selbst in die Fremde und steuerst
Durch die äge'ische Flut mit eilendem Kiel und errichtest
Mauern im asischen Land, die führen den Namen des Gründers.
Dort nun, während sie ging am gewundenen Ufer des Vaters,
Ward dir die Nymphe bekannt Kyane'a, welche Mäa'ndros
Zeugte, der oft umkehrende Strom, und Kinder gebar sie
Schön vor allen an Wuchs, die Zwillinge Kau'nus und By'blis.
Byblis warnt, daß nicht Unziemliches lieben die Mädchen.
[128] By'blis, erfaßt von Begehr nach dem Apollinischen Bruder,
Liebte ihn mehr als recht und nicht wie den Bruder die Schwester.
Anfangs merkte sie zwar noch nichts von dem Feuer und glaubte
Sträfliches nicht zu thun, daß öfter sie küßte den Bruder,
Daß sie vertraulich den Hals ihm oft umschlang mit den Armen,
Und ward lange vom Schein ehrbaren Gefühles betrogen.
Aber die Liebe verirrt sich gemach, und den Bruder zu sehen
Kommt sie geschmückt und begehrt zu sehr ihm schön zu erscheinen;
Doch, schaut eine sie dort, die schöner, beneidet sie diese.
Noch nicht war sie indes sich klar, und unter dem Brande
Regt sich in ihr kein Wunsch. Nur innerlich siedet und wallt es.
Trautester nennt sie ihn schon, haßt schon den Namen des Blutes,
Hört schon Byblis von ihm sich lieber geheißen als Schwester.
Raum zu geben jedoch im Gemüt unlauterer Hoffnung
Wagt sie im Wachen noch nicht. Umfangen von friedlichem Schlummer
Sieht den Geliebten sie oft. Mit dem Bruder den Leib zu vereinen
Wähnet sie auch und errötet, obgleich im Schlummer sie ruhte.
Weg ist der Schlaf. Lang schweigt sie und führt das Gebilde des Traumes
Wieder sich vor und beginnt dann also mit schwankem Gemüte:
»Weh mir! Ach, was soll das Gesicht des verschwiegenen Dunkels?
Warum sah ich den Traum, der nie sich verwirklichen möge?
Schön ist jener fürwahr auch noch so feindlichen Augen,
Und er gefällt, und wär's mein Bruder nicht, könnt' ich ihn lieben;
Würdig erschiene er mein. So bin ich zum Leide die Schwester.
Wenn nur wachend ich nicht zu solchem Vergehen versucht bin,
Möge der Schlaf noch oft mir kehren mit ähnlichem Bilde.
Fern sind Zeugen dem Traum, nicht fern gleichkommende Wonne.
Ve'nus, du holde, mitsamt dem beflügelten Sohne Cupi'do,
O, was empfand ich für Lust! Wie deutlich gefühltes Entzücken
[129] Nahm mich dahin! Wie lag ich gelöst im innersten Marke!
Wie ist Erinnerung süß, wenn kurz auch waren die Freuden
Und zu eilig die Nacht und neidisch auf unser Beginnen!
Stände Verein uns zu mit Wandel des Namens, wie leicht dann,
Daß ich wäre die Schnur, o Cau'nus, von deinem Erzeuger,
Daß du Eidam wärst, o Caunus, von meinem Erzeuger!
Fügten die Götter es nur, daß alles wir außer den Ahnen
Hätten gemein! O wärest du edler als ich von Geschlechte!
Irgendein Weib wird also von dir, o Schönster, zur Mutter;
Mir, der leider mit dir die selbigen Eltern geworden,
Wirst nur Bruder du sein. Was hindert, das eine verbleibt uns.
Worauf deutet mir nun das Gesicht? Was haben denn aber
Träume für Wert? Ob wirklichen Wert doch haben die Träume?
Seien die Götter davor! Die freieten freilich die Schwestern.
So nahm Ops zum Weibe der blutsverwandte Satu'rnus,
Ju'no der waltende Herr des Oly'mpus, Oce'anus Te'thys.
Göttern besteht ihr besonderes Recht. Wie mag ich bemessen
Nach ganz and'rem Gesetz im Himmel die menschlichen Bräuche?
Weggeh'n muß die verbotene Glut aus unserem Herzen,
Oder vermag ich es nicht, so wünscht' ich lieber zu sterben
Und auf der Bahre zu ruh'n, daß er dann küßte die Tote.
Und es verlangt doch auch Einwilligung zweier die Sache.
Sei auch mir sie genehm, ihm wird sie Verbrechen erscheinen.
Doch nicht scheuten das Bett der Schwestern des Ä'olus Söhne.
Aber warum sind die mir im Sinn? Was soll mir das Beispiel?
Wohin werd' ich geführt? Weicht fern, unzüchtige Flammen!
[130] Nur, wie der Schwester erlaubt, soll fürder der Bruder geliebt sein.
Wär' er jedoch von Liebe zu mir schon selber ergriffen,
Könnt' ich gefällig vielleicht mich seinem Verlangen bequemen.
Soll ich drum, die doch nicht hätte verschmäht den Bewerber,
Werberin sein? Doch kannst du es sagen und ihm es gestehen?
Sehnsucht zwingt; ich kann's; und fesselt die Scham mir die Zunge,
Kann ja ein heimlicher Brief das verstohlene Feuer bekennen.«
Dies sagt zu, und es hebt des Gemütes Bedenken der Einfall.
Seitwärts hebt sie sich nun und spricht, auf die Beuge des linken
Armes gestützt: »So sei's! Wir gestehen die rasende Liebe.
Ach, wo komm' ich hin! Welch' Feuer entzündet das Herz mir!«
Und sie entwirft mit zitternder Hand das erwogene Schreiben,
Hält in der Rechten den Stift, das geglättete Wachs in der Linken,
Fängt an, zögert und sinnt; sie schreibt und verwirft das Geschrieb'ne,
Zeichnet von neuem und streicht; sie ändert und tadelt und billigt.
Öfter im Wechsel das Blatt weglegend und wieder ergreifend,
Weiß sie nicht, was sie will; was immer sie scheint zu erwählen,
Ist nicht recht. Im Gesicht liegt Scham nicht minder wie Kühnheit.
»Schwester« bereits stand da. Sie beschließt den Namen zu tilgen
Und ins gestrichene Wachs zu graben die folgenden Worte:
»Glück, das ihr nicht wird, wenn du ihr nicht es gewährest,
Wünscht dir der Liebenden Gruß. Sie schämt sich, den Namen zu sagen.
Und wenn nach dem Begehr du mich fragst: o ließe die Sache
Ohne den Namen sich nur abthun, und es bliebe dir Byblis
Unerkannt, bis erst ihr gesichert der Wünsche Gewährung!
Zwar wohl konnten bereits das verwundete Herz dir verraten
[131] Farbe und schwinden der Leib und die Augen in Thränen, die Mienen,
Ohne bemerkbaren Grund oftmals aufsteigende Seufzer
Und die Umarmungen all' und die Küsse, daran zu verspüren,
Wenn du vielleicht acht gabst, daß schwesterlich nicht sie gewesen.
Aber obwohl ich trug im Gemüte die brennende Wunde,
Ob auch innen die Glut wild loderte, alles versucht' ich, –
Götter bezeugen es mir – daß endlich mir würde Genesung;
Ach! und ich war zu entflieh'n den gewaltsamen Waffen Cupido's
Lange bemüht, und mehr, als deines Erachtens ein Mädchen
Irgend vermag, hielt stark ich aus. Nun muß ich bekennen,
Daß ich erlag, und bei dir Heil suchen mit schüchternem Wunsche.
Du kannst retten allein die Liebende, du sie verderben.
Thue denn, was dir beliebt! Nicht ist es die Bitte der Feindin,
Sondern es fleht die, schon so nah, dir näher zu stehen
Wünscht und mit dir gern wäre verknüpft durch engere Bande.
Mögen das Recht die Greise versteh'n und forschen, was statthaft,
Was ein Vergeh'n, was nicht, und an Satzungen ängstlich sich halten:
Unseren Jahren gemäß ist keck sich nähernde Liebe.
Noch nicht wissen wir ja, was erlaubt ist, und wir erachten
Alles erlaubt und thun nach dem Vorbild mächtiger Götter.
Strenge des Vaters dazu sowenig wie Scheu vor dem Leumund
Hindern uns dran, noch Furcht. Was hätten wir auch zu befürchten?
Uns're verstohlene Lust deckt leicht das Geschwisterverhältnis.
Freiheit steht mir zu, mit dir im geheimen zu reden;
Offen umarmen wir uns vor allen und küssen einander.
Wieviel fehlt da noch? Dich rühre der Liebe Geständnis,
Das nie wäre gethan, wenn Not nicht hätte gezwungen.
Zieh' dir die Schuld nicht zu, daß dich anklage mein Grabstein!«
Jetzt, da solches umsonst sie geschrieben, versagte das volle
Wachs sich der Hand, und gedrängt an den Rand ist die unterste Zeile.
[132] Gleich nun siegelt sie zu ihr Verbrechen mit drückendem Steine,
Den sie mit Thränen benetzt. An Feuchte gebrach es der Zunge.
Einen der Diener berief sie darauf schamrot, und befangen
Sprach sie zu ihm mit freundlichem Wort: »Dies bringe, Getreuer,
Unserem« – lange nachher erst sagte sie – »unserem Bruder!«
Als sie es gab, fiel nieder, der Hand entglitten, das Schreiben.
Ob sie die Warnung erschreckt, doch schickt sie es. Passenden Zeitpunkt
Findet der Diener zu nah'n und liefert den heimlichen Brief ab.
Bebend in plötzlichem Zorn, wirft hin der mäa'ndrische Jüngling,
Eh' er es noch ganz las, das empfangene Schreiben mit Abscheu.
Kaum abhaltend die Hand vom Gesichte des zitternden Dieners,
Ruft er: »Verbotener Lust fluchwürdiger Bote, entfliehe,
Weil du noch kannst! Wenn nur dein Tod nicht unsere Schande
Nach sich zöge, fürwahr, du hättest gebüßt mit dem Leben.«
Jener entflieht voll Angst und berichtet der Herrin des Caunus
Ausbruch. Wie du vernimmst die Weigerung, Byblis, erbleichst du,
Und es erstarrt dein Leib, von eisiger Kälte besessen.
Mit der Besinnung jedoch ist wieder gekommen der Wahnsinn,
Und kaum regend die Luft schickt folgende Worte die Zunge:
»Ganz nach Verdienst! Warum auch hab' ich verraten die Wunde
Ohne Bedacht; warum, was noch zu verhehlen gewesen,
So voreilig vertraut dem allzu schleunigen Briefe?
Vorher mußt' ich mir erst, wie jener gesonnen, erforschen
Mit zweideutigem Wort. Auf daß sie der Fahrenden folgte,
Mußt' ich merken zuvor am Stande des Segels, von wannen
Wehte die Luft, und bei sicherem Meer auslaufen. Die Linnen
Hab' ich mit Winden geschwellt, danach ich zu spähen versäumte.
So nun werd' ich an Klippen gejagt, und das wogende Weltmeer
Deckt die Versunkene zu, und zurück kann nimmer mein Segel.
Ja, mich mahnte ja auch unertrügliches Zeichen, der Liebe
Nicht willfährig zu sein, da, als mir das Wachs bei dem Auftrag
[133] Unlängst fiel aus der Hand und wankend mir machte die Hoffnung.
Mußt' ich nicht von dem Tag, vielleicht von dem ganzen Beginnen,
Doch wohl nur von dem Tag, absteh'n? Mich warnte die Gottheit
Selber mit deutlichem Wink, wenn ich nicht von Sinnen gewesen.
Aber ich mußt' auch selbst, anstatt mich dem Wachs zu vertrauen,
Reden und Aug' in Aug' ihm entdecken der Sinne Bethörung.
Thränen hätt' er geseh'n und gesehen der Liebenden Züge;
Mehr dann konnt' ich ihm sagen, als Raum auf dem Blatte gefunden,
Konnte den Hals mit dem Arm trotz seines Erwehrens umfangen,
Wenn er zurück mich stieß, als Beute des Todes erscheinen,
Dringlich umfassen die Knie' und liegend mein Leben erflehen.
All das hätt' ich gethan, und vermochte zu beugen den harten
Sinn nicht eines allein, so hätt' es vermocht das Gesamte.
Einige Schuld vielleicht auch trägt der gesendete Diener.
Störend erschien er gewiß und ersah nicht, wie ich vermute,
Schickliche Zeit und nahm nicht wahr die Stunde der Muße.
Das nur schadete mir. Kein Tiger ja hat ihn geboren,
Sprödes Gestein auch trägt er ja nicht, noch starrendes Eisen,
Noch auch Stahl in der Brust, noch ist er gesäugt von der Löwin.
Sieg ist gewiß. Neu sei es versucht! Nichts soll mir verleiden
Mein Vorhaben hinfort, so lang ich den Atem behalte.
War es das erste – wofern ich könnte Geschehenes ändern –
Nicht zu beginnen, so ist das Begonnene enden das zweite.
Jener vermag ja doch, auch wenn ich entsagte dem Wunsche,
Niemals, was ich gewagt, zu verdrängen aus seinem Gedächtnis.
Schein auch wäre, dieweil ich verzichtete, daß ich im Wollen
Schwach war oder ihn gar versuchte und Schlingen ihm legte;
Mindestens bliebe Verdacht, daß nicht der Gott, der gewaltig
Brannte und brennt in der Brust, mich nötigte, sondern Gelüste.
Kurz, ich vermag nicht mehr rückgängig zu machen die Schande;
Schrift und Gesuch sind da, und befleckt ist uns're Gesinnung.
Thu' ich dazu auch nichts, schuldfrei kann nimmer ich heißen.
Was noch übrig, ist viel für den Wunsch, nicht viel für die Sünde.«
Sprach's und – also besteht im schwankenden Herzen Entzweiung –
Ob sie bereut den Versuch, sie erneut ihn doch, und die Arme
[134] Hält nicht Maß und macht, daß oft sie Verweigerung leidet.
Als kein Ende zu seh'n, geht fern von Verbrechen und Heimat
Caunus und baut auf fremdem Gebiet neu steigende Mauern.
Da nun, kündet die Mär, kam ganz von Sinnen Mile'tus'
Tochter in Jammer und Leid; da riß sie das Kleid voneinander
Vorn an der Brust und schlug sich die Arme in wilder Verzweiflung.
Offen bekennt sie verstört ihr Trachten nach sündlicher Buhlschaft;
Dann, da Land und Pena'ten sie haßt, wo nichts ihr zu hoffen,
Macht sie sich auf und verfolgt die Spuren des flüchtigen Bruders.
Wie dreijährliches Fest die isma'rischen Bakchen begehen,
Die dein Thy'rsus erfüllt mit dem Geist, o Se'mele's Sprößling,
So ward Byblis geseh'n, wie durch die Gefilde sie heulte,
Von den buba'sischen Frau'n. Als die sie verlassen, durchirrt sie
Karer und Le'leger stark im Streit und der Ly'cier Landschaft.
Li'myre ließ sie und Kra'gos zurück und die Wellen des Xa'nthus
Und das Gebirge, woselbst Chimä'ra das Feuer im Innern
Trug mit der Löwin Gesicht und Brust und dem Schweife der Schlange.
Wald zum Suchen gebricht; da sinkst du, Byblis, zu Boden
Von dem Verfolgen erschöpft, und das Haar auf die Erde gebettet
Liegst du gestreckt und drückst das gefallene Laub mit dem Antlitz.
Oft nun suchen empor sie zu richten lele'gische Nymphen
Mit unkräftigem Arm; und daß sie beherrsche die Liebe,
Mahnen sie oft und sprechen zum Trost nur taubem Gemüte.
[135] Stumm liegt Byblis und hält mit den Nägeln den grünenden Rasen
Krampfhaft fest und befeuchtet das Gras mit dem Strome der Zähren.
Diesen verliehen darauf zufolge der Mär die Naja'den
Nimmer versiegenden Quell. Was konnten sie Größeres geben?
Sieh', wie tropfendes Harz aus geschnittener Rinde der Föhre
Oder wie klebendes Pech aus der zeugenden Erde hervorquillt,
Wie von der Sonne erweicht beim Nah'n sanftwehender Weste
Wieder die Welle zergeht, die starr vom Froste gestanden:
So auch löste sich auf in Thränen die phöbische Byblis,
Bis sie geworden zum Born, der jetzt noch dorten im Thale
Führet den Namen von ihr und sprudelt an dunkeler Eiche.
Leicht wohl hätte der Ruf von der Wundergeschichte die hundert
Kretischen Städte erfüllt, wenn nicht in der I'phis Verwandlung
Kreta hätte gezeigt erst neulich ein näheres Wunder.
Phä'stos' Gebiet, das nah' beim gno'sischen Reiche gelegen,
Hatte den Li'gdus gezeugt vor Zeiten, der niederen Bürger
Einen, von keinem gekannt. Auch war nicht größer der Reichtum,
Als sein Adel es war; doch stand er im Leben und Wandel
Rein von Tadel und Schuld. Der sprach zu der schwangeren Gattin
Also das mahnende Wort, als nahte die Zeit der Entbindung:
»Zwiefach ist mein Wunsch; daß wenig von Schmerzen du leidest
Und mir ein Knäblein bringst. Das and're Geschlecht ist zur Bürde,
Und es versagt uns Mittel das Glück. Wenn also – der Himmel
Wahre davor! – du ein Mädchen gebierst, – mit weigerndem Herzen
Sag' ich es; Macht der Gefühle, vergib – so sei es getötet.«
[136] Also sagte der Mann, und sie netzten mit Thränen das Antlitz,
Er, der solches befahl, wie sie, der solcher Befehl ward.
Eitele Bitten indes bei dem Gatten versucht Telethu'sa
Unablässig, ihr nicht so eng zu beschränken die Hoffnung.
Ligdus beharrt bei seinem Entschluß. Schon konnte die Mutter
Kaum noch tragen den Schoß, mit der zeitigen Bürde belastet,
Als in der Mitte der Nacht im Gebilde des Traums vor dem Lager
I'nachus' Tochter ihr stand, vom Gefolge der Ihren begleitet,
Oder zu steh'n doch wenigstens schien. Mondähnliche Hörner
Zierten die Stirn und gefügt zu Ähren von glänzendem Golde
Prangender Königesschmuck. Mit kamen der Beller Anu'bis,
A'pis, gefleckt am Leib, und die heilig verehrte Buba'stis,
Auch, der bannet den Laut und Schweigen gebeut mit dem Finger,
Klappern dazu und der nie zur Genüge gesuchte Osi'ris
[137] Und mit dem Schlaf einflößenden Gift die ägyptische Schlange.
Da hub an die Göttin zu ihr, die wie aus dem Schlummer
Plötzlich erwacht klar sah: »Telethu'sa, du eine der Meinen,
Laß die befangende Furcht und umgehe des Gatten Befehle.
Hebe getrost nur auf, sobald dich entbindet Luci'na,
Was es auch sei! Ich bin die helfende Macht, und gebeten
Bin ich zum Beistand nah, und des Undanks sollst du die Gottheit,
Die du verehrst, nicht zeih'n.« So mahnend verließ sie die Kammer.
[138] Froh aufstehend erhebet die Kreterin saubere Hände
Demutsvoll zu den Sternen und fleht um des Traumes Erfüllung.
Wie sich die Schmerzen gemehrt und die Bürde sich selber zum Lichte
Drängt und ein Mädchen erscheint, darum nicht wußte der Vater,
Heißt es die Mutter erzieh'n als erlogenen Knaben, und Glauben
Fand der Betrug, und der Amme allein war kund das Geheimnis.
Ligdus erfüllt sein Gelübde und nennt das Kind nach dem Ahne:
I'phis war er genannt. Lieb war der Name der Mutter,
Weil im Zweifel er ließ und keinen mit diesem sie täuschte.
So blieb undurchschaut durch frommen Betrug die Verhehlung.
Knaben gemäß war die Tracht; das Antlitz, sei es dem Mädchen
Oder dem Knaben verlieh'n, schön mußte ein jedes erscheinen.
Als drei Jahre bereits nun waren gefolgt auf das zehnte,
Wird dir, Iphis, verlobt von dem Vater die blonde Ja'nthe,
Die, von Tele'stes gezeugt dem Diktä'er, an Gabe der Schönheit
Weit die gepriesenste war von den Jungfrau'n allen in Phä'stos.
Gleich war Alter dem Paar und Gestalt, und die früheste Bildung
Lernten sie auch und des Wissens Beginn bei den selbigen Lehrern:
So schlich Liebe sich ein in die jungen Gemüter, und beide
Litten sie gleich vom Drang, doch ungleich war die Erwartung.
Froher Vereinigung harrt und bedungener Fackeln Janthe
Und den vermeintlichen Mann hofft bald sie den ihren zu nennen.
Iphis ersehnt, auf deren Besitz sie verzichtet, und steigert
Dadurch eben die Glut, und die Jungfrau brennt für die Jungfrau.
Kaum jetzt hält sie die Thränen und spricht: »Was harrt für ein Ausgang
Mein, die denket an neuen Verein mit nimmer erhörtem
Unnatürlichem Wunsch? Ach! wollten die Götter mich schonen,
Mußten sie schicken ein Leid, das Natur gut heißet und Sitte.
Nie treibt Liebe die Kuh zur Kuh, zur Stute die Stute;
Wollvieh brennt für den Stär; nachgehet dem Hirsche die Hindin;
[139] Vögel begatten sich so, und unter den sämtlichen Tieren
Ist kein Weibchen von Brunst nach anderem Weibchen ergriffen.
Wär' ich nicht auf der Welt! Und doch, daß Kreta erzeuge
Jegliche Unnatur, Sols Tochter begehrte des Stieres,
Freilich des Mannes das Weib. Mich treibt, zu gestehen die Wahrheit,
Mehr denn sie sinnraubende Glut: sie durfte doch hoffen
Auf den Genuß; sie paarte sich doch in dem Bilde der Färse
Schlau mit dem Stier, und es war ihr vergönnt zu verführen den Buhlen.
Fände der Scharfsinn hier sich zusammen von allen den Landen,
Flöge zurück auch Dä'dalus selbst mit den wächsernen Schwingen:
Was kann Dädalus thun? Kann mich vom Mädchen zum Knaben
Wandeln die schaffende Kunst? Kann dich sie verwandeln, Ja'nthe?
Warum stählest du nicht dein Herz und ermannest dich selber,
Iphis, und drängst aus dem Herzen die Glut so thöricht und ratlos?
Sieh', wie Natur dich schuf, wenn nicht auch selbst du dich täuschest;
Trachte nach Möglichem nur, und dem Weibe Geziemendes liebe.
Hoffnung allein ruft Liebe hervor, nur Hoffnung erhält sie.
Diese benimmt das Geschlecht. Dich hält nicht wachende Aufsicht,
Noch auch Hut des besorgten Gemahls, noch Härte des Vaters
Ab von dem süßen Umfah'n; nicht weigert sich selbst die Begehrte.
Dennoch bleibt dir versagt ihr Besitz; ob alles geschähe,
Dein wird nimmer das Glück, und mühten sich Götter und Menschen.
Zwar ist mir zur Zeit nicht einer der Wünsche vereitelt:
Gnädig gewähreten mir, was nur sie vermochten, die Götter;
Was ich will, will sie, der Erzeuger, der künftige Schwäher.
Doch die Natur will's nicht, die mächtiger ist wie sie alle;
Sie nur steht mir im Weg. Es erscheint die erwartete Stunde;
Da ist der Hochzeittag; mein wird nun werden Janthe;
Doch eins werden wir nicht. Wir dürften in Mitte der Wellen.
[140] Ach! was naht ihr dem Fest, Hymenä'us und eh'liche Ju'no,
Wo kein Bräutigam ist und wo zwei Bräute sich freien?«
Damit schwieg ihr Mund. Glut wallt in der anderen Jungfrau
Ebenso heiß, und sie wünscht, daß bald du erscheinst, Hymenäus.
Fürchtend, was diese ersehnt, stellt weitere Frist Telethu'sa,
Oder sie schafft krank scheinend Verzug; Vorzeichen und Träume
Wendet sie oft auch vor. Nun hatte sie aber den Vorrat
Schlauer Erfindung erschöpft; die verschobene Zeit der Vermählung
Rückte heran, und es blieb ein Tag noch. Da von dem Haupte
Zieht sie die Binde des Haars sich selber herab und der Tochter,
Und sie beginnt, den Altar mit entfesselten Haaren umfassend:
»Isis, die du bewohnst mareo'tische Fluren und Pha'ros
Und Paräto'nium liebst und den siebengemündeten Nilstrom,
Hilf, so fleh' ich zu dir, und laß von der Furcht uns genesen!
Vormals sah ich dich schon, o Göttin, und dies dein Geräte;
Alles, der Klappern Getön und die Fackeln des folgenden Zuges
Nahm ich wahr und behielt dein Geheiß im gedenkenden Herzen.
Daß sie schauet das Licht, daß mich nicht Strafe getroffen,
Ist dein Rat, ist Gabe von dir. Erbarme dich beider,
Stehe mit Hilf' uns bei!« Und es folgeten Thränen den Worten.
Da schien ihren Altar zu bewegen die Göttin, – und wirklich
War's auch so – und das Thor am Tempel erbebt, und die Hörner
Ähnlich dem Mond sind licht, und es rasselt die tönende Klapper.
Ruhig noch nicht, doch froh des glücklichen Zeichens begibt sich
Jene vom Tempel hinweg. Ihr folgt als Begleiterin Iphis,
Aber mit größerem Schritt als sonst; auch bleibet die Weiße
Nicht im Gesicht, und es mehrt sich die Kraft, und die Mienen erhalten
[141] Schärferen Zug und kürzeres Maß wirr liegende Haare.
Mut auch, wie er im Weib nicht war, drängt jetzt; denn ein Jüngling
Bist du, die du ein Weib jüngst warst. Bringt Gaben zum Tempel;
Freut euch vollen Vertrauns! Sie kommen mit Gaben zum Tempel;
Anschrift setzen sie auch. Die faßte den kurzen Gedenkspruch:
»Was er als Mädchen gelobt, hier widmet es Iphis als Jüngling.«
Wiederum hatte das Licht mit den Strahlen erschlossen den Erdkreis,
Als zum Vermählungsfest Hymenäus und Venus und Juno
Kommen und Iphis als Mann sich vereinigt mit seiner Janthe.

Zehntes Buch

[142] Zehntes Buch.

Inhalt. O'rpheus und Eury'dice (Verwandlungen in Stein). Bewegung der Bäume (A'ttis; Cypari'ssus). Ganyme'des. Hyaci'nthus. Die Cera'sten und Propöti'den. Pygma'lion. My'rrha. Ado'nis (Atala'nta und Hippo'menes; Me'ntha).


Dortweg schreitet, umhüllt von dem Safrankleid, Hymenä'us

Durch die unendliche Luft und wendet sich nach der Ciko'nen
Küsten und wird nutzlos von des O'rpheus Stimme gerufen.
Zwar willfahrt er und kam, doch nicht hochzeitlichen Jubel
Brachte er mit, noch frohes Gesicht, noch günstige Zeichen.
Thränenerregender Rauch ließ stets auch zischen die Fackel,
Die in der Rechten er trug, und sie fing kein Feuer im Schwunge.
Schrecklicher war der Erfolg als der Anfang. Während im Grünen
Wandelte unter der Schar der Naja'den die kürzlich Vermählte,
Fand sie den Tod, an der Ferse verletzt vom Zahne der Schlange.
Als zum Himmel um sie nun Rho'dope's Sänger genugsam
Hatte geklagt, da wagt' er zum letzten Versuch bei den Schatten
Durch das täna'rische Thor zur Styx in die Tiefe zu steigen,
[143] Und durch luftiges Volk und Gebilde bestatteter Toten
Tritt er Perse'phone nah' und dem Könige, der bei den Schatten
Waltet im freudlosen Reich; und zum Sang abschlagend die Saiten
Redet er: »Mächte der Welt, die steht im Schoße der Erde,
Der wir verfallen gesamt, soviele wir sterblich erwachsen,
Darf ich mit eurer Vergunst ohn' Umschweif trügenden Mundes
Wahrheit sprechen vor euch: nicht kam ich des Ta'rtarus Dunkel
Mir zu beschauen herab, noch auch den schlangenbehaarten
Dreifach dräuenden Hals des Medu'sischen Tieres zu fesseln.
Mich führt her mein Weib, der eine getretene Viper
Gift in die Wunde geströmt und gekürzet die blühen den Jahre.
Stark zu ertragen den Schmerz, nicht will ich es leugnen, versucht' ich;
A'mor behielt den Sieg. Der Gott ist bekannt in der Höhe;
Ob er es hier auch sei, nicht weiß ich es, aber ich glaube.
Amor, wofern nicht lügt das Gerücht von dem früheren Raube,
Hat ja vereint auch euch. Bei diesem unendlichen Cha'os,
Hier bei den Stätten des Grau'ns und der Öde des weiten Gebietes
Fleh' ich zu euch: knüpft neu Eurydice's schleuniges Schicksal!
Alle gehören wir euch, und wir eilen nach kurzem Verweilen
Früher und später hinab zu dem einen gemeinsamen Wohnsitz;
Hierher müssen wir all', und dies ist die letzte Behausung.
Über das Menschengeschlecht übt ihr die dauerndste Herrschaft.
Sie auch fällt, wenn reif sie verlebt die gebührenden Jahre,
Euerem Recht anheim. Gönnt uns nur noch die Gemeinschaft!
Weigert der Gattin die Gunst das Geschick, so bin ich entschlossen
Nimmer von hinnen zu geh'n. Dann freu' euch zweier Vernichtung.«
Während er also sprach und zum Sang eingriff in die Saiten,
Weinte die blutlose Schar der Gestorbenen. Ta'ntalus haschte
[144] Nicht nach der weichenden Flut, und es stockte das Rad des Ixi'on;
Nicht mehr ward von den Geiern die Leber zerhackt; die Beli'den
Ließen die Urnen in Ruh', und Si'syphus saß auf dem Steine.
Damals netzten zuerst nach der Sage die drei Eumeni'den
Weinend die Wangen, gerührt von dem Lied. Abschlagen die Bitte
Kann ihm die Königin nicht, noch auch der Beherrscher der Tiefe,
Und Eury'dice ruft ihr Geheiß. Die war bei den neuen
Schatten und ging mit verzögertem Schritt, von der Wunde gehindert.
Sie und die Weisung zugleich empfängt nun Rho'dope's He'ros,
Daß er zurück nicht wende den Blick, bis daß er gelangt sei
Aus dem Avernischen Thal; sonst wär' er der Gabe verlustig.
Aufwärts steigen sie jetzt durch schweigende Öde den Fußpfad,
Schroff, voll düsteren Grauns und umstarrt von finsterem Dunkel.
Nicht mehr waren sie fern vom Rande der oberen Erde,
Da, sie verlangend zu seh'n und besorgt, daß Kraft ihr gebreche,
Schaut er liebend sich um, und zurück gleich ist sie gesunken.
Sehnlich die Arme gestreckt, auf daß er sie fasse und selber
Werde gefaßt, hascht nichts denn weichende Lüfte der Arme.
Ob sie wiederum stirbt, sie klagt nicht über den Gatten:
Was auch war zu beklagen für sie, als daß sie geliebt war?
Scheidenden Gruß, den kaum sein Ohr noch konnte vernehmen,
Rief sie ihm zu und wurde gerafft zu der vorigen Stätte.
O'rpheus aber ist starr von dem zwiefachen Tode der Gattin,
Ähnlich dem Mann, den schrecken des Hunds drei Hälse, von welchen
[145] Bande der mittlere trug, und den mit dem früheren Wesen
Erst das Entsetzen verließ, als Stein durchdrungen den Körper,
Oder wie O'lenus einst, der Frevler, zu scheinen verlangte,
Auf sich nehmend die Schuld, und du, unsel'ge Lethä'a,
Die zu dreist auf Schöne vertraut, treu liebende Herzen
Vormals, Steine zur Zeit, die trägt die bewässerte I'da.
Als er mit eitelem Fleh'n nochmals hinüber verlangte,
Wies ihn der Ferge zurück. Doch pflegevergessen am Ufer
Saß er sieben der Tag' und verschmähte die Gabe der Ce'res;
Zähren und Gram und Schmerz des Gemüts nur waren ihm Nahrung.
Grausam schalt er und hart des E'rebos Götter und kehrte
Wieder zu Rhodope's Höh'n und zum nordumsauseten Hä'mus.
Dreimal hatte das Jahr, das schließen die schwimmenden Fische,
Schon vollbracht der Tita'n, und es hatte der weiblichen Liebe
Orpheus gänzlich entsagt, sei's, weil sein Leid sie gewesen,
Sei's, weil Treu' er gelobt. Doch sich zu ergeben dem Sänger
War gar manche bereit; gar manche beklagte Verschmähung.
Er gab Vorbild auch den thrakischen Stämmen, dem zarten
[146] Männergeschlecht in Liebe zu nah'n und die Blüte der Jugend
Und den vergänglichen Lenz vor dem Jünglingsalter zu pflücken.
Sanft ansteigend erhob sich ein Hügel, und über dem Hügel
Dehnte sich ebenes Feld, das grünte von üppigem Graswuchs.
Schatten vermißte der Ort. Als aber der götterentstammte
Sänger sich dorthin setzt' und rührte die tönenden Saiten,
Kam bald Schatten dem Ort. Nicht fehlt der chao'nische Baumstamm,
Noch Helia'dengehölz, noch auch hochlaubige Eichen;
Linden mit weichlichem Holz, mit der Buche der züchtige Lorbeer,
Brechendes Haselgesträuch kommt nah', unknotige Tannen,
Eschen zu Lanzen bequem, Steineichen von Früchten gebogen,
Samt der Platane, dem Baum des Ergötzens, der fleckige Ahorn,
Durstiger Lo'tus dazu und stromanwohnende Weiden,
Auch stets grünender Buchs, Tamari'sken mit schmächtigen Ästen
Und die gesprenkelte Myrt' und Ti'nus mit bläulichen Beeren.
Ihr auch kamt, von dem Sange gelockt, schlingfüßiger Epheu,
[147] Rankende Reben des Weins und mit Reben bekleidete Ulmen,
Mannaesche und Föhr' und, beladen mit rötlichen Früchten,
A'rbutus, du, die lohnet den Sieg, schlankragende Palme,
Auch aufsträubend das Haar und struppig am Scheitel die Fichte,
Cy'bele's heiliger Baum, dieweil vor Zeiten ihr A'ttis
Menschliches Wesen in ihm aufgab und erharschte zum Stamme.
Unter der Schar war auch die kegelgeformte Cypresse,
Jetzo ein Baum, doch sonst ein Knabe, geliebt von dem Gotte,
Der anzieht an der Laute zugleich und am Bogen die Saite.
Einst, von den Nymphen beschützt, die Karthä'a's Fluren bewohnen,
War ein stattlicher Hirsch, der selber dem eigenen Haupte
Mit weitoffnem Gehörn hochfallenden Schatten gewährte.
Prächtig erglänzte von Gold das Geweih; am gerundeten Halse
[148] Hing zum Buge gesenkt von edlen Gesteinen ein Halsschmuck;
Über der Stirn auch hing, von zierlichen Riemen gehalten,
Schwankend ein Silbergehenk; gleich licht an jedem der Ohren
Schimmerten Perlen, gereiht um die hohleingehenden Schläfe.
Dieser, von Furcht ganz frei und natürlicher Scheu sich begebend,
Pflegte hinein in die Häuser zu geh'n und willig den Händen,
Wie sie ihm fremd auch waren, den Hals zum Streicheln zu bieten.
Doch du hieltest ihn wert vor allen zumeist, Cypari'ssus,
Schönster vom ke'ischen Volk. Du führtest zu saftiger Weide,
Du auch führtest den Hirsch an die Wellen des lauteren Bornes;
Bald umflochtest du ihm das Geweih mit farbigen Blumen;
Bald auch lenktest du ihn, als Reiter den Rücken beschwerend,
Lustig umher am weichen Gebiß mit purpurner Halfter.
Schwüle und Mittag war, und dem uferbewohnenden Krebse
Brannten vom glühenden Strahle der Sonne die greifenden Scheren,
Als sich ermattet der Hirsch hinstreckt' auf den grasigen Boden
Und von dem Schatten der Bäum' einatmete labende Kühle.
Ihn traf ohne Bedacht mit der Schärfe des Speers Cyparissus
Selber, und wie er ihn sah hinsterben an grausamer Wunde,
Nahm er zu sterben sich vor. Was sprach nicht Phöbus zum Troste?
Leicht zu nehmen den Schmerz und der Sache gemäß sich zu härmen
Mahnt' er ihn stets. Dennoch seufzt jener und heischt von den Göttern
Dies als letztes Geschenk, daß ewig in Trauer er bleibe.
Als nun gänzlich das Blut durch ständiges Weinen erschöpft war,
Da hub an sich in Grün zu verwandeln der Körper des Knaben;
Das an der schneeigen Stirn noch eben gehangen, das Haupthaar
Wurde zu struppigem Laub und schaute, behaftet mit Starrheit,
Zu den Gestirnen empor mit schmal zugehendem Wipfel.
Harmvoll seufzte der Gott und sprach: »Stets sollst du betrauert
Werden von uns und nah' den Bekümmerten andre betrauern.«
[149] Derlei Wald nun war von dem Sange gelockt, und der Sänger
Saß da unter dem Wild und umringt vom Schwarme der Vögel.
Als er genug mit dem Daumen versucht die geschlagenen Saiten
Und das vereinigte Spiel der doch so verschiedenen Töne
Wohllaut gebend erfand, stimmt Orpheus solchen Gesang an:
»Hebe mit Ju'piter an, – vor Jupiter weichet ja alles –
Mutter Mu'se, mein Lied. Oft hab' ich früher gefeiert
Jupiters Macht. Ich besang im erhabenen Lied die Giga'nten
Und im phlegrä'ischen Feld zerstreute bezwingende Blitze.
Leichterer Weise bedarf's nunmehr, von Knaben zu singen,
Welche die Götter geliebt, und wie von verbotener Flamme
Sinnesberaubt Jungfrau'n sich Strafe verwirkt durch Begierde.
Einst für den Phry'giersohn Ganyme'des erglühte der Götter
König in Lieb', und es war nun eins, was Jupiter lieber
Wünschte zu sein als das, was er war. Doch keinen der Vögel
Würdigt er, ihm die Gestalt zu leih'n, als der ihm den Blitz trägt.
Sonder Verzug durchschießend die Luft mit erborgtem Gefieder
Raubt er den i'lischen Sproß, der jetzt noch immer die Becher
Mischet und Nektar reichet dem Jupiter Ju'no zum Trotze.
[150] Du auch wärst, Amykli'de, versetzt in den Himmel von Phö'bus,
Hätte das traurige Los nur Zeit ihm gegönnt zur Versetzung.
Wie es erlaubt, bist ewig du doch. Denn stets, wenn den Winter
Scheuchet der Lenz und dem nässenden Fisch nachfolget der Widder,
Sprießest du fröhlich hervor und blühst im grünenden Rasen.
Dich vor allen zumeist hielt wert mein Zeuger, und De'lphi,
Welches die Mitte der Welt einnimmt, war ohne den Schirmer,
Weil den Euro'tas der Gott und die mauerentbehrende Spa'rta
Eifrig besucht. Nicht mehr steh'n Leier und Pfeile in Ehren,
Und er vergißt sein selbst und verschmäht nicht Garne zu tragen,
Hunde zu halten am Seil und über die rauhen Gebirgshöh'n
Mitzugehen und nährt durch langes Gewöhnen die Flamme.
Zwischen der kommenden Nacht und der letztentwich'nen in Mitte
War der Tita'n und stand gleichweit von dem zwiefachen Ende.
Beid' entkleiden den Leib, und vom Safte der fetten Olive
[151] Glänzend beginnen sie jetzt mit gewichtigem Diskus die Wette.
Den nun schwingt und schleudert empor in die Leere der Lüfte
Phö'bus zuerst und zerteilt mit der Wucht die begegnenden Wolken.
Erst nach langem Verzug fiel auf die gefestigte Erde
Wieder die Last und bewies mit der Kunst im Vereine die Stärke.
Gleich lief ohne Bedacht im Eifer des Spieles, die Scheibe
Aufzuheben, herbei der täna'rische Knabe; doch jene
Prallte zurück in die Luft und ward vom gediegenen Boden
Dir ins Gesicht, Hyaci'nthus, geschnellt. So blaß wie der Knabe
Wurde der Gott. Er hält die zusammengesunkenen Glieder
Und bald wärmet er dich, bald stillt er die traurige Wunde,
Bald legt Kräuter er auf, die entfliehende Seele zu halten.
Aber die Kunst frommt nichts. Unheilbar war die Verletzung.
Wie wenn Veilchen die Hand und Mohn im bewässerten Garten
Oder Lilien knickt, die haften an goldenen Zungen,
Wie ihr lastendes Haupt dann welk läßt sinken die Blume,
Halt nicht länger bewahrt und erdwärts sieht mit der Krone:
Also liegt sein sterbendes Haupt, und, entbehrend der Spannkraft,
Ist sich selber zur Last und fällt auf die Schulter der Nacken.
›O'balus' Sohn, du sinkst, um die Blüte der Jugend betrogen,‹
Sagte der Gott, ›dich seh' ich versehrt durch meine Verschuldung.
Du bist nun mein Schmerz und Vergeh'n, und unsere Rechte
Zeichnet mit Schuld dein Fall. Ich bin dir Bringer des Todes.
Doch wie hab' ich gefehlt, wenn Fehl nicht etwa zu nennen
Heiteres Spiel, wenn Fehl nicht gar mein Lieben zu nennen?
Daß doch wäre vergönnt, für dich mein Leben zu lassen
Oder zugleich mit dir! Weil so uns bindet das Schicksal,
Sollst du bei mir stets sein und im Sinn wie im Munde verbleiben;
Dich soll tönen mein Lied und dich die geschlagene Leier;
Unseren Schmerz auch sollst du in Schrift als Blume bezeichnen.
Auch wird kommen die Zeit, da sich in die nämliche Blume
Wandelt der tapferste Held und steht auf dem Blatte zu lesen.‹«
[152] Während Apollo dies untrüglichen Mundes voraussagt,
Bleibt nicht Blut das Blut, das, niedergeflossen zur Erde,
Hatte gezeichnet das Gras, und glänzend wie tyrische Röte
Sprießet die Blume hervor, die ganz wie die Lilie aussieht,
Nur daß purpurn an ihr, an der Lilie silbern die Farbe.
Phöbus jedoch – denn er war Geber der Ehre – begnügt sich
Damit nicht, und er schreibt sein Weh auf die Blätter, und ›Ai ai‹
Stehet darauf, und den klagenden Ruf zeigt deutlich die Blume.
Auch schämt Sparta sich nicht der Geburt Hyacinths, und die Ehre
Währt bis in unsere Zeit, und, nach Sitte der Väter begangen,
Werden mit würdigem Prunk Hyaci'nthien jährlich gefeiert.
Fragst du jedoch, ob gern Amathu'nt, an Metallen ergiebig,
[153] Einräumt, daß sie gezeugt die Propöti'den: verleugnen
Möchte sie die, wie die Brut, der rauh vor alters die Stirnen
Waren von doppeltem Horn, daher ihr Name Kera'sten.
Außen am Thor stand ihnen des gastlichen Jupiters Altar,
Lockung scheußlichen Thuns. Wenn den mit Blute befeuchtet
Hätte ein Fremder geseh'n, der mochte vermeinen, geschlachtet
Seien alldort amathusische Schaf' und saugende Kälber:
Mord war verübt am Gast. Durch die gräßlichen Opfer entrüstet,
Schickt Ophiu'sa's Flur und die heiligen Städte zu räumen
Venus die holde sich an. ›Was haben denn aber die lieben
Orte‹, begann sie, ›gethan, was unsere Städte verschuldet?
Büße das böse Geschlecht vielmehr mit Bann, mit Vernichtung,
Oder wenn eins noch ist in der Mitte von Tod und Verweisung,
Und was kann das sein, als Strafe gewandelten Leibes?‹
Während sie sann auf die Art der Verwandlung, erblickte die Hörner
Venus und wurde gemahnt, daß die wohl könnten verbleiben.
Also verkehrt sie das plumpe Geschlecht in trotzige Farren.
Dennoch sprachen ihr frech die verächtlichen Propötiden
Göttliche Hoheit ab, wofür sie die rächende Venus
Ließ nach der Sage zuerst feil bieten den Leib und die Schönheit.
Dann, wie gewichen die Scham und das Blut des Gesichtes erstarrt war,
Wurden sie hartes Gestein mit kaum zu gewahrendem Wechsel.
Weil er geseh'n, wie die ihr Leben in Schande verbrachten,
[154] Wollte, zurück durch die Fehler geschreckt, die dem weiblichen Sinne
Zahlreich gab die Natur, Pygma'lion ohne Gefährtin
Eh'los bleiben, und lang auch teilt' er mit keiner das Lager.
Schneeiges Elfenbein mit selt'nem Geschick und Gelingen
Schnitzt er indes und verleiht ihm Gestalt, wie auf Erden geboren
Lebt kein Weib, und es weckt sein Werk ihm verlangende Sehnsucht.
Wirkliche Jungfrau scheint die Gestalt, und man meinte, lebendig
Sei sie und wolle, wofern nicht Scham es verböte, sich regen.
So läßt Kunst nicht sehen die Kunst. In Entzücken verloren,
Faßt zu dem scheinbaren Leib Pygmalion glühende Liebe.
Oft legt prüfend die Hand er daran, ob Leib das Gebilde
Oder ob Elfenbein, und für Bein nicht kann er es halten.
Küss' auch gibt er und glaubt sie erwidert und spricht und umarmt sie,
Wähnt gar, daß sich die Haut den berührenden Fingern bequeme,
Und ist besorgt, daß Bläue vom Druck anhafte den Gliedern.
Bald liebkost er sie auch, bald bringt er ihr artige Gaben,
Wie sie den Mädchen genehm, Meermuscheln, gerundete Steinchen,
Vöglein niedlich von Wuchs, buntfarbige Blumen in Menge,
Lilien, Bälle dazu mit Streifen und Thränen vom Baume,
Die Heliaden geweint. Mit Gewand auch schmückt er die Glieder,
Fügt langreichende Schnur um den Hals, an die Finger Gesteine;
Perlen enthangen dem Ohr, und es schwankt ein Gehenk vor dem Busen.
Schön läßt alles an ihr; doch nackt ist sie ebenso reizend.
Sorgsam legt er sie hin auf den Pfühl von sido'nischer Farbe,
Nennt sie Genossin des Betts und gibt dem gelehneten Nacken,
Gleich als hätt' er Gefühl, nachgiebige Flaumen zur Ruhstatt.
Venus' heiliger Tag, hochfeierlich allen auf Cyprus,
[155] Kehrete jetzt, und, mit Gold die gewundenen Hörner umzogen,
Sanken, getroffen vom Beil im schneeigen Nacken, die Kühe.
Weihrauch dampfte empor. Pygmalion, als er geopfert,
Stand am Altar und sagte verzagt: ›Wenn alles, ihr Götter,
Möglich für euch, gebt mir zum Gemahl‹ – ›die helferne Jungfrau‹
Trug zu sagen er Scheu – ›ein Weib wie die helferne Jungfrau‹.
Selber der Feier genaht, ward inne die goldene Venus,
Was er gemeint mit dem Wunsch; und, ein Zeichen gewährender Gottheit,
Flackerte dreimal hell und zog sich zur Spitze die Flamme.
Wie er daheim, ging jener sogleich zum Bilde des Mägdleins,
Neigte sich über das Bett und küßte sie. Wärme verspürt er.
Wiederum nahte sein Mund; mit der Hand auch prüft er den Busen.
Siehe, das Elfenbein wird weich und, befreit von der Starrheit,
Sinkt an den Fingern es ein, fügsam wie Wachs vom Hyme'ttus,
Das, von der Sonne erweicht, sich unter dem knetenden Daumen
Schmiegt in manche Gestalt und brauchbar durch den Gebrauch wird.
Während er staunt und zagend sich freut und Täuschung befürchtet,
Naht er mit liebender Hand der Ersehneten wieder und wieder:
Ja, es ist Leib. Aufbeben, geprüft mit dem Daumen, die Adern.
Da nun richtet beglückt an Venus der pa'phische Heros
Worte des Danks im vollsten Erguß. Nun endlich vereint er
Wirklichem Munde den Mund, und die Jungfrau fühlt mit Erröten,
Wie er sie küßt, und, scheu aufschlagend zum Lichte die lichten
Augen, erblickt sie zugleich mit dem Himmel des Liebenden Antlitz.
Selber erscheint bei dem Bund, dazu sie verholfen, die Göttin.
[156] Als neun Male sodann sich die Hörner geschlossen zum Vollmond,
Wand sich Ci'nyras ihr vom Schoß, der, wenn er die Tochter
Niemals hätte gezeugt, zu den Glücklichen mochte gehören.
Scheußliches singt mein Mund. Ihr Töchter, von hinnen, ihr Väter!
Oder dafern mein Lied doch zusagt eueren Herzen,
Bleibe mir hier das Vertrauen versagt, glaubt nicht das Verüben,
Oder dafern ihr es glaubt, glaubt auch des Verübens Bestrafung!
Läßt vorkommen jedoch die Natur solch großes Verbrechen,
Nenn' ich beglückt das isma'rische Volk und unseren Erdteil,
Nenn' ich beglückt dies Land, daß fern es gelegen der Landschaft,
Welche gebar so schrecklichen Greu'l. Reich sei an Amo'mum,
Ko'stusgesträuch und Zimt und dem Holz entquillenden Weihrauch
Trage Panchä'a's Flur und sonst wertvolle Gewächse;
[157] Trägt doch Myrrhen sie auch. Der Baum kam teuer zu stehen.
Daß sein Pfeil dich traf, o My'rrha, verneinet Cupi'do
Selber und nimmt in Schutz vor solchem Vergehen die Fackel.
Dich ließ stygischen Brand anhauchen und strotzende Ottern
Eine der plagenden Drei. Den Erzeuger zu hassen ist ruchlos,
Ruchloser noch ihn zu lieben wie du. Von erlesenen Edlen
Ringsher wirst du begehrt, und die Jugend ist nah aus dem ganzen
Morgenland, zu gewinnen die Braut. Aus allen erwähle
Einen dir, Myrrha, zum Mann; nur fehle zu allen der eine.
Zwar sie fühlt es und kämpft entgegen der scheußlichen Liebe.
›Wohin denk' ich,‹ begann sie für sich, ›was steht mir im Sinne?
Götter und kindliche Scheu und geheiligte Rechte der Eltern
Wehrt, so fleh' ich, dem Greu'l! Seid hinderlich meinem Verbrechen,
Wenn ein Verbrechen es ist! Nicht sollen ja Bande des Blutes
Feind sein solchem Verein. Lust einigt die andern Geschöpfe
Ohne Bedenken und Wahl. Auf dem Rücken zu tragen den Vater
Gilt nicht schimpflich der Kuh; dem Hengst wird Gattin die Tochter;
Schafen gesellt sich der Bock, die selbst er gezeugt, und der Vogel
Läßt sich befruchten von ihm, des Samen die Mutter empfangen.
Glücklich fürwahr, wem solches erlaubt! Nur menschliche Sorge
Gab boshaftes Gesetz, und neidische Rechte versagen,
Was zuläßt die Natur. Doch sind ja, sagen sie, Völker,
Wo sich die Mutter dem Sohn mit dem Leib und die Tochter dem Vater
Einigt und enger das Band noch knüpft die verdoppelte Liebe.
Weh' mir, daß nicht dort mir wurde das Leben gegeben,
Daß mich verfolget des Orts Ungunst! Was komm' ich von neuem
Darauf? Sträflicher Wunsch, bleib' fern! Zwar Liebe verdient er,
[158] Doch als Vater allein. Ach, wär' ich die Tochter des reichen
Ci'nyras nicht, dann könnt' ich das Bett mit Cinyras teilen.
Nun, da er mein so ganz, wird nimmer er mein, und zum Unheil
Steh' ich ihm gar so nah. Ja, glücklicher wär' ich als Fremde.
Fern geh'n möcht' ich von hier und verlassen die Grenzen der Heimat,
Nur zu entgehen der Schuld. Mich hält die verderbliche Liebe,
Daß ich bei Cinyras sei, ihn schaue, berühre und spreche,
Daß ihn küsse mein Mund, wenn sonst nichts weiter vergönnt ist.
Kannst du weiteres noch, unseliges Mädchen, erwarten?
Siehest du nicht, wieviel du Rechte verwirrest und Namen?
Willst Mitbuhle du sein für die Mutter und Dirne des Vaters,
Willst du Schwester des Sohns und Mutter des Bruders benannt sein?
Fürchtest du nicht die Schwestern, behaart mit schwärzlichen Schlangen,
Welche, mit grausigem Brand das Gesicht und die Augen bestürmend,
Böses Gewissen erblickt? Weil rein denn noch von der Sünde
Blieb dein Leib, so trage sie nicht im Sinn und verletze
Nicht das Gesetz der großen Natur mit verbotenen Lüsten.
Wolltest du auch, doch kann's nicht sein. Fromm ist und der Sitte
Jener gedenk; o glühte in ihm doch gleiche Begierde!‹
So sprach Myrrha für sich. Doch Cinyras, welchen der Freier
Würdige Schar unschlüssig gemacht, fragt selber die Tochter,
Während die Namen er nennt, wes Gattin sie wünsche zu werden?
Stumm bleibt jene zuerst und hängt am Gesichte des Vaters
Heftig bewegt und näßt mit tauenden Zähren die Augen.
Cinyras schreibt dies zu jungfräulichem Zagen und heißt sie
Stillen die Thränen und wischt sie ihr von den Wangen und küßt sie.
Allzu froh ist Myrrha darob, und auf sein Befragen,
Was für ein Mann ihr erwünscht, antwortet sie: ›Einer, wie du bist.‹
Jener belobte das nicht verstandene Wort und versetzte:
›Bleibe so kindlich gesinnt!‹ Bei des kindlichen Sinnes Erwähnung
Senkte das Auge, der Schuld sich bewußt, zur Erde die Jungfrau.
[159] Mitten war's in der Nacht, und gebannt hielt Sorgen und Glieder
Lösender Schlaf. Doch wach ist Cinyras' Tochter zur Beute
Nicht zu bezähmender Glut und hegt wildgärende Wünsche.
Bald verzweifelt sie ganz, bald will sie es wagen; Verlangen
Streitet mit Scham, und sie weiß nicht Rat. Wie, wund von dem Beile,
Harrend des fällenden Streichs, läßt zweifeln der ragende Baumstamm,
Wohin gehe der Sturz, und auf jeglicher Seite gescheut wird:
So schwankt hin und her ihr Gemüt, von verschiedenen Wunden
Wankend gemacht, und neigt gleichmäßig nach zwiefacher Richtung.
Nichts kann außer dem Tod Ziel geben und Ruhe der Liebe.
Tod ist die Wahl. Entschlossen, den Hals mit dem Strange zu schnüren,
Rafft sie sich auf und knüpft an die Höhe der Pfoste den Gürtel.
›Cinyras, lebe denn wohl und ahne, warum ich gestorben!‹
Das noch sagt sie und fügt den erbleichenden Hals in die Schlinge.
Aber es hatte der Laut des Gesprochenen, sagt man, die treuen
Ohren der Amme erreicht, die des Pfleglings Schwelle bewachte.
Rasch aufspringt sie und öffnet die Thür, und wie sie des Selbstmords
Werkzeug sieht, da schreit sie und schlägt sich und trennt mit den Händen
Vorn an der Brust das Gewand und zerreißt, frei machend die Kehle,
Alles in einem den Strang. Dann erst war Muße zu weinen,
Ihr zu umfangen den Leib und der Schling' Anlaß zu erfragen.
Schweigend und regungslos blickt nieder zur Erde die Jungfrau,
Traurig, vereitelt zu seh'n den Versuch des verzögerten Todes.
Aber die Alte beharrt; das erblichene Haar und den leeren
Busen entblößt sie und fleht bei der Wieg' und der frühesten Nahrung,
Was sie betrübt, ihr doch zu vertrau'n. Von der Bittenden kehrt sich
Myrrha und seufzt. Ihr Herz ist die Amme gewillt zu erforschen,
Auch nicht Treu' allein zu geloben. ›Entdeck' es mir,‹ sprach sie,
›Und nimm Hilfe von mir! Nicht ist untüchtig mein Alter.
Krankt dein Gemüt, ich weiß, wo Sprüche dich heilen und Kräuter;
[160] That dir einer es an, dich läutern entzaubernde Bräuche;
Ist es der Himmlischen Zorn, der lässet durch Opfer sich sühnen.
Was sonst kann's noch sein? Dir sind ja Haus und Vermögen
Sicher in blühendem Stand und Mutter und Vater am Leben.‹
Als sie ›Vater‹ gehört, drängt Seufzer aus innerstem Busen
My'rrha hervor. Auch jetzt noch denkt im Gemüte die Amme
Nicht an Schuld, doch ahnt sie bereits, daß Liebe der Grund sei,
Und sie beschwört sie, getreu dem Entschluß, was immer es wäre,
Nichts zu verschweigen, und hebt die Weinende auf zum bejahrten
Schoße, und so ihr den Leib mit den zitternden Armen umschlingend,
Sprach sie: ›Ich sehe, du liebst, und förderlich – laß von der Furcht nur –
Soll mein Eifer dir sein, und nie soll's wissen der Vater!‹
Da springt jene vom Schoß wie rasend und ruft, mit dem Antlitz
Drückend das Bett: ›O geh', mir niedrige Scham zu ersparen!‹
Dann, da immer sie bat: ›Geh' oder befrage mich nimmer,
Was mich quält: denn Greu'l ist, was du zu wissen dich mühest.‹
Schaudernd vernimmt es die Alte und streckt die von Jahren und Schrecken
Bebenden Hände und wirft sich dem Pflegkind flehend zu Füßen,
Und bald schmeichelt sie ihr, bald schreckt sie und droht zu verraten
Strick und begonnenen Mord, wenn nicht die Vertraute sie würde,
Während gefälligen Dienst sie gelobt der gestandenen Liebe.
Myrrha erhebt ihr Haupt und beströmt mit entquellenden Thränen
Ihrer Ernährerin Brust. Oft war sie bereit zu gestehen,
Oft stockt wieder das Wort, und sie deckt das errötende Antlitz
Mit dem Gewand und spricht: ›O Mutter, beglückt durch den Gatten!‹
Das nur sagt sie und seufzt. Kalt rieselt ein Schauer der Amme,
Die nun alles erkennt, durch Mark und Gebein, und am Scheitel
Sträubt das erblichene Grau sich empor mit starrenden Haaren.
Viel noch bietet sie auf, daß Myrrha womöglich ersticke
[161] Solch unselige Glut. Sie weiß, wie gerecht die Ermahnung,
Doch sie besteht auf dem Tod, wo sie nicht den Geliebten erlange.
›Lebe denn! Dein soll sein –‹ sprach jene; ›der Vater‹ zu sagen
Wagte sie nicht und schwieg. Das Versprechen bekräftigt ein Eidschwur.
Ceres' jährliches Fest ward fromm von den Müttern begangen,
Jenes, wobei sie, den Leib einhüllend in weiße Gewänder,
Erstlinge nährender Frucht darbringen in Ährengewinden
Und neun Nächte hindurch zum Verbotenen zählen des Mannes
Nah'n und der Liebe Genuß. Kenchre'is, des Königs Gemahlin,
War auch unter der Schar und teilte die heimliche Feier.
Während das Bett nunmehr der gesetzlichen Gattin entbehrte,
Thut dem Ci'nyras kund die zum Unheil thätige Amme,
Da sie berauscht ihn fand, mit gelogenem Namen die wahre
Liebe und rühmt das Gesicht, und, gefragt nach den Jahren des Mädchens,
Sagt sie: ›Der Myrrha gleich.‹ Wie er jene zu bringen befohlen
Und sie daheim nun war: ›Mein Pflegkind, freue dich!‹ sprach sie.
›Jetzt ist gesiegt.‹ Doch nicht ist die unglückselige Jungfrau
Froh von ganzem Gemüt; sie trauert im ahnenden Herzen,
Aber sie freut sich doch auch. So ist des Gemütes Entzweiung.
Schweigende Nachtzeit war's, und Boo'tes hatte den Wagen
Zwischen den Stieren gewandt an der schräg sich senkenden Deichsel.
[162] Da, zu dem Argen bereit, kommt Myrrha. Die goldene Lu'na
Flieht vom Himmel; Versteck gibt schwarzes Gewölk den Gestirnen;
Ohn' ihr Licht ist die Nacht. Du, I'karus, hüllst dich zuerst ein,
Wie Eri'gone auch, ob kindlicher Liebe vergöttert.
Dreimal ward sie gewarnt durch Straucheln des Fußes, und dreimal
Gab durch Totengeschrei Vorzeichen der schaurige Uhu.
Aber sie geht, und es mindern die Scham ihr Dunkel und Nachtzeit.
Während die Amme sie hält an der Linken, erkundet die Rechte
Tastend den finsteren Weg. Nun steht sie bereits auf der Schwelle;
Auf nun macht sie die Thür, läßt nun in die Kammer sich ziehen.
Doch den wankenden Knie'n ist die Beuge gelähmt, und die Farbe
Weicht mit dem Blut, und der Mut, noch weiter zu gehen, verläßt sie,
Und mit der Nähe der Schuld wird größer ihr Schauder; das Wagnis
Reut sie, und unerkannt gern ginge sie wieder von hinnen.
Aber die Greisin zieht die Verweilende mit an das hohe
Lager und spricht, sie dort hingebend dem Cinyras: ›Nimm sie!
Dein ist, die du verlangt!‹ und schließt die verruchte Verbindung.
Ins unzüchtige Bett nimmt auf sein Fleisch der Erzeuger,
Hebt jungfräuliche Furcht und redet der Zagenden Mut ein.
[163] Tochter vielleicht auch sagt er zu ihr nur wegen des Alters,
Wie sie Vater zu ihm, daß Namen bezeichnen die Blutschuld.
Schwanger vom Vater verläßt sie die Kammer, und gräßlichen Samen
Birgt sie im schandbaren Schoß und trägt die empfangene Sünde.
Wieder vereint sie die folgende Nacht. Nicht war es die letzte,
Bis daß Cinyras einst, die Geliebte zu sehen begierig
Nach so vielem Umfah'n, als Licht er zu bringen befohlen,
Schuld er und Tochter gewahrt. Weil Worte versagte der Ingrimm,
Reißt er heraus sein blinkendes Schwert aus der hangenden Scheide.
Myrrha entflieht, und geschützt von der starrenden Nacht und dem Dunkel,
Wird sie entzogen dem Tod und läßt, durch weite Gefilde
Schweifend, Panchä'a's Flur und Arabiens Palmen dahinten.
Neunmal sah sie erneut auf der Irre die Hörner des Mondes,
Bis sie ermattet zuletzt, kaum tragend die Bürde des Schoßes,
In dem sabäischen Land ausruhete. Da, in dem Wunsche
Ratlos, bange zugleich vor dem Tod und müde des Lebens,
Sagte sie solches Gebet: ›O, wenn ihr geständigen Sündern,
Götter, ein Ohr noch leiht: Schuld trag' ich, und traurig zu büßen
Bin ich bereit. Daß aber ich nicht den Lebendigen lebend
Ärgernis sei, noch tot den Gestorbenen, stoßt von den beiden
Reichen mich aus und versagt mir Leben und Sterben durch Wandlung.‹
Irgendein Gott leiht gnädig sein Ohr. Das Letzte des Wunsches
Wenigstens ward von den Göttern erhört. Denn über die Schenkel,
Während sie sprach, kam Erde, und schräg durch die berstenden Nägel
Dehneten Wurzeln sich aus, die Stützen des steigenden Stammes.
[164] Knochen gedeihen als Holz, und während inmitten das Mark bleibt,
Wandelt das Blut sich in Saft, in gebreitete Äste die Arme,
Finger in dünnes Gezweig, und die Haut wird härter zur Rinde.
Als den belasteten Schoß nun zwängte der wachsende Baumstamm
Und ihr bedeckte die Brust und den Hals schon wollte verhüllen,
Wartete länger sie nicht, und entgegen dem kommenden Holze
Saß sie geduckt und senkt' ihr Antlitz unter die Rinde.
Hat mit dem Leibe sie auch die früheren Sinne verloren,
Weinet sie doch, und es rinnen vom Baum warm quillende Tropfen.
Hoch sind die Thränen geschätzt, und die Myrrhe, getropft von der Rinde,
Führet den Namen nach ihr. So nennen sie ewige Zeiten.
Unter dem Stamm ward nun der in Sünden empfangene Knabe
Zeitig und suchte den Weg, auf dem er, die Mutter verlassend,
Komme zum Licht. Der befruchtete Schoß schwillt mitten im Baume.
Schwer ist die Mutter bedrängt; die Worte gebrechen den Schmerzen,
Und der Gebärenden Ruf kann nicht herrufen Luci'na.
Dennoch thut es der Baum den Kreißenden gleich, und sich krümmend,
Stößt oft Seufzer er aus und ist feucht von fallenden Thränen.
Mitleidsvoll trat nah' an die leidenden Äste Luci'na,
Legte die Hände daran und sprach zwanglösende Worte.
Risse gewinnet der Baum und gibt aus gespaltener Rinde
Lebend die Last, und es wimmert ein Knab'. Ihn salbten Najaden,
Als sie auf schwellendes Gras ihn gelegt, mit Thränen der Mutter.
Schönheit mußt' ihm erkennen der Neid. Denn ganz wie die nackten
Liebesgötter gemalt sich dem Blick darstellen auf Bildern,
[165] War er von Wuchs. Daß aber die Tracht nicht störe die Gleichheit,
Gib ihm oder entnimm den Göttern den zierlichen Köcher!
Schier unmerklich enteilt die geflügelte Zeit und betrügt uns:
Schneller ist nichts denn der Jahre Vergeh'n. So ist von der Schwester
Und von dem Ahne der Sohn, der unlängst ruhte im Baume,
Unlängst kam in die Welt, erst eben ein reizendes Kind war,
Jüngling schon, schon Mann, schon reizender noch denn er selber;
Schon ist Venus ihm hold, und er rächet die Flamme der Mutter.
Arglos hatte die Brust, wie er küssend die Mutter umarmte,
Mit vorstehendem Pfeil ihr geritzt der beköcherte Knabe.
Von sich stieß die Verletzte den Sohn. Doch tiefer gedrungen
War die Wund', als es schien, und zuerst ihr selber entgangen.
Nicht mehr denkt sie, entzückt von des Mannes Gestalt, an Cythe'ra's
Küsten, besucht auch nicht die vom Meer umgürtete Pa'phos,
Noch Amathu'nt an Metall und Gni'dos an Fischen ergiebig,
Meidet den Himmel sogar. Vorzieht sie dem Himmel Adonis.
An ihm hängt, ihm folgt sie allein, und behaglich im Schatten
Immer zu ruhen gewohnt und durch Pflege zu heben die Schönheit,
Zieht sie mit ihm durch Wald und Gebirg und dornige Klippen,
Bis zum Kniee geschürzt ihr Gewand nach der Weise Dia'na's,
Mahnet die Hunde zur Hast, treibt sicher zu jagende Beute,
Hirsche mit hohem Geweih, jach fliehende Hasen und Rehe
Vor sich hin, doch hält sie sich fern von streitbaren Ebern;
Raubender Wölfe Gezücht und mit Tatzen gewaffnete Bären
Meidet sie auch und Rinder zum Fraß hinmordende Löwen.
Dich, Adonis, ermahnt sie zugleich – wenn nur die Ermahnung
Fruchtete – diese zu scheu'n. ›Sei gegen die flüchtigen streitbar!‹
Sagte sie. ›Ohne Gefahr ist nicht bei Kühnen die Kühnheit.
Sei nicht allzu dreist, mich selber gefährdend, o Jüngling!
Reize das Wild nicht, das die Natur mit Waffen gerüstet,
Daß nicht teuer dein Ruhm mir kommt! Denn Alter und Schönheit,
Alles, wodurch du Venus gerührt, rührt nimmer den Löwen
Oder das borstige Schwein und die Augen und Herzen des Wildes.
[166] Schmetternden Blitzstrahl führt in den hakigen Hauern der Eber;
Grimm und erdrückende Wucht ist eigen den bräunlichen Löwen,
Die ich hasse zumeist.‹ Nach dem Grund fragt jener. ›Vernimm denn‹,
Sprach sie, ›und staun' ob alten Vergeh'ns seltsamer Bestrafung!
Doch schon bin ich erschöpft von der wenig gewohnten Beschwerde;
Sieh', uns bietet allhier willkommenen Schatten die Pappel,
Auch ist Rasen zum Sitz. Hier laß uns ruhen beisammen!‹
Sprach's und ruhte mit ihm und drückte das Gras und Adonis,
Und rücklings mit dem Nacken gelehnt an den Busen des Jünglings,
Redet sie also und stört durch öfteren Kuß die Erzählung:
›Wohl schon hast du gehört, daß einst ein Mädchen im Wettlauf
Hurtige Männer besiegt. Kein Märchen enthielt das Gerede;
Denn es ist wahr, daß jene gesiegt. Nicht konnte man sagen,
Ob sie im Laufe sich mehr auszeichnete oder in Schönheit.
Diese befragte den Gott einst wegen des Gatten. »Ein Gatte«,
Sprach er, »ist nicht, Atala'nta, dir not. Fleuch eh'liches Lager!
Doch du entfleuchst ihm nicht und entbehrst dein selber lebendig.«
Von dem Bescheide geschreckt lebt jene im Dunkel der Wälder,
Jungfrau bleibend, und scheucht die bedrängende Menge der Freier
Mit dem gestrengen Beding: »Nicht werd' ich«, sprach sie, »gewonnen,
Außer im Laufe besiegt. Laßt uns mit den Füßen uns messen!
Gattin und Ehegemach soll nehmen zum Preise der schnelle,
Säumige Tod zum Lohn. So sei es gehalten im Wettstreit.«
Hart war freilich der Spruch; doch so ist mächtig die Schönheit:
Selbst auf solchen Beding nah'n Scharen verwegener Freier.
Auch Hippo'menes saß, zuschauend dem leidigen Wettlauf.
»Wie mag einer ein Weib mit solchen Gefahren erstreben?«
Sprach er und tadelte laut der Jünglinge blinde Bethörung.
Wie er das Antlitz sah und befreit von der Hülle den Körper,
Der wie der meinige war, wie der deinige, wärst du ein Mädchen,
Stand er verwundert und sprach, aufhebend die Hände: »Verzeiht mir,
Die ich so eben gestraft. Noch war mir nicht die Belohnung,
[167] Die euch lockte, bekannt.« Lobpreisend erglühet er selber.
Daß nicht eher das Ziel von den Jünglingen einer erreiche,
Wünscht und besorgt er zugleich aus Neid. »Weswegen«, begann er,
»Soll ich aber das Glück nicht auch in der Wette versuchen?
Wagenden hilft ein Gott.« Wie noch Hippo'menes sinnend
Solches erwägt, fliegt hin mit beflügeltem Schritte die Jungfrau.
Ob die auch wie ein skythischer Pfeil dem ao'nischen Jüngling
Schien zu durcheilen die Bahn, zur Bewunderung reißt ihn die Anmut
Mehr noch hin; denn gerade der Lauf gibt jener die Anmut.
Rückwärts wehen hinweg von den flüchtigen Fersen die Schleifen;
Flatternd schweben im Zug auf dem helfernen Rücken die Haare,
Flatternd unter dem Knie mit gesticktem Besatze die Bänder.
Am jungfräulichen Leib war über die liebliche Weiße
Röte gehaucht, gleichwie wenn ein purpurfarbiger Vorhang
Über das weiße Gemach hinwirft rotscheinenden Schatten.
Während der Gast dies schaut, ist erreicht die Grenze des Laufes,
Und mit dem festlichen Kranz als Siegerin prangt Atala'nta.
Klagend verbüßen gemäß dem Vertrag die Besiegten die Strafe.
Aber den Jüngling schreckt nicht ab ihr warnender Ausgang;
Vor nun tritt er und spricht, an die Jungfrau heftend das Auge:
»Was nur suchst du im Streit mit Schwächlingen fahrlosen Siegsruhm?
Lasse mit mir dich ein! Wenn mir zum Gewinnen Fortu'na
Hold ist, hast du fürwahr dich nicht des Besiegers zu schämen.
Me'gareus hat mich gezeugt, der Onche'stier, der den Neptu'nus
Hatte zum Ahn. Ich bin Urenkel vom König der Wasser.
[168] Mannskraft auch läßt nicht von der Art. Doch sollt' ich erliegen,
Bringt Hippo'menes' Fall dir großen und rühmlichen Namen.«
Sanft sah, während er sprach, ihn an die Tochter des Schö'neus,
Schwankend im Wunsch, ob lieber ihr sei Sieg oder Erliegen.
»Welcher der Götter«, begann sie für sich, »mißgünstig den Schönen,
Will ihn verderben und heißt ihn, das teuere Leben gefährdend,
Also frei'n um die Braut? So hoch nicht acht' ich mich selber.
Nicht rührt mich die Gestalt, – doch die auch könnte mich rühren –
Nur, daß Knab' er noch ist; nicht er, sein Alter bewegt mich.
Ist er beherzt nicht auch und von todverachtender Kühnheit?
Zählt als vierter er nicht zu den Sippen des Meeresbeherrschers?
Liebt er mich nicht und hält soviel auf uns're Vermählung,
Daß er sich gibt in den Tod, wenn mich ihm weigert das Schicksal?
Fremdling, geh' – noch darfst du – und laß von dem blutigen Lager:
Grausenvoll ist der Bund mit mir. Dir möchte sich jede
Gern antrau'n; dich kann ein verständiges Mädchen sich wünschen.
Doch was sorg' ich um dich, da schon so mancher dahinsank?
Sei es denn! Fahr' er dahin, da Tod so vieler Bewerber
Ihn nicht warnt und zur Last ihm selber geworden das Leben!
Also er stürbe, dieweil er mit mir nur wünschte zu leben?
Schuldlos sollt' er den Tod zum Lohne der Liebe erleiden?
Unserem Siege gewiß folgt nicht zu ertragender Vorwurf.
Doch nicht mein ist die Schuld. O ständest du ab von dem Wagnis
Oder, dieweil du verblendet beharrst, o wärst du behender!
Aber, wie sind in dem Knabengesicht jungfräulich die Züge!
Armer Hippo'menes du, ach, hättest du nie mich gesehen,
Du zu leben so wert! Ja, wenn ich glücklicher wäre,
Wenn nicht herbes Geschick mir versagte das eh'liche Bündnis,
Keinen erwählt' ich mir dann als dich zum Genossen des Lagers.«
[169] Sprach's, und ein Neuling noch und vom ersten Verlangen ergriffen,
Wußte sie nicht, was sie that. Sie liebt, doch ohn' es zu ahnen.
Auf den gewöhnlichen Lauf dringt jetzt mit dem Volke der Vater,
Als der Neptunische Sproß Hippo'menes flehenden Tones
Mich anruft und spricht: »Zu dem Wagnis stehe Cythe'ra's
Göttin mir bei und helfe der Glut, die selbst sie entzündet.«
Mir trug zu dienstwillige Luft die freundliche Bitte,
Und ich erhört' ihn gerührt und verzog nicht lang mit dem Beistand.
Von den Bewohnern genannt das tama'sische, ist ein Gefilde,
Dem auf Cy'prus an Wert keins gleicht. Mir haben es vormals
Würdige Greise geweiht, die jenes zu unserem Tempel
Als Mitgabe gethan. Ein Baum glänzt mitten im Felde,
Golden von Laub und von leuchtendem Gold aufrauschend die Äste.
Dorther kam ich gerad' und trug drei goldene Äpfel,
Die ich gepflückt, in der Hand, und sichtbar keinem als ihm nur,
Trat ich Hippomenes nah' und lehrt' ihn der Äpfel Verwendung.
Kaum gab Zeichen das Horn, als beide den Schranken enteilen
Übergeneigt und den Sand kaum streifen mit hurtigem Fuße.
Über das Meer, so schien's, wohl könnten sie trockenen Schrittes
Gleiten und über die Saat weglaufen auf stehenden Ähren.
Steigernd des Jünglings Mut, scholl günstiges Schreien und Lärmen
Und der ermahnende Ruf: »Jetzt, jetzt ist Zeit, dich zu sputen;
Rasch, Hippo'menes, rasch! Nimm alle die Kräfte zusammen!
Laß nicht nach, und du siegst!« Ob mehr sich Me'gareus' Sprößling
Freute darob, ob mehr des Schöneus Tochter, ist zweiflig.
O, wie säumt sie so oft, wenn leicht sie könnte voraus sein,
Und geht ungern fort von dem lange betrachteten Antlitz!
Aus dem ermatteten Mund kam trockenes Keuchen, und ferne
War noch immer das Ziel. Da endlich versendet im Wurfe
Eine der Früchte vom Baum der edle Neptunische Sprößling.
Siehe, die Jungfrau stutzt, und gelockt von dem glänzenden Apfel
Lenkt sie den Lauf seitwärts und hebt das rollende Gold auf.
Schnell ist Hippomenes vor. Rings hallt von Klatschen der Schauplatz.
[170] Doch im beschleunigten Lauf bringt ein Atala'nta die Säumnis
Und den Verzug und läßt bald wieder im Rücken den Jüngling.
Nochmals dann durch den Wurf des anderen Apfels verzögert,
Holt sie ihn ein und eilt ihm voraus. Noch harrte die letzte
Strecke der Bahn. »Nun hilf, du göttliche Geberin!« rief er,
»Und in das Feld schräghin, daß länger verziehe die Jungfrau,
Warf er das leuchtende Gold mit Jünglingskraft auf die Seite.
Ob sie es hole, besann sie sich erst, wie es schien. Es zu holen
Zwang ich, und das Gewicht dem gehobenen Apfel vermehrend,
Hielt ich sie auf durch Schwere der Last nicht minder wie Säumnis.
Kurz, daß langsamer nicht, als der Lauf, sei meine Erzählung:
Sie kam später ans Ziel. Heim führte der Sieger den Kampfpreis.
Daß er mir dankte dafür und des Weihrauchs Ehre mir zollte,
Hatt' ich es nicht, Ado'nis, verdient? Er vergaß mir zu danken,
Zollt' auch Weihrauch nicht. Rasch bin ich gewendet zum Zorne.
Bitter empfindend die Schmach, verbiet' ich durch warnendes Beispiel,
Mich zu versäumen hinfort, und entrüste mich gegen die beiden.
Cy'bele's Tempel vorbei, den einst der berühmte Echi'on
Treu dem Gelübde gebaut in der Stille des schattigen Haines,
Gingen sie. Auszuruh'n riet ihnen die Länge des Weges.
Dort wird plötzlich entfacht durch Einfluß unserer Gottheit
In des Hippomenes Brust unzeitige Lust nach Umarmung.
Spärlich erhellt vom Licht war neben dem Tempel ein Winkel,
Fast zur Grotte gewölbt, von natürlichen Bimsen umschlossen,
Heilig erklärt durch erbliche Scheu. Dort hatte in Menge
Hölzerne Bilder gehäuft von gealterten Göttern der Priester.
Diese geheiligte Statt entweiht er mit sträflicher Unzucht.
[171] Zornvoll sah'n die Gefilde hinweg, und die Mutter im Turmkranz
Wollte die Schuldigen schon in die stygische Welle versenken.
Doch das schien zu gelind. Drum hüllt sich in gelbliche Mähne,
Glatt noch eben, ihr Hals; krumm werden die Finger zu Tatzen,
Während ein Bug aus den Schultern entsteht; in die mächtige Brust geht
Alles Gewicht, und ein Schweif fegt über die Fläche des Sandes.
Ingrimm blickt das Gesicht; ein Brüllen ersetzet die Rede;
Ehegemach ist ihnen der Wald, und anderen furchtbar
Drücken sie Cy'bele's Zaum mit gebändigten Zähnen als Löwen.
Diese, du Trautester, fleuch und die sämtlichen Tiere der Wildnis,
Die zum Kampfe die Brust, nicht aber zum Fliehen den Rücken
Bieten, auf daß dein Mut nicht sei uns beiden verderblich!‹
Also warnte sie ihn und fuhr, von den Schwänen gezogen,
Rasch durch die Lüfte davon. Doch Mut strebt gegen die Warnung.
Siehe, der sicheren Spur nachgehend verscheuchten die Hunde
Aus dem Versteck ein Schwein, und als es den Wald zu verlassen
Trachtete, traf es mit schrägem Geschoß des Ci'nyras Sprößling.
Aber der Eber verdrängt mit gebogenem Rüssel den Jagdspieß,
Welchen gefärbt sein Blut, und dem Jüngling, wie er mit Zittern
Schutz sucht, rennet er nach voll Grimm und stößt ihm die Hauer
Tief in die Weichen und streckt in den Sand ihn tödlich getroffen.
[172] Noch nicht hatte, die Luft durchfahrend auf schwebendem Wagen,
Cy'prus erreicht mit dem Fluge der Schwäne die Göttin Cythe'ra's,
Als sie von weitem erkennt des Verscheidenden Ächzen und dorthin
Lenkt ihr weißes Gespann, und wie von der Höhe des Äthers
Nun sie den Sterbenden sah sich wälzen im eigenen Blute,
Sprang sie herab und zerriß das Gewand und zerraufte das Haupthaar,
Schlug im Jammer die Brust, nicht schonend der zärtlichen Hände,
Haderte mit dem Geschick und sprach dann: ›Aber es fällt dir
Doch nicht alles anheim. Stets soll, o Adonis, ein Denkmal
Unserer Trauer besteh'n: dein Tod soll jährlich erneuet
Wieder erscheinen im Bild mit dem Gleichnis unserer Klage.
Blume jedoch soll werden das Blut. War etwa gestattet
Weiblichen Leib vormals in duftende Minze zu wandeln
Dir, Perse'phone, nur? Uns sollte verargen die Mißgunst,
Wenn wir Cinyras' Sproß auch wandelten?‹ Als sie geredet,
Sprengte sie unter das Blut wohlriechenden Nektar, und schwellend
Stieg es, von diesem berührt, nach Art durchsichtiger Blasen,
[173] Die beim Regen entsteh'n. Nicht länger denn stündliche Weile
Hatt' es gewährt, da wuchs aus dem Blut gleichfarbige Blume,
So wie die punische Frucht sie trägt, die unter der zähen
Schale die Kerne verschließt. Doch kurz nur ist ihr Bestehen;
Denn weil lose sie hängt, zu schwach durch Mangel an Schwere,
Wird sie vom Winde verweht, davon sie erhalten den Namen.«
[174][175][1]

Elftes Buch

Elftes Buch.

Inhalt. Tod des O'rpheus. Die Schlange. Verwandlung der Mäna'den. Mi'das. Hesi'one. Pe'leus und The'tis. Däda'lion. Der Wolf. Ce'yx und Alcy'one (der Schlaf). Ä'sacus.


Während mit solchem Gedicht Waldstämme der thrakische Sänger

Lockte herzu und Gemüter des Wilds und folgende Steine,
Sieh', da werden gewahr ciko'nische Frauen, den vollen
Busen mit Fellen bedeckt, von der Spitze des Hügels den Orpheus,
Wie wohltönenden Sang er gesellte geschlagenen Saiten.
Eine davon, die das Haar ließ treiben in wehenden Lüften,
Rief: »Seht, sehet ihn dort, den Verächter der Frau'n!« Und der Thy'rsus
Flog nach dem tönenden Mund des Apo'll entsprossenen Sängers.
Laubumhüllt ließ jener ein Mal nur ohne Verletzung.
Waffe darauf ist der andern ein Stein: der aber, im Fluge
Von dem vereinigten Klange der Stimm' und der Leier [1] bezwungen,
Legt, als bät' er in Reu' zu verzeih'n so wütendes Wagnis,
Jenem zu Füßen sich hin. Doch nunmehr wächst die verweg'ne
Fehde, das Maß ist fern, und es waltet die tolle Eri'nnys.
All die Geschosse gesamt wohl wären erweicht von dem Sange;
Aber gewaltig Geschrei und Geklatsch, berecy'ntische Flöten
Mit abstehendem Horn und Trommeln und bacchisches Heulen
[1] Dröhnten dem Saitengetön zu laut. Da wurden gerötet
Endlich die Steine vom Blut des nimmer vernommenen Sängers.
Die noch waren gebannt von des Lichtes bestrickendem Wohllaut,
Vögel in zahllosem Schwarm und Schlangen und Scharen des Wildes,
Orpheus' seltnen Triumph, zerfleischten zuerst die Mänaden.
Drauf mit blutiger Hand eindringen sie all' auf den Orpheus,
Gleich wie Vögel geschart, die sehen im Lichte des Tages
Flattern den Vogel der Nacht. Wie wenn in dem run den Theater,
Beute des Todes, ein Hirsch auf dem sandigen Platz in der Frühe
Hunden verfällt, so stürmen sie ein auf den Sänger und schleudern,
Dazu nimmer bestimmt, die mit Laub umwundenen Stäbe.
Schollen erheben sie teils, teils Bäumen entrissene Zweige,
Teils auch Steine zum Wurf. Daß der Wut nicht fehlen die Waffen:
Stiere zerwühlten das Land zur Zeit mit gestemmeter Pflugschar;
Nah' auch, nährende Frucht mit sauerem Schweiß zu bereiten,
Hackten im harten Gefild Landleute mit rüstigen Armen.
Diese gewahren den Zug und flieh'n; die Geräte der Arbeit
Bleiben zurück, und es liegen zerstreut auf verlassenen Äckern
Karste mit drückender Wucht, langstielige Hacken und Spaten.
Als die waren gerafft und die Stiere zerrissen in Tollheit
Trotz dem Gehörn, kehrt wieder der Schwarm zu des Sängers Verderben.
Ihn, der flehend die Händ' ausstreckt' und vergebliche Worte
Damals sagte zuerst und nichts mit der Stimme bewegte,
Morden sie ruchlos hin, und hinweg aus dem tönenden Munde,
Welchen die Felsen gehört und die lauschenden Tiere verstanden, –
O du Ju'piter! – wich in den Wind die verhauchete Seele.
[2] Dir weiht Trauer das Wild, dir, Orpheus, klagende Vögel,
Dir das starre Gestein und der Wald, den deine Gesänge
Oftmals hatten gelockt; um dich mit geschorenem Haupthaar
Härmt sich entblättert der Baum; durch eigene Zähren – erzählt man –
Wurden die Flüsse gemehrt, und in dunkele Farbe gekleidet
Gingen, die Haare gelöst, Naja'den einher und Drya'den.
Hier und dort sind die Glieder verstreut. Haupt aber und Leier
Fängst du, He'brus, im Strom, und während sie mitten dahintreibt,
Da – o Wunder – erbebt wie klagend die Leier, und klagend
Lallt die entseelete Zung', und klagend erwidern die Ufer.
Fern von dem heimischen Fluß schon schwimmen sie weg in die Meerflut,
Und sie gewinnen den Strand der methymnä'ischen Le'sbos.
Dort schoß los voll Grimm auf das Haupt, das lag an die fremde
Küste gespült, und das Haar, das naß noch tropfte, ein Drache.
Endlich ist Phö'bus genaht, und wie er zum Bisse sich anschickt,
Hält er ihn ab und läßt den geöffneten Rachen der Schlange
Frieren zu Stein und den Schlund, wie er war, weit gähnend erharten.
Sitz nimmt drunten der Geist und erkennt noch alle die Räume,
Die vormals er geseh'n, und, der Seligen Auen durchsuchend,
Sieht er Eury'dice bald und umfängt sie mit brünstigen Armen.
Dort nun wandeln umher mit vereinigten Schritten die beiden,
Oder er folgt ihr nach; oft auch geht wieder als Erster
Orpheus, der sich getrost nun darf nach Eurydice umseh'n.
Aber die Unthat läßt nicht straflos bleiben Lyä'us.
Schmerzlich bewegt vom Verlust des Verkündigers seiner Verehrung,
[3] Hält er im Walde sogleich die gesamten edo'nischen Mütter,
Welche den Frevel geschaut, an gewundener Wurzel gebunden.
Dann an den Füßen die Zeh'n, wo jeder gerade der Schritt stand,
Zog er und stieß sie hinab zum gefestigten Grund an den Enden.
So wie der Vogel in Not, wenn er fügte das Bein in die Sprenkel,
Schlau vom Finkler versteckt, und gehalten sich fühlt, mit den Flügeln
Schlägt und fester verengt durch Drehen und Winden die Schlinge:
Also strebten auch sie, wie jede geheftet am Boden
Festhing, ängstlich umsonst zu entflieh'n. Zäh haftende Wurzel
Hält jedwede zurück und hemmt den begonnenen Aufsprung.
Während sie suchet den Fuß und suchet die Zehen und Nägel,
Sieht sie gedeihenden Stamm die gerundeten Waden ersetzen.
Jetzo den Schenkel bemüht mit jammernder Rechten zu geißeln,
Trifft mit dem Schlage sie Holz. In Holz geht über der Busen;
Auch für die Schultern ist Holz, und man möchte für wirkliche Äste
Halten, und irrete nicht, die langhin ragenden Arme.
Ba'cchus genügt das nicht; ganz jene Gefilde verlassend,
Nimmt er mit besserem Zug nach den Weinhöh'n seines Tymo'lus
Und dem Pakto'lus den Weg, wenn auch nicht golden die Wellen
Damals waren und nicht ob köstlichen Sandes beneidet.
Sa'tyrn schwärmen um ihn, das gewohnte Gefolge, und Ba'cchen;
Aber Sile'nus ist fern. Der war von phrygischem Landvolk,
Wankend von Wein und von Alter, gehascht und mit Kränzen gefesselt
Hin zu Mi'das geführet, dem Könige, welchem der Thraker
Orpheus orgischen Dienst mit Eumo'lpus gelehrt, dem Athener.
Jener, sobald er erkannt den Genossen und Bruder der Feier,
[4] Heißt willkommen den Gast und begeht zehn Tage und Nächte
Hintereinander mit Schmaus und Gelage das frohe Ereignis.
Lu'cifer hatte den Reih'n der erhabenen Sterne beschlossen
Elfmal nun, da kam in die lydische Flur der vergnügte
König und brachte zurück den Sile'nus dem blühenden Zögling.
Freies Belieben im Wunsch, das, ohne zu frommen, genehm war,
Gönnt drauf jenem der Gott, froh über des Pflegers Zurückkunft.
Er, dem schlechten Gewinn das Geschenk bringt, spricht: »So verleihe,
Daß, was immer berührt mein Leib, sich verwand'le zu Golde.«
Li'ber nickt zu dem Wunsch und gewährt die verderbliche Gabe,
Aber es kümmert ihn sehr, daß Besseres nicht er begehrte.
Froh des Verderbs entfernt sich der berecy'ntische He'ros
Und rührt einzelnes an, ob sich das Versprechen bewähre.
Zweifel in sich noch setzend, entbricht er der niedrigen Eiche
Grün von Blättern ein Reis: das Reis ist golden geworden.
Auf nun hebt er den Stein: der Stein ist erblichen zu Golde.
Erde berührt er, und gleich ist die Scholle vom starken Berühren
Klumpiges Erz. Ausrauft er gezeitigte Ähren der Ceres:
Goldene Ernte erschien. Vom Baum abpflückt er den Apfel:
Für Hesperi'dengeschenk wohl nähmst du ihn. Kommt mit den Fingern
Stehenden Pfosten er nah', so scheinen die Pfosten zu strahlen.
Wenn er in rinnender Flut sich hatte gewaschen die Hände,
Konnte die Flut, die den Händen entrann, auch Da'nae täuschen.
Kaum umfaßt er im Geist sein Glück, der alles sich golden
Vorstellt. Jetzo besorgt das Gesinde dem Frohen die Tafel,
Reich mit Speisen besetzt und verseh'n mit gerösteter Feldfrucht.
Da nun aber, sobald mit der Rechten die Gabe des Ceres
Midas hatte berührt, erstarrte die Gabe der Ceres;
[5] Oder, gedacht' er das Fleisch zu zermalmen mit gierigem Zahne,
Hüllte das Fleisch beim Nahen des Zahns gelbglänzende Kruste.
Als er mit Wasser gemischt den Verleiher des mächtigen Zaubers,
Da war's flüssiges Gold, was ihm in dem Schlunde hinabrann.
Starr vor Schreck für den neuen Verderb, so dürftig im Reichtum,
Möcht' er den Schätzen entfliehen und haßt, was jüngst er begehret.
Mitten in Fülle verbleibt sein Hunger; es brennt in der Kehle
Trockener Durst, und das leidige Gold ist verdienete Plage.
Da zum Himmel erhebt er die Händ' und die strahlenden Arme:
»Vater Lenä'us, verzeih' huldvoll! Wir sündigten,« sprach er,
»Aber erbarme dich mein und entnimm mich dem glänzenden Elend!«
Bacchus, der gütige Gott, stellt her den geständigen Sünder,
Und er beseitigt die Gunst, die treu dem Vertrage gewährt war.
»Daß du umdrängt nicht bleibst von dem übel erbetenen Golde,«
Sprach er »geh' an den Strom, der nahe der mächtigen Sa'rdes;
Dann auf der Höhe des Bergs, entgegen den fallenden Wellen,
Wand're den Weg bis daß du gelangst an die Quelle des Flusses,
Und in den schäumenden Born, da, wo er am reichsten hervorkommt,
Tauche das Haupt und wasche den Leib und wasche die Schuld ab!«
Midas gehorcht und steigt in die Flut. Die verwandelnde Goldkraft
Färbte den Strom und ging von dem menschlichen Leib in die Wellen.
Jetzt noch starret die Flur vom empfangenen Samen der alten
Ader und flimmert von Gold, das dringt in befeuchtete Schollen.
Reichtum hassend und Prunk, hielt jener in Wäldern und Fluren
Lieber sich auf, beim Pan, der stets Berggrotten bewohnet.
Aber es blieb sein träger Verstand, und schaden wie vormals
Sollte der thörichte Sinn zum anderen Mal dem Besitzer.
Weithin schauend ins Meer mit jäh ansteigender Höhe,
[6] Starrt des Tmo'lus Gebirg, und gedehnt in doppelter Senkung
Endet es hier bei Sardes und dort bei dem kleinen Hypä'pa.
Als sein flötendes Spiel dort Pan anmutigen Nymphen
Rühmte und leichtes Getön vortrug auf verbundenen Rohren,
Wagt' er Apo'llo's Spiel in Vergleich mit sich zu verachten,
Und er erschien vor Tmolus' Gericht zum verwegenen Wettstreit.
Sitz nimmt ein auf dem Berg der entscheidende Greis, und die Ohren
Macht er von Bäumen sich frei; nur Eichlaub kränzt ihm des Hauptes
Bläuliches Haar und umwallt die vertiefeten Schläfe mit Eicheln.
Der nun sprach, nach dem Gotte des Viehs hinschauend: »Der Richter
Stehet bereit.« Pan bläst zum Beginn auf den ländlichen Halmen,
Und mit Ergötzen vernimmt der gerad' anwesende Midas
Sein barbarisches Spiel. Drauf wendet der heilige Tmolus
Phöbus entgegen das Haupt: sein Wald ist gefolgt dem Gesichte.
Jener, das blonde Gelock umkränzt mit parnassischem Lorbeer,
Schleift am Grund das Gewand, das tyrische Farbe gesättigt;
Seine mit indischem Zahn und Gestein reich prangende Laute
Ist von der Linken gefaßt; in der andern hält er den Schlägel,
Künstlergemäß auch nimmt er den Stand. Nun rührt er die Saiten
Mit kunstfertigem Daum, und Tmolus, entzückt von dem Wohllaut,
Heißet die Rohre des Pan sich erniedrigen unter die Leier.
Allen gefällt der Entscheid und Spruch des heiligen Berges;
Doch laut wird er geschmäht vom Gerede des einzigen Midas
Und unbillig genannt. Da lässet der de'lische Jüngling
Menschliche Form nicht mehr so thörichte Ohren behalten,
Sondern er reckt sie hinaus und füllt sie mit weißlichen Haaren,
Macht auch unten sie schwank und verleiht Willkür der Bewegung.
[7] Übrigens bleibt er ein Mensch; an dem einzigen Gliede verurteilt,
Trägt er die Ohren hinfort von dem langsam schreitenden Esel.
Midas verhehlet es zwar und sucht zu verhüllen die Schläfe,
Denen der häßliche Schimpf anhaftet, in purpurner Mütze.
Aber ein Diener, gewohnt mit dem Stahl ihm zu kürzen das Haupthaar,
Hatt' es gesehn. Weil der die gesehene Schmach zu verraten
Nicht sich getraut, wie gern er zu Tage sie hätte gefördert,
Aber zu schweigen vermag auch nicht, gräbt endlich den Boden
Heimlich er auf, und was er für Ohren erblickt an dem König,
Meldet er leis und flüstert es zu dem gewühleten Erdreich.
Wieder verscharrt er sodann in dem Loch das entdeckte Geheimnis,
Geht stillschweigend hinweg und verläßt die verschüttete Grube.
Dort wuchs bald ein Gebüsch, dicht stehend von schwankendem Rohre;
Das that kund, sobald es gereift nach vollendetem Jahre,
Wer den Acker bestellt. Denn jene vergrabenen Worte
Raunt es, erregt vom Süd, und bezichtigt die Ohren des Herren.
[8] Weg vom Tmolus begibt sich gerächt der lato'ische Phöbus,
Fährt durch die Luft und steht vor He'lle's der Nepheleïde
Schmal sich verengendem Sund auf Laomedo'ntischen Fluren.
Rechts der sige'ischen Bucht und links der rhöte'ischen Tiefe
Stehet ein alter Altar, dem pano'mphischen Donnerer heilig.
Dort ward Phöbus gewahr, wie Lao'medon schützend die neue
Tro'ja mit Mauern umgab, wie unter Beschwerden und Mühen
Wuchs das gewaltige Werk und heischete reichlichen Aufwand.
Und mit des schwellenden Meers Urheber, dem Dreizackträger,
Kleidet er sich in Menschengestalt, und dem phrygischen Herrscher
Gründen sie beide den Bau, sich Gold für die Mauern bedingend.
Nun stand fertig das Werk, doch Lohn ableugnet und Meineid
Fügt zu der Lüge, das Maß der Tücke zu füllen, der König.
»Du sollst büßen dafür!« so sprach der Gebieter des Meeres,
Und die Gewässer gesamt zum Strande der geizigen Troja
Drängend, verleiht er dem Land Aussehen der See, und des Landmanns
Reichtum schwemmt er hinweg und verschüttet mit Fluten die Äcker.
Doch nicht Strafe genug: zum Fraß auch heischet des Königs
Tochter ein Meerscheusal. Die Gebundene aber am harten
Felsen erlöst der Alci'd' und verlangt die versprochenen Rosse,
[9] Seinen Beding. Wie der Lohn solch rühmlicher That ihm versagt ward,
Nimmt er im Sturme der Stadt zweimal wortbrüchige Mauern.
Bar bleibt Te'lamon nicht, sein Kampfesgenosse, des Dankes;
Denn Hesi'one nimmt er zum Weib. Ruhm brachte dem Pe'leus
Auch sein göttliches Weib, und nicht weckt diesem der Schwäher
Minderen Stolz, wie der Ahn; denn nicht war einem beschieden,
Jupiters Enkel zu sein, nur einem zu freien die Göttin.
Pro'teus hatte, der Greis, zu The'tis gesprochen: »Empfange,
Göttin der Flut! Ein Sohn wird dein, der höhere Thaten
Als sein Erzeuger vollbringt und größer denn jener genannt wird.«
Drum, daß Größeres nicht als Jupiter hätte das Weltall,
Meidet, obschon nicht lau in der Brust ihm glühte die Sehnsucht,
Jupiter doch den Verein mit der meerumwogeten The'tis.
Selber entsagend gebeut er dem äaci'dischen Enkel
Hinzunehmen die Braut und die Seejungfrau zu umarmen.
An dem hämo'nischen Land ist sichelgestaltig ein Busen;
Vor sind die Arme gestreckt, und zum Hafen bei tieferem Wasser
Wär' er bequem; doch flach deckt eben den Boden die Meerflut.
Fest ist daneben der Strand, der weder bewahret den Fußtritt,
Noch aufhält im Gang, noch trägt wirrhangendes Seegras.
Nah' ist ein Myrtengebüsch, reich an zweifarbigen Beeren;
Mitten darin ein Grottengewölb', natürlich gebildet
Oder durch Kunst, mehr wohl durch Kunst. Dort kamst du gewandlos,
The'tis, zum öfteren hin, vom gezäumten Delphine getragen.
Wie du vom Schlummer bestrickt dort ruhetest, wagte dir Peleus
Dringlich zu nah'n, und weil du, versucht durch Bitten, dich weigerst,
[10] Braucht er Gewalt und hält dir den Hals mit den Armen umschlungen.
Hättest du nicht dich gewandt, die Gestalt vielfältig verändernd,
Zu der gewöhnlichen List, ihm wäre gelungen das Wagnis.
Vogel erschienst du zuerst; doch fest hielt jener den Vogel;
Dann unrühriger Baum: an dem Baum auch haftete Peleus.
Aber in dritter Gestalt als fleckige Tigerin drohend,
Schrecktest du Ä'akus' Sohn, daß dich zu umfassen er abstand.
Drauf nun ehrte mit Wein, den über die Wogen er ausgoß,
Jener die Götter des Meers, mit Geweiden des Viehs und mit Weihrauch,
Bis aus dem Strudel hervor ihm so der karpathische Seher
Zurief: »Ä'akus' Sohn, du erlangst die begehrte Vermählung.
Binde sie nur, wenn schlummernd sie ruht in der schattigen Grotte,
Schleunig und unvermerkt mit Stricken und haltenden Fesseln;
Und sie betrüge dich nicht, mag hundert Gestalten sie heucheln:
Zwinge sie, was sie auch sei, bis früheres Wesen sie herstellt.«
So gab Proteus Rat und barg in den Fluten das Antlitz,
Und sein wallendes Meer ging über das Ende der Rede.
Abwärts fuhr der Tita'n und war mit geneigeter Deichsel
Dicht am hesperischen Sund, als Ne'reus' reizende Tochter
Wieder die Tiefe verließ und betrat die gewöhnliche Ruhstatt.
Pe'leus nahete kaum, da nimmt die gefährdete Jungfrau
Wechselnde neue Gestalt, bis daß sie am Ende die Glieder
Fühlet gehalten und weit aus einander gezogen die Arme.
Da nun seufzt sie und sagt: »Du siegst nicht ohne die Götter.«
Und sie erschien wie zuvor. Die wirkliche The'tis umarmet
Peleus, glücklich im Wunsch, und zeugt ihr den großen Achi'lles,
[11] Glücklich machte der Sohn und glücklich die Gattin den Peleus,
Dem sich, wenn du die Schuld wegnimmst, daß Pho'kus gewürgt war,
Alles zum besten gewandt. Den flüchtigen Mörder des Bruders,
Den sein Vater verstieß, nimmt auf die trachi'nische Landschaft.
Herrschaft hatte daselbst, von Gewaltthat rein und vom Morde,
Ce'yx, Lu'cifers Sohn, der leuchtende Schöne im Antlitz
Trug vom Vater geerbt, doch dazumal in Betrübnis,
Ganz unähnlich sich selbst, den entrissenen Bruder beweinte.
Als dorthin, von dem Weg und von Sorgen ermüdet, gelangt war
Ä'akus' Sproß und die Stadt mit geringem Geleite betreten,
Während das wollige Vieh, das mit ihm kam, und das Hornvieh
Draußen im schattigen Thal nicht weit von den Mauern zurückblieb,
Sagt er, sobald ihm nun Zutritt zu dem Herrscher geworden,
In schutzflehender Hand vorhaltend die wollene Binde,
Wer er sei, wes Sohn; nur schweigend von seinem Verbrechen,
Lügt er des Banns Anlaß. Stadt oder Gefilde zum Wohnen
Ist sein Begehr. Drauf spricht zu dem Bittenden friedlichen Mundes
So der trachi'nische Fürst: »Auch niederem Volke gewähr' ich,
Peleus, willigen Schutz, und gastliche Fluren beherrsch' ich.
[12] Dazu kommt als Gewicht bei dir dein rühmlicher Name,
Jupiter auch, dein Ahn. Mit Bitten verliere die Zeit nicht:
Was du verlangst, nimm hin! Teil soll am Gebiete dir werden,
So wie du eben es siehst. O, sähst du es besser im stande!«
Cëyx weinte dazu. Nach dem Grund solch tiefer Betrübnis
Fragten mit Äakus' Sohn die Gefährten, und jener erzählte:
»Stets sei, meint ihr vielleicht, der Vogel befiedert gewesen,
Der sich erhält vom Raub und ein Schreck ist allem Geflügel.
Vormals war er ein Mann, und also beharrt die Gemütsart:
Kriegerisch war er gesinnt und trotzig und rasch zur Gewaltthat,
Jenem Erzeuger entstammt, der ruft in der Frühe Auro'ra
Und von dem Himmel zuletzt weggeht. Däda'lion hieß er.
Mir war Frieden genehm, um Frieden und eh'liche Treue
Sorgt' ich nur; am Getümmel des Kriegs fand Freude der Bruder
Fürsten und Völker bezwang er im Kampf mit rüstiger Stärke,
Der ein gewandelter nun nachjagt thisbä'ischen Tauben.
Chi'one hatt' er gezeugt, die, reich an Schöne wie keine,
Tausend Bewerber gewann, im zweimal siebenten Jahre
Mannbar. Ma'ja's Sohn und Phöbus, gerad' auf dem Rückweg,
Dieser vom delphischen Haus, vom cylle'nischen Gipfel der and're,
Sahen sie beide zugleich und erglühten zugleich von Verlangen.
Wonne der Liebe verschiebt für nächtliche Weile Apollo.
Jener verzieht nicht erst; mit der Schlummer erregenden Rute
Rührt er ihr an das Gesicht, und die zauberbefangene Jungfrau
Leidet Gewalt. Nacht hatte bestreut mit Sternen den Himmel:
Phöbus verstellt sich als Greisin und nimmt nachkommende Freuden.
Als nun waren erfüllt von dem reifenden Schoße die Monde,
Wand sich Auto'lycus los, von des fußbeflügelten Gottes
Samen der listige Sproß, sinnreich zu jeglichem Schelmstück,
Der mit verschlagener Kunst, in der Art nicht lassend vom Vater,
Weißes zu machen verstand aus Schwarzem und Schwarzes aus Weißem.
[13] Aber von Phöbus gezeugt – denn Zwillingskinder gebar sie –
Schaute Phila'mmon das Licht, ruhmreich durch Lieder und Laute.
Daß zwei Söhne zugleich sie gebar, zwei Götter verlockte,
Daß sie von strahlendem Ahn und streitbarem Vater entsprossen,
Ach, was frommet es ihr? Ist Ruhm nicht vieler Verderben?
Ihr war Ruhm der Verderb. Sich über Dia'na zu stellen
Und ihr Gesicht zu tadeln vermaß sie sich. Aber der Göttin
Regte sich zorniger Grimm: ›Mein Thun soll,‹ sprach sie, ›gefallen.‹
Sonder Verzug dann bog sie das Horn und ließ von der Sehne
Schwirren den Pfeil und traf mit dem Rohre die schuldige Zunge.
Die ist stumm, und es folgt kein Laut, kein Wort dem Bestreben;
Rede versucht sie umsonst, bis wich mit dem Blute das Leben.
O du Liebe, wie tief war damals meine, des Oheims,
Kümmernis, während ich Trost einsprach dem vermissenden Bruder!
Anders nicht, wie der Fels auf das Rauschen der brandenden Meerflut,
Achtet der Vater darauf und beweint die entrissene Tochter.
Wie er sie brennend erblickt auf dem Holzstoß, wollt' er sich viermal
Stürzen hinein in die Glut; viermal am Beginnen gehindert,
Wendet die Glieder er rasch zur Flucht, und dem Stiere vergleichbar,
Wenn in den Nacken gedrückt ihn peinigt der Stachel der Horniß,
Rennet er, wo kein Weg. Schon damals, wie mir geschienen,
Lief er mehr wie ein Mensch, und man wähnte die Füße beflügelt.
Allen entflieht er daher, und, behend im Verlangen des Todes,
Klimmt er zur Höh des Parna'ssus hinan. Sein jammert Apollo,
Und wie Dädalion sich von der ragenden Klippe hinabstürzt,
Leiht er ihm Schwingen im Nu und hält in der Schwebe den Vogel,
Gibt ihm hakigen Mund, an den Zehen gebogene Krallen,
[14] Mut wie sonst und zur Größe des Leibs nicht stimmende Stärke.
Unter dem Vögelgeschlecht nun haust er als grimmiger Habicht,
Keinem versöhnlich, und bringt im Schmerze den anderen Schmerzen.«
Als noch Lucifers Sohn das erstaunliche Wunder erzählte,
Das mit dem Bruder gescheh'n, naht eilig der Hüter des Hornviehs,
Keuchend vom hastigen Lauf, aus phokischem Lande Ane'tor.
»Peleus, Peleus, ach, ich bringe betrübende Kunde!«
Rufet er. Peleus heischt, was immer er bringe, zu hören.
Selbst auch schwebet in Furcht der Trachi'nier bebenden Mundes.
Jener erzählt: »Ich hatt' an das krumme Gestade die müden
Rinder geführt, als Sol zuhöchst in der Mitte des Kreises
Hinter sich ebensoviel als vor sich schaute des Raumes.
Manche der Stiere, die Kniee im gelblichen Sande gebogen,
Blickten gelagert hinaus auf das Feld weitreichender Wasser;
Manche ergingen sich hier und dort mit verweilendem Schritte;
Andere schwammen, den Hals hoch über die Wellen gehalten.
Nah' ist ein Tempel am Meer, nicht prangend von Marmor und Golde,
Aber von dichtem Gehölz und gealtertem Haine beschattet,
Von Nereïden beschirmt und von Ne'reus, die mir ein Schiffer
Als Inhaber genannt, der Netze getrocknet am Strande.
Daran grenzet ein Sumpf, mit buschigen Weiden bewachsen,
Den zum Sumpfe gemacht die Flut austretenden Meeres.
Dort schreckt plötzlicher Lärm mit lautem Gekrach die Umgebung,
Und ein entsetzlicher Wolf bricht aus dem morastigen Walde
Vor, von geronnenem Blut und Schaum am vernichtenden Rachen
Triefend, mit flammendem Rot umgossen die funkelnden Augen.
Wenn auch Hunger und Wut ihn zugleich hinreißen zum Würgen,
Stachelt ihn mehr doch Wut. Denn er hat nicht Sorge, den Hunger
An dem gemordeten Vieh und die Gier zu stillen; die ganze
Herde befällt er und streckt feindselig sie alle danieder.
[15] Mancher von uns auch sinkt, vom verderblichen Bisse verwundet,
Während wir stehen zur Wehr, in den Tod. Vom Blut ist die Küste
Rot und die vordere Flut und die bang umbrülleten Sümpfe.
Doch im Verzug ist Gefahr, und es gönnt kein Zaudern die Sache.
Weil noch einiges bleibt, greift alle geschart zu den Waffen!
Waffen ergreift und laßt uns vereint ausziehen zum Jagen!«
Also sagte der Hirt. Nicht kümmert der Schaden den Peleus;
Aber er schließt, des Verbrechens gedenk, daß die sohnesberaubte
Psa'mathe Schaden verhängt, dem getöteten Phokus zur Sühne.
Rüstung zu nehmen gebeut der ötä'ische König den Männern
Samt scharfbohrender Wehr. Selbst auszieh'n wollt' er mit ihnen.
Doch da eilte herzu Alcy'one, seine Gemahlin,
Von dem Getümmel geschreckt, und das Haar, erst wenig geordnet,
Löste sie auf auch so, und, den Nacken des Gatten umschlingend,
Bat sie mit Thränen und Wort, daß ohne sich selber er Beistand
Sende zur Jagd und so zwei Leben in einem erhalte.
Da sprach Äakus' Sohn: »O Königin, banne die schöne
Liebende Furcht! Gunst ist mir genug schon euer Erbieten.
Nicht mit Waffen gedenk' ich das neue Getier zu bekämpfen:
Anfleh'n will ich die Göttin des Meer's.« Hoch ragte ein Turmbau,
Drauf zu oberst ein Herd, willkommen ermatteten Kielen.
Diesen ersteigen sie jetzt und gewahren mit Seufzen die Stiere,
Niedergeworfen am Strand, und mit blutigem Rachen das Untier,
Ihren Verheerer, von Blut an den struppigen Zotten gerötet.
Dort die Hände gestreckt zum Gestade der offenen Meerflut
Bittet zu enden den Zorn und Hilfe zu bringen die blaue
Psamathe Äakus' Sohn. Die aber ist nicht von des Peleus
Flehenden Worten erweicht; erst The'tis erlangt die Verzeihung,
Bittend für ihren Gemahl. Doch ob sie ihn ruft, in dem grausen
Morde beharret der Wolf, von der Süße des Blutes gestachelt,
Bis sie ihn, während er hing am Hals der zerfleischeten Färse,
Wandelt in hartes Gestein. Den Körper und außer der Farbe
[16] Alles behielt er wie sonst; an der Farbe des Steines ersah man,
Daß er ein Wolf nicht mehr, daß keiner ihn brauche zu fürchten.
Doch hier gönnt das Geschick nicht häuslichen Sitz dem gebannten
Pe'leus. Irrend gelangt der Verwiesene zu den Magne'ten,
Wo ihn endlich vom Mord der Hämo'nier sühnet Aka'stus.
Ce'yx wollte indes, von des Bruders Geschick und von jenem,
Das auf den Bruder gefolgt, im ahnenden Herzen geängstigt,
Daß er sich heiligen Spruch einhole, der Sterblichen Labsal,
Fern zu dem kla'rischen Gott hingehn. Zu dem delphischen Tempel
Sperrte den Weg mit dem Phle'gyervolk der verrufene Pho'rbas.
Doch dir gab er zuvor, vieltreue Alcy'one, Kunde
Von dem gefaßten Entschluß. Ihr rieselte, wie sie es hörte,
Frost durch Mark und Gebein; und dem Buchsbaum ähnliche Blässe
Deckt' ihr Gesicht, und ein Strom von Thränen benetzte die Wangen.
Dreimal hebet sie an, dreimal hemmt Weinen die Rede;
[17] Dann, von Schluchzen gestört in den zärtlichen Klagen, beginnt sie:
»O, was hab' ich gethan, daß so dein Sinn mir entfremdet,
Teuerster? Wo ist die Sorg' um mich, die früher du hegtest?
Sorglos kannst du dich so von Alcy'one trennen und fern sein;
Weit weg strebst du zu gehn; ich bin abwesend dir lieber!
Aber zu Land wohl gehet die Fahrt, und ich werde mich härmen,
Nicht auch fürchten, und frei wird sein von Bangen die Sorge?
Nein, mich schrecket das Meer und das Bild unseliger Fluten.
Jüngst noch hab' ich gesehn am Strande zertrümmerte Planken,
Oft auch ohne den Leib auf Gräbern die Namen gelesen.
Möge dir nur das Gemüt kein falsches Vertrauen bethören,
Weil dein Schwäher der Sproß des Hi'ppotes, welcher im Kerker
Strebende Winde verschließt und das Meer nach Gefallen besänftigt.
Wenn sich des Meers einmal die entlassenen Winde bemächtigt,
Bleibt nichts ihnen verwehrt, sind unempfohlen das Erdreich
Und die Gewässer gesamt. Sie jagen am Himmel die Wolken,
Und ihr gewichtiger Prall lockt rot aufzuckendes Feuer.
Die, je mehr ich sie kenn', – und ich kenne sie, denn bei dem Vater
Sah ich sie oft als Kind – so furchtbarer muß ich sie achten.
Doch wenn deinen Entschluß kein Bitten vermag zu erschüttern,
Lieber Gemahl, und wenn du bestehst zu sehr auf der Reise,
Laß auch mich mitgehn! Dann fahren wir doch miteinander,
Und mich erschreckt nur wahre Gefahr, und wir tragen gemeinsam,
Was auch kommt, und treiben zugleich auf der Weite der Meerflut.«
Als so flehentlich bat und weinte des Ä'olus Tochter,
Rührt es den Sohn des Gestirns; denn er hegt nicht mindere Flamme.
Aber er will dem Entschlusse der Meerfahrt weder entsagen,
Noch, daß Müh' und Gefahr Alcyone teile, gestatten.
Vieles erwidert er zwar zum Troste des bangen Gemütes,
Aber er redet es ihr nicht ein. Als mildernden Zuspruch
Fügt er dazu, wodurch er allein die Getreue beschwichtigt:
[18] »Freilich ist jeder Verzug uns lang; doch bei des Erzeugers
Lichtglanz schwör' ich es dir: läßt heim mich kehren das Schicksal,
Komm' ich zurück, noch ehe der Mond zwei Male den Kreis füllt.«
Als er ihr näher gerückt durch solches Versprechen der Rückkehr
Hoffnung, heißt er sogleich in die Meerflut ziehen vom Stapel
Und mit dem nöt'gen Gerät ausrüsten die fichtene Barke.
Wie es Alcyone schaut, da bebt sie, als ob sie die Zukunft
Ahnete, wieder im Schreck und vergießt ausbrechende Zähren,
Hält ihn umfangen und sagt dann endlich mit traurigem Munde:
»Leb' denn wohl!« und sinkt ohnmächtig, die Ärmste, danieder.
Aber die Jünglinge ziehn, da Cëyx sucht zu verweilen,
Schon an die kräftige Brust in zwiefachen Reihen die Ruder,
Teilend die Flut mit gemessenem Schlag. Die befeuchteten Augen
Hebt Alcyone auf und sieht auf gebogenem Spiegel
Stehn den Gemahl, wie zuerst mit schwingend erhobenen Händen
Grüßend er winkt, und erwidert den Wink. Als weiter und weiter
Wich das Gestad' und dem Blick unkenntlich geworden das Antlitz,
Folgt sie, so lange sie kann, mit dem Auge der fliehenden Barke.
Als auch diese getrennt im Raum nicht ferner zu sehn war,
Späht nach dem Segel sie noch, das flatterte oben am Mastbaum.
Wie sie auch das nicht sieht, da sucht sie das einsame Lager
Bangend und sinkt auf den Pfühl, und es zwingt sie wieder zu weinen
Lager und Ehegemach und mahnt an die fehlende Hälfte.
Fern war dem Hafen das Schiff, und Luftzug regte das Tauwerk.
Gegen die Wand nun kehret die hangenden Ruder der Schiffer,
Stellt an dem Baum hoch oben die Rah' und läßt an dem Maste
Völlig das Segel herab und fängt die kommenden Lüfte.
Weniger oder gewiß nicht mehr als die Hälfte des Meeres
War von dem Kiel durchfurcht, fern lagen die beiden Gestade,
Als am Abend die See von dem Schaum hochschwellender Wogen
Weiß zu werden begann und gewaltiger sauste der Ostwind.
»Schleunig herab die erhöhete Rah'«, so heischet des Steu'rers
[19] Dringender Ruf, »und ganz um die Stange gewickelt das Segel!«
Jener gebeut; das Gebot ist gehemmt vom begegnenden Sturmwind,
Und kein einziges Wort läßt hören das Tosen der Meerflut.
Aber sie eilen von selbst, hier Ruder zu bergen, die Seite
Dort zu verschließen der Flut, dort Segel dem Wind zu entziehen.
Der schöpft Wasser hinaus und gießt in die Wogen die Wogen;
Schnell holt jener die Rah'. Wie solches geschiehet gesetzlos,
Wächst der erschreckliche Sturm, und von jeglicher Seite beginnen
Tobende Winde den Streit und rühren die zürnende Flut auf.
Selber der Steuerer bebt und gesteht, daß nimmer er wisse,
Wie mit ihnen es steh' und was er befehle und wolle:
So schwer lastet die Not, so trotzt sie der Kunst und Erfahrung.
Rings tönt lautes Geschrei, von Geknatter ertönen die Taue,
Wie von der Wog' Anprall die Woge, vom Donner der Äther.
Mächtig erhebt sich im Schwall und bis an den Himmel zu reichen
Scheinet das Meer und mit Schaum zu bespritzen die deckenden Wolken;
Bald, wenn gelblichen Sand von dem untersten Grund es heraufwühlt,
Ist es wie jener gefärbt, bald schwärzer als stygische Wogen;
Manchmal wieder gelegt ist weiß es von zischendem Schaume.
Selbst auch wird im Wechsel gejagt die trachi'nische Barke:
Bald, in die Höhe geschnellt, gleich wie vom Gipfel des Berges,
Scheint sie hinab zu Thal und in A'cherons Tiefe zu schauen;
Bald, wenn niedergesenkt sie stehet, umwölbt von der Meerflut,
Scheint sie zum Himmel empor aus dem untersten Strudel zu blicken.
Oftmals krachet sie laut, von den Wogen gepeitscht an der Seite,
Und sie erdröhnt von dem Stoß, gleichwie wenn ein eiserner Sturmbock
[20] Oder ein Schleudergerät die zertrümmerte Feste erschüttert.
Wie der gefürchtete Leu, der Kräfte gewonnen im Anlauf,
Gegen das Bollwerk rennt mit der Brust, die gestemmeten Spieße:
Also rannte die Flut, die sausenden Winden sich hingab,
Gegen des Schiffs Bollwerk und stand viel höher als jenes.
Schon sind die Pflöcke gelöst, und, beraubt des bedeckenden Wachses,
Klaffet der Spalt und vergönnt Eingang todbringenden Wassern.
Sieh', aus offnem Gewölk stürzt Regen in reichlichen Strömen;
Ganz in der Meerflut stieg – so dächte man – nieder der Himmel
Und in den himmlischen Raum hinauf die getürmeten Wogen.
Naß vom Wolkenerguß sind die Segel; mit himmlischen Wellen
Mischen sich Wasser der See. Kein Licht ist sichtlich am Äther;
Starrende Nacht ist gedrängt von des Sturms und vom eigenen Dunkel;
Aber der zuckende Blitz durchspaltet die Nacht und gewähret
Leuchtenden Schein; und das Meer ist in Brand von blitzendem Feuer.
Jetzt auch springet hinein in das hohle Gefüge des Schiffes
Schwellende Flut, und so wie der Krieger von allen der kühnste,
Wenn schon öfter den Wall der verteidigten Stadt er hinanstieg,
Endlich gelangt zum Ziel und, brennend von Ruhmesbegierde,
Glücklich die Mauer gewinnt, er einzig von tausend Gefährten:
So, als Flut neunmal an die stehenden Wände geschlagen,
Wälzt sich heran, wuchtvoller gedrängt, von den Wogen die zehnte,
Und nicht stehet sie ab den ermatteten Kiel zu bekämpfen,
Bis sie den Wall gleichsam des eroberten Schiffes erstiegen.
Teils nun mühte sich noch in die fichtene Barke zu dringen,
Teils war drinnen das Meer. Nicht anders erzitterten alle,
Als dann zittert die Stadt, wenn Feinde die Mauer berennen,
[21] Während im Innern auch schon Feinde die Mauern behaupten.
Schwach ist die Kunst, und es sinket der Mut: wie viele der Wellen
Nahn, soviel auch scheinen zu nahn einbrechende Tode.
Der läßt Thränen den Lauf; der starrt; der nennt zu beneiden,
Deren ein Grabmal harrt; der ruft mit Gelübden die Götter,
Und zu dem Himmel gestreckt, den nicht er gewahret, die Arme,
Fleht er vergeblich um Schutz; der denkt an Geschwister und Vater,
Jener an Kinder und Haus und was jedweder daheim ließ.
Cëyx sorgt im Gemüt um Alcyone; immer im Munde
Führt er Alcyone nur, und wiewohl er sich sehnt nach der einen,
Freut er sich, daß sie entfernt. Nach der heimischen Küste zurückschau'n
Möcht' er so gern und zum Haus hinwenden das scheidende Antlitz,
Aber er weiß nicht, wo sein Haus: so wild durch einander
Strudelt die See, und schwarz mit schattenden Wolken bezogen
Birgt sich das Himmelsgewölb', und die Nacht ist doppelt verfinstert.
Krachend zerbricht vom Stoß wildstürmenden Wirbels der Mastbaum,
Krachend das Steuer sodann. Hoch steigend im Stolz auf die Beute
Ähnlich der Siegerin schaut auf die Wogen die bauchige Woge,
Und mit der nämlichen Wucht, wie wenn du den A'thos enthöbest
Oder den Pi'ndus dem Sitz und würfest in offene Meerflut,
Stürzt sie von oben herab, und zugleich mit der Last und dem Anprall
Senkt sie das Schiff in den Grund. Mit jenem erliegen der Männer
Viele, vom Strudel gezwängt und der Luft nicht wieder gegeben,
Ihrem Geschick. An des Kiels zertrümmerten Stücken und Gliedern
Hält sich ein Teil. Selbst hält mit der Hand, die des Zepters gewohnt war,
Cëyx Reste des Schiffs, und den Schwäher zugleich und den Vater
Rufet er, ach, umsonst; Alcy'one aber, die Gattin,
Ist in des Schwimmenden Munde zumeist. Sie denket und nennt er;
Daß ihr werde sein Leib vor Augen gespült von den Fluten,
Wünscht er, und daß im Tod ihn befreundete Hände bestatten.
Schwimmend ruft er, so oft ihn die Flut läßt atmen, die ferne
Gattin und murmelt sogar »Alcyone« unter den Wellen.
[22] Sieh', ein finsterer Schwall, der mitten sich über den Fluten
Wölbete, platzt und verschüttet sein Haupt mit geborstenen Wassern.
Lu'cifer war ganz trüb und nicht zu erkennen dem Auge
Dazumal in der Nacht, und dieweil er nicht von dem Himmel
Weggehn durfte, verbarg er mit dunkelen Wolken das Antlitz.
Äolus' Tochter indes, unkundig des schrecklichen Jammers,
Zählet die Nächte daheim und fertigt bereits für den Gatten
Emsig ein Kleid und eins, das selbst sie gedachte zu tragen,
Wenn er gekommen, und freut sich in eitelem Wahn auf die Rückkehr.
Allen den Himmlischen zwar darbrachte sie heiligen Weihrauch,
Doch vor allen betrat sie der Ju'no Tempel in Andacht
Und kam für den Gemahl, der nicht mehr war, zum Altare.
Daß ihr Gatte gesund und wohl heimkehre und höher
Halte wie sie kein Weib, erflehte sie; aber Gewährung
Konnte der letztere nur von allen den Wünschen erlangen.
Nicht mag fürder jedoch das Gebet für den Toten die Göttin
Hören, und fern dem Altar die befleckenden Hände zu halten
Sagte sie: »Meines Befehls vieltreue Verkünderin, I'ris,
Zum schlafbringenden Hofe des Schlummers begib dich in Eile;
Heiß' ihn unter Gestalt des erblichenen Cëyx ein Traumbild,
Das ihr das wahre Geschick kund thut, zur Alcyone senden.«
Juno sprach's. Anthut das Gewand mit den schillernden Farben
Iris und geht, weithin mit gewölbetem Bogen den Himmel
Zeichnend, getreu dem Geheiß, zu des Königs umnebelter Wohnung.
Nah' dem Kimme'riervolk in tief eingehender Höhle
Mitten im Berg hat Sitz und Gemach der feiernde Schlafgott.
Nie am Morgen gelangt, am Mittag oder am Abend.
[23] Phö'bus mit Strahlen dahin. Mit Dunkel verwobener Nebel
Wird von dem Boden gehaucht und Dämmerung zweif'ligen Lichtes.
Kein wachhaltender Hahn ruft dort mit des kammigen Hauptes
Schrei Auro'ra herauf; nie stören mit Lauten die Stille
Wohl aufmerkende Hund' und leiser noch hörende Gänse.
Weder Gewild, noch Vieh, noch Zweige, geschüttelt vom Luftzug,
Geben Geräusch, noch auch Zwiesprach von menschlichen Zungen.
Schweigende Ruh' weilt stets. Doch rinnt mit lethä'ischem Wasser
Unten am Felsen ein Bach, darin mit Gemurmel die Welle
Gleitet und wiegt in Schlaf mit dem Hall eintöniger Steinchen.
Üppig sich mehrender Mohn blüht außen am Thore der Höhle
Samt unzähligem Kraut, woraus einschläfernden Milchsaft
Sammelt die Nacht und tauig verstreut auf die finsteren Lande.
Keine bewegliche Thür, die mit der gedreheten Angel
Knarrete, ist in dem Haus; kein Hüter ist neben der Schwelle.
Hoch steht mitten ein Pfühl auf schwarzem Gestelle von Eben,
Der, einfarbig von Flaum, mit dunkeler Decke verhüllt ist.
Da ruht selber der Gott, die Glieder gelöst von Erschlaffung.
Um ihn liegen im Kreis, nachahmend verschied'ne Gestalten,
Nichtige Träume zerstreut so viele, wie Ähren die Herbstzeit,
Blätter das Dickicht trägt und gespületen Sand das Gestade.
Als nun dort eintrat und die sperrenden Träume die Jungfrau
Drängte hinweg mit der Hand, da ward von dem Glanz des Gewandes
Hell das geweihete Haus, und der Gott, der die sinkenden Augen
Kaum schwerfällig erhob und aber und aber zurücksank
Und mit dem nickenden Kinn sich zum öfteren oben die Brust schlug,
Raffte sich endlich empor aus sich, und gestützt mit dem Arme,
Fragt' er, warum sie genaht; denn er kannte sie. Jene versetzte:
»Schlaf, du sanftester Gott, du Ruhe der Wesen, der Seele
Frieden, o Schlaf, der Sorge du bannst und ermüdete Glieder
Nach dem beschwerlichen Dienst neu labst und stärkest zur Arbeit,
Heiße der wahren Gestalt Nachahmer, die gaukelnden Träume,
Unter des Königes Bild hingehn zur herkulischen Tra'chin
[24] Und der Alcyone nah'n und den Schiffbruch zeigen im Abbild!
So ist Juno's Gebot.« Als Iris vollendet den Auftrag,
Eilt sie davon; denn sie kann nicht länger ertragen des Dunstes
Wirkende Kraft, und wie sie den Schlaf sich fühlt in die Glieder
Schleichen, entflieht sie und kehrt auf dem Bogen, worauf sie gekommen.
Unter dem Schwarm nunmehr von Tausenden, die er gezeuget,
Rüttelt der Schlafgott auf den Gestalt nachbildenden Künstler
Mo'rpheus. Schlauer als der weiß keiner, sobald es befohlen,
Darzustellen den Gang, die Gebärde, die Weise des Redens;
Kleidung fügt er dazu und von jedem die üblichsten Worte.
Doch nur Menschen allein pflegt dieser zu gleichen: ein and'rer
Zeigt sich als Wild, als Vogel, als lang sich dehnende Schlange.
I'kelos nennen den Traum die Himmlischen, aber Phobe'tor
Sterbliche. Noch ist auch mit verschiedener Gabe ein dritter,
Pha'ntasos, der in Gestein, in Erdreich, Wasser und Bäume
Und was alles der Seel' entbehrt, sich trügerisch wandelt.
Königen pflegt sein Gesicht und Feldherrn einer zu zeigen
Während der Nacht; zu der Masse des Volks gehn schweifend die andern.
Die ruhn lassend, erwählt der greisende Schlaf von den Brüdern
Allen den Morpheus nur, zu thun, wie die Tochter des Thau'mas
Hatte bestellt, und gelöst gleich wieder von schlaffer Ermattung,
Legt er sich nieder und birgt sein Haupt im erhöheten Lager.
Morpheus schwebt alsbald mit geräuschlos gleitenden Flügeln
Hin durch die Nacht und gelangt nach kurz nur dauernder Weile
In die hämo'nische Stadt, und vom Leib ablegend die Schwingen,
Nimmt er Cëyx' Gestalt und steht in der trügenden Bildung,
Ganz wie ein Toter zu sehn, vor der armen Alcyone Lager,
Leichenblaß, ohn' alles Gewand. Feucht scheinet des Mannes
[25] Bart und reichliche Flut zu entströmen dem triefenden Haupthaar.
Über das Lager gebeugt, mit Thränen begossen das Antlitz,
Redet er: »Kennest du noch, unglückliche Gattin, den Cëyx?
Oder entstellte der Tod mein Gesicht? Schau' her, du erkennst mich;
Aber du findest anstatt des Mannes den Schatten des Mannes.
Nichts, ach, frommeten mir, Alcyone, deine Gelübde.
Tot bin ich längst: mein harre du nicht in betrüglicher Hoffnung!
Wolkiger Süd erfaßte das Schiff im Ägä'ischen Meere,
Warf im gewaltigen Weh'n es umher und brach es in Stücke.
Unseren Mund, der dich umsonst, Alcyone, nannte,
Füllte die Meerflut an. Kein unglaubwürdiger Zeuge
Kündet dir dies, du hörest es nicht durch schweifende Sage:
Ich, der Ertrunkene, selbst erzähle dir hier mein Verhängnis.
Auf, nimm Trauergewand und weihe mir Thränen und nimmer
Laß mich unbeklagt in den nichtigen Ta'rtarus steigen.«
Morpheus fügt zu den Worten den Laut, den für des Gemahles
Stimme die Königin hielt; auch wirkliche Zähren zu weinen
Schien er und glich durchaus in der Hände Gebaren dem Cëyx.
Aber Alcyone schluchzt und erhebt mit Thränen die Arme
Mitten im Schlaf, und, suchend den Mann, umfängt sie die Lüfte.
»Bleib', wo eilest du hin?« so ruft sie. »Wir gehen zusammen!«
Durch ihr eigenes Wort und des Gatten Erscheinen gestöret,
Fährt vom Schlummer sie auf und späht, ob wirklich er da sei,
Den sie soeben gesehn. Denn Diener, geweckt von der Stimme,
Waren genaht mit Licht. Doch als sie ihn nirgends gefunden,
Schlägt sie sich wild das Gesicht und zerreißt das Gewand vor dem Busen,
Geißelt die Brust und löst nicht erst, rauft jammernd das Haupthaar;
Zu der Ernährerin dann, die fragt nach dem Grunde des Leides,
Spricht sie: »Verloren, dahin ist Alcyone! Unter mit ihrem
Cëyx ging auch sie. Laßt alle die tröstenden Worte!
Schiffbruch bracht' ihm den Tod. Ich sah und erkannt' ihn und streckte
Nach dem Entweichenden aus, ihn zu halten begehrend, die Hände.
[26] Schatten nur war's; doch deutlich erschien und wirklich der Schatten
Meines Gemahls. Zwar trug er, wofern du fragst, in dem Antlitz
Nicht die gewöhnlichen Züg' und die frühere leuchtende Schönheit.
Blaß und nackt und noch an dem Haupthaar triefend erblickt' ich
Unglückselige ihn. Hier stand er, an eben der Stelle,
Kläglich zu sehn – und sie forscht, ob nicht noch Spuren geblieben –
Ja, das war's, das war's, was ahnend im Geist ich gefürchtet;
Darum bat ich ihn, nicht, mich fliehend, den Winden zu folgen.
Hättest du nur, weil doch zu sterben bestimmt du hinweggingst,
Mich zur Gefährtin gehabt! Gut wär's, gut wär' es gewesen,
Nahmst du mich mit: dann hätt' ich keinen der Tage in Trennung
Traurig verlebt: nicht wär' uns geschiedenes Ende geworden.
Fern nun fand ich den Tod, fern treib' ich umher in den Fluten;
Ohne mich selbst umfängt mich die See. Fühlloser im Herzen
Wär' ich, als selber das Meer, wenn länger ich strebte zu leben,
Wenn ich nach soviel Schmerz noch übrig zu bleiben begehrte.
Fern sei solches Begehr! Nicht will ich dich Armen verlassen.
Wenigstens folg' ich dir jetzt als Begleiterin, und in dem Grabmal
Soll uns zwei, wenn nicht die Urne, vereinen die Aufschrift;
Wenn nicht Leib zum Leib, soll Name sich fügen zum Namen.«
Weiteres hindert der Schmerz, und zu jedem Worte gesellt sich
Störend ein Schlag, und Gestöhn entringt sich dem starrenden Herzen.
Frühzeit war's: sie geht aus dem Haus an den Strand und besuchet
Harmvoll wieder den Ort, von wo sie dem Fahrenden nachsah.
Während alldort sie verweilt und sagt: »Hier löst' er die Taue,
Hier an diesem Gestad' empfing ich des Scheidenden Küsse!«
Und sich erinnert genau, was alles geschehn, und hinausschaut
Über das Meer, da wird sie von weitem gewahr in den Wellen
Etwas, das wie ein Leib aussah, und zweif'lig im Anfang
[27] War's, was das wohl sei. Wie näher die Flut es herantrieb
Und es, obschon noch fern, doch sichtlich geworden als Leichnam,
Schaute sie bang und geschreckt den Ertrunkenen, ohn' ihn zu kennen.
Gleich als weinte sie nur um den Fremdling, sprach sie: »Du Ärmster,
Wer du auch seist und wofern du ein Weib hast!« Schwimmend im Wasser
Kommt stets näher der Leib. Je mehr ihn jene betrachtet,
Desto minder verbleibt ihr Besinnung. Dicht an das Ufer
Sieht sie ihn jetzo geschwemmt; schon kann sie ihn deutlich erkennen:
Cëyx war's. »Er ist's!« ruft jammernd sie aus und zerreißt sich
Antlitz, Haare zugleich und Gewand, und die zitternden Hände
Streckt sie nach Cëyx aus und spricht: »So, teuerster Gatte,
So, Unglücklicher, kehrst du zu mir!« Von Händen gebildet
Liegt an den Wogen ein Damm, der dem Zorn ankommender Meerflut
Einhalt thut und den Druck der Gewässer ermüdet im voraus.
Dort springt jene hinauf, und – seltsam, daß sie es konnte –
Fliegend zerteilt sie die Luft, und mit eben erwachsenen Schwingen
Streicht an den Wellen sie hin als mitleidswürdiger Vogel.
Während im Fluge sie schwebt, läßt klagende Töne dem Schmerzlaut
Ähnlich vernehmen ihr Mund, der klappert mit spitzigem Schnabel.
Wie sie berührte darauf den stummen und blutlosen Leichnam
Und an den teueren Leib anschmiegte das neue Gefieder,
Küßte sie ihn umsonst mit dem kalten gehärteten Schnabel.
Ob das jener gefühlt, ob sich von der Welle Bewegung
Scheinbar hob sein Gesicht, war zweif'lig der Menge; doch Cëyx
Hatt' es gefühlt. Mitleid rührt endlich die Götter, und beide
Wandeln in Vögel sich um. Die gleiches erleidende Liebe
Blieb auch da, wie zuvor, und gelöst ward auch bei den Vögeln
Nimmer der eh'liche Bund. Sie paaren sich, werden zu Eltern,
Und in der frostigen Zeit sitzt sieben beruhigte Tage
Brütend Alcyone da in dem Nest, das schwimmt auf den Wogen.
Dann ist sicher die Fahrt; dann läßt die gehüteten Winde
[28] Ä'olus nicht aus der Haft und gewährt Meerstille den Enkeln.
Die sah irgend ein Greis umher auf der Weite des Meeres
Fliegen und pries die getreu bis zum Ende bewahrete Liebe.
Einer, der nahstand, sprach, vielleicht auch sprach es derselbe:
»Der auch, welchen du siehst hinfliegen mit schmächtigen Beinen
Über die See«, – und er wies auf den langgehalseten Taucher –
»Stammt aus Königesblut, und wenn du in laufender Reihe
Willst herleiten auf ihn das Geschlecht; er nennet als Ahnen
I'lus, Assa'rakus auch samt Ju'piters Raub Ganyme'des,
König Lao'medon dann und Pri'amus, welchem das Ende
Tro'ja's wurde zum Los. Von He'ktor war er ein Bruder,
Und wer weiß, wenn nicht so früh er Verwandlung erfahren,
Ob er geringeren Ruhm und Namen besäße wie Hektor,
Wenn gleich dieser ein Sproß von der edelen Dymanti'de,
Doch Alexi'rhoe ihn, die der doppelt gehörnte Grani'kus
[29] Zeugete, heimlich gebar, wie man sagt, an der schattigen I'da.«
Städten war Ä'sakus feind, und fern von dem glänzenden Hofe
Liebt' er entleg'ne Gebirg' und Ehrgeiz missende Fluren;
Selten begab er sich nur zum Rate der i'lischen Männer.
Doch im Gemüt nicht roh und unzugänglich der Liebe
Sieht er Hespe'rie einst, die verlockende Tochter des Ke'bren,
Öfter von ihm durch die Wälder verfolgt, an dem Ufer des Vaters,
Während ihr wallendes Haar an den Strahlen der Sonne sie trocknet.
Rasch ist die Nymphe gewandt zur Flucht, wie bang vor dem falben
Wolfe die Hindin flieht und die wasserbedürftige Ente,
Fern vom Weiher ertappt, vor dem Habicht. Aber der Tro'er
Folgt und bedrängt; sie eilet in Angst, er eilet in Sehnsucht.
Siehe, mit hakigem Zahn ritzt eine vom Grase verdeckte
Viper der Fliehenden Fuß und läßt ihr Gift in dem Körper.
Still gleich steht mit dem Leben die Flucht. Er umfaßt die Entseelte
Ganz von Sinnen und ruft: »Mich reut, mich reut die Verfolgung;
Doch das fürchtet' ich nicht: so teuer verlangt' ich den Sieg nicht.
Zweien verdankst du Arme den Tod. Biß kam von der Schlange,
Anlaß kam durch mich. Ich bin ruchloser als jene;
Drum soll Trost mein Tod dir wegen des Todes gewähren.«
Sprach's und sprang von dem Fels, den unten die heisere Woge
Hatte zernagt, in die See. Weich fing, von Erbarmen bewogen,
Te'thys den Fallenden auf und verlieh, wie er schwamm auf der Fläche,
Federn dem Leib, und erfüllt war nicht das Begehren des Todes.
Aber der Lebende zürnt, mit Gewalt zum Leben gezwungen,
Daß ihm gehalten der Geist, der den leidigen Sitz zu verlassen
Trachtet, und als ihm gesproßt an den Schultern das neue Gefieder,
Fliegt er empor und senkt auf's neue den Leib auf die Wasser:
Federn erleichtern den Sturz. Da wütet und schießt in die Tiefe
[30] Äsakus jach und sucht ohn' Ende den Weg der Vernichtung.
Mager von Lieb' ist der Leib; lang bleiben der Beine Gelenke,
Lang auch bleibt ihn der Hals; weit stehet der Kopf von dem Rumpfe.
Meerflut liebt er und hat von dem Tauchen in ihr die Benennung.

Zwölftes Buch

[31] Zwölftes Buch.

Inhalt: Die Schlange in Au'lis. Iphigeni'a. Fa'ma. Cy'gnus. Kä'neus. (Kampf der Lapi'then und Centau'ren). Perikly'menus. Tod des Achilles.


Pri'amus, unkund noch, daß Fittiche tragend er lebte,

Trug um Äsakus Leid; auch brachte zugleich mit den Brüdern
Opfer am ledigen Grab, das der Name bezeichnete, Hektor.
Pa'ris jedoch war nicht bei der traurigen Ehre zugegen,
Er, der brachte nachher langwierigen Krieg in die Heimat
Mit dem entführeten Weib. Ihm folgen verschworene Schiffe,
Tausend an Zahl, und der ganze Verein des pela'sgischen Stammes;
Nicht auch hätte gesäumt der Vergelt, wenn tobende Winde
Unwegsam nicht machten das Meer und die harrenden Kiele
Nicht Böo'tien hielt bei der fischergiebigen Aulis.
[32] Als sie nach Vätergebrauch dort wollten dem Ju'piter opfern
Und der geheiligte Herd heiß war von gezündetem Feuer,
Nahmen die Da'naer wahr, wie eben ein bläulicher Drache
Auf die Platane zunächst dem begonnenen Opfer hinankroch.
Mit acht Vögeln befand sich ein Nest in der Höhe des Baumes:
Sie und die Mutter zugleich, die um die verlorenen Jungen
Flatterte, packte die Schlang' und barg sie im gierigen Bauche.
Alle erschraken darob. Doch der Wahrheit wissende Seher
Kündete, The'stors Sohn: »Freut euch! Wir siegen, Pela'sger;
Tro'ja erliegt; doch lang harrt unser beschwerliche Mühsal.«
Und er verheißt neun Jahre des Kriegs, soviele wie Vögel.
Jene, gewunden am Baum, wie sie war, um die grünenden Äste,
Wird zu Gestein und beharrt als Stein im Bilde der Schlange.
In dem ao'nischen Sund bleibt Ne'reus ständig in Aufruhr,
Nicht hinlassend den Krieg, und manche vermeinen, Neptu'nus
Schone die tro'ische Stadt, weil selbst er die Mauern gegründet.
Doch nicht Thestors Sohn: der weiß und verkündet es offen,
Daß jungfräuliches Blut zur Sühne der göttlichen Jungfrau
[33] Zorn heischt. Als dem Gefühl Obsieger geworden das Volkswohl
Und dem Erzeuger der Fürst und, ihr züchtiges Blut zu vergießen
Vor dem Altar, von den Dienern beweint, stand Iphigeni'a,
Rückte die Göttin gerührt ein Gewölk vor die Augen und tauschte
Unter dem Opfergeschäft, dem Gedräng und den betenden Stimmen
Mit der Myke'nerin rasch, wie es heißt, ein ersetzendes Hirschkalb.
Als nun, wie sich geziemt, durch Blut Diana versöhnt war
Und mit der Phö'be Zorn sich der Zorn der Gewässer besänftigt,
Segelt, im Rücken gefaßt von den Winden, das Tausend von Schiffen,
Und nach vieler Beschwer wird Phrygiens Küste gewonnen.
Zwischen der Erd' und dem Meer und den himmlischen Höhen gelegen
Mitten im Raum ist ein Ort, des dreifachen Reiches Verbindung,
Wo, was irgend sich zeigt, sei noch so groß die Entfernung,
Ist zu erspäh'n und jeglicher Laut zum gehöhleten Ohr dringt.
Fa'ma erkor sich die Statt und wohnt in der obersten Feste.
Zahllos brachte sie an Eingänge am Hause und tausend
Öffnungen, und es verschließt nicht Thor noch Thüre die Schwellen.
Tag und Nacht ist es offen, und ganz aus tönendem Erze
Hallet es ganz und erwidert den Laut, das Gehörte verdoppelnd.
Ruh' ist keine darin und nirgends schweigende Stille,
Aber Getös' auch nicht, nur raunender Stimmen Gemurmel:
Wie von den Wogen der See, wenn einer sie hört in der Ferne,
Schall herkommt, wie dumpf, wenn Jupiter krachende Schläge
Sendet aus schwarzem Gewölk, wegziehende Donner verhallen.
Lebhaft wogt es im Saal; stets drängt sich kommend und gehend
Gaukelndes Volk, und umher gehn tausend Gerüchte, mit wahren
Falsche gemengt, unstät und wirren verschwommene Worte.
Einige füllen davon mit Gerede die müßigen Ohren;
Andere tragen umher das Erzählete, und die Erdichtung
Wächst, und Eigenes thut zum Gehörten der neue Berichter.
[34] Gläubiger Wahn ist dort, dort auch zutappender Irrtum,
Eitles Ergötzen dazu und bestürzt auffahrender Schrecken,
Aufruhr neu im Entstehn und Gezischel von zweif'liger Herkunft.
Fa'ma selber erblickt, was irgend im Himmel, im Meere
Oder auf Erden geschieht, und forscht ringsum in dem Weltkreis.
Durch die war es bekannt, daß gra'jische Schiffe mit Kriegsvolk
Zögen heran, und nicht naht wider Erwarten in Waffen
Feindliche Macht. Am Strand stehn trotzige Tro'er, den Zugang
Sperrend, zur Wehr. Du fällst durch He'ktors Speer nach Bestimmung,
Protesila'us, zuerst, und den Da'naern teuer zu stehen
Kommt das Gefecht, und erkannt in des Helden Erlegung ist Hektor.
Aber den Phry'gern bewies, wie stark die achä'ische Rechte,
Auch nicht kärgliches Blut. Schon war die sige'ische Küste
Weithin rot; in den Tod schon hatte der Sohn des Neptu'nus,
Cy'gnus, tausend geschickt; schon stand auf dem Wagen Achi'lles
Und warf Scharen dahin mit dem Stoße der pe'lischen Lanze.
Während den Cygnus er sucht in den Schlachtreih'n oder den Hektor,
Trifft auf Cygnus der Held. Für das zehnte der Jahre verblieb noch
Hektor verspart. Das Gespann, das unter dem Joche den weißen
Hals bog, muntert er auf und lenkt nach dem Feinde den Wagen,
Und den geschwungenen Speer aufhebend mit kräftigem Arme,
Spricht er: »Wer du auch seist, nimm das zum Troste des Todes,
Jüngling, daß du erlagst dem hämo'nischen Fürsten Achi'lles!«
Also des Ä'akus Sproß. Schwer folgt das Geschoß auf die Worte.
[35] Aber wiewohl nicht ging in die Irre die sichere Lanze,
Richtet sie doch nichts aus mit der Spitze des fliegenden Eisens;
Denn sie erschütterte nur stumpf prallend die Brust, und der Troer
Sprach: »O Göttinsohn, – wir kennen dich längst vom Gerede –
Was verwunderst du dich, daß fern uns bleibt die Verletzung?« –
Denn er verwunderte sich. – »So wenig der Helm mit dem blonden
Roßhaar, den du erblickst, wie die Bürde der Linken, der hohle
Schild hier, dienen zum Schutz: nur Zierat sollen sie geben.
Darum nimmt auch Mars sein Rüstzeug. Aller Bedeckung
Schutzwehr geb' dich dahin: doch soll kein Eisen mich schrammen.
Etwas heißt es, der Sohn nicht sein von der Tochter des Ne'reus,
Sondern vom Herrscher des Meers und des Nereus selbst und der Töchter.«
Sprach's und schnellte den Speer, der Halt fand in dem gewölbten
Schilde, nach Äakus' Sproß; durch das Erz hin fuhr und die nächsten
Neun Stierhäute der Speer und stak in der zehnten der Schichten.
Ihn reißt jener heraus, und wieder mit kräftiger Rechten
Warf er das schwanke Geschoß, und wieder bestand es der Körper
Ohne Verletzung und heil. Nicht minder erwies sich ein dritter
Wurf unmächtig, den bloß sich gebenden Cygnus zu ritzen.
Da ist der He'ros ergrimmt, wie der Stier in der offenen Rennbahn,
Wenn er mit schrecklichem Horn losstürzt auf die punischen Tücher,
Die ihm reizten die Wut, und den Stoß sieht listig vereitelt.
Ob sich das Eisen jedoch mit dem Speer ablösete, forscht er:
Fest noch hing es am Schaft. »So ist unkräftig mein Arm denn«,
Sprach er, »und hat an dem einen erschöpft vormalige Stärke.
Stark doch war er zuvor, als ich die lyrne'sischen Mauern
Nieder geworfen zuerst und Te'nedos und mit dem Blute
[36] Ihrer Bewohner gefüllt die eëtio'nische The'bä,
Auch als rot von dem Mord einheimischen Volkes Kaï'kus
Floß und Wirkung bewies mein Speer an Te'lephus zweimal.
Hier auch zeigte sich stark mein Arm, der Erschlagenen Menge
Kündet es, die ich gehäuft und gewahr' am Strand, und er ist's noch.«
Sprach's und warf, als traut' er zu wenig den früheren Thaten,
Nach dem begegnenden Manne vom lykischen Volke, Menö'tes,
Und das Geschoß drang ein in die Brust durch den deckenden Panzer.
Während mit sterbender Brust der schlug die belastete Erde,
Zog er dasselbe Geschoß aus der blutenden Wunde und sagte:
»Das ist die Hand und der Speer, die Sieg uns eben erstritten!
Er sei nun ihr Ziel: gebt, Götter, denselbigen Ausgang!«
Also sprach er und warf, und die fehl nicht gehende Esche
Tönete links an der Schulter des nicht ausweichenden Cygnus:
Wie von Gemäuer zurück dort prallte sie oder von Felsen.
Doch wo traf das Geschoß, da hatte mit blutigen Flecken
Jenen gezeichnet gesehn und umsonst frohlocket Achi'lles.
Keine Verletzung war's; das Blut nur war's von Menötes.
Da nun, tobend vor Wut, springt eilig vom Wagen der Heros,
Und mit dem blinkenden Schwert nah' gehend dem sicheren Feinde,
Sieht er den Schild und den Helm von den Streichen der Klinge sich spalten,
Doch am gehärteten Leib selbst auch stumpf werden das Eisen.
[37] Länger erträgt er es nicht, und den Schild wegreißend berennt er
Drei-, viermal mit dem Heft das Gesicht und die Schläfe des Mannes.
So stets folgend bedrängt er den weichenden, plagend und stoßend,
Daß nicht Ruhe vergönnt dem betäubeten. Angst und Entsetzen
Faßt den, vor dem Gesicht schwimmt Nacht, und während er rückwärts
Wendet den Schritt, hemmt plötzlich ein Stein in der Mitte des Feldes.
Als mit dem Leibe darob nun rücklings strauchelte Cygnus,
Riß ihn mit aller Gewalt und warf ihn zu Boden Achilles.
Hart dann drückend die Brust mit dem Schild und gestemmeten Knieen,
Zieht er den Riemen am Helm: der schnürete, unter dem Kinne
Zwängend gehalten, den Hals und sperrte die Luft und des Atems
Lebenerhaltenden Weg. Den Besiegten gedacht' er zu plündern:
Waffen gewahret er nur. Von dem Meergott war in den weißen
Vogel gewandelt der Leib, des Namen er eben geführet.
Solch anstrengender Kampf gab Ruh' jedwedem der Teile
Längere Zeit und gebot Stillstand den verziehenden Waffen.
Da nun sorgliche Hut die phrygischen Mauern bewachte,
Da gleich sorgliche Hut die argo'lischen Gräben bewachte,
Nahte der festliche Tag, wo Cygnus' Bezwinger Achilles
Blut der geschlachteten Kuh darbrachte zur Sühne der Pa'llas.
Als auf den glühenden Herd er gelegt die geheiligten Stücke,
Und zu dem Äther der Duft aufwallete, lieblich den Göttern,
Wurde dem Opfer das Teil; zum Festmahl diente das and're.
Lässig auf Polster gestreckt nun schmausen die Fürsten gebrat'nes
Fleisch und stillen den Durst mit Wein und die lästigen Sorgen.
Saitengetön labt nicht ihr Gemüt, nicht singende Stimmen,
[38] Noch langgehendes Rohr viellöchriger Flöten von Buchsbaum,
Sondern die Nacht geht hin mit Gespräch, und männliche Thatkraft
Bietet den Stoff. Man erzählt vom Kampfe des Feindes und eig'nem,
Und es behagt, oftmals zu erwähnen im Wechsel gesuchte
Oder bestand'ne Gefahr. Wovon sonst spräche Achilles?
Wovon spräche man sonst auch wohl beim großen Achilles?
Aber der neueste Sieg, erstritten mit Cygnus' Erlegung,
War im Gespräche zumeist. Gar seltsam fanden es alle,
Daß durchdringlich der Leib des Jünglings keinem Geschosse,
Daß er, besiegbar nie durch Verletzungen, stumpfte das Eisen.
Selbst drob staunte der Sproß von Ä'akus, drob die Achi'ver,
Als so Ne'stor begann: »Nur Cygnus in eueren Tagen
War ein Verächter des Stahls und undurchbohrlich den Stößen;
Doch selbst hab' ich gesehn, wie Streiche zu tausenden vormals
Mit heilbleibendem Leib aushielt der perrhä'bische Kä'neus,
Käneus, Perrhä'biens Held, der thatenberühmt an dem O'thrys
Wohnete. Was an dem Mann noch staunlicher machte die Gabe:
Anfangs war er ein Weib.« Von dem seltenen Wunder betroffen,
Bitten sie alle den Greis zu erzählen. Darunter Achilles:
»Thu' uns kund, – denn gleich sind alle zu hören begierig –
O wohlredender Greis, du Einsicht unseres Alters,
Wer denn Käneus war; weshalb er erfahren die Wandlung;
Welches gewesen der Zug und die Schlacht, darin du ihn kennen
Lernetest; wer ihn besiegt, wenn anders ihn einer besiegt hat.«
Nestor erzählt: »Obwohl ich, vom stumpfenden Alter behindert,
Schon gar manches vergaß, was während der Tugend ich schaute,
Mehr doch bleibt mir getreu im Gedächtnis. Aber von allem,
Was ich erlebte daheim und im Feld, steht fester als jenes
Nichts vor unserem Geist. Wenn je weitreichendes Leben
Einen zum Zeugen gemacht vielfältiger Thaten: verlebt sind
Zwei Jahrhunderte mir; nun leb' ich das dritte der Alter.
Lieblich und anmutreich war Kä'nis, des E'latus Tochter,
Schön wie keine der Frau'n in Thessalien, und in den nahen
[39] Städten, den Deinigen auch, – du warst, Achi'lles, ihr Landsmann –
Eitel ersehnt und begehrt vom Wunsch gar vieler Bewerber.«
Pe'leus auch wohl hätte gestrebt nach dem bräutlichen Lager,
Doch schon war er vermählt mit deiner unsterblichen Mutter,
Oder sie war ihm verheißen zum Weib. Zu keiner Verbindung
Mochte sich Känis verstehn, und wandelnd am einsamen Strande
Litt sie Gewalt von dem Gotte der Flut: so ging das Gerede.
Wie als erster die Lust des Umfah'ns Neptu'nus genossen,
Sprach er: »Es sei dein Wunsch vor jeglicher Weigerung sicher:
Wähle denn, was du begehrst!« So wußte dasselbe Gerede.
Känis versetzt: »Mich läßt das Erlittene Großes begehren,
Daß ich für immer bewahrt davor. Gib, daß ich kein Weib sei:
Alles gewährst du mir dann.« Und siehe, mit tieferem Tone
Sprach sie den Schluß, und es konnt' als männliche gelten die Stimme,
So wie sie war; denn gewährt schon hatte der Herrscher des tiefen
Meeres den Wunsch und verliehen dazu, daß nimmer ein Angriff
Konnte verwunden den Mann, noch je ihn fällen ein Eisen.
Froh des Geschenks geht weg der atra'kische Kämpfer und widmet
Männlichen Werken die Zeit und durchirrt die pene'ischen Fluren.
Mit Hippo'dame hielt Hochzeit des verwegnen Ixi'on
Sprößling und hieß zum Schmaus an gereiht dastehenden Tischen
Lagern das Wolkengeschlecht in baumumschatteter Grotte.
Edle Hämo'nier lud er zu Gast; Gast waren wir selber,
Und von Gewirr und Gewühl war laut die festliche Hofburg.
Horch, man singt Hymenä'en; es rauchen von Feuer die Hallen;
Jetzt auch naht, umringt von der Menge der Mütter und Schnuren,
Herrlich in Schöne, die Braut. Wir priesen Piri'thous glücklich,
Daß sein solch ein Weib; doch fast ward eitel der Glückwunsch.
Denn dir, Eu'rytus, glüht, dem grausesten von der Kentau'ren
[40] Grausem Gezüchte, die Brust, wie von Wein so auch von der Jungfrau
Anblick, und es beherrscht dich der Rausch, von Begierde verdoppelt,
Lärmend auf einmal stören das Mahl umstürzende Tische,
Und an den Haaren gefaßt und geraubt wird frech die Vermählte.
Eurytus raubt für sich Hippo'dame, and're nach Auswahl
Oder wie jeder gekonnt, und ein Bild von eroberter Stadt war's.
Laut schallt Weibergeschrei durchs Haus. Auf springen wir alle
Schleunig vom Sitz, und zuerst ruft The'seus: »Was für ein Wahnsinn
Treibt dich, Eurytus, an, den Piri'thous also zu reizen,
Da ich leb', und zwei nicht wissend in einem zu kränken?«
(Daß auch nicht umsonst so spräche der streitbare Heros,
Stößt er die Drängenden weg und entreißt die Geraubte den Tollen.)
Jener versetzt kein Wort – rechtfertigen können ja Worte
Nimmer das frevlige Thun –, doch frech zum Gesichte des Schützers
Hebt er die Faust und trifft ihm die edele Brust mit dem Schlage.
Nah' war eben ein Krug, uneben von ragendem Bildwerk,
Altertümlicher Art: den mächtigen mächtiger selber
Hebt der Ägi'de empor und wirft ihn dem Gegner ins Antlitz.
Dem strömt klumpiges Blut und Gehirn und Wein aus der Wunde
Wie aus dem Mund, und er zappelt, gestreckt im befeuchteten Sande.
Grimm ist entfacht vom Morde des Bruders den Doppelgeschöpfen:
»Auf, zu den Waffen!« ertönt einstimmiger Ruf. »Zu den Waffen!«
Mut gab ihnen der Wein, und es fliegen geschleuderte Becher,
Bauchige Näpfe zuerst im Streit und zerbrechliche Töpfe,
Sonst zum Mahle bequem, nunmehr zum Kämpfen und Morden.
A'mykus, Sohn des Ophi'on, vermaß sich zuerst, zu berauben
Ihres geweihten Gerätes die heilige Statt: von der Zelle
Riß er die Ampel hinweg, die leuchtende Dochte umkränzten.
[41] Hoch dann hob er sie auf, gleichwie wenn einer des Farren
Schneeigen Nacken sich müht zu durchhauen mit opferndem Beile,
Und traf Ke'ladons Stirn des Lapithen, und in dem entstellten
Antlitz ließ er gewirrt ineinander die Knochen. Die Augen
Quollen heraus, und durch die zerschmetterten Knochen des Mundes
Wurde die Nase gequetscht und haftete mitten im Gaumen.
Doch ihn streckt mit dem Bein, das dem Ahorntisch er entrissen,
Pe'lates hin, der Pelläer, das Kinn nach der Brust ihm zerschlagend.
Während er Zähne gemengt nun spie mit schwärzlichem Blute,
Schickt ein erneuerter Streich ihn hinab zu des Ta'rtarus Schatten.
Gry'neus stand ihm zunächst; der schaute mit schrecklicher Miene
Hin auf den rauchenden Herd: »Warum nicht brauchen wir diesen?«
Sprach er und hob mit dem Feuer darauf den gewichtigen Altar,
Hob und warf ihn hinein in das dichte Gewühl der Lapithen:
Bro'teas wurde zermalmt von der Wucht und O'rius. Orius
Nannte sich My'kale's Sohn, die oft, wie man wußte, des Mondes
Hörner mit bannendem Spruch trotz seines Erwehrens herabzog.
»Du sollst büßen dafür, steht Waffe mir nur zu Gebote!«
Rief Exa'dius nun, und er nimmt als dienliche Waffe
Hoch von der Fichte herab das Geweih des gewidmeten Hirsches.
Mit dem gedoppelten Ast dann stößt er hinein in des Gryneus
Augen und drängt sie heraus, und es klebt ein Teil an den Zacken,
Anderes fließt in den Bart und hängt mit Blute geronnen.
Sieh, ein brennendes Scheit vom Pflaumbaum raffete Rhö'tus
Mitten vom Opferaltar und zerschlug am Haupt des Chara'xus,
Rechtsherschmetternd, den Schlaf, den blond umwallte das Haupthaar.
[42] Rasch wie trockene Saat vom reißenden Feuer ergriffen
Stand in Flammen das Haar, und das Blut in der Wunde gesenget
Zischte mit schrecklichem Ton, sowie von der Hitze gerötet
Eisen zu tönen gewohnt, das mit der gebogenen Zange
Zieht aus der Esse der Schmied und taucht in die Kufe; doch jenes
Zischt und sprühet noch fort auch unter der laulichen Welle.
Wieder vom struppigen Haar abschüttelnd das gierige Feuer,
Wühlte der Wunde vom Grund und hob auf die Schulter die Schwelle,
Last für den Wagen genug; doch Schuld war eben die Schwere,
Daß sie den Feind nicht traf, und den eig'nen Genossen Kome'tes,
Der so weit nicht stand, drückt nieder die steinige Masse.
Hoch ist Rhö'tus erfreut und verhehlt's nicht: »Möchte doch«, ruft er,
»Auch solch tüchtige Kraft darthun dein übriges Kriegsvolk!«
Und mit dem glimmenden Ast nochmalige Wunde verdoppelnd,
Sprenget er drei-, viermal mit gewichtigem Streiche des Schädels
Fugen und treibt in das flüssige Hirn die zerschmetterten Knochen.
Ko'rythus wallte sich nun und Eua'gros und Dry'as der Sieger.
Als er den einen gefällt, dem Flaum erst deckte die Wangen,
Korythus, rief Euagros ihm zu: »Was hast du für Ehre,
Daß dir ein Knabe erlag?« Nicht läßt der erbitterte Rhötus
Weiteres reden und stößt dem sprechenden Mann in den offnen
Mund und hinab durch den Mund in die Brust die gerötete Flamme.
Dir auch rückt er zu Leib, streitfertiger Dryas, das Feuer
Drohend geschwungen ums Haupt; bei dir war aber der Ausgang
Nicht so. Ihm, der prahlt mit des ständigen Mordes Gelingen,
Bohrst du geglüheten Pfahl dicht neben dem Hals in die Schulter.
Da stöhnt Rhötus und reißt mit Mühe den Pfahl aus dem harten
Knochen und flieht nun selber, benetzt von dem eigenen Blute.
Ly'kabas auch sucht Heil in der Flucht und Orne'us und Me'don,
[43] Rechts am Buge verletzt, nicht minder Pise'nor und Thau'mas;
Auch, der alle besiegt unlängst in der Wette der Füße,
Me'rmeros, war langsamer im Gang von empfangener Wunde;
Pho'lus und Me'laneus auch und mit A'bas, dem Ebererbeuter,
Er, der eitel vom Krieg abmahnte die Seinen, der Seher
A'stylos. Der sprach auch zu dem Wunden befürchtenden Ne'ssus:
»Flieh doch nicht, du bleibst ja bewahrt für He'rkules' Bogen!«
Aber Eury'nomus nicht und Ly'cidas und mit Are'os
I'mbreus mieden den Tod: die streckte die Rechte des Dryas
Alle danieder von vorn. Von vorn nicht minder empfingst du,
Ob du den Rücken zur Flucht auch wandtest, Krenä'us, die Wunde.
Umseh'n wolltest du dich, als zwischen den Augen hineinfuhr,
Wo sich die Nase der Stirn anfügt, das verderbende Eisen.
Bei so tobendem Lärm lag stets und ständig in allen
Adern befangen vom Schlaf und nicht zu erwecken Aphi'das,
Der, auf dem zottigen Fell der ossä'ischen Bärin gelagert,
In der erschlaffeten Hand noch hielt die gefüllete Kanne.
Ihn, der nicht zum Gewinn das Gefecht mied, schaute von weitem
Phorbas und fügt in des Speers Wurfriemen die Finger und sagte:
»Trinke den Wein mit der Styx!« Mehr zaudert er nicht, und dem Jüngling
Schwingt er entgegen den Spieß, und die eisenbeschlagene Esche
Bohrte sich, wie er gerade so rücklings lag, in die Kehle.
Fühllos litt er den Tod, und hervor aus strotzender Gurgel
Rieselte schwarz auf den Pfühl und selbst in die Kanne der Blutstrom.
Auszureißen versucht – ich sah's – Peträ'us den Eichbaum,
Der mit Eicheln behängt dastand; doch, wie er umklammernd
Hin und her ihn bewegt und rüttelt am wankenden Stamme,
[44] Heftet Piri'thous' Speer, in die Rippen geschnellt dem Peträ'us,
Fest die gestemmete Brust mit dem knorrigen Holze zusammen.
Ly'kus erlag vor der Kraft des Piri'thous, hörten wir sagen;
Chro'mis erlag vor der Kraft des Pirithous. Aber die beiden
Schafften geringeren Ruhm dem Besieger als Di'ktys und He'lops.
Helops sank vor dem Spieß, der Bahn sich brach durch die Schläfe
Und von dem rechten gebohrt durchdrang zu dem linken der Ohren.
Diktys, der von des Bergs unsicherer Spitze hinabglitt,
Während er zitternd entfloh vor dem drängenden Sohn des Ixion,
Stürzt in die Tiefe hinab und zerbricht mit der Schwere des Leibes
Eine gewaltige Esch' und bezieht mit Gedärmen den Baumstumpf.
Rächend ist A'phareus nah' und müht sich zu schleudern ein Felsstück,
Das er vom Berg losriß. Den bemühten erreicht der Ägide
Eher mit eichenem Pfahl und zerschellt ihm die riesigen Knochen
Mitten am Arm. Doch ganz den jetzt machtlosen zu töten,
Fehlt Zeit oder Gelüst. Auf den Rücken des hohen Bia'nor
Schwingt er sich, der nur sich, sonst keinen zu tragen gewohnt war,
Stemmt in die Rippen das Knie und zerrt nach hinten das Haupthaar,
Das mit der Linken er packt, und zerschlägt mit dem knotigen Holze
Ihm das Gesicht und den drohenden Mund und die knochigen Schläfe.
Dann schlägt nieder das Holz den Nedy'mnus, den Werfer Lyko'tas,
Hi'ppasus, welchem die Brust von wallendem Barte bedeckt war,
Ri'pheus, der mit dem Leib noch über die Wipfel der Wälder
Ragete, Te'reus auch, der in den hämo'nischen Bergen
Bären zum öfteren fing und lebendig die brummenden heimtrug.
Länger ertrug's nicht mehr Demo'leon, daß für den Theseus
Immer der Kampf sich entschied, und den Stamm vieljähriger Fichte
Strebt er mit großer Gewalt aus der untersten Feste zu reißen.
Fruchtlos blieb der Versuch, und er warf sie geknickt nach dem Feinde.
Theseus aber entging wegtretend dem kommenden Wurfe,
Weil ihn Pa'llas gewarnt – er selber bestärkte den Glauben.
[45] Doch nicht stürzte der Baum unschädlich: dem stattlichen Kra'ntor
Riß er hinweg von der Kehle die Brust und die linke der Schultern.
Der war Waffengenoß bei deinem Erzeuger, Achilles;
Äakus' Sohn empfing ihn vom Do'loperkönig Amy'ntor,
Den er im Kriege besiegt, als Gewähr und Bürgen des Friedens.
Als so gräßlich zerfetzt ihn Peleus sah aus der Ferne,
Sprach er: »Sühnung im Tod, o liebster der Jünglinge, Krantor,
Sollst du empfah'n!« Und im Schwung auf Demoleon sandt' er mit starkem
Arme, dazu mit den Kräften des Zorns, die eschene Lanze,
Welche der Rippen Geflecht durchbrach und haftend im Knochen
Schwankte. Heraus riß jener den Schaft, doch ohne die Spitze;
Kaum auch folgte der Schaft; fest blieb in der Lunge das Eisen.
Eben der Schmerz gab Kräfte dem Mut: der Verwundete bäumt sich
Gegen den Feind und tritt nach dem Mann mit gehobenen Hufen.
Doch mit dem Helm und dem Schild fängt jener die schallenden Hiebe,
Hält sich die Schulter gedeckt und stemmt abwehrende Waffen,
Und zwei Brüste durchbohrt ein Stoß in den Bug des Kentauren.
Fernher hatte der Held den Phlegrä'os getötet und Hy'les
Vorher schon, im nahen Gefecht mit Iphi'nous Kla'nis.
Do'rylas teilt ihr Los, der über die Schläfe ein Wolfsfell
Hatte gedeckt und trug an der Stelle verderblicher Waffe
Krummes Gehörn vom Stier, mit reichlichem Blute gerötet.
Diesem erging mein Ruf – denn Stärke verlieh mir die Kampflust –:
»Sieh, wie weit dein Horn vor unserem Eisen zurück steht!«
Und ich entsandte den Speer. Weil er nicht war zu vermeiden,
Hielt er die Rechte zum Schirm der mit Wunde bedroheten Stirne.
Fest an die Stirn anspießt' ich die Hand. Laut schrieen die andern;
Doch ihn traf, wie er hing und von bitterer Wunde besiegt war,
Peleus, näher als ich, mit dem Schwert in der Mitte des Bauches.
Wild springt Dorylas auf und schleift sein Gedärm an der Erde,
[46] Tritt das geschleifte, zerreißt das getretene, wird mit den Beinen
Gar noch drinnen verstrickt und fällt mit geleeretem Bauche.
Dir auch, Cy'llarus, bracht' im Streit nicht Rettung die Schönheit,
Falls wir solcher Gestalt nur nicht absprechen die Schönheit.
Schwach erst keimte der Bart und war goldfarbig, und golden
Wallete nieder das Haar bis mitten zum Bug von den Schultern.
Frisch und jugendlich war das Gesicht; Hals, Schultern und Hände
Kamen zunächst und die Brust den gerühmten Gebilden der Künstler,
Alles, soweit er ein Mann. Auch war untadlig der Roßleib
Drunter und nicht nachstehend dem Mann. Gib Nacken und Haupt ihm,
Und er ist Ka'stors wert: so beut sich der Rücken zum Sitze,
So prall hebt sich die Brust. Pechschwarz ist er über und über,
Aber am Schweif schneeweiß; weiß auch ist die Farbe der Beine.
Viele begehreten sein der kentaurischen Weiber: doch einzig
Nahm ihn Hylo'nome hin, so schmuck wie keine von allen,
Welche bewaldete Höh'n mit den Halbgetieren bewohnten.
Durch zutrauliches Thun, durch Lieb' und der Liebe Geständnis
Fesselt sie Cyllarus' Herz. Auf Putz auch wendet sie Sorgfalt,
Wie ihn der Wuchs zuläßt: daß glatt vom Kamme das Haar ist,
Daß bald Rosmarin, bald Rosen sie oder Violen
Flicht in das Haar, oft auch hellfarbige Lilien wählet
Und das Gesicht in dem Quell, der rinnt von paga'si scher Waldhöh',
Zweimal wäscht am Tag, zweimal sich badet im Strome,
Daß von erlesenem Wild und nur schön kleidende Felle
Über die Schulter sie deckt an der Linken und über die Seite.
Gleich liebt jedes vom Paar; sie schweifen vereint im Gebirge,
Gehen in Höhlen vereint. Auch in die lapi'thische Wohnung
Traten zusammen sie ein und standen zusammen im Mordstreit.
Dunkel ist, wer es gethan: linksher kam plötzlich ein Wurfspieß
Auf dich, Cy'llarus, zu und ereilte dich unter der Stelle,
Wo sich die Brust anfügt an den Hals. Nur wenig verwundet,
Wird mit dem Leibe das Herz gleich kalt nach des Speeres Entziehung.
[47] Aber Hylo'nome fängt nicht säumend die sterbenden Glieder,
Legt ihm die lindernde Hand auf die Wund' und naht mit dem Munde
Liebend dem Mund und versucht der entweichenden Seele zu wehren.
Als sie ihn tot nun sah, da sagte sie, was das Getöse
Nicht ließ dringen zu mir, und stürzte sich rasch in die Waffe,
Die ihn hatte durchbohrt, und umfing hinsterbend den Gatten.
Er auch stehet mir noch, Phäo'komes, immer vor Augen,
Der sechs Felle von Leu'n mit geschlungenen Knoten zusammen
Hatte verknüpft und das Roß damit und den Menschen bedeckte.
Mit dem geschleuderten Klotz, den kaum zwei Joche bewegten,
Traf er des O'lenus Sohn, den Te'ktaphus, malmend am Scheitel.
(Weithin barst von der Wucht das bewegliche Haupt; aus der hohlen
Nase zugleich und dem Mund, aus den Augen hervor und den Ohren
Quillet das weiche Gehirn, wie aus dem Geflecht die verdickte
Milch abfließt, wie Öl beim Drucke des löch'rigen Durchschlags
Tropfet heraus und träge sich drängt aus den engenden Löchern.)
Wie den Erlegten der Feind nun wollte der Waffen entkleiden,
Streckte den plündernden hin mein Schwert – dein Vater bezeugt es –
Tief in die Weichen gebohrt. Mit Tele'boas auch ist erlegen
Chtho'nius unserem Stahl. Der trug zweizackigen Prügel;
Jenen bewehrt' ein Spieß. Ich war von dem Spieße verwundet:
Schaue das Mal; noch zeigt sich davon die verwachsene Narbe.
Damals mußte man mich zum Sturm gen Pe'rgamus senden;
Damals hätt' ich vermocht, wo nicht zu besiegen, zu hemmen
Hektors gewaltige Macht. Noch nicht war aber am Leben
Hektor oder ein Kind. Nun bin ich entkräftet vom Alter.
Wozu Pe'riphas' Ruhm, der erschlug den Kentauren Pyre'tus,
Künden und A'mpyx' Ruhm, der vorn in des Trabers Oche'kles
[48] Antlitz trieb, obwohl ihr die Spitze gebrach, die Kornelle?
Vom pelethro'nischen Volk Erigdu'pus erlag von dem Barren,
Den ihm Ma'kareus rannt' in die Brust. Noch seh' ich den Jagdspeer,
Der, von Ne'ssus geschnellt, sich barg in dem Bauch des Kyme'los.
Hege den Wahn auch nicht, daß bloß weissagte die Zukunft
Mo'psus, des A'mpyx Sohn. Der doppelgestalt'te Hodi'tes
Sank durch Mopsus' Geschoß und suchte vergeblich zu reden,
Weil ihm die Zung' ans Kinn und das Kinn an die Gurgel gespießt war.
Käneus sendete fünf in den Tod, Anti'machus, Bro'mus,
Sty'phelus, He'limus auch und den Streitaxtträger Pyra'kmus:
Wie, das ist mir entfallen; die Zahl und die Namen behielt ich.
Sieh, mit der Beute bewehrt vom ema'thischen Kämpfer Hale'sus,
Den er erlegt, dringt vor, an Gliedern und Leibe gewaltig,
La'treus. Zwischen dem Greis und dem Jüngling stand er im Alter,
Jugendlich aber an Kraft; grau waren die Schläfen gesprenkelt.
Dieser, mit Schild und Schwert und mit makedonischer Lanze
Stattlich zu sehn und gewandt nach jedem der Heere das Antlitz,
Schüttelt das Kriegesgerät und reitet im sicheren Kreise,
Und hochmütig ergießt er in ledige Lüfte die Worte:
»Was will Känis allhier? Denn du bleibst immer ein Weib mir,
Du bist Känis für mich. Macht nicht der natürliche Ursprung
Schwach dein Herz und bedenkest du nicht, welch Thun dir Belohnung,
Was für ein Preis dir erwarb des Mannes betrüglichen Anschein?
Sieh, was du von Geburt und was du gelitten! Den Rocken
Nimm in die Hand und den Korb und dreh' mit dem Daumen den Faden;
Krieg laß Männern allein!« Dem prahlenden öffnete Kä'neus
Mit dem geschleuderten Speer die vom Rennen gedehnete Seite,
[49] Wo an das Roß sich fügte der Mann. Wild tobet im Schmerze
Jener und stößt in das nackte Gesicht des Phylle'ers die Lanze.
Aber sie prallte zurück, wie oben vom Dache der Hagel
Oder wie kleines Gestein, wenn es fällt auf bauchige Pauke.
Dicht nun geht er zu Leib und müht sich, dem Feind in die harte
Seite zu bohren das Schwert: für das Schwert ist nirgends ein Durchgang.
»Doch nicht sollst du entflieh'n; dich soll hinmorden die Schneide,
Weil denn die Spitze gestumpft!« So spricht er und holt mit dem Schwerte
Seitwärts aus und erreicht mit der Länge der Rechten die Lende.
Hell klirrt's unter dem Streich, gleichwie an getroffenem Steinbild,
Und abspringend zerbrach am geschlagenen Halse die Klinge.
Als dem Erstaunten genug die gesicherten Glieder geboten
Käneus, rief er: »Wohlan, dein Leib nun werde von uns'rem
Schwerte versucht!« Und er stößt in den Bug das verderbende Eisen
Bis an das Heft und drängt und bohrt in die innern Geweide,
Ohne zu sehen, die Hand und erneut in der Wunde die Wunde.
Grimmig mit wüstem Geschrei anstürmen die Doppelgeschöpfe,
Alle den einen bemüht zu erreichen mit Würfen und Streichen.
Stumpf fällt jedes Geschoß, und undurchbohrt von den Stößen
Allen und stets unblutig verbleibt der elatische Käneus.
Höchlich erstaunt bei dem Wunder die Schar. ›Ha, Schmach und Beschimpfung!‹
Ruft jetzt Mo'nychus aus. ›Uns viele besieget der eine,
Kaum ein Mann; doch freilich ein Mann, wir aber in Schlaffheit
Sind, was der einst war. Was nützen die riesigen Glieder,
Was zwiefältige Kraft? Was nützt, daß doppeltes Wesen
Einig verbindet in uns die stärksten Geschöpfe der Erde?
Nicht – so dünket es mir – von der Göttin und nicht von Ixi'on
Stammen wir, der so groß, daß sich zur erhabenen Ju'no
[50] Konnte versteigen sein Wunsch. Uns wird Obsieger ein Halbmann.
Auf, wälzt Felsen auf ihn, Baumstämm' und ganze Gebirge,
Und mit geworfenem Wald drängt aus das beharrliche Leben!
Wald mag schnüren den Hals, und Last wird Wunden ersetzen.‹
Sprach's und packte den Stamm, der gerade vom tobenden Südwind
Niedergestreckt dalag, und warf nach dem mächtigen Feinde.
Beispiel war's für den Schwarm, und O'thrys nach kurzem Verweilen
Stand von Bäumen entblößt, und dem Pe'lion fehlte der Schatten.
Käneus aber, gedrückt von der Baumlast, mühte sich schnaubend
Unter der gräßlichen Schicht und trug auf gehärteten Schultern
Haufen von Holz. Als aber die Last nun über das Antlitz
Wuchs und das Haupt, und Luft nicht war, die zöge der Atem,
Liegt ohnmächtig er bald, bald strebt er, empor an die Lüfte
Sich zu erheben, umsonst, und von hinnen zu wälzen die Stämme;
Manchmal regt er sich auch, wie wenn die erhabene I'da,
Die vor Augen wir seh'n, von der Erde Erschütterung aufhebt.
Zweifelhaft ist der Erfolg. Sein Leib, so sagten die andern,
Sei von dem lastenden Wald in des Ta'rtarus Öde gestoßen.
Nicht so A'mpyx' Sohn: der sah, wie hervor aus dem Haufen
Flog in die lautere Luft mit gelbem Gefieder ein Vogel,
Welchen zuerst damals und zuletzt damals ich erblickte.
Wie er den Vogel gewahrt, der kreisete um der Gefährten
Lager gemächlichen Flugs und mit schallendem Kreischen hinabrief,
Da sprach Mo'psus, zugleich mit dem Geist und den Augen ihm folgend:
»›Sei mir gegrüßt, du Ruhm und Stolz des lapithischen Volkes,
Trefflicher Mann vormals, nun einziger Vogel, o Käneus!‹
Glauben erwirbt der Verkünder dem Wort. Schmerz mehrte den Ingrimm,
Und wir gedachten mit Wut, wie viele den einen erdrückten,
Und nicht standen wir ab, den Zorn mit dem Eisen zu kühlen,
Bis teils Tod sie gerafft, teils Flucht und Nacht sie entzogen.«
[51] Also vom Py'lier ward das Gefecht halbwilder Kentauren
Mit den Lapithen erzählt; Tlepo'lemus aber ertrug nicht
Schweigenden Mundes den Schmerz, daß nichts vom Alciden erwähnt war,
Und er begann: »Seltsam, daß du in Vergessenheit ließest
He'rcules' Ruhm, o Greis! Mir hatte doch öfter der Vater
Selber erzählt, wie einst er bezwungen die Wolkengebornen.«
Nestor versetzt voll Harm: »Was zwingst du mich, daß ich der Trübsal
Wieder gedenk' und erneue den Gram, den Jahre vernarbten,
Daß ich gestehe den Groll und den Hader mit deinem Erzeuger?
Zwar Unglaubliches hat er gethan fürwahr und den Erdkreis
Mit Großthaten erfüllt, die leugnen zu können ich wünschte;
Aber Deï'phobus nicht und Poly'damas mögen wir loben,
Noch auch He'ktor sogar: wer spräche zum Lobe des Feindes?
Er, den Vater du nennst, warf einst die messe'nischen Mauern
Nieder, und E'lis vertilgt' er und Py'los, die schuldlosen Städte,
[52] Und ließ Feuer und Schwert einbrechen in meine Penaten.
Aller der anderen nicht, die jener erschlug, zu gedenken:
Zwölf Neliden an Zahl, ansehnlich als rüstige Jugend,
Waren wir: alle die zwölf, nur mich nicht, fällte der starke
He'rcules. Daß er die andern besiegt, das ließe sich tragen:
Ganz absonderlich starb Perikly'menus, dem das Vermögen,
Jede beliebte Gestalt zu nehmen und wieder zu lassen
Hatte Neptu'nus verliehn, des Nele'ischen Stammes Begründer.
Der, nachdem er umsonst sich gewandelt in alle Gestalten,
Wird zu dem Vogel zuletzt, der in den gebogenen Füßen
Pfleget zu tragen den Blitz, liebwert dem Beherrscher der Götter.
Nutzend die Stärke des Aars nun hatt' er mit Schwingen und krummem
Schnabel des Mannes Gesicht und mit hakigen Krallen zerrissen;
Doch der Tiry'nthier spannt auf ihn zu sicherem Bogen;
Dann, als hoch in die Wolken hinan sich schwangen die Glieder,
Trifft er ihn mitten im Flug, wo sitzt an der Seite der Fittich.
Schwer nicht war er verletzt, doch die Sehnen, zerschnitten vom Eisen
Sind ihm gelähmt und versagen den Schwung und die Kräfte zum Fliegen.
Jählings fällt er hinab, weil jetzt unmächtig die Flügel
Nicht angreifen die Luft, und den Pfeil, da, wo er am Fittich
Leicht nur hing, drückt ein das Gewicht des getroffenen Leibes:
Oben durchstach er die Seit' und ragt' aus der Achsel zur Linken.
Meinest du noch, ich soll, was that dein Hercules, rühmend
[53] Künden, o stattlicher Herr und Führer der rhodischen Flotte?
Doch nicht weiter, als nur durch tapferer Thaten Verschweigung,
Räch' ich der Brüder Geschick: dir wahr' ich beständige Freundschaft.«
Als dies Neleus' Sohn mit gefälligem Munde gesprochen,
Ba'cchischer Trank dann wieder gelabt nach der Rede des Greises
Standen vom Polster sie auf und schliefen die übrige Nachtzeit.
Aber der Gott, der zähmt die Gewässer des Meers mit dem Dreizack,
Grollt im Vatergemüt, daß zum Phaetho'ntischen Vogel
Wurde gewandelt der Sohn, und hassend den grausen Achilles
Hegt er gedenkenden Groll viel mehr, als Männern geziemend.
Da sich der Krieg schon fast in das zehnte der Jahre gezogen,
Sprach er zum smi'nthischen Gott, dem nimmer geschorenen, also:
»O du wertester mir von allen den Söhnen des Bruders,
Der du umsonst mit mir einst Tro'ja's Mauern gegründet:
Seufzest du nicht, wenn du siehst so nahe dem Falle die Feste,
Oder beklagest du nicht die gefallenen Schützer der Mauern,
Soviel tausend an Zahl? Tritt nicht, zu geschweigen der andern,
Hektors Schatten dir nah, der um sein Troja geschleift ward,
Während der Wüterich doch, der blutiger noch als der Krieg ist,
Fortlebt, unseres Werks Umstürzer, der arge Achilles?
Kommt er mir nur, da soll er verspüren die Stärke des Dreizacks!
[54] Weil mir aber versagt, in der Nähe dem Feind zu begegnen,
Laß von verborgenem Pfeil ihn wider Vermuten verderben!«
Eigenem Zorn willfährig zugleich und dem Zorne des Oheims
Sagt es der De'lier zu und gelangt in verhüllender Wolke
Rasch zu dem ilischen Heer; und mitten im Morde der Männer
Wird er den Pa'ris gewahr, der einzeln auf schlichte Achi'ver
Pfeile verschießt, und er gibt sich als Gott: »Was«, spricht er, »verlierst du
Schüsse an niederem Volk? Wenn irgend dich kümmern die Deinen,
Ziel' auf Ä'akus' Sproß und räche die Leichen der Brüder.«
Sprach's und wies auf den Sohn des Pe'leus, der mit dem Eisen
Tro'er zuhauf hinwarf, und richtend auf diesen den Bogen
Lenkt er den sicheren Pfeil mit der lebenvernichtenden Rechten.
Wessen nach Hektors Fall sich Pri'amus mochte erfreuen,
Dies war's. Du, der besiegt so treffliche Streiter, Achi'lles,
Liegest besiegt von dem feigen Entführer der gra'jischen Gattin.
Mußtest du aber den Tod doch leiden im weibischen Kampfe,
Besser, du littest den Tod von der thermodo'ntischen Streitaxt.
Schon war Phrygiens Schreck, der Pela'sger Beschirmer und Zierde,
Ä'akus' Enkel, das Haupt, das keiner bezwungen im Kampfe,
Flammen zum Raub. Der Gott, der ihn hatte gewaffnet, verbrannt' ihn.
Asch' ist er nun; und es bleibt von dem einst so großen Achilles
Kaum noch übrig genug, zu füllen die winzige Urne.
Aber es lebt sein Ruhm, der füllet die sämtlichen Lande.
Solch ein Maß entspricht dem gewaltigen Helden, und gleich ist
So der Peli'de sich selbst und fühlt nicht Ta'rtarus' Öde.
[55] Fehde erregt auch noch, auf daß jedweder ersähe,
Wessen er war, sein Schild, und um Waffen erheben sich Waffen.
A'jax leistet, der Sohn des Oï'leus, samt dem Tydi'den
Sie zu begehren Verzicht und der jüngre Atrid' und der andre,
Höher in Alter und Krieg, und die übrigen; Te'lamons Sohn nur
Wagt und Lae'rtes' Sohn um die herrliche Ehre zu werben.
Sich dem gehässigen Amt zu entziehn, hieß mitten im Lager
Ta'ntalus' Sproß zum Rat die argolischen Führer sich setzen
Und gab allen gesamt statt seiner den Zwist zu entscheiden.

Dreizehntes Buch

[56] Dreizehntes Buch.

Inhalt: Streit um Achi'lles Waffen. A'jax' Tod. He'kuba (Poly'xena). Memnoni'den. Äne'as auf De'los (A'nius Töchter; Ori'ons Töchter). Fahrt des Äneas (Kra'galeus; Mu'nichos). A'cis und Galate'a. Glaukus.


Als sich die Fürsten gesetzt und das Volk im Kreise umherstand,

Tritt vor ihnen der Held mit dem siebenschichtigen Schilde,
Ajax, auf und des Zorns unmächtig, das finstere Auge
Auf den sigä'ischen Strand und die Flott' am Strande gerichtet,
Streckt er die Händ' und spricht: »O Ju'piter, hier an den Schiffen
Suchen wir Recht; und mir darf gleich sich stellen Uli'xes!
Aber er zauderte nicht, vor He'ktors Flammen zu weichen,
Die ich wehrend bestand, die ich von der Flotte zurücktrieb.
Sicherer mag's wohl sein, mit gekünstelten Worten zu streiten,
Als mit der Faust. Doch ich bin ebensowenig zur Rede
Tüchtig, wie er zur That; so stark ich bin in der Fehde
Und im Getümmel der Schlacht, so stark ist dieser im Schwatzen.
Thaten, die ich vollbracht, euch herzuzählen, Pela'sger,
Brauch' ich nicht; ihr habt sie gesehn. Er nenne die seinen,
Die er vor Zeugen verbirgt, die nur mitwissende Nacht sieht.
[57] Freilich ist groß der geforderte Lohn, doch solch ein Bewerber
Schmälert den Wert. Stolz macht es den Ajax nicht, zu erhalten,
Wär' es auch noch so groß, worauf schon hoffte Uli'xes.
Längst hat dieser den Preis sich erworben in unserem Wettstreit,
Da, ob immer besiegt, mein Gegner im Streit er genannt wird.
Ich, wenn rüstige Kraft bei mir auch würde bezweifelt,
Wäre voraus durch edle Geburt, da mich Te'lamon zeugte,
Der den trojanischen Wall mit dem streitbaren Hercules stürmte
Und mit paga'sischem Kiel anfuhr an die kolchische Küste.
Jener ist Ä'akus' Sohn, der unten den Schweigenden Recht spricht,
Wo der gewichtige Stein den äo'lischen Si'syphus abmüht.
Äakus wird als Sohn vom erhabenen Jupiter selber
Willig erkannt. So stammt als dritter von Jupiter A'jax.
Doch mir sollen im Zwist nicht nützen die Ahnen, Achi'ver,
Wenn sie gemeinsam nicht mir sind mit dem großen Achilles.
Mir war Bruder der Held; mein brüderlich Erbe verlang' ich.
Was will Sisyphus' Sohn, ihm gleich an Ränken und Arglist,
Namen von fremdem Geschlecht einschieben den Äaci'den?
Weil ich, von keinem entlarvt, vor ihm zu den Waffen geeilt bin,
Würden mir Waffen versagt und sollt' ihm werden der Vorzug,
[58] Der sie am letzten ergriff und sich mit geheucheltem Wahnsinn
Wehrete gegen den Zug, bis daß sinnreicher als jener,
Doch sich minder zu nutz, den Betrug des verzagten Gemütes
Nau'plius' Sohn kundthat und ihn zog zu gemiedenen Waffen?
Er, der keine gewollt, er sollte die besten gewinnen,
Aber um Ehre verkürzt und beraubet des Gutes vom Vetter
Sollt' ich sein, der gleich zu den ersten Gefahren sich stellte?
Daß wahr oder geglaubt doch wäre gewesen der Wahnsinn,
Daß er zur phrygischen Burg mit uns nie wäre gekommen,
Der nur Frev'liges riet! Du wärst, pöa'ntischer Sprößling,
Nie uns allen zur Schmach auf Lemnos verlassen geblieben,
Wo du jetzt, wie es heißt, in den Höhlen der Wälder verborgen,
Steine durch Stöhnen bewegst und fluchest dem Sohn des Laertes,
Wie er verdient, und umsonst nicht fluchst, wenn Götter im Himmel.
Er, der früher mit uns zu den nämlichen Waffen geschworen,
Der zu den Edelen zählt, dem seine Geschosse zum Erbteil
Hercules gab, nun, ach, durch Hunger gebrochen und Krankheit,
Kleidet und nährt er von Vögeln sich nur und verwendet die Pfeile,
Deren zu Troja's Fall wir bedürfen, zur Jagd auf Geflügel.
Aber er lebt doch noch, weil nicht mit Uli'xes er abfuhr.
Gern auch wäre zurück Palame'des gelassen, der Arme –
(Jetzt noch wär' er am Leben; wo nicht, doch ehrlich gestorben –)
Dem er, allzugedenk des leider enthülleten Wahnsinns,
Unserer Sache Verrat andichtete und der Erdichtung
Glauben erwarb, da Gold, von ihm selber vergraben, er zeigte.
Also Kräfte benahm er entweder durch Bann den Achivern
[59] Oder durch Mord. So kämpft, so ist zu fürchten Ulixes.
Wenn der auch obsiegt in der Rede dem biederen Nestor,
Redet er mir nicht ein, kein Schimpf sei's, daß er den Nestor
Ließ in der Not, der, als er, gehemmt durch die Wunde des Rosses
Und von dem Alter geschwächt, zum Beistand rief den Ulixes,
Wurde verraten vom Freund. Daß nicht die Beschuldigung unwahr,
Weiß wohl Tydeus' Sohn, der ihn oft bei Namen gerufen
Laut ausschalt und die Flucht vorrückte dem bangen Gefährten.
Menschliches Thun sehn stets mit Gerechtigkeit oben die Götter.
Beistand, siehe, bedarf, der keinen gebracht, und verlassen
Stand er, wie er verließ: sein Urteil sprach er sich selber.
Hilfe der Freunde verlangt sein Ruf; nah' bin ich und seh' ihn
Zitternd und blaß vor Furcht und bang vor drohendem Tode.
Vor ihn stemmt' ich den Schild zum Damm, und den Liegenden deckend
Rettet' ich – ärmlicher Ruhm! – das gefährdete Leben dem Schwächling.
Hast du zu streiten Gelüst, laß dorthin wieder uns gehen,
Stelle den Feind und dich mit der Wund' und gewohnter Verzagtheit,
Ducke dich hinter den Schild, und mit mir dann wage zu hadern!
Wie ich ihn aber befreit, dem Kraft zum Stehen die Wunde
Raubete, lief er davon, mit nichten gehemmt von der Wunde.
Hektor ist nah und führt mit sich ins Treffen die Götter,
Und es erfaßt, wo er stürmt, nicht dich bloß Grausen, Ulixes,
Sondern die Tapferen auch: so schreitet mit ihm das Entsetzen.
[60] Ihn hab' ich, wie er stolz sich freute des blutigen Mordes,
Rücklings niedergestreckt in der Nähe mit wuchtigem Feldstein.
Ihm hielt ich allein, wie er einen gefordert zum Zweikampf,
Wackeren Stand. Mein Los erflehtet ihr sehnlich, Achiver,
Und das Gebet fand glücklich Gehör. Und wollt ihr den Ausgang
Wissen von unserem Kampf: nicht bin ich bezwungen von Hektor.
Siehe, mit Jupiter dräuen die Tro'er der Da'naerflotte,
Drängend mit Feuer und Schwert: wo war der beredte Uli'xes?
Ich nur hielt mit der Brust der Heimkehr Hoffnung, die tausend
Schiffe gedeckt: gebt mir für alle die Schiffe die Waffen!
Ist mir zu sagen vergönnt, was wahr ist: ihnen entstehet
Größere Ehr', als mir; ihr Ruhm stimmt ganz zu dem meinen.
Ajax wird für die Waffen verlangt, nicht Waffen für Ajax.
Stelle den Rhe'sus dafür der I'thaker, Do'lon den Schwächling,
He'lenus, Pri'amus' Sohn, den er fing, und der Pa'llas Entwendung.
Nichts vollbracht' er am Tag, nichts, wo fern war Diomedes.
Wollt ihr verleihn einmal solch schwachen Verdiensten die Waffen,
Teilt sie, und mög' empfahn den größeren Teil Diomedes.
Doch was sollten sie auch für den Ithaker, der im geheimen
Wehrlos schleicht und tückisch berückt unachtsame Feinde?
Leicht ja könnte der Glanz des von Gold hellstrahlenden Helmes
Selber verraten die List und deutlich den Lauerer zeigen.
Aber so drückende Last trägt unter dem Helm des Achilles
Nicht das duli'chische Haupt, noch kann unkrieg'rischen Armen
Anders sein, als schwer und gewichtig, die pe'lische Lanze.
Noch ist der Schild, drauf steht vom Meißel gebildet das Weltall,
[61] Je für die Linke bequem, die feige zur Tücke geschaffen.
Was, Schamloser, verlangst du ein Gut, das Kraft dir benähme?
Wenn das irriger Wahn des achivischen Volkes dir zuspricht,
Lockt es zur Plünderung wohl, nicht schlägt es mit Schrecken die Feinde,
Und in der Flucht, worin du allein dich vor allen hervorthust,
Feigling, hindert es dich, so lastende Bürde zu schleppen.
Dazu nimm, daß da dein Schild, der selten Gefechte
Ausstand, ganz noch ist, doch unserem, der von Geschossen
Schrammen zu tausenden zeigt, zum Ersatz ein anderer not thut.
Kurz, wozu viel Worte denn noch? That gebe den Ausschlag!
Werft in den dichtesten Feind die Waffen des streitbaren Helden,
Heißt sie holen von da und schmückt mit Gebrachtem den Bringer!«
So sprach Te'lamons Sohn und schwieg, und dem Ende der Rede
Folgte Gemurmel des Volks, bis daß der Laertische Heros
Nun auftrat und die kurz am Boden verweilenden Augen
Gegen die Fürsten erhob und den Mund zu erwartenden Lauten
Öffnete. Lieblicher Fluß fehlt nicht den geordneten Worten:
»Hätte Gewähr mein Wunsch mit dem euren gefunden, Pelasger,
Waltete nimmer ein Streit, wer erbe den herrlichen Wettpreis:
Dein dann wäre die Wehr wie sonst, du unser, Achilles.
Weil mir aber und euch das erbarmungslose Verhängnis
Jenen versagt«, – und er that, als ob er die thränenden Augen
Trocknete, – »wer mit Fug darf folgen dem großen Achilles,
Als wer dem Da'naerheer ließ folgen den großen Achilles?
Sei's sein Nutzen nur nicht, daß er roh, wie er ist, sich erweiset;
Sei mein Schade nur nicht der Verstand, der immer, Achiver,
Euch so förderlich war, und der Rede Geschick, wenn es mein ist,
Das für den Sprechenden jetzt, für euch zum öfteren wirkte,
Bleibe verschont vom Neid, und keiner verleugne sein Gutes!«
Ahnen und edles Geschlecht und was nicht selbst wir erworben,
Nenn' ich das unsrige kaum. Doch da sich von Jupiter Ajax
Rühmt Urenkel zu sein: auch unserem Blut ist Begründer
Jupiter; uns auch trennen von ihm gleichviele der Stufen.
[62] Denn mich hat Laertes gezeugt, Arce'sius diesen,
Ju'piter den, und verdammt ist keiner davon und verwiesen.
Auch der Kylle'nier ist von der Mutter als anderer Adel
Uns zu jenem gebracht. Vom Gott sind beide Erzeuger.
Doch nicht, weil das Geschlecht mir edler von seiten der Mutter,
Noch weil rein sich erhielt vom Blute des Bruders der Vater,
Heisch' ich die Waffen von euch; nach Verdienst abwäget die Sache!
Nur darf nicht ein Verdienst, daß Telamon Bruder des Peleus
War, für den Ajax sein; nicht komme die Folge der Sippschaft,
Sondern der männliche Wert in Betracht bei der rühmlichen Beute.
Sonst, wenn Bande des Bluts und der nächste der Erben gesucht wird,
Ist ja Py'rrhus, der Sohn, ist Pe'leus da, sein Erzeuger.
Wo ist Ajax' Recht? Nach Phthi'a bringt sie, nach Sky'ros!
Auch gleich nahe, wie er, ist Teu'cer verwandt dem Achilles.
Aber verlangt, und wenn er verlangte, bekäm' er die Waffen?
Weil demnach um Thaten allein stattfindet der Wettstreit:
Mehr zwar hab' ich gethan, als daß es in Worte zu fassen
Leicht mir fiele sogleich; doch soll Zeitfolge mich leiten.
Ahnend den künftigen Tod, birgt schlau die Nere'ische Mutter
[63] Unter Verkleidung den Sohn, und allen, darunter dem Ajax,
Hatte das Auge getäuscht der Betrug des genommenen Anzugs.
Ich that, männlichen Mut zu erregen, zu Weibergeräten
Waffen hinzu, und wie Schild und Lanze der He'ros ergriffen,
Der sein Mädchengewand noch nicht beiseite geworfen,
Sprach ich: »Thetis' Sohn, dein harrt, auf daß es verderbe,
Pe'rgamus, und du verziehst, die gewaltige Troja zu tilgen?«
Mir aneignend entsandt' ich zu tapferen Thaten den Tapfern.
Drum, was jener gethan, that ich. Ich streckte den Gegner
Te'lephus hin mit dem Speer; den Besiegten und Flehenden heilt' ich.
Thebä's Fall auch danket ihr mir; daß Le'sbos und Skyros,
Te'nedos, Ki'lla erlag und Chry'se, die Städte Apo'llo's,
Denket, es sei mein Werk; mein Arm, so möget ihr glauben,
Warf in Trümmer und Schutt die zerstörten lyrne'sischen Mauern.
Ich gab, anderer nicht zu gedenken, dem streitbaren Hektor
Würdigen Feind; durch mich liegt tot der gefeierte Hektor.
Für die Waffen, womit ich entdeckt den Achilles, begehr' ich
Diese: dem Lebenden gab ich, vom Toten verlang' ich sie wieder.
Wie von des einzelnen Schmerz durchdrungen die Da'naer alle
Und von der Schiffe Verein die eubö'ische Au'lis erfüllt war,
Wehete, lange gehofft und ersehnt, kein oder der Flotte
Feindlicher Wind, und es hieß hartfallender Spruch Agamemnon
Sein unschuldiges Kind hinschlachten der strengen Dia'na.
Aber der Vater versagt es und grollt mit den Himmlischen selber,
Und der Erzeuger besteht mit dem Könige. Zu dem Gesamtwohl
Wendete ich durch Worte den Sinn des liebenden Vaters.
Schwer – ich muß es gestehn, und verzeihe mir das der Atride! –
[64] War's, darinnen zu Recht vor beteiligtem Richter zu stehen.
Doch mit dem Besten des Volks und dem Bruder be stimmt ihn die Würde,
Welche das Scepter ihm gab, sich Ruhm zu erkaufen mit Blute.
Mich dann heißt zu der Mutter man gehn, wo nicht die Ermahnung,
Sondern die List nur half. Ging Te'lamons Sohn mit dem Auftrag,
Jetzt noch harreten wohl auf günstige Winde die Segel.
Auch zu der i'lischen Burg als mutiger Sprecher gesendet
Ging ich und sah und besuchte den Rat der stattlichen Tro'ja.
Voll noch war von Männern das Haus. Dort führt' ich die Sache
Furchtlos, die mir vertraut die Gesamtheit griechischer Stämme.
Pa'ris zeih' ich der Schuld, und den Raub samt He'lena fordr' ich.
Pri'amus hört mich bewegt und Priamus' Schwager Ante'nor;
Paris jedoch und die Brüder mit ihm und die Helfer des Raubes
Hielten mit Mühe – du weißt, Menela'us – die frev'ligen Hände.
Der Tag einte zuerst mit den deinigen unsre Gefahren.
Säumnis wär's zu lang, wenn ich meldete, was ich zum Nutzen
Schaffte mit Rat und That in den Jahren des dauernden Krieges.
Lang erst hielt sich der Feind nach den ersten Gefechten geborgen
Hinter den Mauern der Stadt, und es bot sich keine Entscheidung
Offener Schlacht, bis Kampf uns brachte das zehnte der Jahre.
Was ist indes dein Thun, der nichts du kennest als Treffen?
Womit hast du genützt? Denn fragst du nach meinem Beginnen:
»Listig verlock' ich den Feind, umgebe die Gräben mit Schanzen,
Rede den Unsrigen zu, daß jeder, sich ruhig geduldend,
Trage den lästigen Krieg; ich lehre sie, wie zu ernähren,
[65] Wie zu bewaffnen das Heer; wo es not thut, werd' ich gesendet.
Siehe, getäuscht vom Gebilde des Traums nach Jupiters Willen,
Heißt aufgeben die Müh' des begonnenen Krieges der König.
Er kann seinen Befehl rechtfertigen mit dem Ermahner.
A'jax dulde es nicht und fordere Pe'rgamus' Ende!
Kämpf' er, was er ja kann! Warum nicht hemmt er die Abfahrt,
Greift zu den Waffen und gibt sich als Führer dem wankenden Haufen?
Wahrlich, ein Leichtes für ihn, der prahlerisch immer geredet.
Wie, auch Ajax flieht? Ich sah es, beschämt von dem Anblick,
Wie du, den Rücken gewandt, unrühmliche Segel beschicktest.
Schleunig erhob ich den Ruf: ›Was thut ihr? Was für ein Wahnsinn
Treibt, o Gefährten, euch an, die eroberte Tro'ja zu lassen?
Was nun bringet ihr heim, als Schand', im zehnten der Jahre?‹
So und mit anderem noch, was Ärger in Fülle mir eingab,
Bracht' ich das drängende Volk zurück von der flüchtigen Flotte.
Jetzt zur Versammlung ruft der Atride die bangen Gefährten.
Da wagt auch kein Wort der Telamonide zu äußern,
Und doch hatte gewagt mit schmähender Rede Thersi'tes,
Dem auch Züchtigung ward durch mich, zu beschimpfen die Fürsten.
Ich trat auf und sprach Mut ein den verzagenden Bürgern
Gegen den Feind, und es weckt mein Wort die verlorene Mannskraft.
Was nur Tapferes mag durch diesen geschehen erscheinen
Seit der Zeit, ist mein: ich brachte den Flüchtigen wieder.
Endlich im Da'naerheer wer lobt dich oder begehrt dich?
Aber mit mir im Verein vollbringt der Tydide die Thaten;
[66] Mich stets fand er bewährt, und er traut dem Gefährten Uli'xes.
Etwas heißt es, der eine zu sein von unzähligen Gra'jern,
Den Diome des erwählt. Kein Los auch zwang mich zu gehen;
Dennoch hab' ich, der Nacht und des Feindes Gefahren verachtend,
Ihn, der Gleiches gewagt wie wir, den Phrygier Do'lon
Niedergehau'n, doch erst, als ich ihn gezwungen, mir alles
Kundzuthun, und gehört, was sinne die treulose Troja.
Alles erfuhr ich genau, und nichts mehr war zu erkunden,
Und nun konnt' ich zurück mit verheißenem Ruhme mich wenden.
Nicht zufrieden damit drauf ging ich zu Rhe'sus' Gezelten,
Und ich erschlug ihn selbst und die Seinen im eigenen Lager.
Siegreich halt' ich sodann, da alles gelungen nach Wunsche,
Wie beim frohen Triumph Einzug auf erbeutetem Wagen.
Dessen Gespann sich der Feind für die Nacht zum Lohne bedungen,
Schlagt des Waffen mir ab: dann war noch gütiger Ajax.
Brauch' ich zu nennen dazu Sarpe'dons des Lykiers Scharen,
Die mein Eisen gemäht? Ich streckte mit strömendem Blute
Kö'ranus, I'phitus' Sohn, und Chro'mius hin und Ala'stor,
Ha'lius auch, Alka'ndros und Pry'tanis samt dem Noe'mon,
Tho'on gab ich dahin und Chersi'damas jähem Verderben,
Cha'rops, E'nnomus dann, den trieb unbeugsames Schicksal,
Und die minder berühmt vor unserem Arme gesunken
[67] Unter den Mauern der Stadt. Auch Wunden, ihr Bürger, empfing ich
Rühmlich am richtigen Ort, und glaubt nicht eitelen Worten,
Hier seht her!« – und er zog das Gewand auseinander und sagte: –
»Das ist die Brust, die stets für euere Sache sich mühte.
Ajax aber vergoß kein Blut für seine Gefährten
Soviel Jahre hindurch; sein Leib zeigt keine Verletzung.
Wenn er sich rühmt, daß er die pelasgische Flotte beschützend
Gegen die Tro'er gekämpft und Jupiter, wenig verschlägt es.
Wahr ist, daß er gekämpft: das Verdienst böswillig zu schmälern
War ja nie mein Brauch; nur soll er gemeinsame Ehre
Nicht bloß nehmen für sich und euch auch einige gönnen.
Weg trieb A'ktors Sproß, in Achilles' Bilde gesichert,
Ehe die Schiffe zugleich mit dem Schützer verbrannten, die Troer.
Daß nur er es gewagt, zu begegnen dem Hektor im Zweikampf,
Wähnet er auch und vergißt des Königs, der Fürsten und meiner,
Er als neunter bereit und vom Los vor andern begünstigt.
Wie denn aber ergab sich der Ausgang eueres Kampfes,
Tapferster? Hektors Leib ist nicht im geringsten geschädigt.
Ach, wie füllt sich das Herz mit Wehmut, da ich gedenken
Muß an die traurige Zeit, wo die Mauer der Gra'jer, Achilles,
Sank in den Staub, wo mich nicht Thränen und Gram und Bestürzung
Hinderten, da ich den Leib vom Boden gehoben hinwegtrug!
Ich, ja ich trug hier auf der Schulter den Leib des Achilles,
[68] Ihn und die Waffen zugleich, die ich nun auch hoffe zu tragen.
Kraft wohl hab' ich genug, so wuchtige Bürde zu halten;
Wenigstens hab' ich ein Herz, das würdiget euere Ehre.
Darum hätte sich wohl für den Sohn die bläuliche Mutter
Eifrig mit Bitten bemüht, daß jetzo die himmlischen Gaben,
Werke der trefflichen Kunst, ein roher und fühlloser Krieger
Führete? Nicht einmal die Gebilde des Schildes versteht er,
Länder und Meer und erhöht am Himmelsgewölb' der Plejaden
Und der Hyaden Gestirn und die Wellen vermeidende Bärin,
Städte verschieden an Thun und das blinkende Schwert des Ori'on.
Waffen verlangt er für sich, dazu es ihm mangelt an Einsicht.
Rügend erwähnet er gar, ich habe des drückenden Krieges
Lasten zu fliehn erst spät mich gestellt zur begonnenen Mühsal,
Ohne zu sehn, daß so er gescholten den kühnen Achilles.
Nennt er Verstellen Vergehn: wir beide gebrauchten Verstellung.
Dünkt ihm Zögerung Schuld: ich kam noch früher als jener.
Mich hielt liebendes Weib, den Achi'lles liebende Mutter:
Ihnen gehörte die Zeit des Beginns, euch aber die Folge.
Sorglos läßt mich, und könnt' ich ihn nicht abweisen, der Vorwurf,
Welchen ein Held wie er auch trägt. Doch ward von Ulixes'
Klugheit jener entdeckt, nicht aber Uli'xes von Ajax'.
Daß er auf mich Schmähreden ergießt mit der albernen Zunge,
Wundern kann es uns nicht, da er euch Schamwürdiges selber
Vorwirft. Oder gereicht mir wohl, daß ich Palamedes
Falsch anklagte, zum Schimpf, euch falsche Verdammung zur Ehre?
Aber es konnt' auch nicht so großen erwiesenen Frevel
Nau'plius' Sohn wegleugnen: gehört habt ihr sein Verschulden
Nicht bloß, sondern gesehn, und Beweis gab klar die Belohnung.
[69] Auch, daß Pö'as' Sohn noch hält die vulkanische Le'mnos,
Fällt mir nimmer zur Last. Rechtfertiget euer Verfahren,
Denn ihr willigtet ein. Ich riet, nicht will ich es leugnen,
Daß er fern von des Kriegs und des Weges Beschwerden sich hielte
Und den verzehrenden Schmerz durch Ruhe versuchte zu lindern.
Folgsam war er und lebt. So war glückbringend der Vorschlag,
Nicht wohlmeinend allein, was doch schon müßte genügen.
Weil zu Pergamus' Fall nun jenen verlangen die Seher:
Nehmet den Gang mir ab! Viel besser entsendet ihr Ajax:
Der wird sprechend den Mann, den Zorn macht rasen und Siechtum,
Sänftigen oder geschickt weglocken mit listigem Kunstgriff.
Eher zurück mag Si'moïs gehn und des Laubes entbehren
I'da, eher verheißt wohl Hilfe den Tro'ern Achai'a,
Als, wofern mein Kopf nichts thäte zu euerem Besten,
Ajax' schwacher Verstand je nütze den Da'naern wäre.
Sei nur, bitter im Groll, Philokte'tes, deinen Gefährten
Feind und dem König und mir, ja rufe Verwünschungen endlos
Über mein Haupt und Fluch, und sehne dich, daß ich dir komme
Unter die zornige Faust und daß mein Blut du verströmest:
Dennoch geh' ich dir nach (auf daß mit mir du zurück kehrst),
Und ich bemächtige mich, so das Glück will, deiner Geschosse
Ebenso gut, wie einst ich fing den darda'nischen Seher,
Wie ich den Götterbescheid aufdeckt' und Troja's Bestimmung,
Wie ich entführt das verwahrte Gebild der phrygischen Pa'llas
[70] Mitten aus feindlichem Volk. Und mir gleich dünket sich Ajax?
Troja zu nehmen verbot das Verhängnis ohne das Bildnis.
Wo ist Ajax der Held? Wo ist des gewaltigen Mannes
Prahlendes Wort? Was fürchtest du hier? Warum ist Ulixes
Kühn, durch Wachen zu gehn und sich zu vertrauen dem Dunkel
Und durch Schwerter hindurch nicht nur in die Mauern der Troer,
Sondern zu schleichen hinauf zur Burg und zu rauben die Göttin
Von der geheiligten Statt und den Raub durch Feinde zu tragen?
Hätt' ich nicht es gethan, dann hätte die Linke bewaffnet
Te'lamons Sohn nutzlos mit der siebenfältigen Rindshaut.
Dazumal in der Nacht ward ich der Bewältiger Tro'ja's;
Pe'rgamus hab' ich besiegt, da, als ich es machte besiegbar.
Hinzudeuten mit Blick und Gemurmel auf meinen Tydi'den,
Laßt nur ab! Ihm bleibt von dem Ruhm der gebührende Anteil.
Du auch warst, wie den Schild für die einige Flotte du hieltest,
Nicht allein; du standest im Schwarm; ich hatte nur einen.
Wüßt' er nicht, daß weit nachstehe dem Klugen der Kämpfer,
Daß mit nichten der Preis unbändiger Rechten gehöre,
Würb' er selber darum, und mit dem bescheidenern Ajax
Würb' Eury'pylus kühn im Streit, und des edlen Andrä'mon
Sohn und Ido'meneus auch und Meri'ones, stammend aus gleicher
Heimat, würben darum und der Bruder des ältern Atri'den.
Stark sind die mit der Faust und stehen wie du im Gefechte:
Meinem beratenden Geiste doch wichen sie. Streitbare Rechte
Hast du, aber Verstand, dem not thut unsere Leitung.
Dein ist Kraft, doch ohne Bedacht, mein Sorge der Zukunft;
Du bist tüchtig im Kampf; die gelegene Stunde des Kampfes
Wählt der Atride mit mir; du nützest allein mit dem Leibe,
Wir mit dem Geist. So viel, wie über dem Amte des Ruderns
Stehet der Lenker des Schiffs, wie über dem Krieger der Führer,
Steh' ich höher als du. Auch ist ja in unserem Körper
Besser die Brust wie der Arm: aus ihr stammt Leben und Thatkraft.
[71] Auf denn, gebet den Lohn, ihr Edelen, euerem Wächter;
Für Unruhen und Müh'n, die so viel Jahre mich drückten,
Gönnt dies Ehrengeschenk zur Vergeltung meiner Verdienste!
Schon ist am Ende das Werk; weg drängt' ich das wehrende Schicksal;
Pe'rgamus hab' ich gestürmt, da möglich gemacht die Erstürmung.
Bei dem gemeinsamen Wunsch, bei den fallenden Mauern der Troer,
Bei der unsterblichen Macht, die jüngst ich entführte dem Feinde,
Fleh' ich, bei allem dazu, was noch zu vollbringen mit Klugheit,
Wenn auf gefährlichem Pfad noch kühn zu bestehen ein Wagnis,
Wenn ihr vermeint, daß eins noch fehle zu Troja's Verderben:
Zeigt euch meiner gedenk! Wenn ihr mir nicht gebet die Waffen,
Gebet sie ihr!« Und er wies auf das wichtige Bild der Mine'rva.
Wirkung that es im Rat, und die Macht einnehmender Rede
Zeigt der Erfolg: es erhielt der Beredte des Tapferen Waffen.
Er, der Hektor allein, der vielmal Eisen und Feuer,
Jupiter selber bestand, kann stand nicht halten dem Zorne.
Ihn, den keiner bezwang, zwingt Schmerz. Und er faßt nach dem Schwerte:
»Das doch« – ruft er – »ist mein! Will das auch heischen Ulixes?
Gegen mich selbst nun sei es gewandt, und das von der Phryger
Blute getrieft oftmals, soll triefen vom Blut des Besitzers,
Daß kein anderer kann als Ajax fällen den Ajax.«
Sprach's und stieß in die Brust, die jetzt erst Wunde gelitten,
Wo für den Stahl Durchgang, die verderbliche Spitze des Schwertes.
Kräfte versagten der Hand zu entziehen das haftende Eisen;
Blutstrom trieb es heraus, und die Erde, vom Blute gerötet,
Ließ aus dem Rasen erstehen die purpurfarbige Blume,
Die schon früher gekeimt vom Mord des öba'lischen Knaben.
Beiden, dem Knaben gemein und dem Mann, steht deutlich ein Schriftzug
Mitten zu sehn auf dem Blatt, so Namen wie Klage bezeichnend.
[72] Drauf zu dem Heimatland Hypsi'pyle's und des berühmten
Tho'as, das in Verruf vom Morde der Männer vor alters,
Segelt der Sieger, von dort die tiry'nthischen Pfeile zu holen.
Als er dem grajischen Heer sie gebracht, vom Besitzer begleitet,
Legt dem verzögerten Krieg man endlich vollendende Hand an.
Da geht Troja zu Fall samt Pri'amus. Priamus' Gattin,
Arm und verlassen, verliert nach allem die menschliche Bildung,
Und es erschreckt ihr neues Gebell auswärtige Lüfte,
Wo in die Enge sich zwängt der gedehnete Hellespo'ntus.
I'lion loderte auf, und stets noch brannte das Feuer.
Priamus hatte, der Greis, mit kärglichem Blute befeuchtet
Jupiters Herd. An den Haaren geschleift hielt flehend des Phö'bus
Priesterin sonder Erfolg zum Äther gehoben die Hände.
[73] Edle dardanische Frau'n, die halten, so lang es vergönnt ist,
Heimischer Götter Gebild' und in brennenden Tempeln sich drängen,
Schleppen die Grajer davon siegsfroh als beneidete Beute.
Jach wird niedergestürzt Asty'anax hoch von dem Turme,
Wo er den Vater so oft, wenn ihn zeigte die Mutter, gesehen,
Wie er gestritten für ihn und behauptet der Ahnen Besitztum.
Bo'reas mahnet zur Fahrt, und geschwellt von günstigem Lufthauch
Rauschen die Linnen am Mast, und den Wind heißt nutzen der Schiffer.
»Troja, wir müssen hinweg, fahr' wohl!« So ruft der Troa'den
Schar, und sie küssen das Land und verlassen die rauchende Heimat.
Kläglich zu sehen besteigt am letzten von allen die Flotte
Hekuba, die man fand inmitten der Gräber der Söhne.
Wie sie die Hügel umfing und mit Küssen bedeckte die Reste,
Zog die duli'chische Hand sie hinweg. Von dem einzigen Hektor
Raffte die Asche sie noch und führte sie mit in dem Busen,
Und ein ergrauetes Haar, zur dürftigen Spende dem Toten,
Ließ sie auf Hektors Grab, ein Haar vom Scheitel und Thränen.
Phrygiens Strand alldort, wo Troja gestanden, genüber
Liegt ein Gebiet, von Bisto'nen bewohnt. Dort war Polyme'stors
Prächtige Königesburg, dem dich, Polydo'rus, zur Pflege
Heimlich der Vater vertraut und den phrygischen Kämpfen entzogen,
Weise bedachter Entschluß, wenn nicht auch Schätze er mitgab,
Lohn für frev'lige That und geizigen Sinnes Verlockung.
Als nun Phrygiens Glück im Staub lag, nimmt der verruchte
König der Thraker das Schwert und durchschneidet die Kehle dem Pflegkind;
[74] Dann, als könnt' er die Schuld wegschaffen zugleich mit dem Leichnam,
Stürzt er hinab ins Meer den Entseeleten oben vom Felsen.
Rastend am thrakischen Strand lag A'treus' Sohn mit der Flotte,
Harrend auf ruhige See und besser befreundete Winde.
Hier steigt plötzlich hervor so groß, wie er lebend gewesen,
Aus weit berstendem Grund in drohender Haltung Achilles,
Und in dem Antlitz trug er dieselbige Miene wie damals,
Als er im Grimm angriff mit vermessenem Schwert Agamemnon.
»Mein so wenig gedenk abziehet ihr,« – sprach er »Achiver?
Wäre verscharrt mit mir der Dank für unsere Thaten?
Das sei fern, und damit mein Grab nicht Ehre vermisse,
Ströme Poly'xena's Blut des Achilles Manen zur Sühne!«
Sprach's, und dem zürnenden Geist ward Folge: vom Busen der Mutter
Reißen die Krieger ihr fast noch einziges Kind, und die Jungfrau,
So unglücklich und stark und erhaben ob weiblicher Schwäche,
Wird zu dem Grabe geführt als Opfer an schrecklicher Brandstatt.
Ihrer verblieb sie gedenk, und als sie am grausamen Altar
Stand und ersah, da ihr nur galt die entsetzliche Feier,
Und Neopto'lemus sah dastehn und halten das Eisen,
Während an ihrem Gesicht sein Blick stets haftete, sprach sie:
»Zaudere nicht, laß rinnen das Blut untad'ligen Adels!
Auf, ich stehe bereit: in den Hals hier oder den Busen
Senke den Stahl!« – und den Hals entblößt sie zugleich und den Busen –
[75] »Nimmer ertrüg's ja doch Polyxena, einem zu dienen;
(So wird aber ein Gott durch seltenes Opfer gesühnet).
Bliebe mein Tod nur stets, das wünscht' ich, verborgen der Mutter!
Sie nur hindert und trübt mir die Freude des Todes, wiewohl ihr
Nicht mein Tod, vielmehr ihr Dasein ist zu beseufzen.
Ihr, daß nicht unfrei zu den stygischen Manen ich gehe,
Bleibet mir fern, wenn gerecht mein Begehr, und berühret die Jungfrau
Nicht mit männlicher Hand! Für jenen gewiß ist genehmer,
Wem ihr immer gedenkt mein Blut zur Sühne zu weihen,
Frei sich bietendes Blut. Doch falls euch rühren die letzten
Worte von unserem Mund – des Königes Pri'amus Tochter,
Nicht die Gefangene, fleht –, gebt willig der Mutter die Leiche;
Laßt sie das traurige Recht der Bestattung erkaufen mit Thränen,
Nicht mit Gold! Sie erkaufte mit Gold auch, als sie es konnte.«
Also redete sie. Nicht wehret die Menge den Zähren,
Denen Polyxena wehrt. Selbst weinend mit zagender Rechten
Stößt in die harrende Brust das gebotene Eisen der Priester.
Jene, mit brechendem Knie kraftlos hinsinkend zur Erde,
Ließ nichts blicken von Furcht im Gesicht beim nahenden Ende.
Da auch, während sie fiel, noch war sie besorgt, zu verhüllen,
Was zu bedecken geziemt, und züchtige Scham zu bewahren.
Troja's Frau'n sind stützend ihr nah' und gedenken beweinter
Priamiden und was ein Haus an Blute gegeben,
Klagen um dich, Jungfrau, und um dich, jüngst Königsgemahlin,
Königsmutter genannt, der blühenden A'sia Abbild,
Nun ein verachtes Los vom Raub, das der Sieger Uli'xes
Nicht hinnähme für sich, wenn dir nicht Hektor das Leben
Hätte verdankt: kaum findet den Herrn für die Zeugerin Hektor.
Die umschlinget den Leib, der bar der entschlossenen Seele;
Thränen, geweint so oft um das Land und den Mann und die Kinder,
Weint um diese sie auch; mit Thränen begießt sie die Wunde,
Deckt mit dem Munde den Mund und schlägt an den trauergewohnten
[76] Busen und schleift im geronnenen Blut das erblichene Haupthaar,
Und mit gegeißelter Brust auch solches zu anderem sprach sie:
»Tochter, du letzter Verlust – denn was bleibt übrig? – der Mutter,
Tochter, du liegst, und ich seh' in der deinen die eigene Wunde.
Daß nicht, außer durch Mord, ich einen verlöre der Meinen,
Klafft auch Wunde an dir. Dich hätt' ich, dieweil du ein Weib warst,
Sicher gewähnt vor dem Stahl: als Weib auch sankst du vom Stahle.
Er gab dich in den Tod, der auch so viele der Brüder
Tötete, Troja's Verderb und unser Verwaiser, Achi'lles.«
Als ihn mit dem Geschoß hinstrecketen Pa'ris und Phö'bus,
Sprach ich: ›Fürder ist nun doch nicht zu fürchten Achilles.‹
Da noch war er zu fürchten für mich. Des Bestatteten Asche
Wütet in uns'rem Geschlecht, und wir spüren im Grabe den Feind auch.
Furchtbar war ich für Äakus' Sproß. Die gewaltige Troja
Liegt, und des Volks Drangsal ist geendet in schwerer Entscheidung,
Aber sie endete doch. Für mich steht Pergamus jetzt noch,
Und es behält Fortgang mein Schmerz. Jüngst mächtig vor allen,
Groß durch die Eidame all, durch die Kinder, die Schnuren, den Gatten,
Muß ich verbannt, hilflos, von den Gräbern der Meinen gerissen,
Fort zu Pene'lope's Dienst. Die sagt dann I'thaka's Müttern,
Deutend auf mich, wenn ich spinne mein Teil: »Das ist die berühmte
Tro'ische Frau, die Hektor gebar, das Pria'mus' Gattin!«
Nach so vieler Verlust bist du, in dem Jammer der Mutter
Noch ihr einziger Trost, am feindlichen Grabe geopfert.
Totengabe gebar ich dem Feind. Was bleib' und verzieh' ich,
Hart wie Stahl? Was hebst du mich auf, vieljähriges Alter?
Grausame Götter, wozu noch dehnt ihr das Leben der Greisin,
Als daß Leichen sie sieht stets neu? Wer möchte vermeinen,
[77] Daß nach Pe'rgamus' Fall noch Pri'amus glücklich zu preisen?
Ja, er ist glücklich im Tod: er sah nicht, wie sie gemordet
Dich, mein Kind, und schied von dem Leben zugleich und der Herrschaft.
Doch sie bestatten dich wohl hochfeierlich, fürstliche Jungfrau,
Setzen gewiß dich bei in der Stammgruft neben den Ahnen?
So wohnt nicht in dem Hause das Glück. Als Spende der Mutter
Werden dir Thränen zu teil und ein Häuflein Sand in der Fremde.
»Uns ist alles geraubt. Mir bleibt, weshalb ich dem Leben
Gönne noch kurzen Bestand, Polydo'rus, der liebste der Mutter,
Jetzo der einzige, sonst vom männlichen Stamme der jüngste,
Den der Isma'rierfürst aufnahm an diesen Gestaden.
Doch was säum' ich indes, ihr die grausame Wunde zu waschen
Und das bespritzte Gesicht von dem schrecklichen Blute zu säubern?«
Also sprach sie und ging mit wankendem Schritte, die weißen
Haare zerrauft, an den Strand. »Reicht her, Troa'den, die Urne!«
Hatte die Ärmste gesagt, daß flüssige Wellen sie schöpfte.
Sieh, sie gewahrt, wie zum Ufer gespült tot liegt Polydo'rus
Und von dem thrakischen Schwert weit klafft die entsetzliche Wunde.
Laut schrei'n Troja's Frau'n; stumm bleibt im Schmerze die Mutter,
Denn mit der Stimme zugleich schluckt innen sich regende Zähren
Eben der Schmerz in sich, und vergleichbar hartem Gesteine
Starrt sie und heftet den Blick bald vor sich hin auf die Erde,
Bald auch richtet sie auf zum Äther das finstere Antlitz;
Bald das Gesicht, bald schaut sie die Wunde des liegenden Sohnes,
Aber die Wunde zumeist, und nährt und schüret den Ingrimm.
Wie er zur Flamme gefacht, da füllt, als bliebe sie immer
Königin, Rache ihr Herz, und sie lebt in Gedanken der Strafe.
So wie die Löwin in Wut, der genommen das saugende Junge,
Ohn' ihn zu sehen, dem Feind nachjagt, des Spur sie gefunden:
So nimmt Hekuba auch, da Zorn sich mengte mit Jammer,
Ihres Verlangens gedenk, nicht aber der Jahre gedenkend,
Zu Polyme'stor den Weg, dem Verüber des gräßlichen Mordes,
Und sie begehrt ein Gespräch: Gold wolle sie, das in der Heimat
Läge versteckt, auf daß er es gebe dem Sohn, ihm verraten.
[78] Glaublich erschien's, und der Fürst der Odry'ser, gewöhnt an die Habgier,
Findet allein sich ein. Arglistig mit schmeichelndem Munde
Sprach er: »Hekuba, gib nur rasch für den Sohn die Geschenke!
Was du mir gibst, was früher du gabst, – bei den Himmlischen schwör' ich –
Alles verbleibt für ihn.« Wie er redete schuldig des Meineids,
Schaut sie finster ihn an und wallt von steigendem Zorne.
So nun packt sie ihn fest und ruft der gefangenen Mütter
Menge herzu und stößt in die treulosen Augen die Finger,
Reißt sie im Nu aus den Wangen heraus – stark macht sie der Ingrimm –,
Bohrt mit den Händen und gräbt, mit dem schuldigen Blute besudelt,
Nicht in den Augen, davon nichts blieb, in der Stelle der Augen.
Aber die Thraker, erbost, daß solches dem Herrscher gethan war,
Fallen die Tro'erin an mit Steinen zugleich und Geschossen.
Hinter geworfenem Stein eilt jene mit heiserem Heulen
Und will schnappen danach, und wie sie zu reden gedachte,
Scholl aus dem Rachen Gebell – noch heute, benannt von dem Wunder,
Zeigt man den Ort –, und lange gedenk vormaliger Leiden
Heulte sie da auch noch schmerzvoll in sitho'nischen Fluren.
Ihre Trojaner bewegt und sogar die pelasgischen Feinde
Hekuba's herbes Geschick; es bewegt auch alle die Götter,
Alle gesamt, sodaß gar Jupiters Gattin und Schwester
Selber gestand, das habe sie nicht zu erleiden verdienet.
Müßig ist nicht, obwohl sie die nämlichen Waffen begünstigt,
Troja's und Hekuba's Fall und Verderb zu empfinden Auro'ra:
Nähere Sorge befängt und häusliche Trauer die Göttin,
[79] Da sie den Me'mnon verlor. Ihn sah in den phrygischen Feldern
Vom Achille'ischen Speer hinsinken die rosige Mutter,
Sah's, und der Purpurschein, davon sich die Frühe des Tages
Rötet, erblaßte sogleich, und in Wolken verbarg sich der Äther.
Als nun aber der Leib zur Bestattung lag auf dem Feuer,
Konnte die Mutter es nicht ansehn: mit gelösetem Haupthaar,
So wie sie war, verschmähte sie nicht zu umfassen des großen
Jupiter Knie und so zu Thränen die Worte zu fügen:
»Keiner der Göttinnen gleich, die wohnen im goldenen Äther, –
Denn mir stehen erbaut auf Erden die seltensten Tempel –
Komm' ich zu dir doch nicht, Wohnstätten und heilige Tage
Mir zu erbitten von dir und mit Feuer zu wärmende Herde.
So du bedächtest indes, was mir du verdankest, dem Weibe,
Wenn ich die Grenzen der Nacht mit erneuetem Lichte bewache,
Schien' ich dir Lohns wohl wert. Doch das nicht kümmert Aurora,
Nicht so steht es mit ihr, daß schuldige Ehren sie heische:
Memnons komm' ich, des Sohnes, beraubt, der streitbare Waffen
Eitel erhob für den Ohm und bezwungen vom starken Achilles –
Ihr ja habt es gewollt – in der blühenden Jugend dahinsank.
Gib, ich bitte, zum Trost für den Tod ihm einige Ehre,
Höchster im göttlichen Rat, und lindre die Wunde der Mutter!«
Jupiter nickte Gewähr. Als Memnons ragender Holzstoß
Sank mit dem lodernden Brand und die Wirbel des schwärzlichen Rauches
Dunkel verdeckten den Tag, gleichwie wenn steigende Nebel
Hauchet der Strom und der Sonne verwehrt nach unten zu dringen,
Flieget die Asch' umher, und zu einem verdichteten Körper
Wird sie geballt und gewinnet Gestalt und eignet vom Feuer
Wärm' und Leben sich an. Mit Schwingen begabt sich die leichte.
Ähnlich dem Vogel zuerst, bald aber ein wirklicher Vogel,
Regte sie rauschenden Flug, und zugleich unzählige Schwestern
Rauscheten, alle gezeugt auf die selbige Art. Um den Holzstoß
Kreiset die Schar dreimal, und dreimal geht in die Lüfte
[80] Einig Geschrei; drauf teilt sich der Schwarm in dem vierten der Flüge.
Feindlich geschieden sodann in zwei kampflustige Heere,
Führen sie blutigen Krieg und fallen mit Schnäbeln und Krallen
Zornig sich an und ermüden die Brust und die Flügel im Andrang,
Und das entstand'ne Geschlecht, das verwandt der bestatteten Asche,
Sinkt als Opfer am Grab und gedenkt der Entstehung vom Helden.
Vom Urheber behält das neue Geflügel den Namen,
Me'mnonsvögel genannt. Wenn Sol zwölf Zeichen durchlaufen,
Eilen sie wieder zum Kampf und sterben dem Vater zur Sühne.
War drum kläglich zu sehn, daß bellte die Tochter des Dy'mas,
Anderen, eigenem Leid hängt nach Auro'ra, und Zähren
Weiht sie dem Sohn noch jetzt und betauet die sämtlichen Lande.
Doch nicht läßt das Geschick mit Tro'ja's Mauern die Hoffnung
Schwinden. Das heilige Gut und das andre dazu, den Erzeuger,
Trägt der kythe'rische Held, ehrwürdige Last, auf der Schulter.
[81] Ihn und den Sohn Asca'n erwählt als Beute der Fromme
Aus so reichem Besitz und begibt sich mit flüchtiger Flotte
Weg von Anta'ndrus in See, und die ruchlosen Schwellen der Thra'ker
Läßt er zurück und das Land, das jüngst mit Blut Polydo'rus
Hatte genetzt, und bei dienlichem Wind und günstiger Strömung
Landet er nun an der Stadt des Apo'llo mit seinen Gefährten.
Ihn nimmt A'nius auf gastfreundlich in Tempel und Wohnung,
Der für das Volk treu wacht' als Fürst, als Priester für Phö'bus,
Und sie besehen die Stadt und das heilige Haus und die beiden
Stämme, daran vormals sich kreißend gehalten Lato'na.
Als Weihrauch sie den Flammen geweiht nebst Güssen des Weines,
Auch nach Sitte verbrannt die Geweide geschlachteter Rinder,
Gehn sie zum Königesschloß, und auf hoch daliegendem Teppich
Nehmen sie Ce'resfrucht mit der flüssigen Gabe des Ba'cchus.
Drauf Anchi'ses der Greis: »O trefflicher Priester des Phöbus,
Irr' ich mich? Hattest du nicht, wie zuerst ich schaute die Stadt hier,
Außer dem Sohn vier Töchter, soviel im Geiste mir vorschwebt?«
Anius schüttelt das Haupt, mit der schneeigen Binde umgeben;
Traurig erwidert er dann: »Mit nichten, erhabener Heros,
Irrest du dich: du hast als Vater von fünfen gesehen,
Den du nun – so spielt mit den Menschen der Wechsel der Dinge –
Siehst beinahe verwaist. Denn was für Stütze gewährt mir
Mein abwesender Sohn, den ihm gleichnamig das Eiland
A'ndros besitzt, wo er Reich und Gebiet für den Vater verwaltet?«
Deutungsgabe verlieh ihm der Delier; andere Gabe,
Mehr als je sie gewünscht und mehr als glaublich, gewährte
Li'ber dem weiblichen Stamm: durch unserer Töchter Berührung
[82] Wandelte alles sich um zu Getreide, zu Beeren Mine'rva's
Oder zu lauterem Wein, und Gewinn kam reichlich von ihnen.
Wie das A'treus' Sohn, der Zertrümmerer Troja's, vernommen, –
Magst du erkennen daraus, daß wir auch etwas erfahren
Von dem Gewitter bei euch, – da, Stärke der Waffen gebrauchend,
Riß er sie weg mit Gewalt vom Schoße des Vaters und hieß sie
Durch ihr Himmelsgeschenk die argo'lische Flotte versorgen.
Flucht nimmt jede, wohin sie vermag. Zwei gehn nach Eubö'a,
Während die anderen zwei sich nach A'ndros begeben zum Bruder.
Kriegsvolk naht und bedroht mit Krieg, falls jene man weig're.
Über die Lieb' obsiegte die Furcht, und er gab die verwandten
Seelen heraus. »Doch magst du verzeihen dem zagenden Bruder:
Nah war nicht Äne'as und nicht, zu beschützen den Andros,
He'ktor, der Held, durch die ihr standet ins zehnte der Jahre.
Fesseln waren bereit schon für die gefangenen Arme.«
Jene, die Hände bis jetzt noch frei aufhebend zum Himmel,
Fleheten: »Steh' uns bei, o Vater Lyä'us!« und Beistand
Gab der Verleiher der Gunst, wenn Beistand heißet Vernichtung
Außergewöhnlicher Art. Doch wie die Gewalt sie verloren,
Das ward nie mir bekannt; auch jetzt nicht kann ich es sagen.
»Was draus ward, ist bekannt: sie wurden befiedert zu Vögeln,
Die dein göttliches Weib wert hält, zu schneeigen Tauben.«
Als sie die Stunden des Mahls mit solchen und anderen Reden
Hatten verbracht, ward Ruhe gesucht nach geräumeter Tafel.
Früh mit dem Tag sind sie auf und befragen des Phöbus Orakel,
Und zu dem Ursitz heißt er sie zieh'n, zum verwandten Gestade.
Anius gibt das Geleit und beschenkt mit prächtigem Scepter
[83] Scheidend Anchises den Freund, mit Mantel und Köcher den Enkel;
Für Äneas bestimmt ist ein Krug, den jenem vor Zeiten
The'rses geschickt vom ao'nischen Strand, der isme'nische Gastfreund.
Therses hatt' ihn geschickt, doch A'lkon hatt' ihn gefertigt,
Hy'lä entstammt, und geziert mit vielen getriebenen Bildern.
Häuser erschienen darauf, und deutlich gewahrte man sieben
Thore, daran zu erkennen die Stadt auch ohne den Namen.
Leichengefolg' vor der Stadt, Grabhügel, geschichtete Brände,
Mütter mit fliegendem Haar und mit unverhülletem Busen
Deuten auf Trauer und Weh. Auch weinende Nymphen erblickt man,
Die um vertrockneten Born Leid tragen. Entkleidet des Laubes,
Starret der Baum. An dürrem Gestein gehn rupfende Ziegen.
Mitten in The'bä stehn zu sehen die Töchter Ori'ons,
Wie sich den offenen Hals nicht weibisch die eine verwundet,
Wie die entschlossene Brust mit dem Stahl durchbohrend die andre
Fällt, zu erlösen ihr Volk, und wie man im ehrenden Grabzug
Hin durch die Straßen sie trägt und verbrennt an belebeter Stätte;
Wie zwei Jünglinge dann aus der Jungfrau'n Asche sich heben,
Daß sich erhalte der Stamm, Koro'nen genannt von der Sage,
[84] Die dann führen den Zug, der die Asche der Mütter bestattet.
Soweit glänzten Gebild' am Erze des alten Gefäßes;
Oben umgab es gezackt mit Golde bezog'ner Akanthus.
Gaben erstatten dafür nicht leichter an Wert die Trojaner:
Phöbus' Priester erhält Weihrauch einschließende Büchse,
Opfergeschirr und von Gold und Gestein hell blitzende Krone.
Drauf nun fuhren sie ab, in Erinnerung, daß sich die Teukrer
Führten auf Teu'cer zurück, nach Kreta, aber das Klima
Konnten sie dort nicht lange bestehn, und verlassend die hundert
Städte, verlangten sie jetzt im auso'nischen Hafen zu rasten.
Sturmwind wütet und wirft sie umher, und wie der Stropha'den
Tückische Bucht sie erreicht, bringt Schreck die beschwingte Ae'llo.
Schon an duli'chischer Bucht, an I'thaka schon und an Sa'mos
Und am neritischen Sitz, dem Gebiete des falschen Uli'xes,
Ging vorüber die Fahrt. Ambra'cia, welche die Götter
Reizte zum Streit, und den Fels in Gestalt des gewandelten Richters
[85] Schauen sie, der nunmehr Ruf hat von dem aktischen Phö'bus,
Auch das dodo'nische Land, das redet im kündenden Eichstamm,
Und die chaonische Bai, wo einst des molossischen Königs
Söhne dem frevligen Brand mit erwachsenen Flügeln entflohen.
Nach dem Phäa'kengebiet, das mit Obste gesegnet zunächst war,
Steuern sie dann. Drauf geht nach Epi'rus die Fahrt und Buthro'tus,
Troja's ähnlichem Bild, wo herrschte der phrygische Seher.
Sicher der Zukunft nun, denn jegliches hatte geweissagt
He'lenus, Pri'amus' Sohn, treu mahnend, gelangten sie glücklich
An das sika'nische Land. Das streckt drei Zungen ins Meer aus,
Davon dem Regen des Südens Pachy'nus entgegen sich wendet,
Sanft anwehendem West sich beut Lilybä'um, zur Bärin,
Welcher die Wogen versagt, und zum Bo'reas schauet Pelo'rus.
Da nun kommen sie hin, und mit Rudern und günstiger Strömung
Landet bei sinkender Nacht an Za'nkle's Sande die Flotte.
Rechts bellt Scy'lla mit Graus, links dreut nie rastend Chary'bdis.
Diese verschlingt und speit dann wieder geraffete Kiele.
Jene, den schwärzlichen Bauch mit grimmigen Hunden gegürtet,
Trägt Jungfrauengesicht, und, wofern nicht alles erfunden,
Was uns Dichter gesagt, sie war einst wirkliche Jungfrau.
Viele begehrten sie wohl zum Weib: sie, spröde den Freiern,
[86] Ging zu den Nymphen des Meers, lieb allen den Nymphen des Meeres;
Ihnen erzählte sie dann, wie der Jünglinge Liebe vereitelt.
Während zum Kämmen das Haar ihr einst hinhielt Galate'a,
Redete diese zu ihr tief seufzend die folgenden Worte:
»Dich, o Mädchen, begehrt kein Geschlecht rachsüchtiger Männer;
Straflos darfst du sie doch, wie du thust, abschlägig bescheiden:
Mir, die Ne'reus erzeugt und die bläuliche Do'ris geboren,
Die sich geborgen dazu auch weiß von der Menge der Schwestern,
War nicht anders vergönnt zu entgehn dem verliebten Cyklo'pen,
Als mit Jammer und Leid.« Und die Stimm' erstickten ihr Thränen.
Wie sie mit marmornem Daum die hatte getrocknet der Göttin
Und sie getröstet zugleich, sprach Scylla: »Erzähle mir, Traute;
Hehle mir nicht – mir darfst du vertrauen – den Grund der Betrübnis.«
Also versetzte dem Kind der Kratä'is die Tochter des Nereus:
»A'kis, von Fau'nus gezeugt mit einer symä'thischen Nymphe,
War herzinnige Lust für den Vater sowohl wie die Mutter,
Aber für mich noch mehr; er hatte mich einzig gefesselt.«
Schön war Wuchs und Gesicht, und die zart sich rundenden Wangen
Zeichnete zweifliger Flaum nach dem zweimal achten Geburtstag.
Nach ihm trachtete ich, nach mir endlos der Cyklope.
Wolltest du fragen jedoch, ob wir mehr Liebe dem A'kis,
Ob mehr Haß dem Cyklopen gehegt, nicht könnt' ich es sagen:
Gleich war beides in mir. Wie weit, holdselige Venus,
Reicht nicht deine Gewalt! Selbst jener entsetzliche Unhold,
Wäldern ein Grauen sogar, den straflos nimmer ein Fremdling
Schaute, des großen Olymps und der ewigen Götter Verächter,
Wird, was Liebe, gewahr, und zu uns von Verlangen ergriffen
Glüht er und hat nicht acht auf das Vieh und die bergende Höhle.
Schon nun bist du bedacht auf Putz und bedacht zu gefallen,
Kämmst dein borstiges Haar sorgsam mit dem Karst, Polyphe'mus,
[87] Und es beliebt dir, den struppigen Bart mit der Sichel zu stümpfen,
Auch dein wüstes Gesicht im Wasser zu schau'n und zu ordnen.
Wildheit, Liebe zum Mord und der unersättliche Blutdurst
Rasten, und ohne Gefahr nun kommen und gehen die Schiffe.
Te'lemus, während der Zeit zur sikulischen Ätna verschlagen,
Telemus, Eu'rymus' Sohn, den nimmer betrogen ein Vogel,
Kommt zu dem Ungetüm Polyphemus: »Das einzige Auge«,
Spricht er, »inmitten der Stirn wird einst dir benehmen Ulixes.«
Doch der lacht und versetzt: »O dümmster der Seher, du irrst dich:
Eine benahm es mir schon.« So spottet er sein, der vergebens
Richtig gewarnt, und drückt bald schreitend mit mächtigem Fußtritt
Schwer auf den Strand, bald kehret er müd' in die finstere Höhle
Weit ragt vor in die Flut keilförmig ein Hügel mit langer
Spitze; zur Rechten bespült ihn die Woge des Meers und zur Linken.
Diesen ersteiget der wilde Cyklop' und sitzt in der Mitte;
Sein wolltragendes Vieh kam folgend, von keinem getrieben.
Als er die Fichte darauf, die, Rahen zu tragen geeignet,
Dienst ihm that als Stock, vor die Füße gelegt und die Flöte
Hielt am Munde, gefügt aus hundert vereinigten Rohren,
Ward sein Hirtengepfeif von den Bergen gespürt in der Runde,
Ward es gespürt von der Flut. Ich hörte, dem trautesten Akis
Sitzend im Schoß und gedeckt vom Felsen mit eigenen Ohren
Folgende Worte von fern und behielt im Geist das Gehörte:
»Ob Galate'a so weiß wie das Blatt schneehellen Ligusters,
Blühend und frisch wie die Au, so schlank wie die ragende Erle,
Glänzend wie heller Krystall, schalkhaft wie das hüpfende Böcklein,
Glatt wie von ständigem Meer am Strande gewaschene Muscheln,
[88] Lieblich wie sonniger Schein im Winter, wie Schatten im Sommer,
Edel wie saftiges Obst und schmuck wie die hohe Platane,
Licht wie spiegelndes Eis und süß wie die zeitige Traube,
Weich wie Flaum am Schwan und wie Milch vom Labe geronnen,
Reizend zu sehn, wenn nicht du entfliehst, wie gewässerter Garten!«
O Galate'a, zudem starrsinnig wie trotzende Rinder,
Trüglich wie wallende Flut, hart gleich vieljähriger Eiche,
Zäh wie Weidengesträuch, wie weißliche Ranken am Weinstock,
Unnachgiebig wie hier das Gestein, aufbrausend wie Stromfall,
Stolz wie der prächtige Pfau, wehthuend wie brennendes Feuer,
Heftig wie stechender Dorn, unsanft wie die säugende Bärin,
Taub wie die wogende See und erbost wie getretene Otter,
Was ich vor allem zumeist dir gern auch möchte benehmen,
Rascher im Lauf als der Hirsch, den jagt helltönendes Bellen,
Flüchtiger noch als der Wind und als der geflügelte Lufthauch!
Kenntest du mich nur recht, dich reute die Flucht, und das spröde
Zaudern verdammtest du selbst und trachtetest mich zu erhalten.
Tief im Berge gewölbt von lebendigem Felsen die Höhle
Nenne ich mein, wo nie in der Schwüle des Sommers die Sonne,
Nie mich Winter erreicht. Auch Obst an belasteten Zweigen
Hab' ich und Trauben wie Gold an den rankenden Reben erglänzend,
Purpurne auch sind mein: dir sparen wir diese wie jene.
Schwellende Erdbeer'n auch, im waldigen Schatten gewachsen,
Kannst du mit eigener Hand dir pflücken und herbstliche Hirschen,
Pflaumen dazu, nicht bloß von dunkelem Safte gebläute,
Sondern veredelte auch, frisch glänzendem Wachse vergleichbar;
Nie auch fehlet es dir an Kastanien, bist du die Meine,
Noch an A'rbutusfrucht: dir dient dann jeglicher Obstbaum.
All dies Vieh ist mein; auch viele noch irren in Thälern,
Viele noch heget der Wald, und gestallt sind viele in Höhlen.
Wenn du mich fragtest danach, nicht könnt' ich dir sagen die Anzahl:
Dürftige zählen allein ihr Vieh. Von dem Lobe des meinen
[89] Glaube mir nichts auf's Wort; komm selbst und betrachte die Schafe,
Wie mit den Beinen sie kaum umgehen das strotzende Euter!
Hier sind, jüngere Zucht, in laulichen Ställen die Lämmer;
Dort gleichalterig sind in anderen Ställen die Zicklein.
Schneeige Milch ist immer zur Hand; die heb' ich zum Trinken
Teils mir auf, teils wird sie verdickt vom erweicheten Labe.
Nicht bloß schaff' ich dir auch mühlos zu erlangende Kurzweil,
Gaben gewöhnlicher Art, wie Reh' und Hasen, ein Böcklein
Oder von Tauben ein Paar, aus dem Wipfel genommene Nester:
Unlängst hab' ich entdeckt, für dich ein ergötzliches Spielwerk,
Ganz einander sich gleich, daß kaum du vermagst sie zu scheiden,
Hoch auf erklommenem Berg zwei Junge der zottigen Bärin;
Diese entdeckt' ich und sprach: »Die heben wir auf für die Liebste.«
Hebe das niedliche Haupt nun auch aus dem bläulichen Meere,
Komm, Galate'a, herauf und verschmäh' nicht unsere Gaben!
Wahrlich, ich kenne mich wohl: ich sah mich im Spiegel des Wassers
Unlängst, und es gefiel mir meine Gestalt bei dem Anschaun.
Siehe, wie groß ich bin! Nicht ist in dem Himmel an Wuchse
Ju'piter größer als ich. Ihr pflegt euch ja zu erzählen,
Daß da herrsche ein Mann wie Jupiter. Reichliches Haar hängt
Über mein ernstes Gesicht und beschattet wie Wald mir die Schultern.
Daß auch rauh und dicht mir am Leib stehn starrende Borsten,
Achte für häßlich es nicht! Laublos sind häßlich die Bäume,
Häßlich das Roß, hüllt nicht ihm die Mähne den bräunlichen Nacken;
Vögel bekleidet ihr Flaum; zur Zierd' ist Wolle den Schafen:
Männern geziemet der Bart und struppige Borsten am Leibe.
Nur ein Aug' ist inmitten der Stirn mir, aber vergleichbar
Einem gewaltigen Schild. Wie? Sieht von der Weite des Himmels
Sol nicht alles umher? Auch ihm ist ein einziger Kreis nur.
Füge dazu, daß in euerem Meer mein Vater gebietet:
»Der soll Schwäher dir sein. Hab' endlich Erbarmen, erhöre
Mein inständiges Fleh'n. Denn dir nur lieg' ich zu Füßen.
Ich, der Jupiter höhnt und den schmetternden Blitz und den Himmel,
[90] Scheue mich, Nymphe, vor dir: dein Zorn ist schlimmer als Blitzstrahl.
Eher ertrüg' ich noch mit Geduld auch diese Verachtung,
Miedest du alle zugleich. Warum, den Cyklopen verschmähend,
Liebst du den Akis und wählst vor meinen Umarmungen Akis?
Mag der aber an sich, magst du, Galate'a, Gefallen
Finden an ihm – mein Wunsch ist's nicht –, wenn ich ihn erwische,
Wird ihm gezeigt, wie die Kraft auch stimmt zu der Größe des Leibes.
Lebend reiß' ich ihm aus die Geweid' und streu' ihn in Fetzen
Über die Felder und dir – so einiget euch! – in die Wellen.
Denn heiß brennt es in mir, und gestört braust wilder die Flamme;
Ja, mich dünkt, als trüg' ich mit seinen Gewalten den Ätna
Hier in den Busen versetzt, und nichts rührt dich, Galatea.«
Als er umsonst so hatte geklagt, – denn alles bemerkt' ich –
Springt er empor und tobt wie ein Stier, dem genommen die Sterke,
Kann nicht rasten und irrt in gewohneten Triften und Wäldern.
Da wird Akis und mich, die nichts argwöhnend und harmlos
Saßen, der Wilde gewahr. »Ich seh' euch,« ruft er, »und diesmal
Pflegt ihr zuletzt, das schwör' ich euch zu, einmütiger Liebe!«
Machtvoll scholl sein Ruf, so laut, wie nur ein Cyklope
Zornig die Stimme erhebt. Vor dem Schrei'n entsetzte sich Ä'tna.
Ängstlich verbarg ich mich in der Tiefe der nahen Gewässer.
Bang auch hatte zur Flucht sich gewandt der symä'thische Jüngling:
»Rette mich, ach, Galatea, ich bitt' euch, rettet mich, Eltern!«
Rief er. »In euer Gebiet gebt mir, dem verlorenen, Einlaß!«
Hinter ihm kommt der Cyklop, und ein Stück vom Berge gerissen
Schickt er ihm nach, und wiewohl zu jenem die äußerste Ecke
Nur von dem Berge gelangt, ward ganz doch Akis verschüttet.
Was uns aber zu thun von dem Schicksal einzig vergönnt war,
Thaten wir: daß sich die Kräfte des Ahns aneignete Akis.
Unter der Masse hervor floß punisches Blut, und nach Ablauf
[91] Kurz andauernder Frist fing an zu verschwinden die Röte;
Farbe des Stroms, den Regen getrübt, ist nun zu gewahren;
Die auch klärt sich gemach. Drauf spaltet sich berstend die Steinlast;
Schlank aufsteigend ersteht aus den Ritzen lebendiges Schilfrohr,
Und der geöffnete Fels tönt rauschend von quellendem Wasser.
Plötzlich, o Wunder, entragt bis zur Mitte des Bauches den Wellen,
Um sein neues Gehörn Rohrflechten gewunden, ein Jüngling,
Der, nur größer zu sehn und bläulich im ganzen Gesichte,
Akis glich. Auch so noch war er, gewandelt zum Strome,
Akis, und ständig verblieb bei dem Fluß vormaliger Name.
Damit war Galatea am Schluß, und die Töchter des Ne'reus
Trennten sich nun und schwammen zerstreut in ruhigen Wellen.
Scylla wanderte heim, denn sie wagte sich offenem Meere
Nicht zu vertrau'n. Bald irrt sie im durstigen Sande gewandlos,
Bald auch kühlt sie, erschöpft vom Weg, wenn grade sich darbot
Einsam liegende Bucht, in umschlossener Welle die Glieder.
Siehe, zerteilend die Flut ist ein neuer Bewohner des Meeres,
Der jüngst Wandlung erfuhr im euböischen Sund bei Anthe'don,
Glau'kus, genaht und betrachtet mit sehnlichem Auge die Jungfrau.
Alles, womit er vermeint die entfliehende halten zu können,
Sagt er zu ihr. Doch Scylla entflieht, und hastig in Schrecken
Klimmt sie zur Höhe des Bergs, der nah am Strande gelegen.
Hoch steht dicht an dem Sund, zur einzigen Spitze sich engend,
Unter den Bäumen gewölbt zu der Weite des Meeres ein Scheitel.
Hier, am sicheren Ort, steht jene und wundert sich, zweifelnd,
Ob ein Getier das oder ein Gott sei, über die Farbe,
Über das wallende Haar, das die Schultern bedeckt und den Rücken,
Und den gewundenen Fisch, der unten am Bauche sich anschließt.
Jener bemerkt's und spricht, an die Klippe gelehnt, die zunächst war:
[92] »Weder ein Wundergeschöpf, noch Seetier bin ich, o Jungfrau,
Sondern ein Gott in der Flut; und stärker gebieten den Wassern
Tri'ton und Pro'teus nicht und der Athamanti'de Palä'mon.
Eh'dem war ich jedoch ein Sterblicher, aber dem tiefen
Meere geneigt und in ihm schon damals immer beschäftigt.
Denn bald zog ich herauf die fischnachziehenden Netze,
Bald auch saß ich am Felsen und hielt am Rohre die Angel.
Nahe dem Ufer des Meers hinzieht sich ein grünender Anger.
Hier ist von Wellen der Strand und dort umgürtet von Kräutern,
Die mit dem Biß noch nie horntragende Rinder versehrten,
Nie auch friedliche Schaf' abrupften und struppige Ziegen.
Niemals sammelte dort von Blumen die emsige Biene,
Niemals flocht man dem Haupt dort fröhliche Kränze, und niemals
Hatte die Hand mit der Sichel gemäht. Ich saß als der erste
Dort im Rasen und ließ abtrocknen die triefenden Netze.
Um nach der Reih' indes die gefangenen Fische zu mustern,
Goß ich im Grase sie aus, die teils in die Netze der Zufall,
Teils leichtgläubiger Wahn an die hakige Angel getrieben.
Gleichwie Dichtung erscheint's; was frommt mir aber zu dichten?
Als sie berührten das Gras, da beginnt mein Fang sich zu regen,
Wirft sich herum und strebt auf dem Land ganz so wie im Meere.
Während verwundert ich stand und zögerte, flieht in die Wellen
Wieder der Schwarm und verlässet den Strand und den neuen Besitzer.
Staunend besann ich mich lang und forschete, wie es gekommen,
Ob das irgend ein Gott, ob Saft vom Gras es bewirkte.
›Was für Gras‹, so sprach ich, ›vermag das aber?‹ und Halme
Pflückt' ich mir ab mit der Hand und kaute sie zwischen den Zähnen.
Kaum nun hatte den Saft nichts ahnend die Kehle gesogen,
Als ich empfand, wie plötzlich die Brust unruhig bewegt war
[93] Und mir Verlangen das Herz hinzog nach dem anderen Reiche.
Lang nicht konnt' ich bestehen den Drang: ›Für immer, o Erdreich,
Leb denn wohl!‹ so sprach ich und tauchte den Leib in die Meerflut.
Aber die Götter des Meers, mir gönnend gemeinsame Ehre,
Fordern Oce'anus auf und Te'thys, von hinnen zu nehmen,
Was ich Sterbliches trug. Von ihnen empfang' ich die Weihe:
Während mich läutert von Schuld neun Male gesprochener Zauber,
Heißt man mich baden die Brust in hundert bespülenden Flüssen.
Wallende Ströme sofort, von verschiedenen Seiten ergossen,
Drängen sich über mein Haupt und alle Gewässer der Meerflut.
Soweit kann ich dir noch kundthun, was mir sich begeben,
Soweit weiß ich es noch: bei dem weiteren war ich bewußtlos.
Als die Besinnung gekehrt, da fand ich mich wieder am Leibe
Gar nicht mehr wie zuvor und völlig verändert im Geiste.
Da nun sah ich zuerst stahlblau und grünlich von Farbe
Hier den Bart und das Haar, das lang hinstreicht in den Fluten,
Umfangreicher als sonst die Schultern und bläulich die Arme,
Unten die Schenkel gekrümmt zum flossigen Schweife des Fisches.
Doch was hilft die Gestalt, was Gunst bei den Mächten des Meeres,
Was die Vergötterung mir, läßt dich das alles gefühllos?«
Während der Gott so sprach und weiter gedachte zu reden,
Eilete Scylla davon. Wut faßt den Verschmähten, und zornig
Geht er zum Zauberpalast, wo haust die titanische Ci'rce.

Vierzehntes Buch

[94] Vierzehntes Buch.

Inhalt: Scylla. Fahrten des Äne'as (Pitheku'sa). Die Sibylle. Polyphe'mus. Circe. Pi'kus und Ka'neus. Diome'des' Gefährten. Der apulische Hirt. Äneas' Schiffe (Alci'nous' Schiff). A'rdea. Äneas' Vergötterung. Die albanischen Könige. Pomo'na und Vertu'mnus (I'phis und Anaxa'rete). Ro'mulus und Hersi'lia.


Ä'tna's lastenden Berg, der liegt auf gigantischer Kehle,

Und der Cyklopen Gefild, das nichts vom Karst und des Pfluges
Nutzung weiß und nichts jochtragenden Stieren verdanket,
Ließ der Eubö'er zurück, der Bewohner geschwollener Wasser;
Zankle ließ er zurück und jenseits Rhe'giums Mauern
Und den zerschellenden Sund, der gezwängt vom doppelten Strande
So dem auso'nischen Land angrenzt wie dem Si'kulereiland.
Drauf mit gewaltiger Hand die tyrrhe'nischen Wogen durchschwimmend,
Nahete Glaukus den Höh'n voll Kraut und der sonnenerzeugten
Ci'rce fürstlichem Hof, den füllte Gewimmel von Tieren.
[95] Als er jene gewahrt und gesprochen den Gruß und empfangen,
Bat er: »Erbarme dich mein und hilf, o Göttin, dem Gotte:
Du kannst lindern allein, so du wert mich achtest, die Liebe.
Was den Gewächsen für Kraft inwohnt, ist keinem, Tita'nin,
Besser bekannt als mir: ich bin ja von ihnen gewandelt.
Daß du erfahren jedoch, was Grund ist meiner Bethörung:
An den italischen Strand, den messa'nischen Mauern genüber,
Hab' ich Scy'lla geschaut. Scham wehrt die verachteten Worte,
Wie ich versprach und bat und schmeichelte, alle zu melden.
Falls denn einige Macht Bannsprüchen gegeben: zum Bannspruch
Öffne den heiligen Mund; doch falls wirksamer ein Kraut ist,
Brauche das wirkende Kraut, des Kraft sich in Proben bewährte.
Doch nicht, daß du mich heilst und schließest die Wunde, verlang' ich;
Nicht braucht Ende zu sein, laß nur sie teilen die Flamme!«
Circe jedoch – denn es hat kein Weib für solche Gefühle
Mehr zugängliches Herz, ob Grund nun liegt in ihr selber
Oder es Venus bewirkt, vom Verrate des Vaters beleidigt –
Redete solches darauf: »Viel besser der willigen folgst du,
Die nach demselben sich sehnt und von gleichem Verlangen erfüllt ist.
Wahrlich, du hättest verdient, daß du der begehrte gewesen;
Glaube mir auch, wenn Hoffnung du gibst, bist du der begehrte.
Daß nicht Zweifel dir sei und daß du vertrauest der Schönheit:
Ich, die Unsterbliche selbst, die Tochter des leuchtenden Phö'bus,
Die ich vermag so viel durch Kraut, so viel durch Beschwörung,
Wünsche die Deine zu sein. Der verachtenden sei ein Verächter,
Aber der willigen hold und vergilt so zweien in einem!«
Wie sie ihn also versucht, gibt Glaukus der Göttin zur Antwort:
»Laub wächst eher im Meer und Seegras oben auf Bergen,
Als sich die Liebe zu ihr bei Scylla's Leben mir ändert.«
Groll hegt Circe darob, und weil sie ihn selbst zu verletzen
Weder vermag, noch liebend es will, so zürnet sie jener,
[96] Welcher der Vorzug ward, und gekränkt durch der Liebe Verschmähung,
Reibt sie Gewächse alsbald, durch schreckliche Säfte verrufen,
Untereinander und thut zum Gemisch Hekate'ische Sprüche.
Drauf mit blauem Gewand umhüllt sie den Leib und begiebt sich
Weg von der Mitte des Hofs durch die Menge der schmeichelnden Tiere,
Und, sich ersehend als Ziel genüber den Klippen von Za'nkle
Rhe'gium, geht sie hinein in die Wogen der siedenden Brandung,
Wo sie den Tritt aufsetzt gleichwie auf gefestigtem Erdreich
Und an der Fläche der Flut mit trockenem Fuße dahineilt.
Mäßig von Umfang war, in die Krümme gezogen, ein Busen,
Scy'lla genehm zur Ruh, die Schutz dort fand vor der Brandung,
Wie vor himmlischem Brand, wenn am heißesten über dem Scheitel
Sol stand mitten im Kreis und am kürzesten machte die Schatten.
Diesen behaftete nun mit grausig entstellenden Giften
Ci'rce zuvor. Sie sprengt aus schädlicher Wurzel gepreßte
Säfte hinein und spricht dreimal neunfache Beschwörung
Murmelnd mit magischem Mund in seltsam dunkeler Rede.
Scylla kam und stieg bis zur Mitte des Bauchs in die Wellen,
Als sie mit Schauder gewahrt, wie ihr bellende Ungeheuer
Schänden den Schoß. Erst glaubt sie es nicht, daß ihr an dem Leibe
Hafte die Brut, und sie fleht, drängt weg und fürchtet der Hunde
Grinsendes Maul, doch stets mit schleppt sie, wovor sie entfliehn will.
Wie nach den Lenden hinab, nach den Schenkeln und Füßen sie spähte,
Fand sie die Glieder ersetzt durch grimmige Cerberusrachen.
Stand auf Hunden verbleibt, und sie schließt mit verstümmeltem Schoße
Und vorragendem Bauch zusammen die Rücken der Tiere.
Glau'kus der liebende weint' und entzog sich dem Bunde mit Circe,
Die zu feindlich und hart sich bediente der wirkenden Kräuter.
Scylla verblieb an dem Ort, und sobald die gelegene Zeit war,
[97] Riß die Gefährten sie weg dem Uli'xes, Circe zu kränken.
Bald auch wären versenkt durch Scylla die teu'krischen Kiele,
Wenn zum Riffe sie nicht, das jetzt noch felsig hervorsteht,
Wäre gewandelt zuvor. Vor dem Riff auch wahrt sich der Schiffer.
Als sich vor ihr und dem Schlund der Chary'bdis die tro'ischen Schiffe
Glücklich mit Rudern gewehrt, wie sie schon dem auso'nischen Strande
Waren genaht, wirft Sturm sie zurück an die li'bysche Küste.
Herz dort öffnet und Haus das sido'nische Weib dem Äne'as;
Tief dann aber gekränkt durch des phry'gischen Gatten Entweichung,
Läßt sie zu heiligem Dienst, wie sie vorgiebt, schichten den Holzstoß,
Stürzt sich auf ihm ins Schwert und betrügt, die Betrogene, alle.
Als er, der wachsenden Stadt in dem sandigen Lande entflohen,
Wieder zu E'ryx' Sitz und zum treuen Ake'stes gelangt war,
Opfert Aneas und ehret das Grabmal seines Erzeugers.
Die beinahe verbrannt die Juno'nische I'ris, die Schiffe
[98] Löst er darauf und verläßt bald Ä'olus' Reich, wo von Schwefel
Dampft der erhitzete Grund, und den felsigen Sitz der Sire'nen,
Die Achelo'us gezeugt, und die Barke, des Lenkers verlustig,
Fährt an Ina'rime hin, an Pro'chyte und Pitheku'sä,
Die, nach den Wohnern benannt, sich erhebt als magerer Hügel.
Denn der Unsterblichen Haupt, dieweil ihm verhaßt der Cerko'pen
Falscher und treuloser Sinn und des tückischen Volkes Vergehen,
Wandelte einst in häßlich Getier die Gestalten der Männer,
Daß sie dem Menschen zugleich unähnlich und ähnlich erschienen.
Kürzer verengt' er den Wuchs und stülpte nach oben die Nase
Ab von der Stirn und grub in das Antlitz ältliche Runzeln;
So nun, über den Leib mit bräunlichen Haaren bekleidet,
Setzt' er sie auf dies Land. Erst aber benahm er die Sprache
Und den Gebrauch der allein zum Meineid tüchtigen Zunge;
Nur das Vermögen verblieb, zu klagen mit heiserem Winseln.
Als daran er vorübergeschifft und Parthe'nopes Mauern
Rechts ihm lagen, betrat das Grab des äo'lischen Spielmanns
Linksher kommend der Held und den Ort, der sumpfige Wellen
[99] Zeugt, den cumä'ischen Strand und die Höhle der alten Siby'lla.
Durch den Ave'rnus hinab zu den Ma'nen des Vaters zu steigen
Ist sein Begehr. Sie richtet den Blick, der lang an der Erde
Weilete, auf, und endlich erfüllt vom Gotte versetzt sie:
»Großes verlangst du, o Mann, an Thaten der größeste, dessen
Rechte durch Stahl sich bewährt, des kindliche Treue durch Feuer.
Banne jedoch, Trojaner, die Furcht! Dein wird das Verlangte:
Führerin will ich dir sein, und du sollst den ely'sischen Wohnsitz
Seh'n und das letzte Gebiet und den teueren Schatten des Vaters.
Nirgends verschließt sich der Tugend ein Weg.« Sie sprach's, und ein Baumreis,
Das hell glänzte von Gold im Hain der ave'rnischen Ju'no,
Zeigte sie ihm und gebot, es herab vom Stamme zu reißen.
Folgsam that es Äneas und sah des gefürchteten O'rcus
Reichen Besitz und die Ahnen gesamt und des edlen Anchi'ses
Schatten in Greisengestalt; auch lernt' er die dortigen Rechte,
Was auch noch für Gefahr zu bestehen in künftigen Kriegen.
Während er wendete drauf heimwärts die ermüdeten Schritte,
Kürzt' er des Weges Beschwer im Gespräch mit der Alten von Cumä,
Und er begann, auf schaurigem Pfad hinwandelnd im Dunkel:
»Ob unsterblich du seist, ob lieb den unsterblichen Mächten,
Gottheit bist du für mich allzeit. Gern werd' ich gestehen,
Daß ich lebe durch dich, die dem Reiche des Todes zu nahen,
Die zu entkommen dem Reich des geschaueten Todes mir gönnte.
[100] Für solch großes Verdienst, wenn wieder zur Luft ich gelangt bin,
Will ich dir Tempel erhöh'n und zollen die Ehre des Weihrauchs.«
Ihn anblickend beginnt mit Seufzen die Seherin also:
»Göttlich ist nicht mein Leib, und die Ehre des heiligen Weihrauchs
Gieb nicht menschlichem Haupt! Daß nicht unkundig du irrest:
Mir wär' ewiges Licht, das nimmer geendet, geworden,
Hätt' ich die Jungfrauschaft dem liebenden Phöbus gegeben.«
Der sprach, während er hofft' und mich zu verlocken mit Gaben
Trachtete: »Wähle dir aus, was du wünschest, cumäische Jungfrau!
Dein soll sein, was auch du begehrst.« Ich wies auf ein Häuflein
Staub vom Boden gerafft und stellte das eitle Verlangen,
Wie viel Körner der Staub, so viele der Jahre zu haben;
Doch ich vergaß auch gleich um jugendlich Alter zu bitten.
Das auch hätte der Gott mir verliehen und ewige Jugend,
Wenn ich zu Willen ihm war. Das Geschenk vom Phöbus verschmähend
Blieb ich in ledigem Stand. Doch nun ist dahinten des Lebens
Schönere Zeit, und mit wankendem Schritt kommt siechendes Alter,
Mir noch lange zur Last. Jahrhunderte siehst du verlebt schon
Sieben von mir, und bis ich die Zahl des Staubes erreiche,
Sind drei Hunderte noch von Ernten und Herbsten zu schauen.
Einst wird kommen die Zeit, da macht mich Länge der Dauer
Klein nach stattlichem Wuchs, und die Glieder, geschrumpft von dem Alter,
Schwinden zum mindesten Maß, und es scheint nicht, daß ich geliebt war,
Daß ich gefallen dem Gott. Vielleicht dann kennet mich Phöbus
Selbst nicht oder gesteht nicht ein vormaliges Werben.
»Also werd' ich gewandelt dereinst und, für keinen zu schauen,
Doch an der Stimme gekannt: die läßt mir verbleiben das Schicksal.«
[101] Während auf steigendem Pfad ihm solches erzählte Siby'lla,
Klimmt von dem sty'gischen Sitz ans Licht der Trojaner Äne'as
Zu der euböischen Stadt, und nach dem geziemenden Opfer
Geht er zum Strand, der benannt noch nicht mit dem Namen der Amme.
Hier auch ließ sich zuvor der neri'tische Ma'kareus nieder
Nach langwierigen Müh'n, der Gefährte des Dulders Uli'xes.
Dieser erkennt alsbald Achäme'nides, den man zurückließ
Mitten in Ä'tnas Kluft, und er staunt, ihn lebend zu finden
Wider Vermuten und spricht: »Achämenides, was für ein Glücksfall
Wahrte dich oder ein Gott? Wie kommt's, daß führet den Gra'jer
Fremdes Verdeck? Wo strebet ihr hin mit euerem Kiele?«
Auf sein Fragen versetzt, nicht mehr in Tracht so verwildert,
Kenntlich wie sonst und nicht im Gewand, das Dornen geheftet,
So Achämenides' Mund: »Ich will fürwahr Polyphe'mus
Wiederum sehn und das Maul mit menschlichem Blute besudelt,
Wenn dies Schiff mir nicht wie die heimische I'thaka lieb ist,
Wenn nicht gleich dem Erzeuger mir gilt Äneas, und dankbar
Kann ich genug nie sein, auch wenn ich ihm alles erweise.
Daß noch atmet und spricht mein Mund, daß Himmel und Sonne
Schaut mein Blick, wie könnt ich es je ihm vergessen mit Undank?
[102] Sein Werk war es allein, daß nicht in den Schlund des Cyklopen
Kam mein Leib, daß, sollt' ich vom Licht nun scheiden, ein Grabmal
Oder zum wenigsten nicht sein Bauch im Tode mich aufnimmt.
Wie war da mir zu Mut, wenn anders Gefühl und Besinnung
Nicht ganz raubte die Angst, da, als ich, verlassen am Ufer,
Euch sah steuern ins Meer! Ruf wollt' ich erheben, verraten
Konnt' ich mich aber dem Feind. Auch war ja der Ruf des Ulixes
Schlimm fast euerem Schiff. Ich sah, wie vom Berge gerissen
Mitten hinein in die Flut er schwang ein gewaltiges Felsstück,
Sah, wie er nochmals hob kraftvoll wie ein schleuderndes Wurfzeug
Einen gewichtigen Stein und warf mit gigantischem Arme.
Daß einbreche der Kiel von der Steinlast oder den Fluten,
Bangte mir, da ich vergaß, daß ich nicht mehr auf dem Schiff war.
Als euch aber die Flucht vor bitterem Tode gerettet,
Irrete schnaubend in Wut Polyphemus umher auf dem Ätna,
Suchte mit tastender Hand nach den Bäumen und rannte geblendet
Oft an begegnenden Fels, und die Arme, besudelt vom Blute,
Streckt' er gegen das Meer und verfluchte das Volk der Achi'ver.
›Brächte mir‹, sprach er sodann, ›den Ulixes oder der Mannen
Einen der Zufall her, auf daß im Zorn ich ihn packte,
Seine Geweid' aufzehrte mit Lust, mit der Rechten in Fetzen
Risse den lebenden Leib, daß mir sein Blut in der Gurgel
Flösse hinab und zermalmt an den Zähnen mir zuckten die Glieder!
Wie dann schätzt' ich gering, wie nichts das verlorene Auge!‹
Solches und anderes sprach der Wüterich. Blasses Entsetzen
Faßte mich, als ich geschaut das Gesicht noch triefend vom Morde
[103] Und die erschrecklichen Händ' und die ledige Höhle des Auges
Und die Gestalt und den Bart vom menschlichen Blute gewirret.
Vor mir sah ich den Tod, der noch das geringste der Übel;
Schon auch wähnt' ich von ihm mich ergriffen und schon in die seinen
Meine Geweide versenkt, und von früher der grausige Anblick
Drängte der Seele sich auf, wie der Unhold zwei der Gefährten
Schmetterte drei-, viermal mit der riesigen Faust an die Erde,
Wie er, darüber gebeugt nach der Weise des zottigen Löwen,
Samt den Geweiden das Fleisch, mit dem weißlichen Marke die Knochen
Barg in den gierigen Bauch und die halblebendigen Glieder.
(Zittern befiel mich vor Angst, und blutlos stand ich in Nöten,
Immer ihn schauend im Geist, wie er kaut' und warf aus dem Rachen
Blutigen Fraß und Wein ausspie und gemengete Bissen.)
Ähnliches Los sei mir Unglücklichem, glaubt' ich, bereitet.
So viel Tage hindurch mich versteckend, bei jeglichem Laute
Bebend im Schreck, stets fürchtend den Tod und verlangend zu sterben,
Nur mit Eicheln, mit Gras und Blättern den Hunger verscheuchend,
Dürftig, allein, trostlos, zur Beute dem Tod und der Rache,
Sah ich lange nachher dies rettende Schiff in der Ferne,
Und ich erflehete Flucht durch Wink und lief an das Ufer,
Und es gelang: Schutz fand auf trojanischem Schiffe der Grieche.
Sage mir nun, was du und der Führer, o liebster Gefährte,
Weiter erlebt und die Schar, mit der du dem Meer dich vertrautest.«
Äolus, hub der an, sei Herrscher im Tu'skischen Meere,
Äolus, Hi'ppotes' Sproß, der im Kerker die Winde zurückhält.
Diese, verwahrt im Rücken des Stiers, merkwürdige Gabe,
Hab' empfah'n der duli'chische Fürst und bei günstigem Lufthauch
[104] Nach neuntägiger Fahrt die ersehnete Küste gesehen.
Als sich erhoben jedoch nach der neunten die nächste Auro'ra,
Hätten, verleitet von Neid und Beutebegier, die Gefährten,
Gold argwöhnend im Schlauch, von den Winden genommen die Bande.
Die nun hätten zurück durch eben befahrene Wogen
Wieder verschlagen das Schiff an den Strand des äo'lischen Herrschers.
»Zur lästrygo'nischen Stadt, die La'mus gegründet vor alters,«
Sprach er, »gelangten wir drauf. Dort war Anti'phates König.
Ich ward zu ihm geschickt; zwei andere waren Begleiter.
Doch kaum fand ich mein Heil in der Flucht samt einem Gefährten,
Während der dritte von uns mit dem Blute dem Lästrygo'nen
Netzte den frevligen Schlund. Antiphates, uns zu verfolgen,
Rufet die Seinen zu Hauf; die rotten sich, Felsen und Stämme
Schleudern sie nach und versenken zugleich mit den Schiffen die Mannschaft.
Eins kam aber davon, das uns und den Fürsten Uli'xes
Führete. Durch den Verlust der Gefährten bekümmert im Herzen,
Viel auch klagend um sie, erreichen wir jenes Gestade,
Das du von hier fern siehst. Fern – glaube mir – mußt du das Eiland
Seh'n, das nah' ich geseh'n. Du auch, o gerechtester Tro'er,
Göttinsohn, denn Feind nicht bist du zu nennen, Äneas,
Jetzt nach geendetem Streit – flieh Circes Ufer, ich warne!
Wir auch, als wir das Schiff am Circe'ischen Ufer befestigt,
Uns des Anti'phates noch und des rohen Cyklopen erinnernd,
Weigerten uns zu gehn und den fremden Palast zu betreten.
Wahl ward drum durchs Los, und mich und den treuen Poli'tes
Und den Eury'lochus hieß und den Säufer Elpe'nor und achtzehn
Andre Gefährten das Los hingehn zu den Mauern der Circe.
Als dorthin wir gelangt und die Schwelle des Hauses betreten,
War vor uns ein Gewühl von Wölfen und Bären und Löwen,
[105] Und wir erschraken darob; doch hatten wir keines zu fürchten,
Denn keins schickte sich an, uns feindlich den Leib zu verletzen.
Ja, sie wedelten gar mit freundlichen Schweifen und folgten
Schmeichelnd unserem Schritt ganz zahm, bis dienende Mädchen
Zu der Gebieterin uns einführeten über den glatten
Marmorboden des Saals. Sie sitzt im prächtigen Zimmer
Hoch auf stattlichem Thron, und bekleidet mit lichtem Gewande,
Ist sie darüber verhüllt am Haupte mit goldenem Schleier.
Bei ihr sind Nerëi'den und Ny'mphen, die weder die Wolle
Krempeln mit rühriger Hand, noch zieh'n nachfolgende Fäden:
Pflanzen verteilen sie nur und scheiden in Körben der Blumen
Ordnungsloses Gemisch und in Farbe verschiedene Kräuter.
Circe mustert das Werk der Geschäftigen. Was für ein Nutzen
Inwohnt jeglichem Blatt und wie der gemengeten Eintracht,
Weiß sie und prüft achtsam die zum Sichten gegebenen Kräuter.
Wie nun uns sie gewahrt und gesprochen den Gruß und empfangen,
Schaute sie freundlichen Blicks und ließ nur Gutes erwarten.
Ohne Verzug dann heißt sie mit Körnern gerösteter Gerste
Honig vermischen und Wein und Milch, die vom Labe verdickt war;
Saft noch, welcher geheim blieb unter der Süße verborgen,
Gießt sie dazu. Wir nehmen den Trank aus der göttlichen Rechten.
Als mit lechzendem Mund ward durstig der Becher geleeret,
Und mit der Rute das Haar uns streifte die tückische Göttin, –
Sei es gesagt mit Scham – da begann ich zu starren von Borsten,
Worte gebrachen dem Mund, und ein Grunzen ersetzte die Rede,
Während ich hin zur Erde mich bog mit dem ganzen Gesichte;
Jetzt auch fühlt' ich den Mund zum gebogenen Rüssel sich knorpeln,
Fleischig schwellen den Hals, und das Glied, womit ich den Becher
Unlängst hatte gefaßt, das diente mir, Schritte zu setzen.
Drauf mit der Schar, die Gleiches erlitt, – so stark ist der Zauber –
Schließet ein Koben mich ein, und wir sehen vom Bilde des Schweines
[106] Nur den Eury'lochus frei. Der nur trank nicht aus dem Becher.
Hätt' er nicht ihn gefloh'n, noch jetzt dann wär' ich geblieben
Einer vom borstigen Vieh, dann wäre durch ihn von dem Unfall
Nimmer Ulixes belehrt und rächend gekommen zu Circe.
Dieser empfing ein Gewächs vom kylle'nischen Boten des Friedens,
Mo'ly von Göttern genannt: weiß blüht es an schwärzlicher Wurzel.
Dadurch sicher gemacht und zugleich durch himmlische Warnung,
Tritt er in Circes Haus, und geladen zum tückischen Becher
Stößt er, sobald sie versucht, sein Haar mit der Rute zu streichen,
Jene zurück und schreckt mit gezücketem Schwert die Verzagte.
Handschlag folgt und Vertrag, und zum Lagergenossen genommen,
Fordert Ulixes von ihr als Heiratsgut die Gefährten.
Besseren Saft auf uns nun sprengend von seltenem Kraute,
Rührt sie das Haupt uns an mit dem Schlag der gewendeten Rute;
Worte beschwören dazu, den gesprochenen Worten entgegen.
Mehr und mehr, wie jene beschwört, von der Erde gehoben
Stehen wir auf, und die Borsten vergehn, und die Spalte verschwindet
Vom zweiteiligen Fuß; neu kehren die Schultern; den Achseln
Schließen die Arme sich an. Wir umfangen den Weinenden weinend,
[107] Hangen dem Führer gerührt am Hals, und frühere Worte,
Als die unseren Dank ihm bezeugeten, sprachen wir keine.
Jährige Frist hielt dort uns fest, und ich sah in der langen
Dauer des Aufenthalts gar vieles, und vieles vernahm ich,
Unter dem vielen auch dies, was mir im Vertrauen die eine
Von vier Mädchen gesagt, die warteten heiligen Amtes.
Nämlich wie Circe allein bei meinem Gebieter verweilte,
Ward mir ein Jünglingsbild, dem oben ein Specht auf dem Haupt saß,
Heimlich von jener gezeigt, aus schneeigem Marmor gefertigt,
Stehend an heiligem Ort und reich mit Kränzen behangen.
Wer das sei und warum er in Ehren an heiliger Stätte,
Auch weshalb er den Specht auf dem Haupt trug, wünscht' ich zu wissen.«
»Höre denn«, sprach sie, »und lern' auch daraus, Ma'kareus, kennen
Meiner Gebieterin Macht. Gieb acht, was dir ich erzähle!
In dem ausonischen Land war Pi'cus, der Sohn des Satu'rnus,
König, mit Eifer bedacht auf Zucht kriegstüchtiger Rosse.
Seine Gestalt war, wie du sie siehst: hier schaue des Mannes
Anmut selber und schließ' auf das wahre vom künstlichen Bilde.
Gleich war der Schöne der Mut, und es fehlten noch Jahre, um viermal
Schon Zuschauer zu sein fünfjährigen Kämpfen in E'lis.
Alle Drya'den gewann, die erwachsen in La'tiums Bergen,
Seines Gesichts Liebreiz, und die Mächte der Quellen begehrten
Sein, die Naja'den gesamt, die A'lbula, A'nios Wasser,
Die Numi'cius hegt und der kurz nur strömende A'lmo
Oder der reißende Nar und des Fa'rfarus dunkele Wogen,
Die in dem Waldteich auch der Dia'na von Sky'thien wohnen
[108] Und in den Weihern der Näh'. Doch alle verschmäht' er und liebte
Eine der Nymphen allein, die Veni'lia einst nach der Sage
Am Palati'nischen Berg dem zwiefachen Ja'nus geboren.
Die ward, als sie heran zu mannbaren Jahren gewachsen,
Ihm, der alle verdrängt, dem laure'ntischen Picus gegeben,
Selten in Schönheit zwar, doch seltener noch in Gesangkunst:
Ca'nens hieß sie daher, die Sängerin. Wälder und Klippen
Rührte sie, zähmte das Wild, hielt auf langwallende Ströme
Mit dem bestrickenden Mund und verweilete streifende Vögel.
Während sie Lieder daheim ließ tönen mit weiblicher Stimme,
Ging einst Picus hinaus, einheimische Eber zu jagen,
In das laure'ntische Feld. Ihn trug auf dem Rücken ein Renner
Feurigen Muts, und er hielt zwei Spieße bereit in der Linken;
Pu'nisches Jagdkleid deckt' ihn, geheftet mit goldener Spange.
Grad in den selbigen Wald war auch Sols Tochter gekommen,
Die, auf fruchtbaren Höh'n sich neue Gewächse zu sammeln,
Fern vom circä'ischen Land, das benannt nach ihr, sich begeben.
Wie vom Gebüsche verdeckt nunmehr sie gewahrte den Jüngling,
Stand sie erstaunt; es entfielen der Hand die gelesenen Kräuter,
Und in dem innersten Mark schien brennendes Feuer zu irren.
Als von der heftigen Glut ihr wiedergekehrt die Besinnung,
Wollte sie gleich ihr Verlangen gestehn; doch Schnelle des Rosses
Und der umringende Troß der Begleiter verwehrte den Zugang.
›Doch nicht‹, sprach sie, ›entkommst du, wenn auch dich entrafften die Winde,
Kenn' ich anders mich selbst und schwand nicht alles Vermögen
Unserer Kräuter dahin und sind nicht trüglich die Sprüche.‹
[109] Also sprach sie und schuf ein Gebilde von trüglichem Eber
Unleibhaftig und ließ es den Augen des Königs vorüber
Laufen und gehen zum Schein in des Waldes verschlungenes Dickicht,
Wo es sich engte zumeist und nicht zugänglich dem Roß war.
Sonder Verzug folgt gleich nichtsahnend dem Schatten der Beute
Picus und schwingt sich behend vom schäumenden Rücken des Rosses,
Und das Gehölz durchirrt er zu Fuß im eitelen Trachten.
Circe murmelt Gebet und spricht bannwirkende Worte;
Dunkle Gewalten beschwört ihr Mund mit dem dunkelen Zauber,
Der ihr hilft, das Gesicht des silbernen Mondes zu trüben
Oder dem Vater das Haupt zu umziehen mit wässrigen Wolken.
Jetzt auch hüllt sich in Nacht vom gesprochenen Zauber der Himmel,
Und von dem Grund wird Nebel gehaucht, und auf finsteren Wegen
Schweift das Gefolg' umher, und fern ist die Wache dem König.
Zeit wahrnimmt sie und Ort: ›Bei den Augen, womit du die meinen‹,
Sagte sie, ›also bestrickt, und bei deiner Gestalt, o du Schönster,
Die mich zwingt, dir bittend zu nahn, die unsterbliche Göttin;
Lindere unsere Glut! Laß Sol, der auf alles herabsieht,
Schwäher dir sein, und verschmäh nicht hart die tita'nische Circe!‹
Circe sprach's; doch rauh abweisend sie selbst und die Bitte,
Redet er: ›Wer du auch seist, nie bin ich der Deine: gefesselt
Hält mich eine bereits und wird zeitlebens mich halten
Hoffentlich. Nimmer entweih' ich durch Buhlschaft unseren Eh'bund,
Weil das Geschick mir erhält die von Ja'nus gezeugete Ca'nens.‹
Als sie noch oft nutzlos ihn gebeten, begann die Titane:
›Straflos bleibt es dir nicht, und du kehrst nie wieder zu Canens!
Wessen ein liebendes Weib, die einer beleidigt, vermögend,
Lern' aus der That; und ein Weib ist Circe, beleidigt und liebend.‹
›Westwärts wendet sie sich zweimal, zwei Male gen Osten;
[110] Dreimal rührt sie ihn an mit dem Stab; drei Sprüche gesellt sie.
Jener entflieht und sieht mit Verwunderung, daß er von dannen
Rascher enteilt als sonst. Am Leibe gewahrt er Gefieder.
Ärgerlich, daß er zum Volk der lati'nischen Wälder auf einmal
Kommt als Vogel hinzu, durchbohrt er mit hackendem Schnabel
Knorriges Holz und verwundet im Zorn langstehende Äste.
Purpurfarbe behält von dem Jagdkleid auch das Gefieder;
Gold, das hatte zuvor das Gewand als Spange geheftet,
Zeigt sich als Flaum, und es geht vor dem Nacken ein goldener Streifen,
Und von dem Picus verbleibt nichts Früheres, außer dem Namen.
Picus' Genossen indes, nachdem sie zum öfteren fruchtlos
Hatten gerufen im Feld und nirgends gefunden den König,
Treffen die Zauberin an – denn sie hatte, die Lüfte verdünnend,
Wieder erlaubt, daß Wind und Sonne verteilten den Nebel –,
Und sie beschuldigen sie mit Recht und verlangen den König,
Drohen Gewalt und rüsten erbost angreifende Waffen.
Jene, mit schädlichem Seim sie besprengend und giftigen Säften,
Ruft vom E'rebos auf und vom Cha'os die Nacht und die finstern
Mächte der Nacht und erfleht lang heulend der He'kate Beistand.
[111] Auf sprang plötzlich der Wald – seltsam zu erzählen – vom Orte;
Stöhnen erscholl vom Grund, in der Nähe die Bäume erblaßten,
Und das besprengete Gras ward rot von blutigen Tropfen,
Und das Gestein stieß aus, so schien es, ein heiseres Brüllen,
Hundegebell ward laut, und es war, wie wenn schwärzliche Nattern
Kröchen umher und die Luft durchflatterten dunstige Schemen.
Starr bei dem Schrecknis steht in Entsetzen der Troß. Den Entsetzten
Rührt mit verzaubertem Stab sie an das verwunderte Antlitz.
Von dem Berühren sogleich kam über die Jünglinge Wandlung
In vielfaches Getier; sein Bild war keinem geblieben.
Am tarte'ssischen Strand hin streifte der sinkende Phö'bus,
Und noch harrte daheim mit Augen und Herzen vergebens
Canens ihres Gemahls. Mit dem Volk durchlaufen die Diener
Alle die Wälder umher und tragen ihm Fackeln entgegen.
Nicht ist der Nymphe genug zu weinen, die Haare zu raufen,
Wund zu schlagen die Brust – doch all das that sie –, hinaus auch
Stürzt sie in Hast und durchirrt sinnlos die latinischen Fluren.
Sechsmal sah sie die Nacht, und sechsmal sah sie der Sonne
Wiederkehrendes Licht, so Kost wie Schlummer entbehrend,
Über Gebirg und Thal, wie der Zufall führte, dahingehn.
Thy'bris erblickte zuletzt die vom Weg und von Trauer Erschöpfte,
Wie sie den Leib hinstreckte zur Rast am kühlenden Ufer.
Dort mit Thränen ergoß sanfthallende Klage die Ärmste,
Und zum Gesang ließ eben der Schmerz sich gestalten die Worte,
Wie noch sterbend der Schwan anhebt mit Totengesängen.
Endlich vom ständigen Harm im geschmeidigen Marke geschmolzen
Schwand sie dahin und zerging allmählich in wehende Lüfte.
Aber die Sage besteht an dem Ort, den alte Kame'nen
Canens haben benannt mit Fug nach dem Namen Nymphe.‹
[112] So ward vieles alldort mir erzählt, und vieles erlebt' ich
Selbst in der jährigen Frist. Unrührig und träg in Entwöhnung
Mußten wir wieder in See und wieder entfalten die Segel.
Mißliche Fahrt und Weite des Wegs und Gefahren der argen
Meerflut standen bevor, so hatte gesagt die Tita'ne.
Davor bang, ich gesteh' es, verblieb ich an diesem Gestade.«
Ma'kareus war am Schluß. In der Marmorurne bestattet,
Hatte Äne'as' Amm' auf dem Hügel die kurze Gedenkschrift:
»Mich Caje'ta verbrannt' allhier im gebührenden Feuer,
Der dem argo'lischen einst mich entrissen, der biedere Pflegsohn.«
Drauf nun lösen das Tau vom grasigen Damm die Troja'ner,
Und von dem lauernden Trug und dem Haus der verrufenen Göttin
Gehn sie hinweg und erstreben den Hain, wo dunkel von Schatten
Thy'bris die Wellen ergießt in das Meer mit gelblichem Sande.
Sein wird Tochter und Haus des von Fau'nus gezeugten Lati'nus,
Doch nicht ohne den Mars. Mit streitbarem Volke er hebt sich
Blutiger Krieg, und in Wut heischt Tu'rnus die früher Verlobte.
Ganz Tyrrhe'nien trifft auf La'tium, und sie erstreben
[113] Lange den schwierigen Sieg mit rastlos thätigen Waffen.
Durch auswärtige Macht mehrt jeder von beiden die Kräfte;
Viele verstärken das Heer der Ru'tuler, viele der Tro'er
Lager. Umsonst nicht kam zu der Schwell' Eva'nders Äne'as,
Ve'nulus aber umsonst zu der Stadt Diome'des' des Flüchtlings.
Der zwar hatte erbaut im Gebiet des japy'gischen Dau'nus
Mauern an Umfang reich und besaß ausstattende Fluren;
Doch als Venulus nun, ausrichtend des Turnus Bestellung,
Beistand heischet, versagt Streitmacht der äto'lische He'ros,
Und die Entschuldigung ist: er möge die Mannen des Schwähers
Nicht aufbieten zum Kampf, und Krieger vom eigenen Volke
Ständen ihm nicht zu Gebot. »Daß nicht ihr es glaubet erdichtet,
Mag die Erinnerung auch mir erneuen die bitteren Leiden,
Will ich mich doch zum Erzählen verstehn. Wie gesunken die stolze
I'lios und sich genährt an Pe'rgama Da'naerflammen,
Und der nary'kische Held auf alle gezogen die Strafe,
Die allein er verwirkt, der die Jungfrau riß von der Jungfrau,
Da, von den Winden zerstreut und gejagt durch feindliche Wogen,
Stehen wir Danaer aus Blitzstrahl und Dunkel und Regen,
Zorn von Himmel und Meer und die Höhe der Not bei Kapha'reus.
Daß nicht weile zu lang mein Bericht bei der Reihe der Mühsal:
[114] Grä'cia hätte geweckt damals auch Pri'amus' Mitleid.
Schirmend errettete mich Obhut der bewehrten Mine'rva
Aus dem Gewoge des Meers. Doch wieder vom heimischen Boden
Werd' ich gescheucht, und Strafe verhängt die beglückende Ve'nus,
Früherer Wunde gedenk, und ich stand so viele Beschwerden
Aus auf der Höhe der See, so viele in Kriegen zu Lande,
Daß glückselig von mir oft wurden genannt die Gefährten,
Die der gemeinsame Sturm und der unwirtbare Kapha'reus
Warf in die Flut, und daß ich versenkt mich wünschte mit ihnen.
Wie sie das Äußerste nun in Fehden und Wogen erduldet,
Heischen ein Ende der Fahrt die entmutigten Mannen. Doch A'kmon,
Hitzigen Sinns und dazu durch die Drangsal vollends erbittert,
Sprach: ›Was wäre denn noch, das auszustehen, ihr Männer,
Weigerte eure Geduld? Was kann die kythe'rische Göttin,
Falls sie es will, noch thun? Solange man ärgeres fürchtet,
Hat noch statt das Gebet; wenn aber das Ärgste gefallen,
Liegt am Boden die Furcht, und des Unglücks Gipfel ist sorglos.
Mag sie's hören und so, wie sie thut, Diome'des' Gefährten
Alle verfolgen mit Haß: wir alle verachten der Göttin
Dräuenden Haß, und uns gilt viel ihr großes Vermö gen.‹
Durch das vermessene Wort bringt neu der Pleuro'nier Akmon
Ve'nus die grollende auf und erweckt vormalige Zornglut.
Wenige stimmten ihm zu. Wir anderen Freunde, die Mehrzahl,
Tadeln Akmon darob. Wie der zu erwidern sich anschickt,
Ist mit der Stimme der Weg für die Stimme verengt, und in Federn
Wandelt sich plötzlich das Haar; neu deckt sich der Hals mit Gefieder,
Ebenso Rücken und Brust; Schwungfedern bekommen die Arme,
Während die Beugen des Arms krumm gehen zu hebenden Flügeln;
Viel einnehmen des Raums an den Füßen die Zeh'n, und gehärtet
Starret der Mund von Horn und läuft spitz aus an dem Ende.
Ihn sieht Ly'kus zugleich und I'das und mit dem Rhexe'nor
Ny'kteus und A'bas erstaunt, und während sie staunen, empfahn sie
[115] Ähnlich gewandelte Form, und die größere Zahl von der Mannschaft
Flattert empor und umfliegt mit klatschenden Schwingen die Ruder.
Fragest du nach der Gestalt der plötzlich entstandenen Vögel:
Schwanengestalt war's nicht, doch schneeigen Schwänen am nächsten.
Hier den Sitz und das dürre Gefild des japygischen Daunus
Schütz' ich, der Eidam, kaum mit dem mindesten Teile der Meinen.«
Also des Ö'neus Sproß. Weg vom kalydo'nischen Reiche,
Von dem peucetischen Strand und Messa'piens Fluren begiebt sich
Venulus. Der sieht dort die vom Wald umdunkelte Höhle,
Immer betropft von sickerndem Naß, die jetzo bewohnt ist
Vom bocksfüßigen Pan, doch früher von Nymphen bewohnt war.
Diese erschreckete einst ein apu'lischer Hirt aus der Gegend,
Und sie entflohen zuerst, da plötzliche Angst sie ergriffen.
Bald, zur Besinnung gekehrt und ihren Verfolger verachtend,
Führeten Reigen sie auf, nach dem Takte die Füße bewegend.
Die mißbilligt der Hirt, und er ahmt sie mit bäurischen Sprüngen
Selbst auch nach und fügt Schmähreden zu garstigen Worten
Plump und gemein so lang, bis Holz ihm die Kehle verdeckte.
Denn er ist Holz, und am Saft ist noch zu erkennen die Sitte.
Als Olea'ster bewahrt er in bitteren Beeren der Zunge.
[116] Merkliche Spur; in sie ging über die Herbe der Worte.
Als von dort den Bescheid, daß äto'lische Hilfe versagt sei,
Heim die Gesandten gebracht, da heben die Ru'tuler Fehde
Ohne verstärkende Macht, und es läßt jedweder der Teile
Reichliches Blut. In das ficht'ne Gebälk wirft gierige Fackeln
Tu'rnus, und Feuer erschreckt die, deren geschont die Gewässer.
Schon nun brannte das Pech und das Wachs und den übrigen Brennstoff
Mu'lciber weg und stieg am erhöheten Mast zu den Linnen,
Und des gebogenen Kiels Querbänke begannen zu rauchen:
Da läßt schallen, gedenk, daß auf dem idä'ischen Gipfel
Wurden die Fichten gefällt, die erhabene Mutter der Götter
Dumpfes Getön von Buchs und Klirren geschlagenen Erzes,
Und von dem Löwengespann durch weichende Lüfte gezogen
Sprach sie: »Du schleuderst den Brand umsonst mit der frevelnden Rechten,
Turnus! Ich rette sie doch, und Teile von unseren Hainen
Soll die gefräßige Glut nicht raffen mit unserer Duldung.«
Während die Göttin sprach, scholl Donner, und gleich nach dem Donner
Fiel in gewichtigem Guß Platzregen mit prasselndem Hagel;
Hader beginnen zugleich, aufrührend die Luft und die Meerflut,
Die vom plötzlichen Prall anschwoll, die asträ'ischen Brüder.
Nutzend von einem die Kraft, läßt jetzo die segnende Mutter
Bersten die Taue von Werg, die hielten die phrygische Flotte,
Treibet die Schiffe hinaus und versenkt sie inmitten des Meeres.
Wie das Gebälk sie erweicht und das Holz zum Leibe geworden,
[117] Nehmen des Hauptes Gestalt die gebogenen Hinterverdecke;
Finger entstehen zugleich aus den Rudern und schwimmende Füße;
Seite verbleibt, was sonst auch Seite gewesen, und mitten
Unter den Schiffen der Kiel wird fürder verwendet als Rückgrat;
Tauwerk wird zu geschmeidigem Haar und zu Armen die Rahen;
Blau ist die Farbe wie sonst. In den Wellen, wovor sie sich ehdem
Fürchteten, tummeln sich froh die neuen Najaden des Meeres
In jungfräulichem Spiel; und erwachsen auf hartem Gebirge,
Zieh'n sie durch weiches Gewog', und es kümmert sie nimmer ihr Ursprung.
Doch sie vergaßen es nicht, wie viele Gefahr sie bestanden
Auf feindseligem Meer, und unter verschlagene Schiffe
Stemmten die Hände sie oft, wenn nicht eins führte Achi'ver.
Tro'jas Fall nachtragend verfolgt ihr Haß die Pela'sger;
Darum sah'n sie das Wrack der zerschellten neri'tischen Barke
Freudigen Blicks und sahen erfreut, wie starrende Klippe
Ward des Alci'nous Schiff und Felsen erwuchs an dem Holze.
Hoffnung war, als die Flotte belebt zu Nymphen des Meeres,
Daß, von dem Wunder geschreckt, von der Fehde der Ru'tuler ließe.
Doch er beharrt, und jeglicher Teil hat Götter und Göttern
Gleich zu erachtenden Mut. Nicht mehr Lavi'nia gilt es,
Nicht ausstattendes Reich, nicht mehr das Scepter des Schwähers,
Sondern den Sieg, und dieweil nicht läßt abstehen die Ehre,
[118] Kriegen sie. Endlich jedoch sieht Venus die Waffen des Sohnes
Siegreich. Turnus erliegt; auch A'rdea liegt, bei des Turnus
Leben die starke genannt. Als die fremdländisches Feuer
Hatte gerafft und die Häuser in glimmender Asche verschwanden,
Fliegt, noch keinem bekannt, aus der Mitte des Schuttes ein neuer
Vogel und schüttelt sich ab mit schlagenden Schwingen die Asche.
Ton und schmächtiger Leib und Blässe und alles geziemet
Ganz der eroberten Stadt; von der Stadt auch blieb ihm der Name.
Ardea jammert um sich nun selber mit eigenen Flügeln.
Jetzo hatte der Wert des Äneas die sämtlichen Götter,
Selbst auch Ju'no bewegt langwierigem Groll zu entsagen,
Als nun, wo die Gewalt für den Knaben Ju'lus genügend
Feststand, reif für den Himmel erschien der kythe'rische He'ros.
Venus verwendete sich bei den Himmlischen, und des Erzeugers
Hals umschlang sie und sprach: »O Vater, du warest ja niemals
Mir unfreundlich und hart, sei jetzt willfährig der Bitte:
Meinem Äneas verleih', der dich aus unserem Blute
Zum Großvater gemacht, o Gütigster, göttliche Würde!
Sei sie gering, nur mach' ihn zum Gott! Es genügt, daß er einmal
Sah das gefürchtete Reich, einmal durch stygische Flut fuhr.«
Beifall giebt ihr der Rat, und die Königin selber bewahrt nicht
Regungsloses Gesicht und erlaubt es mit freundlichem Munde.
Und der Erzeuger versetzt: »Wert seid ihr der Himmlischen Gabe,
Du, die begehrt, und für den du begehrst. Nimm, Kind, das Gewünschte!«
Jupiter sprach's. Sie dankt voll Freude dem gütigen Vater;
Dann vom Taubengespann durch wehende Lüfte gezogen
[119] Steigt sie herab am laure'ntischen Strand, wo zwischen dem Schilfrohr
Zum nahliegenden Meer mit den Wellen Numi'cius hinschleicht,
Und sie gebeut, daß der, was dem Tode gehört von Äneas,
Spüle hinweg und der See zuführ' im schweigenden Laufe.
Venus' Geheiß vollbringt der Gehörnte: mit seinen Gewässern
Wäscht und schwemmt er und nimmt, was Sterbliches war an Äneas,
Alles hinweg. Stand hielt dem Bespülen sein besseres Wesen.
Ihn den Geläuterten salbt mit göttlichen Dufte die Mutter,
Und mit ambrosischem Saft zu lieblichem Nektar gemenget
Naht sie dem Mund und macht ihn zum Gott, der bei des Quiri'nus
Volk nun I'ndiges heißt und Tempel besitzt und Altäre.
Drauf an Asca'nius kam, den doppelbenameten, A'lba
Und der lati'nische Staat. Nach ihm war Si'lvius König,
Dann Lati'nus sein Sohn, der samt dem ererbeten Scepter
Früheren Namen geführt. Den Lati'nus ersetzt der berühmte
A'lba, E'pytus den, und Ca'petus folget und Ca'pys,
Capys eher jedoch. Von ihnen empfing Tiberi'nus
Scepter und Macht, und versenkt in den Wellen des tuskischen Stromes
[120] Lieh er den Namen der Flut. Den Re'mulus und den entschloss'nen
A'krota hatt' er gezeugt. Davon ward, reifer an Jahren,
Re'mulus, wie er den Blitz nachahmte, erschlagen vom Blitzstrahl;
Akrota, weniger dreist als der Bruder, vererbte dem starken
Aventi'nus das Reich, der unter dem selbigen Hügel
Ruht, wo einst er geherrscht, und dem Hügel den Namen gegeben.
Nun ward Pro'ca das Haupt von dem palatinischen Volke.
Damals war's, wo Pomo'na gelebt, die Gärten zu pflegen
Trefflich wie keine verstand der latinischen Hamadrya'den,
Die auf Baumesertrag sorgfältig wie keine bedacht war.
Davon ist sie benannt. Nicht Waldungen liebt sie und Flüsse,
Fluren allein und vom köstlichen Obst vollhangende Zweige.
Statt mit dem Spieß ist die Rechte beschwert mit gebogener Hippe,
Womit bald sie beschränkt zu üppigen Wuchs und verwildert
Schweifende Ranken verkürzt, bald auch in gespaltener Rinde
Pfropfet ein Reis und Saft darbeut dem entliehenen Pflegling.
Nichts auch läßt sie vergehn vor Durst, und der saugenden Wurzel
Krummes Gefaser benetzt sie mit drüber geleitetem Wasser.
Dies ist Neigung und Lust; auch Lieb' ist nimmer ihr Trachten.
Fürchtend jedoch die Gewalt der Flurenbewohner, verschließt sie
Innen den Garten und wehrt und fliehet den männlichen Zutritt.
Was nicht alles geschah von den Sa'tyrn, der hüpfenden Jugend
Und von den Pa'nen im Feld mit den fichtenumwundenen Hörnern,
Von Silva'nus dem Greis, der jugendlich bleibet im Alter,
Auch von dem Gott, der die Diebe erschreckt mit dem Glied und der Hippe,
[121] Um der Pomona Besitz! Vor ihnen sogar im Verlangen
That sich Vertu'mnus hervor, doch glücklicher nicht als die andern.
O, wie trug er so oft in der Tracht aushaltenden Schnitters
Ähren im Korb und gewährte das Bild leibhaftigen Schnitters!
Oftmals, wenn er ans Haupt frischduftendes Heu sich gebunden,
Schien er gemähetes Gras erst eben gewendet zu haben.
Oft in schwieliger Hand auch trug er den Stachel, und schwören
Mochtest du, daß er entjocht vorher die ermatteten Rinder.
Hielt er die Hipp': er war Laubscherer und Schneitler der Rebe.
Trug er die Leiter am Hals: Obst, dächte man, ging er zu brechen.
Kriegsmann schien er zu sein mit dem Schwert, mit der Angel ein Fischer.
So vielfache Gestalt annehmend, verschafft' er sich öfter
Zugang, daß er die Lust der betrachteten Schöne genösse.
Der nun auch, an den Schläfen verhüllt mit zierlicher Haube,
Trat, mit dem Stabe geschützt und erblichenes Haar an den Schläfen,
Als hochaltriges Weib in den sorglich gewarteten Garten,
Und er bewundert das Obst und spricht: »Wie bist du gesegnet!«
Und der Gepriesenen giebt er etliche Küsse, wie niemals
Wirkliche Alte sie giebt, und gebückt auf die Scholle sich setzend
Schaut er empor zum Gezweig, das Bürde des Herbstes herabzog.
Vor ihm ragte, behängt mit schwellenden Trauben, ein Ulmbaum.
Als er diesen gerühmt und zugleich den geselleten Weinstock,
Sagte er: »Stände der Stamm da eh'los ohne die Rebe,
Hätt' er doch außer dem Laub gar nichts, weshalb man ihn suchte.
Aber die Rebe zugleich, die ruht am verbundenen Ulmbaum,
Wäre sie nicht ihm vermählt, sie läge geneigt an der Erde.
[122] Doch du lässest dich nicht von des Baums Vorbilde bewegen,
Meidest den Liebesverein und sorgst um keine Vermählung.
Wolltest du nur, fürwahr, nicht He'lena wäre von Freiern
Mehr umschwärmt, noch sie, die erregte den Kampf der Lapi'then,
Noch des Uli'xes Weib, des Verwegenen gegen die Feigen.
Jetzt auch, wo du entfliehst vor den Werbenden und sie verachtest,
Wünschen dich Hunderte doch, Halbgötter mit ihnen und Götter,
Was nur immer für Mächt' alba'nische Berge bewohnen.
Bist du verständig und willst du dich glücklich vereinen und hören,
Was dir die Greisin rät, die mehr als alle die andern,
Mehr als du glaubst, dich liebt, so verwirf alltäglichen Eh'bund
Und den Vertumnus ersieh zum Genossen des Lagers! Für diesen
Kann ich dir wohl einstehn; denn selbst nicht kennt er sich besser,
Als ich ihn. Nicht schweift er umher allorts in den Ländern;
Weit ist sein Wohnsitz nicht; auch nicht, wie manche der Freier,
Liebet er jede vom Seh'n: dich wird er am ersten und letzten
Lieben allein, und dir nur weiht er die Jahre des Lebens.
Jugendlich ist er zudem, und natürliche Gabe der Anmut
Ward ihm verlieh'n, und er weiß sich in jede Gestalt zu begeben:
Was du verlangst – und du darfst jedwedes verlangen –, er wird es.
Gleiches ja liebt ihr auch; denn Obst, wofür du besorgt bist,
Hat er zuerst und hält dein Gut in der fröhlichen Rechten.
Doch nun wünschet er nicht vom Baume gebrochene Früchte,
Nicht, die der Garten ernährt, safthaltige milde Gewächse,
Nichts mehr wünscht er als dich. O, gönne dem Schmachtenden Mitleid!
Denke, du hörtest in mir jetzt flehen den Werbenden selber!
Rächender Götter Gewalt und die Macht von Ida'lion scheue,
Welche den Starrsinn haßt, und den Zorn der rhamnu'sischen Göttin!
[123] Daß du sie mehr noch scheuest, erzähl' ich – vieles zu wissen
Gab mir Länge der Zeit – ein Begebnis, Cyperns Bewohnern
Allen bekannt, das leicht kann wenden dein Herz und erweichen.
Niederem Blut entstammt, sah I'phis die edelgebor'ne
Anaxa'rete einst vom alten Geschlechte des Teu'cer,
Sah sie und fühlte sogleich Glut wallen durch Mark und Gebeine.
Als er sich lange gesträubt, doch mit dem Verstand die Bethörung
Nicht zu besiegen vermocht, da naht' er flehend der Schwelle.
Bald sein liebendes Leid ihr gestehend, beschwor er die Amme,
Ihm nicht strenge zu sein, beim Glück und Gedeihen des Pflegkinds;
Freundlich beredet' er bald jedwede der dienenden Mägde,
Sie um gewogene Gunst ansprechend mit dringlicher Bitte,
Oft von rührendem Brief auch ließ er bestellen die Worte;
Manchmal hängt er vom Taue der Thränen befeuchtete Kränze
Auf an den Pfosten und lag, an die steinerne Schwelle die weiche
Seite gedrückt, und schalt und verwünschte den leidigen Riegel.
Sie, unsanft wie der Sund, der steigt beim Sinken der Zicklein
Hart wie Eisen und Stahl, in der no'rischen Esse geschmolzen,
Oder Gestein, das fest noch haftet an lebender Wurzel,
Weist ihn höhnisch zurück und gesellt hochmütige Worte
Schnöde zu kränkendem Thun und benimmt dem Bewerber die Hoffnung.
Nicht hielt weiter die Qual so lange getragener Schmerzen
Iphis aus, und er sprach vor der Thür noch dieses zum Abschied:
›Du, Anaxa'rete, siegst, und von meiner beschwerlichen Nähe
Will ich dich endlich befrei'n. Auf, rüste zum frohen Triumphe,
[124] Rufe den Pä'an laut und winde dir glänzenden Lorbeer!
Dein ist der Sieg; ich wähle den Tod. Frohlocke, du Spröde!
Etwas sollst du an mir nun wenigstens loben, in einem
Werd' ich genehm dir sein, und Verdienst nicht wirst du mir leugnen.
Aber vergiß auch nicht, daß erst mit dem Atem ich aufgab
Liebe zu dir: ich muß zwei Leben entbehren auf einmal.
Kunde von unserem Tod soll nicht das Gerede dir bringen:
Ich will – zweifele nicht – nah sein und sichtlich erscheinen,
Daß am entseeleten Leib dein grausames Auge du weidest.
Wenn ihr Götter jedoch auf menschliche Thaten herabseht,
O seid meiner gedenk – nichts weiteres waget die Zunge
Noch zu erfleh'n – und von uns laßt lange erzählen die Nachwelt!
Was ihr dem Leben geraubt an Zeit, das gebt dem Gedächtnis!‹
So sprach Iphis und hob mit den thränenden Augen die blassen
Arme hinan zu den oft mit Kränzen begangenen Pfosten,
Und an der Pforte zuhöchst anknüpfend die Schlinge des Strickes
Sagte er: ›Solch ein Geflecht, unselige Spröde, behagt dir!‹
Rasch einfügt er das Haupt, auch jetzt nach jener gewendet,
Und die entsetzliche Last hing da mit geschnüreter Kehle.
Ächzenden Ton ließ hören die Thür beim Schlage der Füße,
Gleichwie bange vor Schreck, und geöffnet verriet sie den Selbstmord.
Laut schrie auf das Gesind', und sie trugen zur Schwelle der Mutter –
Tot war, der ihn gezeugt – den vergeblich gelöseten Leichnam.
Jene empfängt ihn im Schoß und umfaßt des erkalteten Sohnes
Teueren Leib; dann, als sie die Wort' unglücklicher Eltern
Alle gesagt und das Thun unglücklicher Mütter erschöpft war,
Führte sie hin durch die Stadt den Thränen erregenden Grabzug
Und ließ tragen zum Brand den verblichenen Leib auf der Bahre.
[125] Dicht an der Gasse, wodurch sich bewegte das Leichenbegängnis,
Lag Anaxaretes Haus, und die Klagen erreichten der spröden
Jungfrau Ohr, die nun schon spürte die rächende Gottheit.
›Laßt uns,‹ sprach sie gerührt, ›anschauen den traurigen Grabzug!‹
Und ein erhöhtes Gemach mit geräumigen Fenstern betrat sie.
Kaum nun sah sie gestreckt auf der Bahre den Iphis und plötzlich
Sind ihr die Augen erstarrt, und das wärmende Blut in den Adern
Weicht aus dem Leib, den Blässe bezieht. Rückwärts mit dem Fuße
Wollte sie gehn: fest hing er. Das Antlitz wollte sie wenden:
Das auch konnte sie nicht, und Gestein, das längst in dem harten
Busen gewesen zuvor, durchdringt ihr allmählich die Glieder.
Halte für Mär das nicht; denn Sa'lamis wahret das Steinbild
Völlig der Lebenden gleich noch jetzt im Tempel der Venus,
Die hinschauende heißt. Dies nimm, mein Kind, dir zur Warnung,
Laß von dem störrigen Sinn und dem Liebenden füge dich, Ny'mphe!
Dafür möge dir auch nie Keime des Obstes im Frühling
Sengen der Frost, nie raffender Wind abschütteln die Blüten.«
Als dies hatte gesagt der umsonst zu allen Gestalten
Fähige Gott, da ward er zum Jüngling wieder, von hinnen
Gebend das Greisengerät, und erschien vor der Nymphe in Schöne,
Wie wenn siegend sich drängt durch hemmende Wolken der Sonne
[126] Leuchtendes Bild und von keiner verdeckt neu sendet die Strahlen;
Und er bereitet Gewalt. Nicht Not ist Gewalt: mit Entzücken
Schaut sie des Gottes Gestalt und spürt gleich jenem die Wunde.
Drauf im auso'nischen Reich war herrschend Amu'lius' Kriegsmacht
Wider das Recht. Durch die Enkel erhält die verlorene Herrschaft
Nu'mitor wieder der Greis, und der Hauptstadt Mauern erstehen
An dem Pali'lienfest, und der Führer sabinischer Väter,
Ta'tius, kriegt; und als sie den Weg zur Feste erschlossen,
Haucht, von den Waffen erdrückt, Tarpe'ja den schuldigen Geist aus.
Cu'res' Söhne darauf nach der Weise der schweigenden Wölfe
Hemmen im Munde den Laut und befallen die schlummerversenkten
Männer und schleichen heran zu den Thoren, die I'lias Sprößling
Sicher mit Riegeln gesperrt. Eins aber eröffnete selber
Juno, ohne Geräusch mit gedreheter Angel zu ma chen.
Venus allein nahm wahr, daß fielen die Barren am Thore,
Und sie verschlösse es gern, wenn ein Gott je dürfte vereiteln,
Was vollführte ein Gott. Sitz hatten dem Ja'nus benachbart,
Wo vom Borne der Grund naß war, auso'nische Nymphen.
[127] Die ruft jene zum Schutz: die Naja'den versagen der Göttin
Nicht das gerechte Begehr und lassen die Adern und Bäche
Rinnen dem Quell. Noch nicht war aber des offenen Janus
Mündung unnahbar, noch sperrte die Welle den Weg nicht.
Unter den fruchtbaren Quell nun legen sie grünlichen Schwefel,
Und sie erhitzen im Grund das Geäder mit rauchendem Erdpech.
Solcher und anderer Stoff läßt dringen zur Tiefe der Quelle
Kochende Glut, und die ihr zuvor mit der Kälte der Alpen
Wagtet den Streit, ihr Wasser besteht mit dem Feuer die Wette.
Rauch nun wirkte den zwei Thorpfosten die heiße Bespülung,
Und an dem Thor, das umsonst den gestählten Sabi'nern verheißen,
War der verbrennende Born Vorbau, bis Waffen ergriffen
Ma'vors' streitbares Volk. Als Ro'mulus diese zum Angriff
Gegen die Feinde gekehrt und bereits mit sabi'nischen Leichen
War Roms Boden bedeckt und mit eigenen auch und des Schwähers
Blut mit des Eidams Blut vom frevligen Schwerte gemischt war,
Ziehen sie vor, anstatt aufs äußerste sich zu bekämpfen,
Friedlich zu schlichten den Streit, daß Ta'tius teile die Herrschaft.
Tot war Tatius längst, und zugleich zwei Völkern verliehst du,
Romulus, gleiches Gesetz, als Mars, sich des Helmes begebend,
Also zu reden begann zum Zeuger der Götter und Menschen:
»Vater, die Zeit ist da, weil nun auf verlässigem Grunde
Steht Roms Macht und nicht abhängt von dem einen Beschirmer,
[128] Daß du den Lohn, der mir und dem würdigen Enkel versprochen,
Zollest und ihn von der Erd' entrückt in den Himmel versetzest.
Weiland sagtest du mir in der seligen Götter Versammlung –
Denn ich weiß und behielt dein väterlich Wort im Gedächtnis –:
›Einer ersteht, den wirst du erhöh'n in die Bläue des Himmels!‹
Also hast du gelobt: Vollzug nun gieb der Verheißung!«
Ihm winkt gütig Gewähr der Allmächtige, und mit Gewölken
Schwärzt er die Luft und erschreckt durch Donner und Blitze den Weltkreis.
Als er die Zeichen erkannt, die ermächtigten zu der Entführung,
Steigt auf die Lanze gestützet der furchtlos kühne Gradi'vus
Hinter der Rosse Gespann an blutiger Deichsel und schwinget
Schwirrend die Geißel zum Schlag, und jach durch die Lüfte gesunken
Hält er den Wagen zuhöchst auf Pala'tiums waldigem Hügel.
Während der I'lia Sohn dort königlich seinen Quiri'ten
Recht sprach, rafft er ihn fort. In die wehenden Lüfte zerronnen
Wich sein sterblicher Leib, wie fliegend von kräftiger Schleuder
Mitten im himmlischen Raum oft schmilzet die bleierne Kugel.
Schöner dafür wird seine Gestalt, des erhöheten Polsters
Würdiger so wie das Bild des Quiri'nus im Königsmantel.
[129] Ihn als verloren beweint sein Weib. Doch Ju'no die Herrin
Heißt auf gebogenem Pfad zu Hersi'lia I'ris hinabgehn
Und der Verwitweten so ausrichten von ihr die Bestellung:
»Du im lati'nischen Volk, du auch im sabi'nischen Volke
Edelste Zierde der Frau'n, so würdig vor allen, die Gattin
Früher vom trefflichsten Mann, nun aber zu sein von Quirinus,
Stille die Thränen getrost, und verlangt dich den Gatten zu schauen,
Folge mir nach in den Hain, der an dem Quirinischen Hügel
Grünet und schattig verdeckt den Tempel des römischen Königs!«
Iris gehorcht; und zur Erde gesenkt auf farbigem Boden
Tritt sie Hersilien nah' und sagt die befohlenen Worte.
Kaum hebt jene den Blick mit bescheidener Miene vom Boden:
»Göttin, – welche du sei'st, nicht kann ich es sagen, gewiß nur
Weiß ich, daß du es bist – o führe mich,« sprach sie, »und zeige
Mir des Gemahls Antlitz! Wenn dieses zu schauen das Schicksal
Einmal noch mir vergönnt, dann hab' ich den Himmel erhalten.«
Sonder Verzug nun geht sie hinaus mit der Thaumanti'de
Auf den Romu'lischen Berg. Dort gleitet, vom Äther gefallen,
Nieder zur Erd' ein Stern, und brennend vom Lichte des Sternes
Wich mit diesem zugleich Hersiliens Haar in die Lüfte.
Doch sie selber umfaßt der Begründer von Rom mit bekannten
Armen und wandelt zugleich mit dem Leib vormaligen Namen.
Ho'ra heißet sie nun, als Göttin gesellt dem Quiri'nus.

Fünfzehntes Buch

[130] Fünfzehntes Buch.

Inhalt. My'scelus. Lehren des Pytha'goras. Ege'ria (Hippo'lytus). Ta'ges. Ro'mulus' Speer. Ci'pus. Überführung der Ä'skulapschlange. Cä'sars Vergötterung. Lob des Augu'stus.


Frage inzwischen entsteht, wer trage des schwierigen Amtes

Bürde hinfort und die Statt solch trefflichen Königs ersetze.
Fa'ma, des wahren Erfolgs Vorbotin, bestimmt dem berühmten
Nu'ma das Reich. Ihm war noch nicht des sabinischen Volkes
Bräuche zu kennen genug; in dem vielumfassenden Geiste
Nimmt er das Höhere auf und forscht nach dem Wesen der Dinge.
Solches Bestreben bewog ihn auch, zu verlassen die Heimat
Cu'res und ferne zu gehn zur Stadt des Herku'lischen Wirtes.
Wer am ita'lischen Strand als Gründer die gra'jischen Mauern
Bauete, fragte er dort, und es gab ihm einer der greisen
Landesbewohner Bescheid, der Kunde besaß von der Vorzeit:
»Reich an ibe'rischem Vieh sei Ju'piters Sohn von dem Weltmeer
Einst nach glücklicher Fahrt zur laci'nischen Küste gekommen,
Sagt man, und während im Gras sich weidend ergingen die Rinder,
Hab' er das Haus und das gastliche Dach des begüterten Kro'ton
Selber betreten und dort sich erholt von der langen Beschwerde;
Beim Weggehn dann hab' er gesagt: ›In dem Alter der Enkel
[131] Ist hier Stelle der Stadt.‹ Und erfüllt ward seine Verheißung.
Denn von Ale'mon gezeugt aus A'rgolis war ein gewisser
My'scelus, dazumal vor allen geliebt von den Göttern.
Den sprach an, als Schlaf ihn beschwerte, der Held mit der Keule,
Über das Lager gebeugt: ›Brich auf von dem heimischen Wohnsitz;
Geh in die Fremde hinaus zu den steinigen Wellen des Ä'sar!‹
Viel auch droht er dazu und Schreckliches, falls er Gehorsam
Weigerte. Drauf mit dem Gott ist von hinnen gewichen der Schlummer.
My'scelus richtet sich auf und ruft sich im schweigenden Geiste,
Was er geträumet, zurück, und lange bekämpft sich der Wille.
Aufbruch heischet der Gott, die Gesetze verbieten den Auszug:
Tod steht drauf, wenn einer gedenkt zu vertauschen die Heimat.
Als sein leuchtende Haupt im Oce'anus hatte versenkt Sol
Und mit dem sternigen Haupt sich empor dichthüllende Nacht hob,
Nahte der selbige Gott im Gesicht und mahnte dasselbe;
Mehr noch droht er dazu und Härteres, falls er Gehorsam
Weigerte. Bang schickt jener sich an, nach dem anderen Wohnsitz
Überzugehn mit dem heil'gen Gerät. In der Stadt ist Gemurmel,
Und den Verbrecher belangt das Gericht. Als nach des Verhöres
Schluß das Vergehn vorlag, schon ohne die Zeugen erwiesen,
Hob zu den Göttern empor unsauber in Tracht der Beklagte
Händ' und Gesicht: ›Du, welchem die zwölf Arbeiten den Himmel‹,
Sprach er, ›gebracht, ach hilf: du rietest mir ja zu dem Frevel!‹
Brauch von alters bestand, den Beklagten mit schneeigen Steinchen
[132] Freizusprechen von Schuld, mit schwarzen jedoch zu verdammen.
Jetzt auch fällten sie so den schlimmen Entscheid, und die Steine
Senkten gesamt sich schwarz in die unbarmherzige Urne.
Als die aber gestülpt ausgoß zum Zählen die Steinchen,
War bei allen vertauscht mit der weißen die dunkele Farbe,
Und der befreiende Spruch, durch He'rkules Hilfe veranlaßt,
Rettet Ale'mons Sohn. Dank zollt er Amphi'tryons Sohne,
Der so treulich gesorgt, und schifft mit günstigen Winden
Durch das Jo'nische Meer, und Tare'ntus, Lako'niens Pflanzstadt,
Sy'baris, Thu'riums Bucht und Ja'pyx' Land und Nexe'tum
Im Salenti'nergebiet und Krimi'se fährt er vorüber.
Kaum nun waren durchirrt nach dem Strand hinschauende Länder,
Als er das Ziel auffand, die beschiedene Mündung des Ä'sar,
Und in der Nähe das Grab, wo heilig gehaltener Boden
Krotons Gebeine verbarg, und dort auf befohlener Erde
Gründet' er Mauern und gab der Stadt des Begrabenen Namen.«
Solchergestalt that kund glaubwürdige Sage des Ortes
Ersten Beginn und der Stadt, die liegt an Italiens Ende.
Dort auch wohnte ein Mann aus Sa'mos, aber von Samos
War er gefloh'n vor dem Herrn und blieb freiwillig im Banne,
Hassend Tyrannengewalt. Der stieg, ob fern von dem Himmel,
Doch zu den Göttern im Geist und ersah, was ewige Ordnung
[133] Menschlichen Blicken entzog, mit dem Auge der denkenden Seele.
Dann, wie er alles erspäht mit Gedanken und wachender Sorge,
Trug er es vor im versammelten Kreis, und den schweigenden Schülern,
Die zuhörten dem Wort mit Verwunderung, lehrt' er des Weltalls
Uranfang und der Ding' Ursachen und was die Natur sei,
Auch was Gott, von wannen der Schnee, wie Blitz sich erzeuge,
Ob in zerteiltem Gewölk Sturmwind, ob Jupiter donn're,
Was aufschütt're das Land, nach welchem Gesetz die Gestirne
Wandeln und was sonst dunkel verbleibt. Er rügte die Sitte,
Tiere zu speisen, zuerst und erschloß zu folgender Rede
Weisheit kündenden Mund, der nicht auch Glauben gefunden:
Laßt, ihr Sterblichen, ab, durch frevlige Speise die Leiber
Euch zu entweih'n. Feldfrucht ja ist und die tragenden Äste
Abwärts ziehendes Obst und am Weinstock schwellende Trauben,
Zarte Gewächs' auch sind und andere, welche das Feuer
Mild kann machen und weich; und wird euch nimmer benommen
Labende Milch, noch Seim nach Thy'mian duftenden Honigs.
Gaben in Fülle beschert die verschwendende Erde zu milder
Nahrung und beut euch Kost, die Blut nicht heischet und Tötung.
Tiere nur sättigen sich mit Fleisch, doch alle mit nichten;
Denn Gras nähret das Roß und das wollige Vieh und die Rinder;
Denen jedoch inwohnt unbändiges Wesen und Wildheit,
Löwen, die zornige Brut, armenische Tiger, mit Bären
Gieriger Wölfe Geschlecht, die freuen sich blutigen Fraßes.
Welch ein vermessenes Thun, im Fleische das Fleisch zu versenken
Und den begehrlichen Leib mit verschlungenem Leibe zu mästen
Und mit des Lebenden Tod ein Lebender sich zu erhalten!
Bei so reichlichem Gut, das die Erde, die beste der Mütter,
[134] Zeuget, behagt dir nichts als traurige Stücke zu kauen
Mit unseligem Zahn und zu thun nach Art der Cyklo'pen?
Weißt du nimmer die Gier des gefräßigen Bauches zu stillen,
Der zum Schlimmen gewöhnt, als wenn du vernichtest die andern?
Jene verwichene Zeit, die golden wir pflegen zu nennen,
War mit Baumesertrag und dem Boden entsprossenen Pflanzen
Reichlich beglückt und befleckte noch nicht mit Blute die Lippen.
Damals schlugen die Luft mit sicheren Schwingen die Vögel;
Furchtlos irrt' umher im freien Gefilde der Hase;
Nie auch hängte den Fisch leichtgläubiger Wahn an die Angel.
Ohn' auflauernden Trug und nichts argwöhnend von Tücke
War voll Frieden die Welt. Als aber ein Stifter des Unheils,
Wer auch immer es war, hinblickte mit Neid auf die Rachen
Und in den gierigen Bauch sich leibliche Speisen versenkte,
Bahnt' er dem Frevel den Weg. Vielleicht von des Wildes Erlegung
Wurde am ersten gewärmt mit Blute besudeltes Eisen,
Und das hätte genügt; denn was uns steht nach dem Leben
Dürfen wir, ohne die Pflicht zu verletzen, vom Boden vertilgen.
Aber zu töten die Brut war recht, nicht auch sie zu essen.
Dann ging weiter der Greu'l, und zu fallen als frühestes Opfer,
Glaubt man, verdiente das Schwein, weil das mit gebogenem Rüssel
Saaten im Feld umwühlt und vereitelt die heurige Hoffnung.
Weil er die Reben benagt, wird an dem Altare des Rächers
Ba'cchus geschlachtet der Bock. Schuld brachte den beiden Verderben.
Was für Schuld habt ihr, friedfertige Schafe, den Menschen
Zur Fürsorge bestimmt, die ihr im gefülleten Euter
[135] Nektar tragt und zum weichen Gewand uns euere Wolle
Gebet und mehr, denn im Tod, uns Nutzen gewähret im Leben?
Was that Böses der Stier, der Falsch nicht kennet und Tücke,
So unschädlich und schlicht und geschaffen zum Dulden der Arbeit?
Undank hegt im Gemüt und der Gaben des Feldes ist unwert
Wer, da eben die Last des gebogenen Pflugs ihm benommen,
Seinen Besteller der Flur zu schlachten vermocht' und den Nacken,
Der von der Arbeit wund so vielmal hartes Gefilde
Hatte bereitet für ihn und Ernten beschafft, mit dem Beil schlug.
Doch es geschieht nicht bloß die Verruchtheit, selber den Göttern
Bürden den Frevel sie auf und vermeinen, das höchste der Wesen
Finde Gefallen am Morde des Mühen ertragenden Rindes.
Schön vor allen an Wuchs und jeglichen Makels entbehrend –
Grade der Wert ist Verderb –, mit Goldschmuck prangend und Bändern,
Stehet das Opfer am Herd und vernimmt arglos die Gebete,
Sieht dann, wie auf die Stirn ihm zwischen die Hörner gelegt wird
Feldfrucht, die es gebaut, und färbt beim Streiche das Messer,
Das es in spiegelnder Flut vielleicht schon sah, mit dem Blute.
Aus noch lebender Brust gleich reißend die edelen Teile,
Halten sie Schau und erforschen darin die Gesinnung der Götter.
Warum hungert denn so nach verbotener Speise den Menschen?
Sterblich Geschlecht, sie zu essen vermeßt ihr euch? Von dem Frevel
Stehet, ich bitt' euch, ab und höret auf unsere Warnung!
Wenn ihr den Gaumen euch letzt mit den Gliedern geschlachteter Stiere,
O so wißt und bedenkt, daß euere Pflüger ihr kautet!
[136] Weil zu reden ein Gott mich treibt, so leist' ich geziemend
Folge dem treibenden Gott. Mein De'lphi und droben den Äther
Schließe ich auf und eröffne den Spruch hochheiligen Geistes.
Großes enthüllt mein Mund, was noch kein Denker erspürte,
Was lang Dunkel umzog. Durch hohe Gestirne zu wandeln
Freuet, es freut auf Wolken der Erd' unrührigem Sitze
Ferne zu schweben, zu steh'n auf der Schulter des kräftigen A'tlas
Und von der Höhe zu schau'n auf die unstät irrenden Menschen,
Die der Erkenntnis bar, und den Zagenden, welche der Tod schreckt,
Also zu heben den Mut und zu künden die Reihe des Weltlaufs.
O du Geschlecht, von der Furcht vor frostigem Tode bewältigt,
Was macht Styx dir bang, was Dunkel und eitele Namen,
Dichtern gefälliger Stoff und Gefahren erlogenen Reiches?
Ob er im Feuer verging auf dem Holzstoß, ob ihn Verwesung
Wegnahm, glaubet, der Leib kann nicht mehr Schlimmes erleiden.
Frei ist die Seele vom Tod, und verließ sie die frühere Stätte,
Wohnt und lebet sie fort im anderen Hause geborgen.
Mir ist bewußt noch jetzt: zur Zeit des Trojanischen Krieges
War ich Pa'nthous Sohn Eupho'rbus, welchem gehaftet
[137] Vorn in der Brust der gewichtige Speer vom zweiten Atri'den.
Unlängst hab' ich erkannt im Aba'ntischen A'rgos in Junos
Tempel den nämlichen Schild, den unsere Linke getragen.
Alles verändert sich nur, nichts stirbt. Herüber, hinüber
Irrt der belebende Hauch, und in andre beliebige Glieder
Ziehet er ein und geht aus Tieren in menschliche Leiber
Und in Getier von uns und besteht so ewige Zeiten.
Wie das geschmeidige Wachs, zu neuer Gestalt sich bequemend,
Weder verbleibt, wie es war, noch hält an den selbigen Formen,
Aber dasselbe doch ist, so bleibt auch, lehr' ich, die Seele
Immer sich gleich und begiebt sich nur in verschiedene Formen.
Drum, daß achtende Scheu nicht weiche den Lüsten des Bauches,
Hört mein göttliches Wort: laßt ab, zu verdrängen verwandte
Seelen mit schändlichem Mord, und Blut nicht nähret mit Blute!
Weil ich auf offener See nun treib' und die Segel den Winden
Gab zum Bläh'n: nichts ist von Bestand in der Weite des Weltalls.
Rings ist Fluß, und jedes Gebild ist geschaffen zum Wechsel.
Selber die Zeit auch gleitet dahin in beständigem Gange,
Anders nicht als ein Strom; denn Strom und flüchtige Stunde
Stehen im Lauf nie still. Wie Woge von Woge gedrängt wird,
Immer die kommende schiebt auf die vordere, selber geschoben,
Also fliehen zugleich und folgen sich immer die Zeiten,
Unablässig erneut; das war, das bleibet dahinten;
Was nicht war, das wird, und jede Minute verjüngt sich.
Gegen das Licht auch siehst du die Nacht aus dem Meere sich heben,
Aber der finsteren Nacht nachfolgen die glänzenden Strahlen.
Anders erweist sich der Himmel gefärbt, wenn alles ermüdet
Liegt im Schoße der Ruh' und wenn hell auf schneeigem Rosse
Lu'cifer kommt, und anders, wenn früh die Palla'ntische Göttin,
Kündend den Tag, Schein wirft in die Welt, die harret des Phö'bus.
Rot ist auch Sols Schild, wenn er steigt vom Grunde der Erde,
[138] Morgens zu seh'n und rot, wenn er sinkt vom Grunde der Erde,
Doch in der Höh' ist er hell, weil droben sich breitet des Äthers
Reinere Luft und ferne sich hält von der trübenden Erde.
Nie auch bleibt die Gestalt der bei Nacht sichtbaren Dia'na
Völlig dieselbe und gleich; denn stets ist kleiner als morgen
Heute das Bild, wenn die Scheibe sich dehnt, doch engt sie sich, größer.
Wie, und siehest du nicht in vier abwechselnde Formen
Treten das Jahr, nachahmend den Gang von unserem Leben?
Saftreich ist es und zart, ganz ähnlich dem Alter des Knaben,
In dem erwachsenden Lenz. Dann strotzen die neuen Gewächse,
Kraft noch missend und Halt, und ergötzen mit Hoffnung den Landmann.
Dann blüht alles umher, und fröhlich im Schmelze der Blumen
Prangt das Gefild, doch fehlt noch festes Beharren dem Laube.
Tüchtiger geht nach dem Lenz nun über das Jahr in den Sommer,
Rüstigem Jüngling gleich; denn es ist kein anderes Alter
Reicher in Fülle der Kraft, keins heißer in drängendem Streben.
Danach folget der Herbst, der ohne das Feuer der Jugend
Reif dastehet und mild und zwischen dem Greis und dem Jüngling
Mäßig inmitten sich hält, schon grau an den Schläfen gesprenkelt.
Schaurig mit wankendem Schritt kommt endlich der greifende Winter.
Völlig der Haare beraubt, und trägt er sie, weiß an dem Haupte.
An uns selber erfährt ja auch rastlose Verwandlung
Immer der Leib, und was wir gewesen und sind, wir verbleiben
Morgen es nicht. Einst war ein Tag, wo im Schoße der Mutter
Nur als Samen und Keim zukünftiger Menschen wir wohnten.
Bildende Hand anlegte Natur, und daß vom gedehnten
Leibe der Mutter umspannt die lebendige Bürde gezwängt sei,
Wollte sie nicht und ließ sie heraus an die ledigen Lüfte.
Jetzo gebracht ans Licht, lag ohne Vermögen der Säugling;
Bald auf vieren bewegt' er nach Sitte der Tiere die Glieder,
Und er begann allmählich mit noch unsicheren Knieen
Wankend zu stehen und half durch schwache Versuche den Sehnen.
[139] Stark dann wird er und rasch, und über die Strecke der Jugend
Geht er, und ist dann auch vollendet der mittleren Jahre
Dienstzeit, geht's abwärts auf der Bahn hinfälligen Alters.
Dieses zerrüttet und macht zu nichte der früheren Jahre
Rüstige Kraft, und Mi'lon der Greis sieht weinend die Arme,
Die, den Herkulischen gleich, von straff sich spannenden Muskeln
Hatten gestrotzt ehdem, schlaff hängen in nichtiger Ohnmacht.
Weinend im Spiegel erblickt auch Ty'ndarus' Tochter des Alters
Runzeln und fragt bei sich, warum zweimal sie entführt sei.
Du, aufzehrende Zeit, und du, mißgünstiges Alter,
Ihr bringt allem Verderb, und benagt vom Zahne des Wechsels,
Macht ihr alles gemach im schleichenden Tode vergehen.
Ohne Bestand sind auch, die wir Elemente benennen.
Was für Wechsel sie trifft, – merkt auf! – ich will es verkünden.
Vier Grundstoffe bewahrt, die alles erzeugen, des Weltalls
Ewiger Bau. Zwei haben Gewicht: mit der Erde die Welle,
Die geh'n nieder zum Grund, von der eigenen Schwere gezogen.
Ebensoviel sind ohne Gewicht und streben zur Höhe,
Frei vom Drucke: die Luft und, reiner als jene, das Feuer.
Daraus, wenn sie getrennt auch sind, nimmt seine Entstehung
Alles; in sie fällt alles zurück. Das zersetzete Erdreich
Löst sich in flüssiges Naß; und das flüchtig gewordene Wasser
Schwindet in Dunst und Luft, und wieder, enthoben der Schwere,
Schwingt sich die dünneste Luft in die Höhe zum feurigen Äther.
Dann geht wieder der Weg rückwärts in der nämlichen Folge.
Denn in die trägere Luft geht über verdichtetes Feuer;
Wasser entsteht aus der Luft; zum Erdreich ballt sich die Welle.
Keines verbleibt in derselben Gestalt, und Veränderung liebend
[140] Schafft die Natur stets neu aus anderen andere Formen,
Und in der Weite der Welt geht nichts – das glaubt mir! – verloren;
Wechsel und Tausch ist nur in der Form. Entstehen und Werden
Heißt nur anders als sonst anfangen zu sein und Vergehen
Nicht mehr sein wie zuvor. Sei hierin jenes versetzet,
Dieses vielleicht dorthin: im ganzen ist alles beständig.
Unter dem selbigen Bild – so glaub' ich – beharrt auf die Dauer
Nichts in der Welt. So kamt ihr Zeiten vom Golde zum Eisen;
So auch hat gar oft sich gewendet der Gegenden Schicksal.
Ich sah selber als Meer, was fester und trockener Boden
Vormals war; ich sah aus Wogen gewordene Länder.
Fern ab lagen vom Meer in der See einheimische Muscheln,
Und man entdeckte sogar auf Gebirgshöh'n Anker der Vorzeit.
Was erst Ebene war, das schuf der Gewässer Herabsturz
Und zum Thal, und der Berg ward niedergeschwemmt in die Fläche.
Vordem sumpfiges Land ist lechzend von trockenem Sande,
Während von stehendem Sumpf feucht ist, was früher gedürstet.
Hier rief Quellen hervor die Natur, dort wieder verschloß sie
Andere; Flüsse genug auch strömen hervor aus der Tiefe
Oder verlieren sich ganz von der Erd' ehmaligen Stößen.
So kommt Ly'cus zu Tag, nachdem ihn verschluckte der Erdspalt,
Ferne von da und ersteht aufs neue am anderen Ausfluß.
So wird jetzo geschlürft, dann wiedergeschenkt nach verdecktem
Lauf in argo'lischer Flur der gewaltige Strom Erasi'nus.
Müde des Ursprungs war und des früheren Ufers Caï'cus –
Sagt man –, My'siens Fluß, und er nimmt nun andere Laufbahn.
Voll bald fließet dahin mit sika'nischem Sand Amena'nus;
[141] Manchmal trocknet er aus, weil Druck ihm die Quellen zurückhält.
Vormals diente zum Trank, nunmehr gießt Wasser Ani'gros,
Das dir Ekel erregt, seitdem, wenn Glaube den Dichtern
Nicht durchaus zu entzieh'n, Zweileiber darinnen die Wunden,
Die dein Bogen gebracht, keultragender He'rkules, wuschen.
Ist nicht Hy'panis auch, der kommt von den sky'thischen Bergen,
Da er zuvor süß war, mit bitteren Salzen behaftet?
Rings von Fluten umspült war Pha'ros, Anti'ssa und Ty'ros
Einst, die phönizische Stadt, und Insel ist keine geblieben.
Leu'kas besaßen zuvor als Festland alte Bewohner;
Jetzt umgiebt sie die See. Auch Za'nkle, wie sie erzählen,
War mit Italien eins, bis daß der Verband von der Meerflut
Wurde gelöst und das Land vor trennenden Wogen zurückwich.
[142] Wenn du He'like suchst und Bu'ris, Acha'ïas Städte,
Findest du sie von den Wellen bedeckt: noch pflegen die Schiffer
Tief auf dem Grunde des Meers die versunkenen Häuser zu zeigen.
Nahe der Pi'ttheusstadt Tröze'n ist ein ragender Hügel,
Ganz von Bäumen entblößt, vor Zeiten ein ebenes Blachfeld,
Jetzt ansteigende Höhe; denn – grausig zu sagendes Schrecknis –
Tosender Winde Gewalt, die in finsteren Höhlen verschlossen
Auszuschnauben gestrebt und am freieren Himmel zu schweifen
Ringend umsonst sich lange bemüht, weil nirgends am ganzen
Kerker ein Spalt sich fand und der Ausweg fehlte dem Sausen,
Trieb aufblähend den Grund, gleichwie wenn Blasen der Atem
Anschwellt oder das Fell vom Rücken des doppeltgehörnten
Geisbocks. Jene Geschwulst an dem Orte verblieb, und ein hoher
Hügel erscheint sie jetzt und ist hart vom langen Bestande.
Vieles dazu noch wüßt' ich, Gesehenes oder Gehörtes;
Weniges nur sei weiter erwähnt. Wie, wirkt und erfährt nicht
Wasser Veränderung auch? Kalt ist, horntragender A'mmon,
Am Mittag dein Born, warm ist er am Morgen und Abend.
[143] Drüber gehaltenes Holz entzünden am Quell Athama'nen –
Sagt man –, wenn sich der Mond zum kürzesten Kreise zurückzog.
In der Ciko'nen Gebiet ist ein Fluß, der macht die Geweide,
Trinkt draus einer, zu Stein und bezieht das Berührte mit Marmor.
Kra'this und Sy'baris dort, der unsere Fluren begrenzet,
Machen dem Bernstein gleich und dem Gold das befeuchtete Haupthaar.
Ja, was mehr noch Staunen erregt, auch Wasser bestehen,
Die an dem Leib nicht bloß, die Wandelung wirken am Geiste.
Wer nicht hätte gehört von der Sa'lmacis schwächendem Weiher
Und Äthio'piens Seen, daß, wer zum Trank sie genommen,
Toll wird oder verfällt der Gewalt seltsamer Betäubung?
Wer sich stillte den Durst aus der Flut des klito'rischen Bornes,
Meidet den Wein und freut sich enthaltsam lauteren Wassers,
Sei's, weil feurigem Wein feindselige Kraft in den Wellen,
Sei's, weil einst, wie das Volk sich erzählt, der Sohn Amytha'ons,
Als er mit Sprüchen und Saft die besessenen Töchter des Prö'tus
[144] Hatte befreit von der Wut, alldort die entsühnende Salbe
Warf in den Quell; und die Scheu vor dem Weine verblieb in den Wellen.
Doch der lynke'stische Strom rinnt ungleich jenem in Wirkung:
Wer draus goß in den Schlund und Maß nicht wußte zu halten,
Taumelt im Gang, wie wenn er an lauterem Wein sich berauschte.
Auch den arka'dischen Ort, den Phe'neos nannten die Alten,
Bracht' in Verruf zwiefältige Flut: die scheue bei Nachtzeit!
Nachts ist schädlich der Trunk, am Tage zu schöpfen gefahrlos.
Also wohnet in Seeen und Flüssen in anderen anders
Wirkende Kraft. Zeit war, wo Orty'gia schwamm in den Wellen;
Nunmehr stehet sie fest. Einst schreckten die Symplega'den,
Welche bespritzte der Prall der zerspaltenen Wogen, die A'rgo;
[145] Regungslos nun sind sie gebannt und stehen den Winden.
Ä'tna auch, die kocht in der schwefelgefülleten Esse,
Bleibt nicht immer in Brand, wie auch nicht immer sie brannte.
Denn entweder die Erd' ist ein Tier und lebt und besitzet
Atmungslöcher, daraus Glut haucht an verschiedenen Stellen:
Leicht dann kann es geschehn, daß jene die Wege des Atems
Ändert und, wenn sie sich regt, hier schließt, dort öffnet die Gänge;
Oder im tiefen Geklüft sind flüchtige Winde verschlossen,
Und die schleudern Gestein auf Gestein und Keime der Flamme
Bergende Stoffe hinaus, und im Wurf fängt Feuer die Masse:
Dann wird einst, wenn die Winde beruh'n, kalt werden die Höhle;
Oder das Feuer erfaßt leichtzündende Menge von Erdpech,
Und es verbrennt dort karg an Rauch goldfarbiger Schwefel:
Wenn dann Speise der Glut und ergiebiges Futter die Erde
Nicht mehr beut, weil alles erschöpft in der Länge der Zeiten,
Und der gefräßigen Kraft der Natur ausgehet die Nahrung,
Träget den Hunger sie nicht, und verlassen verläßt sie das Feuer.
Männer bewohnen den Sitz der Hyperbore'er Palle'ne,
Die nach der Sage den Leib sich hüllen in leichtes Gefieder,
Wenn sie sich untergetaucht neunmal im Trito'nischen Sumpfe.
Doch das glaub' ich nicht. Auch sollen, sich Gift auf die Glieder
Sprengend, die nämliche Kunst ausüben die skythischen Weiber.
[146] Dürfen wir Glauben jedoch beimessen erwiesenen Dingen:
Siehest du nicht, wie jeglicher Leib, den erweichende Wärme
Auflöst oder die Zeit, in kleines Getier sich verwandelt?
Geh und geschlachteten Stier von erlesener Güte verscharre:
Wie die Erfahrung lehrt, gehn blumenbenaschende Bienen
Bald aus dem Aase hervor, die emsig nach Sitte des Zeugers
Schaffen im Feld und fördern das Werk und sich mühen in Hoffnung.
Unter dem Boden erzeugt Hornissen das edele Streitroß.
Nimm strandliebendem Krebs die gebogenen Scheren und grabe
Unter die Erde den Rumpf, so wird vom bestatteten Teile
Ausgehn ein Skorpion und dräu'n mit gewundenem Schwanze.
Auch, die zwischen das Laub graufarbige Fäden zu weben
Pflegen, die Raupen im Feld, – oft ward es bemerkt von dem Landvolk –
Tauschen die eigne Gestalt mit dem todandeutenden Falter.
Keim bewahret der Schlamm, draus grünliche Frösche sich bilden,
Ohne die Füße zuerst; bald fügen zum Schwimmen geschickte
Schenkel sich an, und daß sie zu hüpfenden Sprüngen sich eignen,
Stehen die vorderen nach im Maße den hinteren Teilen.
Nicht ist ein Junges sogleich, was eben geboren die Bärin,
[147] Nur halblebendes Fleisch; durch Lecken gestaltet die Mutter
Glieder daraus und bildet die Form, die selber sie einnimmt.
Siehest du nicht das Geschlecht der Seim eintragenden Bienen,
Die sechseckiges Wachs umschließet, der Glieder entbehren
Bei der Geburt und spät erst Füße bekommen und Flügel?
Daß der Juno'nische Pfau mit den Sternen am Schweif und der Vogel,
Der trägt Ju'piters Wehr, und daß die kythe'rischen Tauben
Und das Geflügel gesamt aus dem Dotter des Eis sich erzeugen,
Wüßt' er es nicht, wer glaubte sodann, daß so sie entständen?
Mancher vermeint, wenn verwest im verschlossenen Grabe der Rückgrat,
Werde das menschliche Mark zur gewundenen Schlange gewandelt.
Doch dies alles empfängt des Geschlechts Anfänge von andrem;
Nur ein Vogel besteht, der selbst sich zeugt und erneuert,
Phö'nix bei den Assy'rern genannt. Nicht Kräuter und Feldfrucht
Nähren ihn, sondern der Saft von Amo'mum und Tränen des Weihrauchs.
Wenn er erfüllte die Zeit und fünf Jahrhunderte lebte,
Macht er ein Nest sich zurecht (im Wipfel der schwankenden Palme
Oder im Eichengezweig) mit Krallen und reinlichem Schnabel.
Wenn er sich Ca'ssia dann und Ähren der öligen Narde
Untergelegt und Stücke von Zimt samt gelblicher Myrrhe,
Setzt er sich oben darauf und endet in Düften das Leben.
[148] Dann steigt neu, wie es heißt, vom Leibe des Vaters ein kleiner
Phö'nix, welchem bestimmt, gleich viele der Jahre zu leben.
Wenn den kräftig gemacht und der Bürde gewachsen das Alter,
Hebt er des Nestes Gewicht von den Ästen des ragenden Baumes,
Trägt in kindlicher Treue die eigene Wieg' und des Vaters
Grab durch wehende Luft und gelangt zu der Stadt Hyperi'ons,
Legt er es hin vor dem Tor im geweiheten Raum Hyperi'ons,
Dünkt uns solches jedoch seltsam, wie müssen wir staunen,
Daß ihr Geschlecht die Hyäne vertauscht und daß sich das Weibchen,
Unlängst noch von dem Männchen beschwert, selbst männlich erweiset!
Auch das Geschöpf, das nur von der Luft sich ernährt und dem Winde,
Wird gleich, wie es ein Ding anrührt, dem ähnlich in Farbe.
Indien schenkte besiegt dem traubenbekränzeten Ba'cchus
Luchse, davon, nach dem Glauben des Volks, was rinnt aus der Blase
Wandlung in Stein annimmt und gefriert von der Lüfte Berührung.
[149] Also verhärtet sich auch alsbald an der Luft die Koralle,
Wenn sie verlassen die Flut, wo weiches Gewächs sie gewesen.
»Eher verginge der Tag und tauchte die keuchenden Rosse
Sol in die Tiefe des Meers, bis alles ich faßte in Worte,
Was sich begibt in neue Gestalt. So sehen wir Zeiten
Wechseln und sehn, wie Macht dies Volk und Stärke gewinnet,
Jenes verfällt. So war einst groß durch Männer und Habe,
War zehn Jahre hindurch so viel an Blute zu geben
Troja imstand: nun hat sie gestürzt nur Trümmer von eh'dem
Und an des Reichtums Statt Grabhügel der Ahnen zu weisen.
Wie war Spa'rta berühmt! Wie verblühte die große Myke'nä!
Sparta ist dürftiger Grund; Fall traf die hohe Mykenä.
Was ist The'bä, die Stadt des Ö'dipus, außer ein Name?
Jetzt auch nach dem Gerücht hebt sich die Darda'nische Ro'ma,
Die am Thy'bris zunächst, der stammet vom Apenni'nus,
Unter gewaltigen Bau zur Herrschaft leget den Grundstein.
Die nimmt andre Gestalt durch Wachsen, und über dem weiten
Erdkreis steht sie dereinst als Haupt. So sagt man, verkünden
Seher ihr Los und Sprüche voraus. Ich entsinne mich selber,
Wie zu Äne'as gesagt, der weinend am Heile verzagte,
He'lenus, Pri'amus' Sohn, als wankte die Macht der Trojaner:
›Göttinsohn, du kennst ja genugsam unsres Gemütes
Ahnungen: Troja vergeht nicht ganz, weil du noch erhalten!
Dich läßt Feuer und Schwert frei ziehn. Du gehst, und errettend
Nimmst du Pe'rgamus mit, bis dir und Troja die Fremde
[150] Zuflucht gönnt, euch mehr, als der heimische Boden, befreundet.
Schon auch seh' ich die Stadt von den phry'gischen Enkeln gegründet,
Groß wie keine besteht, noch war, noch künftig geschaut wird.
Die wird stark in der Länge der Zeit durch andere Helden,
Herrscherin aber der Welt durch ihn, der von dem Ju'lus
Leitet den Stamm. Wenn der auf Erden gedienet, erfreut sich
Sein der ätherische Sitz, und ihm ist der Himmel das Endziel.‹
Daß so Helenus sprach zum Penatenentführer Äne'as,
Bin ich im Sinne gedenk, und ich freue mich, daß die verwandte
Stadt anwächst und den Phrygern zu nutz Sieg ward den Pelasgern.
Daß mit den Rossen jedoch, die vergessen das Ziel zu erjagen,
Wir nicht schweifen zu weit: mit dem Himmel erleidet Veränd'rung
Alles darunter, die Erd' und was sich befindet auf Erden.
Weil auch wir als Teile der Welt freischwebende Seelen
Sind, nicht Leiber allein, und vielleicht in tierische Wohnung
Eingehn und in der Brust des Viehs selbst werden geborgen:
Leiber, darin vielleicht Wohnstätte den Seelen der Eltern
Oder der Brüder und sonst uns irgend verbundener Lieben
Oder doch menschlichen ward, die laßt uns schonen und achten!
Laßt uns nicht anfüllen den Bauch mit thye'stischem Mahle!
Wie zum Schlimmen gewöhnt, wie wird zum menschlichen Morde
Jener Vermess'ne bereit, der die Kehle mit schneidendem Eisen
Offnet dem Kalb und das Brüllen vernimmt gleichgültigen Ohres
Oder zu würgen vermag das Zicklein, welches Gewimmer
Ähnlich dem kindlichen Laut ausstößt, und den Vogel zu speisen,
[151] Den er fütterte selbst! Wieviel bei solchem Verüben
Fehlt zum wirklichen Mord! Wohin läßt solches entarten!
Pflüge der Stier und mög' er den Tod nur danken dem Alter;
Schutzwehr leihe das Schaf, zu bestehen den schaurigen Nordwind;
Voll darreiche der Hand zum Melken das Euter die Ziege.
Sprenkeln und Garne zum Fang und Schlingen und listige Künste
Nehmt weg; täuscht auch nicht mit leimiger Rute den Vogel;
Nimmer berücket den Hirsch durch Garn und gefürchtete Federn;
Nimmer verbergt an der Angel im trüglichen Köder den Haken!
Tilget das Schädliche nur; doch daß ihr es tilget, genüge;
Nicht anrühr' es der Mund und genieße geziemende Nahrung!«
Dadurch, wie man erzählt, und durch andere Lehren gebildet
Kehrete Nu'ma zurück in das heimische Land und ergriff nun,
Von dem lati'nischen Volk freiwillig berufen, die Zügel.
Von dem Kame'nen geführt und beglückt als Gatte der Nymphe,
Lehrt' er Opfergebräuch' und leitete jenes an rauhe
Fehde gewöhnte Geschlecht auf nützliche Künste des Friedens.
Wie er die Herrschergewalt als Greis mit dem Leben beschlossen,
Weinten um Numas Tod die gesamten latinischen Schnuren,
Und mit den Vätern das Volk. Von der Stadt war fern die Gemahlin,
Die im dichten Gehölz des ari'cischen Tales verborgen
Durch Wehklag' und Stöhnen den Dienst der Ore'sti schen Göttin
Störete. Ach, wie oft ermahnten des Sees und des Haines
[152] Nymphen, es nicht zu tun, und redeten tröstende Worte!
Wie so oft zu der Weinenden sprach der These'ische He'ros:
»Halte doch Maß im Harm, denn nicht allein zu beklagen.
Ist dein Los; blick hin auf ähnliche Schickungen andrer:
Ruhiger trägst du es dann. O daß dir ein anderes Vorbild
Könnte erleichtern den Schmerz, als meines! Doch kann es auch meines.
Wenn du gehört schon hast von Hippo'lytus durch das Gerede,
Daß leichtgläubiger Wahn des Erzeugers und Tücke der Phä'dra
Tod ihm gebracht – du erstaunest gewiß, und schwer ist der Nachweis:
Doch der bin ich selbst. Einst log der Pasi'phae Tochter,
Die mich vergebens versucht, ich hätte das Lager des Vaters
Wollen entweih'n, was jene gewollt, und sie trug die Beschuld'gung,
Ob aus Furcht vor Verrat, ob grollend gedenk der Verschmähung,
Über auf mich. Unschuldig verstieß von der Stadt mich der Vater,
Und er verwünschte mein Haupt beim Scheiden mit feindlichen Fluche.
Nach der Pitthe'ischen Stadt Tröze'n mit flüchtigem Wagen
Eilt' ich und fuhr schon hin am Strand des Korinthischen Busens;
Da stieg plötzlich das Meer, und ein Schwall von erhobenen Wassern
Schien in Bergesgestalt sich zu wölben und riesig zu wachsen
Und an der obersten Höh' mit entsetzlichem Brüllen zu bersten,
Und ein gehörneter Stier dringt aus den gespaltenen Wogen,
Der, sich bis an die Brust aufrichtend in weichende Lüfte,
Strecken der See ausspeit aus Nüstern und gähnendem Rachen.
Zagend erbebt den Gefährten das Herz; doch meines beharrte
Furchtlos, nur der Verweisung gedenk. Da wenden die Rosse
Wild nach dem Meere den Hals und fahren zusammen, die Ohren
Ängstlich gespitzt, und scheu'n vor dem Tier und stürzen den Wagen
Hoch von der Klippe hinab. Ich strebe mit eitelen Händen
[153] Lenkend zu ziehen die weiß von Schaum umflossenen Zügel,
Und straff halt' ich nach hinten gebeugt die beharrenden Riemen.
Doch nicht hätte die Kraft mir bewältigt das Rasen der Rosse,
Wenn nicht, wo es sich dreht um die rastlos kreisende Achse,
Wäre gebrochen ein Rad am begegnenden Pfahl und zertrümmert.
Ab wirft mich von dem Wagen der Stoß, und verstrickt in die Zügel
Werd' ich lebendig zerfleischt; an dem Stamm fest hangen die Sehnen;
Teils sind gezerrt mit Gewalt, teils bleiben die Glieder gehalten,
Und ein Gekrach tönt laut von gebrochenen Knochen, und qualvoll
Scheidet von hinnen der Geist. Da war kein Teil an dem Leibe,
Der noch kenntlich verblieb, und zerfetzt war alles von Wunden.
Kannst du mit unserem Leid, o Nymphe, vergleichen das deine?
Wagst du es noch? Ich sah das Gebiet, das Lichtes entbehret,
Und der zerrissene Leib fand Labung in Phle'gethons Wellen;
Nie auch ohne den Dienst von Apo'llos heilendem Sohne
Wär' ich zum Leben gekehrt. Als neu durch kräftige Kräuter
Und die päo'nische Kunst zu Dis' Unmut ich belebt war,
Ward ich verhüllt, daß nicht mein Anblick mehrte die Mißgunst
Solchen Geschenks, mit dichtem Gewölk von der cy'nthischen Göttin;
Dann, daß sicher ich wär' und gefahrlos könnte erscheinen,
Teilte sie Jahre mir zu und ließ unkenntlich das Antlitz,
Und sie bedachte sich lang, ob De'los sie gebe zum Wohnsitz
Oder das kre'tische Land. Doch Delos verwerfend und Kre'ta
Brachte sie mich hierher und verbot mir, den Namen zu führen,
Der auf die Rosse zurück leicht hätte gedeutet, und sagte:
›Der du Hippolytus warst, du sollst nun Vi'rbius heißen!‹
Seitdem hüt' ich den Hain, und einer der niederen Götter
Berg' ich mich hier, von der Herrin beschützt, und gehöre zu jener.«
[154] Aber zu lindern vermag doch nicht der Ege'ria Trauer
Fremdes Geschick, und gestreckt an dem untersten Fuße des Berges
Löst sie in Tränen sich auf, bis daß mitleidig des Phö'bus
Schwester, gerührt von der Treu' der Bekümmerten, schuf aus den Gliedern
Kühlenden Born und den Leib zu ewigen Wellen verdünnte.
Tief sind die Nymphen bewegt von dem Fall, und der Amazone
Sprößling staunet darob gleichwie der tyrrhe'nische Pflüger,
Als er inmitten der Flur die bedeutsame Scholle gewahrte,
Die freiwillig zuerst und von keinem geschüttelt sich regte,
Bald dann Erdengestalt aufgab und menschliche annahm
Und den verliehenen Mund auftat, zu verkünden die Zukunft, –
Ta'ges nannte den Mann einheimisches Volk, der am ersten
Schickungen kommender Zeit aufdecken gelehrt die Etrusker –
[155] Oder wie Ro'mulus einst, als am Palati'nischen Hügel
Plötzlich er sah mit Laub sich bekleiden die hastende Lanze,
Die feststand mit Gewurzel und nicht mit dem steckenden Eisen
Und, ein Geschoß nicht mehr, ein Baum mit zähem Gesträuche,
Staunendem Volk darbot von keinem erwarteten Schatten,
Oder wie Ci'pus gestutzt, der Hörner im Wasser des Stromes
Sah an sich. Er sah; und Trug argwöhnend im Bilde,
Rührte er, immer aufs neu zu der Stirne die Finger erhebend,
Oft das Gesehene an; dann nicht mehr rügend die Augen
Blieb er, wie nach dem Sieg vom bezwungenen Feinde er heimzog,
Stehen und sprach, gen Himmel den Blick und die Arme gehoben:
»Was, ihr Himmlischen, auch weissagt dies Wunderbegebnis,
Kündet es Glück, so sei's für die Stadt und das Volk der Quiri'ten;
Dräuet es, sei's für mich!« Drauf schichtet er grünenden Rasen,
Nährt wohlriechenden Brand auf dem grasigen Herde zur Sühne,
Gießt aus der Schale den Wein und befragt, was ihm sie bedeuten,
Da noch Zucken sie hebt, die Geweide geschlachteter Schafe.
Als die jetzo besah der tyrrhenische Opferbeschauer,
Ward er in ihnen gewahr großartige Wechsel der Dinge,
[156] Doch nicht deutlich genug. Als aber sodann von der Tiere
Lappen das scharfe Gesicht zu den Hörnern des Cipus er aufhob,
Sprach er: »Heil dir, o Fürst! Dir, Cipus, und Deinem Gehörne
Werden gehorchen der Ort allhier und La'tiums Burgen.
Auf und säume du nicht und hinein zu den offenen Toren
Ziehe sofort! So will's das Geschick. Denn binnen der Hauptstadt
Wirst du König, und dein ist ewig gesichertes Scepter.«
Scheu trat jener zurück und wandte das düstere Antlitz
Ab von den Mauern der Stadt und sprach: »Ihr Götter, verhütet
Solches verheißene Los! Viel billiger will ich im Banne
Leben hinfort, denn zum Kapito'l als König hinaufzieh'n.«
Sprach's und berief alsbald den würdigen Rat und die Bürger –
Vorher aber umhüllt er die Hörner mit friedlichem Lorbeer –,
Und auf erhöheten Wall, den rüstige Streiter geschichtet,
Tritt er und fleht nach altem Gebrauch zu den Göttern und redet:
»Einer ist hier, der wird, wenn nicht ihr die Stadt ihm verbietet,
König vom Reich. Ich nenn' ihn nicht, doch sag' ich das Zeichen:
Hörner trägt an der Stirn, der euch – so kündet der Deuter –,
Wenn er in Rom einzieht, dienstheischende Satzungen auflegt.
Schon auch hätt' er vermocht in die offenen Tore zu dringen:
Doch wir hinderten ihn, wiewohl ihm näher verbunden
Keiner als ich. Fern haltet den Mann von der Stadt, ihr Quiriten,
Oder, erkennt ihr ihn wert, umstrickt ihn mit lastenden Fesseln
Oder beseitigt die Furcht mit dem Tod des bestimmten Gebieters!«
So wie rauschend sich regt das Gehölz straffhaariger Föhren,
Wenn grimm schnaubender Ost hindurchsaust, oder wie brausend
Schallet die wogende See, wenn einer sie hört in der Ferne,
Also murmelt das Volk. Doch durch die verworrenen Stimmen
Läßt vortönend der Ruf: »Wer mag das sein?« sich vernehmen,
Und man späht an den Stirnen und sucht die bezeichneten Hörner.
Cipus hinwiederum sprach: »Ihr habt, nach dem ihr verlanget!«
Und von dem Haupte den Kranz abnehmend, wiewohl ihm die Menge
[157] Wehrete, wies er geziert mit zwiefachem Horne die Schläfe.
Da stehn alle, den Blick an die Erde geheftet, und seufzen,
Und sie gewahren das Haupt, das Ruhm durch Verdienste gewonnen, –
Wer wohl hätt' es gedacht? – ungern. Doch läßt man der Ehre
Länger es nicht bar sein und setzt ihm den festlichen Kranz auf.
Aber die Edlen, dieweil dir verwehrt Eintritt in die Mauern,
Geben an Land so viel dir, Cipus, zum Ehrengeschenke,
Wie mit der Stiere Gespann, die ziehen die drückende Pflugschar,
Du zu umfurchen vermagst vom Beginn bis zum Ende des Tages,
Und an dem ehernen Tor, darstellend das Wundergebilde,
Graben sie ein das Gehörn, daß lang es bestehe in Zukunft.
Jetzt, o Musen, enthüllt, nahstehende Mächte der Sänger, –
Denn ihr wißt es, und euch trügt nicht das entlegenste Alter –,
Wie den Koro'nischen Gott beifügte den heiligsten Diensten
In der Romulischen Stadt die umflossene Insel im Thy'bris.
La'tiums Luft war einst mit gräßlichem Gifte behaftet;
Siechtum zehrte das Blut und bleichte die Leiber zum Abscheu.
Als man, müde zuletzt der Bestattungen, alle Versuche
Sterblicher eitel ersah und eitel der Heilenden Künste,
Sucht man himmlische Hilf' und beschickt das Orakel des Phöbus,
De'lphi, die mittelste Stadt in der Welt, und fleht zu dem Gotte,
Daß er mit rettendem Spruch Abwehr der bekümmerten Lage
Wolle verleih'n und der herrlichen Stadt Drangsale beende.
[158] Siehe, die Stätte erbebt, und der Lorbeer bebt und der Köcher,
Den er trägt, und es läßt sich der Dreifuß also vernehmen
Aus dem verborgensten Raum und bewegt die geschreckten Gemüter:
»Was hier, Römer, du suchst, das hättest du näher gefunden,
Und an dem näheren Ort nun suche es! Nicht des Apo'llo,
Daß er euch lindre die Not, ihr bedürfet des Sohnes Apollos.
Auf denn, Glück auf die Fahrt und herbei holt unseren Sprößling!«
Als der verständige Rat die Befehle des Gottes vernommen,
Forschen sie, wo sich erkoren den Sitz der Phöbe'ische Jüngling,
Und sie entsenden ein Schiff, das steuere gen Epidau'rus.
Wie mit gebogenem Kiel alldort die Gesandten gelandet,
Treten sie unter den Rat und die gra'jischen Väter und bitten,
Ihnen zu geben den Gott, des Näh' einstelle die Trübsal
Bei dem auso'nischen Volk: so sage verlässiger Ausspruch.
Drob ist die Meinung geteilt; denn nicht zu versagen den Beistand
Halten die einen für recht; doch andere raten, den Schirmer
Da zu behalten und nicht in die Fremde zu geben die Gottheit.
Während sie schwankten, entwich das scheidende Licht vor der Dämm'rung,
Und von der Nacht war nun mit Dunkel bezogen der Erdkreis,
Als im Traume du sahst, wie vor dein Lager, o Römer,
Trat der Genesungsgott, doch also, wie er im Tempel
Pfleget zu sein, und die Linke gestützt mit ländlichem Stabe,
[159] Sich mit der Rechten das Haar des wallenden Bartes herabstrich
Und von der friedlichen Brust ließ ausgehn folgende Worte:
»Banne die Furcht! Ich komme zu euch und verlasse mein Bildnis.
Schaue die Schlange dir an, die hier um den Stab sich gewunden
Ringelt, und merke sie wohl, auf daß du sie wiedererkennest:
Die soll Hülle mir sein; doch werd' ich vergrößert erscheinen,
So viel, wie sich geziemt, wenn himmlische Leiber sich wandeln.«
Schleunig entweicht mit der Stimme der Gott; mit dem Gott und der Stimme
Weichet der Schlaf, und der Flucht des Schlafs folgt Helle des Morgens.
Als nun waren verscheucht von Auro'ra die lichten Gestirne,
Kommen die Ersten der Stadt unschlüssig zum mühsamen Tempel,
Den der begehrete Gott sein nennt, und bitten ihn selber,
Wo er zu weilen gewillt, durch himmlische Zeichen zu künden.
Kaum war solches gesagt, als golden am stehenden Kamme,
Schlange geworden, der Gott ausstieß andeutendes Zischen
Und den Altar und das Bild und die Tür in Erschütterung setzte
Durch sein Nah'n und den Giebel von Gold und das marmorne Estrich,
Mitten im Tempel sodann dastand, in die Höhe gerichtet
Bis an die Brust, und umher ließ gehen die funkelnden Augen.
Furchtsam bebten sie all'; wohl aber erkannte die Gottheit,
Der um das ehrbare Haar trug schneeige Binde, der Priester.
»Sehet, der Gott,« so rief er, »der Gott! Ihr all in der Nähe
Feiert mit Lippen und Sinn! Sei uns zum Frommen erschienen,
Schönster, und schirme das Volk, das dich zu verehren bedacht ist!«
[160] Huldigung gibt wer nur anwesend dem Gott, wie befohlen;
Fromm spricht jeglicher nach des Priesters Gebet, und Äne'as'
Sprößlinge halten mit Mund und Gemüt andächtige Feier.
Letzteren nicket der Gott; und den Kamm zur verlässigen Bürgschaft
Regend, erhebt er Gezisch mehrmals mit geschnelleter Zunge.
Alsdann schlüpft er hinab auf den glänzenden Stufen, und rückwärts
Dreht er das Haupt und blickt im Gehn nach dem alten Altare
Und dem gewohneten Haus und grüßt den besessenen Tempel.
Über den Boden sodann, den decken gestreuete Blumen,
Kriecht er und nimmt durch die Mitte der Stadt, hochgehend in Bogen,
Grade zum Hafen den Weg, dem Schutz der gewundene Damm gibt.
Still dort stand er und schien sein Geleit' und der folgenden Menge
Ehrenden Dienst mit freundlichem Blick zu entlassen und streckte
Ruhig den Leib im auso'nischen Schiff. Das spürte der Gottheit
Last, und es drückte den Kiel mit Wucht die erhabene Bürde.
Froh ist Äne'as' Geschlecht, und ein Rind erst schlachtend am Strande
Machen sie los das gedrehete Tau der bekränzeten Barke.
Sacht hin schwamm vor dem Winde das Schiff. Hochragend vor allen
Drückt mit dem Nacken der Gott das gebogene Steuer und schauet
Nieder in bläuliche Flut, und bei mäßigem Zephyr gelangt er
Durch das Jo'nische Meer nach Italien, als sich des Pa'llas
Tochter zum sechsten erhob. An Laci'nium, das von der Göttin
Tempel sich Ruhmes erfreut, und Scyla'cium fährt er vorüber,
Läßt Japy'gien dann und bleibt den amphi'ssischen Klippen
Links, von den Rudern entrückt, und rechts den arge'nnischen Steilen;
Kau'lon vorbei und der Stadt der Nary'kier streichen die Ruder,
Und sie besiegen den Sund, den Pelo'rus der Si'kuler enget.
Ä'olus' Königeshaus und Te'meses Schachte erstrebt er,
Bald Leuko'sia auch und die Rosen des sonnigen Pä'stum;
[161] Ca'preä streift er sodann und das Vorgebirge Mine'rva's
Und die gesegneten Höh'n mit den edlen surre'ntischen Reben,
Sta'biä, He'rcules' Stadt, Parthe'nope, welche der Muße
Pflegt, und das heilige Haus der cumä'ischen Greisin Siby'lla.
Nun ist Linte'rnum erreicht, das Ma'stix zeugt, und die warmen
Quellen, Voltu'rnus darauf, der reichlichen Sand mit dem Strome
Führt, Sinue'ssa berühmt durch schneeige Tauben, Mintu'rnäs
Krankheit zeugender Grund und die Amme bestattet vom Pflegsohn
Und des Anti'phates Haus und die sumpfumlagerte Tra'chas
Und das circäische Land und A'ntiums dichtes Gestade.
Als den besegelten Kiel hier hatten gelandet die Schiffer –
Hohl ging eben die See –, da löset der Gott das Geringel,
Und den gewundenen Leib nachziehend in mächtigen Bogen,
Kriecht er am gelben Gestad' hinein in den Tempel des Vaters.
Als sich beruhigt das Meer, läßt er, den barg Epidau'rus,
Wieder des Vaters Altar, wo befreundete Macht ihn beherbergt,
Furcht an der Küste den Sand mit dem Striche der schlürfenden Schuppen,
Schwingt sich dann am Steuer hinauf und legt auf das hohe
[162] Hinterverdeck sein Haupt, bis Ca'strum zuletzt und den heil'gen
Sitz der Lavi'nischen Stadt er erreicht und des Thy'bris Ergüsse.
Dorthin zieht ihm entgegen das Volk und der Mütter und Väter
Menge zu Hauf, sie auch, die das Feuer der tro'ischen Ve'sta
Haben in Hut, und begrüßen den Gott mit freudigem Jubel.
Wo sich das eilende Schiff nun gegen die Wellen hinandrängt,
Knistert das Ufer entlang auf gereihten Altären zu beiden
Seiten die Luft mit süßem Geruch durchziehender Weihrauch,
Und den gestoßenen Stahl macht warm das getroffene Opfer.
Als zum Haupte der Welt, zur römischen Stadt sie gelangt war,
Richtet die Schlange sich auf, und oben gelehnt an den Mastbaum,
Regt sie den Hals und spähet umher nach gelegenem Wohnsitz.
In zwei Teile begibt sich der Strom mit umfließenden Wellen –
Insel heißet die Statt –, und neben dem Land in der Mitte
Streckt er sich rechts und links mit zwei gleichmäßigen Armen.
Dahin wendet sich jetzo zu gehen die Phö'bische Schlange
Aus dem latinischen Kiel, und gekehrt in die himmlische Bildung,
Setzt sie dem Jammer ein Ziel und erscheint heilbringend der Hauptstadt.
Aber ein Ankömmling trat jener zu unseren Tempeln;
Cä'sar ist Gott in der heimischen Stadt, der trefflich im Frieden
Wie in dem Feld nicht bloß mit Triumphen beschlossene Kriege,
Taten daheim vollführt und im Fluge gewonnene Größe
Zum neu leuchtenden Stern, zum geschweiften Kometen gewandelt,
[163] Sondern dazu sein Sohn. Denn unter den Taten des Cäsar
Ist kein größeres Werk, als daß sein Vater er wurde.
Mehr wohl wär's, daß jener bezwang die Britannen im Meere,
Daß siegreich er befuhr des Papy'rus erzeugenden Ni'lus
Siebenfältigen Strom und samt dem Cinyp'hier Ju'ba
Trotzendes Nu'midervolk und Po'ntus, das Mithrida'tes'
Namen erfüllte mit Stolz, zuteilte dem Volk des Quiri'nus,
Daß mehrfachen Triumph er feierte, viele verdiente,
Als daß ihn er gezeugt, durch dessen Bestellung zum Herrscher
Ihr für das Menschengeschlecht so reich, o Götter, gesorgt habt?
Drum, daß dieser entstammt nicht wäre von menschlichem Samen,
Mußten sie jenen erhöh'n zum Gott. Wie das des Äneas
Goldene Zeugerin sah und sah, daß gegen den Priester
Dräuete trauriger Mord und verschworene Waffen sich hoben,
Wurde sie blaß und sprach, wo immer sie einen der Götter
Antraf: »Sieh, wie mir so viele mit lauerndem Streben
Unheil sinnen und wie sie dem Haupt nachtrachten mit Arglist,
Das mir übrig allein von dem Da'rdanerfürsten Ju'lus!
Soll denn immer allein mich quälen gerechte Besorgnis?
Mit kalydo'nischem Speer schlägt bald der Tydi'de mir Wunden;
[164] Bald ist erschüttert das Herz durch die lässig verteidigte Tro'ja.
Unstät muß ich den Sohn auch seh'n durchirren die Wogen
In langweiliger Fahrt und betreten der Schweigenden Wohnsitz
Und mit dem Tu'rnus sodann, vielmehr, zu bekennen die Wahrheit,
Fehde mit Juno bestehn. Was ruf' ich die alten Verluste
Meines Geschlechtes zurück? Nicht läßt an das Frühere denken
Jetzige Angst. Ihr seht, wie sie ruchlos mordende Schwerter
Schärfen für mich: o haltet sie ab und verhindert die Untat!
Löscht nicht aus mit dem Blut des Geweihten die Flamme der Vesta!«
Also redet umsonst die bekümmerte Venus im ganzen
Himmel und rühret der Götter Gemüt. Zwar können sie nimmer
Brechen den eisernen Schluß der altehrwürdigen Schwestern,
Aber sie schicken der Welt untrügliche Zeichen des Unheils.
Waffengeklirr, das scholl aus finsteren Wolken, – erzählt man –
Grauses Drommetengetön und vom Himmel vernommene Hörner
Sagten den Frevel voraus. Die verdüsterte Scheibe der Sonne
Sendete matt und bleich ihr Licht in die zagenden Lande.
Oft war feuriger Schein zu gewahren inmitten der Sterne,
Oft im Regenerguß auch senkten sich blutige Tropfen.
Lu'cifer zeigte sich trüb und besprengt mit der Schwärze des Eisens
In dem Gesicht und besprengt mit Blute die Bahnen des Mondes.
Düsteres Schrecknis gab vielfältig der sty'gische Uhu;
Vielfach waren betränt die helfenen Bilder, und Stimmen
Wurden und drohender Ruf in den heiligen Hainen vernommen.
Keines der Opfer gelingt; nah' zeigen die edlen Geweide
Wildes Gewirr, und zerschnitten erweist sich der Kopf an der Leber.
[165] Oft auch scholl auf dem Markt, um Häuser und Tempel der Götter
Schreckendes Hundegeheul bei Nacht, und der Schweigenden Schatten –
Sagt man – irrten umher, und es bebte die Stadt von Erschütt'rung.
Aber der tückischen List obsiegt und dem nahenden Schicksal
Göttliche Warnung nicht, und sie kommen mit fertigen Schwertern
In das geheiligte Haus; denn passender scheint für die Untat
Und den entsetzlichen Mord kein Ort in der Stadt, als das Rathaus.
Da schlägt sich mit den Händen die Brust die kytherische Göttin,
Und sie gedenkt des Äneas Sproß in der Wolke zu bergen,
Darin Pa'ris entging vormals dem ergrimmten Atri'den
Und sich Äneas auch Diome'des' Streichen entzogen.
»Kind,« hub Ju'piter an, »das unantastbare Schicksal
Willst du wenden allein? In der dreifach waltenden Schwestern
Haus tritt selber und sieh, wie der Welt Ordnungen verwahrt sind
Im großmächtigen Bau aus Erz und gediegenem Eisen,
Wo nicht Prall im Gewölk, noch zornige Blitze sie fürchten,
Noch sonst irgend Verderb und Einsturz sicher und ewig.
Dort auch siehst du gehau'n in beharrenden Stahl das Verhängnis
Deines Geschlechts. Ich las und behielt es im Geist, und verkünden
Will ich es, daß du hinfort nicht sei'st unkundig der Zukunft.
Er, um den, Cythere'a, du bangst, hat schuldige Jahre,
Welche die Erde geheischt, vollbracht und erfüllt die Bestimmung.
[166] Daß er zum Himmel als Gott eingeht und in Tempel gesetzt wird,
Danket er dir und dem Sohn, der allein als Erbe des Namens
Trägt die verliehene Last und als des ermordeten Vaters
Tapferer Rächer im Krieg uns unter den Seinigen zählet.
Er als Führer verschafft der belagerten Mu'tina Frieden,
Die schon nahe dem Fall; ihn spürt die pharsa'lische Landschaft,
Und von ema'thischer Schlacht wird feucht aufs neue Phili'ppi;
In dem Siku'lischen Meer geht unter ein rühmlicher Name,
Und die Ägypterin fällt, die Gemahlin des römischen Feldherrn,
Die zu dreist auf die Fackel vertraut, und sie drohte vergebens,
Mein Kapito'l gar solle zu Dienst sein ihrem Cano'pus.
All die Barbaren dazu, die Völker am doppelten Weltmeer,
Wozu nenn' ich sie noch? Sein wird was irgend die Erde
Trägt an bewohnbarem Land; ihm wird auch dienen die Meerflut.
Hat er den Frieden gebracht, dann lenkt er auf Rechte der Bürger
Weise den Sinn und bestellt als billigster Ordner Gesetze,
Richtschnur gibt er den Sitten zugleich durch eigenes Vorbild,
Und für die spätere Zeit und das Alter zukünftiger Enkel
[167] Ist er bedacht und heißet mit ihm so Namen wie Sorgen
Teilen den Sohn, den ihm zubrachte die züchtige Gattin.
Spät dann, wenn er als Greis an Jahren dem Py'lier gleichkommt,
Wird zu ätherischen Höh'n und verwandtem Gestirn er gehoben.
Magst du inzwischen den Geist aus diesem gemordeten Leibe
Retten und wandeln in Licht, daß stets vom erhabenen Tempel
Mein Kapitol und den Markt der vergötterte Ju'lius schaue.«
Kaum war solches gesagt, als mitten im Sitz des Senates
Venus die gütige stand, für keinen zu sehen, und ihres
Cäsar Seele vom Leib wegnahm und nicht in die Lüfte
Ließ die getrennte zergehn und zu himmlischen Sternen hinantrug.
Wie sie ihn trug, ward licht und feurig der Geist, und vom Busen
Ließ sie ihn frei. Hoch über den Mond nun stieg sie im Fluge,
Und im gedehneten Strich nachziehend das flammende Haupthaar
Glänzt er als Stern, und des Sohns Wohltaten erblickend gesteht er,
Daß sie den seinen zuvor, und ist froh, daß jener ihm obsiegt.
Mag es verwehren der Sohn, ihn über den Vater zu stellen,
Doch zieht freies Gerücht, das keinem Gebote sich füget,
Ihn trotz Weigerung vor und versagt in dem einen Gehorsam.
So steht A'treus nach dem verbreiteten Ruhm Agame'mnons,
The'seus ragt vor Ä'geus hervor, vor Pe'leus Achi'lles;
Endlich, ein Beispiel auch, das ihnen entspricht, zu erwähnen:
So ist Satu'rnus gering vor Ju'piter. Droben im Äther
Über das dreifache Reich thront Jupiter; über die Erde
Hat Augu'stus die Macht. Jedweder ist Vater und Herrscher.
Götter, die Feuer und Schwert einst mied, Äneas' Begleiter,
[168] Ihr heimatlichen auch, der Stadt Urheber Quiri'nus,
Du Gradi'vus, von dem der nimmer besiegte Quirinus
Stammete, Ve'sta, verehrt inmitten von Cäsars Pena'ten,
Du auch, Phöbus, gesellt der Cäsarischen Vesta als Hausgott,
Jupiter, der du bewohnst hochherrlich Tarpe'jische Höhen,
Alle dazu, die ziemend und fromm mag nennen der Dichter:
Spät laßt werden den Tag und lang nach unserem Alter,
Wo sich Augustus, entrückt von dem Erdkreis, den er verwaltet,
Schwingt in den Himmel und fern voll Huld auf die Betenden höret!
Und nun hab' ich ein Werk vollbracht, das Feuer und Eisen
Nimmer zerstört, noch Jupiters Zorn, noch zehrendes Alter.
Mag denn kommen der Tag, der nur am vergänglichen Leibe
Recht ausübt, und den Raum unsicheren Lebens beschließen:
Trotz wird bieten der Zeit und über die hohen Gestirne
Schweben mein besserer Teil und nie mein Name getilgt sein.
Rings, so weit Roms Macht sich erstreckt in bezwungenen Ländern,
Wird mich lesen das Volk; und wofern nicht trügen der Dichter
Ahnungen, werd' ich stets fortleben in ferneste Zukunft!
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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ovid. Epos. Metamorphosen. Metamorphosen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-66B5-7