Drittes Capitel
Die Baubrüder

Man hat es dem Christenthum mit Unrecht zum Vorwurf gemacht, daß es durch den transcendentalen Charakter, den es im Gegensatz zu dem Hellenismus annahm, die Kunst vernichtete. Wohl trat es gegen das Bestehende polemisch auf wie jede Neuerung, also auch polemisch gegen die bestehende Kunst, seine vorwiegende Geistigkeit verwarf die vorwiegende Sinnlichkeit der Antike, aber es schuf dadurch eine neue Kraft, die in neuen Formen das Unendliche im Endlichen darzustellen, oder doch zu verkünden, dazu zu erheben strebte.

Als das Christenthum eine Macht zu werden begann, waren ohnehin im Abendlande der Sinn für schöne Kunst und der gute Geschmack gleichzeitig im Absterben, und es bedurfte nicht des verrufenen angeblichen Vandalismus der Germanen, um die Kunst von den Ueberlieferungen des Alterthums in mittelalterliche Rohheit [51] zu versenken. Allerdings hausten die Germanen arg bei ihren Grenzfahrten: aber das Siechthum der abgelebten romanischen Welt war der Kunst kaum minder ungünstig als die germanische Rohheit. Die Kirche trat in's Mittel der armselig gewordenen Kunst, wo sie aus der römischen Zeit fort vegetirte das Leben zu fristen und bei den germanischen Völkern zunächst den Sinn und Eifer für die kirchlichen Bauten und deren Verzierung zu wecken und die rohen Hände zunächst an technische Arbeit zu gewöhnen. Wohl schien es nach dem Untergange Roms, als wären auch Kunst und Wissenschaft demselben Untergange geweiht. Die Hand am Schwert standen die Völker sich gegenüber, einander ihre Rechte mit blutiger Schrift beweisend und abtrotzend, Lärm und Verheerung bezeichnete die Schritte der Sieger, die letzten Tage der Kunst schienen gekommen. Da thaten die Klöster und geistlichen Stifte ihre Thore auf und nahmen die verscheuchte Himmelstochter in ihren Schutz. Die Kunst wurde von den Mönchen für eine göttliche Gabe erkannt, als ein Mittel, das Göttliche mit dem Menschlichen zu verbinden und dieses durch jenes zu veredeln.

Fast alle Mönche des sechsten und neunten Jahrhunderts, besonders die Benediktiner trieben die Baukunst, [52] und bildeten Schüler derselben. Sie zogen dann auch Laien hinzu, zunächst die in dem Kloster erzogenen Kinder, Oblaten, dann die Hörigen der klösterlichen Stifter und endlich auch andere Laien, die sich der Baukunst widmen wollten. Auf diese Weise sind die Baubrüderschaften entstanden. Das Mittelalter begehrte Genossenschaft in jeglicher Werkthätigkeit, und der Innungsgeist mag schon in der Zeit aufgekommen sein, wo die Laien noch als Hülfsgenossen der Mönche arbeiteten. Doch erst die Ablösung der Laienbauleute von der klösterlichen Dienstmannschaft gab den Baubrüderschaften den Charakter künstlerischer Selbständigkeit, den Kunsteifer und das hohe Selbstgefühl, woraus die Wunderwerke der gothischen Baukunst entstanden sind.

Die Baubrüderschaften wurden von den Päpsten besonders aufgemuntert und durch mehrere Bullen mit gewissen Freiheiten und Privilegien versehen, daher ihr Name: freie Maurer. Sie waren unter den besondern Schutz der verschiedenen Landesherren und von allen öffentlichen Lasten befreit. Ungehindert wanderten sie von einem Lande zum andern, wohin immer sie zur Aufführung großer Bauten berufen wurden. Sie hatten ihre eigenen Gesetze und eine fast militärische Disciplin; alle Potentaten gaben ihnen Freiheiten und [53] gestatteten ihnen sich selbst zu regieren, ihre Gebräuche und Ceremonien zu beobachten. Daran erkannten sie auch die fremden Baubrüder untereinander, wie sie denn auch nur diesen verständliche Symbole, Zeichen und Chiffren hatten, um Profanirung ihrer Wissenschaft zu verhindern. Wo sie sich zu einem Bau niederließen, schlugen sie in der Nähe desselben ihr Lager auf und nannten diese Werkstätte: Hütte.

Deutsche Baumeister bauten überall von den Zeiten Karl's des Großen an bis zu denen der Habsburger Friedrich's III. und Max I. Um diese Zeit gab es vier Haupthütten in Deutschland: zu Cöln, Regensburg, Wien und Straßburg. Für die Nürnberger Hütte oder Steinmetzzunft, wie dergleichen fast in allen deutschen Städten, wo kirchliche Bauten aufgeführt wurden, errichtet worden, war Straßburg die Haupthütte, wie denn der Maurerhof zu Straßburg als oberste Behörde aller Hüttenangelegenheiten erwählt ward.

So viel nur voraus von der Geschichte der deutschen Bauhütten; ihr Zustand und der Geist ihrer Mitglieder zur Zeit unserer Erzählung wird sich in Verlauf derselben entwickeln.

Als Ulrich Hieronymus in seine Wohnung begleitet, und dort dessen einfaches Mahl getheilt hatte, wiederholte [54] dieser sein Anerbieten, dieselbe für immer mit dem neuen Ankömmling zu theilen. Sie bestand freilich nur aus einem einzigen, nicht breiten, aber tiefen Gemach, in dessen Hintergrund ein Strohlager aufgeschichtet war, neben dem sich, wie Hieronymus bemerkte, allerdings noch Raum zu einem zweiten wies. In der einen langen Wand befand sich ein Schrank, der durch Hieronymus' Sonntagskleider auch nur sehr gering gefüllt war, ein paar hölzerne Sessel und Tische, auf welchen Zeichnungen und Risse nebst Zirkel und Zeichenmaterial lagen, bildeten das übrige Zimmergeräth.

Die kleine alte Frau, die ihm das Essen bereitete, begrüßte er als seine Mutter. Sie hatte Niemanden mehr als diesen einzigen Sohn auf der Welt, und da er jetzt wieder nach Nürnberg zurückgekehrt war und auf lange Zeit bei den Verschönerungen an der Lorenzkirche Arbeit gefunden, so hatte er für sich und sie diese Wohnung im Haus des Rädleinmachers Sebald gemiethet, dessen Geschäft etwas zurückging und der darum, was ein Nürnberger Meister ungern that, fremde Leute in sein Haus nahm. Die Mutter Hieronymus' hatte noch ein kleines Gemach für sich, das eine Herdstelle, wo sie für den Sohn kochte, und ihre Schlafstätte [55] in sich vereinigte. Dort saß sie meist und spann, weil sie sich von ihrer Hände Arbeit ernähren mußte.

»Wir sind zwar alle Brüder« sagte Hieronymus zu Ulrich, »und ein Streben beseelt uns Alle, ein gemeinsames Band verbindet uns Alle; aber es ist doch ein Anderes, ob der Geist unserer Lehre in uns lebendig geworden oder nur ihr Buchstabe, ob wir die Sache selbst erfassen oder nur das Symbol – nur einen solchen Bruder möcht' ich immer um mich haben, und weil mich dünkt, ich habe ihn in Dir gefunden, so möcht' ich Dich immer um mich haben.«

Ulrich drückte nach diesen Worten Hieronymus lebhaft die Hand und fragte: »Aber wodurch bist Du über mich zu einem so günstigen Schluß gekommen?«

»Wie Du das Maßbrett verschmähtest,« antwortete Hieronymus, »erkannt' ich, daß Du kein gewöhnlicher Steinmetzgeselle warst, nicht nur daß Du genug Augenmaß und Geschicklichkeit besaßest, es entbehren zu können, sondern daß Du den Muth hattest, bei einem ersten Probestück vom Gewöhnlichen abzuweichen. Und ich bewunderte Dich um so mehr, als ich erfuhr, daß Du eben erst ermüdet von der Wanderschaft kamst.«

»Darum ist mir ja auch heute zu ruhen gestattet,« antwortete Ulrich, »und ich werde von dieser Erlaubniß [56] Gebrauch machen und die müden Glieder auf Deinem Lager ausstrecken, damit ich, wenn Du aus der Hütte kommst, mit Dir die Stadt durchwandern kann, die mich anzieht, wie keine andere deutsche Stadt. Ich hoffe denn also gleich Dir, daß wir als rechte Brüder zusammen leben, und wenn ich Deine Wohnung theile, so theilst Du meinen Lohn mit mir.«

Hieronymus mußte bald scheiden, denn wer nicht zur rechten Zeit in der Hütte war, bekam Abzug am Tagelohn, und eine härtere Strafe als dieser Verlust war die damit verbundene Mißbilligung.

Als er beim Abendläuten zurückkam, fand er den neuen Kameraden am Tisch sitzen und zeichnen.

»Schon beschäftigt?« fragte Hieronymus, »ich glaubte, ich würde Dich erst wecken müssen.«

»Ich habe geschlafen,« antwortete Ulrich, »drei auch vier Stunden vielleicht, länger hielt ich's nicht aus, das war genug geruht von der Wanderschaft. Und wie ich die Augen wieder aufschlug und mich besann, wo ich war, lockten mich diese Zeichnungen, ich wollte Dich dadurch kennen lernen! Hast Du das Alles selbst gemacht?«

»Sonntags, in meinen Mußestunden,« antwortete Hieronymus; »ist etwas darunter, das Dir gefällt?«

[57] »Ja, dies hier,« sagte Ulrich, indem er einen Bogen Papier auseinander rollte. Wenn auch mit ziemlich rohen Strichen, so sah man doch an den darauf gezeichneten Figuren, daß sie ein jüngstes Gericht vorstellten, wo unter den Verdammten sich auch eine stürzende Gestalt befand, die nach der vor ihr fallenden dreifachen Krone langte.

Hieronymus sagte: »Das ist die Zeichnung eines großen Steinbildes, das sich am Münster von Bern am Haupteingange im Westen befindet. Darunter stehen in kleinen Säulennischen zu beiden Seiten der Hauptpforte, auf der einen die fünf klugen, auf der andern die fünf thörichten Jungfrauen, erstere im bloßen Haarschmuck, letztere mit lauter hochpriesterlichen Kopfbedeckungen bekleidet. An diesem Portale bin ich zuletzt mitbeschäftigt gewesen. Noch ist der Bau des Münsters dort nicht vollendet, aber da ich hörte, daß es in meiner Vaterstadt Arbeit gebe, kehrte ich hierher zurück, um ihr meine Kraft zu widmen.«

Ulrich lächelte beifällig und sagte: »Ich sehe, wir verstehen uns; auch ich habe schon da und dort solch' ein Wahrzeichen zurückgelassen, der Welt zu verkünden: daß wir Diener sind der göttlichen Kunst, Diener des Höchsten, dessen Tempel wir bauen, aber daß wir nicht [58] blinde Werkzeuge sind dieser Menschen, die sich selbst Kirchendiener nennen, aber zumeist nur sich selbst dienen; daß unser Hohenpriesterthum der Kunst ein höheres ist denn das der Kirche, und daß wir freie Maurer sind, nicht arbeitende Knechte! – Wie lange warst Du in der schönen Schweiz?« fragte er, sich selbst unterbrechend.

»Drei Jahre hab' ich dort gearbeitet,« antwortete Hieronymus; »es war eine große Zeit! Die Schlachten von Granson und Murten hab' ich mit erlebt! Da wir in Bern die Kunde von dem Sieg der Eidgenossen über den stolzen Burgunderherzog empfingen – es war vor zwei Jahren am dreiundzwanzigsten Juni, dem Tage nach der Schlacht – läuteten die Glocken des Münsters, an dem wir noch bauten, zum schönsten Siegesfest, drängten sich Tausende in ihn hinein zum jubelnden Dankgebet. Eine große Seelenmesse ward darin gehalten für die fünfzehntausend Erschlagenen, deren Gebeine nun im Beinhaus von Murten ruhen, ein Denkmal für alle Zeit, daß Gott mit diesem freien Landvolk streitet, dem er die Alpen als Hochwächter der Freiheit gesetzt hat, und die Gletscher, daß die Tyrannei auf ihnen ausgleite und sich nimmer erhalten könne. Wahrlich! ich habe Großes gesehen und erlebt in diesen [59] Tagen, und seit ich die Freiheit dieses einfachen Hirtenvolkes gesehen, das, wie es auch zuweilen selbst in Kleinlichkeiten versinkend untereinander hadern mag, doch gleich die kleine Eifersucht und den nachbarlichen Streit vergißt und vereinigt, groß und stark aufsteht gegen den Unterdrücker von Außen, mag er mit noch so stolzer Macht sich nähern – seitdem erscheint mir das reichsstädtische Wesen hier recht kleinlich und eingeschrumpft, und auch dafür wie für den Verfall der Kirche kann die Kunst allein mir Trost gewähren.«

Ulrich sagte: »Ich war zur selben Zeit in Straßburg, und auch unser Mauerhof feierte den großen Sieg in der Hütte wie im Münster. Das Jahr darauf erschien in Straßburg selbst, aber von einem SchweizerHans Eberhard Tüsch verfaßt, eine Erzählung des Feldzugs Karl's des Kühnen gegen die Schweizer, die von Allen, die lesen können, mit Begierde gelesen ward.«

»Aber ein weit höherer Geist als in diesem trockenen Bericht weht in den Kriegs- und Siegesliedern, welche die Schweizer nach diesen Siegen ertönen ließen,« sagte Hieronymus, »besonders in denen eines Dichters Veit Weber aus Freiburg, der in den Reihen der Eidgenossen selbst mitfocht. Ich hab' ihn selbst kennen und schätzen lernen. Solche Begeisterung, wie in diesen [60] Liedern weht, kann nur angetroffen werden, wo eine ganze Nation sich zu schönen Thaten für Vaterland und Freiheit erhebt; wir hier, in unseren kleinen Verhältnissen des bürgerlichen Lebens, unter dem ehr- und gewinnsüchtigen Gezänk großer und kleiner Potentaten, müssen darauf verzichten. Doch,« fügte er an's Fenster tretend hinzu, »wenn Du nicht zu ermüdet bist, heute noch Etwas von den Herrlichkeiten dieser Stadt zu sehen, so wird es Zeit, daß wir gehen.«

Beide ergriffen ihre Hüte, schnallten ihre kurzen Schwerter um und gingen hinab.

Sie waren nur erst wenig Schritte gegangen, als vor einem großen Gebäude am Katharinenhof ein dichter Menschenknäuel ihre Schritte hemmte.

»Was giebt es hier?« fragte Ulrich, und sein Führer antwortete:

»Sieh, hier ist Peter Vischer's Gießhütte, ein Rothgießer, der gestern Meister geworden. Die Rußigen machen ihm heute einen Besuch, um ihn in seiner eigenen Werkstatt zum ersten Feierabend zu beglückwünschen. Gestern hat ihm das Handwerk ein Fest gegeben, und heute kommen die Gesellen zu ihm, sich den Dank dafür zu holen. Da wird er man ches Fäßlein opfern müssen, denn wie mäßig er auch selbst leben soll, die Rußigen [61] sind ein durstiges Völkchen und lassen sich nicht gern eine Zeche entgehen.«

»Nur herein, ehrsame Zunftgenossen!« rief eine Stimme aus der Hütte, und an der geöffneten Thür zeigte sich die mittelgroße, breitschulterige gedrungene Gestalt eines Mannes von dreißig Jahren. Heiterer Lebensmuth strahlte aus seinem, jetzt noch von der Glut des Feuers geröthetem Gesicht, Gütmüthigkeit und Freundlichkeit gegen Jedermann leuchtete aus seinen hellen Augen und ein eigenthümlicher Zug von Schalkheit spielte um den Mund trotz dem Bart, der ihn umsäumte. Dabei lagerte auf der Stirn doch ein Ausdruck von Ernst und Willenskraft, der seine ganze, sonst gewöhnliche Erscheinung adelte. Er trug eine graue Arbeitsjacke, darüber eine steife Lederschürze und den Meißel in der Hand.

Ein donnerndes »Hoch!« der Rußigen antwortete ihm. So nannte man die Knechte und Gesellen der Gießhütten, deren es eine ziemliche Anzahl in Nürnberg gab, denn die Kunst in Erz und Metall zu gießen war eben damals sehr im Schwunge, und diese Rußigen waren ein zahlreiches Völkchen, das sich in Macht und Ansehen zu erhalten wußte, und wenn nicht anders, durch die Stärke seiner Muskeln und die Kraft seiner [62] Fäuste, wie durch die Hämmer, die darin geschwungen wurden.

»Dieser Peter Vischer hat ein sehr künstliches Meisterstück gemacht,« sagte Hieronymus, »das wir uns einmal ansehen können. Er ist auch von unermüdlichem Fleiß und läßt sich keine Mühe verdrießen zu lernen und sich fortzubilden.«

In diesem Augenblick ward in dem wachsenden Gedränge ein Benediktinermönch mit grauschwarzem Haar und langem wallenden Bart an die Seite der Steinmetzen geführt, so zwar, daß sein Rosenkranz an Ulrich's Schwert hängen blieb, und da dieser vorwärts schreitend das nicht bemerkte, so zerriß die Schnur und die Perlen rollten zu Boden.

Der Mönch murmelte etwas zwischen den Zähnen, das fast wie ein Fluch klang, Ulrich aber ward nicht so bald das Geschehene gewahr, als er mit höflichen Worten für seine Unvorsichtigkeit um Entschuldigung bat, und sich zu Boden bückte, die herabgefallenen Perlen zu suchen, da eben jetzt die Gesellen in die Gießhütte eintraten und dadurch das Gedränge sich verlor.

Ulrich sprach mit etwas fremden Accent und hatte überhaupt ein eigenthümlich melodisches Organ – der Benediktinermönch starrte ihn prüfend an, nachdem er [63] diese Laute vernommen, und während es erst geschienen, als wolle er ihn derb anlassen, sagte er jetzt nur kurz: »Bemüht Euch nicht!« und war um die nächste Ecke mit hastigen Schritten im Augenblick wie verschwunden. Wenigstens als Ulrich das herabgefallene Kreuz und eine große Perle des Rosenkranzes aus dem Staub der schlechtgepflasterten Gasse aufgehoben und dem Mönch sein Eigenthum geben wollte, war derselbe nirgend mehr zu sehen. Auch Hieronymus hatte sein Augenmerk nicht auf ihn gehabt und wußte nicht, wo er hingekommen. Vielleicht begegne ich ihm noch einmal,« sagte Ulrich; »er hatte ein ausdruckvolles Gesicht, das ich jedenfalls wieder erkenne, oder ein anderer Benediktinermönch kann uns vielleicht sagen, welcher seiner Brüder diesen Verlust gehabt; bis dahin will ich Perle und Kreuz bewahren, um sie ihm gelegentlich wieder zuzustellen.«

Wie es dunkel geworden und die abendlichen Schleier auch die schönsten Bauwerke einhüllten, das selbst die prächtige Sebaldskirche, vor der Ulrich lange bewundernd und zugleich mit dem Auge des Kenners prüfend weilte, nur noch in ihren großen Umrissen sichtbar war, kehrten die beiden Baubrüder wieder heim in ihre gemeinschaftliche Wohnung. Durch Nürnbergs Gassen [64] wogte zwar noch lange ein heiteres Leben und ein warmer Maiabend war so recht eigentlich geschaffen für die Bürgerlust, und auf den Spaziergängen an der Pegnitz wimmelte es von junger männlicher und weiblicher Welt, die sich lustig erging und begrüßte; aber wenn auch die Baubrüder nicht mehr zum geistlichen Stande gehörten, so lebten sie doch gewissermaßen abgesondert von der profanen Welt und unter strengen, selbstgegebenen Gesetzen, auf deren Befolgung mit viel größerer Strenge gesehen ward, als zur selben Zeit bei den Mönchen und Geistlichen, die gerade damals sich viel erlauben durften, so daß von den Klosterbrüdern Dinge geschahen und ihnen nachgesehen wurden, die bei den Baubrüdern strenge Bestrafung fanden. Die Hütten hielten strenger auf Moral als die Klöster, es herrschte bei den Baubrüderschaften nicht mehr der Gegensatz von geistlich und weltlich, von Geistlichen und Laien, sondern von Geweihten und Profanen. Hierin lag das erhebende und zugleich stolze Gefühl, welches die freien Maurer gleichsam durch sich selbst stützte und schützte und sie eigensinnig über die eigene Sittenreinheit wie über die ihrer Brüder wachen ließ, um sich ihrer Würde nichts zu vergeben und treu darauf zu halten, daß ihr erhabener Bund keinen Makel an seinen Angehörigen dulde.

[65] Am folgenden Morgen waren Hieronymus und Ulrich die Ersten in der Hütte – den Pallirer ausgenommen, der das Amt hatte die Thür auf- und zuzuschließen und der Erste und der Letzte in der Hütte zu sein. Bald kamen auch die andern Gesellen und Lehrlinge, und der Pallirer sprach das Morgengebet, dann ging ein Jeder still an seine Arbeit. Der Werkmeister wies Ulrich die seine an und sagte ihm, daß nachher der Hüttenmeister und der Propst von St. Lorenz, Herr Anton Kreß, kommen würden, um ihn als Mitglied der Nürnberger Bauhütte aufzunehmen.

Die Hüttenmeister waren die obersten Vorsteher einer Hütte, sie mußten für Beschäftigung der Baubrüder sorgen, waren die Vertreter der Hüttenangelegenheiten bei Kaiser und Fürsten, schlossen die Baukontrakte, wählten die Arbeiter und suchten der Kunst und ihrem Ruf zu dienen. Da die Baubrüderschaften eben nur zu Kirchenbauten sich verwenden ließen, so war es immer der Bischof, Abt oder Propst eines kirchlichen Stiftes, der sie berief, den Bauplan u.s.w. mit ihnen abzureden und zu beaufsichtigen hatte, war er verhindert, so mußte irgend ein Canonicus oder »Gottesjunker« seine Stelle vertreten.

[66] Als Herr Anton Kreß erschien, grüßte er Alle freundlich, als wären sie seinesgleichen. Das Kirchenamt von St. Lorenz war erst kürzlich zu einer Propstei erhoben worden, und Anton Kreß war der erste, der mit dieser neuen Würde bekleidet worden. Er mochte etwa fünfzig Jahre zählen. Leutseligkeit sprach aus seinen freundlichen Mienen, und wenn die wohlgepflegte Behäbigkeit seines ganzen Wesens auch nicht gerade auf sehr große Geistesgaben schließen ließ, so sah man es ihm doch an, daß er eine aufrichtige Theilnahme und Liebe für die Kunst besaß, und indem er ihr huldigte und neue monumentale Werke derselben veranlaßte, nicht nur eine Mode mitmachte, die zu seiner Zeit unter den Geschlechtern Nürnbergs sich auch Manchen für einen Kunstmäcen ausgeben ließ, der nur für die in die Augen fallende Pracht Sinn hatte und kein Verständniß für das Höhere, das über den Gesichtskreis der Alltagsmenschen hinaus lag.

Als die üblichen Feierlichkeiten bei der Begrüßung des Propstes wie des neuen Gesellen vorüber waren, sagte jener zu diesem: »Ist nicht Euer Zeichen ein Kreuz mit einem Winkelmaß durchschnitten?«

Ulrich bejahte. Die Steinmetzen führten statt ihrer Namens-Chiffren, Monogramme, welche sie als ihr Zeichen [67] in ihre Arbeit gruben. Nur in diesen wie in ihren Werken wollten sie fortleben, auf die Unsterblichkeit des einzelnen Namens verzichtend, darum sind auch nur wenig Namen von Baubrüdern und eigentlich nur die ihrer Baumeister auf die Nachwelt gekommen.

Es schien nicht, als ob der Propst damit nur eine gewöhnliche Frage gethan, sondern als ob ihm die Beantwortung derselben von besonderer Wichtigkeit sei. »Ihr seid in einem Kloster des Elsaß erzogen?« fragte er weiter. »Was ist aus Euren Eltern geworden?«

Ulrich antwortete: »Meine Eltern bestellten das Feld in der Nähe eines Benediktinerklosters und ich hütete dessen Schafe bis in mein zehntes Jahr. Da wüthete der Krieg in unserer Gegend und mein Vater mußte mitziehen. Der Feind stand uns ganz nahe, da ich auf dem Felde allein mit der Heerde war. Die Mönche waren mir immer gütig gewesen, und jetzt nahmen sie mich mit in das Kloster. Da der Feind näher rückte, die Fluren verwüstete und Feuer in unsere Hütten warf, bat ich für Zuflucht um meine Mutter, oder daß man mich zu ihr ließe ihr Schicksal zu theilen, welches es sei. Aber die Pforten des Klosters blieben verschlossen. Ich wußte wohl, daß Frauen sie nicht durchschreiten durften, aber ich war doch der Verzweiflung nahe, daß [68] man mich getrennt von meiner Mutter hielt. Da endlich der Kampf ausgetobt und der Feind weiter gezogen war, wie immer eingeäscherte Höfe, brennende Hütten und zertretene Fluren hinter sich lassend, ließ man mich heraus, und eine Anzahl Mönche begab sich mit auf den Weg, den Verwundeten Hülfe zu bringen oder die Todten zu begraben. Es gab von beiden genug, Männer und Frauen, verstümmelt und erschlagen – aber von meiner Mutter fand ich keine Spur. Leute, die sie kannten, wollten sie gebunden auf dem Pferd eines Lanzenknechtes gesehen haben, der im raschen Trabe mit ihr davongeritten. Meine Mutter war eine schöne Frau und damals etwa dreißig Jahre alt – ich kann nicht ohne Schauder an das Geschick denken, das sie vielleicht betroffen. Nie habe ich wieder etwas von ihr gehört, alle Nachforschungen, die ich selbst nach ihr anstellte und welche von den Benediktinern, wie sie mich wenigstens versicherten, nach ihr angestellt worden, blieben erfolglos. Die frommen Klosterbrüder behielten mich bei sich im Kloster, das kleine Besitzthum meiner Eltern fiel ihm anheim und ich sollte dafür von ihnen zum geistlichen Stande erzogen werden. Ich lernte nun bei ihnen schreiben, zeichnen und lesen, und da sie mit mir zufrieden waren, wie ich bei ihren Lehren mich anstellte, [69] unterrichteten sie mich in allen wissenschaftlichen Dingen. Dabei ging mir der Sinn auf für die Kunst, und ich konnte dem Drang nicht widerstehen, mich ihr ganz zu widmen. Einer der Mönche ward mein Fürsprecher, und so entließ man mich endlich und die Straßburger Bauhütte nahm mich als Lehrling auf, wo ich, wie Ihr aus meinen Zeugnissen seht, fünf Jahre gelernt und mein erstes Gesellenjahr gearbeitet habe.«

»Und von Eurem Vater erfuhrt Ihr Nichts?« fragte der Propst theilnehmend weiter.

»Einige seiner Landsleute, die zurückkamen, sagten, er sei in der Schlacht gefallen, aber ich weiß so wenig gewiß, ob das wahr ist, wie jene letzte Nachricht über meine Mutter,« antwortete Ulrich. »Es sind vierzehn Jahre seitdem vergangen, aber ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört, noch hat der Klosterbruder, der mein Gönner und Freund geblieben, je etwas von ihnen erfahren.«

»Ihr waret das einzige Kind Eurer Eltern?« fragte Kreß, dessen Theilnahme immer mehr zu wachsen schien.

»Ich hatte niemals Geschwister.«

»Und Euer ländliches Besitzthum?«

»Der Abt des Benediktinerklosters verwaltet es für meinen Vater. Wenn er oder meine Mutter nicht zurückkommen, fällt es an das Kloster.«

[70] Der Propst konnte bei dieser Antwort ein leises Lächeln nicht unterdrücken, aber er schien mit seinem Examen über Ulrich's Familienangelegenheiten zu Ende zu sein, und sprach nun von Bauangelegenheiten mit ihm.

Dieses Examen war ungewöhnlich, da es vollständig überflüssig war. Kein Jüngling ward als Baulehrling zugelassen, der nicht von ehrlicher Geburt war und nicht die besten Zeugnisse über seine Sittlichkeit und Brauchbarkeit hatte. Es verstand sich daher beides schon bei einem Baubruder von selbst, und außerdem waren dieselben fast ebenso losgerissen von allen Familienbanden wie die Geistlichen, da auch das Cölibat bei ihnen Bedingung war, daß es nie Jemanden einfiel, sich um ihre Angehörigen zu bekümmern. Anton Kreß mußte darum gerade ein besonderes Interesse für diese haben, sonst hätte er nicht diese Auskunft von Ulrich verlangt. So viel ward diesem klar, aber vergeblich bemühte er sich durch Nachsinnen zu ergründen, was den Propst zu diesen Fragen veranlassen konnte.

[71]

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Romane. Nürnberg. Erster Band. 3. Kapitel. Die Baubrüder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-65F1-9