[1] Dritter Band

1. Kapitel. Ein Seefahrer

Erstes Capitel
Ein Seefahrer

Von herrlichem Frühlingswetter begleitet war das Osterfest herangekommen. Die Lerchen wirbelten im Sonnenschein triumphirende Auferstehungslieder, die Zugvögel kehrten zurück und suchten die alten Nester, oder bauten sich neue. Sie fanden an den Giebeln von Nürnberg, wie in den Bäumen seiner Gärten, manch' ein trauliches Plätzchen, darin sie nisten konnten, wo sie sich zwitschernd als gern gesehene Gäste niederließen. Sie flatterten um die hohen Zinnen der Burg und wiegten sich auf den Zweigen der Linde, welche die Kaiserin Kunigunde im Schloßhof gepflanzt.

Auf einem Spaziergange mit ihrem Gemahl hatte Elisabeth diesem Spiele zugesehen, und obwohl dabei heiter lächelnd, doch im Innern schmerzlich bewegt sich gefragt: ob und wann je einmal die Zugvögel wiederkehren würden, die im Winter nur kurze Zeit unter [1] ihrem Dache geweilt: König Max und Kunz von der Rosen, oder Konrad Celtes? Sie suchte jede heftige Regung in sich zu unterdrücken; aber sie fühlte sich seitdem wieder so allein und unverstanden an der Seite des ungeliebten und ungebildeten Gatten, der für alle höheren Interessen des Lebens kein Verständniß hatte, und nur aus Eitelkeit den Schein um sich zu verbreiten suchte, als ob Kunst und Wissenschaft in ihm einen Verehrer hätten, während er innerlich ihnen doch ganz fremd blieb.

Aber indem Elisabeth so auch wieder heimgekehrt an die Zugvögel unter den Menschen dachte und selbst Leid empfand, nicht zu ihnen zu gehören – kam plötzlich einer von denselben zurück, den sie am wenigsten erwartet hatte.

Ihr Bruder Georg trat bei ihr ein, und mit ihm ein älterer Mann in portugiesischer Tracht von schwarzem Sammet, mit gelben Puffen von Atlas in den Aermeln seines Wammses, einen runden Hut mit langer schwarzer Feder, auf seiner Brust ein schimmerndes Ritterkreuz. Er mochte etwa sechzig Jahre zählen und war von mittlerer Größe, aber die Straffheit seiner Haltung war die eines Jünglings. Sein braunes Haar, das die breitgewölbte vorspringende Stirn umspielte,[2] war nur mit wenigen Silberfäden untermischt, ebenso der Bart, der Oberlippe und Kinn bedeckte. Die Stirn zeigte einige Runzeln, aber vorherrschend in der Mitte über der Nase die tiefe Furche des rastlosen Denkens. Seine Gesichtsfarbe schien von einer tropischen Sonne gefärbt zu sein und erhöhte den blitzenden Glanz seiner Augen, die feingebildeten Hände zeigten sich wettergebräunt und hart.

Georg begrüßte die Schwester und sagte: »Ich bringe Dir einen Gast, Elisabeth.«

Sie verneigte sich mit edlem Anstand, aber einem fragenden Blick auf den Bruder, von dem sie zu erwarten schien, daß er den Fremden ihr vorstelle, und sagte: »Waret Ihr schon bei meinem Gemahl, oder hab't Ihr ihn nicht daheim gefunden?«

»Dieser Besuch gilt vor allem Dir und dann erst ihm,« sagte Georg.

»So ist es!« sagte der Fremde, und ließ seine Augen so durchdringend und prüfend auf Elisabeth's Antlitz und Gestalt ruhen, daß sie, unwillig diesen Blicken ausweichend, fragend zu Georg sah, als fordere sie von ihm eine Erklärung oder Schutz gegen einen Fremden.

[3] Dieser aber ergriff ihre Hand und rief: »Erkennt mich Elisabeth wirklich nicht?«

Da stieß sie einen Schrei aus und mit dem Jubelrufe: »Martin, Du bist's!« sank sie in seine Arme.

Er drückte sie fest an seine Brust und sagte: »Ich hätte Dich gleich wieder erkannt, wärest Du mir auch noch so unerwartet begegnet, und bist Du auch in den zwölf Jahren meiner Abwesenheit aus einer zarten Jungfrau ein blühendes Weib geworden; Deine Augen und Dein Mund sind geblieben, wie sie waren – und die giebt es nicht weiter so auf der Welt.«

»Aber wie konnte ich Dich auch hier erwarten?« rief Elisabeth; »eher glaubt' ich Dich am Capo di Tormentos oder weiter auf fernen Meeren schiffend, auf denen Du an wundersamen Inseln landetest, die zuvor Dein Prophetengeist aufsteigen sah aus dem dunklen Ocean!«

Martin Behaim lächelte: »O mehr als eine wundersame Insel, das ganze indische Königreich Congo haben wir entdeckt, als unter Diego Can unsere Schiffe immer weiter segelten in's Unbekannte hinein. Und der Herrscher von Congo, wie die meisten seiner Bewohner empfingen uns mit ungewöhnlicher Freundlichkeit; sie traten in Verbindung mit dem mächtigen [4] König von Portugal, in dessen Namen wir landeten, ja sie ließen sich taufen, und wo vorher mißgestaltete heidnische Götzenbilder standen, ist das christliche Kreuz aufgerichtet worden. Das ist eine neue Art von Kreuzzügen: neue Welten gilt es aufzusuchen und zu entdecken – nicht mehr rückwärts nach Osten wie der blinde schwärmerische Glaube – vorwärts nach Westen geht das Streben der hellsehenden Wissenschaft! – Und sprich nicht mehr von Capo di Tormentos! Diesen Namen schrieb ich Dir wohl damals, als ich mit Bartolomeo de Diaz das Vorgebirge von Afrika erreichte; er hatte es so wohl genannt zur Erinnerung an die hier ausgestandenen Drangsale, aber der Monarch Joiro, voll froher Erwartung nach glänzenderen Entdeckungen, gab ihm den bedeutungsvollen Namen ›Kap der guten Hoffnung‹ – und den wird es nun wohl für immer behalten. Jetzt hab' ich von der letzten Seereise in Lisboa bei meinem lieben Weibe ausgeruht, und nun bin ich einmal hierher gekommen, Euch wieder zu begrüßen, und weil ich mein liebes altes Nürnberg nicht vergessen habe, dessen kunstfertige Hände mir weiter dienen sollen, was die Wissenschaft mich gelehrt und die Erfahrung mir bestätigt, in einem neuen Instrumente faßlich darzustellen – wie [5] ja auch mein edler Lehrer Johannes Regiomontanus von Königsberg gen Nürnberg zog, weil er hier für seine Studien die besten mathematischen Instrumente gefertigt erhalten konnte.«

»Komm,« sagte Elisabeth und zog ihn zu sich auf das Sopha, »und erzähle so weiter. Wie freu' ich mich Deiner Rückkehr! Wie tausendmal haben wir in der letzten Zeit Deiner gedacht und uns gefragt, ob Du wohl noch am Leben – ob Du nicht zu Kühnes gewagt und gesonnen, ob Du nicht einer der Märtyrer geworden seist, welche, wie sie ihrer Zeit voraus sind, von dieser nicht verstanden, darum von den Anhängern des Alten verklagt und verurtheilt werden, beschuldigt, Irrlehren zu verbreiten und Unheil zu stiften, wo sie der Wahrheit und damit dem Wohle der Menschheit dienen?«

Martin Behaim versetzte mit klugem Lächeln: »Die Pfaffen sind mir allerdings nicht besonders hold und alle Freunde der Volksverdummung sind meine Feinde. Indeß können sie doch nichts wider mich aufbringen. Solche Gegner werden durch den Erfolg überwältigt – und da ich nicht eher etwas behaupte, bis ich es mit mathematischer Genauigkeit berechnet und klar beweisen konnte, so waren sie bald zum Schweigen gebracht. [6] Was mich aber vielleicht am meisten schützt, ist, daß ich niemals meine Person in den Vordergrund schiebe. Unter den stolzen, ruhmsüchtigen, aufgeblasenen Portugiesen mag man sich immerhin über die stille bescheidene Art des deutschen Mannes verwundern, der sein Wissen darbietet, ohne Anspruch auf Ruhm und Ehre zu machen, reich belohnt, wenn es nur wirklich der Menschheit nützt und zum Ziele führt; mag die Mit- und Nachwelt immerhin die Namen Bartolomeo Diaz und Diego Can als die Helden der Seeunternehmungen dieses Jahrhunderts nennen, die neue Welten finden und erschließen: mir genügt das Bewußtsein, daß ich die Seele dieser Unternehmungen war und daß ich die Schlüssel lieferte zu den sonst vielleicht noch unverschlossenen Pforten zu den neuen Wegen und Reichen.«

Elisabeth drückte ihm die Hand und sagte: »Wie lange Du auch schon unter den heißblütigen Nationen bist – Du bist ein ganzer Deutscher geblieben: Du läßt andern Nationen den Ruhm, den Deutschland haben könnte und der ihm vor allen gebührt!«

»Du bist auch noch immer die Schwärmerin für die deutsche Größe, die nun einmal nicht ein großes Deutschland werden kann!« sagte der weitgereiste Bruder; [7] uns Mathematikern ist es gleichgültiger, wir reden eine Zahlensprache, die für alle Nationen verständlich. Aber einen Ruhm wenigstens will ich dem Vaterlande und der Vaterstadt retten: wenn man sich einst von Portugals Seetriumphen erzählt und, wie ich vorhin sagte, dabei auch meinen Namen vergißt, so wird man doch Nürnberg nennen, in dem der erste Globus gefertigt ward. Ich bin hierher gekommen, um nach meiner Angabe die Erdkugel, auf die ich alle Länder und auch die neuentdeckten zeichnen will, von den geschicktesten Landsleuten darstellen zu lassen. Was man mit Augen sehen und mit Händen greifen kann, bezweifelt man nicht mehr, und dann wird Niemand mehr glauben, daß die Erde eine Scheibe, sondern begreifen, daß sie kugelförmig sein muß.«

»Rüstet nicht jetzt auch Spanien zu ähnlichen Entdeckungen?« fragte Georg.

Martin Behaim zuckte die Achseln. König Ferdinand und Isabella scheinen noch immer zu zögern, auf die Pläne und Vorschläge eines strebsamen Genuesen einzugehen, der auch in Portugal vergeblich der Regierung dieselben machte. Ich hörte leider erst von ihm, als der König Joiro schon seine Anerbietungen verworfen hatte, und war damals selbst noch in der[8] Lage, ihm nützen oder mit ihm vereint wirken zu können. Ich war noch nicht lange in Lissabon, in den Handelsgeschäften unseres Hauses mich Anfangs nicht um die Seeprojekte kümmernd, als (es war im Jahre 1481) unter dem Oberbefehle Don Diego's von Azambuja eine ansehnliche Flotte nach Guinea segelte und durch die Anlegung eines Fortes an der Küste den dortigen Goldhandel sicherte. Mit großer Eifersucht verbarg man jedoch die Resultate der bisherigen Entdeckungen und verbreitete die abschreckendsten Gerüchte und abenteuerlichsten Sagen über die Gefahren der Schifffahrt in jenen Meergegenden. Selbst grausame Maßregeln vernichteten die Mühe verwegener Fremdlinge, welche, gegen das System des Hofes, zu ähnlichen Zwecken sich anschickten, mit ihren Personen zugleich. Da wies man auch jenen Genuesen Christoforo Colombo ab, wie es ihm schon in seiner Vaterstadt Genua geschehen war. In Lissabon kannte ich ihn wie seinen Schwiegervater Bartolomeo Perestrello, ein tüchtiger Seefahrer, der als Schiffscapitän unter dem Infanten Don Heinrich nach der Westküste Afrikas gesegelt war und an der Entdeckung von Madeira Theil genommen hatte. Colombo behauptet, daß die andere Halbkugel unseres Erdbodens festes Land enthalten [9] müsse, das man auf kürzerem Wege erreichen könne, indem man durch eine Fahrt nach Westen gerade aus in's offene Meer steuerte. Mir scheint das in der That auch nicht unwahrscheinlich und ich glaube, daß ihm sehr Unrecht geschieht, wenn er für einen tollkühnen Träumer erklärt wird. In Lissabon abgewiesen, versucht er jetzt in Spanien sein Heil, zuweilen heißt es, daß man ihm Schiffe ausrüsten wolle – aber bis jetzt ist er immer noch mit leeren Versprechungen hingehalten worden. Vor der gelehrten Junta von Salamanka hat er seine Ansichten vorgetragen, aber auch hier belächelte sie die Mehrzahl als Hirngespinnste eines müssigen Kopfes.«

»O ich wollte, ich wäre an Isabella's Stelle!« rief Elisabeth; »ich gäbe diesem Manne Schiffe und Alles, was er wünscht, und wenn ihn die ganze Welt einen Abenteurer hieße! noch lieber wagt' ich mit ihm selbst die Fahrt. Wer Riesenpläne in seinem Kopfe wälzen kann, der verdient auch die Mittel zur Ausführung. Es muß herrlich sein, so mitten hinein zu schiffen in's grüne, wogende Meer, und zu spähen, bis irgendwo eine goldene Küste emportaucht, die noch kein menschlicher Fuß betreten, oder auf der man doch ganz [10] neue Menschen findet und Alles neu und anders, als das bisher Bekannte.«

Martin lachte: »Ja, Du paßtest gerade dazu! Du denkst es Dir wohl wie in einer venetianischen Gondel, oder auch wie im Schiffe des Dogen in das adriatische Meer hinaus. Die Lustbarkeit ist nicht gar so groß, tage- und wochenlang nichts zu sehen als Himmel und Wasser, und nicht zu wissen, wo man ist, trotz dem Compaß, und wär's der beste aus unserer besten Nürnberger Werkstätte. Du paßtest unter die rauhen Seeleute mit Deinen feinen Sitten, der hier die Reichsstädter noch zu roh sind, und Deiner feinen Haut, die von kostbaren Salben duftet. Und die neuen Menschen! Nun wir haben welche gesehen, die wir erst für eine große Art Affen hielten, und dann wieder welche, die zwar weniger wie wilde Thiere aussahen, aber sich doch so geberdeten und große Lust hatten uns zu schlachten und zu fressen.«

In diesem Augenblick trat plötzlich Christoph Scheurl ein mit sehr verstörtem Gesicht, warf einen verwunderten Blick auf den ihm unbekannten Martin und sagte zu Georg Behaim:

»Schlechte Nachricht, Herr Schwager! Eben wird mir gemeldet, daß ein großer Waarentransport, der [11] für Euch angekommen, einige Stunden von hier, aber noch auf Nürnberger Gebiet, überfallen und geplündert worden ist. Es sollen ganz absonderliche Sachen dabei gewesen sein, die der Bote gar nicht zu nennen und zu beschreiben wußte.«

»Um's Himmels Willen!« rief Martin, »es wird doch nicht mein Reisegut sein, dem ich vorangeeilt und dessen Führer ich an Dich wies?«

Elisabeth sagte: »Mein Bruder Martin – mein Gemahl« – die beiden Männer einander vorstellend.

»Das ist Dein Gatte!« fuhr Martin Behaim heraus, der, obwohl er wußte, daß derselbe zwanzig Jahre älter war als Elisabeth, und schon darum ein unpassender Lebensgefährte für sie, doch wenigstens die Würde des älteren Mannes, wie er selbst sie besaß, aber nicht diese Geckenhaftigkeit, die sich seinem ganzen Aeußern aufprägte, und diese Ausdruckslosigkeit des Gesichtes, die auf den alltäglichsten Weltmenschen schließen ließ, von ihm erwartet hatte. Er begriff mit einem Blick, daß seine Schwester, die sonst seine Schülerin gewesen, die er mit Theil hatte nehmen lassen an seinen Studien und an seinem Wissen, so weit dies einem jungen Mädchen möglich gewesen, neben diesem Flachkopf unglücklich [12] sein mußte. Er reichte dem Schwager die Hand und sagte:

»Seid mir als werther Verwandter begrüßt, wenn Ihr mir auch der Ueberbringer einer Unglücksbotschaft sein solltet!«

»Willkommen, Herr Bruder und wackerer Seefahrer!« antwortete Scheurl; »aber ich fürchte in der That, wenn an die Behaim eine Sendung von Euch in diesen Tagen unterwegs gewesen, daß die ausgeraubte die Eure ist, da es kein gewöhnlicher Waarentransport, sondern Reisegepäck gewesen sein soll, das von Augsburg kam.«

»Laßt mich den Boten sprechen!« rief Martin aufgeregt.

Elisabeth zog die Klingel und gab der erscheinenden Dienerin den Befehl, den Boten hinaufzuführen.

»Es wäre weniger umständlich gewesen, selbst hinabzugehen!« sagte Martin, als man noch auf den Boten wartete.

Da dieser endlich erschien erstattete er Bericht, daß er in Begleitung von einem Trupp Berittener, welche im Solde der Herren Fugger von Augsburg ständen, von diesem beauftragt sei, ein vierspänniges Waarenfuder an die Herren Behaim nach Nürnberg zu führen[13] und daß er ein Verzeichniß der Waaren mit erhalten; in einem besondern Kasten wären auch Affen und in einem andern einige wunderbare ganz bunte große Vögel mit krausen Köpfen und langen Schwänzen gewesen.

»Meine indianischen Raben!« rief Martin. »Elisabeth, ich hatte Dir sie mitgebracht, da ich weiß, wie Du über solche Dinge Dich freust! – Wo sind sie? – es sind meine Sachen! es braucht keiner weiteren Beschreibung – wo sind sie hingekommen?«

Der Bote zuckte die Achseln. »Wegen dem Viehzeug mußten wir öfter einkehren, ihm frisches Wasser zum Saufen zu geben, wie uns geboten war. Ueberall, wo es geschah, liefen die Leute zusammen, die gerade in der Nähe waren, die absonderlichen Thiere zu sehen, Land- oder Stadtvolk, Ritter oder Knappen, was gerade auf den Beinen war. So auch gestern Mittag in Altdorf ein paar Ritter. Ich suchte gerade etwas in meiner Tasche, und da hatte ich das Waarenverzeichniß mit herausgenommen. Der eine Ritter fragte uns, ob wir noch mehr solche närrische Dinge mit uns führten? Ich meinte, das möchte wohl sein, aber wir wüßten es nicht, da wir nicht lesen könnten – und da er das Verzeichniß sah, sagte er, er wollte es uns [14] vorlesen, und las zuerst darauf, daß die Sendung an die Herren Behaim ginge. Bei manchen Worten und Namen stutzten sie und verstanden sie nicht und wir noch weniger. Wir setzten dann unsern Weg weiter fort; aber der Regen hatte die Straße, die noch vom Winter her nicht ausgetrocknet war, so schlecht gemacht, daß wir Mühe hatten fortzukommen, und darum kam uns die Dunkelheit über den Hals, als wir noch im Reichsforst waren, indeß wir gemeint hatten, wir könnten vor Nacht in Nürnberg sein. Nun ging es immer langsamer mit uns vorwärts. Da brach plötzlich ein bewaffneter Haufe durch den Wald und überfiel uns. Meint nicht, daß wir uns nicht tapfer gewehrt – es gab Todte und Verwundete auf beiden Seiten. Aber sie überwältigten uns – wir mußten fliehen – sie waren uns weit überlegen – der Wagen sammt den Pferden und Waaren fiel in die Hände dieser Straßenräuber und Ritter. Ich meine die Beiden in ihnen erkannt zu haben, die am Mittag mit uns sprachen, obwohl sie jetzt die Visire geschlossen hatten; denn sie wußten auch, an wen unsere Sendung ging, und Einer sagte: Wenn die Affen für Elisabeth Behaim gewesen, so sag't ihr, sie brauche keinen, da sie sich schon seit zwei Jahren einen angeschafft.«

[15] Elisabeth erröthete und trat zurück; sie verstand nur zu gut die dreiste Anspielung auf ihren Gatten, die der Bote in seiner Dummheit getreulich wieder berichtete, und die also doch auf Raubritter ihrer Bekanntschaft schließen ließ – und sie nahm sich vor, sobald sie den Boten allein sprechen könne, sich eine genaue Beschreibung der Ritter geben zu lassen, indeß Martin, mit den Füßen stampfend, zornig fragte:

»Also ist wirklich Alles in ihre Hände gefallen?«

»Alles,« antwortete der Bote.

»Nun das muß ich sagen!« rief Martin Behaim, »ich denke, der von Kaiser Friedrich auf acht Jahre gestiftete Landfriede ist erneuert worden, der schwäbische Bund wie die Löwler und die Reichsstädte wachen sorgfältig, daß er gehalten werde, und indeß ich mein Gut von den neuentdeckten Inseln, dem Kap der guten Hoffnung über die weite See, dann durch die ganze pyrenäische Halbinsel und Frankreich glücklich hereingebracht in's deutsche Reich und in ihm bis vor die Thore der friedlichsten Reichsstadt – wird es auf ihrem Gebiete mir noch geraubt! Das freilich ließ ich mir nicht träumen, daß es noch also zugehe im heiligen römischen Reich; indem man von dem neuen römischen Könige große Dinge und Wunderthaten erwartet, geht [16] es im Innern des Reichs schlimmer zu, als bei den Nationen des Südens, die sich nicht solcher Bildung und Gesittung rühmen und sich noch mit dem heißblütigen Charakter des Südländers entschuldigen können. Wie hab' ich mich oft in die Heimath gesehnt, nach biederer deutscher Art – und nun empfängt sie mich so! Mir scheint, als sei hier eine bodenlose Verwilderung unter die Menschen gekommen. Das Gute hat es, daß ich nun wohl das Vaterland nicht überschätzen und auch in der Ferne von Heimweh geheilt sein werde.«

»Wir müssen diese Sachen wieder haben!« rief Herr Scheurl, und auch Georg stimmte bei, daß der Rath von Nürnberg den Schimpf nicht könne auf sich sitzen lassen, daß ein Behaim, der nach zwölf Jahren zurückkehre, mit dem Ritterkreuz des portugiesischen Königs geschmückt, der seiner Vaterstadt und seinen Landsleuten so viel Ehre gemacht, so um sein Reisegut betrogen werden dürfe.

»Gott sei Dank,« sagte Martin, »daß ich wenigstens meine Instrumente, Karten und Pläne bei mir behielt; ihr Verlust wäre mir unersetzlich gewesen. Was ich da mitgebracht und was man geraubt, das habe nicht ich sowohl verloren, als Ihr und der Rath von Nürnberg; denn es waren meist Gegenstände seltsamer [17] Art von meinen Entdeckungsreisen, dergleichen man hier noch nicht gesehen, und ich darum Euch und dem Rath, der ganzen Stadt zu Nutz und Letze mitgebracht und geschenkt hätte.«

»Eben das,« sagte Georg, »daß es noch nie gesehene Gegenstände sind, muß zur Entdeckung der Thäter und Wiederhabhaftwerdung jener führen.«

»Wir wollen sogleich das Nöthige anordnen bei dem Rath,« sagte Scheurl, sich wichtig und geschäftig zeigend.

»Zum Glück,« sagte Martin, »habe ich eine Abschrift des Verzeichnisses zur Vergleichung, die mögt Ihr einreichen. Ich klage wider Friedensbruch, auf Straßenraub und Ueberfall, auf Todtschlag des Geleites für friedliche Handelsleute. – Bis Augsburg war ich bei den Gütern geblieben, weil ich aber unterwegs in Eichstädt einen alten Freund aufsuchen wollte, trennte ich mich von ihnen, allein schneller reisend, und blieb dort zwei Tage, wonach ich berechnete, daß ich wohl ziemlich zugleich mit den Gütern ankommen werde, denn um Euch zu überraschen, wünschte ich nicht, daß sie mir zuvorkommen.«

»Nun kommt und laßt uns gleich alle drei auf dem Rathhause die nöthigen Schritte thun,« sagte Georg.

[18] »Gehab' Dich indessen wohl, Elisabeth,« sagte Martin; ich bin Dein Gast, wenn ich zurückkehre. Du siehst, ich habe nicht die Schuld, wenn ich Dir nicht einige Affen und indianische Raben zur Gesellschaft lassen kann, damit sie Dir von ihrer mährchenhaften Heimath erzählten.«

»Ich erwarte Euch wieder zum Nachtmahl,« antwortete sie; und wen Du etwa von alten Freunden wiederfindest, den bringe mit, oder nenne mir ihn, damit ich nach ihm sende.«

»Wir können ja auch unter uns bleiben,« versetzte Martin; »Du hast mir ja selbst noch gar nichts erzählt!«

Damit gingen sie, und Elisabeth seufzte bei den letzten Worten; was sie am meisten bewegte, mochte sie doch nicht erzählen! –

Als sie allein war, ließ sie sich von dem Boten die Ritter, die den Ueberfall gemacht und ihn erst gesprochen, genau beschreiben. Sie konnte nicht zweifeln, daß der eine Eberhard von Streitberg war. Er hatte auch die Bemerkung mit dem Affen gemacht.

[19]

2. Kapitel. Warnende Stimmen

Zweites Capitel
Warnende Stimmen

Ulrich von Straßburg war in's Clara-Gäßchen gezogen, das sich in der Nähe des Clara-Klosters befand und auf der Lorenzer Seite auch nur durch eine Straße von der Lorenzkirche, der Propstei und der Bauhütte von St. Lorenz getrennt war. Die dort beschäftigten Baubrüder suchten meist auf der Lorenzer Seite zu wohnen, und insofern war für alle diese Wahl der Wohnung gerechtfertigt – nur der Propst Kreß hatte ein bedenkliches Gesicht gemacht und Ulrich abgerathen dahin zu ziehen, weil er den geheimen Beweggrund errathen konnte: Ulrich suchte die Nähe seiner Mutter, von der er nun wußte, daß sie im Kloster zur heiligen Clara lebe.

»Ich will ja nichts, als nur eine Luft mit ihr athmen, dasselbe Geläut der Glocken hören, das mich zur Arbeit und sie zum Gebete ruft!« antwortete Ulrich. »Laßt mich gewähren! Wohnte ich nicht dort, so würde [20] ich vielleicht jeden Tag in der Nähe des Klosters auf- und abgehen, und wenn Ihr fürchtet, ich möchte mich selbst verrathen, so würde dies viel eher dadurch geschehen, als jetzt, wo ich nur ein Unterkommen gesucht und ein solches zufällig für die bescheidenen Wünsche eines Baubruders passend im Claragäßlein fand, aus dem ich so nah' zu unserer Bauhütte habe. Ich verspreche Euch, keinen Schritt zu thun, wenn Ihr meint, daß dadurch der fromme Frieden ihres Gemüthes gestört werden könnte!«

»Um Ihretwillen, wie um Deinetwillen,« sagte der Propst, »muß Alles bleiben, wie es jetzt war. Es ist auch darum, daß ich Dich nicht selbst bei mir wohnen lasse, wie ich am liebsten thäte. Ja weil Du Deiner Mutter ähnlich siehst, woran Dich Amadeus erkannte, oder wenigstens so von Deinem Anblick ergriffen ward, daß er Dir nachforschte, hast Du auch einen Zug von mir – und man hat es schon gewagt, Dich meinen Sohn zu nennen, weil ich Dich vor Andern begünstigt; müßte ich nicht den Schein vermeiden, so würde ich Dich gar nicht von mir lassen. Ich beschwöre sonst wieder ein Gerücht herauf, das meiner geistlichen Würde schadete und Dir ebenso gefährlich wäre, als das an den Tag Kommen der Wahrheit.«

[21] Ulrich versicherte noch einmal, daß er keine Vorsicht und Rücksicht aus den Augen setzen werde, die ja selbst seine eigene Zukunft am allermeisten erfordere.

»Wenn nur Amadeus nicht selbst zum Verräther wird!« seufzte der Propst. Von dem Augenblicke an, wo Konrad ihn aus der Kapelle waldeinwärts gesendet, wußten sie nichts von ihm. Nachforschungen irgend welcher Art konnten sie nicht anstellen, um sich nicht selbst zu verrathen. Ob er lebend oder todt, sie wußten es nicht. Im Stillen wünschte der Propst das Letztere. Was sollte auch der verirrte Mönch im fremdgewordenen Leben? und dem Sohne konnte sein Leben gefährlich werden! – Der Oheim wünschte nur nicht, daß Ulrich eine Schuld fühle am Tode des Vaters, und darum war er froh, daß dieser jenem seine Befreiung verdankte.

»Noch Eines muß ich Dir sagen,« begann der Propst; »eine Warnung ganz anderer Art. Als Herr Stephan Tucher mit Jungfrau Ursula Muffel getraut ward, zwei Fürsten sie zur Kirche führten und ein stattlicher Brautzug folgte: da war auch die schöne Scheurlin mit darunter und ragte wie immer auffallend unter Allen hervor, als sei sie selbst eine Königin. Die Kirche war von Zuschauern dicht gedrängt, und [22] auch auf dem erhöhten Platze, den ich mit andern Geistlichen und Patriziern einnahm, hatten sich Fremde eingefunden. Darunter auch ein Ritter, der sein Augenmerk besonders auf die Scheurlin geworfen, und der da meinte, er kenne sie gar wohl, seit ihren schönsten Jugendtagen, und nach dem, was er jetzt von ihr höre, müsse er glauben, daß sie immer noch so leichtfertig sei, wie damals, und für Jeden zu haben. Ich meinte, das Letztere sei nun gar nicht wahr und als leichtfertig kenne sie Niemand; sie sei immer eine spröde Jung frau gewesen und lebe auch jetzt ganz ehrbar mit ihrem Gemahl. Aber er lachte und sagte: Das müsse er besser wissen; da sie noch Mädchen gewesen, habe er selbst ihre Gunst besessen, aber sie aufgegeben, weil er keine Lust gehabt, dieselbe mit Andern zu theilen – und wie ich selbst ja wohl, gleich der ganzen Stadt, wissen müsse, daß sie es darauf anlege, wenigstens so lange der römische König in Nürnberg sei, seine Buhlerin zu sein – wie sie daneben aber auch es nicht verschmähe, seit Jahr und Tag eine Liebschaft mit einem armen Steinmetzgesellen zu haben.«

Der Propst hielt inne, wie um zu beobachten, welchen Eindruck diese Worte wohl auf Ulrich machen würden. Dieser war allerdings überrascht, auch den[23] Propst ihm gegenüber von Elisabeth sprechen zu hören, und noch mehr über diesen Schluß; seine Wangen glühten vor Zorn und Scham bei den letzten Worten, aber ruhig, fest und stolz blickte er in die Augen des Propstes und sagte nur: »Vollendet!«

»Ich schüttelte zu solch' unsinnigem Mährlein den Kopf,« fuhr der Propst fort; »aber der Ritter meinte, er wisse es ganz gewiß, und fügte hinzu, daß es noch dazu ein Baubruder sei, den ich kennen müsse, da er in der Lorenzhütte arbeite, und nannte ihn: Ulrich von Straßburg –«

»Das hat der Bube nur gewagt, weil er wußte, daß ich von Nürnberg fern war im Benediktinerkloster!« rief Ulrich, jetzt Alles errathend. »Nicht wahr, der saubere Ritter von Streitberg hat's Euch zugeflüstert? Der haßt mich freilich auf Leben und Tod. Und Ihr könntet wirklich mehr auf das Wort eines so frechen Ritters geben, der nichts ist als ein Placker, Straßenräuber und Frauenentführer, als auf das meine? König Max glaubte mir mehr, als ihm, und verwies ihn damals aus Nürnberg, wo ich zum ersten Male mit ihm und der Scheurlin zusammen getroffen und er wider mich und Hieronymus klagbar geworden – aber Ihr glaubtet ihm!«

[24] »Das war damals derselbe Ritter von Streitberg?« fragte Kreß erstaunt, denn damals war weder in der Bauhütte noch außerhalb der Name des Ritters, dem Ulrich das Schwert abgerungen, genannt worden.

»Derselbe,« wiederholte Ulrich; »und damit ich es nun gestehe: es war auch derselbe, den ich und der mich zu Tod verwundete, da ich zum zweiten Male die Scheurlin vor ihm rettete – derselbe, der mir jetzt auf dem Wege nach dem Kloster begegnete, wo Junker Pirkheimer mit mir sprach, und ich durch ihn die wahrscheinlich auch jetzt noch von ihm Verfolgte vor ihm warnen ließ. Er hatte sie nicht in seine Gewalt bekommen können, und nun versucht er es durch Verleumdungen, durch schnöde Angriffe auf ihre und meine Ehre. Um ihrer Frauenehre Willen habe ich gegen Alle und gegen Euch geschwiegen, wo sie es schon verletzen könnte, daß solch' ein wüster Geselle sie verfolgt und ihr selbst Alles an diesem Schweigen gelegen zu sein schien, denn sie hat für mich nie ein Wort des Dankes oder des Vertrauens gehabt – es schien ihr eben Alles darauf anzukommen, daß ihr Begegniß mit diesem Menschen ein Geheimniß bleibe, ja daß es auch von mir selbst vergessen würde. Da müßt Ihr nun [25] freilich der verleumderischen Beredtsamkeit mehr glauben, als meinem rücksichtsvollen Schweigen.«

Gerade dieser Eifer, mit dem Ulrich jetzt sprach, erschien dem Propst bedenklich, obwohl er Ulrich's Worten vollkommen glaubte und von dem ihm übrigens unbekannten Streitberg gleich durch dessen Betragen nicht die beste Meinug hatte, die sich nun leicht zu einer schlechten wandelte. Aber waren diese Beiden nicht eben darum Feinde, weil sie Nebenbuhler? War denn etwas natürlicher, als dies? Der Propst hatte viel gelebt in der Welt und kannte seine Zeitgenossen, die Geistlichen wie die Laien, den Adel und die Patrizier, wie das niedere Volk, die Männer wie die Frauen – und er kannte sie nicht von der besten Seite. Die großen Verbrechen und heimlichen Sünden, die man ihm im Beichtstuhle bekannt, waren noch nicht die schlimmsten; es gab dunkle Thaten, die selbst dies Bekenntniß scheuten, und Gedankensünden, die es nicht einmal bis zur Erkenntniß brachten, um wie viel weniger, daß sie hätten laut werden mögen. Er war selbst nicht frei von Fehltritten, deren er sich bewußt war, und die er doch mit der Schwachheit der menschlichen Natur entschuldigte, und über die er sich, weil sie eben nur aus dieser hervorgegangen, keine großen Gewissensskrupel [26] machte; er hatte weder je an seine eigene, noch an die Tugend Anderer schwärmerische Ansprüche erhoben, und so auch sich selbst mehr auf der Mittelbahn des Lebens erhalten; aber er wußte, daß, wer titanenhaft nach den Höhen strebe, oft am leichtesten in einen Abgrund falle; daß, wer seiner Zeit in vielen Dingen voraus sei und über blinde Vorurtheile sich erhoben, sich auch an manche Vorschriften der herrschenden Moral oder des Glaubens minder gebunden achte, als Andere und so Gefahr laufe, mit dem falschen Vorurtheil selbst das richtige Urtheil zu opfern über gut und böse, recht und schlecht. Gerade darum war ihm bange für Ulrich, weil er dessen hochfliegende Seele kannte; sie konnte sich auch verfliegen und gleich der Motte, weil das Licht ihn anzog, im Lichte fangen und verbrennen. Weil er keine gemeine sinnliche Natur war, konnte es ihm um so eher geschehen, nicht auf gemeine leichtsinnige Weise, sondern durchdrungen von einer poetischen Schwärmerei sein Gelübde, das ihn alle Frauen meiden hieß, zu brechen – so daß doch immer das Resultat, der gebrochene Schwur, dasselbe blieb – ob nun die Verführung von einer realistischen oder idealistischen Anschauung und Seite kam, die Sache blieb sich gleich.

[27] Der Propst nahm Ulrich bei der Hand und sagte gutmüthig: »Vergieb dem älteren, erfahrenen Manne, der es recht gut weiß, daß Keiner so fest steht, daß er nicht falle. Mag es nun Zufall oder Absicht gewesen sein, was den Ritter und Dich um die Scheurlin zusammenführte – sei gegen sie auf Deiner Hut.«

»Aber ich bitt' Euch, unterbrach ihn Ulrich ärgerlich, »eine so stolze Patrizierin – und ein armer Steinmetzgeselle; wozu hier noch eine Warnung, und sei sie noch so wohlgemeint.«

Der Propst zuckte die Achseln. »So wie ich diese Frau kenne, ist es möglich, daß sie aus Stolz vor der Welt die Huldigung des römischen Königs und künftigen deutschen Kaisers annimmt und im Stillen ihn von sich weist, nicht mehr gestattet, als die Welt eben sehen darf – aber auch, daß sie im niedern Steinmetzgesellen den Kunstgenius herausfindet und ihm gegenüber keinen Stolz mehr kennt – wenn nur die Welt nichts davon erfährt.«

Ulrich schüttelte den Kopf zu diesen Warnungen. Freilich war es ihm, seit er Elisabeth's Retter gewesen und seit sie, da er im Kampfe für sie in ihre Augen geschaut und sie über ihn gebeugt verzweiflungsvoll gehaucht hatte: »todt – und für mich« – als [28] sei er da durch nicht nur belohnt für das, was er für sie gethan, sondern auch geweiht, als sei er berufen, für sie noch mehr zu thun. Aber das lebte als ein so heiliges Gefühl in ihm, daß er es sich selbst und Andern verbarg, und weil ihm war, als habe er damals einen Blick in Elisabeth's Inneres gethan, nicht duldete, daß man sie verunglimpfe – ja, nach dem, was Kreß jetzt sagte, erschien sie ihm seiner Verehrung um so würdiger, weil sie von einem Buben gelästert ward sowohl, als auch dadurch, daß sie gerade im Gegentheil zu dem, was man ihr hier nachsagte, die stolzeste Zurückhaltung gegen ihn beobachtete.

Wenig Tage nach diesem Zwiegespräch schlich der Jude Ezechiel im Abenddunkel in Ulrich's Wohnung, die er nach langen Nachforschungen ausfindig gemacht. Ulrich meinte, er komme, um sich doch noch für die im Kloster ihm übergebenen Kleider die Bezahlung zu holen, die er damals verweigert hatte. War Ulrich auch in manchen Beziehungen über die ärgsten Vorurtheile hinaus – er fühlte sich doch sehr gedrückt und erniedrigt durch den Gedanken, daß ein Geheimniß von ihm in den Händen dieses Juden sei; denn wenn er auch nicht wußte, zu welchem Zweck er, Ulrich, im Kloster die Kleider bedurfte, so gab es doch, wie bei [29] jedem Geheimniß, das nicht mehr unser alleiniges Eigenthum, Möglichkeiten und Zufälligkeiten genug, es theilweise wenigstens zu verrathen, oder doch diese Mitwissenschaft des Israeliten gefährlich werden zu lassen, um so mehr, da die Verschlagenheit dieser Leute und ihr Streben, keinen Christen zu schonen bekannt, und in der That mehr als Vorurtheil war. Deshalb galt auch allerdings vor Gericht ihr Zeugniß nicht, und darum war wieder ein Jude eine ungefährlichere Person in diesem Falle, als jede andere; aber da eben dieser durch seinen Trödlerkram und sein großes »Geschäft« sich schon manchem Christen unentbehrlich gemacht und ihn sich verpflichtet, so hatte er überall Einfluß und Leute, die in seiner Hand waren und nach seinem Willen handeln mußten. Ulrich fühlte sich gedemüthigt, daß Ezechiel ihn diesen wohl gar schon beizählen könne. Kam er auch jetzt nur im Dunkeln und hatte er einen verhüllenden Mantel um sich, so lag doch die Möglichkeit nahe, daß Jemand ihn oder doch den Juden in ihm erkenne – und da der Umgang mit einem Juden, besonders für einen christlichen Baubruder, schimpflich war, so wollte er sich des unwillkommenen Besuchs so schnell als möglich entledigen, indem er sogleich fragte; wie viel er ihm schulde?

[30] Aber Ezechiel wies noch einmal standhaft jede Bezahlung zurück, und erzählte, daß er der Frau Scheurl den Ring gebracht, und wie diese ihm, dem Finder, selbst dafür danken wolle – denn es sei ihr gar viel an dem Ringe gelegen. Sie lasse ihn daher bitten, ihr eine Abendstunde zu bestimmen, in welcher er bei ihr selbst diesen Dank empfangen könne; sie werde dann auch Alles einrichten, daß sein Kommen ganz unbemerkt bleibe, da ihm das wohl erwünscht wäre.

Ulrich trat einen Schritt zurück. Im ersten Augenblick dachte er wohl an des Propstes Warnung, wie an dessen Urtheil über Elisabeth; im nächsten aber, wo er einen Blick auf das cynischlächelnde Gesicht des Juden warf und dessen ganze widerwärtige Erscheinung – da begriff er, daß Elisabeth nicht einen solchen zu ihren vertrauten Aufträgen wählte, selbst wenn ein Zufall ihn wie durch die Uebergabe des Ringes in einer Angelegenheit vielleicht zu ihrem Vertrauten gemacht. Er fühlte sich versucht, den Juden zu packen und die Treppe hinabzuwerfen; aber – er mußte ihn ja schonen, weil ein Geheimniß und mit ihm vielleicht er selbst und seine Ehre, vielleicht das Leben seines Vaters in den Händen des Juden war; er mußte vermeiden [31] ihn zu beleidigen, ihm seine Verachtung zu zeigen – er antwortete nur stolz:

»Ein christlicher Baubruder bedarf nie eines Dankes dafür, daß er seine Pflicht thut – er nimmt ihn nicht an, selbst wo er ein Opfer gebracht hätte. Aber hier kann von gar keinem Dank die Rede sein – das ist die einzige Antwort, die ich für Frau von Scheurl haben kann.«

»Die wird ihr sehr wenig gefallen,« sagte Ezechiel; »eine schöne Frau, die einen jungen Mann auffordert zu kommen im Dunkeln in ihr Haus, die ist nicht zufrieden mit solcher Antwort.«

»Kein Wort weiter!« fuhr Ulrich auf, »und seid froh, wenn Ihr weiter keines von mir hört!«

»O ich merke wohl,« begann Ezechiel dessen ohngeachtet von Neuem, »ich merke wohl, daß Ihr nicht trauet dem armen Juden, und für diesen Fall hat mir die Frau Scheurl in der Eile auch ein Blatt gerissen aus einem schönen Buche und mir mitgegeben, darauf geschrieben steht ihr eigener Name von ihrer eigenen zierlichen Handschrift.«

Ulrich griff nach dem Blatte: es war ein Titelblatt aus der Beschreibung Nürnbergs von Konrad Celtes;[32] unten am Rande stand mit blauen Buchstaben: »Elisabeth Behaim.«

Ulrich schwankte einen Augenblick, ob er das Blatt zurückgeben sollte oder behalten. – »Darauf sollet Ihr schreiben die Antwort, wenn Ihr sie nicht wollt geben mündlich,« sagte der Jude. »Das Blatt muß ich wieder bringen.«

»So bring es ihr, wie es ist,« sagte Ulrich nach einigem Besinnen: »das ist auch eine Antwort.«

Vergeblich war alles weitere Reden des Israeliten. Ulrich mußte mit aller Gewalt an sich arbeiten, daß er ihn noch glimpflich statt schimpflich behandelte.

Endlich mußte er doch unverrichteter Sache gehen. Das Titelblatt des Buches nahm er wieder mit.

Ulrich glaubte nicht, daß Elisabeth den Juden zu ihm gesendet – und doch konnte er auch wieder nicht begreifen, zu welchem Ende derselbe irgend ein freches Spiel mit ihm treiben sollte; er hatte ihm ja nur Gutes erwiesen, und Ezechiel selbst hatte sich in Lobreden und Dankesworten für ihn erschöpft. Aber um ein Geschäft zu machen, meinte Ulrich, sei solch' einer Judenseele Alles möglich. War er nicht mit Streitberg in Verbindung, da er dessen Ring besaß? – oder wieder, da er ihn an Elisabeth ausgeliefert, hatte er [33] nicht diesem damit einen schlechten Dienst erwiesen, oder auch hiermit »ein gutes Geschäft gemacht«? Und war es nicht einst Rachel gewesen, die Streitberg's Anschläge wider Elisabeth gekannt und ihm, Ulrich, zu ihrem Schutze zum Theil verrathen hatte? Woher wußte sie das, wenn nicht ihre Umgebung wenigstens mit Streitberg in Verbindung war? Hatte nicht dieser gegen Kreß ihm und Elisabeth versucht durch bösen Leumund zu schaden – hatte er nicht auch hier die Hand im Spiele? Ulrich kam mit all' diesen Fragen zu keinem klaren Resultat – und doch fühlte er, daß ihn und Elisabeth eine dunkle Macht bedrohe, und daß jetzt mehr als je etwas geschehen müsse sie zu schützen und selbst auf seiner Hut zu sein – aber es vergingen wieder Wochen, und es war Alles geblieben, wie es war.

Da scholl die Kunde durch Nürnberg, daß der berühmte Reisende Martin Behaim zurückgekommen sei, und daß ihm wenige Meilen von der Reichsstadt entfernt und noch auf deren Gebiet der Wagen, der sein Reisegut geführt, überfallen und ausgeraubt worden von frechen Raubrittern und Straßenräubern. Den Seinigen und seiner Vaterstadt und deren Gemeinwesen habe er die herrlichsten Dinge mitgebracht, die nun in die Hände der Verbrecher gefallen, die nur den allerunwürdigsten [34] Gebrauch davon machen oder sie gar vernichten würden. Und wie die Fama die Erzählung weiter trug von Ohr zu Ohr und von Mund zu Mund, so wurden die mitgebrachten kleinen Affen zu fürchterlichen Waldmenschen mit Schwänzen und die indianischen Raben zu fabelhaften Vögeln, die mit menschlichen Zungen redeten und goldene Eier legten, und die wundersamsten Schilderungen liefen um von Martin Behaim's indischen Schätzen.

Nicht nur der Rath bot all' seinen Scharfsinn und all' seine Macht auf, die Thäter zu entdecken, sondern jeder einzelne Nürnberger schien es sich zur Ehrensache zu machen, so viel an ihm war auch mit zu forschen und zu spähen, ob nicht irgendwo etwas zu sehen und zu erhalten sei von dem absonderlichen Eigenthum ihres berühmten Landsmannes.

Und diesmal – um ihres Bruders und um ihrer Vaterstadt Willen – schwieg auch Elisabeth nicht. Nach der Beschreibung des Boten nannte sie zwar nicht Streitberg, aber den Ritter von Weyspriach und einen Gefährten als die muthmaßlichen Thäter.

Indeß das Wort gilt immer noch: die Nürnberger hängen Keinen, den sie nicht haben. Und wie konnte man der Ritter habhaft werden? Die saßen sicher auf[35] Weyspriach's alter Burg – und wer konnte sicher beweisen, daß dieser mit dabei gewesen? Wie konnte man ihn zur Rechenschaft ziehen? oder wie konnte man allein auf diesen Verdacht hin etwa mit reichsstädtischer Mannschaft ihm vor die Burg rücken und entweder Einlaß begehren, nach den geraubten Schätzen zu suchen, oder jene zu belagern? Dann hätte Nürnberg zuerst den Landfrieden gebrochen, das so streng auf dessen Wahrung hielt, und nicht jener Ritter, der vielleicht ja doch unschuldig war, vielleicht auch das verrätherische Gut längst in einer sichern Räuberhöhle geborgen. So blieb es immer nur bei öffentlichen Erlassen und Preisaussetzen für Diejenigen, die irgend etwas von dem Gute gewahren, oder eine Auskunft darüber geben würden.

Wie aber immer, bald mit Recht, bald mit Unrecht, Alles, was Schlechtes oder Unerklärtes geschah, auf die Juden geschoben ward, so geschah es diesmal wieder, nachdem einige Tage unter andern vergeblichen Bemühungen hingegangen waren. Das Volk grollte den Juden, hieß sie, wenn nicht die Stehler so doch die Hehler, und schon zeigte sich im dumpfen Grollen die Lust, das Judenviertel zu stürmen – bis jetzt aber war es noch bei einzelnen Excessen geblieben.

[36] Als Ulrich zu dieser Zeit einmal im Dunkeln nach Hause kam, kauerte eine weibliche Gestalt auf der Treppe.

»Ulrich!« flüsterte es leise.

Unwillig erkannte er Rachel's Stimme. »Was willst Du wieder?« fragte er rauh.

»Euch bitten, mir zu helfen, tausende Unschuldige zu retten!« flehte sie. »Ihr wißt's, ich habe nie gelogen – hört mich auch jetzt! glaubt mir auch dieses Mal!«

»So rede wenigstens schnell, und sag' es kurz, was Du willst?« unterbrach sie Ulrich ungeduldig.

»Hier hört uns doch Niemand?« fragte sie ängstlich.

»In der That,« antwortete er, »das hab' ich wohl mehr zu fürchten wie Du!«

»So laßt mich mit in Euer Zimmer!« bat sie, »und macht Licht, ich hab' Euch etwas zu zeigen!«

Ulrich öffnete das Zimmer und schob sie mit hinein; während er Feuer anschlug, sagte er: »Rede und fasse Dich kurz, denn lange dulde ich Dich hier nicht!«

Es war noch finster und er sah nicht wie sie erglühte und zitterte. »Ach, Ihr wißt es gewiß selbst!« begann sie; »unser Volk soll wieder die Schuld tragen von der Ungebühr, die einem christlichen Bürger geschehen, [37] indeß die Uebelthäter doch Christen waren! Ein wüthender Haufe zog durch unsere Gassen und verkündete, daß man uns die Häuser über den Köpfen anzünden werde, wenn wir nicht herausgeben, was dem Martin Behaim geraubt ist – wenn nicht bis morgen Alles zur Stelle – so lange lasse man uns Zeit –«

»Aber was kann ich dabei thun?« unterbrach sie Ulrich, der jetzt einen Kienspan in Brand gesetzt hatte, wieder ungeduldig.

Sie hatte einen alten grauen Sack neben sich gelegt, in welchem sich etwas unruhig raschelnd zu bewegen schien; jetzt hob sie ihn auf, streifte ihn zurück, und hervor kam ein wunderschöner Vogel mit purpurrothem Gefieder, das wie Atlas glänzte, und blau und grün, hell und dunkel schattirten Flügeln und langem Schwanz. »Seh't,« sagte sie, »da ist das Schönste von Behaim's Schätzen; dies Thierchen hab ich heimlich gerettet, wie sie es mit den andern würgen wollten, und bring' es Euch.«

Ulrich betrachtete den Vogel, dergleichen er noch nie gesehen, mit unwillkürlicher Bewunderung, und dann rief er drängend: »Aber wo hast Du den Vogel her? Also weißt Du doch um das geraubte Gut und Deine Glaubensgenossen sind schuld an dem Frevel?«

[38]

»Nein und tausendmal nein!« rief sie; »aber weil sie unschuldig sind, müßt Ihr die Schuldigen verkünden. Aber mich hört ja Niemand, mir glaubt ja Niemand – oder vielmehr, die Männer würden mich steinigen, wenn sie wüßten, daß ich verriethe, was verschwiegen bleiben soll. Da nehm't den Vogel – dem sichtbaren Zeichen wird man glauben, wenn nicht Euch; geht damit zum Rath oder zu dem Behaim, oder Scheurl, oder zu wem Ihr wollt, und sagt, daß der Vogel Euch zugeflogen und es Euch gesagt habe: Die Ritter Weyspriach und Streitberg sind die Räuber und haben das Gut zum Theil auf ihrer Veste – ein anderer Theil davon aber ist in großen eisernen Kästen im Walde in einer Grube verscharrt. Führt nur die Leute hin rechts von der Heerstraße; es stehen zwei hohe Tannen da, die sich einander zuneigen, dahinter liegen runde bemooste Steine, gleich Wellen übereinander geschichtet. Ihr könnt nicht fehlen, Ihr müßt die Stelle finden.«

»Aber Kind,« sagte Ulrich staunend, »auch wenn ich Dir glauben will – ich kann doch nicht selbst die Stelle angeben und aufsuchen, ohne den zu nennen der sie mir gezeigt.«

»Nein! nein! rief sie, »das werdet Ihr nicht [39] thun! – Nennt den Vogel da, Ihr könnt sicher sein, den Beweis zu liefern, daß er die Wahrheit geredet.«

»Ich lüge niemals!« fiel ihr Ulrich in's Wort; »ich werde vor Gericht nicht lügen und alberne Mährchen werden nie über meine Lippen kommen.«

»Hab't Ihr nicht auch Geheimnisse,« sagte sie plötzlich, ihn fest ansehend, »von deren Verrath vielleicht das Glück oder das Leben einer Person abhängt, die Euch theuer ist? Ist da nicht auch selber Schweigen Pflicht – fordert Ihr es nicht von Andern?«

Er sah unwillkürlich beschämt zu Boden. Das war der Fluch, der über ihn gekommen, seitdem er die Eltern verloren, und noch mehr, seitdem er den Vater gefunden: er durfte nicht mehr in allen Fällen wahr und offen sein. – »Warum wählst Du immer mich zu Deinem Werkzeug in Dingen, die mich gar nicht berühren?« sagte er.

Sie sah ihn verwundert mit ihren dunklen Augen an, als begriffe sie diese Frage gar nicht. »Weil ich Euch allein traue von allen Christen!« sagte sie einfach, und nach einer Pause fügte sie hinzu: »Ihr wißt, ich kann nicht schreiben. Könnte ich's, so hätte ich, was ich da vorhin Euch gesagt, auf einen Zettel geschrieben und den Vogel um den Hals gehangen, dann hätt ich [40] ihn im Sack vor Eure Thür gelegt, ohne Euch selbst zu erwarten – und Ihr redet keine Unwahrheit, wenn Ihr sagt, daß Ihr so die Kunde von dem Vogel erhalten. Hab't Barmherzigkeit und thut also – wenn solch' ein kleines Geheimniß meinem ganzen Volke Leben und Eigenthum retten kann, das es unschuldig verliere –«

»Unschuldig?« unterbrach sie Ulrich; »wie kommst denn dann Du dazu, von dem Verbrechen und den Verbrechern genaue Kenntniß zu haben?«

»Frag't mich nicht weiter!« rief Rachel sich groß aufrichtend. »Daß ich die Noth abwenden will von meinem Volke, unter dem nur Einer weiß, was ich weiß – das sollte Euch meinem Flehen geneigt machen und Euch genug sein, mich nicht mit Mißtrauen zu quälen – nicht mich zwingen zu wollen, noch durch ein weiteres Geständniß ein Verbrechen zu begehen, wo ich immer nur sinne, eines um das andere zu verhüten.«

»Es ist gut,« sagte er milder; »ich thue Deinen Willen – so bleibe auch das unser Geheimniß.«

Er schrieb den Zettel so, wie sie gesagt hatte. Sie war damit zufrieden und schlich sich leise fort, wie sie gekommen.

[41]

3. Kapitel. Begegnungen

Drittes Capitel
Begegnungen

Noch an demselben Abend, wo Ulrich den indianischen Raben erhalten hatte, machte er sich mit diesem auf den Weg und ging zu Behaim's Haus, um hier denselben abzugeben. Aber er fand die Hausthür verschlossen und kein einziges Fenster des Hauses erleuchtet. Erst nachdem er lange geschellt, schaute ein Kopf aus einem Fenster im obern Stockwerk heraus und rief hinab:

»Es ist gar Niemand zu Hause.«

»Ich habe eine wichtige Meldung zu machen für Herrn Martin Behaim,« rief Ulrich hinauf.

»Der wohnt gar nicht hier, sondern bei dem Herrn von Scheurl,« antwortete die Stimme, »da müßt Ihr dorthin gehen; Alle sind da, denn man feiert den Geburtstag der Hausfrau. Hab't Ihr aber nichts Gutes, [42] zu melden, so werdet Ihr nicht sehr willkommen sein.« – Damit war das Fenster wieder zugeworfen.

Es blieb Ulrich nichts übrig, als dahin zu gehen. Der Weg war ziemlich weit, und es schlug eben zehn Uhr, als er »unter der Veste« ankam.

In Scheurl's Hause standen alle Thüren offen. Aus den Fenstern fiel helles Licht auf die Straße. Muntere Weisen von Spielleuten klangen daraus hervor.

Im Hausflur und auf der Treppe traf Ulrich Niemanden; in den hell erleuchteten Corridor, aus dem offen stehende Flügelthüren in den Gesellschaftssaal führten, woraus das Gewirr lauter Stimmen, neben der Melodie auch das Geklirr von Speise- und Trinkgefäßen klang, mochte er sich nicht sogleich wagen. Es kam ihm plötzlich der Gedanke ein, da ihn bisher noch Niemand gesehen, den Vogel vielleicht unbemerkt in ein Nebenkabinet setzen und sich selbst wieder fortschleichen zu können, damit seine Einmischung in diese Angelegenheit ganz unbemerkt bleibe. Er öffnete darum eine der nächsten Seitenthüren und stand in einem kleinen Zimmer, über das eine von der Decke herabhängende Ampel ein zauberhaftes Rosenlicht goß. Darunter stand ein weißes Marmorbecken mit einem zierlichen Blätterkranz umgeben, aus dem Strahlen wohlriechenden [43] Wassers emporsprangen. Eine seitwärts befindliche Nische umgaben Draperien von gelber Seide und purpurnem Sammet mit goldenen Fransen, Quasten und Schnüren, welche diese Vorhänge von einem gleichfarbigen Sammetpolster an der einen Seite zurückhielten. An dem einzigen hohen Bogenfenster zwischen den dicken Mauern standen hohe grünende und blühende Topfgewächse, eine Art Laube bildend. Hier dachte Ulrich den Vogel vielleicht passend anbringen zu können. Leise auftretend näherte er sich diesem künstlichen Garten, nahm den Vogel aus dem Sack, in dem er ihn bisher getragen hatte, und wollte ihn auf die Zweige setzen; aber Ulrich hatte das Kettchen losgelassen, das an dem Hals des Raben befestigt war, und dieser flog, ein eigenthümliches Geschrei ausstoßend, auf das Marmorbecken.

Da antwortete der erschrockene Ruf einer weiblichen Stimme aus der Nische – Elisabeth war auf dem Polster emporgefahren, auf dem sie eine Weile Ruhe gesucht hatte vor dem Lärm des rauschenden Festmahls, indeß ihre Gäste denken mochten, irgend eine Pflicht der wirthlichen Hausfrau habe sie abgerufen. Dort hätte sie Ulrich um so weniger bemerken können, als ihr rothes Schleppenkleid sich in die Farbe des Sammetpolsters [44] verloren hatte und ihr Oberkörper von den Vorhängen verborgen gewesen war. Jetzt hatte sie sich aufgerichtet, hielt mit dem weißen Arm den einen Vorhang zurück und strich mit dem andern die goldnen Locken aus der edlen Stirn, als wolle sie sich besinnen, ob sie träume oder wache. Regungslos saß sie da, starrte bald auf den Vogel und bald auf Ulrich, leuchtender ward der Ausdruck ihrer Augen; es war, als wage sie dieselben nicht zu wenden, sich nicht zu rühren, ja kaum zu athmen, daß sie sich nicht selbst ein wunderbares Traumbild zerstöre.

Und so war es auch Ulrich. Zum ersten Male fühlte er die Macht der Schönheit des Weibes – eines solchen, das zugleich den Stempel geistigen Adels auf der reinen Stirne trug, noch mehr, die Siegeszeichen geistiger Kämpfe um den feinen Mund; er dachte jetzt weder an eine Warnung, noch an all' diese Zufälligkeiten oder Berechnungen Anderer, die sie und ihn zusammengeführt – er dachte wieder nur an den Augenblick, wo sie über ihn gebeugt seine Wunde untersucht hatte, die er für sie empfangen; aber er faßte sich und griff nach dem Vogel, der auf dem Wasserbecken still saß, um zu saufen, und sagte:

[45] »Verzeiht, edle Frau, wenn ich hier eingedrungen. Ich meinte ungesehen kommen und mich wieder entfernen zu können – nur der Vogel sollte hier bleiben. Ihr solltet nicht wissen, daß ich ihn gebracht; er sollte nur noch zur Feier Eures Geburtsfestes kommen und das Uebrige selbst Euch verkünden.« Er näherte sich ihr nicht, sondern schritt der Thüre zu.

Sie sprang auf und rief: »Ulrich von Straßburg, diesmal dürft Ihr so nicht von mir gehen!«

Er stand still und sah sie fragend an.

Sie faßte sich und sagte mit edler Würde: »Ihr seid der einzige Mensch, dem ich Dank schuldig bin, der einzige, der ein Recht hat, mich als undankbar zu verachten – das ertrag' ich nicht!«

»Ich verdiene keinen Dank,« antwortete er; »der Vogel, den Euer Herr Bruder Euch mitgebracht hat von den fernen, wunderreichen Inseln, hat sich nur zufällig zu mir verflogen, und ich konnte nur ihn bringen – er aber bringt die Kunde, wo die andern Schätze sind.«

Erst jetzt begriff sie, daß Ulrich eben einen neuen Dienst ihr geleistet, einen größeren noch ihrem Bruder, obwohl sie seine Rede sonst noch nicht verstehen konnte, da sie den Zettel nicht gelesen. »Wie? Ihr häufet [46] neue Dankesschuld auf mich?« rief sie, »und noch ist die alte nicht abgetragen! Ihr dürft sagen, daß ich das noch nicht versucht, nicht einmal mit einem Wort; aber da Ihr mit dem Tode ranget, rang ich auch damit, und dann hab' ich Euch nur in Gegenwart Anderer gesehen. Dienste, wie Ihr sie mir geleistet, die bezahlt man nicht; ich konnte deren Werth nicht durch Anerbietungen verringern, wie mein Gemahl sie Euch gethan; mehr als dafür, daß Ihr Euer Leben für mich wagtet, muß ich Euch dafür danken, daß Ihr mein Geheimniß wahrtet, mich nicht zum Gegenstand einer abenteuerlichen Geschichte machtet. Was Ihr von mir erfahren, wollte ich selbst vergessen, wollte ich, daß Ihr es vergäßet und mich selbst dazu: und nun kommt mir immer wieder die neue Pein, daß Ihr mich trotzdem nicht vergessen habt, daß ich Euch keine Fremde geblieben – und daß Ihr mich doch – verachtet – verachten müßt.«

Die Gluth höherer Erregung war in ihr Antlitz getreten, als sie so sprach; aber jetzt erbleichte sie plötzlich, weil sie so gesprochen hatte. Sie lehnte sich an das Marmorbecken, um nicht umzusinken, alle ihre Pulse waren in fieberhafter Unruhe und die blauen[47] Adern schimmerten dunkler durch das zarte Weiß der Haut.

Ulrich beugte ein Knie vor ihr und sagte: »Ich knieete bisher nur in Kirchen und vor Altären – noch niemals vor einem Menschen! Wenn Ihr nicht diesem Zeichen meines Glaubens an das edelste und tugendhafteste Weib vertraut – so habe ich kein anderes.«

Sie faßte seine Hand, neigte sich über ihn, und ein Strom von Thränen stürzte aus ihren glänzenden Augen, die seit Jahren Niemand weinen gesehen. »Ihr seid ein geweihter Hohenpriester der Kunst,« sagte sie, »schaffet, was der Geist Euch eingiebt, und wenn Ihr es nicht verschmähet, so möcht' ich in Euere Hände den Auftrag legen, das Grabmal meines Vaters Martin Behaim mit einem Kunstwerk zu zieren, wie Euer Genius es in sich trägt.«

»Dann,« sagte er, »werdet Ihr im Stein verewigt daran stehen als der weinende Genius der Liebe.«

Aber da er dieses Wort gesprochen und mit seinen glühenden Lippen zum ersten Male die weiche Sammethand eines Weibes berührt hatte, zum ersten Male seine lebenswarme Nähe gefühlt, den Hauch seines Mundes und die warme Thräne seines Auges auf seiner Stirn – da sprang er auf und sagte so gefaßt [48] als möglich: »Vergebt meinem Eindringen, und wenn Ihr mir mit etwas danken wollt, so sei es damit, daß Ihr verschweiget, wer Euch den Vogel gebracht, sobald ich mich so unbeachtet entfernen kann, wie ich kam,« und um seine Bewegung zu bemeistern und zu verbergen, fing er den Vogel, der sich lustig auf den Zweigen einer kleinen Ceder wiegte.

Elisabeth nahm ihn selbst auf ihren Arm und küßte sein schimmerndes Gefieder. Das schien ihm zu gefallen, er blieb ruhig sitzen, krauste seine Kopffedern auf und zupfte mit dem rundgebogenen Schnabel an den Falten ihres Leibchens. Sie wollte sich selbst zur Sammlung und Ruhe verhelfen und las den Zettel, den er an seinem Halse trug, worauf Ulrich in kurzen, aber deutlichen Worten niedergeschrieben, was ihm Rachel vertraut hatte.

Gefaßter, als vorhin, sagte sie jetzt: »Vielleicht kann mein Bruder Martin Euch besser danken, als ich vermag. Ihr seid ja wohl bewandert in der Geometrie und Mathematik, deren ewigen Gesetzen er seine großen Entdeckungen verdankt.«

»Ihr vergeßt,« fiel ihr Ulrich in's Wort, »daß ich gern ungenannt bleiben möchte.«

[49] Sie entgegnete nichts auf diese Einrede, und da er noch einmal sich verbeugend Miene machte sich zu entfernen, sagte sie die Augen niederschlagend: »Nur noch eine einzige Frage: wie kam't Ihr zu dem Ringe, der meine Namensbuchstaben trug?«

»So hat ihn Euch doch der Jude Ezechiel gebracht, der ihn von mir forderte,« antwortete Ulrich, »da ich ihn nur gefunden, wo er ihn verloren.«

Elisabeth versank in Nachdenken und fragte dann: »Ihr waret nicht wieder mit jenem Ritter zusammen? – Wenn nicht er – sandtet Ihr den Juden zu mir?«

»Nie würde ich mich dessen unterfangen haben!« betheuerte Ulrich; »ich mag keine Gemeinschaft mit diesem Menschen, der wahrscheinlich auch nur an Euch sich drängte, um niedern Eigennutzes und irgend eines unsaubern Planes Willen. Nur nicht einen Solchen zum Vertrauten.«

»Er hat sich nicht wieder zu mir gewagt,« sagte Elisabeth.

Er sah sie forschend an. Hatte sie ihm den Juden gesandt oder nicht? Er hatte es erst nicht geglaubt, weil er sie zu stolz dafür hielt, weil sie ihn selbst bisher nur wie einen Fremden behandelt – und jetzt war dieser Stolz ja plötzlich gewichen, jetzt redete sie [50] zu ihm wie zu einem vertrauten Freund; jetzt verrieth sie, daß sie wohl von ihm einen Aufschluß über den Ring hätte erwarten mögen und darum wohl eine Unterredung mit ihm begehren können – und dann erschien es ihm wieder unglaublich, daß sie ihn, wenn sie da mals ohne Antwort von ihm geblieben, heute freundlich würde empfangen haben. Jetzt war der einzige Augenblick, wo er darüber, über sie selbst und den Juden zu einer Gewißheit kommen konnte – er mußte sie haben.

»Ezechiel,« sagte er, »wollte mich selbst zu Euch führen – ihr zürnt mich nicht, daß ich seine Vermittlung zurückgewiesen?«

»Was sagt Ihr?« rief sie, wessen hat der Jude sich unterfangen?«

»Ihr wußtet nichts davon?« fuhr er fort; darum hatte ich doppelt Recht, ihn zum Vertrauten zu verschmähen.«

Elisabeth stand starr und forderte: »Jetzt müßt Ihr mir Alles sagen!«

»Ihr hab't Recht!« sagte Ulrich; »die Wahrheit über Alles – nur sie allein ist großer Seelen würdig und kann ihnen zum Sieg verhelfen wider alle Feinde, wider alle Fallstricke, die sie uns legen wollen, oder in [51] die wir selbst uns verwickeln« – und er erzählte, daß der Jude noch einmal zu ihm gekommen und zum Beweis, daß es in ihrem Auftrag sei, jenes Titelblatt mit ihrer Unterschrift gebracht habe.

»Ich vermißte das erst gestern!« rief sie von Scham und Zorn gleich leidenschaftlich erregt. »Der schändliche Jude soll seine Frechheit büßen – ich werde wohl noch so viel Macht haben, einen Juden bestrafen zu lassen; der Rath von Nürnberg sucht längst um die Erlaubniß nach, dies Gesindel aus der Stadt verjagen zu dürfen; es sei meine erste Bitte an den König Max, er wird und darf sie mir nicht abschlagen.«

Ulrich hatte wohl einen Zornausbruch Elisabeth's erwartet, um so mehr, als er von ihrer Unschuld überzeugt war; aber er hatte nicht gedacht, daß er zuerst in Rachegedanken sich äußern würde – das hatte er nicht berechnet! Er war hierher gekommen, weil er der Jüdin versprochen hatte, durch diesen Schritt ihr Volk vor der blinden Wuth des Pöbels zu schützen, und er überlieferte es der um so sicherer treffenden kalten Rache der Patrizier. Und er selbst war in dieses Ezechiel's Händen – aber Elisabeth war es auch. Er mußte sie daran erinnern. »Ich vermuthe nach Allem,« sagte er, »daß dieser Ezechiel und der Ritter von Streitberg [52] Genossen sind, und daß es wohl gerathener wäre für den Rath von Nürnberg, sich jener frechen Straßenräuber zu bemächtigen, als wie das ohnedies ohnmächtige Judengesindel zu verjagen.«

»Auch das wird geschehen;« sagte Elisabeth das Haupt stolz zurückwerfend; ich habe lange still geduldet und gelitten und gehofft, ich würde dadurch die Geduld jenes Räubers erschöpfen und seine Anschläge vereiteln; ich habe im stillen christlichen Dulden ausgeharrt und einer höhern Hand die Rache überlassen – mich nicht an die Seite der Chriemhilden und Brunhilden stellen wollen, welche der Dichter der Nibelungen verherrlicht hat: aber immer auf's Neue gereizt, fühle ich, daß etwas von ihnen in jedem Weibe lebt, und daß der Himmel dem Weibe nicht nur die Bestimmung gab, zitternd zu dulden, sondern ihm auch das Amt der Rächerin vertraute!«

War das dieselbe Elisabeth, die vorhin, ein schönes, sanftes, vom Gefühl überwältigtes Weib sich über ihn geneigt und mit heißen Thränen seine Stirn benetzt hatte – sie, die er hingerissen den weinenden Genius der Liebe genannt? Jetzt stand sie stolz aufgerichtet vor ihm, in der That eine zürnende Chriemhilde, die den Racheeid schwört und sich Streiter wirbt, [53] ihn zu vollführen; aus ihren Augen zuckten dunkle Blitze, die aufgezogenen Augenbrauen darüber erhöhten ihren drohenden Ausdruck, die eine Hand auf das Herz gelegt, die andere emporgehoben, glich sie einer beleidigten Göttin, die entschlossen ist, die Entweiher ihres Altars zu strafen und zu opfern. –

In diesem Augenblick öffnete sich die Thür: Ursula und Charitas Pirkheimer traten ein, denen nun doch Elisabeth's Entfernung zu lange währte, die sie überall gesucht, vermuthend, daß ihr unwohl geworden, und es da wohl besser sei das lärmende Fest zu beenden – und die sie nun hier fanden – allein mit einem Manne, der kein Gast war und in dem sie den Baubruder erkannten.

Charitas erbleichte, wie sie ihn gewahrte, und Ursula warf auf Elisabeth mitleidig erschrockene Blicke.

Diese holte nun einmal tief Athem, dann deutete sie auf den ihr wieder entflohenen Vogel und sagte mit ihrer gewohnten ruhigen Geistesgegenwart: »Diesen brachte mir eben der freie Steinmetz und damit die wichtigste Kunde für meinen Bruder Martin; da Ihr aber wißt, daß die Baubrüder allen Umgang und Dank von uns Profanen verschmähen, so hab' ich auch an diesem vergeblich meine Beredtsamkeit erschöpft, mich [54] zur Gesellschaft oder doch zu meinem Bruder zu begleiten, und kann ihm für den größten geleisteten Dienst keinen andern Dank gewähren, als den, ihn wieder still zu entlassen, wie er gekommen, und auch Euch zu bitten, seiner nicht zu erwähnen, damit ich ihm nicht vergeblich versprochen habe, daß er in dieser Angelegenheit mit allen weiteren Fragen, gerichtlichen und außergerichtlichen Verhandlungen verschont werden soll. Geb't ihm dasselbe Versprechen des Schweigens, und ich gehe mit Euch in den Festsaal zurück.«

Charitas sagte sanft: »O ich beneide Jeden, dem es vergönnt ist, von der profanen Welt sich zurückzuziehen, und werde Euch gewiß dies glückliche Vorrecht nicht verkümmern.«

Ursula, heiter strahlend von der ganzen Wonne eines jungen Eheglücks und dadurch wieder in Anmuth und Fülle neu erblüht, versprach Alles gern, was die minder glückliche Freundin verlangen mochte, und Ulrich verabschiedete sich mit kurzem Dankeswort von den Damen.

Auf der Treppe begegnete ihm nur ein Diener; da Ulrich aber einen langen schwarzen Mantel übergeworfen und so durch seine Tracht sich nicht verrieth, konnte ihn jener wohl für einen der Gäste halten, von[55] denen sich bereits einige entfernt. Als er auf die Straße kam, schwankte ein Mann vor ihm her, dem seine Füße den gewohnten Dienst zu versagen schienen. Jetzt schien dieser seinen Austritt aus dem Hause bemerkt zu haben und rief ihm zu:

»Seid Ihr es, Herr Anton Tucher? Ihr hab't mir einen schlechten Dienst erwiesen. – Ihr habt mir diesmal doch zu viel zugetrunken – aber nein, Ihr soll't nicht sagen, daß Ihr mich wirklich zu Boden getrunken – aber hier – jetzt hab' ich wirklich keinen Boden!«

Ulrich erkannte die Stimme des Propstes Anton Kreß, der ihn für Anton Tucher halten mochte, mit dem Ulrich ungefähr die gleiche Größe und Stärke hatte, und mehr war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Offenbar hatte der Propst im Trinken des Guten zu viel gethan und nun sich fortgeschlichen, da er seinen Zustand gefühlt, und wenn er auch sonst im vertrauten Männerkreise sich keinen Zwang anthat, woll te er doch vor der größern Gesellschaft und den Damen gegenüber seine Würde wahren. Was sollte Ulrich thun? Wenn ihn Kreß, der ihn aus dem Hause Scheurl's hatte treten sehen, erkannte, so konnte er keine Erklärung geben, die nicht ihn und Elisabeth einem unwürdigen [56] Verdacht ausgesetzt hätte; da er ihm auch nicht von Rachel sagen mochte und konnte – er war einmal in diesem Netz von Heimlichkeiten gefangen; aber jedes Bedenken wies er von sich, da er den Propst an dem Eckstein taumeln sah, nahe daran zu fallen oder sich zu stoßen. Ulrich sprang ihm bei und bot sich ihm als Stütze.

Anfänglich erkannte der Propst ihn nicht, hielt ihn noch für Anton Tucher und sagte: »Ei, das ist wacker, daß ihr mit mir geht – indeß ist's nicht so arg – ich fände den Weg schon noch. Ein capitaler Wein! in jedem Humpen eine andere Sorte! dazu die schönen Frauen gegenüber – man kann doch die Augen nicht zublinzen, da sie selbst ihre Reize zeigen! Da erhitzt man sich mehr, als wenn die Männer allein! Die schönste freilich bleibt immer Frau Elisabeth, ist sie auch nicht die Jüngste mehr! Ihr müßt es zugesteh'n, wenn Ihr auch sonst nicht für sie eingenommen! Bald eine antike Venus, bald eine christliche Himmelskönigin. Sie kann das viele Trinken nicht leiden und läuft immer fort, wenn die Zungen schwer werden, und man ihr die Artigkeiten lieber handgreiflich als mit zierlichen Worten sagte. Wer weiß aber – der junge Immhof war auch verschwunden – wer weiß, ob sie nicht mit [57] ihm in einem ihrer feenhaften Gemächer ein Schäferstündlein gefeiert! – Aber warum redet Ihr gar nicht? Denkt Ihr, ich sei nicht genug bei Verstande, Euch anzuhören?«

Von Allem, was der Propst so und weiter schwatzte, und schilderte, erglühte Ulrich selbst viel mehr, als der Trunkene, der noch in Gedanken an Wein und Weiber schwelgte. Jetzt wollte er nicht von ihm erkannt sein – nicht um sich einen Verdacht und Fragen, sondern um dem Propst, seinem Oheim und geistlichen Vorgesetzten, eine Beschämung zu ersparen. Er verharrte darum hartnäckig in seinem Schweigen und wollte sich an der Hausthür der Propstei entfernen, ehe etwa Beleuchtung käme, ob auch der Propst ihn mit Gewalt zurückhalten wollte und immer rief:

»Ich lasse Euch nicht fort – bis ich weiß, wer mein stummer Begleiter gewesen!«

Da stürzte plötzlich eine Gestalt hervor, die indeß unbemerkt unter einem der nächsten Schwiebbögen gehockt hatte und rief:

»Herr Propst, geb't einem verirrten Pilger ein Obdach für die Nacht!«

Ulrich kannte diese Stimme, und jetzt rief er, vor[58] dieser plötzlichen Erscheinung alles Andere vergessend: »Um Gotteswillen öffnet und nehm't ihn mit hinein!«

»Ulrich!« rief der Propst erschrocken und ernüchtert.

»Ulrich!« rief auch der Andere mit freudigem Erschrecken.

»Still! nur auf offenem Platz keine Fragen und Erklärungen!« rief Ulrich; »nehm't uns mit in das Haus, Herr Propst, aber in aller Stille, und steckt uns in die nächste dunkle Ecke Eures Hauses, wo uns Niemand vermuthet und findet!«

Der Propst hatte schon den gewichtigen Klöppel an der Hausthür dreimal geschwungen und sagte: »Hoffentlich macht sich's die Haushälterin bequem und öffnet von oben, dann könnt Ihr mit eintreten, und ehe sie mit Licht herabkommt, kann dieser da links in die Thür schlüpfen. Du gehst rechts mit mir, Dich kann sie sehen – aber ihn nicht, denn sie kennt ihn auch.«

Es geschah so, wie er gesagt. Die Thür sprang auf, die Drei traten ein, die Haushälterin kam erst mit Licht die Treppe herab, als der Propst schon den zuletzt hinzugekommenen Begleiter in ein dunkles Seitengemach geschoben hatte. Das Gesicht des Propstes glühte noch von Wein und seine Augen funkelten; aber Schreck und Angst hatten ihm die Besinnung wiedergegeben. [59] Er nickte indeß lächelnd der Haushälterin zu und sagte auf Ulrich deutend:

»Der da dachte, ich bedürfe seiner als eines nothwendigen Stockes – da hab' ich ihn denn gleich mitgenommen, und er mag die Nacht hier bleiben, da ihm indeß sein Haus verriegelt worden und ein Baubruder keinen nächtlichen Lärm macht. Geht wieder hinauf und zur Ruhe, er mag in meiner Nähe in der Todtenkammer schlafen.«

Die schläfrige Dienerin gehorchte gern und war bald die Treppe hinauf und verschwunden, indeß Kreß und Ulrich in das Wohnzimmer traten.

Als sie allein waren, sank der Propst erschöpft auf seinen Lehnsessel, brach in Thränen aus und jammerte: »Was soll nun werden? O ich habe es mir doch gedacht, daß er wiederkommen wird, zu mir – gerade zu mir! Ich sollte sein Todfeind sein, und er jammert mich doch! Von rechtswegen müßt' ich ihn festhalten und an das Kloster ausliefern. Er ist aus dessen Mauern geflohen – zum Tode schon verurtheilt, hat er noch ein todeswürdiges Verbrechen begangen! Er hat sich auch an mir versündigt und an Dir, er hat mir sein feierlich gegebenes Wort nicht gehalten. Hier an dieser Stelle war es, wo er schwor, Dir nichts zu [60] verrathen – nun hat er Dich unglücklich gemacht und wird uns Alle in's Verderben stürzen! –«

»Um's Himmels Willen!« rief Ulrich, »Ihr seid jetzt nicht in der Stimmung, kalt und ruhig zu überlegen, was zu thun ist! Schlaf't in Ruhe und laßt mich zu ihm, damit ich von ihm höre, wie's ihm indeß ergangen und was ihn hierher getrieben!«

»Schlafen? den Rausch ausschlafen, meinst Du wohl?« sagte der Propst empfindlich; »ich bin schon schrecklich genug erweckt und munter geworden durch diese Begegnung, und Du – wo kamst Du denn her – Du tratest hinter mir aus Scheurl's Haus –«

»O jetzt nicht von mir!« rief Ulrich; »sein Schicksal laßt uns bedenken! Wie lange ist er sicher in dem ihm angewiesenen Versteck?«

»Er kann dort nicht bleiben!« sagte der Propst. »Sobald meine Haushälterin wirklich zur Ruhe, wollen wir ihn hinaufführen in die Bibliothek; zu ihr trage ich den Schlüssel immer bei mir, damit nichts darin verrückt oder verräumt werde, das fällt nicht auf, aber an den andern Gemächern pflegen die Schlüssel zu stecken. Bis zur nächsten Nacht kann er dort bleiben – warum ist er nur überhaupt hierher gekommen?«

[61] »Kommt mit hinüber, oder laßt mich gehen!« drängte Ulrich; »darnach wollen wir ihn selbst fragen!«

Das der Hausflur zunächst liegende Gemach, in welchem jetzt der flüchtige Amadeus von Wildenfels verborgen war, hatte zunächst die Bestimmung, darin Leute untergeordneten Ranges warten zu lassen, welche den Propst zu sprechen begehrten und nicht gleich vorgelassen werden konnten, entweder weil er nicht zu Hause war, oder schon andere bei sich sah, oder auch sein Mittagsschläfchen hielt, worin ihn Niemand unterbrechen durfte. Dies Gemach hatte nur ein tiefes Fenster mit einem auf die Straße vorspringenden, kunstreich gearbeiteten Eisengitter. Die Wände waren kahl und weiß, rundum liefen hölzerne Bänke an ihnen hin, ein schwerer Eichentisch stand in der Mitte, außerdem war alles leer, nur ein großes, ziemlich gut in Holz geschnitztes Krucifix hing dem Fenster gegenüber.

Ulrich und Kreß traten schweigend ein.

Amadeus saß auf der Bank dem Tische zunächst, und hatte sein Haupt auf diesen gelegt. So schien er zu schlafen. Sein Gesicht war bleich, Haar und Bart verwildert, aber die geschorene Platte noch sichtbar. Sonst erinnerte nichts mehr an ihm an den Mönch. Er trug große Reiterstiefeln mit Sporen, lederne Beinkleider [62] und darüber ein Oberkleid von grüner Wolle, um den Leib einen Gürtel, an dem ein Schwert hing. Neben ihm lag ein schwarzer Hut mit großer Blende und ein schwarzer Tuchmantel.

Ulrich betrachtete ihn mitleidig und sagte: »Wer weiß, welchen weiten Weg er gemacht, wie lange er sich ohne sicheres Obdach herumgetrieben – nun liegt er ermattet hier und schläft.«

Amadeus athmete tief auf und richtete sein Haupt empor. »Ulrich!« rief er, »Du bist auch hier – und rettest mich auf's Neue?«

Ulrich reichte ihm die Hand. »Wie ist Euch?« sagte er, »und von wannen kommt Ihr? Ich habe dem Herrn Propst Alles gebeichtet, und er hat kein Geheimniß mehr von mir!«

»Bist Du mein Sohn? und hast Du mir vergeben?« fragte Amadeus.

»Ich bin es, und habe Euch vergeben, wie ich hoffe, daß Gott mir vergeben werde!« versetzte Ulrich.

Der Propst sagte ernst: »Amadeus, unter welcher Bedingung erfüllte ich Eure Bitte? Ihr hab't nicht Wort gehalten – Ihr hab't mit dem Verrath Eures unseligen Geheimnisses den stolzen Muth dieses freien Maurers vernichtet, die fromme Freudigkeit, mit der er [63] an den Tempeldienst der Kunst sich hingab, ihm geschmälert – sehet zu, daß Ihr ihn nicht noch mehr in's Verderben bringt! Ihr könnt nicht über ihn wachen, wachet wenigstens über Euch und Eure Zunge!«

»Eine harte Anklage!« sagte Amadeus; »aber ich habe mich selber schon härter angeklagt, und oft gewünscht, ich wäre in den Klostermauern umgekommen!«

»Laßt das jetzt!« unterbrach ihn Ulrich, »und erzählt lieber, wie Ihr entkamt.«

»Ich irrte im Walde Tage und Nächte lang umher,« begann Amadeus; »endlich kam ich an eine einsam stehende Wohnung und mußte sie betreten, um zu betteln, weil mir längst die Lebensmittel ausgegangen. Eine mitleidige Frau nahm mich auf und verpflegte mich einige Tage, da ich wunde und geschwollene Füße hatte, die mich nicht mehr weiter tragen wollten. Die Gegend, in der ich mich befand, war mir unbekannt, und auf mein Befragen erfuhr ich, daß ich nicht weit sei vom Schlosse des Herrn Weyspriach. Ich hatte einen solchen einst zum Waffengefährten gehabt, und that weitere Fragen nach Namen und Verhältnissen. Aber sie stimmten nicht, und der jetzige Schloßherr war nur ein Neffe meines alten Freundes. Aber dabei erfuhr ich, daß ein anderer meiner einstigen Kameraden [64] seit dem letzten Reichstag bei ihm sei, auch daß die Burg und ihre Herren weit und breit gefürchtet wären als fehde- und beutelustig, und sich Niemand an sie wage, noch an die Mauern ihrer Veste. Da beschloß ich dorthin zu ziehen!«

»Dorthin gingt Ihr?« fragte Ulrich tonlos.

»Zu diesen Raufbolden!« rief Kreß.

»Nun, sie haben mich sehr wohl aufgenommen und beherbergt,« sagte Amadeus ruhig; »freilich erst erkannten sie mich nicht, bis ich ihnen theilweise mein Geschick erzählt –«

»Unglücklicher! Eidbrüchiger!« rief Kreß; »Du sprachst von Ulrich?«

»Nein,« antwortete Amadeus; »dies Geheimniß konnte nur ihm selbst gegenüber über meine Lippen kommen; nur was mich allein betraf, habe ich Streitberg erzählt.«

»Eberhard von Streitberg war Dein Genosse?« fragte Ulrich.

»Nun?« fragte Amadeus, der sich die entsetzte Miene des Steinmetzen nicht zu deuten wußte.

»Und wenn es Euch so wohl ging bei den Raubrittern und Wegelagerern, warum seid Ihr nicht in dem alten Raubnest geblieben?« fragte höhnend der Propst.

[65] »Gestern kam ein Jude in die Burg,« erzählte Amadeus, »mit dem die Ritter ein weitläufiges Geschäft zu haben schienen. Mit andern Sachen wollte ich ihm Hut und Mantel verkaufen, die Du mir zu der Flucht gegeben, damit sie mich nicht einmal verriethen – der Jude aber erklärte: die wären sein, er habe sie im Benediktinerkloster vor einigen Wochen einem Baubruder geliehen, der versprochen, sie wieder zurückzugeben. Er schilderte Dich und nannte Deinen Namen, so wie den Tag meiner Flucht – ich zögerte nicht, ihm die Sachen zu geben.«

»Der Jude hieß Ezechiel?« fragte Ulrich.

»Ganz recht, so hieß er.«

»Nun sind wir ganz in seinen Händen!« rief Ulrich.

»Aber warum kamet Ihr nach Nürnberg?« wiederholte der Propst noch einmal eindringlich.

»Weil es mir nun allerdings möglich schien, daß der Jude mich verrathen werde –«

Aber Kreß unterbrach Amadeus heftig: »Ach, wohl um die saubern Raubritter nicht in Verlegenheit zu bringen, verließt Ihr ihr verstecktes Nest und kommt in die St. Lorenz-Propstei.«

»Nein, sondern weil ich ganz aus dieser Gegend gehen will, zuvor aber Ulrich sehen, ihn warnen und[66] ihn mit mir nehmen – es sei denn: er wisse, daß der Jude, der ihm zu den Sachen und damit zu meiner Flucht behülflich war, eine ganz zuverlässige Person sei.«

»Das ist kein Jude, und dieser Ezechiel vielleicht am allerwenigsten,« entgegnete Ulrich. »Muß ein Schimpf über mich kommen, so komme er – aber ich will ihn nicht selbst über mich bringen – das geschähe durch meine Flucht. Niemand wird mich verleiten Unwürdiges zu thun! – Aber es ist gut,« fügte er ruhiger hinzu, »es ist gut, daß Ihr Weyspriach's Burg gemieden; vielleicht wird sie von den Nürnbergern schon morgen belagert – und das möchte auch für Euch nicht gut sein.«

»Was sagst Du?« fragten Kreß und Amadeus zugleich.

»Laßt uns jetzt nur bedenken, wie Ihr unerkannt von hier fort kommt und wohin? Wißt Ihr nicht ein sicheres Versteck, Herr Propst?«

»Wir wollen das morgen überlegen!« sagte dieser. »Sein Rausch war zwar vorüber durch dies geistige Uebergewicht der Ueberraschung und Aufregung, aber jetzt folgte eine schlummerbedürftige Abspannung darauf. »Vor morgen Abend kann er doch nicht fort: ich will ihn in die Bibliothek zur Ruhe geleiten – es steht [67] eine Polsterbank drinnen. Laßt es uns beschlafen; gute Gedanken kommen über Nacht, und nicht, wenn man sie so im Augenblick herbeirufen will. Dort könnt Ihr bis zur nächsten Nacht bleiben – und Ihr, Ulrich, schlaf't hier drüben; wer weiß, ist die Haushälterin nicht munter, ehe Ihr in die Hütte müßt; sie darf nichts verändert und Euch nicht wo anders finden, als Euch diesen Abend angewiesen worden.«

Was Amadeus und Ulrich jetzt noch gegenreden mochten, es half nichts – sie mußten ihrem Wirth gehorchen, der Jeden in sein Gemach führte.

[68]

4. Kapitel. Gelübde

Viertes Capitel
Gelübde

Im Hofe am Steig bei den zwölf Brüdern ging der Riesen-Jacob vor der Werkstatt Meister Adam Kraft's müssig auf und nieder. Wie das Frühjahr gekommen war, sehnte er sich von der städtischen Maurerarbeit wieder hinaus auf die freien Felder des Benediktinerklosters, wo er, wenn auch nicht lohnendere, ja nicht einmal leichtere, aber ihm doch besser zusagende Arbeit fand, als in der Werkstatt des wunderlichen Künstlers, der ihn eigentlich zum Gespött seiner Gesellen machte.

Von dem Meister war er schon in aller Form entlassen worden und hatte seinen Lohn erhalten, aber er begehrte noch die Meisterin zu sprechen und wartete, bis sie zur gewohnten Stunde über den Hof kommen würde, wo sie ihrem Manne das Vesperbrod zu bringen pflegte.

[69] Jetzt erschien sie auch, aber nicht allein, die Frau Vischerin war bei ihr, die eilig herbeigelaufen war, um zu verkünden, daß ihr Ehemann, Peter Vischer, gestern wieder aus Italien heimgekehrt sei, und daß sie ihm eine Ueberraschung bereiten und seine besten Freunde die Meister Adam Kraft und Sebastian Lindenast ihm zum Nachtmahl laden wolle, denn er selbst sei dermaßen ermüdet von der weiten, meist zu Fuß zurückgelegten Reise, daß er nicht aus dem Hause könne und daheim nur seine Freude an den Buben habe, die indeß gar groß und verständig geworden, und dazu noch einer gekommen, den er zuvor noch gar nicht gesehen.

Der Riesen-Jacob mußte warten, bis dies Gespräch beendet war; die Zeit war ihm dabei etwas lang und er selbst immer ärgerlicher darin in seinem Vorsatz bestärkt, die Meisterin noch bei seinem Weggange zu ärgern, und sich selbst nicht nur über sie, sondern auch durch sie einen Triumph zu bereiten.

Als sich die Vischerin von Frau Eva Kraft verabschiedet hatte, trat Jacob auf diese zu und sagte: »Nun, Meisterin, ich wollte nicht weggehen, ohne Euch auch zum Abschied gesehen zu haben.«

»Nun Gott geleite Euch!« sagte sie kurz und gab ihm die Hand.

[70] »Seht,« begann er, »ich habe immer, wenn ich den steinernen Drachen da draußen vor der Thür sah, an Euch denken müssen.«

»Unverschämter Mensch!« fiel ihm die Meisterin in's Wort, »mach' Er, daß Er fort kommt!«

»Nun, nun, laßt mich nur erst ausreden,« sagte Jacob und hielt sie zurück; »ich habe das nicht zuerst gesagt, der hochwürdige Herr Propst Anton Kreß hat das aufgebracht! Ich mein' es mit Euch besser, als der, und will Euch nur noch einen Rath geben, wie Ihr Euer Müthchen an ihm kühlen könnt!«

»Ach, laßt mich in Ruhe!« sagte die Meisterin, und blieb doch stehen, um neugierig zu hören, was eigentlich kommen sollte.

»Ihr wißt,« begann dieser, »damals kam ein Benediktinermönch hierher, den Propst abzurufen; ich kannte ihn wohl und meinte, daß es nicht recht richtig mit ihm sein möge – nun, gestern hab' ich denselben Mönch, den Bruder Amadeus in Laienkleidung bei Nachtzeit sich in das Haus des Propstes schleichen sehen – das ist doch ganz wider die Ordnung. Nun will ich im Kloster nachfragen, was das eigentlich ist mit diesem Amadeus; ich kann mir doch gar nicht anders denken, als daß er aus dem Kloster entwischt ist, der [71] Propst und die Baubrüder mit ihm unter einer Decke stecken.«

»Auch die Baubrüder?« sagte Frau Kraft besonders gespannt, denn zwischen den profanen Bauleuten und den freien Steinmetzen bestand immer eine stille Feindschaft; die Letztern sahen hochmüthig in ihrer Abgeschlossenheit auf jene herab, und die Erstern waren eifersüchtig auf den Nimbus, der die Letztern umgab – sie ergriffen gern jede Gelegenheit, denselben vor dem Volke zu zerstören und sich ihnen mindestens gleich zu stellen. Ein echter Künstler, wie Meister Kraft, war wohl frei von diesem kleinlichen Neid und ließ auch den freien Steinmetzen Gerechtigkeit widerfahren, und sein größter Triumph war, nur durch die eigenen Leistungen seiner Kunst ihnen beweisen zu können, daß auch ohne Mystik und Abgeschiedenheit von allen weltlichen Freuden Kunstwerke hervorgebracht werden könnten von profanen Händen – aber seine Gesellen und Umgebung, auch seine Frau vermochte er nicht auf diesen höheren und friedfertigen Standpunkt zu erheben; sie kannte keine größere Freude, als wenn Jemand einem Baubruder Uebels nachsagen oder die ganze Genossenschaft lächerlich oder verdächtig machen konnte, mochte es von dieser oder jener Seite geschehen, mochte [72] man ihnen nachsagen, daß sie Kopfhänger wären, überspannte Phantasten und Schwärmer, die allein meinten den rechten Weg in's Himmelreich zu kennen, alle irdischen Freuden verachteten und mitten in der Welt lebend die Erde doch nur als ein Jammerthal betrachteten, das ihnen vergeblich seine Genüsse bot – oder mochte man sie Spötter nennen, die bei ihren geheimen Gebräuchen und Lehren dem Christenthum und der Kirche Hohn sprächen, oder heimliche Jünger, die nur öffentlich sich der größten Sittenstrenge unterwürfen, bei ihren Zechen aber oder auch allein im Verborgenen mehr sündigten als Andere. Darum spitzte Frau Eva jetzt die Ohren, als sie hoffen konnte, etwas Verdächtiges von einem Baubruder zu hören, und der Riesen-Jacob fuhr fort:

»Am Tage, nachdem jener Mönch hier gewesen war, hat der Propst ein paar Baubrüder hinaus in's Kloster geschickt, daselbst ein Sacramentshäuslein auszubessern – nun, das hätten wir auch gekonnt, und wer weiß, haben sich der Propst und der Mönch nicht erst die Modelle dazu bei uns abgeguckt.«

»O ganz gewiß haben sie das gethan!« rief die Meisterin entrüstet; »wenn ihnen nur mein Mann nicht [73] die herrliche Zeichnung hat sehen lassen, die er selbst zu einem solchen Gehäuse gemacht!«

»Der blonde Hieronymus und der Ulrich von Straßburg sind damals wochenlang draußen im Kloster gewesen,« berichtete Jacob weiter, »und Einer von ihnen – ich weiß nicht welcher, denn ich habe sie Beide stets nur miteinander gesehen – kam diese Nacht mit dem Propst heim, und sie nahmen den Amadeus mit in die Propstei, der schon so lange um sie herum geschlichen, daß ich ihn scharf in's Auge gefaßt hatte, weil ich dachte, er könne dort unmöglich auf guten Wegen wandeln.«

»Was Ihr nicht sag't!« rief Frau Eva; »Ihr werdet wohl thun, das im Kloster zu beichten – und ich werd' es hier auch nicht daran fehlen lassen.«

Viel freundlicher als vorhin ward nun der rohe Handlanger von der Meisterin entlassen, die sich innig freute, es endlich dem Propst entgelten lassen zu können, daß er das Späßchen mit dem Drachen auf ihre Kosten gemacht hatte.

Indeß lief am selben Tage ein anderes wunderliches Gerücht durch die Reichsstadt und beschäftigte in immer absonderlicheren Varianten die guten Nürnberger. Da hieß es zuletzt gar: Zur Frau von Scheurl sei ein [74] goldener Vogel geflogen gekommen, der zwar nicht singen, aber reden könne, und der habe ihr erzählt, wer das indische Reisegut Herrn Martin Behaim's geraubt, und sei dann zu der Stelle geflogen, an der es vergraben liege. Wer etwa dazu ungläubig lächeln wollte, wie zu einem einfältigen Mährlein, der mußte doch verstummen, als er einen stattlichen Zug, voran Herrn Christoph von Scheurl und die Gebrüder Behaim, im Gefolge ihre Leute und Diener, und eine große Abtheilung Stadtmilizen vor das Thor ausrücken sah und dem Reichsforst sich zu bewegen. Oder wer diesen nicht begegnete, der gewahrte vielleicht Frau Elisabeth am Fenster ihres Chörleins, wie ein herrlicher Vogel auf ihrer Achsel saß. War er auch nicht golden, so glänzten die Farben seines Gefieders doch so wunderbar schön und prächtig, daß er dadurch nicht minder fabelhaft erschien, als wär' er aus eitel Gold gewesen. Wer den Vogel sah, der glaubte dann auch gern die andern abenteuerlichen Erzählungen. Und für diese gewann die Nürnberger Phantasie bald einen unendlich weiten Spielraum, als es am Abend hieß: man habe wirklich an der Stelle im Walde, welche der Vogel angegeben, einen großen Theil der Schätze gefunden, die Martin Behaim mitgebracht und deren Beschreibung nun wieder [75] nur die staunenswerthesten Dinge zu verkünden hatte. Im Triumph wurden die wieder gewonnenen Kisten Behaim's in die Stadt geführt – und war nun einmal nur ein Theil wieder da von den entschwundenen Herrlichkeiten, so hoffte man, der andere werde sich nun auch schon finden – ja, man war entschlossen, ihn, wenn es sein mußte, mit Sturm und Waffengewalt zu erobern.

Die Ritter von Weyspriach und Streitberg erhielten von dem Rath von Nürnberg eine Vorladung, vor Gericht zu erscheinen und sich gegen die wider sie erhobene Anklage auf Friedensbruch und Straßenraub zu rechtfertigen oder darauf gefaßt zu sein, daß gegen sie erkannt und verfahren würde wie Rechtens. Diese Anklage stützte sich natürlich nicht nur auf die Angabe des indianischen Raben – mochte sie dieser nun schriftlich mitgebracht, oder wie im Volke die Sage ging, selbst redend gemacht habe – sondern auf die übereinstimmende Schilderung des Boten, der die erste Nachricht von dem Ueberfall an Scheurl gebracht hatte, mit den Aussagen der Verwundeten und Geflohenen, die von Augsburg her dem Transport zum Geleite gedient hatten. Keiner von ihnen kannte zwar die beiden Ritter persönlich, aber ihr Signalement der Räuber [76] paßte doch auf diese, und da sie schon mehr als einmal im Verdacht solcher Heldenthaten gewesen waren, so war es mehr als wahrscheinlich, daß sie auch dieses Verbrechen verübt.

Nun hatten aber freilich die Ritter guten Grund der Vorladung zu spotten und den Spruch des Rathes von Nürnberg zu mißachten; denn sie meinten, daß nicht dieser, sondern allein der Markgraf Friedrich von Zollern das Recht habe, Gericht auf Nürnbergischem Gebiet zu hegen, und sie nur dem Spruche dieses im Namen des Kaisers burggräflich gehegten Landgerichtes sich zu fügen hätten, da ihre Burg sowohl als der Ort der That nicht die Stadt Nürnberg selbst sei, und diese selbst auf dem ihr gehörenden Grund und Boden, der außer der Stadt gelegen, keine Macht habe zu richten. Aber eben über diesen Punkt war der Nürnberger Rath mit dem burggräflichen Gerichtsamte niemals einig, es fanden stets Reibungen und Streitigkeiten statt, und wie es bei unsichern Rechtsverhältnissen immer geht, wo jede Behörde die andere der Uebergriffe verklagt und das Recht der Entscheidung meint allein auf ihrer Seite zu haben, so ging es auch hier: die Angeklagten selbst hatten davon den größten Nutzen, sie brauchten nur zu erklären, daß sie die Competenz der Behörde, die sie [77] zur Verantwortung ziehen wollte, nicht anerkannten – so verging immer Zeit und die Sache verschleppte sich.

Diesmal aber trat doch das burggräfliche Landgericht auf die Seite des Nürnberger Stadtgerichtes und beschloß die Handlungen desselben zu unterstützen.

Markgraf Friedrich von Zollern war zwar gerade abwesend und bei dem Kaiser Friedrich in Linz, aber der stellvertretende Richter hatte es in guter Erinnerung, daß Frau von Scheurl die Pathe seines Herrn und von ihm in Ehren gehalten war; ebenso wenig vergaß er, daß sie Gnade vor dem römischen König und künftigen deutschen Kaiser gefunden, wie ihr Gemahl die Adelswürde: daß es darum wohl nicht klug gehandelt sei, ihre Wünsche nicht zu berücksichtigen; daß es also gerathen sei, einmal einer Klage des Nürnberger Rathes über Gewaltthat und Friedensbruch von Seiten adeliger Straßenräuber Gehör zu geben.

Darum sandte wenig Tage nach der höhnenden Antwort der Ritter auch das burggräfliche Landgericht eine gleiche Vorladung zur Verantwortung über die wider sie erhobenen Anklagen an die beiden Ritter, die allerdings einer solchen sich wenig versehen hatten. Indeß verweigerten sie auch jetzt zu erscheinen mit der Ausrede: daß doch nur die Nürnberger Krämer den [78] burggräflichen Landrichter bestochen hätten, und daß jene sich nicht rühmen sollten, daß Edelleute, die nur den Kaiser als ihren Herrn anerkannten, über ihr Thun und Schalten ihnen spießbürgerlich Rechenschaft abgelegt.

So kam es denn wirklich zu einer Belagerung von Weyspriach's Burg. Unter denen, die dazu mit ausgezogen waren, befanden sich auch Georg Behaim und Stephan von Tucher. Der Letztere wollte sich dadurch den Ersteren versöhnen, der ihn immer seit dem Schlittenstechen beim Schönbartlaufen scheel angesehen hatte, und noch mehr Frau Elisabeth dadurch seinen Dank beweisen, die ihm ganz allein zu dem Besitz Ursula's verholfen, an deren Seite er jetzt ein heiter glückliches Leben führte.

Ursula selbst, vielleicht noch mehr von Glück und Dankbarkeit durchdrungen als er, hatte ihn am wenigsten zurückhalten mögen, und doch war ihr bange, da er von ihr ging, an einer Fehde Theil zu nehmen, die ihn gerade in die drohendsten Gefahren bringen konnte, wie eine solche Belagerung; denn auf die Helmbüsche der Ritter pflegten die Belagerten immer am ehesten und schärfsten zu zielen.

In der Angst während seiner Abwesenheit suchte sie am öftersten Trost und Ruhe bei Elisabeth.

[79] Schon seit der Reichstag beendet und in Nürnberg wieder Alles in's gewohnte Geleis gekommen war, hatten die Gobelinsstickerinnen für die Lorenzkirche ihr Geschäft wieder begonnen und pflegten wenigstens wöchentlich einige Mal dazu bei Frau Elisabeth zusammen zu kommen. Jetzt waren sie so weit gediehen, daß sie, um die einzelnen Theile des Teppichs zusammen zu passen, sich an Ort und Stelle selbst begeben mußten.

Elisabeth hatte dieses Vorhaben dem Propste Kreß melden lassen, den sie seit ihrer Geburtstagfeier nicht gesehen, was sie um so mehr befremdete, als er sonst ein öfterer Gast in ihrem Hause war und sie seine guten Eigenschaften sehr wohl zu schätzen wußte, wenn sie auch seine Späße manchmal zum Erröthen zwangen.

Da erfuhr sie, daß er seit jenem Tage krank gewesen und nicht ausgegangen, aber er ließ ihr sagen, daß er um ihretwillen hinüber in die Kirche kommen werde.

Elisabeth und die Schwestern Pirkheimer waren die Ersten, die sich darin einfanden. Das hochgewölbte Schiff der Kirche war ganz leer und still, nur von drüben aus der Bauhütte und von oben vom Thurm herab schallte das Hämmern und Meißeln der fleißigen Steinmetzen.

[80] »Wie schön wäre es,« sagte Charitas, »wenn es auch eine Schwesterschaft gäbe, dieser Baubrüderschaft nachgebildet! Wenn auch wir Frauen uns vereinen dürften, in heiligen Gelübden unser ganzes Leben einer frommen und erhabenen Arbeit zu weihen und so einen großen und schönen Lebenszweck gemeinschaftlich zu verfolgen. So bleibt uns, um diesen Wunsch zu erfüllen, nur das Kloster.«

»Freilich müssen wir Frauen uns beinahe mit Gewalt, oder wenigstens doch im steten Kampfe mit der rohen Gewalt – jede Möglichkeit eines edlen Wirkens für unser eigenes Heil wie für das Allgemeine erobern,« sagte Elisabeth; »aber besser so, als im engen Kloster einschlafen oder mit versteinern.«

»Nein! so ist es nicht!« rief Charitas Pirkheimer; auch unter den Klöstern gleicht nicht eines dem andern. So herrscht im hiesigen Clara-Kloster unter den Nonnen ein reger Eifer für Wissenschaft und Kunst, gleichsam ein treugepflegter, kräftig wachsender Baum, der seine Zweige auch über die Klostermauern hinausbreitet, aufwärts strebt in den Himmel und hinaus zu den Menschen, sie mit seinen Schatten zur Ruhe zu leiten und mit seinen Früchten zu erquicken. Dort weilt eine alte Verwandte von uns, die wir erst kürzlich besuchten, an [81] deren tiefer Gelehrsamkeit sich Alle laben und die den regsten Eifer für die Wissenschaften unter den Nonnen weckt und wach erhält. Und was sie für die Wissenschaft, das ist Schwester Ulrike für die Kunst. Eine edle Frau, die gewiß sehr tiefes Weh im Leben erfahren hat, die aber hindurch gedrungen ist zum Frieden der Seele, den die Welt nicht giebt. Ihr Orgelspiel und Gesang sind vollkommen Alles, was zur Kunst gehört, hat sie das vollste Verständniß. Ihr solltet hören, wie begeistert sie von der Baukunst spricht und wie sie die geheime Symbolik derselben zu ihrem Studium gemacht hat; vielleicht knüpft sie auch oft für sich selbst eine eigene Symbolik daran und schmückt sie mit ihrer poetischen Phantasie. Ich glaube, wenn man sie früher das Mechanische der Steinmetzarbeit gelehrt, sie hätte eine zweite Jungfrau Sabina sein können, die den Straßburger Münster mit verherrlicht hat. Ich wollte, Ihr kenntet diese Frau.«

Clara fügte die Rede der Schwester ergänzend hinzu: »Mir fiel diese Nonne durch eine wunderbare Aehnlichkeit auf; es war mir, als habe ich dies Gesicht schon gesehen, gleichwohl konnte ich mich lange nicht besinnen, wann und wo, aber da ich den Steinmetzgesellen Ulrich [82] wiedersah, brauchte ich mein Nachdenken nicht mehr anzustrengen: ihm glich sie auf ein Haar.«

»Und darum,« sagte Elisabeth mit feinem Lächeln, und doch selbst dabei erröthend, »darum zog Euch die Nonne an?«

Charitas erröthete auch und blickte die Augen niederschlagend zur Seite, indeß Clara sagte: »In Beiden zieht uns derselbe Ausdruck der Begeisterung für das Heilige an, und Euch, Elisabeth, nicht minder als uns; ich wenigstens werde keiner Verläumdung glauben, die es anders von Euch zu behaupten wagt.«

»Clara!« rief Elisabeth und blickte sie drohend und zornig an. Aber konnte sie nach der Verläumdung fragen? sollte sie von einer Beschuldigung sich rechtfertigen, die ja noch gar nicht ausgesprochen war? Sie konnte nicht zweifeln, daß Charitas, trotz des gelobten Schweigens, da sie Ulrich in Elisabeth's Gemach fand, dies doch gegen die Schwester nicht gehalten hatte. Kam die Verläumdung gar von dieser Seite, oder hatte Streitberg sie ausgesprengt, wie sie nach seinen Worten auf dem Maskenfest wohl glauben konnte? – Im Gefühl ihrer strengbewahrten Tugend und ihrer weiblichen Würde hatte Elisabeth verächtlich lächeln können, wenn man da und dort sie die Buhlerin des römischen Königs [83] genannt – warum ward sie denn jetzt so aufgeregt von diesem einzigen Worte?

Aber plötzlich war es, als bebe der ganze gothische Bau und wolle über den Frauen zusammenstürzen. Hoch aus den Lüften erscholl ein donnerähnliches Getöse, die erhabenen Säulen und Strebepfeiler schienen zu schwanken, und ein hallendes Echo tönte donnernd von ihren Wölbungen wieder, die hohen Bogenfenster klirrten und das Farbenspiel der buntgemalten Fenster zitterte auf dem Fußboden und an den Wänden. Die Seitenflügel am Altargemälde klapperten aneinander, die Pfeifen der Orgel gaben wundersame Töne von sich, und der kaum vollendete hohe Chor bebte, als sei er schon wieder dem Untergange geweiht; von draußen erschollen rufende und schreiende Stimmen, und Elisabeth war es, als habe sie Ulrich rufen hören: »Halte Dich nur, bis ich komme!«

Andere Stimmen aber schrieen durcheinander: »Thut's nicht! Ihr verderbt Euch mit ihm! Ihr wagt zu viel!«

Die Frauen standen auf den Stufen des Portals und öffneten die Kirchenpforte, um hinaus zu flüchten oder zu sehen, was es gäbe, denn innen zeigte sich keine Veränderung.

[84] »Zurück!« tönten ihnen befehlende Stimmen entgegen! »drinnen seid Ihr sicher, hier können Euch die Trümmer erschlagen!«

Elisabeth wollte jedoch der Warnung nicht achten; aber der Propst selbst, der eben schon unter dem Portale gestanden, drängte sie zurück, zog sie mit sich in die Kirche und sagte: »Bleibt hier und betet für die Baubrüder, für Ulrich von Straßburg und Hieronymus!«

Die Schwester Pirkheimer sanken am nächsten Altar auf ihre Knie.

»Beten? Herr Propst – und nichts als beten?« sagte Elisabeth; »giebt es für die Frauen niemals eine helfende That? Sag't, was geschehen, ich bleibe sonst keinen Augenblick länger hier!«

»Ihr müßt!« sagte er und hielt sie gewaltsam zurück; »stürzende Balken oder Steine könnten Euch tödten, und bei einer gefährlichen Unternehmung zuzusehen, ist auch nicht für Euch! Ein paar Gesellen arbeiteten an der höchsten Thurmspitze, da das Gerüst durch einen herabfallenden Stein auf einen morschen Balken in's Wanken kam; sie retteten sich noch herunter, nur einer ist beschädigt, aber nicht gefährlich; Hieronymus aber stand gerade auf dem Thurmgemäuer selbst, als das Gerüst zu stürzen begann, und ist da stehen geblieben[85] – kein Mensch weiß, wie er von da herabkommen soll, weder innen noch außen.«

»Hieronymus ist also in Gefahr?« sagte Elisabeth ruhiger; »aber Ulrich?« fügte sie angstvoll hinzu.

»Der war glücklich hinabgesprungen,« antwortete der Propst; »er entdeckte zuerst den morschgewordenen Balken und warnte die Andern, aber Hieronymus hatte nicht auf ihn gehört, und jetzt ist Ulrich eine Leiter tragend wieder das Gerüst hinaufgeklettert. Er that es Allen zuvor, und Jeder widerrieth das Wagniß, dessen Gelingen Keiner für möglich hält, gleichwohl war er nicht zurückzuhalten; und es ist wahr, daß bei jedem andern Rettungsversuch für Hieronymus Stunden, viele Stunden vergehen müßten, und er steht nur auf den höchsten noch nicht festgekitteten Steinen des Thurmes, der selbst mit zu beben schien. Ehe jene Hülfe kommt, kann er verloren sein, kann aber auch nun zugleich mit Ulrich hinabstürzen, anstatt von ihm gerettet zu werden.«

Elisabeth mochte nicht weiter hören, sie wollte selbst sehen, und riß die Kirchenthür auf, ehe es der Propst verhindern konnte. In wenig Augenblicken stand sie selbst dem Gerüste gegenüber, von dem die Baubrüder das Volk zurückdrängten, das indeß sich daselbst zusammengefunden, [86] von dem Getöse herbeigelockt, das weithin geschallt war.

Die Steinmetzen waren alle herbeigeeilt, um Hülfe zu leisten, unzählige Hände waren beschäftigt, das Gerüst zu stützen, und unzählige Augen blickten ängstlich zu dem Thurme hinauf, auf dessen oberstem Gemäuer Hieronymus gleich einer Bildsäule stand und keine Möglichkeit sah, herabzukommen. Der Aufblick zu ihm schon machte Viele schwindeln – wie mochte dem zu Muthe sein, der da oben stand? – Und weiter unten ging Ulrich ebenso einsam über die schwankenden Balken, die mit der vorhin brechenden Stütze ihren sichersten Halt verloren hatten. Eine große Leiter vor sich her balancirend ging er die gefährliche Bahn. Am obersten Ende der Leiter hatte er einen Strick befestigt. Jetzt hatte er sich dem Thurm genähert, hielt die Leiter hoch empor und rief Hieronymus zu, den Strick zu fassen und ihn an das Gemäuer irgendwie zu befestigen. Hieronymus neigte sich herab – er schien in der Luft zu schweben, man meinte schon ihn stürzen zu sehen – ein jammervoller Schrei klang jetzt unten aus der schauenden Menge, eine alte Frau drängte sich hindurch und rief verzweifelnd:

[87] »Mein Sohn, mein einziger Sohn!« Es war Mutter Martha, die auch das Gekrach und die ahnende Sorge des Mutterherzens herbeigelockt.

»Welcher ist Euer Sohn?« fragte Elisabeth; »ach, ich kann mir denken, was Ihr empfindet – ich empfinde es mit Euch!«

»Ihr?!« sagte Mutter Martha mit dem Tone des höchstens Erstaunens, da es ihr überhaupt sehr unerwartet war, so plötzlich mitten unter dem Volkshaufen neben der stolzen Frau von Scheurl zu stehen, die sonst immer so streng jede Berührung mit dem Volke vermied und es jetzt nicht achtete, wie ein Tagelöhner mit schmutzigem Stiefel auf ihrer seidenen Schleppe stand und ein zerlumpter Betteljunge mit den Quasten ihres Aermels spielte – »Ihr?« wiederholte Mutter Martha, »Ihr fühlet das, die Ihr für keinen von diesen Beiden, nachdem sie ihr Leben für Euch gewagt, ein Dankeswort hattet? Pfui, schämt Euch; viel eher glaub' ich, Ihr freut Euch, wenn die wackern Burschen hier verunglücken, dann könnt Ihr vollends vergessen, was sie für Euch gethan – das wollt Ihr wohl mit abwarten.«

Maler Beyerlein, der auch des Weges gekommen war, um bei der Teppichberathung der Frauen in der Kirche mit gegenwärtig zu sein und sich jetzt bis zu[88] Elisabeth durchgedrängt hatte, klopfte die alte Frau auf die Schulter und sagte:

»Gute Frau, Ihr wißt gewißlich nicht, mit wem Ihr sprecht, daß Ihr Euch solcher frechen Rede unterfangt – das ist die edle Frau von Scheurl.«

Martha schien nicht zu hören, all' ihre Sinne waren wieder in ihren Augen, mit denen sie an dem Thurme und an ihrem Sohne hing. Er hatte jetzt die Leiter oben befestigt, unten hielt sie Ulrich; aber es war nur ein schmales Brett, auf dem er stand – nur einen Schritt fehl, und er stürzte hinab, oder die Leiter entglitt ihm und riß ihn mit, wenn der kräftige Hieronymus auf ihr stand. Jetzt hatte er sie betreten – die Volksmenge hielt den Odem an – da klang ein Betglöckchen aus dem Clara-Kloster herüber. Einzelne knieeten nieder, unwillkürlich folgte die Menge diesem Beispiel, und mit einem Male lagen Alle auf den Knieen, wortlos für die Baubrüder zu beten, die in solcher Todesgefahr schwebten; Elisabeth knieete dicht neben Martha und der Maler hinter Beiden, um seine edle Gönnerin vor der alten Frau zu beschützen, die ihm nicht recht bei Sinnen zu sein schien.

Jetzt hatte Hieronymus die letzte Sprosse betreten – entweder mußte er nun über Ulrich, der knieend die[89] Leiter hielt, hinwegsteigen, oder dieser sie loslassen und vor ihm her gehen. Wie es schien, unterhandelten die Beiden darüber. Das war der entscheidende Moment: ließ Ulrich los, so konnte Hieronymus mit der Leiter herabstürzen; ließ jener nicht los, bis dieser über ihn hinweg das schwanke Brett betreten, so konnte Ulrich um so sicherer hinabfallen – und außerdem war noch für beide Fälle eigentlich das Wahrscheinlichere, daß beide fielen.

Ulrich's Beharrlichkeit hatte gesiegt – Hieronymus war über ihn hinweggeschritten! Jetzt – ein Aufschrei der Menge – ein Wegwenden und Verhüllen der bleichen Gesichter, und dann doch wieder Hinaufwenden und Schauen – ein krachender Ton – ein jählinger Fall – ist's Ulrich? – ist's Hieronymus? – – »Gott sei Dank!« »Gelobt sei Jesus Christus!« murmelt und schreit es durch die Menge – es ist nur die Leiter, die Ulrich sich selbst aufrichtend losgelassen, die nun erst an den Thurm zurückschlägt und von da den Strick zerreißend, mit dem sie befestigt, herunterfällt und unten zersplittert – so kann auch der Mensch zerschellen, der hier abgleitet! –

Einige Minuten noch schwebten die Baubrüder in Todesgefahr – dann haben sie das noch feste Gebälk[90] erreicht. Ein donnernder Jubelschrei begrüßt die Geretteten – bald darauf stehen sie wohlbehalten unten vor der Kirche und Hieronymus umarmt Ulrich als seinen Retter! Die andern Baubrüder, der Werkmeister und Pallirer mitten inne, begrüßen die beiden Helden des Augenblickes; Mutter Martha will zu dem Sohne eilen, aber ihre Kraft hat nur gerade so weit gereicht, als sie in ängstlicher Spannung des Ausgangs harrte, der den Sohn ihr rauben, zerschmettern konnte – jetzt dachte sie erst: »wenn es nun doch geschehen wäre?« und vor so gräßlicher Vorstellung versagten ihr die alten Füße den Dienst – sie stürzte auf das Straßenpflaster nieder.

Niemand kümmerte sich um die alte Frau; aber jetzt eilte Elisabeth ihr nach, hob sie auf, stützte sie an sich und sagte zu dem Maler: »Sag't es dort dem Baubruder, daß seine Mutter hier ist.«

Der Maler stand unschlüssig. Daß die edle Elisabeth diesem Weibe beistand, das sie erst frech geschmäht, erschien ihm zugleich unbegreiflich und gefährlich, und als Elisabeth ihn drängte, ihr Geheiß zu befolgen, sagte er: »Wahrlich, ich male Euch noch einmal als Heilige der Barmherzigkeit gerade so, wie Ihr jetzt dasteht[91] – eine echte Christin, die, wenn man sie auf den einen Backen schlägt, den andern noch darreicht.«

Frau Martha war nicht etwa ohnmächtig oder bewußtlos geworden, sondern sie hatte nur ebenso an allen Gliedern gezittert, daß sie gefallen war, und auf dem Steinpflaster hatte sie sich nun die Füße verstaucht und das eine Bein aufgeschlagen, daß sie nicht zu gehen vermochte – sie mußte sich also den Beistand der Frau Scheurl gefallen lassen, und traute in der That kaum ihren eigenen Augen, daß diese ihn ihr leistete. Sie war zu beschämt, um ein Wort des Dankes zu sagen, und Elisabeth zu stolz ein Wort zu sprechen, wo sie jetzt mit einer That sprach – so stand das sonderbar zusammen passende Paar bei einander.

Jetzt eilte Hieronymus auf seine Mutter zu – Elisabeth legte sie in seine Arme. Ulrich stand etwas von fern, seine Blicke begegneten denen Elisabeth's – dann kam der Propst und begrüßte auch die Geretteten.

Gleichzeitig erscholl feierliches Geläute – es rief die Baubrüder in die Lorenzkirche, darinnen ihr Kaplan ein Te Deum angeordnet hatte, zum Danke für die Rettung aller Gefährdeten und der Verhütung weiteren Unglückes.

[92] Schnell waren die Baubrüder alle, von den Meistern bis herab zu den Lehrlingen zum Zuge geordnet und gingen in die Kirche; aber obwohl sie sonst ihren Gottesdienst allein abzuhalten pflegten, so konnten weder, noch wollten sie es diesmal hindern, daß auch die profane Menge ihnen nachdrängte und andächtig froh bewegt, wie sie erst angstvoll gebetet hatte, mit einstimmte in den ambrosianischen Lobgesang.

Inzwischen hatten sich auch die andern Stickerinnen zu den Gobelins mit eingefunden, und sie alle knieeten vereint an einem Seitenaltar und dankten – am innigsten Elisabeth Scheurl und Charitas Pirkheimer.

Als sie sich vom Gebet erhoben, sagte diese leise zu Elisabeth: »Nun ist mein Geschick entschieden; ich konnte noch schwanken – aber vorhin, als die Sense des Todes über – über den Baubrüdern schwebte« (sie wiederholte sich, weil sie keinen Namen nennen wollte) – »gelobte ich, wenn sie die Heiligen beschützten, mich dem Kloster zu weihen. Von diesem Augenblicke an betrachte ich mich als eine Braut des Himmels!«

Elisabeth umarmte die Freundin. Sie billigte im Innern ihren Entschluß nicht – aber sie ahnte ihn: Charitas wußte seit diesem Augenblick, daß sie liebte, [93] wo sie nicht lieben durfte – und ging in das Kloster! Hier konnte sie im Geiste einen Tempel bauen zu Ehre Gottes, wie der, zu dem ihre Gefühle schweiften in der Wirklichkeit – sie wählte eine Gemeinschaft der Heiligen, weil die irdische ihr versagt war.

[94]

5. Kapitel. Befürchtungen

Fünftes Capitel
Befürchtungen

Die Hoffnungen König Maximilian's, seinen Vater mit seinem Eidam Herzog Albrecht zu versöhnen, scheiterten an Kaiser Friedrich's unbeugsamen Sinn, der nicht eher von einem Vergleiche hören wollte, bis Albrecht Regensburg wieder herausgegeben, dessen Rückgabe dieser ebenso hartnäckig verweigerte, als sie gefordert ward. Unter Androhung der Reichsacht lud der Kaiser die Regensburger vor seinen Stuhl sich wegen ihres Abfalles zu rechtfertigen. Da ihm Jeder willkommen war, der wider Albrecht Klagen anzubringen hatte, fanden zuerst dessen unzufriedene Brüder Christoph und Wolfgang, von denen der erste die ehemals aufgegebene Herrschaft jetzt zu besitzen wünschte, der andere durch Mißhandlung eines Dieners gekränkt war, williges Gehör; dazu kam der Löwlerbund, der gleich in seinem [95] Ursprung und Fortschritte gegen die anwachsende Macht des Baiernherzogs gerichtet war.

Da statt einer weitern Antwort derselbe Regensburg befestigte, so that der alte Kaiser zu Linz, unter freiem Himmel auf dem Richterstuhle sitzend, wie es Brauch war, den Achtspruch über Regensburg und bot das Reich auf zu dessen Vollstreckung. Die Löwler waren gerüstet zum Losbrechen unter ihrem Führer und Urheber des Löwlerbundes Bernhardin von Stauff. Wer jetzt zu ihrem Heere stieß, der war ihnen willkommen.

Wie immer strömten da auch jetzt kriegslustige oder müssige Gesellen zu einem solchen deutschen Heere, das sich gern durch neue Werbungen verstärkte und dabei nicht ängstlich fragte und wägte, wer sich ihnen bot.

Für Amadeus gab es daher keinen bessern Rath, als auch in dies Heerlager zu flüchten, als ein kampfbereiter Krieger, der einst das Schwert wohl zu führen verstanden und auch jetzt in seinen vorgerückten Jahren dazu noch wohl befähigt war. Das war sein eigener Wille und war auch der Rath des Propstes, aber Amadeus wiederholte noch einmal, daß er nicht scheiden wolle, ohne Ulrich mit sich zu nehmen, der so auch die [96] beste Gelegenheit habe, jeder drohenden Gefahr zu entgehen.

Zwar bangte dem Propst nicht minder um diesen – aber selbst von den heiligen Banden der Baubrüderschaft umschlungen und bestrebt ihren schönsten und höchsten Pflichten treu zu bleiben, konnte er selbst den Gedanken nicht fassen, daß Ulrich so ohne Weiteres die heilige Stätte verlassen sollte und statt zu den ewigen Werken der Kunst, statt zu dem schönen Beruf, Bauten des Friedens aufzuführen, die Jahrhunderte hindurch Tausende von Menschen erheben und veredeln mußten – zu dem rohen Handwerk des Krieges zu greifen, das nur ein Leben der Zügellosigkeit und des Zerstörens war, eine Jagd nach Beute oder Ehre, oder nur ein Mittel sein Leben zu fristen. Denn im Mittelalter ward – die Glaubenskriege ausgenommen, mochten sie nun gegen Heiden oder Sarazenen, gegen Hussiten oder die allein seligmachende katholische Kirche geführt werden – der Krieger eben nur um des Soldes Willen Krieger, um eine Beschäftigung, ein Unterkommen zu haben. Von Vasallen- und Heerestreue, noch ohne an ein höher begeisterndes Motiv zu denken, hat die damalige Geschichte nur vereinzelte Beispiele aufzuweisen. Es galt nicht für ehrlos und unwürdig, wenn ein Ritter oder [97] Söldnerhauptmann mit seinen Leuten morgen auf einer andern Seite focht als heute: sie verkauften sich für den bessern Sold oder dahin, wo am ehesten auf Triumphe des Sieges oder reiche Beute zu rechnen war. Und wie die Führer und Ritter, so die Söldlinge, die Knappen und Troßbuben – fast niemals gab es ein höheres Band sie zu halten.

Ulrich war am Morgen nach der Nacht, die er in der Propstei zugebracht, aus derselben zeitig in die Bauhütte gegangen, da der Pallirer sie nur eben geöffnet hatte. Mit dem größten Eifer meißelte er an einer Eichenkrone an einem Kapitäl, denn er wollte gern noch so viel als möglich vollenden, und wußte nicht, wie lange ihm noch das Glück der Arbeit gegönnt war!

Als es am Abend dunkel geworden, ging er wieder in die Propstei. Noch einmal überhäufte ihn Amadeus mit Bitten, mit ihm zu gehen, ja er drohete in seiner heftigen Art auch nicht zu fliehen, sondern sich selbst dem geistlichen Gericht oder dem Kloster zu überliefern, wenn man ihn allein ziehen lasse; aber Ulrich blieb standhaft bei seiner Weigerung, oder er erklärte vielmehr noch einmal einfach, daß ihn nichts zu einem Eidbruch verleiten werde, und daß er bleibe, möge sein warten, was da wolle.

[98] Amadeus mußte von ihm Abschied nehmen in dem Bewußtsein, daß er selbst das ersehnte Glück, den Sohn wiedergefunden zu haben, mit dem Unglück desselben erkaufe! –

Kreß, der den Tag über nur eine Stunde bei Amadeus in der verschlossenen Bibliothek gewesen, und jetzt am Abend Ulrich mit hineingenommen hatte, duldete nicht, daß derselbe sich lange verweile, um ja keinen Verdacht bei der Haushälterin zu erregen. Ulrich mußte also nach einer kurzen Zusammenkunft wieder gehen, ja er mußte auch dem Propst feierlich versprechen, nicht etwa wie er erst sich anheischig gemacht, Amadeus bei der nächtlichen Flucht zu helfen, oder durch das Thor oder in welcher Art zu begleiten. Amadeus mußte allein und wieder in andern Kleidern, als in denen, welche er jetzt getragen, die Stadt verlassen, und es war dabei auch keine große Schwierigkeit, da ihn Niemand kannte und Niemand verfolgte. Man konnte ihn jetzt sehr wohl für einen gewöhnlichen alten Söldner halten, und Niemand vermuthete unter dem Helm das glattgeschorene Haupt des flüchtigen Mönches.

Wenige Tage nach seiner Entfernung mußte der Propst von seiner Haushälterin hören, daß sie auf dem Markt von mehreren Seiten gefragt worden sei: der[99] Herr Propst habe wohl wieder Gäste, die nur zur Nachtzeit kämen und gingen, und denen es in der Propstei besser gefiele als im Kloster? und daß man auf ihre Antwort, die Frage nicht einmal zu verstehen, weiter gesagt: sie solle sich nur nicht unwissend stellen, ganz Nürnberg wisse es schon, daß der Propst wie immer mit den Baubrüdern unter einer Decke stecke, und daß sie einem Benediktinermönch, dem es nicht mehr im Kloster gefallen habe, zur Flucht verholfen hätten.

Mit Entsetzen vernahm Kreß diese Reden, ohne zu ahnen, daß es Frau Eva Kraft war, die sie auf Veranlassung eines ihrer Handlanger in Umlauf gebracht hatte, nur um sich an dem Propst für den Drachen zu rächen, mit dem er sie verglichen hatte. Sie verfolgte damit nicht etwa einen mühsam angelegten Plan; sie dachte nicht entfernt daran, wider Gericht gegen den Propst zu zeugen, noch ihn überhaupt in Untersuchung und Strafe zu verwickeln, so boshaft war sie nicht: sie gönnte ihm nur ein wenig Angst und üblen Leumund; zu etwas Ernstlichem, meinte sie, werde es nicht kommen, da den Geistlichen, und besonders den hochgestellten, damals so viel durch die Finger gesehen ward; nur in den Augen der Leute wollte sie ihn und namentlich [100] die freien Steinmetzen herabsetzen, denen auch nicht leicht aus den Anklagen von Laien und Profanen ein Nachtheil entstehen konnte, wenn nicht ihre Vorgesetzten und Meister, die ihrer Hütte, wie die der Haupthütte von Straßburg die Klage annahmen und Urtheil sprachen: denn die Baubrüder hatten ihre eigene Gerichtsbarkeit und konnten nur erst, wenn sie aus der Hütte gestoßen waren, von Profanen gerichtet werden. Diese Vorrechte derselben waren es eben, welche die andern Zünfte auf sie eifersüchtig machten – und wie gewöhnliche Frauen ihren Neid und Groll, der, wenn berechtigt, den Institutionen gelten sollte, an den einzelnen Personen, zu deren Vortheil diese sind, auslassen möchten, so war auch Frau Eva in diesem Falle.

Amadeus war fort – aber was konnte der Propst thun, sich gegen diese Gerüchte zu schützen, wenn sie zu einer Untersuchung führten, und wie konnte er wissen, ob sie nicht schon das Ergebniß einer solchen waren, die vor der Hand noch innerhalb der Klostermauern geführt ward?

Ulrich glaubte in denselben Gerüchten, die zu ihm drangen, die Hinterlist Ezechiel's zu erkennen. So viel war ihm klar geworden durch Alles, was er im Lauf der Zeit an sich selbst erfahren hatte, daß der Jude ein [101] Vertrauter Streitberg's, und daß es nur dadurch Rachel möglich gewesen war, ihm alle die Nachrichten und Warnungen zukommen zu lassen, die er, um Unglück oder Unrecht zu verhüten, von ihr empfangen hatte. Wenn er so Alles überdachte, fiel es ihm plötzlich schwer auf's Gewissen, daß er den Edelsinn in ihr, der sie immer angetrieben hatte Unglück zu verhindern, durch nichts bestärkt oder belohnt, daß er sie immer von sich fern gehalten hatte und fast nur rauhe Worte für sie gehabt, weil sie eine Jüdin und weil sie ein Weib war. Hätte er nicht das Gefühl in ihr, das sie immer wieder zu ihm trieb, als dem einzigen Menschen, zu dem sie das Vertrauen faßte: er werde bereit sein die Unschuld und die Wehrlosen zu beschützen wie und wo es auch sei – hätte er das nicht unterstützen und pflegen müssen, ihr nicht sagen, daß es ihm scheine, als sei sie in der That und im Herzen eine Christin; hätte er nicht Alles thun müssen, sie vom Fluch des Judenthums zu erlösen und sie für das Christenthum zu gewinnen? Hatte er, indem er sie mied, nicht nur sich im Auge gehabt, nicht sein Gelübde, sondern nur den Schein es zu bewahren.

Was war es denn weiter, wenn er auch einmal in das Judenviertel ging? War es nicht auch klug, [102] wenn er jetzt Ezechiel unter dem Vorwand aufsuchte, daß er ihm die im Kloster geliehenen Kleider bezahlen wolle, da sie der Eigenthümer nicht zurückbringe, obwohl der Jude damals alle Bezahlung verweigert hatte. Konnte er nicht durch dies Anerbieten selbst Ezechiel irre machen in seinen Voraussetzungen, oder ihm doch zeigen, daß er ihn nicht fürchte?

In der Judengasse war die Wohnung Ezechiel's leicht zu erfragen und auch im Dunkeln zu finden, als der in einen langen Mantel gehüllte Baubruder durch dieselbe schritt. Ein matter Lichtschimmer brach durch ein Fenster des obern Stockes. Ulrich tappte die finstere Treppe hinauf und stand vor einer kleinen Thür. Es schien sich nichts dahinter zu regen, er lauschte und pochte.

Er rief: »Ezechiel!«

Nichts antwortete, aber es war Ulrich, als ob er leise Schritte zur Thür gehen hörte.

»Ezechiel oder Rachel!« rief er noch einmal, »wer ist daheim?«

»Gott meiner Väter!« rief drinnen Rachel's Stimme, »ich täusche mich nicht – Ihr seid es, Ulrich von Straßburg.«

[103]

»Ich bin es!« antwortete Ulrich, »und ich hoffe, daß Ihr mir öffnen werdet, damit ich mit Euch sprechen kann.«

»Das kann ich nicht!« antwortete sie; »der Vater hat mich eingeschlossen – aber seid Ihr allein?«

»Ganz allein!«

»So hört uns Niemand. O, Euch sendet der Himmel! Mein Vater läßt mich nicht mehr aus dem Hause – aber laßt Euch nicht von ihm hier treffen!« rief sie angstvoll.

»Warum?« versetzte er; »ich komme seinetwegen, meine Schuld ihm zu bezahlen.«

»O das ist längst abgemacht!« fiel sie ihm in's Wort; »es bleibt jetzt keine Zeit davon zu reden, auch nicht von dem Dank, den ich Euch schulde und mein ganzes Volk, daß Ihr auf mich gehört – aber der, dem Ihr damals fortgeholfen, ist ein Undankbarer.«

»Was sagst Du?«

»Er hat Euch an Streitberg verrathen, ich sah ihn selbst auf Weyspriach's Schloß; aber ich erfuhr den Zusammenhang erst, als ich fort war und nachdem ich schon bei Euch gewesen.«

»Diesmal kommt Deine Warnung zu spät!« antwortete Ulrich.

[104] »Zu spät – war mein Vater schon bei Euch?«

»Kürzlich? – nein!«

»Er schweigt noch – aber er will sein Schweigen von Euch damit erkaufen, daß Ihr ihm den Ring von Frau Elisabeth wieder verschafft. Ihr hab't ihr jetzt einen großen Dienst geleistet – sie wird und muß es thun!« sagte Rachel.

»Nie werde ich etwas von ihr verlangen,« sagte Ulrich stolz, »am wenigsten etwas Schmachvolles!«

»Nicht um Euretwillen, wenn Ihr an Euch nicht denkt – den Propst, Hieronymus, Konrad – Ihr werdet sie Alle mit Euch verderben sehen!«

Ulrich fühlte ein Schwert in seiner Brust, aber es war kein Schwert des Kampfes, sondern des Gerichts. »Ich weiß, was ich zu thun habe,« antwortete er; »ein Christ weiß es immer – er nimmt die Schuld allein auf sich, wie es sein erhabener Meister mit der Schuld der ganzen Menschheit that. Sieh', ich kam zu Dir, um mit Dir von dem Christenthum zu sprechen.«

Eine lange Pause folgte. Dann antwortete Rachel dumpf: »Geh't, ich habe weiter nichts mehr mit Euch zu reden – wir sind fertig. Ihr seid hier auch nicht sicher – geh't.«

[105] Ulrich wartete noch einige Minuten, rief noch einmal hinein, aber es erfolgte keine Antwort mehr. Er ging.

Was ihm Rachel gesagt, erfüllte sich am andern Tage. Ezechiel kam zu ihm, aber er wußte nichts davon, wie es schien, daß Ulrich Tags zuvor in seiner Wohnung gewesen, und da Rachel es also mochte gut befunden haben, darüber zu schweigen, so that Ulrich um ihretwillen das Gleiche.

Der Jude zeigte zuerst die alte kriechende Höflichkeit, sagte, daß er in Noth und Angst wiederkäme, um von Ulrich einen großen Dienst zu erbitten, durch den er allein großes Unglück von ihm abwenden könne.

Ulrich entgegnete ruhig, daß er sich wundern müsse, wie Ezechiel noch zu ihm kommen könne, nachdem er schon das vorige Mal sein Vertrauen zurückgewiesen – inzwischen aber erkannt habe, wie recht er daran gethan, da der Jude nur ein lügenhaftes Spiel mit ihm getrieben, um durch ein unredliches Mittel irgend einen unredlichen Zweck zu erreichen; es sei wohl besser, wenn sie einander aus dem Wege gingen und vergäßen, je einander darauf begegnet zu sein.

Diese Worte drängten den Juden rasch zum Ziel, da er daraus sah, daß Ulrich in keinem Falle ihm vertrauen würde, und daß es unmöglich sein werde, durch[106] List und Verstellung etwas von ihm zu erreichen, so griff er gleich zu seinem letzten, und wie er meinte, unfehlbaren Mittel: der Drohung.

»Muß ich mich doch verwundern,« begann er, »daß Ihr mir möget also schnöde begegnen. Ist es nicht in meiner Macht, Euch ganz und gar zu verderben? Hab't Ihr nicht aus dem Benediktinerkloster fortgeholfen einem Mönch, der verurtheilt gewesen zum Tode? Hab't Ihr nicht damit selbst verwirkt den Tod vor dem geistlichen Gericht? Ihr und Euer Freund, der mit Euch gewesen ist, und der Novize, der Euch geholfen hat? Denkt Ihr, ich weiß das Alles nicht haarklein? Aber ich weiß auch noch mehr. Wird nicht ein Baubruder, der nicht keusch und züchtig lebt, sondern mit Frauenzimmern sich abgiebt und zur Nachtzeit in ihre Wohnungen dringt, mit Schimpf und Schande verwiesen aus der Genossenschaft freier Steinmetzen? Denkt Ihr, ich weiß nicht, daß Ihr Euch hab't eingelassen mit der schönen Frau von Scheurl, und daß Ihr trotzdem seid nachgeschlichen dem armen Judenmädchen – seid zur Nachtzeit in die verachtete Judengasse geschlichen, weil Ihr hab't gewußt, ich sei auswärts, hab't Ihr mir wollen verführen mein einziges Kind?«

[107] »Haltet ein, so frech zu lügen!« rief Ulrich erglühend.

»Oho!« antwortete der Jude; »ich habe viele Zeugen, und Ihr vermöget weder mich einer Lüge zu zeihen, noch eine dieser Anklagen abzuwälzen, wenn sie werden angebracht wieder Euch. Wenn die That sich läßt so klar beweisen, gilt auch das Zeugniß des Juden, wenn Ihr das etwa darum verachten solltet; es giebt genug Christen, die mit mir das Alles bezeugen werden – und soll Euch bleiben nicht die mindeste Ausflucht. Aber ich hab' ein dankbar Gemüth und nicht vergessen, daß Ihr Euch einmal angenommen meiner und meines Kindes, und hab't mir herausgegeben den gefundenen Ring darum will ich schweigen, wenn Ihr mir nur thut einen einzigen kleinen Gefallen: verschaffet mir denselben Ring wieder von der Frau von Scheurl – denn der Ritter von Streitberg wollte einlösen sein Pfand, und will mir nun an Leib und Leben, weil ich es habe vorher gelassen aus meinen Händen.«

»Der Ritter von Streitberg wird Euch schwerlich viel schaden,« antwortete Ulrich, »denn die Nürnberger werden nicht eher von Weyspriach's Burg ziehen, bis sie sich der beiden gefährlichen Straßenräuber bemächtigt – und mir scheint, Ihr thätet besser, Euch als ein Feind [108] dieser Herren zu zeigen, als zuzugeben, daß Ihr allezeit gemeinschaftliche Sache mit ihnen gemacht. Im Uebrigen muß ich Euch wiederholen: sag't über mich aus, wahr oder falsch, was Ihr woll't – ich kann Euer Verstummen nicht durch etwas erkaufen, das mir ganz unmöglich ist zu thun –«

»Ist nicht unmöglich!« feil ihm der Jude in's Wort. »Trotzdem, daß Ihr mich nimmer hab't haben wollen zum Liebesboten, hab't Ihr Euch doch gegen mich verrathen; ich weiß nun um so mehr, wie Ihr steht mit der Frau von Scheurl, und daß sie Euch wird jeden Wunsch erfüllen, den Ihr von ihr fordern möget, schon damit sie nicht –«

»Still!« gebot Ulrich und stampfte unwillig mit dem Fuße. »Ich höre nicht länger solch' unsinniges Gewäsch mit an. Ich kann nicht thun, was Ihr woll't; thut selbst, was Euch gut dünkt, redet mir nach, was Ihr wollt und wo Ihr es wollt; ich habe kein Mittel, Euer Schweigen zu erkaufen und Euch vom Lügen-und falschem Zeugnißreden zurück zu halten, denn ich verschmäh' es, Euch wieder zu drohen wie Ihr mir: daß es mich auch nur ein Wort kostet, und Ihr seid überwiesen an Streitberg's und Weyspriach's Schuld mit [109] Theil zu haben – seid versichert, man wird keine langen Umstände mit dem Juden machen!«

»Gott meiner Väter!« rief der Jude, »Ihr redet das nur so in das Blaue hinein; der Jude Ezechiel ist alt und erfahren genug, um zu wissen, wie es mit ihm steht und was er hat zu thun oder zu lassen. So lange Weyspriach's Burg noch steht, gebe ich Euch Bedenkzeit, so lange werde ich schweigen. Schafft Ihr mir bis dahin den Ring, so seid Ihr für alle Zeiten meiner Dankbarkeit gewiß. Dann wird Ezechiel nicht allein schweigen, dann wird er Euch weiter helfen – Euch und Amadeus, wird Euch dienen und der Frau Scheurl. Schafft Ihr mir aber den Ring bis dahin nicht wieder, so wird das Verderben kommen über Euch und Alle, die ich da habe genannt, so wahr ich selbst Ezechiel heiße. Das überlegt Euch, und die Wohnung des armen Juden wißt Ihr ja nun zu finden!«

Damit ging er, ohne von Ulrich noch eines Wortes gewürdigt zu werden. –

So war Ulrich in der That durch den Juden von einem Netz umsponnen, daß er gar nicht einmal sehen konnte, aus welchen Fäden es gewoben, noch wen es mit ihm umgab. Und wie es ihm jetzt schien, war kein höheres Motiv dabei im Spiele, es war die gemeinste[110] jüdische Geldprellerei, der er zum Opfer fallen sollte! – Die Zeit, die ihm der Jude schenken wollte, schien ihm überflüssig als Bedenkzeit; aber er wollte sie nützen im Dienst der ewigen Kunst, der er sich geweiht – und vielleicht konnte er sie auch so nützen, Alles so zu leiten, daß er allein als Opfer fiel und alle Gefahr und Schuld auf sich allein nahm, die jetzt drohend über den Häuptern aller andern Wesen schwebte, die ihm im Leben theuer geworden, ja die sich überhaupt ihm nur genaht.

Wenig Tage darauf vernahm er mit Schrecken, daß der Propst Kreß erkrankt, vernahm er auch, was man in der Stadt über denselben redete; aber da er selbst zu ihm ging, um zu warnen oder zu berathen, so gut es gehen wollte, ohne durch ganz vollständige Mittheilungen die Angst des Propstes zu erhöhen, erfuhr er von diesem, daß der Abt des Benediktinerklosters als sein Freund und Gönner selbst bei ihm gewesen, um mit ihm im Vertrauen zu verhandeln: wie man das Bekanntwerden eines unangenehmen Vorfalls unterdrücken, dem Kloster und der ganzen Geistlichkeit eine Untersuchung und einen öffentlichen Eclat ersparen könne.

Ein Knecht, der früher schon im Kloster und später in der Stadt Dienste gethan, habe dem Abt berichtet,[111] daß er den Bruder Amadeus in fast ritterlicher Kleidung durch die Straßen Nürnbergs habe schleichen sehen, und daß ihn der Propst mit einem Baubruder bei nächtlicher Weile mit in das Haus genommen und bei sich verborgen. Auf diese Anzeige hin hatte der Abt in der Stille die Zelle öffnen lassen, welche vollends zugemauert worden war, als der Gefangene darin kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben hatte; da man bei dieser Oeffnung nach einigen Wochen keinen Leichnam darin gefunden, so war es freilich klar, daß Amadeus geflohen war und daß er dies nicht ohne Helfershelfer hatte bewerkstelligen können. Indeß schien es dem Abt rathsam, darüber kein großes Geschrei zu erheben, sondern lieber zu thun, als ob nichts geschehen sei, so lange nicht durch Amadeus selbst die Sache ruchbar würde; denn eben damals waren in Kirchen und Klöstern mancherlei Mißbräuche eingerissen und das Ansehen Beider im Volke gesunken. Nicht etwa nur in den Klöstern, sondern im ganzen Volke, war eine beispiellose Verschlechterung der Sitten eingerissen und eine entsetzliche Verwilderung unter die Menschen gekommen; so wenig wie den Laien, so wenig galt selbst vielen Geistlichen der gute Schein, oder man suchte, wenn nicht ihn, doch das Ansehen durch Ketzergerichte und andere Zeichen [112] eines geistlichen Schreckensregimentes zu erhalten. Die aber zu den Besseren und Edleren der höhern Geistlichkeit gehörten, wie der Propst Kreß und der Abt des Klosters, die suchten wenigstens die eingerissenen Uebelstände und Ungehörigkeiten, die sie nicht ausrotten konnten und noch weniger an den Tag bringen, ohne in den Augen der Menge ihrem eigenen Stande zu schaden, zu vertuschen, so gut es gehen wolle.

Danach handelte auch jetzt der Abt in der Hoffnung, daß Kreß, wenn er Amadeus bei sich habe, oder seinen Aufenthalt wisse, sich mit diesem selbst leicht verständigen könne, daß er weit fort fliehen und sich verborgen halten möge, ohne je Jemanden zu vertrauen, woher er komme und daß er ein zum Tode verurtheilter und entlaufener Mönch sei. Lieber werde ihm der Abt selbst die Mittel zu weiterer Flucht verschaffen, als ihn der Verfolgung aussetzen, die ihn vor ein geistliches Gericht bringen werde, das ihn zum Tode verurtheilen müßte – ein Urtheil, das nun nicht wie das erstgefällte in der Stille des Klosters vollzogen werden konnte, sondern das der Welt offenbar werden mußte, weil andere weltliche Personen und Gerichte mit darein verwickelt sein würden.

[113] Dieser vertrauensvollen Mittheilung setzte der Propst die andere entgegen, daß allerdings Amadeus, aber erst einige Wochen nach seiner Flucht aus dem Kloster eine Nacht bei ihm gewesen, daß er sich nicht habe entschließen können, dem bei ihm eine Freistatt Suchenden, dieselbe zum Gefängniß werden zu lassen, noch sie ihm auf länger als einen Tag zu gewähren, und daß er Amadeus zum Reichsheer gesandt, in der Schlacht den Tod zu suchen, den er verdient habe und dem er doch im Kloster entronnen sei. Er erklärte nicht zu wissen und nicht wissen zu wollen, wie und wann und durch wen Amadeus befreit worden, und forderte zum Lohn für sein unumwundenes Geständniß von dem Abt, nicht nur die vorher versprochene Zusicherung, daß ihm dann selbst kein Schaden daraus erwachsen solle, sondern auch daß der Abt die ganze Sache unterdrücken und weder unter den Mönchen, noch den Baubrüdern, noch den Befreiern forschen möge.

»Sa lange das in meiner Macht ist und ich nicht von Außen dazu gedrängt werde,« versprach der Abt. »Ist es für die Ehre unseres Standes besser, Alles als ungeschehen zu betrachten, so soll es so gehalten werden; ist es jedoch nicht möglich, reden Andere oder die Thatsachen vor der Welt, so soll mit Strenge gerichtet [114] werden, und ich werde das Schonen nicht kennen, weder für mich selbst, noch für Feind und Freund.«

So weit war der Propst beruhigt für den Augenblick und doch voll Unruhe für die Zukunft; es war ein Damoklesschwert, das über seinem Haupte hing, und auch über dem Haupte Ulrich's.

Der mehr weiche und gutmüthige als starke und energische Charakter des Propstes Kreß war nicht dazu gemacht, solche Zustände mit Muth oder auch nur Gleichmuth zu ertragen, die ungewohnte Angst und Unruhe hatten ihm eine Krankheit zugezogen, die ihn lange an sein Haus gefesselt hielt. Als Ulrich zu ihm kam, theilte Jeder von dem Geschehenen oder Gefürchteten dem Andern eben nur so viel mit, als nöthig war zu beruhigen oder zu warnen; aber da Keiner wissen konnte, wie der Würfel fallen werde, ob überhaupt eine Anklage und welche zuerst sich erheben werde, so war es nicht möglich irgend eine Verabredung zu treffen oder einen Plan zu Schutz oder Trutz zu entwerfen – ja Ulrich stand nur das Eine fest, was er aber nicht sagte, daß er, wenn es zu einer bedenklichen Untersuchung kam, sich als den einzigen Schuldigen selbst darstellen und zum Opfer bringen wollte.

[115] So war noch Alles geblieben, als der Propst als ein Halbgenesener in die Lorenzkirche kam, die Darbringungen weiblichen Fleißes, die Elisabeth mit gestiftet, zu beschauen, und als Ulrich, um Hieronymus aus drohender Gefahr zu retten, sich selbst in die größte begab. Die Rettung war ihm gelungen, und Elisabeth, die er inzwischen nicht wiedergesehen, hatte ihm auf offenem Markt ihre Theilnahme zu erkennen gegeben. Lag darin nicht eine neue Gefahr – und empfand nicht Ulrich doch nebenbei einen süßen stillen Triumph in dem geheimsten Winkel seines Herzens?

Ihm war es, als sei es der schönste Tag seines Lebens. Er hatte an ihm eine Spitzsäule mit zierlichem Eichenlaub umrankt, das mit stachlichem Dornenwerk darum zu streiten schien, und doch in der Krone den Sieg davontrug, vollendet und eben sein Zeichen, den Kreis mit dem Winkelmaaß durchschnitten, hineingegraben, als er Elisabeth zur Kirche vorübergehen sah und nicht lange darauf das Gebälk am Kirchenbau erbebte, stürzte – und er nun, selbst der nahen Gefahr entronnen, Alles aufbot mit Anstrengung aller seiner Kräfte sie von den andern Baubrüdern abzuwenden und Hieronymus zu retten.

[116] Und da es ihm gelang und Hieronymus ihn innig umschlang und nichts zu ihm sagte als: »Mein Bruder!« da hätte er laut aufjauchzen mögen in dem Bewußtsein, daß er dem Freund hatte beweisen können, daß er noch ganz der alte für ihn sei – und daß nun auch aus dessen Seele alles Mißtrauen schwand, das sich darin festgesetzt seit ihrer verschiedenen Meinung über die Juden und seit ihm Ulrich wirklich etwas zu verbergen hatte. Das, was Ulrich selbst empfand gleich einer Versündigung an dem Freund, die er doch auch nur aus Rücksicht für diesen selbst, um ihn nicht durch einen Mitwisser zu einem Mitschuldigen zu machen, auf sich lud, das war nun auf einmal von ihm genommen: denn er hatte ihm jetzt gezeigt, daß er ihn mehr liebte als sein Leben, das er mit Freuden wagte an die Rettung des seinen, da alle Andere es verloren gaben und ihn zurückhalten wollten. Auch Mutter Martha war ihm versöhnt, und mehr – sie nannte ihn wieder ihren zweiten Sohn, denn er hatte ihr ja den einzigen gerettet. Sie gestand auch beschämt, daß sie es der stolzen Frau von Scheurl nimmer zugetraut hätte, daß sie einer alten Frau wie ihr auf offenem Markte einen Liebesdienst erweisen werde, aber sie fügte doch hämisch hinzu:

[117] »Freilich, sie fragt eben nach gar keiner Sitte, oder nach den Leuten, und so wie sie den Vorschriften des Rathes und der Schicklichkeit zum Trotz sich prächtig kleidet, so thut sie auch für eine arme alte Frau, was sonst keine von diesen hochmüthigen Geschlechtern thun würde; aber ich hab' es gesehen, wie sie außer sich war vor Angst, da Ihr in Gefahr schwebtet, und darum warn' ich Euch, Ulrich: wenn sonst vor keinem Weibe, so seid vor ihr auf Eurer Hut.«

Ulrich wies lächelnd die Warnung zurück, aber er erröthete leise und seine Pulse gingen schneller, da er jenes Augenblickes gedachte, wo er in Elisabeth's Gemach von ihrer bezaubernden Nähe wie berauscht gewesen.

[118]

6. Kapitel. Gift

Sechstes Capitel
Gift

Die alte Jacobea saß in ihrer kleinen Hütte an einem Regenabend mürrisch und sinnend an einem niedergebrannten Holzfeuer ihres Herdes und rührte in einer darüber befindlichen Pfanne, aus der übelriechende Dämpfe emporstiegen. Sie murmelte unverständliche Sprüche dabei und betete eine Art Hexensegen über ihr Gebräu.

Damals eben erzählte man sich viel von Zauberei und Hexenmacht, besonders in den angrenzenden Ländern, wie kluge Frauen allerlei Künste erlernen und üben könnten, durch welche sie über Menschen und Thiere Macht erhielten, die ihnen entweder zum Guten oder Bösen dienten, je nachdem man es beabsichtige oder auch die Kunst verstände. Man verkündete und glaubte davon die fabelhaftesten Dinge. Zwar knüpften sich daran weitere schreckliche Geschichten und Erklärungen. Jene [119] geheimen Künste sollten nur durch einen Pakt mit dem Teufel erlangt werden können, und dieser jetzt weit öfterer als je auf Erden erscheinen, entweder Einzelnen zur Nachtzeit in ihren Kammern, oder an Kreuzwegen und unter alten Bäumen, oder, was eine von ihm sehr beliebte Stätte zu sein schien, auf den Düngerhaufen der Gehöfte, wo er die sich ihm Verschreibenden mit Jauche taufte – oder auch auf hohen Bergen oder freien Feldern mit einer ganzen höllischen Genossenschaft und allen Nahewohnenden, die sich ihm ergeben wollten, zur Veranstaltung von Hexentänzen und scheußlichen Orgien. Bald zogen die geistlichen Gerichte dieses Unwesen vor ihren Stuhl; aber anstatt durch Aufklärung und Belehrung dem dämonischen Hange der menschlichen Natur entgegen zu wirken, bestärkte man denselben durch Nähren des Aberglaubens, indem man alles nicht gleich Erklärliche zu einem Uebernatürlichen stempelte. Daran knüpfte sich eine schauderhafte Verfolgungssucht, welche nicht nur ganz Unschuldige und nur böswillig von feindlich gesinnten Personen Angeklagte den gräßlichsten Martern und dem schrecklichsten Tode unterwarf, sondern auch Schuldige machte. Denn da es bald als Leichtsinn, bald als Gotteslästerei galt, die Möglichkeit solcher Zaubereien und Teufelspakte zu leugnen, wiewohl im [120] aufgeklärten Nürnberg die Sache wenig Anklang fand, so bemächtigte sich besonders zuerst der unwissenden niedern Klasse der Glaube daran, und dazu kam der Reiz der Neugier und der Verführung durch eigene Gelüste, die Sache doch auch zu versuchen und zu sehen, was sich durch Zaubersprüche, Hexensalben und Getränke erzielen lasse – wenn es auch nicht gleich so weit ging, die persönliche Erscheinung und Hülfe des Teufels in Anspruch zu nehmen, oder sich ihm mit Gut und Blut zu verschreiben.

Zu Denen, welche am begierigsten waren dergleichen Dinge zu versuchen, gehörte die alte Jacobea; und sie konnte es um so kühner versuchen, als man in Nürnberg noch keinem Menschen den Proceß als Hexe gemacht hatte und sie hoffen durfte, daß sie Dies oder Jenes durch ihre Zaubermittel werde bewerkstelligen können, ohne deshalb in den Verdacht der Hexerei zu kommen.

Jetzt eben braute sie aus allerlei Giftwurzeln und thierischen Eingeweiden unter Absingung des Hexensegens ein Pulver, von dessen kleinsten Theilen sie sich eine langsam, aber sicher tödtende Wirkung versprach.

Von draußen schlug niederströmender Regen an das kleine trübe Fenster, und da es schon ziemlich dunkel [121] war, bemerkte Jacobea um so weniger, daß Jemand wiederholt an das Fenster pochte.

Die schwarze Katze, die an der verriegelten Thüre Wache hielt, hatte ein feines Gehör und sprang unwillig miauend wider das Fenster. Sei es durch diesen Sprung oder durch das stärkere Pochen und Drücken von außen; der lockere Wirbel des einen Fensterflügels wich, dieser sprang auf, und eine dürre alte Hand schob ihn noch weiter zurück und eine heisere Stimme rief:

»Jacobea! laß mich ein!«

Jacobea fuhr zusammen von kaltem Schauer überrieselt. Kam jetzt wirklich der Gott-sei-bei-uns! selber, den sie in einem sinnverwirrten Spruche angerufen, ohne sich viel dabei zu denken? Auf solch' eine Erscheinung war sie doch nicht vorbereitet. Sie zitterte an allen Gliedern und fiel auf die Kniee.

Aber lauter rief es draußen: »Jacobea! laß mich nicht länger im Regen stehen! Nimm die Nestler-Kathi auf, wie sie einstens Dich aufgenommen!«

Die Alte sprang auf. Das war eine Frauenstimme! die Nestler Kathi! Sie hatte sie lange nicht gesehen, aber dieser Name und diese Stimme riefen Erinnerungen aus ihren besten Tagen wach. Sie sprang auf und eilte die Hausthür zu öffnen.

[122] Ein Frauenzimmer in ärmlich bürgerlicher Kleidung und vielleicht ein Jahrzehent jünger als Jacobea trat ein, warf einen durchnäßten Leinenmantel ab und ein großes Paket an die Erde.

»Da komm' ich mit Sack und Pack!« sagte die Eintretende. »In Regensburg, das der Herzog Albrecht so gut wie zumauern läßt, mocht' ich nicht bleiben und bin mit Tausenden ausgewandert, die auch nicht viel mehr zu verlieren haben als das Leben. Nun dacht' ich in Nürnberg ein Unterkommen zu finden, wollt' aber bei Euch erst einkehren und mir Rath erholen. Und Ihr laßt mich unbarmherzig eine Stunde im Regen stehen und vergeblich pochen und rufen.«

»Konnt' ich denken, daß Ihr es waret?« sagte Jacobea; »hätt' ich doch eher sonst wen erwartet denn Euch, Muhme, die ich so lange nicht gesehen! Läßt man doch auch in nächtlicher Zeit nicht gleich Jedes ein!«

»Hab't Ihr da etwas Warmes?« fragte die Angekommene auf den Kessel deutend: »es würde mir gut thun.«

»Das hier schwerlich!« antwortete Jacobea, »aber es ist fertig und der Kessel kann einem andern Platz machen.«

[123] Indeß sie sich anschickte eine Suppe zu bereiten, besprachen die beiden Frauen, die sich lange nicht gesehen, ihr wechselndes Geschick, und Katharina Nestler erzählte das ihres Sohnes Konrad, das wir schon aus dessen eigener Mittheilung an Ulrich kennen, und damit ihr eigenes, dem sie nur hinzuzufügen hatte, daß sie nun, wo sie um ihres Sohnes Willen keine Ursache mehr habe zu verheimlichen, daß nicht ihr angetrauter Gatte, sondern der reiche Herr Christoph von Scheurl der Vater ihres Sohnes sei, sie jetzt, da sie obdachlos sei und mit ihrer ganzen geringen Habe aus dem bedrohten Regensburg geflüchtet, von Scheurl, der, wie sie gehört, die schönste Nürnbergerin gefreit, an der selbst König Max Gefallen gefunden, zu verlangen, daß er ihr auf ihre alten Tage zu leben gebe, nachdem er sich ihrer Jugend gefreut, und sie des Sohnes, der ihr eine Stütze hätte sein sollen, sich beraubt sah durch eben diese eigene Sünde, wie die des Vaters, die erst so spät an den Tag kam und erst nach zwanzig Jahren die Strafe mit sich brachte, die ihr sonst so oft auf dem Fuße folgt.

Jacobea triumphirte bei dieser Mittheilung. Sie malte Scheurl's Bild in den schwärzesten Farben und das seiner Gemahlin nicht minder. Sie versicherte bestimmt zu wissen, daß diese von Kindesbeinen an ein[124] verworfenes Geschöpf gewesen; durch ihre Amme, die zuletzt mit in diesem Hause gewohnt, gab sie vor, über sie die genauesten Mittheilungen zu haben – ja, sie bürdete Elisabeth sogar die Schuld an dem Tode der Amme auf, die Jacobea allein selbst trug durch ihren langsam tödtenden Gifttrank. Jacobea erzählte, daß Elisabeth zu der Kranken gekommen und dieselbe wahrscheinlich mit für sie mitgebrachten Leckerbissen vergiftet habe, damit sie nicht noch habe ein Verbrechen beichten können, das sie gemeinschaftlich mit Elisabeth begangen, und wie diese seit demselben Tage, an dem sie noch bei einem nächtlichen Stelldichein mit einem Baubruder, der vor einem gemeinen Steinmetzgesellen nur das voraus habe, daß er wie ein Mönch zu leben gelobe und doch sein Wort nicht halte, sei ertappt worden, alles mögliche Schlechte auf Jacobea zu bringen suche, so daß sie schon lange nach einem Mittel strebe, sich dieser gefährlichen Feindin zu entledigen oder sie doch zu demüthigen, die scheinheilige Sünderin. Sie sei ihrem Mann auch nicht treu und habe ihn doch nur um seines Reichthums Willen geheirathet, er aber müsse ganz nach ihrer Pfeife tanzen.

Dies war der Hauptinhalt von Jacobea's Schilderung, die sie in allen möglichen grellen Farben immer[125] wieder neu aufzutragen suchte und die ihre Wirkung bei Katharina nicht verfehlte. »Zufällig weiß ich,« sagte Jacobea, »daß Frau Elisabeth eine ihrer Dienstmägde fortgejagt, an der Herr Scheurl Gefallen gefunden, und noch keine neue Magd dafür hat; kein größerer Possen könnte Ihr geschehen, und Euch und mir kein größerer Gefallen, als wenn sie Euch an deren Statt in das Haus nehme, vielleicht Euch gerade trauend, weil Ihr schon bei Jahren seid, und wenn Ihr dann ihr und ihm einmal fühlen ließet, daß Ihr gerade viel ältere Rechte auf ihn hab't als die hochmüthige Gemahlin.«

Frau Katharina lächelte sehr wohlgefällig zu diesem Plan, und beschloß ihn auszuführen und gleich morgen ihr Heil zu versuchen. Freilich durfte sie sich nicht merken lassen, daß Jacobea sie sende, obwohl sich diese damit abgab, Gesinde zu vermitteln, aber so, daß ihre Hülfe meist nur von Bademeistern, Gastwirthen und andern Leuten von zweifelhaftem Rufe angenommen ward, da nur gemeine Dirnen ihre Vermittlung beanspruchten – eben so wenig, daß sie mit ihr verwandt und bekannt war und jetzt ihre erste Nacht unter ihrem Dache zugebracht.

Katharina ging daher am andern Tage wie sie gekommen mit ihrem Bündel Sachen als eine Hülfesuchende [126] aus Regensburg, die dafür ihre Dienste anbot, zu Frau Elisabeth, und ward glücklich von derselben sogleich als Magd behalten, da Elisabeth Mitleid hatte mit der Lage der unglücklichen Flüchtigen und meinte: man könne es ja mit ihr versuchen und sehen, zu welcher Art von Arbeit sie sich am besten eigne.

Katharina war noch rüstig und anstellig, aber freilich war sie nach zwanzig Jahren voll Arbeit und Sorge keine verführerische Schönheit mehr, als welche einst Herr Scheurl sie in Regensburg getroffen, noch war dieser überhaupt im Stande in der neuen Dienstmagd, die er, weil sie nahe an den Fünfzigen war, keines Blickes weiter würdigte, eines von den vielen Frauenzimmern wieder zu erkennen, an denen er einst ein sinnliches Wohlgefallen gefunden. Und Katharina hütete sich wohl ihn an sich zu erinnern, ehe ihr dazu eine passende Stunde erschien.

So waren ein paar Wochen vergangen, in denen sie zuweilen heimliche Zusammenkünfte mit Jacobea gehabt und von ihr Rathschläge oder Aufträge empfangen hatte.

Dieser lag daran, den Ring Streitberg's wieder zu erhalten, den Ezechiel an Elisabeth verkauft und den Jacobea in ihrem Besitz haben wollte, weil sie wußte,[127] wie Streitberg zürnte, daß sein Pfand in diese Hände gekommen, und dringend verlangte es wieder zu haben. Gelang dies Jacobea's List eher als der des Juden, so war damit auch dieser, der jetzt mit ihr zerfallen war, wieder in ihren Händen. Sie hatte darum Katharina den Ring geschildert und jetzt erfahren, daß ihn diese auch gesehen, wie er mit andern Ringen an einem goldenen Kettlein befestigt sei, daß Elisabeth immer an sich trage, und zwar, weil sie zu viel Ringe besaß, um alle an ihre Finger zu bringen. Sie hatte ihren Schmuck, wenigstens den, welchen sie täglich zu tragen pflegte, auf ihrem Nachttisch neben ihrem Himmelbett liegen, und es war also nur möglich sich dessen zu bemächtigen, während sie schlief oder doch ehe sie Toilette gemacht hatte.

Jacobea gab Katharinen ein kleines Pulver, von dem sie versicherte, daß es einen sehr langen Schlaf erzeuge, wenn es in einem Getränk genossen werde, und daß sie während dessen sich gewiß werde in Elisabeth's Schlafzimmer schleichen können, in dem diese seit ihrer Krankheit und Genesung allein schlief. Dann solle Katharina die Kette mit den Ringen auf den Boden werfen und die Ringe darauf herumrollen lassen; Elisabeth werde dann bei ihrem Erwachen gewiß meinen, daß dies [128] durch sie selbst oder einen Zufall geschehen, und wenn nur ein Ring sich nicht gleich wiederfände, nicht anders vermuthen können, denn daß er in einer Ritze der Diele oder Mauer verschwunden sei. –

Jetzt wartete Katharina nur auf die günstige Gelegenheit, sowohl Elisabeth diesen Streich zu spielen, als auch mit Scheurl allein zu sprechen, sich ihm zu erkennen zu geben und ihn zu fragen: ob er zeitlebens sie gut versorgen wolle, oder ob sie seiner Gemahlin und ganz Nürnberg erzählen solle, was sie bisher nur um ihres Sohnes Willen verheimlicht.

In einer späten Abendstunde hatte Elisabeth noch nach einem Becher Meth und Wasser verlangt, und da die Magd, welche sie zunächst zu bedienen, an- und auszukleiden pflegte, einmal hatte ausgehen dürfen und noch nicht zurück war, so hatte Katharina sich beeilt deren Stelle zu versehen.

Jetzt kam sie eben mit dem schöngeformten silbernen Becher, der innen vergoldet und außen von goldenen Blumen umrankt war, die Treppe herauf, in der andern Hand eine brennende Lampe, als sie den Hausherrn hinter sich herkommen hörte. Die Gelegenheit war günstig, jetzt konnte sie ihn allein sprechen, ihm in sein Zimmer leuchten, und nicht eher von ihm weichen, bis [129] er sie erkannt und ihr Alles versprochen hatte, was sie wünschte. Elisabeth konnte warten; sobald Katharina mit Herrn Scheurl einig geworden, hatte sie ohnehin nicht mehr Lust, sich länger von dessen Gemahlin befehlen zu lassen, und diese Demüthigung galt ihr mehr als der Verdruß, den sie durch den Verlust des Ringes empfinden werde, und Katharina berechnete schnell, daß der Vortheil, den sie jetzt erringen könne, doch dem vorgehe, den möglicher Weise ihr Jacobea gönnen werde, wenn sie ihr zu dem Ringe verhelfe.

Herr Christoph Scheurl kam wie gewöhnlich etwas taumelnd und mit rothglühendem Gesichte heim.

Katharina leuchtete ihm schweigend voraus in sein Zimmer und zündete die darin befindliche Lampe an.

»Wie kommst Du denn heute hier herein?« fragte Scheurl mit lallender Zunge.

Katharina antwortete: »Nun, Ihr kam't ja hinter mir drein, und es schien mir, als wenn Ihr den Weg nicht gut allein finden würdet –«

»Was unterstehst Du Dich?« rief er aufbrausend, weil ihn nie etwas so sehr in Wuth bringen konnte, als wenn man ihn betrunken hielt, auch wenn er es wirklich war, nur darum weil er eine Ehre darein setzte, [130] Unmassen geistiger Getränke vertilgen zu können, ohne davon angefochten zu werden.

»Ei, so laßt einmal sehen,« begann Katharina, sich dicht neben ihn stellend; »kennt Ihr mich oder kennt Ihr mich nicht?«

Scheurl sagte: »Was soll das freche Betragen einer Magd, die eben so schnell fortgejagt werden kann, als sie gemiethet worden. Meine Frau hat Deine Vorgängerin fortgejagt, weil sie jung und nett war und mir gefiel – Dich kann ich fortjagen, weil Du das Gegentheil davon bist und mir nicht gefällst.«

»Das lügt Ihr!« rief Katharina, »denn einst gefiel ich Euch!«

Herr Scheurl ward immer aufgeregter und roher Katharina aber immer dreister, legte ihrer Zunge keine, Fesseln mehr an, erinnerte Scheurl an seinen Aufenthalt in Regensburg bei der schönen Nestler-Kathi, und sagte Alles, was sie sich vorgenommen zu sagen. Es war ein Gespräch, das bei der innerlichen wie äußern Rohheit der Betheiligten und bei der niedern Culturstufe ihres Zeitalters, seiner Sitten und Ausdrucksweise sich nicht wiederholen läßt.

Herr Christoph Scheurl zeigte dabei weder ein Interesse für den Mönch gewordenen Sohn, noch für dessen [131] Mutter, noch empfand er Reue über ein Vergehen, das er sich längst gewöhnt hatte, sich selbst niemals als ein solches anzurechnen; aber er wünschte doch nicht, daß ihn eine Person wie Katharina zum Stadtgespräch machte, noch daß eine solche, die ihm so unbequem werden konnte, in seinem Hause lebe. Er gab ihr einen Beutel mit Gold, den er bei sich hatte, und versprach ihr eine ansehnliche Summe, die er ihr alljährlich senden wolle, wenn sie noch diese Nacht sein Haus, so bald wie möglich auch Nürnberg verließe und über Alles schweige, nach wie vor – außerdem aber, fügte er hinzu, finde ein Rathsherr von Nürnberg noch Mittel und Wege, eine flüchtige Landläuferin unschädlich zu machen.

Indeß Katharina noch überlegte, griff Herr Scheurl nach dem Becher, den sie einstweilen aus der Hand gestellt. »Was ist das?« fragte er.

»Es ist Meth; ich wollte ihn Eurer Frau als Nachttrunk bringen.«

»Sie mag sich ihn selber holen,« sagte er; »wenn sie durstig ist, ich bin es auch wieder geworden.«

Katharina dachte: mag er es trinken; während er einschläft, kann ich überlegen, was ich thun will; ich habe noch das halbe Pulver für Elisabeth.

[132] Aber Scheurl hatte kaum mit einem raschen Zuge den Becher zur Hälfte geleert, als er ihn fluchend zur Erde warf und sagte: »Das schmeckt zu schändlich!«

Katharina erschrak unwillkürlich, und da Scheurl auf sein Bett taumelte, dachte sie: mag er schlafen – indeß versuche ich noch mein Heil bei Elisabeth.

Und sie ging hinab in die Küche, den Trank noch einmal zu mischen.

Indeß ahnte sie nicht, daß ihr Jacobea statt des Schlafpulvers ein Gift gegeben, das, wie sie gehört, nicht auf der Stelle tödten, aber den blühendsten Organismus in einen häßlichen, verwelkenden verwandeln sollte, und zwar allerdings während einer Nacht voll Schlaf und Ohnmacht. Ein solches Zaubermittel glaubte Jacobea gefunden zu haben und sich dadurch am wirksamsten an Elisabeth zu rächen; da sie aber wußte, daß Katharina zwar ein rohes, aber doch zu solcher That ein zu weiches Gemüth hatte, so hatte sie ihr nur die harmloseste Wirkung ihres Pulvers gesagt. Indeß hatte es in der That nicht diese zauberhafte, an welche sie selbst glaubte, sondern die eines schnell zerstörenden Giftes; unter dessen Einwirkungen rang der reiche, mit allen Gütern der Erde gesegnete Christoph Scheurl, der sich immer des heitersten Lebensgenusses [133] gerühmt, verlassen und allein in einer furchtbaren Nacht.

Das Gift raubte ihm die Kraft, sich seiner Glieder zu bedienen – er konnte weder einen Ruf noch ein Geräusch hervorbringen, laut genug, die entfernten Hausbewohner zu wecken und herbeizulocken. –

Indeß kam Katharina mit dem zweiten Becher des verhängnißvollen Trankes an Elisabeth's Thür; sie war verschlossen, und da Katharina pochte, fragte Elisabeth ungeduldig, was man sie noch störe?

Ich bringe den bestellten Nachttrunk,« antwortete Katharina.

»Nun mag ich ihn nicht,« antwortete Elisabeth, die sich schon schlafen gelegt, durch die verschlossene Thür; »und ein andermal wünsche ich von Euch schneller bedient zu sein, oder gar nicht.«

Katharina ging brummend ab. Aber dies entschied bei ihr. Hätte sie heute noch sich in den Besitz des Ringes setzen können, so würde sie Scheurl's Wunsch erfüllt haben und verschwunden sein; so aber blieb sie, da sie überhaupt noch unschlüssig gewesen, ob dies nicht das Bessere sei, damit sie erst noch einmal, wenn Scheurl nüchtern sei, mit ihm sprechen und sich seiner fortdauernden Unterstützung versichern könne. –

[134] Man war es gewohnt, das Herr Scheurl, wenn er vielleicht später oder mit einem größern Rausch als gewöhnlich heimgekommen, bis in den Tag hinein schlief, und weder seiner Frau noch der Dienerschaft fiel es auf, daß er bis um acht Uhr sich noch nicht gezeigt hatte. Als aber noch eine Stunde nach der andern vergangen war, im Comptoir Leute auf ihn warteten, und auch Georg Behaim kam, sich mit ihm über eine eilende Geschäftsangelegenheit zu besprechen, ging Elisabeth mit diesem selbst in sein Gemach, dessen Thür wie gewöhnlich nicht verschlossen war.

Da lag Scheurl halb aus dem Bette gesunken, regungslos mit gebrochenen Augen und krampfhaft verzerrtem Gesicht, das blau und dunkel unterlaufen einen entsetzlichen Anblick bot. Die zusammengeballten Hände zeugten ebenfalls von vergeblichen Anstrengungen und Kämpfen; es schien, als habe er versucht aufzuspringen, vielleicht nach Hülfe zu rufen, und sei von körperlichen Schmerzen überwältigt und gelähmt zusammengesunken, unfähig sich von der Stelle zu bewegen. Er war noch halb angekleidet, und so mußte das Uebel oder der Tod gleich bald nach seiner Heimkehr über ihn gekommen sein, denn er pflegte dann immer augenblicklich sein Lager zu suchen. Denn der Tod war es doch, obwohl [135] es weder Elisabeth noch Georg im ersten Schrecken als möglich erschien.

Sie hoben Beide vereint den schweren Körper auf sein Lager, Elisabeth suchte vergeblich an ihm nach einem Puls- oder Herzschlag, und Georg rief die Dienerschaft zusammen, zu Doktor und Bader zu laufen, sie eiligst herbeizuholen, und fragte Alle, wann der Herr diese Nacht nach Hause gekommen und wer ihn zuletzt gesehen? Aber darauf gab Niemand Antwort, wie groß auch die allgemeine Bestürzung war; Niemand wollte ihn gesehen haben, auch Katharina nicht, die von Elisabeth speciell befragt ward, als sich diese besann, daß dieselbe noch gegen Mitternacht an ihre Thür gekommen, um ein Getränk zu bringen, das eine Stunde vorher von ihr verlangt worden war.

Katharina behauptete, es könne nicht so lange Zeit gewesen sein – und sie habe sich gleich gewundert, daß Frau Scheurl indeß schlafen gegangen und sie gescholten. Es sei möglich, daß sie der Schlaf in der Küche übermannt habe, ohne daß sie es gewußt, denn es sei allerdings sehr spät und sie sei sehr ermüdet gewesen; den Herrn habe sie nicht kommen hören. Bestürzung und Entsetzen zeigte Katharina gleich den Andern.

[136] Elisabeth verlor zwar weder ihre gewohnte Geistesgegenwart noch Kraft, aber sie war todtenblaß und zitternd vor Schreck, Thränen strömten aus ihren Augen und ihre Worte klagten sich selbst an, daß sie in dem qualvollsten Todeskampf des Gatten fern von ihm gewesen und die Pflichten eines treuen Weibes nicht hatte an ihm in seinen letzten Stunden über können. Sie hatte den Gatten nicht geliebt, und die Achtung, die sie damals vor ihm besaß, als sie ihm ihre Hand reichte, die hatte sich allerdings auch gegen ihn gemindert und verloren, seit sie mit ihm vermählt war und sein ausschweifendes und zügelloses Leben kennen gelernt hatte. Aber die eigene Selbstachtung hatte ihr geboten, seine Schwächen und Fehler zu verschleiern, ihm Achtung vor der Welt zu zeigen und eine pflichttreue Hausfrau zu sein, die alle Schwüre hielt, welche sie ihm am Altar gelobt hatte. Darum fiel es gerade jetzt doppelt schwer auf ihr Gewissen, daß er hatte sterben müssen ohne ihre zarte pflegende Hand, ohne ihren sorgsamen Beistand, der ihn vielleicht hätte retten können. Zwar war sie auch daran unschuldig, denn es war mit Bewilligung ihres Gemahls geschehen, daß sie seit ihrer Krankheit in einem andern Flügel des Hauses schlief als er; denn seine lärmenden Gewohnheiten hatten die Leidende gestört, [137] und er fand es auch bald bequemer, daß seine Gemahlin nicht immer wußte, wo und wie er seine Nächte zubrachte, und hatte gern in ihren Vorschlag gewilligt. Aber dennoch empfand es Elisabeth jetzt wie eine Pflichtverletzung, daß sie nicht aufgemerkt, wann er nach Hause gekommen, und einen möglichen Hülferuf von ihm nicht gehört hatte, daß er vielleicht vergeblich nach ihr verlangt in seiner letzten Stunde; denn er war ja auch immer gut und aufmerksam gegen sie gewesen, er hatte sie auf den Händen getragen und ihr alle Wünsche mit stolzer Freude erfüllt – wenn er auch daneben sich selbst so wenig als ihr jeden erlaubten, sich selbst auch keinen unerlaubten Wunsch versagte. Sie hatten immer in Eintracht neben einander gelebt, wenn auch weder mit- noch für einander. Und so gesellte sich zu Elisabeth's Selbstvorwürfen auch das tiefste Mitleid für den so ganz verlassen und qualvoll Gestorbenen, dem sie gern die aufmerksamste Pflegerin gewesen wäre.

Als sie dies Alles schon fühlte, noch ehe es klar zu denken oder auszusprechen, war sie der Ueberzeugung, daß er bei irgend einem schwelgerischen Nachtmahl sich übernommen, zu Hause und im Bette sich habe erholen wollen und vom Schlag gerührt worden sei, wie gerade [138] oft bei den kräftigsten Körpern ein plötzlicher Tod erfolgen kann.

Aber da der Doktor und Bader kamen und die Leiche untersuchten, da schüttelten Beide bedenklich Achseln und Köpfe, murmelten erst heimlich zusammen, und sprachen es dann laut aus vor dem ahnenden Schwager und der schönen Wittwe, die selbst mit forschte nach dem Urtheil der gelehrten Herren:

»Es ist nicht anders möglich: Euer Eheherr ist an Gift gestorben! Der ganze Zustand des Leichnams bezeugt es – und da, auch am Boden diese dunklen Flecke von einer ätzenden Flüssigkeit. Waren diese schon früher?«

Elisabeth starrte auf die bezeichnete Stelle, nicht weit von dem Bette, auf die sie vorher noch nicht gesehen. Sie wußte es genau, gestern waren diese Flecke noch nicht: ein großer schwarzer Fleck und dann nach den Seiten gespritzt kleinere dunkle Punkte, wie wenn etwas von oben herab vergossen worden wäre.

Gift!

Aber wie war das möglich? Der lebenslustige, glückliche Scheurl war keines Selbstmordes fähig! das sagten Alle, das behauptete auch Elisabeth. Man durchsuchte das ganze Zimmer; es hätte sich in diesem Falle [139] vielleicht noch ein Gegenstand finden müssen, der das Gift enthalten, aber es war keiner aufzufinden.

Aber welche fremde Hand sollte es gethan haben? Der ganzen Dienerschaft war er ein gütiger, freigebiger Herr, ebenso erwies er sich fast der ganzen Stadt, und man konnte wohl sagen, daß er keinen Feind hatte in ganz Nürnberg, daß kein Haß ihn traf, der seiner Person gegolten hätte. Es gab Leute genug, die sich über ihn lustig machten und ihn beneideten – aber man wußte keine, die an ihm etwas zu rächen gehabt, oder denen er bei Erreichung irgend eines Zieles im Wege gewesen wäre.

Elisabeth sprach das selbst aus und wollte an den Mord so wenig glauben wie an den Selbstmord – aber Georg nahm sie leise bei der Hand, daß sie nicht weiter so sprechen sollte, und der Bader sagte bedenklich:

»Der Gemahl der schönsten Nürnbergerin konnte wohl Feinde haben, denen er im Wege war.«

Elisabeth schauderte – aber im nächsten Augenblick sagte sie: »Sendet nach den Schöppen; das Entsetzlichgeschehene muß auf das strengste untersucht werden – man wird mir den Tod des Gatten rächen helfen, der zu den ersten Geschlechtern und Rathsherren dieser Stadt gehört.«

[140] »Und dabei denkt auch, wie Ihr Euere eigene Ehre retten könnt,« flüsterte der Bader ihr leise aber hämisch zu und ging.

Elisabeth war wie vom Blitz getroffen – jetzt erst enthüllte sich ihr die Gefahr, in der sie schwebte. Im Bewußtsein ihrer Unschuld an einem großen Verbrechen hatte sie sich das kleine Versehen: ihrem Gemahl nicht beigestanden zu haben, da er sich übel befand, was sie doch nicht wußte, als ein Verbrechen vorgeworfen – und jetzt konnten Andere sie als eine Schuldige betrachten, von der man das Leben ihres Gatten fordern würde!

Und mitten in diesem Augenblick eines neuen Entsetzens kamen Martin Behaim und Stephan Tucher, die abwesend gewesen waren, mit der Kunde zurück: daß man endlich Weyspriach's Burg mit Sturm und Brand genommen, daß kein Stein des alten Raubnestes auf dem andern geblieben, und das, was die Flammen nicht gefressen und vernichtet, von den Stürmenden und der Rache der Hörigen der Erde gleich gemacht worden sei. Der Ritter von Weyspriach sei entkommen, aber Eberhard von Streitberg gefangen genommen worden; im Triumph bringe man ihn in die Stadt, sammt vielen den Bürgern und Kaufleuten geraubtem Gut, darunter [141] noch einen Theil der überseeischen Schätze Martin Behaim's.

Jetzt war es mit Elisabeth's Kraft zu Ende – mit einem Schrei fiel sie in ihres Bruders Arme.

Auch dieser Schrei mußte wider sie zeugen; denn derselbe Augenblick, in dem sie ihn ausstieß, war auch der, in welchem die herbeigerufenen Gerichtspersonen eintraten, um den Thatbestand zu untersuchen und die ersten Zeugen zu vernehmen. Mußten sie nicht diesen Schrei für den Schreckensruf nehmen, mit dem eine Verbrecherin sich selbst verrieth – als diejenigen kamen, welche vorerst nur Rechenschaft von ihr fordern wollten und noch gar keine Anklage erhoben?

Dieser Schrei war sehr verdächtig!

Aber Elisabeth hatte ihn ausgestoßen vor der Nachricht, daß Streitberg gefangen war und nach Nürnberg gebracht. Im ersten Augenblick dachte sie noch gar nicht an sich, sondern an ihn; sein Loos war so gut als entschieden: er ward dem Henker überantwortet und auf offenem Markt gerichtet. Elisabeth liebte ihn schon lange nicht mehr; sie floh jede Erinnerung an ihn wie ein Schreckgespenst mit verzerrten Zügen; sie hatte nur Widerwillen, Scham und Entsetzen empfunden, wenn sie ihn wiedersah; sie würde ruhig aufgeathmet haben, wenn [142] sie erfahren hätte, daß er todt sei, und jetzt hätte sie täglich gewünscht, daß sein Schuldbewußtsein ihn zur Flucht treiben und daß diese gelingen möchte, damit er wieder weit von ihr sich entfernte und nie nach Nürnberg zurückkehre: aber daß man ihn hierher brachte, hier dem Henker überlieferte – das war zu viel für sie! Sie hatte ihn doch einst geliebt, und die Schande, die ihm widerfuhr, empfand sie wie ihre eigene! Er war das Ideal ihrer Jugend gewesen, und Alles, was sie von heiterem Jugendmuth, von gläubigem Vertrauen an Menschenadel, von froher Hoffnung auf Lebensglück besaß, das hatte nur da in ihr gelebt, da sie ihn liebte, das war da für immer vernichtet worden, als sie von dem Mann ihrer Liebe sich schmählich betrogen sah, einen Unwürdigen in ihm verachten mußte. Sie konnte nicht an ihn denken, ohne immer wieder die alte Pein zu empfinden – und eine neue hatte sich hinzugestellt. Sie hatte es verborgen gehalten, daß sie einst geliebt hatte und betrogen worden war: nun hatte Streitberg's Verfolgen immer gedroht, dies noch offenbar werden zu lassen, und wie bei ihrem Widerstand seine Leidenschaft mehr und mehr die Gestalt des Hasses und der Rachsucht angenommen, so mußte sie fürchten, daß er nun noch Angesichts des gewissen Todes vielleicht auf ihre [143] Fürsprache sich berief – hatte er sie doch auch die Buhlerin des Königs genannt – ganz gewiß aber noch dafür sorgte, daß ihre Jugendgeschichte in einer Auffassung, welche für sie die demüthigendste war, zum Nürnberger Stadtgeschwätze ward.

Alle diese Gedanken, Erinnerungen und Befürchtungen, die sie jetzt immer gehabt, summten mit Eins ihr durch das schon bis zum Uebermaaß erregte Herz und Hirn, als ihr auch diese entscheidende Nachricht von Streitberg's Gefangennehmung so plötzlich gebracht ward und erpreßte ihr den Schrei, der eine so falsche Deutung fand.

Aus dem an Ort und Stelle angestelltem Verhör kam nichts heraus, als daß Elisabeth und Katharina wach gewesen in der Nacht und daß sich Beide verdächtig machten, weil ihre Stundenangaben differirten. Ein Commis behauptete, daß der Herr kurz vor Mitternacht nach Hause gekommen, und daß er ihn im Corridor mit einer Frauenstimme habe einige Worte wechseln hören, die er nicht verstanden. Er habe auch Licht schimmern sehen, und da er später weiter nichts gehört, habe er sich auch nichts dabei gedacht; ob die weibliche Stimme die der Frau Elisabeth oder einer Magd gewesen, [144] wisse er nicht zu sagen. Weiter hatte Niemand nur das Geringste bemerkt.

Elisabeth und Katharina leugneten Beide den Herrn zur Nacht gesprochen zu haben, die Herrin mit ruhiger Würde, die Dienerin mit unruhiger Keckheit. Eine behauptete vor der Andern, daß sie wach gewesen.

Gegen Katharina sprach doch der stärkere Beweis von Elisabeth's erster Aussage, daß sie von ihr erst nach einer Stunde einen verlangten Trunk habe erhalten sollen – und Katharina war ja auch nur eine fremde Dienstmagd. Man beschloß, sie mit und in Gewahrsam zu nehmen, und wenn sie nicht gestehe, durch die Tortur »in der Güte zu befragen«, wie man die Anwendung der entsetzlichsten Marterinstrumente nannte.

Gegen die Hausherrin verfuhr man glimpflicher. Man verbannte sie nur in ihre eigenen Zimmer, und ordnete ihr unter der Bürgschaft ihrer Brüder, daß sie nicht entweiche, eine Wache zu – nur der Form wegen, wie man sagte, bis sich Alles aufgeklärt habe.

Elisabeth fügte sich mit stummen Stolz dieser ihr edles Gefühl empörenden Handlung.

In Nürnberg aber verbreite sich mit Blitzesschnelle das Gerücht von Herrn Christoph Scheurl's plötzlichem Tode – und daß er durch Gift gestorben, das ihm [145] als Schlaftrunk beigebracht worden. Wer die That gethan – darüber waren die Stimmen getheilt.

Die Einen meinten, eine Magd aus Regensburg, die erst seit ein paar Wochen angekommen, habe die That gethan und sei darum verhaftet; die Andern aber sagten: Was hätte eine Magd für Vortheil von dem Tode ihres Herrn? oder was könnte gerade diese an ihm zu rächen haben, die erst seit so kurzer Zeit im Hause? Ist es doch ganz anders mit Frau Elisabeth – die ist nun den alten Gatten los, den sie doch nur des Reichthums oder um ihrer Familie Willen geheirathet, und kann nun als die reichste und schönste Wittwe von Nürnberg nach ihrem Herzen freien und leben. Oder hat sie nicht gar schon einen Buhlen? – Man redete schon immer allerlei von ihr – aber freilich! wer hätte das gedacht, daß es so weit mit ihr kommen werde! Da sieht man, wohin Hochmuth und Eitelkeit führen, der Eigendünkel und die Herrschsucht eines Weibes, das immer nur seinem eigenen Willen folgen wollte, alles anders und besser wissen und thun als andere ehrbare Frauen! –

[146]

7. Kapitel. Im Clara-Kloster

Siebentes Capitel
Im Clara-Kloster

Mitten im lebenslustigen, geschäftig bewegten Nürnberg hatte doch der fromme weibliche Sinn, der allem eitlen Welttreiben für immer entsagen und in ein beschauliches, nur dem Dienst der Heiligen gewidmetes Stillleben sich zurückziehen wollte, eine sichere Zufluchtsstätte gefunden. Das Kloster der heiligen Clara, das auf der Lorenzer Seite recht im Herzen der Stadt sich erhob, war ein stilles Asyl, das gerade von den Jungfrauen der edelsten Geschlechter Nürnbergs gewählt ward, und darum auch nicht nur zu den reichdotirtesten, sondern auch zu denjenigen Klöstern gehörte, die noch den alten Ruf edler Sittenstrenge und wahrer Frömmigkeit bewahrten, wie auch den: Pflanzstätten der Künste und Wissenschaften zu sein.

Die Schwestern des Clara-Klosters waren wohl erfahren in allen weiblichen Handarbeiten, die Geschicklichkeit [147] und Ausdauer erforderten. Sie stickten und webten herrliche Gobelins zum Schmuck ihrer Kirche, und sandten auch manche dieser Arbeiten aus den Klostermauern hinaus. Viele Nonnen übten die Kunst der Miniaturmalerei, deren Gegenstände kleine Heiligenbilder waren, mit einer Kunstfertigkeit, die mit der der besten Nürnberger Meister wetteiferte. Andere befleißigten sich des Schreibens und Lesens, und waren im Lateinischen und Griechischen so zu Hause, als sei es ihre Muttersprache gewesen. Gehörte doch auch die Bibliothek des Klosters ihre Studien zu begünstigen, sowohl durch die Zahl alter Handschriften als neuer gedruckter Bücher, mit zu den ausgezeichnetsten, welche die Stadt besaß.

Charitas Pirkheimer hatte geeilt ihr Gelübde auszuführen und weilte bereits als Novize in diesem Kloster.

In dem von hohen Mauern umgebenen Garten desselben, über welche nur wirr und fern das Geräusch des Städtelebens herein schallte, ging Charitas einsam auf und nieder in stilles Sinnen verloren. Der entsagende Ausdruck, welchen ihr Gesicht immer gehabt, war nicht nur allein durch die graue Novizentracht erhöht, [148] in welcher sie erschien, sondern durch Thränen der Wehmuth, die in ihren Augen glänzten.

Der Abend auch erschien wie zum Sinnen und Weinen. Es war so still im Klostergarten, daß auch nicht das kleinste Lüftchen wagen konnte in den Zweigen der Bäume und Gesträuche zu spielen, kein Blatt getraute sich mit dem andern zu flüstern und zu säuseln und kaum ein Schmetterling zu einer Blume zu fliegen. Im Süden hatten sich drohende Gewitterwolken aufgethürmt und hingen über die hohen grauen Mauern herein, aber im Westen glühte ein sanftes Abendroth gleich einem Vorhange, den die sinkende Sonne zwischen sich und dem dräuenden Wetter gezogen. Ein einsames Vögelchen saß auf einer hohen blaugrauen Ulme, deren Wipfel die Klostermauern überragte. Es schaute und flatterte nach hüben und drüben und schien mit leise zwitschernden Stimmchen zu fragen: ob es sich besser wohne im Frieden dieses Gartens oder draußen im freien Wald, wo es viele Genossen gab, aber auch das tückische Feuerrohr beutelustiger Jäger, Netze und Stellhölzlein böser Buben, gierige Raubvögel und allerlei Fährlichkeiten.

Eine ältere Nonne hatte Charitas von fern mit [149] theilnehmenden Blicken beobachtet. Jetzt trat sie zu ihr, reichte ihr die weiße magere Hand und sagte:

»Mein Kind, nützet die Tage wohl, die Euch zur Bedenkzeit gegeben sind! Ich höre, daß weder Eltern-noch Verwandten-Wille, noch irgend eine äußere Noth des Lebens Euch hierher gebracht, sondern daß Ihr aus freier Wahl begehrt hab't in unsere Gemeinschaft zu treten. Ehe Ihr es aber thut, prüfet Euch wohl, daß Ihr Euch selbst nicht betrüget!«

»Schwester Ulrike,« antwortete Charitas mit einem dankenden Händedruck, »Ihr waret die erste, die mir außer der Priorin in diesen Mauern mit milder Theilnahme entgegenkam. In Euren Zügen las ich auch den Himmelsfrieden, den ich hier zu finden hoffe, in Euch erblickte ich das Vorbild, dem ich nachzustreben mich bemühen will.«

»Ich danke Euch für Eure gute Meinung,« antwortete Ulrike mit sanfter Innigkeit und einem etwas fremd- aber wohlklingenden Idiom, das Charitas schon von einer andern Person gehört, und das weit entfernt gut nürnbergisch zu lauten, ihr das wohlklingendste zu sein schien, das es geben konnte. »Ich wünschte wohl,« fuhr Ulrike fort, »diese gute Meinung zu verdienen und ebenso, daß Ihr mir sie für die Dauer [150] bewahren möchtet. Aber ich kann keinen Anspruch darauf machen; hinter mir liegt ein langes und reiches Leben voll Versuchung und Sünde, voll Kampf und Buße – nicht nur als eine Entsagende, als eine Büßende kam ich hierher. In zwölf Jahren voll Buße und Entsagung, die ich hier verbracht, hat sich zwar mein Sinn geläutert und ist mein Vertrauen auf die Gnade unsers Erlösers zu der festen Ueberzeugung geworden, daß er allen Fehlenden vergiebt, wenn sie unablässig streben ihre Fehler abzulegen und zu sühnen, und die Tage, die mir hier unter Arbeit und Gebet verfließen, ziehen nicht ungenützt für mein Seelentheil an mir vorüber; aber so lange es für uns in der Welt noch ein theures Wesen giebt – so lange, sage ich Euch, ist es nicht leicht sich in diesen Mauern lebendig zu vergraben und für das ganze Erdendasein aus seinem Lebenskreis gebannt zu bleiben.«

Charitas erröthete da sie diese Worte vernahm, und sah die Sprecherin derselben schmerzlich befremdet an.

Ulrike hatte vorhin die schwärmerischen blauen Augen niedergeschlagen, jetzt begegnete sie mit einem Lächeln den fragenden Blicken und sagte; »Vergesset nicht, daß eine alte Matrone zu Euch spricht. Mit [151] fünfzig Jahren hat man andere Gefühle als Ihr mit zwanzig oder dreißig, aber ich kann noch beurtheilen, wie man in jüngeren Jahren empfindet – und wenn es Bande auf der Welt giebt, die man auch im Alter nicht schmerzlos zerreißt, so sehet zu, daß Ihr nicht vielleicht nur weil ein kurzer Lebenstraum Euch zerstört ward, hier nur einen Zustand von Schlaf und Ruhe sucht – Ihr werdet ihn nicht finden!«

»Hört mich an! sagte Charitas, »ich will Euch Alles getreulich beichten – Ihr werdet dann auch sagen, daß ich nicht anders kann!« Ruhiger fuhr sie fort: »Mein Vater Pirkheimer war, wie Ihr vielleicht gehört habt, einer der angesehensten und reichsten Rechtsgelehrten dieser Stadt. Nichts mangelte den Seinen zum edelsten Genuß des Lebens, aber eben zu diesem befähigte er uns, seine Kinder durch den Unterricht, den er uns angedeihen ließ. Wir Schwestern lernten mit unserem Bruder Willibald um die Wette, und kannten bald kein größeres Glück, als mit ihm den Wissenschaften obzuliegen, und da er von uns schied, erst um zu dem Bischof von Eichstätt zu gehen, jetzt später um in Italien zu studiren, da dacht' ich schon immer, um wie viel glücklicher er daran war als wir Schwestern, da es genug Leute gab, welche uns aus [152] unserer Gelehrsamkeit noch einen Vorwurf machten und sie unverträglich nannten mit der weiblichen Bestimmung. Dagegen lehnte ich mich frühe auf; ich fühlte weder Neigung noch Verpflichtung mich zu verheirathen, und der höchste Wunsch für mein Leben war eben nur der, in beschaulicher Stille mit meinen Büchern allein und ungehindert in meinen Studien zu sein. Meine Schwester Clara theilte diesen Hang, und da wir unsere Eltern verloren, Willibald aber in die Fremde zog, so haben wir still für uns nur den Wissenschaften gelebt. Schon zuweilen tauchte der Gedanke in uns auf: um das in der würdigsten Weise zu können, in dieses Kloster einzutreten, aber wir zögerten noch vor dem entscheidenden Schritt für das Leben, der dann nie wieder zurück zu nehmen ist. Vielleicht trug auch eine unserer trefflichsten Freundinnen Frau Elisabeth Scheurl mit Schuld, daß wir zu keinem Entschluß kamen: denn sie meinte, daß nur ganz alte und gebrechliche Leute, die der Welt weiter nichts nützen könnten, ein Recht hätten, sich vor der Welt zu flüchten und in Klostermauern zu vergraben. Sie war immer bemüht neben der Wissenschaft auch der Kunst zu huldigen, und so hatte sie auch uns mit andern Nürnberger Jungfrauen um sich vereinigt, für die St. Lorenzkirche zu sticken.[153] Diese Arbeit führte uns öfter in die Kirche und mit den daran bauenden Baubrüdern zu gemeinschaftlichen Berathungen zusammen. Von einem derselben hatte mein Bruder schon mit warmer Anerkennung, als von einem echten Künstler gesprochen, und als ich ihn selbst und seine Werke sah, fand ich Alles bestätigt. Da geschah es vor nicht langer Zeit, daß ein Gerüst am Thurme zusammenbrach, und indeß ein Baubruder in Todesgefahr auf dem Thurme schwebte, eben jener sich selbst, um ihn zu retten, in noch viel größere Todesgefahr begab. Da betete ich für sein Leben, und gelobte mich dem Kloster, wenn seine That gelingen und er das schwere Wagestück bestehen werde – und in der Verzweiflung, die ich bei der Gefahr dieses Einen mehr als bei der des Andern empfand, erkannte ich, daß ich – die noch nie einen Mann geliebt, die das nie für möglich gehalten – daß ich diesen Baubruder liebe! – Hoffentlich hat weder ein Blick noch ein Wort mich ihm verrathen, aber da seine That gelang, so bin ich nun doppelt verpflichtet, mein Gelübde zu halten.« Sie neigte ihr Haupt an Ulrikens Schulter und fühlte sich erschöpft von diesem Geständniß.

»Unglückliches Mädchen!« rief Ulrike sanft; »ein Baubruder darf Eure Empfindungen nicht erwiedern,[154] und wehe ihm, wenn er es trotzdem thut oder gethan hat!«

»Nein, nein!« rief Charitas; »er ahnt nichts davon, er soll es niemals ahnen, nie erfahren! Aber was mich am meisten schmerzt, ist, daß Elisabeth Scheurl ihn auch liebt und daß auch ihr gegenüber Ulrich von Straßburg vielleicht –«

Ein Schrei der Nonne unterbrach die Geständnisse der Novize. »Ulrich von Straßburg!« rief sie; »höre ich recht, Ulrich von Straßburg, sagtet Ihr wirklich so?«

»So nennt man ihn,« antwortete Charitas und sah mit Bestürzung die plötzliche Aufregung der Matrone.

Mit gepreßter Stimme, der man die innere Bewegung anhörte, fragte diese wieder: »Schildert mir, wie er aussieht.«

Erröthend willfahrte Charitas: »Er ist lang und schlank gewachsen und von edler Haltung; seine blauen Augen strahlen von dem Feuer echter Begeisterung; seine Stirn ist sanft gewölbt und hohe Gedanken scheinen auf ihr zu thronen; sein Haar ist braun und üppig, er trägt es halblang und gescheitelt; seine Nase ist schön geformt, weder groß noch klein, mit der Stirn eine gerade Linie bildend – gerade so wie bei Euch –«

[155]

Ulrike hatte mit Spannung zugehört. Die letzten Worte, die Charitas arglos sagte, nur um sich die Beschreibung zu erleichtern, erinnerten Ulrike daran, daß sie sich fassen müsse, wenn sie sich nicht selbst verrathen wollte. Sie sagte darum: »Ich habe einen Knab en Ulrich gekannt, von dem ich hörte, daß er sich später als Baubruder nach seiner Heimath von Straßburg genannt – ich wußte nicht, daß er hier sei.«

»Er baut seit zwei Jahren mit an der Lorenzkirche – und jetzt wohnt er hier ganz nahe im Claragäßlein,« berichtete Charitas.

»Ganz nahe?« wiederholte Ulrike, und es war ihr, als müsse ihr das Herz zerspringen. »Wie hoch schätzt Ihr sein Alter?« fragte sie, um doch noch einen neuen Beweis für ihre plötzliche Entdeckung zu haben.

»Ich weiß es nicht genau,« antwortete die Novize, »zwischen Fünfundzwanzig und Dreißig.«

»Erzählt mir mehr von ihm,« sagte Ulrike vor sich niederblickend, und sich besinnend fügte sie angstvoll die Frage hinzu: »Und Ihr sagtet, er sei seinem Gelübde untreu geworden und liebe eine Frau von Scheurl? – Mir dünkt, ich habe diesen Namen schon gehört.«

»Da sei Gott vor, daß ich eine so schwere Anklage ausspreche,« entgegnete Charitas – »ja vielleicht ist[156] es Elisabeth selbst gegangen wie mir, und sie hat ihr eigenes Gefühl auch erst da erkannt, als Ulrich in Todesgefahr schwebte, vielleicht noch nicht einmal – aber ich habe es in ihr früher erkannt als in mir selbst.«

»Ulrich in Todesgefahr – vor Kurzem – in meiner Nähe – und ich wußt' es nicht!« wiederholte Ulrike. »Erzählt mir mehr davon, wie Alles kam und was er that!« bat sie mit eindringlich flehender Stimme und Geberde.

Und Charitas gehorchte gern dieser Bitte. Sie gab eine beredte Schilderung jenes Ereignisses von dem Einsturz des Thurmgerüstes, von Hieronymus' hülfloser Lage und Ulrich's Rettungswerk; sie schilderte ihn und seinen Heroismus im glänzenden Licht und das feierliche Te Deum, das man nach ihrer Rettung gehalten. Sie hatte auch des Propstes Kreß mit dabei erwähnt als Ulrich's Gönner.

Ulrike verlor kein Wort von dem Allen. Mit athemloser Angst folgte sie der Schilderung von Ulrich's Gefahr – an diesem Zug erkannte sie den Sohn, der schon als Knabe bereit gewesen mit Gefahr seines Lebens Andern beizustehen. Welche Empfindungen für eine Mutter, zu wissen, daß ihr einziger Sohn [157] schon seit Jahren so in ihrer unmittelbaren Nähe lebte, ohne daß sie eine Ahnung davon gehabt – daß er in derselben Stunde, in der sie vielleicht ruhig betete hätte sterben können! Und jetzt – wie war ihr denn bei dem Gedanken, daß vielleicht nur diese Klostermauer Mutter und Sohn von einander trennte. Nur! – ach, das war ja genug, das war ja eine Trennung für das ganze Leben! – Sie hatte ihren Sohn verlassen, um dem wiedergefundenen Mann ihrer Liebe zu folgen – und da sie erkannte, daß sie damit ein Verbrechen begangen, das sie der Verzweiflung nahe brachte, da suchte sie für immer vor dem theuren Verführer, vor sich selbst und vor einem ganzen Leben voll Schmach und Hohn im ersten Augenblick nur bei dem Bruder, aber dann in diesem Kloster Schutz. Sie hatte den Tod gewünscht und darum gefleht in tausend heißen Gebeten; aber da er nicht von selbst kam und sie noch leben mußte, so wollte sie doch todt sein für alles Leben außer diesen geweihten Mauern, und in ihnen nur still büßen in Entsagung und Gebet, und warten, bis der Tod endlich komme sie zu erlösen. Daß auch ihr einziger Sohn in einem Kloster eine Freistatt gefunden, daß er dort eine bessere Erziehung fand, als wenn er bei ihr und dem rohen Manne geblieben wäre, [158] den er für seinen Vater hielt, das gereichte ihr zum Trost für sein und ihr Geschick. Wohl betete sie für ihn, als sie erfuhr, daß er ein Baubruder geworden; denn sie wußte wohl, wie viel schwerer es war, mitten im Leben allen Lockungen und Versuchungen desselben zu widerstehen, wie es so gleicher Weise seine Pflicht war, als wie außerhvlb desselben in den bergenden Klostermauern; aber sie freute sich auch, daß ihn ein höheres Streben beseelte und er thätig mithalf an den unsterblichen Bauwerken, welche zur Ehre des Höchsten von geweihten Händen aufgeführt wurden. Ulrike hatte ihren Bruder des Jahres ein- oder zwei Mal gesehen und er ihr wohl erzählt, daß er Nachrichten von ihrem Sohn habe, wie er zum freien Steinmetzgesellen sei gesprochen worden und wie er sich auszeichne durch Geschicklichkeit seiner Hände und Erhabenheit seiner Darstellungen; aber nie war davon ein Wort über seine Lippen gekommen, daß er ihn wiedergesehen, daß er hier sei in Nürnberg und nun ihr so nahe. Um jeden Preis mußte sie nun mehr von ihm erfahren. Zwar, sie konnte es begreifen, aus welcher Absicht ihr Bruder das Alles verheimlicht. Er hatte es wohl denken können, daß eine Mutter mehr bei dem Gedanken leiden mußte, ihren Sohn nicht wiedersehen zu dürfen, wenn [159] sie wußte, daß er nur wenige Schritte von ihr entfernt weilte, als wenn sie sich durch eine Entfernung vieler Tagreisen von ihm getrennt sah, und daß aus guter Absicht geschehen, was sie doch wie einen Betrug an ihrem Mutterherzen empfand. Eben erst hatte sie es gegen die Novize ausgesprochen, wie schwer es sei, sich in ein Kloster einzuschließen, wenn das Leben draußen auch nur nochein geliebtes Wesen habe – und nun traf sie dieser Ausspruch wieder selbst mit seiner schmerzlichsten Gewalt, und das rein menschliche Gefühl, das jetzt in ihr zum Ausbruch kam, erfüllte sie doch mit dem Bewußtsein einer Sünde gegen ihr Gelübde: alle Bande zu zerreißen, die an die Welt sie knüpften, und allein dem Himmel und dem Dienst der Heiligen sich zuzuwenden.

Indeß sie jetzt neben Charitas in die schmerzlichsten Gedanken versank und jetzt nicht mehr durch ihre Worte, sondern durch das krampfhafte Zucken ihrer Gesichtszüge, das Zittern ihrer ganzen Gastalt und die Thränen, die in ihren Augen glänzten, bestätigte, wie schwer auch im Kloster Seelenfrieden zu erringen, und noch schwerer zu bewahren sei, schreckte sie das Läuten des Glöckchens auf, das alle Klosterbewohnerinnen zum Abendgebet in die Kirche rief. Mit klopfendem Herzen und nassen [160] Augen gehorchten Beide diesem Ruf, und damit war eine Unterredung ganz abgebrochen, die für die Eine wie die Andere eine so unerwartete Wendung genommen.

Am folgenden Tage sah sich Charitas vergeblich in der Kirche, im Garten und im Speisesaal nach der Schwester Ulrike um – sie fehlte überall, und am Abend erfuhr Charitas auf ihr Befragen, daß sich die Nonne gestern im Garten erkältet habe und krank geworden, mithin in ihrer Zelle bleiben müsse. Als sie auch am nächsten Tage nicht erschien, erbat sich die Novize bei der Priorin die Erlaubniß, der kranken Nonne als Pflegerin dienen zu können; die Bitte ward ihr bereitwillig gewährt.

Ulrike lag im Fieber, als Charitas zu ihr kam. Sie neigte sich über das Lager der Kranken, die ihre schmalen Hände ihr froh überrascht entgegen streckte, noch freudiger gerührt, als die Novize erklärte, daß sie nicht nur für eine kurze Stunde komme, sondern um während ihrer Krankheit als Pflegerin ihre Zelle zu theilen.

So vergingen Beiden die Tage in innigster Gemeinschaft. Nur wenn die Glocke zur Kirche rief, folgte Charitas diesem Ruf aus der Krankenzelle, und zuweilen ward sie auf eine Nacht oder andere Tagesstunden von [161] einer Nonne abgelös't, um selbst auch einige Ruhe zu haben, aber die meiste Zeit war sie doch an Ulrikens Krankenlager. Charitas vermied von Ulrich zu sprechen, denn sie hatte gleich erkannt, daß Ulrike durch ihre neulichen Mittheilungen in diesen Fieberzustand versetzt worden war, und sie mußte fürchten, ihn durch ein Gespräch, welches das erste Mal eine so aufregende Wirkung gehabt, zu erhöhen. Aber er steigerte sich auch ohnedies, und da sie bewußtlos in Fieberphantasien sprach, kam mehr als einmal der Name Ulrich über ihre Lippen, und zwischen Seufzern und Gebeten, wenn ihr helle Augenblicke kamen, erklärte sie, daß sie weder leben noch sterben könne, wenn sie Ulrich nicht wiedergesehen! –

Einst, als sie auch diese heiße Sehnsucht in stöhnenden Jammerrufen hatte laut werden lassen, ward Charitas von ihr abgerufen, da ihre Schwester Clara gekommen sei, um sie zu sprechen. Solche Besuche ihrer weiblichen Angehörigen waren den Novizen gestattet.

Die Schwestern hatten nie ein Geheimniß vor einander. So erzählte auch Charitas von Ulriken Alles, was sie selbst wußte, und eben auf das schmerzlichste bewegt von deren Sehnsucht nach Ulrich, die gewiß keine sündhafte war, denn sie hatte ihn ihren Sohn [162] genannt – mochte er nun ihr eigener oder wie sie erst gesagt, der Sohn ihrer Freundin sein – berieth Charitas mit Clara, ob es nicht ein gottwohlgefälliges Werk sei, den inbrünstigen Wunsch einer Sterbenden zu erfüllen und auf irgend eine Weise ihr ein Wiedersehen mit Ulrich zu verschaffen. War dieser wirklich ihr Sohn, so war es gewiß, daß die Priorin bei einer der frömmsten und gehorsamsten Nonnen keinen Anstand nehmen werde, auf sein Gesuch ihm den Zutritt zu ihr gestatten, um den letzten Segen einer sterbenden Mutter zu empfangen. Da aber Charitas doch nicht gewiß wußte, ob man Ulrike diese Gunst erweisen wolle, so mochte sie in derselben nicht Hoffnungen erregen, die sich vielleicht nicht erfüllen konnten, und auch nicht mit ihr davon sprechen, da die pflichtgetreue Nonne in diesem natürlichen Wunsch selbst so ein irdisches Verlangen sah, daß sie es sich selbst als Verbrechen anrechnete – so konnte es ihr nicht als Bitte, sondern als eine gnädige Ueberraschung gewährt werden.

Die Schwestern kamen also dahin überein, daß Clara an Ulrich in wenig Zeilen schrieb: wie eine Nonne des St. Clara-Klosters mit Namen Ulrike nach ihm, Ulrich von Straßburg, wie nach ihrem Sohn auf ihrem Sterbebett sich sehne, und daß er, wenn er der[163] sei, dem an ihrem Segen gelegen sein müsse, von der milden Priorin gewiß die Erlaubniß erhalten werde, sich jenen selbst in den Klostermauern zu holen. –

Am folgenden Tage ward es mit Ulrike schlimmer. Der von ihr Ersehnte und von Charitas auch Erhoffte erschien nicht. Es war der Kranken, als ob ihr letztes Stündlein nahen müsse; jetzt verlangte sie nach dem Propst Kreß und nach dem Beichtvater, der ihr die letzte Oelung reichen sollte. Ehe er kam, legte sie selbst ihre Hände segnend auf Charitas' Haupt und sagte:

»Vielleicht ist es Euch ein Lohn für alle Eure mir erwiesene Liebe, wenn Ihr erfahret, daß Ihr sie der Mutter dessen erwiesen, den Ihr liebt und um den Ihr leidet! Um seinetwillen liebe und segne ich Euch, thut auch mir um seinetwillen also!«

»O, ich habe es geahnet!« flüsterte Charitas und neigte sich demüthigend wie vor einer Heiligen vor der Mutter des still und entsagend geliebten Mannes.

Nicht lange darauf, als die Abendglocke ausgetönt, läutete das Klosterglöckchen wieder, das die Sterbestunde und die letzte Oelung einer Nonne verkündete.

Aber obwohl es Ulriken galt, so zögerte doch der Tod noch zu ihr zu kommen. Ihr Beichtvater mit den knieenden Chorknaben, der Propst Kreß, die Priorin,[164] Charitas und ein paar andere Nonnen umgaben ihr Lager. Mit gefalteten Händen saß die Kranke aufrecht an das Kissen gelehnt, daß die hinter ihr knieende Charitas stützte, und athmete langsam und tief. Ihre Augen suchten im Kreise umher, ihre Lippen bewegten sich betend, aber Niemand verstand die leise geflüsterten Worte.

Eine Nonne öffnete mit langsamen Drucke die Thür und winkte durch die Spalte die Priorin hinaus. Es konnte nur etwas Wichtiges sein, das diese von dem Sterbebett einer hochgeehrten und wie eine Freundin geliebten Nonne rief.

Charitas athmete in banger Erwartung – Ahnung und Hoffnung rötheten ihr immer blasses Gesicht.

Stille Minuten vergingen. Der Geistliche wiederholte seine Gebete, der Propst neigte sich theilnehmend über das Lager der Schwester und gönnte ihr aus einem so leidens- und entsagungsreichen Leben die Erlösung, auf die sie wartete; aber er senkte seine Augenlider, um die anklagenden Blicke nicht zu sehen, die aus ihren weitgeöffneten Augen kamen.

Jetzt trat die Priorin wieder ein – aber nicht allein.

[165] In der Zelle war es schon ziemlich dunkel, doch draußen im Corridor glühte eben die Abendsonne noch mit ihrem letzten strahlenden Schein am dort gegenüberliegenden Bogenfenster. Der Strahl daraus fiel durch die geöffnete Thür, und im Feuer dieser Sonnenflamme stand ein Baubruder, und seine edle Gestalt hob sich davon wie von dem Goldgrund ab, welchen die damaligen Maler meist noch ihren Heiligenbildern zu geben pflegten.

Sehr verschieden war die Wirkung seines Erscheinens auf die Anwesenden. Charitas erröthete und faltete die Hände zum innigen Dankgebet; der Propst stand versteinert vor Schrecken und machte eine abwehrende Bewegung, als könne er jetzt noch dadurch verhindern, was er für sich selbst, peinvoll genug, allein um Ulrich's Willen so lange verhindert hatte; die Nonnen neigten sich tiefer auf die gefalteten Hände und schielten doch neugierig nach dem schönen Manne; Ulrike aber breitete die Arme aus wie nach einer überirdischen Erscheinung und rief lauter, als sie jetzt seit langer Zeit zu sprechen vermocht: »Mein Sohn! Ulrich! mein Sohn!«

Mit zwei Schritten war er an ihrem Lager, knieete davor, nahm ihre Hände in die seinen und rief: »Meine [166] Mutter! endlich seh' ich Dich wieder! darf ich Deinen Segen empfangen!«

Sie legte ihre Hände segnend auf seine Stirn und flüsterte: »Ulrich, welche Heilige führt Dich mir zu?«

»Sie steht hinter Dir!« sagte er noch leiser, da er Charitas erkannte; aber sie hörte es doch, erglühte und zitterte, wie sich freilich für die künftige Nonne nicht geziemen mochte.

Mutter und Sohn sahen einander unverwandt an, forschten und erkannten die geliebten Züge, und der Todesengel wich vor einer großen Erschütterung und Freude. –

Ulrich hatte auf den Brief, den ihm die Schwester Pirkheimer sandte, noch gezögert zu kommen. Wohl zog sein Herz ihn mächtig in das Kloster, aber er gedachte des Gelübdes, das er dem Propst geleistet, und wollte erst mit ihm sprechen, statt wider seinen Willen zu handeln. Kreß würde es ja doch wohl auch erfahren haben, wenn seine Schwester von einer tödtlichen Krankheit bedroht war. An diesem Abend nun war er voll Unruhe zu ihm gegangen. Da hatte man ihm gesagt, daß der Propst vor einer halben Stunde in das Clara-Kloster sei gerufen worden. Er eilte [167] dahin und stand zögernd an der Pforte. Da tönte das Sterbeglöcklein – seinem Rufe konnte er nicht widerstehen; er schellte und fragte die Pförtnerin: wem das Läuten gelte? und da sie geantwortet: »der frommen Schwester Ulrike, die seit zwölf Jahren hier ist,« – da kannte er weder Zögerung noch Wahl, da wußte er, daß er ein heilig Recht habe auf den letzten Augenblick seiner Mutter, da bat er, ihn zur Priorin zu führen, und nannte sich Ulrikens Sohn, der von Straßburg hierhergekommen. Da die Priorin wußte, daß Ulrike verheirathet gewesen und einen Sohn gehabt, und da Ulrich sogar die Züge der Mutter trug, so zögerte sie nicht lange, sondern gab seinem angstvollen Flehen nach und führte ihn mit sich an das Sterbebett. –

»Vergieb Deiner Mutter,« bat Ulrike, »vergieb ihr, daß sie Dich verlassen konnte; dann erst können mir die Heiligen vergeben, dann erst kann ich in Frieden sterben!«

»Wie möget Ihr also sprechen! rief Ulrich; »als eine Heilige, die viel geduldet, hab' ich Euch schon verehrt, und doppelt, seit ich Alles weiß, was Ihr gelitten und geduldet –«

[168] Auf einmal stieß Ulrike einen entsetzlichen Schrei aus. Ward jetzt ihr Geist vollends ganz klar und entsetzte sie gerade dieses Alles-wissen, von dem Ulrich sprach? dachte sie daran, daß, wenn die Welt erfuhr, wie und wessen Sohn er sei, die Sünde der Eltern über ihn kam? Der Propst faßte so die angstvoll flehenden Blicke auf, die sie zu ihm herüber warf, der tief bekümmert auf die Gruppe schaute, die er immer gefürchtet einmal so sehen zu müssen.

Aber jetzt raffte sich Ulrike noch einmal kräftig auf und sagte mit lauter Stimme: »Mein Sohn, ich weiß, daß die Leiden dieser Zeit nicht werth sind der Herrlichkeit, die an uns soll offenbaret werden! Daß ich Dich auf meinem Sterbebette segnen darf, ist ein Zeichen von der Vergebung des Himmels für uns Beide. Vor Gottes Thron werde ich für Dich beten und Dich erwarten – vielleicht kommst Du bald – –« Sie sank in die Kissen zurück, zog Ulrich's Hand mit einem letzten krampfhaften Zucken der ihren an ihr Herz und flüsterte verhallend: »Vielleicht kommst Du bald – bald!«

»Bald!« flüsterte Ulrich; »ich ahne es, Du ziehst mich Dir nach!«

[169] Das Sterbeglöckchen läutete wieder – die Priorin öffnete leise das Fenster, um eine entfliehende Seele frei in den Himmel zu lassen.

Ulrich knieete betend an der theuren Leiche, bis er ihr die still und kalt gewordenen Augen zudrücken konnte, dann ging er mit dem Propst.

[170]

8. Kapitel. Anklagen und Verhör

Achtes Capitel
Anklagen und Verhör

Mit sonderbaren Empfindungen vernahm Jacobea die Kunde von dem plötzlichen Tode Christoph Scheurl's, von dem Verdacht, der auf seine Gemahlin fiel, und von der Verhaftung Katharina's – jenes mit teuflischem Triumph, dieses mit ängstlichem Erschrecken.

Wohl war Jacobea auch an dem Besitz des Ringes gelegen gewesen, doch war er ihr mehr Nebensache, die Hauptsache aber, daß ihr Pulver, welches sie für Elisabeth bereitet, irgend eine schädliche Wirkung auf dieselbe habe: entweder sie entstellte oder tödte – wenn sie auch nur gewagt hatte es Katharinen, die nicht so verdorben war als sie, unter dem milderen Namen eines Schlaftrunkes zu reichen. Zu einem Diebstahl, zu einer hinterlistigen Rache, wußte sie, war Katharina zu überreden; aber stets würde sie vermieden haben, einen Mord auf ihre Seele zu laden. War sie nun die unschuldig [171] Schuldige? hatte sie statt an Elisabeth, an Scheurl die Wirkung ihres Pulvers versucht, und war diese eine so plötzlich tödtende gewesen? Was hätte Jacobea darum gegeben, mit Katharinen reden zu können, die nun in den Händen der Gerichte war! Wenn nun die Folterknechte Katharinen, die mehr schwach als schlecht war, zum ganzen Geständniß der Wahrheit brachten – wenn sie sagte, wer ihr das Pulver gegeben, und Jacobea selbst mit in Untersuchung kam? Wenn sie selbst gefangen würde in der Schlinge, die sie für andere gelegt, wie es eigentlich Katharinen schon ergangen war? Oder umgekehrt: wenn es gelinge, Elisabeth als Giftmischerin und Gattenmörderin zu verderben; wenn die schöne Patrizierin auch auf der Folter, wenn auch nur aus Scham oder Schmerz gleich Andern, sich als schuldig bekennen würde, auch wenn sie es nicht war? Wenn sie gerichtet würde zum Schauspiel für ganz Nürnberg? – Konnte sich Jacobea doch noch des Tages erinnern, wo man den Nikolaus Muffel nicht geschont, sondern öffentlich enthauptet hatte, trotzdem daß er Loosunger war und mithin aus den edelsten Geschlechtern stammte, und trotzdem daß Kaiser Friedrich sich für ihn verwendet hatte – konnte nicht Elisabeth ein gleiches Schicksal haben? Gab es doch genug Feinde für sie in [172] den Mitgliedern des großen Rathes, und noch mehr Feindinnen unter deren Angehörigen. Der alte Loosunger Tucher hatte es ihr gewiß noch nicht vergessen, daß sie ganz allein durch den König Max ihm die für unebenbürtig gehaltene Schwiegertochter in's Haus gebracht, noch weniger aber die Hallerin, die ihren Gatten ganz zu lenken wußte, daß ihr Elisabeth beim König und bei allen Festen den Rang abgelaufen – und so gab es außer jenen noch Rathsherren genug, die ihr grollten, entweder weil sie einen Haß auf jedes Frauenzimmer warfen, das aus der gewöhnlichen engen Sphäre einer Art von Hörigkeit heraustrat, oder die selbst früher für sich selbst oder ihre Söhne vergeblich um Elisabeth geworben – und wieder gab es außer der Hallerin noch genug Frauen, die auf Elisabeth's geistige und körperliche Vorzüge eifersüchtig waren, ihr eine Demüthigung recht vom Herzen gönnten und ihrer Hoffart immer ein unglückliches Ende prophezeit hatten. Bei solchen Verhältnissen konnte es vielleicht gelingen, wenn man die Gelegenheit zu benutzen verstand, Elisabeth als schuldig erscheinen zu lassen, auch wenn sie es nicht war, noch selbst gestand. Ja, selbst wenn Katharina so schwach sein sollte, auf der Tortur über sich selbst die Wahrheit zu gestehen, so würde sie doch gewiß [173] nicht zugeben, daß sie den Mord vorsätzlich vollführt, da sie ja in der That nicht die Wirkung des Pulvers gekannt hatte, und es war sehr wahrscheinlich, daß sie ihre Geständnisse in der Art machen konnte, daß Elisabeth zum wenigsten als ihre Mitschuldige erschien, wie es gerade damals und namentlich auch in den angrenzenden Ländern bei den Hexenprocessen häufig vorkam, daß niedrigstehende Personen hochstehende als ihre Mitschuldigen nannten, um vielleicht um diese Willen mit ihnen frei aus zugehen. Freilich war es auch wahrscheinlich, daß Katharina nicht verschwieg, wie sie zu dem Gift gekommen, und die Schuld auf Jacobea zu wälzen suchte – und wenn diese nun auch entschlossen war, standhaft zu leugnen und gewiß war, daß Katharina keine Beweise für ihre Aussage finden konnte, so erschien ihr doch selbst die Aussicht auf die Tortur, die im Hintergrund drohte, schrecklich genug.

Aber fast gleichzeitig mit dieser Nachricht empfing sie auch die, daß Weyspriach's Burg gefallen und zerstört worden sei, und daß der Burgherr selbst mit gefangen genommen. Martin Behaim war selbst in Irrthum gewesen, als er Elisabeth erzählt hatte, daß Weyspriach entkommen sei und Streitberg gefangen nach Nürnberg geführt; es war gerade umgekehrt – aber [174] wie es leicht bei solchen Ereignissen und Nachrichten und dem Erringen eines plötzlichen Sieges erging: im Triumph, der ihm folgte, waren Namen und Personen verwechselt worden.

Jacobea war mehr als einmal die Helfershelferin dieser Ritter gewesen, und ihr Sturz war auch für sie ein Schlag. Wer weiß, ob nicht auch Weyspriach Geständnisse machte, die gefahrbringend für sie waren. Aber sie kannte Streitberg. Wie schlecht er auch war und keine List oder Gewaltthat scheute zur Erreichung seiner Zwecke, Furcht oder Feigheit waren ihm fremd, und wo er jetzt auch hingeflohen sein mochte, wie sehr er auch Ursache haben möge, Nürnberg und die über ihn verhängte Reichsacht zu scheuen, so würde er nun nur um so wüthender Rache an Elisabeth zu nehmen suchen, der er alles Ueble zuschrieb, was ihm und damit auch seinem Freund widerfahren. Streitberg war noch niemals der Herr seiner Leidenschaft gewesen, aber er war nicht so niederträchtig, einen Freund und Waffenbruder in der Gefahr zu verlassen, in die er selbst ihn mitgebracht, und wenn er jetzt sein Heil in der Flucht gesucht hatte, so war es entweder in der Meinung geschehen, daß auch Weyspriach dasselbe thun könne, oder [175] in der Absicht, ihn dann noch aus derselben helfen zu können.

Jacobea erdachte und verwarf einen Plan nach dem andern, und endlich beschloß sie, zu dem Juden Ezechiel zu gehen und mit ihm sich zu berathschlagen.

Ezechiel hatte endlich zu der Ueberzeugung gelangen müssen, daß es seine eigene Tochter gewesen war, welche ihm den indianischen Raben, den er in Verwahrung genommen, entführt und mit ihm Elisabeth oder die Behaim von dem Ort in Kenntniß gesetzt hatte, wohin die geraubten indianischen Schätze gekommen wären – ja er konnte ihr kaum darüber zürnen; denn dadurch allein war ja am andern Tage das Volk abgehalten worden, die Judengasse zu stürmen, und er dadurch noch einer größern Gefahr entgangen, als die andern seiner Glaubensgenossen, da er der specielle geheime Verbündete der Raubritter war und man bei ihm leicht ihn verdächtigende Artikel hätte finden können.

Rachel hatte eingestanden, daß sie diese That gethan von Angst gepeinigt, und getrieben von der Hoffnung, gleich den erhabenen Frauengestalten aus den Geschichten des alten Testamentes ihr Volk aus einer großen Bedrängniß zu retten und im Nothfall sich für dasselbe zu opfern; aber sie hatte ein hartnäckiges Stillschweigen [176] darüber beobachtet, wie sie das gethan und zu wem sie die Kunde zuerst gebracht.

Zürnte ihr der Vater auch über ihr eigenmächtiges Handeln, so konnte er es doch nicht ganz verdammen, nach den Motiven, welche sie angab. Aber er nannte sie ein ungehorsames, ungerathenes Kind, das klüger sein wolle als sein Vater – und um sich gegen diese Klugheit zu schützen, wie er selbst sagte, hielt er sie von dieser Stunde an eingesperrt und gestattete ihr nicht anders als an seiner Seite das Haus zu verlassen.

Darum hatte sie auch Ulrich eingeschlossen gefunden.

Ein Nachbar hatte ihn kommen sehen und das Ezechiel verrathen. Ein neuer Grund für diesen, Rachel sorgfältig bewacht zu halten, aber auch in Verbindung mit den Gerüchten, die in der Stadt über Elisabeth und dem Baubruder umliefen, und die nun nicht allein von ihren Feinden verbreitet waren, zu ahnen, daß gerade er es war, welchen Rachel zum Vermittler gewählt.

Der Jude gehörte zu den Creaturen, die aus allen Dingen, wie nachtheilig sie im Anfang auch scheinen mögen, am Ende doch einen Vortheil für sich selbst zu ziehen wissen. Eigentlich hatte seine Tochter, der er, durch Jacobea aufgehetzt, nicht mehr hatte trauen mögen, ja ganz in seinem Sinne gehandelt, ihm in die Hände [177] gearbeitet. Hatte so doch Rachel eine nächtliche Zusammenkunft Ulrich's mit Elisabeth in ihrem eigenen Hause veranlaßt – wie es später durch andere übereinstimmende Nachrichten vor Ezechiel sich aufklärte – hatte sie so doch ganz einfach und schnell bewerkstelligt, was seine List vergeblich bei beiden Theilen versucht hatte, erschien es nun nach dieser Thatsache doch leicht, eine Schuld auf Beide zu werfen – zunächst auf den Baubruder, der alle Frauen meiden sollte, und doch zu gleicher Zeit an das verachtete Judenmädchen, wie an die hoffärtige Patrizierin sich drängte.

Nun hörte er plötzlich, daß diese der Verdacht traf, ihren Gatten vergiftet zu haben: wahr oder nicht, daraus mußte sich ein Vortheil ziehen lassen – ja, selbst wenn es kein specieller gewesen: für den schadenfrohen Juden lag ein großer Triumph darin, eine so vornehme Christin, die ihn und seine Dienste mit Verachtung von sich gewiesen, so gedemüthigt und in Gefahr zu sehen.

Als er gleichzeitig hörte, daß Weyspriach gefangen sei und Streitberg entkommen, sank ihm freilich der Muth. Wenn Weyspriach angab, daß, wo er den Räuber und Stehler, der Jude oft genug den Hehler gemacht, so hatte er auch für sich selbst zu fürchten. Indeß vertraute er auch noch jetzt seiner Gewandtheit[178] im Lügen und Heucheln und dem Umstand, daß er vielen Mitgliedern des großen Rathes sich unentbehrlich zu machen verstanden und immer bei seinem Handel wie bei seinen Handlungen die Politik verfolgt hatte, von Allen, mit denen er in Berührung kam, etwas zu erfahren, das sie zu verschweigen wünschten, und sie dadurch, wie er's nannte, »an's Fädchen« zu bekommen, daran er, wenn nicht sie, doch sich selbst im Nothfall halten konnte.

Als Jacobea zu ihm kam, hütete sie sich wohl ihm zu verrathen, daß die eingesteckte Katharina ihre Muhme war, und noch mehr, daß es wahrscheinlich ihr eigenes Gebräu, an dem der Herr von Scheurl gestorben.

»Meinet Ihr nicht,« sagte sie zu dem Juden, »daß wir nun dem Steinmetzgesellen Ulrich alle seine Feindschaft wider uns vergelten könnten, wenn es hieße, daß er mit Antheil an dieser Mordthat habe? Bei den freien Maurern ist ja Alles geheim – die haben gewiß auch Geheimmittel, profane Menschen aus der Welt zu schaffen, und machen sich gar kein Gewissen daraus, wenn es nur nicht welche sind von ihrer Zunft Es geschieht ihnen ja nichts, wenn sie nicht vorher aus dieser ausgestoßen werden, da sie sich nach ihren eigenen Gesetzen richten – und davon erfährt Niemand etwas, [179] weil es immer heißen soll, daß die Baubrüder besser sind als andere Leute.«

»Oho!« rief der Jude, »habe gewartet nur bis heute, da ich habe gegeben Bedenkzeit dem Ulrich von Straßburg mir zu sein zu Willen oder zu fürchten meine Rache; habe ganz andere Dinge wider ihn zu bringen, als Ihr meint – wird bald gekommen sein seine letzte Stunde. Ihn und den Hieronymus klag' ich an, daß sie im Benediktinerkloster haben fortgeholfen einem Mönch, der verurtheil gewesen zum Tode; der ist dann lange verborgen gewesen in Weyspriach's Burg, wo ich ihn habe erkannt an Sachen, die mir die Baubrüder abgenommen, und habe selbst erfahren die ganze Geschichte, die bisher nur die Leute still gemunkelt.«

»Aber was wird man geben auf das Zeugniß des Juden?« warf Jacobea ein.

Ezechiel lachte: »Giebt es doch genug Christen, die trotzdem, daß sie sich für etwas Besseres halten und meinen, sie wären alle Brüder, und ihre Religion zusammengesetzt aus lauter Liebe, eine rechte Schadenfreude daran haben, wenn sie wider einen solchen christlichen Bruder können böses Zeugniß reden, es sei wahres oder falsches. Und zumal nun eine christliche Schwester gegen christliche Schwestern – diesmal bin ich ganz gewiß [180] meiner Sache. Hab' ich Euch nicht einmal gesagt, daß die Frau Katharina Hallerin, da der letzte Reichstag hier war, hat bei mir gehabt versetzt silberne und goldene Armleuchter, damit ich ihr Geld darauf leihe – könnt' ich der erweisen einen größern Dienst als ihr Gelegenheit zu geben, die Scheurlin zu verderben sammt dem Baubruder, der Gnade gefunden vor ihren Augen, wie sie vor den des Königs?«

Wohl mußte Jacobea dem Juden zu einer solchen Verbündeten Glück wünschen, deren Vertrauen sie freilich sich verscherzt, da es ihr mißlungen war, den Goldschmied Albrecht Dürer zur Anfertigung einer Nadel für sie, wie die war, welche Frau Scheurl vom König geschenkt erhalten, zu veranlassen. Katharina Haller, die Gattin des Bürgermeisters und die Tochter des Loosunger Holzschuher, die hatte freilich Einfluß genug, einer Anklage, die sich auf Thatsachen stützte, wenn sie auch aus dem Mund eines Juden kam, Gewicht zu verleihen und Zeugen für sie zu schaffen, wenn auch ihr Gatte eher zu den Männern gehörte, welche ihre Frauen kurz hielten und die Hausfrau gern zu einer Hausmagd herabwürdigten, als zu denen, welche sich selbst ehrten durch die Ehre, die sie ihren Frauen erwiesen.

[181] Eben diese Beschränkung und dieses Kurzhalten, welches Katharina Haller von ihrem Gatten erfuhr, war die Ursache, welche sie in die Hände des Juden führte. Haller setzte theils eine Ehre darein zu sparen und sein Gut zu mehren – theils glaubte er sich für berechtigt, Alles an sich und nichts an seine Frau zu wenden, theils hielt er auch streng darauf, daß diese nicht selbst die Luxus- und Kleidergesetze überschritt, welche der Rath gegeben hatte, da sich dies für die Frau eines Bürgermeisters am wenigsten gezieme. Aber Katharina, im Bewußtsein, daß die Mitgift einer Holzschuher viel reicher gewesen, als die einer Behaim, fand es unerträglich von Elisabeth Scheurl wie in allen andern Dingen, auch in Kleiderpracht und Putz übertroffen zu werden. Da ihr Gatte ihre Wünsche hierin nicht erfüllte, so suchte sie dieselben auf allerlei Schleichwegen zu befriedigen, und als der Reichstag kam, wußte sie für sich keinen andern Rath, als von dem Trödlerjuden, der auf Pfänder lieh, sich Geld zu verschaffen. Natürlich durfte ihr Mann nichts davon ahnen und darum war die Verschwiegenheit des Juden die erste Bedingung. Er hatte sie treu erfüllt und dadurch sich mehr und mehr in ihr Vertrauen geschlichen. Daß sie von Eifersucht und Neid gegen Elisabeth Scheurl erfüllt war, wußte der Jude [182] wie fast die ganze Stadt. Das war so gewesen von der Stunde an, wo Elisabeth neben ihr vom Kaiser war erwählt worden, als die schönste Nürnbergerin Konrad Celtes zu krönen, und hatte sich mit jedem Triumph derselben gesteigert, wie viel mehr nicht da, als König Max bei seiner zweiten Anwesenheit in Nürnberg in Scheurl's Hause Wohnung nahm. Alle gehässigen Gerüchte, welche über Elisabeth im Umlauf kamen, gingen theils von der Hallerin aus, theils wurden sie doch von ihr begierig aufgefangen und mit den abscheulichsten Zusätzen weiter verbreitet.

Wie triumphirte sie jetzt, da Scheurl's plötzlicher, unerklärbarer Tod einen schrecklichen Verdacht auf Elisabeth warf. Wie bestrebte sich die Hallerin ihn zu verstärken, so viel sie vermochte, und mit ihrer bösen Zunge die Feindin als das strafbarste und verabscheuungswürdigste Geschöpf darzustellen, das es je in Nürnberg gegeben. Hatte sie vorher doch schon tausendmal bereut, daß sie vor zwei Jahren dem Ritter von Weyspriach nur um einen Preis, den er sich vergeblich bemüht hatte ihr zu gewähren, versprochen hatte, Elisabeth zu sich und damit in das Netz des Ritters von Streitberg zu locken, und daß sie es trotzdem nicht gethan; nun aber wollte sie gewiß keine Gelegenheit wieder [183] vorübergehen lassen, Elisabeth zu demüthigen, unglücklich zu machen, wo möglich ganz zu verderben.

Schon war es ihr gelungen, ihrem Gemahl die moralische Ueberzeugung beizubringen, daß Elisabeth den Gatten vergiftet habe, indem sie sagte:

»Diesen alten Geck hat das eitle Weib doch nur geheirathet, weil er reich war und sie an seiner Seite übertriebenen Aufwand machen konnte. Mit andern Männern, wie mit dem Ritter von Streitberg und dem Poeten Konrad Celtes hat sie nur freche Buhlschaft getrieben, ohne an's Heirathen zu denken: jener hatte schon eine Frau und dieser konnte keine ernähren; aber das hinderte sie nicht, sich mit ihnen einzulassen und dann schnell den Scheurl zu heirathen, damit sie nicht etwa noch in Schande käme. Der hat es nun geduldet, daß Künstler und Gelehrte in seinem Haus ein- und ausflogen wie in einem Taubenschlag, um der gefallsüchtigen Frau die Zeit zu vertreiben und ihm auf einmal den Ruf eines kunstfreundlichen Mannes zu geben, und da der König ein Auge warf auf die üppige Frau, bei der er gewiß war, in allen Stücken eine zuvorkommende Wirthin zu finden, da drückte der Mann wieder ein Auge zu, weil seine Schande ihm die Ehre des adeligen Wappens einbrachte, und so lange hat [184] vielleicht das Paar im besten Einvernehmen gelebt. Aber als Scheurl dahinter gekommen, daß ihr auch ein Steinmetzgesell nicht zu schlecht ist und sie sich nicht scheut, ihn zur Brechung seines Gelübdes zu verführen, da ist ihm doch die Geduld gerissen. Elisabeth aber, die nie einen Widerspruch dulden mag und die wieder nur so lange den alten Herrn als Gemahl sich gefallen ließ, als sie ihn ganz beherrschen und nach ihren Lüsten leben konnte, mag nun das Loos einer reichen Wittwe besser gefunden haben, als einer abhängigen Ehegattin, und hat den Gemahl auf die Seite geschafft. Du hast selbst gesagt, daß er Nachts immer betrunken aus Euren Zechgelagen heimgegangen, da mag es leicht gewesen sein, ihm einen Gifttrunk beizubringen – und das Gift mag sie auch bei der Hand gehabt haben – sagt man doch, daß ihr Bruder Martin ein neues Schlangengift mitgebracht hat.«

Wußte Haller auch recht gut, daß ein gut Theil Neid und Eifersucht aus diesen Darstellungen sprach, so gehörte er doch auch zu den Männern gemeinen Schlages, die an keine Keuschheit und Tugend, am wenigsten bei schönen Frauen glauben, eben weil sie theils selbst weit entfernt sind und in der Verführungsmacht des andern Geschlechtes eine Entschuldigung für [185] die eigene Unmoralität suchen, theils auch weil sie die Frauen zu weiter nichts fähig oder berechtigt halten, als den Männern zur Unterhaltung oder Pflege zu dienen. Es schien ihm darum nicht ganz unwahrscheinlich, daß seine Frau über Elisabeth ziemlich richtig urtheilte, und er säumte nicht, unter den Rathsherren und Schöppen diese Ansichten zu verbreiten.

Als nun Ezechiel mit seinen Anklagen und Mittheilungen über Ulrich zur Hallerin kam, so fand er natürlich bei ihr nicht nur Gehör und Glauben, sondern sie wußte auch einen ihrer Vettern Bernard Holzschuher, den sie schon immer in's Vertrauen gezogen, der selbst Schöppe und einer der einst von Elisabeth abgewiesenen Freier war, zu bewegen, daß er die Anklage wider Ulrich von Straßburg und Hieronymus erhob und zwar zuerst bei dem Hüttenmeister der St. Lorenzhütte; waren die Baubrüder aus dieser ausgestoßen, so konnte dann weiter gegen sie verfahren werden.

Für Katharina Haller war es auch beschämend und quälend, daß der Ritter Axel von Weyspriach, auf dessen Aufmerksamkeiten einst sie und Beatrix Immhof stolz gewesen, jetzt als ein Placker, Straßenräuber und Reichsfriedenbrecher verhaftet war, und daß man ihn, um ein Beispiel zu geben und die Macht der freien [186] Reichsbürger diesem herabgesunkenen Adel gegenüber zu zeigen, unfehlbar zum Tode verurtheilen und hinrichten werde. Beatrix hatte wohl persönliches weibliches Mitleid für ihn – Katharina kannte solche bessere Empfindungen nicht, aber sie schämte und ärgerte sich, mit einem Straßenräuber, der nun den Tod für seine Verbrechen leiden sollte, getanzt zu haben, und haßte den Ritter doch doppelt, weil er sie zu einem Bubenstück verleitet hatte, dessen Ausführung doch nur an Meister Dürer's Ehrlichkeit und Vorsicht gescheitert war. Wenn diese Geschichte vielleicht noch an den Tag kam, so war sie zugleich der Verachtung und Lächerlichkeit Preis gegeben – sie, die sich immer so ihrer Tugend und Unbescholtenheit rühmte, gewissenhaft auf die Befolgung der kleinlichsten Regeln der hergebrachten Sitten hielt und unbarmherzig über Alle den Stab brach, welche auch nur in den kleinsten Dingen davon abwichen, geschweige denn, wenn sie sich ein wirkliches Vergehen dagegen zu Schulden kommen ließen. Katharina sagte sich, daß, wenn es möglich sei, daß sie jetzt eine derartige Demüthigung erfahre, sie doch zuvor an Elisabeth noch eine größere erleben oder ihr bereiten müsse – es koste was es wolle.

[187] So arbeiteten die sittenstolze Patrizierin, der schmutzige Jude und die verrufene alte Kupplerin gleichzeitig an dem Untergange der edelsten Menschen, die damals in Nürnberg lebten, und die eben darum nur in feindliche Conflikte mit ihren Nebenmenschen geriethen, weil sie über die Vorurtheile derselben erhaben und ihrer Zeit vorausgeeilt waren. –

Indessen hatte die Untersuchung über den Tod Christof von Scheurl's vor den geschworenen Schöppen ihren Gang.

Elisabeth selbst hatte vermuthet, daß ihr Gemahl am Abend vor seinem Tode bei dem Propst Kreß zum Nachtmahl gewesen sei. Auf Befragen bestätigte dies derselbe, und weder für ihn noch die andern Gäste hatten die aufgetragenen Speisen und Getränke eine schädliche Wirkung gehabt, so daß man etwa auf eine zufällige Vergiftung oder ein sonst gewaltsam herbeigeführtes Unwohlsein hätte schließen können. Martin Ketzel war mit Scheurl bis an dessen Straßenecke nach Hause gegangen und erklärte, daß derselbe zwar etwas angetrunken gewesen sei, aber nicht mehr als gewöhnlich, und daß ihm sonst nichts an ihm aufgefallen; übrigens gehörten beide Herren zu denen, welche versicherten, daß Elisabeth gewiß vollkommen unschuldig sei, daß [188] Scheurl ihr in allen Stücken vertraut und mit ihr einig gewesen sei – er habe ihr nie etwas in den Weg gelegt und sie ihm nicht.

Die gefangene Magd Katharina gab in der Angst ausweichende und widersprechende Antworten. Sie schwor hoch und theuer, an dem Mord unschuldig zu sein; die Frau Scheurl aber sei auf sie eifersüchtig gewesen und wolle nun deshalb die Schuld auf sie wälzen. Die Inquisitoren mußten bei dieser Antwort lachen, da das Alter und das wenig Anziehende, welches die Inquierentin noch besaß, einen solchen Fall sehr zweifelhaft erscheinen ließen – zumal im Vergleich mit der schönen Frau Scheurl. Katharina antwortete zwar auf dieses Gelächter, dadurch empört mit der Behauptung, daß sie beweisen und beschwören könne, wie Herr Scheurl ihr zugethan gewesen – war aber dabei auch nicht so schlecht, Elisabeth der That zu beschuldigen, sondern betheuerte nur ihre eigene Unschuld.

Man hatte in ihrer Kammer den Beutel mit Gold gefunden, welchen sie von Scheurl erhalten; Elisabeth und andere Hausbewohner erkannten diesen als den Scheurl's, und Katharina versicherte, daß er ihr eben diesen gegeben, weil er Gefallen an ihr gefunden. Auf[189] die Frage, wann dies geschehen sei, antwortete sie ausweichend, daß sie das nicht genau mehr wisse.

Der Beutel aber war das gefährlichste corpus delicti.

Herr Martin Ketzel erklärte auf späteres Befragen, daß er diesen Beutel noch am Abend des Nachtmahls in der Propstei bei Herrn Scheurl gesehen – die Herren hatten gespielt, was freilich nicht mit zu Protokoll genommen ward, denn schon hatte der immer auf Alles sorgfältig bedachte Rath gewisse Beschränkungen, das Kartenspiel betreffend, erlassen, das, obwohl noch nicht lange erfunden, doch bereits in bedenklicher Weise einzureißen drohte, aber die »Genannten« kehrten sich selten selbst an die von ihnen erlassenen Verbote: – der Beutel konnte also erst nach Scheurl's Heimgange in Katharina's Hände gekommen sein.

Als man Katharina dies in einem spätern Verhör vorhielt, verwickelte sie sich in neue Widersprüche.

Diese zu beseitigen, hielt man damals die Tortur für das wirksamste Hülfsmittel.

Katharina hielt nur den ersten Grad der gräßlichen Marter aus, dann errang sie sich Erlösung von dem schrecklichen Instrument mit dem Jammerruf der Verzweiflung:

[190] »Ich will bekennen!«

Aber damit trachteten nur die unglücklichen Opfer unmenschlicher Grausamkeit sich zu entziehen. Als Katharina sich wieder frei von den Eisenstangen und Schrauben fühlte, die ihre Glieder zu zerreißen drohten, fürchtete sie gleichwohl noch eben so sehr als vorher die Wahrheit zu bekennen, und um nur etwas Neues zu sagen, sagte sie eine neue Unwahrheit.

Sie erklärte, daß sie allerdings in jener verhängnißvollen Nacht den Herrn Scheurl habe nach Hause kommen hören, und daß sie dann später noch in das Schlafzimmer seiner Gemahlin gerufen worden. Hier habe ihr diese den Beutel mit dem Gold gegeben und gesagt, sie solle morgen wieder abziehen und dafür dieses Geld erhalten, wenn sie sich dem füge, ohne weiter etwas zu sagen, auch nicht daß sie noch diese Nacht mit ihr gesprochen. Sie, Katharina, habe gemeint, dies sei aus Eifersucht der Herrin geschehen, und habe sich gefügt. Am Morgen, eben da sie ihr Bündel habe schnürren wollen, sei das Schreckliche geschehen, und man habe sie um dieses falschen Scheines Willen verhaftet.

Wenn etwas hiervon sich als wahr erwies, so bekam die Sache eine andere Wendung und der Verdacht [191] fiel auf Elisabeth – jetzt gerade um so mehr, als Katharina gar nicht versuchte ihn auf diese zu werfen, sondern sich auch dabei ganz unschuldig und unbefangen stellte – in der That auch so suchte ihr eigenes Gewissen zu beruhigen; denn Katharina gehörte eben noch nicht zu den schlechtesten Creaturen und dachte nur an Selbsterhaltung. So lange als möglich wollte sie diese versuchen, ehe sie ein anderes Wesen für sich büßen ließe. Auch hoffte sie, die angesehene Patrizierin werde vor dem Rath von Nürnberg einen bessern Stand haben, als die fremde Regensburgerin.

Jedenfalls machte diese Aussage doch ein Verhör Elisabeth's nöthig, Katharina gewann Zeit, und was in solcher Lage Alles galt: sie hatte ein paar Tage Ruhe vor der entsetzlichen Folter und ihre geschundenen Arme und Hände konnten sich wieder ein wenig erholen.

[192]

9. Kapitel. Die freien Maurer

Neuntes Capitel
Die freien Maurer

Am Tage, nach dem Ulrich am Sterbebett seiner Mutter gewesen, war er mit Hieronymus der erste vor der Bauhütte; bald darauf kam der Pallirer dieselbe zu öffnen, aber es fehlte fast noch eine halbe Stunde an der bestimmten Zeit.

Ulrich sah aus wie nach einer durchwachten Nacht und seine Augen glänzten doppelt schwärmerisch als gewöhnlich.

»Fehlt Dir etwas?« sagte Hieronymus theilnehmend; »Du bist so früh gekommen?«

»Weil ich nicht weiß, wie lange ich noch kommen werde!« antwortete Ulrich wehmüthig. »Du gehörst hier immer mit zu den Ersten, es freut mich, daß Du es auch heute bist – es drängt mich noch mit Dir zu reden.«

[193] »Du bist so feierlich!« sagte Hieronymus; »mir ließ es auch keine Ruhe heute Dich zu sehen – das Geschick der Scheurlin beunruhigt Dich doch wohl, auch wenn es nur Mitleid ist.«

»Nein,« sagte Ulrich fest, »das ist es nicht – sie ist nicht schuldig.«

Hieronymus schüttelte verdrüßlich den Kopf: »Wenn ich nicht Dein Freund wäre und Dir mehr vertraute als den Reden der Leute, so könnte ich bei dieser Behauptung Dich doch in demselben Verdacht haben wie meine Mutter –«

»In welchem?« fragte Ulrich, da Hieronymus stockte, und sah ihn fest und flammend an.

»Daß es dieses Weib Dir angethan!« sagte Hieronymus, und schlug doch die Augen nieder, weil er sich dieser Aeußerung schämte.

Ulrich lächelte: »Ihr könnt Recht haben im gewissen Sinne, nur nicht etwa in dem, der jetzt die Gemüther verwirren will mit dem Glauben an Hexen und Zauberspuk. Aber warst Du nicht der erste, der mir diese Elisabeth zeigte, nicht nur als das schönste, sondern als das aufgeklärteste Weib von Nürnberg? Und war es nicht in demselben Augenblick, als ich die Rose wegwarf, die aus ihrer Hand mich getroffen? Hab' ich [194] sie nicht gemieden wie jedes Weib, hat sie nicht dasselbe mir gethan und hat nicht Deine Mutter gleich Dir sie gerade darum gescholten, weil sie dadurch undankbar erschien? Ob eben durch dies Schelten, durch diesen ungerechten Verdacht, ob durch ihre Schönheit oder durch Alles, was ich von ihr sah und hörte, durch die Zeichen ihrer Geisteshoheit, die nur in einzelnen Zügen und Worten sich mir offenbarten – ich weiß es nicht: aber ich habe durch sie erst eine Ahnung bekommen von der Macht und Größe des Weibes – durch sie erst gefühlt, daß unser Gelübde, seine Gemeinschaft zu fliehen, ein schweres ist, das, wenn wir in allen Versuchungen treu an ihm fest halten, uns Kraft geben muß, auch jeden andern Kampf im Leben oder in uns selbst siegreich zu bestehen. Die Bewunderung, die ein schönes Kunstwerk uns einflößt, die Andachtsschauer der Verehrung, die ich zuweilen empfand, wenn ich zur Himmelskönigin betete, das Mitleid mit dem Leiden und Dulden anderer heiligen Frauen, denen wir Monumente und Altäre weihen – das hab' ich für diese Elisabeth empfunden, und rechne mir diese Gefühle nicht als Sünde an, um so weniger, als ich an ihre Tugend glaube und sie meiner Verehrung würdig finde. Ich wäre nur unglücklich, wenn ich an ihr irre werden müßte. Unser Gelübde [195] der Entsagung bereue ich darum nicht, es erscheint mir nur in einem andern Lichte: ein Freibleiben und Losgerissensein von irdischen Banden und Pflichten, die dem Genius Fesseln anlegen können, der nur frei und allein sich entfalten kann – ein Aufschwung und Aufstreben zur höchsten Freiheit, die sich selbst bewußt an das Ganze hingiebt und nur im Ideal Ziel und Schranken findet! – Sage mir, Hieronymus, wenn man mich auch beschuldigt, wirst Du an mich glauben?«

»Ich habe es gethan bis zur Stunde,« antwortete Hieronymus, »und begreife Deine Frage nicht, noch was Dich sonst so bewegt?«

»Eine Ahnung,« antwortete Ulrich, »vielleicht auch die feierliche Beklommenheit, die immer über uns kommt, wenn wir die letzte Hand an ein Werk legen, an dem wir lange gearbeitet. Sieh', diese Halbsäule mit ihrem Hochbild vorn ist bald vollendet,« fuhr er fort, auf eine solche deutend, aus der Eichenzweige hervortraten, auf welchen ein Eichhörnchen saß, zum Sprunge ausholend, indeß von unten eine Schlange emporzischte, die Eichenblätter wölbten sich oben zu einer Krone empor; »das unschuldige Eichhörnchen braucht nicht im Bann der Schlange zu bleiben,« fuhr er fort, »aber es wird doch immer so erscheinen, es kann höher klettern, im freien [196] Walde von Zweig zu Zweig sich schwingen, die drohend vorgesteckte Schlangenzunge und ihr Gift verachten, kein ekles Kriechthier vermag ihm etwas anzuhaben. So hab' ich in den Stein hinein gedichtet, woran ich jetzt zumeist gedacht.«

Die letzten Worte hörte der Pallirer, der jetzt näher zu den Beiden getreten war, und sagte: »Seid Ihr das Eichhörnchen selbst oder hab't Ihr an eine andere Person dabei gedacht?«

»Nicht an eine bestimmte Person,« antwortete Ulrich; »es ist ja kein Conterfei, sondern ein Symbol. Wer in Unschuld wandelt und doch vermag sich zu den höchsten Höhen mit kühnem Sprunge empor zu heben, den mag die Schlange irdischer Gemeinheit und Bosheit immer zu verderben drohen – ja ihn gar einmal verschlingen, wo er sie am wenigsten vermuthet: er war dennoch eines höhern Looses werth!«

Der Pallirer klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Grabet Euer Zeichen ein, man wird bei diesem Symbole Eurer selbst gedenken!« Dann wandte er sich mit einem mitleidigen Blicke ab, als habe er schon zu viel gesagt.

Die andern Gesellen und Lehrlinge waren einstweilen [197] auch gekommen und das Morgengebet ward gehalten. –

Es war ein schwüler Sommertag, eine drückende heiße Luft lag auf der Bauhütte und verbreitete in ihr einen Dunst, der Alle lässig oder beklommen machte. Nur Ulrich gönnte sich nie eine Minute Ruhe, um sein Werk zu vollenden.

In dem kleinen Gemach in der Hütte, neben dem großen Saal, in welchem die Steinmetzen arbeiteten, pflegte sich der Hüttenmeister aufzuhalten, wenn es Geschäfte zu ordnen, Contrakte abzuschließen oder eine Untersuchung zu führen gab. Es war eine Art von Comptoir. Als es um die zehnte Stunde war, ließ er Hieronymus und Ulrich hinein rufen. Neben dem Hüttenmeister befanden sich zwei ältere Gesellen, die, wie es schien, als Zeugen dienen sollten.

Der Hüttenmeister begann zu den Beiden: »Es sind schwere Anklagen wider Euch erhoben worden. Ich frage Euch im Namen Gottes, des Sohnes und des heiligen Geistes, der heiligen Dreieinigkeit, zu der sich die gesammte Christenheit bekennt – ich frage Euch im Namen des heiligen Johannes, des erhabenen Schutzpatrones und Vorbildes aller freien Maurer: wollet Ihr die Wahrheit bekennen unerschrocken und ohne [198] Menschenfurcht gleich ihm? wollet Ihr sie bekennen, auch wenn sie Euch hinaus in die Wüste führte oder in's Gefängniß, oder Euch den Tod brächte?«

»Wir wollen sie bekennen!« riefen Beide zugleich, aber bei Ulrich klang es wie der entschlossene Ruf eines Märtyrers, bei Hieronymus mischte sich etwas wie Schreck und Furcht hinein.

»Leistet den Schwur jetzt vor mir mit Wort und Hand; was Ihr ausgesagt hab't, werdet Ihr dann vor der ganzen Baubrüderschaft noch einmal bekennen müssen!«

Nach diesen Worten des Hüttenmeisters leisteten Beide den üblichen Schwur.

Ulrich ward einstweilen entlassen und Hieronymus zuerst verhört. »Du bist sammt Ulrich von Straßburg angeklagt worden, daß Ihr mit ehrlosen Juden gemeinschaftliche Sache gemacht hab't und eine Judendirne mehr als einmal nächtlicher Weile in Eurer Wohnung gewesen ist; daß Ihr mit denselben wieder im Benediktinerkloster seid zusammen gekommen und dann einen Mönch, der darin wohlverdienter Maaßen zum Tode verurtheilt gewesen ist, befreit hab't und im Kloster Andere dazu verführt, Euch bei diesem Werke zu helfen. Steh' Rede über das Alles.«

[199] Hieronymus antwortete erstaunt: »Das kann ich nicht, denn ich weiß von dem Allen nichts.«

»Gedenke Deines Eides!« mahnte der Hüttenmeister.

»Ich gedenke meines Eides und betheure meine Unschuld!« antwortete Hieronymus.«

»Ueberlege was Du sprichst! gedenke Deines Eides!« wiederholte der Hüttenmeister; »weißt Du auch nichts von Ulrich's Schuld?«

Hieronymus schwieg und blickte zu Boden. Es herrschte eine lange Pause und Stille – man hörte nur draußen das Feilen der Steinmetzen, das gerade jetzt wie ein zur Andacht rufendes Geläute ineinander klang.

Endlich sagte der Hüttenmeister wieder: »Du weißt, wir drohen mit keiner Folter, um von den Unsern Geständnisse zu erpressen; wir brauchen keine profanen Mittel und Hände, um die Wahrheit von Denen zu erforschen, die sie verbergen und verleugnen wollen – wir kennen nur eine einzige Drohung: Wer nicht freudig die Wahrheit redet und bekennt, auch wo sie ihm Schaden bringen kann, wer betroffen wird auf einer Lüge, wer nur im Kleinsten sich versündigt hat an der Heiligkeit des Bundeseides – der wird ausgestoßen aus der Gemeinschaft freier Maurer, die Profanen mögen ihn richten.«

[200] Hieronymus blickte empor und sagte flehend: »Ulrich ist mein Bruder und Freund; er hat mir das Leben gerettet mit Gefahr seines eigenen, wie Ihr wißt – ich kann nicht wider ihn zeugen.«

»Damit hast Du schon seine Anklage ausgesprochen,« sagte der Hüttenmeister ernst; »aber Du weißt auch, daß die Wahrheit bei uns herrschen muß über jedes andere Gefühl, jede andere Rücksicht; der Eid, den Du geschworen, da Du Mitglied unseres Bundes wurdest, band Dich früher als jeder andere; Du durftest gar keine andere Verpflichtung eingehen ohne diesen Vorbehalt – Bundesbrüder sind wir Alle; aber über uns Allen herrscht Einer und ein einziges Gesetz, dem zu dienen mehr gilt, als unsern Gefühlen, ja dem zu Ehren wir diese bekämpfen müssen, wenn sie einmal mit ihm in Widerspruch gerathen wollen. Stehe Rede und Antwort – vielleicht kann Dein redliches Bekenntniß Ulrich eher retten als verderben, denn seine Sache steht schlimmer als die Deine, und ich verlange nicht, daß Du wider ihn zeugest, sondern für ihn, wenn Du es kannst. Gedenke Deines Eides!«

Hieronymus begann: »Ein Judenmädchen, Rachel, hat ein paar Mal versucht sich an uns zu drängen, und da wir einmal bei einem Straßenlärm vor unserm[201] Hause ihrem Vater, dem alten Ezechiel, Hülfe leisteten, da er sonst wäre von Betrunkenen erschlagen worden, hatte sich seine Tochter in unser Haus geflüchtet, und Ulrich sperrte sie dort allein in eine dunkle Kammer, bis sie ungefährdet heim gehen konnte. Wohl fand ich es unrecht, daß er das Mädchen so lange duldete, da er uns dadurch in Schande bringen könne. Zwei Tage darauf wurden wir in das Benediktinerkloster gesandt und dann hat Ulrich nicht mehr bei mir gewohnt. Das Mädchen hatte damals einen Ring verloren, den Ulrich ihrem Vater in der Wirthschaft des Klosters wieder zugestellt hat; aber weiter hat er keine Gemeinschaft mit den Juden gehabt.«

Der Hüttenmeister frug weiter: »Und was hab't Ihr im Benediktinerkloster gethan – außer der Arbeit, die Euch zukam?«

»Ich weiß von nichts,« antwortete Hieronymus.

»Hast Du nicht den Mönch Amadeus schon vorher gekannt, der das Weihbrodgehäuse zertrümmerte?«

»Gekannt? – nein!«

»Auch Ulrich nicht? auch nicht gesehen?«

»Gesehen – ja,« antwortete Hieronymus nach einigem Zögern; »Ulrich's Schwert war vor Jahren im Gedränge an dem Rosenkranz des Mönches hängen geblieben, [202] er hatte sein Kreuz verloren, das Ulrich bewahrte, um es ihm wieder zu erstatten.«

Der Hüttenmeister lächelte ungläubig; »Ihr hattet Glück im Finden! – Wie seid Ihr im Kloster mit Amadeus in Berührung gekommen?«

»Wenn es eine Berührung war: als seine Ankläger. Wir sahen, daß das Tabernakel gewaltsam zerstört war – da hat er sich selbst als schuldig bekannt; als wahnsinnig ist er im Gefängniß an die Kette gelegt worden – weiter weiß ich nichts von ihm.«

»Kanntest Du den Novizen Konrad?«

»Er begrüßte uns als Baubruder – ich mißtraute ihm, weil er von unserer freien Kunst der Möncherei sich zugewendet, gleichviel ob es aus freiem Willen geschehen oder aus Strafe.«

»Aber Ulrich traute ihm?«

»Allerdings – es schien so.«

»Ihr seid schon zwei Mal angeklagt gewesen, Euch in Händel mit Raufbolden und Raubrittern eingelassen zu haben, die Frau von Scheurl zu beschützen,« begann der Hüttenmeister ein anderes Thema; »das erste Mal hat unser königlicher Bruder Max Euch selber freigesprochen, zum andern Male hat man es Euch um deswillen nachgesehen und Ihr seid mit einem Verweis [203] und einer Verwarnung, nicht unnütz das Schwert zu ziehen, davon gekommen – weißt Du, ob Ulrich sich weiter mit diesem Weibe eingelassen?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete Hieronymus; »Ihr wißt, wir haben seit Monaten nicht mehr zusammen gewohnt.«

»Geh' an Deine Arbeit! Wir werden weiter erfahren, ob Du die Wahrheit geredet.«

Nachdem Hieronymus mit diesen Worten entlassen war, ward Ulrich zu dem Hüttenmeister berufen.

Er wiederholte ihm die vorige Anklage und fügte hinzu: »ich hoffe, Du wirst bekennen, wie Hieronymus auch bekannt hat.«

»Hieronymus!« rief Ulrich, »er ist unschuldig; Alles, was Ihr mir da vorhaltet, ist allein mein Verbrechen – wenn es eines ist.« Und Ulrich schilderte wahrheitsgetreu, wie das Judenmädchen seinen Beistand für Andere angerufen, wie er selbst in jener Nacht sie beschützt habe, weil er in ihr das edle Streben erkannt, das Unrecht zu verhüten, daß ihr Vater oder andere Leute, von denen sie es erfahren, an Andern, an Christen hatten begehen wollen, und wie er, um Hieronymus vor jedem falschen Verdacht zu bewahren, von diesem gezogen sei. »Ich meine, ich habe kein Gelübde gebrochen,« [204] fügte er hinzu, »daß ich dieses Judenkind anhörte; so oft es kam meine Hülfe zu fordern, war es für Andere – und sonst habe ich keine Gemeinschaft mit ihm gehabt, mich fern und frei gehalten von allen Dingen, die wider unsere Statuten verstoßen.«

»Aber Du und Hieronymus,« fragte der Hüttenmeister, »Ihr habt Amadeus befreit; leugne nicht, denn ich weiß es, und Du wirst wohl ahnen, durch wen.«

Ulrich blickte auf und sagte nach einer Pause: »Ich that es, aber ich allein, Niemand außer mir hat daran eine Schuld; Hieronymus hat aus Freundschaft gelogen, wenn er sich dazu bekannt – er kann nur durch Eure Fragen das erste Wort davon erfahren haben.«

»Und wie konntest Du Dich dessen erfrechen,« sagte der Hüttenmeister streng, »wie Dich unterstehen, Dich so aufzulehnen wider die Entscheidung eines geistlichen Gerichtes und der Gerechtigkeit des Klosters ein Opfer zu entziehen? Wer eines solchen Verbrechens fähig, wie Du jetzt eingestanden, der wird keinen Gehorsam, kein Gebot der Kirche oder unserer Brüderschaft mehr heilig halten, der muß ausgestoßen werden aus der Bauhütte, die von ihren Mitgliedern Reinheit, Gehorsam und Treue fordert. Doppelt hast Du Dich versündigt, denn der, dem Du aus dem Kloster halfst, war nicht [205] allein ein Verbrecher an seinem Orden, sondern auch an uns, den Dienern der geweihten Kunst, da er eines ihrer herrlichsten Werke aus schändlichem Muthwillen zertrümmerte; solch' ein Scheusal von einem Menschen –«

»Das ist er nicht – haltet ein!« rief Ulrich außer sich.

»Er ist es!« donnerte der Hüttenmeister, »und Du bist es mit, weil Du es wagen kannst, ihn zu vertheidigen, es wagtest, um dieses Ungeheuers Willen nicht nur den heiligen Klosterfrieden zu brechen, sondern auch Dein Gelübde und damit den ganzen erhabenen Bund der Maurerei in Dir und durch Dich, als einem ihrer Gesellen zu schänden. Du brauchst Dich nun nicht mehr zu scheuen, Alles zu gestehen, denn Du kannst nichts mehr sagen, das Dich unseres Bundes unwürdiger machte, als diese That! – Geh' hinaus und zertrümmere auch Dein letztes Werk, und dann leugne noch, daß Du ein Verbrechen begangen, indem Du den Meißel gebrauchtest, diesen Heiligthumschänder zu befreien – oder hast Du auch nur ein einziges Wort zu Deiner Entschuldigung zu sagen?«

»Nur ein einziges!« antwortete Ulrich tonlos.

»Nun?«

[206] »Amadeus wäre frei ausgegangen, wenn ich nicht an dem Tabernakel die Frevlerhand erkannt und auf Untersuchung gedrungen hätte. Ich war an seinem Loose schuld.«

»Das hatte Dich nicht zu kümmern, Du hattest recht daran gehandelt und die Strafe war des Sünders würdig – das ist keine Entschuldigung für Dich.«

»Nun denn, ich habe Wahrheit geschworen – Ihr sollt sie haben; besser, daß ich so selbst ein unschuldig Schuldiger den Stab über mich breche, als daß Ihr es thut. Mein Geständniß wird mich nicht retten – aber vielleicht rettet es das Werk meiner Hände, und Ihr erlaßt mir die Strafe, die Ihr drohtet. In demselben Augenblick, da ich den Frevler am Tabernakel angeklagt, erfuhr ich, daß ich der größere war – ich entdeckte in ihm meinen Vater.«

Der Hüttenmeister hörte dies voll Verwunderung und sagte: »Das ist eine sonderbare Ausflucht; – sie ändert auch nichts an der Thatsache.«

»Ich mag dieselbe Strafe verdienen nach den Gesetzen,« sagte Ulrich, »aber vor menschlich fühlenden Herzen und christlichen Brüdern verdiene ich Entschuldigung. Ich allein trage die Schuld und bin Verantwortung schuldig; wenn man Andere angeklagt hat, [207] als hätten sie Theil daran, so hat man sich vom Scheine täuschen lassen – ich habe keine Genossen und Helfershelfer dabei gehabt, außer solchen, welche nicht wußten, um was es sich handelte.«

»Hieronymus, der Novize Konrad und sogar – der Propst Kreß sind mit Dir angeklagt!« sagte der Hüttenmeister. »Jene haben Dir geholfen Amadeus aus dem Kerker zu befreien, und dieser hat ihn hier bei sich versteckt. Ich sage Dir dies, damit Du nicht durch unnützes Leugnen die Sache in die Länge ziehst.«

Ulrich gerieth in Feuer: »Ich will es beschwören mit jedem heiligen Eid: Hieronymus ist unschuldig! Konrad hat nichts gethan, als mir den Weg zu Amadeus' Gefängniß gezeigt, ohne meine Absicht zu kennen, und der Propst – nun, Ihr wißt, der ehrwürdige Herr hat eine einzige Schwäche – er war nicht nüchtern, da ich und Amadeus ihn auflauerten und ihn zwangen, uns in der Propstei eine Nacht zu behalten. Werdet Ihr nicht lieber mich, als den allein oder doppelt Schuldigen bestrafen wollen, denn zugeben, daß über diese menschliche Schwachheit unsers Gottesjunkers verhandelt werde? Möglich, daß er Euch lieber alles Andere eingesteht, denn daß er trunken war und seiner Sinne nicht mächtig; aber ich kann es beschwören; es [208] war so.« Und nun bekannte Ulrich aufrichtig, aber alle Mitschuld der Andern mit auf sich nehmend, Alles ohne Rückhalt, was er gethan hatte.

»Du hast also selbst das Vergehen eingestanden,« sagte der Hüttenmeister. »Du mußt an das geistliche Gericht abgeliefert werden, wir haben nichts weiter mit Dir in dieser Angelegenheit zu thun. Aber es giebt noch andere Anklagen wider Dich. Man beschuldigt Dich nicht nur, daß Du das Judenmädchen habest verführen wollen, sondern daß Du Dich an die Frau von Scheurl gedrängt, oder Dich hast von ihr verführen lassen – vielleicht zum Ehebruch – vielleicht zum Mord –«

Einen Augenblick erbleichte Ulrich, denn diese Anklage kam ihm doch unerwartet. Stolz sagte er: »Solch' ungerechter Anklage gegenüber habe ich keine Antwort, als meine Unschuld zu beschwören.« Seine weiteren Aussagen über diesen Punkt stimmten mit denen des Hieronymus, und dann fügte er hinzu, daß er nur einmal in Scheurl's Hause gewesen sei und mit der Hausfrau allein gesprochen habe, als er ihr den indianischen Raben gebracht, den das Judenmädchen ihm für Jene übergeben.

[209] Der Hüttenmeister glaubte Ulrich gern, denn er hatte ihn, seit er in der Lorenzkirche arbeitete, gleich sehr als Menschen wie als Künstler schätzen lernen, und ihn oft den andern Steinmetzen als Muster vorgestellt; aber höher als der Einzelne stand ihm das Ganze der Brüderschaft und die gewissenhafte Aufrechterhaltung ihrer Statuten. Er sagte:

»Ich habe dem geistlichen Inquisitor, der Dich vorladen ließ, die Antwort gegeben, daß Du ihm heute Abend ausgeliefert werdest – wenn wir Dich schuldig befunden, als ein Ausgestoßener aus unserm Bunde; wenn wir Beweise für Deine Unschuld haben, aber als einen der Unsern, den wir vertreten werden vor Kaiser und Reich, und dem kein Haar gekrümmt werden darf, es sei denn, daß unsere oberste Behörde, der Maurerhof zu Straßburg, zuvor sein Urtheil gefällt. Draußen läutet jetzt die Mittagglocke – während die Andern gehen, bleibe hier und erwarte Dein Urtheil.«

Darauf entfernte sich der Hüttenmeister mit dem einen Beisitzer, der andere blieb als Wächter für Ulrich und Hieronymus zurück.

Die Freunde umarmten sich schweigend, da man sie wieder zusammen ließ.

[210] »Dir kann nichts geschehen!« sagte Ulrich freudig, »Du bist unschuldig.«

»O hättest Du mir mehr vertraut,« klagte Hieronymus, »ich hätte Dich besser vertheidigen können!«

Ulrich schüttelte mit dem Kopf: »Von dem Augenblick an, da ich fühlte, daß der Schein gegen mich zeugen und mich verderben konnte, mußte ich Dich meiden, mich von Dir zurückziehen, damit ich Dich nicht mit in meinen Sturz verwickelte. Nun begreifst Du wohl, warum es den Anschein hatte, als sei meine Freundschaft für Dich erkaltet – aus Freundschaft mußt' ich Dich meiden, und das Band lockern, das uns umschlang.«

Hieronymus konnte kaum sprechen und weinte an dem Halse seines Kameraden; als er sich wieder von ihm losmachen wollte, hielt Ulrich seine Hand fest und sagte: »Laß mir jetzt die Hand noch, die vielleicht in der nächsten Stunde sich mir als einem Ausgestoßenen und Beschimpften für immer entziehen muß.« –

Als der Pallirer wieder kam und die Glocke zur Arbeit rief, durften auch die beiden Baubrüder wieder mit an die ihrige gehen. Ulrich war es dabei wunderbar zu Muthe. Vielleicht war dies seine letzte Arbeitsstunde, vielleicht schwang er zum letzten Male den Meißel [211] und lenkte das Richtscheit, vielleicht war er zum letzten Male in der Hütte, vielleicht war er in der nächsten Stunde kein Baubruder mehr – mit Schimpf und Schande ausgestoßen aus dem geweihten Bund! Und seine ganze Seele hing an ihm – schlimmer als Tod war es, wenn man ihn ausstieß – und doch sah er kein anderes Loos vor sich; aber war es ihm nur gelungen, dadurch, daß er die Schuld auf sich allein nahm, die drei andern Mitangeklagten als Unschuldige darzustellen, so fühlte er in sich einen freudigen Triumph, der ihn wenigstens auf Augenblicke sich selbst vergessen machte.

Daß in dem Verhör, als Ulrich Amadeus seinen Vater nannte, der Hüttenmeister nicht weiter danach gefragt, das befremdete Ulrich. Seitdem er gestern am Sterbebett seiner Mutter gewesen, um ihren letzten Wunsch zu erfüllen, dadurch allen Zwang von sich werfend, den er bis jetzt sich angethan und seinem kindlichen Gefühl – seitdem war er darauf gefaßt gewesen, daß er über seine Eltern verhört werden würde. Nun hatte man diese Frage gegen ihn gar nicht berührt, da doch seine Erklärung, daß Amadeus sein Vater sei, schon eine Art von Geständniß war. Strahlte nicht hierin ein Hoffnungsschimmer? Hatte nicht vielleicht der Propst [212] Kreß einen Beweis gesucht und gefunden, daß Amadeus und Ulrike durch Priestersegen verbunden waren? Gab es für ihn wirklich noch eine Rettung? Der Ertrinkende in einer Fluth von Unheil sieht in der schwimmenden Strohähre einen Rettungsanker.

Da es ein Samstag war, so ward an diesem Tage eine Stunde früher als sonst zum Feierabend geläutet.

Als alle ihre Werkzeuge weggelegt hatten, pflegten sie noch zusammen zu bleiben, weil an diesem Tage jedem der Wochenlohn ausgezahlt ward. Da die Strafen für kleinere Vergehen wie Betrinken, Sichverspäten, Schimpfen u.s.w. meist in Lohnentziehungen bestanden, die dafür in die allgemeine Büchse flossen, oder in Wachs, das von den Strafbaren abgeliefert werden mußte, so wurden auch diese bei derselben Gelegenheit mit den üblichen Ermahnungen zur Besserung mit ertheilt.

Darauf erklärte der Hüttenmeister, daß das geistliche Gericht Anklage erhoben habe wider Hieronymus und Ulrich von Straßburg – daß man aber keinen Grund habe an der Unschuld des ersteren zu zweifeln, daher derselbe nach wie vor daheim bleiben und ruhig zur Arbeit kommen solle. Ulrich von Straßburg aber,[213] der sich selbst als schuldig angegeben, solle den draußen harrenden Dienern des Gerichts übergeben werden.

»Wir und die Haupthütte zu Straßburg,« fuhr der Hüttenmeister fort, »sind über ihn und seine Herkunft getäuscht worden durch falsche Zeugnisse; es bewährt sich nicht nur an ihm, daß Gott die Sünden der Väter heimsucht an den Kindern, sondern auch, daß kein Frevel an der Wahrheit ohne Entdeckung und ohne Rache bleibt. Ulrich von Straßburg war von je ein Unehrlicher und Unreiner, der nicht in unsern reinen Bund gehört: sein Vater war ein Mönch und seine Mutter eine Nonne –«

»Haltet ein!« rief Ulrich, als er auf allen Gesichtern Spuren des Abscheus, der Verachtung oder des Spottes sah; »haltet ein, meine Eltern solchen Frevels zu beschimpfen; ein grausames Geschick hatte sie getrennt, und sie wählten das Kloster erst vor zwölf Jahren, um zu büßen und zu entsagen.«

»Es mag so sein,« sagte der Hüttenmeister, »aber Dir geziemt zu schweigen; Du bist ausgestoßen aus unserem Bund! ein Unreiner, der niemals daran hätte Theil nehmen sollen. Lege dein Werkzeug hin und kniee nieder.«

[214] Ulrich gehorchte schweigend, sein Antlitz ward todtenblaß und er suchte es in seinen Händen zu verbergen.

Der Hüttenmeister stieß ihn mit dem Fuße noch tiefer nieder, schritt über ihn hinweg, spie ihn an und sagte: »Du Unreiner! wir haben keinen Theil an Dir! Unsere Hütte ist beschimpft und entweiht unsere heilige Kunst, wenn wir Dich noch länger unter uns dulden. Mögen Dich die Profanen richten, wie Du es verdienst, uns bist Du nichts mehr, denn Du bist uns zum Schandfleck geworden, und Dein Steinmetzzeichen wird vertilgt werden, wo man es nur findet!«

Bei den letzten Worten war es Ulrich, als zertrete der schwere Absatzstiefel des Hüttenmeisters sein Haupt – einen solchen Schmerz fühlte er innerlich bei diesem Spruch in dem Sitz seiner Gedanken, die hochaufstrebend schon Unsterbliches geschaffen und noch mehr zu schaffen gehofft – aber schon schritten der Werkmeister und der Pallirer auch über seine zu Boden geworfene Gestalt und wiederholten denselben Spruch:

»Wir haben keinen Theil an Dir!«

Und so folgten alle Gesellen mit demselben Spruch, schritten über Ulrich und spieen ihn an.

Jetzt kam auch Hieronymus an die Reihe. Er zögerte; da traf ihn ein prüfender Blick des Hüttenmeisters[215] – Hieronymus mußte; wenn er nicht that wie die Andern, so machte er sich zu dem Mitschuldigen und Genossen des Ausgestoßenen. Noch bleicher als dieser, der für den Freund erröthete, ward Hieronymus Antlitz, als er über ihn hinweg schritt und zitternd stammelte:

»Ich habe keinen Theil an Dir!«

Diesmal war es Ulrich, als habe der Fußtritt sein Herz getroffen und zertreten. Mochten nun noch die Lehrlinge, die unmündigen Knaben, ihre Füße über ihn heben und ihn beschimpfen; mochte nun noch mit ihm geschehen was da wollte – er hatte das Aergste erlebt: der Freund, für den er sein Leben hatte opfern wollen, der jetzt nur, weil Ulrich alle Schuld auf sich allein nahm, ganz frei ausging – der hatte auch sagen können: »Ich habe keinen Theil an Dir!« Wen gab es denn nun noch, an dessen Theilnahme er glauben durfte? –

Die traurige Ceromonie, die an diesen Akt der Ausstoßung sich knüpfte, währte zwar lange, aber endlich war sie doch vorüber.

Zwei Steinmetzgesellen hoben Ulrich auf und begleiteten ihn zur Thüre, ihm diese öffnend. Dann [216] stießen sie ihn mit den Füßen hinaus auf den Platz, auf welchem die Gerichtsdiener seiner mit Ketten harrten, und sagten: »Nehm't ihn hin! er ist kein freier Maurer mehr – wir haben keinen Theil an ihm!« –

[217]

10. Kapitel. Todesurtheile

Zehntes Capitel
Todesurtheile

Elisabeth war in ihrem eigenen Hause eine Gefangene – sie erklärte selbst es sein zu wollen, bis auch jede Spur des entsetzlichen Verdachtes von ihr genommen, den die Bosheit auf sie geworfen. Wie groß auch das Ansehen war, in welchem das Geschlecht der Behaim stand, gerade jetzt, da Martin diesen Namen auch im Ausland zu hohen Ehren gebracht hatte: so gewannen doch jetzt täglich Elisabeth's Feinde mehr und mehr Oberhand im Rath, und selbst die meisten Männer und Frauen, die ihr früher gehuldigt und geschmeichelt, verläugneten sie jetzt um so mehr, damit man im Fall, daß Elisabeth wirklich verurtheilt werde, es vergesse, daß sie einst mit ihnen freundschaftlich verbunden gewesen.

Nur Ursula und Clara Pirkheimer waren unter den Nürnbergerinnen ihr treu geblieben und suchten ihr im [218] Leide beizustehen, wenn nicht mit Rath und Trost – da sie selbst oft weniger hatten, als die geistesklare Elisabeth, doch mit den Beweisen ihrer Treue und einer Anhänglichkeit, die eben erst jetzt die erste Gelegenheit fand sich zu bewähren.

An dem Tage, an welchem Elisabeth in das Verhör beschieden ward, war Ursula auch bei ihr und sagte:

»König Max hat einen Tag nach Augsburg ausgeschrieben zum Vergleich zwischen Herzog Albrecht den Baiern und dem Kaiser Friedrich. Mein Eheherr brachte mir diese Kunde und er hofft, daß der König binnen Kurzem in Augsburg sein werde. Dorthin will er reiten und dem König sagen, wie die Nürnberger gegen Dich verfahren, und er wird keinen Augenblick zögern ihnen bessere Sitten zu lehren und Dich zu beschützen. Aber sollte Stephan vielleicht den König nicht treffen oder nicht selbst bei ihm Gehör finden, so gieb ihm die Nadel mit, die er Dir einst schenkte – jetzt ist es Deine Pflicht sie zu benutzen.«

Elisabeth blickte stolz und zürnend auf: »Welch' ein Vorschlag!« rief sie. »Was kann mir an einem Schutz liegen, der nicht ein Schutz meiner Ehre ist? Und wie möchte eine Bürgerin dieser freien Reichsstadt ein gekröntes Haupt anrufen, dem Nürnberger Rath Vorschriften [219] zu machen, die dieser nicht bedarf? Für Euch giebt es keinen Schutz als meine Unschuld, und keine Rettung als durch sie.«

Ursula sagte: »Gewiß wird sie einst an den Tag kommen, aber wer weiß, ob sich die Sache bald aufklärt! Wenn ein Fürwort des Kaisers es nur dahin bringt, daß man –«

Elisabeth schnitt die Rede vom Munde der Freundin ab und ergänzte sie in ihrer Weise: »Daß man ein Recht habe zu sagen: Da ist es doch erwiesen, daß Elisabeth Scheurl des Königs Buhlerin gewesen – wie nähme er sonst die Giftmischerin in seinen Schutz? Kein Wort mehr davon! Es ist wahrlich nicht leicht fortzuleben unter der Wucht dieses entsetzlichen Verdachtes, jeden Augenblick bereit vor rohen und hämischen Richtern zu stehen, die nur darauf lauern, ein stolzes Weib zu demüthigen: aber leichter ist es noch, als wie sich ihnen nur durch fremde Fürsprache zu entziehen, welche der Bosheit neue Waffen in die Hand drückt und uns vor uns selbst erniedrigt.«

Elisabeth blieb fest bei dieser Antwort, was auch Ursula noch dagegen reden wollte. »Wenn man nun doch keine Schonung für Dich kennt!« rief sie angstvoll, »wenn man es wagen sollte Deinen zarten Leib der [220] Folter auszusetzen – neben all' ihren Qualen den tausendmal entsetzlicheren durch die Blicke und Berührungen der gräßlichen Folterknechte! – Wenn wir nun gar nichts weiter vom König erflehen wollten als seine Fürsprache, Dir das zu ersparen?«

Wohl schauderte Elisabeth, aber sie antwortete: »Gegen solche Entehrung wird mich dieser Dolch beschützen!« – und sie zeigte einen solchen, den sie verborgen in ihrem Trauerkleide trug; »aber ich hoffe noch, daß mich dagegen auch die Fürsprache meiner Brüder, Deines Gatten und Vaters und ein paar anderer, mir noch ergebener Rathsherren bei den Schöppen schützt! Nicht mit einer andern Entehrung will ich vor der einen mich retten! – Ursula, ich beschwöre Dich! wenn die Gefühle der Dankbarkeit, die Dich für mich beseelen, wie Du mir immer sagst, Dich antreiben etwas für mich zu thun, so laß es das sein, daß Du Deinen Gemahl abhältst, zum König zu eilen und ihm von meinem Unglück zu sagen. Es ist noch ein Trost für mich, wenn er wenigstens es nicht kennt, nicht ahnt, was der Frau geschehen, die er vielleicht gerade darum vor Andern auszeichnete, weil sie ihn zwang an weibliche Tugend zu glauben!«

[221] So mußte Ursula traurig auf ihren Vorschlag verzichten, in dem sie einen Rettungsschimmer für die Freundin gesehen, der sie das ganze Glück ihres Lebens dankte.

Von ihrem Bruder Georg begleitet war Elisabeth auf das Rathhaus in's Verhör gegangen. Wer die schöne Frau so gehen sah im kohlschwarzen dunklen Trauerkleid, Hals und Arme von Krepp umschlossen, und vom Haupt herab fast die ganze Gestalt mit einem wallenden Kreppschleier umhüllt – der mußte immer gestehen, daß in dieser majestätischen Haltung und dem festen Gange, den sie angenommen, kein Schuldbewußtsein lag.

Trotz aller Mühen ihrer Feinde war nichts aufgefunden worden, sie bestimmt des Mordes ihres Gatten zu zeihen, aber eben so wenig sie von dem Verdacht desselben zu entbinden.

Sie beantwortete alle an sie gerichtete Fragen mit einfacher Kürze und Würde, und da sie sich in nichts widersprach, so konnte auch der gegen sie erhobene Verdacht keine Steigerung finden. Die Aussage Katharina's: die Geldbörse Scheurl's von seiner Gattin erhalten zu haben, wies sie als freche Lüge zurück. Sie war bereit, ihre Aussagen wie ihre Unschuld zu beschwören, [222] erklärte aber selbst, daß sie, bis die schauderhafte That an das Licht gekommen, und ihr und dem Namen ihres Gatten vollkommen Gerechtigkeit geworden, ihr Haus nicht verlassen werde.

Der Eindruck, den ihre Erscheinung in ihrer ruhigen Sicherheit und weiblichen Majestät machte, war doch ein solcher, dem keiner der Schöppen und Rathsherren, die mit im Verhörzimmer waren, sich entziehen konnte; es wagte keiner, ihr mit der Folter zu drohen, oder auch nur mit Ketten und Gefängniß; sie lasen auf ihrer reinen Stirn die Reinheit ihres Gewissens, sie behandelten sie mit Achtung, trotz allen Vorsätzen, welche Einige vorher daheim gefaßt, ihre Verachtung der stolzen Frau empfinden zu lassen und sie recht tief in den Staub zu treten. Sie ging so stolz und frei fort, wie sie gekommen – und doch auch so niedergedrückt und bange athmend: denn sie war ebenso wenig frei gesprochen worden als schuldig erklärt.

In diesem Zustand verging ein Tag nach dem andern. Denn nur in gewissen Fällen übte der Rath von Nürnberg schnelle Justiz: wenn es nämlich seinen Ruf und sein Recht nach Außen zu wahren galt, namentlich dem Adel, Fürsten und Herren und unruhigen Grenznachbarn gegenüber. Dann eilten die gestrengen Herren [223] von Nürnberg zu zeigen, daß Niemand sie ungestraft kränken und beleidigen dürfe, und daß sie sehr wohl die Leute wären, auf Ordnung zu halten im Reich, sich selbst Recht zu sprechen und zu schützen gegen die Uebergriffe Solcher, die sich dünkten mehr zu sein als die ehrsamen Reichsbürger, und von diesen doch nur Placker und Straßenräuber, Landfriedenbrecher und Ritter von Habenichts genannt wurden, wenn sie auch noch so stolze Embleme in ihrem Wappen führten.

Diese schnelle Justiz erfuhr der Ritter Axel von Weyspriach an sich. Es war erwiesen und er selbst hatte gar kein Hehl daraus gemacht, daß er lange Zeit in seiner Veste nur von Straßenraub gelebt, und daß er den friedlichen Handelsleuten, die aus oder nach Nürnberg ihre Wagen und Waaren an dem ihm zugehörigen Wald vorüberführten, aufgelauert und einen Theil ihrer Waaren oft als Lösegeld genommen hatte, daß er die Leute selbst ungefährdet ziehen ließ oder ihnen nicht Alles nahm. Oft jedoch waren seine Ausfälle minder gemüthlicher Art, und es kam dabei auf einige Todte nicht an, wenn durch solchen Raubmord nur ein einträgliches Geschäft gemacht ward. Ja, die meisten Ritter rechneten sich solche Thaten nicht etwa als verbrecherisch und ehrlos an: im Gegentheil, dergleichen war ihnen [224] mehr ein Scherz, ein Recht des Stärkeren, ein Sieg ihres ritterlichen, kühnen Unternehmungsgeistes, dem stillen Krämergeist der Städter gegenüber; den Spießbürgern geschah ganz recht, wenn sie um ihr Eigenthum kamen – warum wollten sie jetzt so hoch hinaus und es in Allem dem Adel gleich oder zuvor thun! Ja, diese Raubanfälle steigerten sich um so mehr zum Heldenthum, als sie jetzt durch den von Kaiser Friedrich gegebenen und vor Kurzem auf neue acht Jahre verlängerten Landfrieden, auch eine Auflehnung waren gegen Kaiser und Reich. Die trotzigen Ritter, die sich durch die neue, zu Gunsten des Bürgerthums sich wendende Ordnung der Dinge in ihren Rechten sehr beeinträchtigt sahen, setzten eine Ehre darein, zu beweisen, daß sie sich an kein neues Gesetz zu binden brauchten und daß sie noch zeigen wollten, wer mehr Macht habe im Lande: die Bürger oder der Adel – und die Gefahr reizte nur zu um so frecheren Handlungen.

Als Weyspriach und Streitberg mit dem Führer jenes Waarentransportes von Augsburg zusammengetroffen waren, der so wundersame Geschenke für die Behaim und Scheurl enthielt, so geschah es im doppelten Interesse, ihn aufzulauern: einmal um dieser Gegenstände Willen, und dann um sich dadurch an Elisabeth [225] zu rächen. Das ahnten sie freilich nicht, daß nun die Herren von Nürnberg einmal Ernst machen würden, die Ritter als Thäter entdecken, verklagen, belagern, in die Reichsacht erklären – und schließlich wirklich in ihre Gewalt bekommen.

Als der Raub geschehen war und die Ritter nicht alle Kisten mit sich hatten fortschleppen können, waren einige derselben im Walde vergraben worden, um sie einmal bei gelegener Zeit mitzunehmen. Ezechiel und Rachel waren gerade auf einer ihrer Wanderungen über Land vorüber gekommen, und man hatte den Juden, um sich seiner zu versichern, zum Theilhaber an dem Verbrechen gemacht. Damit er schweige, hatte man ihm einen Sack mit werthvollen Kleinigkeiten geschenkt, und unbedacht auch den indianischen Raben, den Rachel aufgefangen. Nicht lange darauf mochten ihn Leute, die bei Ezechiel Geschäfte hatten, dort bemerkt haben; aber die Christen, welche dies thaten, schämten sich einzugestehen oder selbst zu verrathen, daß sie mit dem Juden in irgend welcher Berührung waren, und so verbreitete sich nur ganz im Allgemeinen und ohne bestimmte Angabe das Gerücht: die Juden hätten die indischen Schätze. Ezechiel selbst war gerade über Land auf ein paar Tage, als das Murren des Volkes wider die Juden [226] drohend ward. Rachel's Bruder Benjamin wollte den Vogel, der zum Verräther werden konnte, erwürgen und vergraben; Rachel war aber mit ihm verschwunden, und wagte doch erst lange nicht zu gestehen, wie und durch wen sie ihr Volk gerettet. –

Da Weyspriach gefangen in Nürnberg war und ihm in der Eile der Prozeß gemacht ward, suchte er sich wenigstens noch dadurch zu rächen, daß er Alles an das Licht brachte, was vielleicht die Nürnberger Herren in einige Verlegenheit setzen konnte. Er erklärte den Juden Ezechiel als seinen Verräther, nachdem er den Helfershelfer gemacht, da Niemand als er in Nürnberg wissen konnte, wohin man die Kisten gebracht – er habe es wohl der Frau Haller gesagt, deren ergebener Diener und Freund er ja sei. Ebenso werde es wohl die alte Jacobea gewußt haben, in deren Hause die Frau von Scheurl schon manches verliebte Abenteuer mit dem Steinmetzgesellen gehabt, und von deren Hand sie wahrscheinlich auch das Gift empfangen habe, mit dem sie ihren Gemahl beseitigt – denn darauf verstehe sich die alte Hexe wie Niemand sonst.

Die Folge dieser und anderer Aussagen von ihm war, daß man wenigstens den Juden Ezechiel und die alte Jacobea einziehen mußte. Indeß konnte doch ihre[227] Schuld oder Mitschuld keinen Einfluß auf Weyspriach's Geschick haben; er hatte sein Leben verwirkt, man wollte einmal ein Exempel statuiren: er ward verurtheilt lebendig gerädert zu werden, welches Urtheil dann durch besondere Gnade in den Tod durch das Schwert verwandelt ward.

Wohl waren damals Hinrichtungen an der Tagesordnung und das Volk war an blutige Auftritte gewöhnt – aber lange war es nicht vorgekommen, daß ein Ritter, ein Herr vom Adel war gerichtet worden. Der Bürger und Bauer hatte sein besonderes Ergötzen daran, daß auch einmal Einer, der ein stolzes Wappen trug, dem Henker verfiel. Der Tod durch dessen Schwert war überdies die ehrenvollste Todesstrafe, und sie war darum mit um so größerem Gepränge vollzogen und lockte die meisten Schaulustigen herbei. Viel gebräuchlicher war es, gemeine Verbrecher am Galgen aufzuknüpfen, zu rädern oder zu säcken, auch lebendig zu vergraben und zu pfählen, wobei ein förmlicher Wetteifer der Grausamkeit bei Verordnung und Vollziehung dieser und anderer gräßlichen Strafen stattfand.

Ganz Nürnberg war auf den Beinen, müssig und geputzt wie an einem Festtag, um den gefährlichen Straßenräuber sterben zu sehen, den Viele kannten, weil [228] er sich bei König Maxens Anwesenheit mit unter dessen Gefolge gemischt und mit den ehrsamen Nürnbergerinnen getanzt hatte. Gerade dadurch, daß sie nun seiner Enthauptung zusahen, meinten sie von sich selbst jeden Schimpf abzuwaschen und den seinen zu erhöhen. Auch Beatrix Immhof und die Hallerin fehlten nicht unter ihnen an den dicht besetzten Fenstern des Marktes; die Hallerin hatte zumeist Ursache ihre Verachtung zu zeigen, denn Weyspriach's Aussagen über ihre feindlichen Pläne gegen die Scheurl und die Gunst, die sie ihm selbst erwiesen, waren zu den Ohren des Rathsherrn Haller gekommen und machten ihm nun ihre Bemühungen, Elisabeth als schuldig erscheinen zu lassen, doppelt verdächtig, so daß ihm nöthig schien, zur äußersten Vorsicht und Rücksicht zu rathen. –

Das Läuten des Armensünderglöckchens, momentane Stille, dann Trommelwirbel und ein Aufschreien aus tausend und abermals tausend Menschenkehlen verkündete, daß der Henker sein Werk vollendet hatte. Ja, sie jubelten, die guten, gesitteten Nürnberger: es war der Triumph des Bürgerthums über das Raufboldthum der Ritterschaft, die sich selbst um ihr einstiges Ansehen gebracht – aber noch mehr war es das Aufheulen einer blutgierigen Bestie, die nach Blut dürstet und sich freut [229] wenn sie welches gesehen. So war das Volk in diesem Augenblick, so jedes menschlichen Gefühls und höheren Gedankens baar – ein Ungeheuer, das sich in seiner natürlichen Wildheit zeigte. –

Auch Elisabeth vernahm diese Trommelwirbel und dieses viehische Gebrüll, so abgelegen auch ihr Haus von dem Platz des Blutgerüstes war und das Zimmer, in dem sie weilte. Clara Pirkheimer war bei ihr und hatte ihr in derselben Stunde erzählt, was ihre Schwester Charitas im Kloster der heiligen Clara erlebt, wie sie in der Nonne Ulrike, Ulrich's von Straßburg Mutter entdeckt, und diese dann nicht eher habe sterben können, bis sie den Sohn auf ihrem Sterbebette gesegnet.

»Und jetzt höre ich,« fuhr Clara fort, »daß Ulrich aus der Bauhütte ausgestoßen ist und gefangen fortgeführt worden – ich weiß nicht, welches Verbrechens man ihn zeiht!«

Elisabeth hatte mit steigender Theilnahme zugehört; sie erbleichte und erröthete während dieser Erzählung – und jetzt, da der Trommelwirbel tönte, der das Ende eines Opfers der strafenden Gerechtigkeit verkündete, zuckte sie zusammen – in demselben Augenblick erfaßte sie die Vorstellung mit der furchtbarsten Angst: wenn Ulrich auch ein solches Opfer wäre? – Aber nein! [230] das war unmöglich! Wenn Ulrich ein Schuldiger war, der ihr so rein und heilig erschienen, wie der heilige Johannes selbst, dem er diente, dann gab es nur noch lauter Verbrecher in der Welt! Wer konnte es wagen ihn anzuklagen? Wie konnten die freien Maurer, deren Zierde und erster Künstler er gewesen war, ihn ausstoßen aus ihrer Genossenschaft, wenn sie nicht irgend eine Schuld an ihm gefunden? Aber wieder: sie selbst war ja auch eine Unschuldige – und doch hatte man den Verdacht eines Verbrechens auf sie geworfen, vor dem ihre reine Seele schauderte!

Zwei Mal hatte er sein Leben für sie gewagt – jetzt war es an ihr, jetzt mußte sie Alles versuchen ihn zu retten! Auf einmal blitzte ein Gedanke in ihr auf. »Wißt Ihr, ob König Max schon in Augsburg ist?« fragte sie.

Clara antwortete: »Ich glaube es« – aber sie begriff nicht, wie Elisabeth in demselben Augenblick eine müssige Frage nach dem König thun konnte, wo sie gemeint hatte, sie sei ganz ergriffen von Ulrich's Geschick – und darum fügte sie nichts weiter hinzu.

Aber Elisabeth sagte: »Ich muß ihn retten, es ist meine Pflicht und ich hoffe, es ist in meiner Macht. Da mich der König mit der Nadel beschenkte, knüpfte [231] er das Versprechen daran, daß ich, wenn ich einmal etwas von ihm zu bitten habe, ihm nur die Nadel zu zeigen brauche, um gewiß zu sein, daß er meinen Wunsch erfüllt. Ist es nun nicht schon zu spät, so kann ich Ulrich retten; denn in wessen Händen er auch ist: des Königs Fürwort muß ihn befreien – muß ihm auch bei den Baubrüdern die verlorene Ehre wiedergeben; Max ist ja selbst ein Baubruder und wird sich Ulrich's von Straßburg noch gar wohl erinnern.«

»Ihr wolltet diesen Schritt für Ulrich thun?« rief Clara staunend; »Ihr könntet das wollen?«

Elisabeth fuhr zusammen – sie war ja selbst eine Gefangene! In diesem Augenblick hatte sie das vergessen, sie hatte ja überhaupt sich selbst vergessen, ihr eigenes trauriges Geschick über das eines andern theuern Wesens – nach edler Frauenart. Was sie erst selbst zu Ursula gesagt, da diese um ihretwillen zu König Max hatte senden wollen, das mußte sie jetzt sich erst von Clara sagen lassen – und mehr als das! sie fügte noch hinzu:

»So wißt Ihr nicht, wie die Rede Eurer verruchter Feinde in Nürnberg geht? daß diejenigen, die den schrecklichsten Verdacht auf Euch werfen, auch noch hinzufügen: [232] Ihr hättet die gräßliche That vielleicht um dieses Baubruders Willen gethan?«

»Herr des Himmels!« rief Elisabeth und verhüllte ihr Gesicht.

»Verzeiht mir!« sagte Clara; »ich würde Euch die Kränkung dieser Rede erspart haben, wenn es nicht hätte geschehen müssen, Euch Schlimmeres zu ersparen. Ihr dürft diesen Schritt nicht thun!«

Elisabeth richtete sich groß und feierlich nach einer langen Pause auf. Mit Hoheit sagte sie: »Ich werde diesen Schritt thun und wenn man mir nicht selbst gestattet mit sicherem Geleit gen Augsburg zu reisen, so werde ich Stephan Tucher's Vermittlung annehmen. Wenn ich ein Mittel habe, einen Unschuldigen zu retten, und nütze es nicht, dann bin ich vor Gott und mir selbst die verworfene Mörderin, zu der dieser hochweise Rath vor der Welt mich machen möchte. Der Schein hat mir stets weniger gegolten als das Sein, und wo ich ihn bewahren wollte, da ist er mir und andern nur zum Fluch geworden! – Der Propst Kreß,« fragte sie später, »sagtet Ihr, sei sein Oheim? Ich muß ihn noch heute sprechen, er wird mich näher über Ulrich unterrichten können – vielleicht mich zum Könige begleiten.«

[233] Noch war Clara bei Elisabeth, als Martin und Georg Behaim kamen, begleitet von Stephan Tucher, seinem Vater und auch dem andern Loosunger Herrn Holzschuher.

Was wollten die beiden Loosunger bei ihr mit der freundlichen Amtsmiene? Sie richtete sich stolz empor und trat ihnen mit imponirender Würde entgegen.

Die beiden alten Herren verneigten sich, küßten Elisabeth's Hand und Georg sagte: »Heute ist ein Tag, an dem die Behaim endlich gerächt und gerechtfertigt worden. Der Ritter, der uns so frech bestohlen, hat durch das Schwert geendet, und durch ihn hat es sich sichtbar gezeigt, wie die Heiligen noch Macht haben, das Werk der Teufel zu zerstören und an's Licht zu bringen und gut zu machen, was die Gottlosen beschlossen hatten böse zu machen.«

»Ihr werdet gerechtfertigt sein und Euer seliger Eheherr gerächt!« sagte der alte Herr von Tucher. »Wir kommen selbst zu Euch, um die Ersten zu sein, Euch dazu unsern Glückwunsch zu bringen und Euch unserer Ehrerbietung zu versichern.«

Sie meinten Elisabeth in einen Freudensturm ausbrechen zu sehen oder ein Wort des Dankes von ihr zu erhalten – aber sie sagte ruhig, als habe sie diese[234] Ueberraschung längst erwartet: »Ich war auch nahe daran zu verzweifeln an diesem hochedlen Rath von Nürnberg, der ohne Ursache und Recht es wagen konnte, die Wittwe eines ihrer Mitglieder unglimpflich zu behandeln.«

Herr Holzschuher biß sich in die Lippen; er meinte, daß sie doch außerordentlich glimpflich mit einer Verdächtigen verfahren seien – sie hatten ihr Gefängniß und Tortur erspart! Und nun erzählte Herr Tucher in langer förmlicher Rede, wie Katharina auf der Folter endlich Alles eingestanden, was sich wirklich ereignet hatte – wie sie geglaubt, das Gift, das ihr die alte Jacobea gegeben, sei nur ein Schlaftrunk. Man habe sich dieser bemächtigen wollen, aber sie sei nicht aufzufinden gewesen. Der Ritter von Weyspriach hatte dieselbe Jacobea als Hehlerin, Kupplerin und Giftmischerin angegeben, wie auch, daß sie in einer Waldhöhle, die er genau beschrieb, einen Schlupfwinkel habe für sich und geraubtes Gut. Dort hatte man sie aufgegriffen. Zwar hatte es lange gedauert, ehe sie gleich Katharinen bekannte, aber endlich hatte sie doch die Folter nicht länger ertragen, die ganze Wahrheit war an den Tag gekommen und dadurch Elisabeth's Unschuld.

[235] Beide Frauen wurden zu einem schimpflichen Tode verurtheilt: sie sollten gesackt werden und von der Brücke in die Pegnitz geworfen – um auch durch diese Todesart die venetianische Gesetzgebung nachzuahmen. Durch Elisabeth's Fürsprache für Katharina ward es erlangt, daß sie ihren Sohn Konrad vor ihrem Tode noch sollte sehen dürfen.

[236]

11. Kapitel. Des Narren Gnadenspende

Elftes Capitel
Des Narren Gnadenspende

Das Schrecklichste war Ulrich geschehen: er war ausgestoßen aus dem heiligen Bruderbund der freien Steinmetzen, dem er seine ganze Seele und sein ganzes Leben geweiht hatte – was nun noch geschehen mochte, kümmerte ihn nicht mehr. Ob er lebendig begraben werden und verhungern sollte, vielleicht in demselben grauenvollen Gewölbe, dem er seinen Vater entrissen; ob er bestimmt war, auf einem Holzstoß zu enden, ein Opfer unseliger Vorurtheile – welche Marter und Qual man sonst für ihn ausgesonnen, das ließ ihn gleichgültig. Die gräßlichste Marter hatte er erlebt – das war da gewesen, als man in der Bauhütte ihn verurtheilte und sich von ihm lossagte, als jeder Baubruder einzeln und auch sein Freund Hieronymus zu ihm sagen konnte: »Ich habe keinen Theil an Dir!«

[237] Für ihn schien es kein Wesen mehr zu geben, das Theil an ihm hatte! Auch der Propst Kreß, sein Ohm, mußte sich von ihm gewendet haben. Während seiner Verurtheilung war er wieder krank und nicht mit in der Hütte gewesen; aber wie Ulrich erfuhr, hatte der Propst über Ulrich's Herkommen, das dieser aller dings selbst verrathen, die ausführlichste Aufklärung gegeben, in der Bestürzung, in die er gerathen, als er fand, daß die längst geführte Untersuchung nun nicht mehr zu unterdrücken war. Sich selbst stützte er außer auf seine geistliche Würde auf das Recht des Stärkeren, das Amadeus und Ulrich gegen ihn geübt, und dem er unterlegen sei. So war ihm der Propst ein freundlicher Gönner im Glück, ein Beistand und Berather auch in der Noth gewesen, so lange er sie glaubte von Ulrich und sich abwenden zu können; aber da trotz seiner Warnungen und Versuche, dem Unheil zu begegnen, es endlich doch über Ulrich kam: da nahm er es an, daß dieser alle Schuld sich selbst auflud – und suchte sich selbst davon zu befreien.

Um Vater und Mutter litt Ulrich diese Qual. Ein Leben voll ungestillter Sehnsucht nach dem Sohne hatten sie geführt; redlich mit sich gekämpft, um seinetwillen auf ein Wiedersehen mit ihm zu verzichten, damit er [238] nie das unselige Geheimniß seiner Geburt erfahre – und nun, nach so langer Zeit hatten sie es doch verrathen! Nun hatten die segnenden Elternhände auf seinem Haupt geruht – es waren nur Augenblicke gewesen voll Kampf und Qual und Wehmuth – und wie theuer waren sie erkauft! Wie hatte Ulrich nur allein seiner hohen Kunst gelebt! wie war ihm jede Versuchung leicht gewesen zu überwinden, die ihn einmal zum Niedern ziehen wollte, schon allein durch diesen heiligen Schwung seiner Seele, die vom Gemeinen und Rohen sich abgestoßen fühlte! Wie redlich hatte er mit sich gekämpft, wenn die Versuchung kam in einem reizenderen Gewande, mit einem Blick, der auch zum Himmel flog, in ihm den seinen zu begegnen – aber doch in irdisch schöner Form, an die er nie sich hingeben durfte! Der Schwärmerei widerstand er nicht, aber sie machte ihn nur begeisterter und wärmer und lockte ihn zu keiner Sünde. Nur der Versuchung, die von Elternhand ihm kam, hatte er nicht zu widerstehen vermögen. So wenig wie sein Dasein überhaupt ein Verbrechen war vor Gott, da es die Welt und zumal die Satzungen des Bundes, dem er angehörte, es doch dem Unschuldigen selbst dazu machten: so wenig war ein Verbrechen vor Gott, wenn der Sohn den Vater vom entsetzlichsten Tode [239] rettete, als dessen Ursache er sich selbst anklagen mußte; aber es war ein Verbrechen vor der Welt und vor dem Gericht, daß er ihm ein Opfer entzog. Er war vor sich selbst auf der Hut gewesen, nicht nach seiner Mutter zu forschen, und da er erfuhr, wie nahe sie ihm war, und in's Claragäßlein zog, um ihr noch näher zu sein: da hatte er dennoch jeder Versuchung widerstanden, sich und sie zu verrathen; aber wie hätte er mögen die Mutter auf dem Sterbebette sich vergeblich nach ihm sehnen lassen – wie hätte er mögen dem eigenen Sehnen widerstehen, den letzten Segen seiner Mutter zu erhalten? Nun war es geschehen – nun war es vorbei; er hatte keine Mutter mehr, und ihr Segen war ihm doch zum Fluch geworden, der flüchtige Vater ahnungslos ihm selbst zum Verräther!

Er hatte nichts gewonnen und Alles verloren.

Als man ihn vor dem geistlichen Gericht verhörte, bekannte er wieder, was er vor dem Hüttenmeister bekannte.

Sein Urtheil lautete in erster Instanz auf Tod durch das Feuer. Er vernahm es mit ruhiger Resignation. Mochte mit ihm geschehen, was da wollte – er gehörte ja nicht einmal in das Leben – seine bloße Existenz ward ihm ja schon zum Verbrechen angerechnet. [240] Er hatte von aufgeklärten, begeisterten Männern sprechen hören, die in Kostnitz noch vor seiner Zeit den Flammentod für ihre Ueberzeugung erlitten und auf dem Holzstoß noch fromme Triumphgesänge angestimmt hatten. Hätte er doch auch so leiden dürfen für eine höhere Idee! Aber aus dem schönsten und freiesten Bunde, der zu seiner Zeit bestand, aus einem kunstgeweihten Leben war er ausgestoßen worden, nur um eines blinden Vorurtheils Willen – und sterben sollte er für eine That, zu der sein Gewissen und natürliches Gefühl ihn gedrängt. Das war es, warum er nur bitter lächelte und nicht freudig, da ihm das Todesurtheil verkündet ward.

Aber es konnte noch nicht sogleich vollzogen wer den, denn die Schöppen vom Nürnberger Stadtgericht bedurften seiner als Zeugen im Prozesse wider die Juden. –

Der Rath von Nürnberg trachtete danach eine Gelegenheit zu ergreifen, sich der Juden für immer zu entledigen. Konnte zu den vielen Anklagen, welche gegen sie vorlagen, sich nun noch die gesellen, mit den Raubrittern geheime Verbindungen unterhalten zu haben, so hoffte der Rath endlich vom Kaiser die Erlaubniß zu erhalten, die Juden ganz und für immer aus der [241] Stadt zu vertreiben. Es durfte daher nicht versäumt werden, neue Schuldbeweise gegen sie vorzubringen, und dazu sollte nun auch Ulrich mithelfen. Denn Martin Behaim, der von Elisabeth erfahren, daß sie Ulrich's Kunde die Rettung seiner Schätze verdanke, wollte sich ihm dankbar erzeigen, und hatte ihn als den Ueberbringer des Vogels genannt. Es war wichtig von ihm zu erfahren, wie er in den Besitz desselben gekommen, und ob er wirklich, wie man munkelte, »diese Nachricht einer hübschen Judendirne abgeschwatzt« und welche Beweise er für die Betheiligung der Juden an jenem Raub etwa zu schaffen wisse.

Indeß hatte Elisabeth Scheurl den Propst Kreß gesprochen und von ihm erfahren, wie es um Ulrich stand. Er jammerte ihn – aber da er nicht absah, was er selbst thun konnte, das Geschick des ausgestoßenen Baubruders zu mildern, war er nun selbst auf der Hut das seinige nicht mit ihm zu verknüpfen; sah er aber ohne Gefahr für sich selbst eine Möglichkeit Ulrich zu retten, so war sie ihm tausendmal willkommen. Als ihn daher Elisabeth für ihr Vorhaben in's Vertrauen zog und dafür wieder Vertrauen von ihm verlangte, da gab er es ihr mit Freuden und verheimlichte ihr nichts, was ihr bei ihrem Vorhaben förderlich sein [242] konnte. So ernst und heilig ihm die Sache war – es spielte doch ein schlaues Lächeln um seinen Mund: er behielt doch recht, daß der Baubruder vor den Augen der stolzen Elisabeth Gnade gefunden; daß die Angst, welche sie um ihn empfand, der Entschluß, auch das Aeußerste zu seiner Rettung zu versuchen, mehr war als Dankbarkeit – ja, er ging in seinem Mißtrauen noch weiter: er begriff wohl, daß Elisabeth's unbegrenzter Stolz ihr nicht erlaubt hatte die Hülfe des Königs für sich selbst anzurufen, da sie derselben bedurft hätte, daß sie nicht ertragen mochte, sich ihm verdächtigt und erniedrigt zu zeigen – aber er dachte, daß sie wohl gern eine Gelegenheit benutze, König Max wieder an sich zu erinnern.

In der That war es eine günstige Zeit, in welcher sie nach Augsburg kam. König Max hatte eben eine der schönsten Handlungen seines Lebens gethan: einen unheilvollen Krieg im Herzen Deutschlands und deutscher Heere wider einander verhindert und damit gleichzeitig inmitten der eigenen Familie endlich Frieden und Versöhnung gestiftet.

Der schwäbische Bund hatte, dem Aufruf Kaisers Friedrich gehorsam, wider den Baiernherzog Albrecht, seinem Schwiegersohn, der sich ohne sein Wissen und [243] Willen mit Friedrich's Tochter Kunigunde vermählt hatte, ein mächtiges Heer in's Feld gestellt, in welchem 2150 Reiter, 18,000 Mann Fußvolk und 57 Kanonen, von freien Rittern und Knechten aber 1600 gezählt wurden. Da erkannte Herzog Albrecht die Bedenklichkeit des Streites. Er sprach die Hülfe seiner Vettern, der Pfalzgrafen an, doch selbst Herzog Georg von Landshut schrieb ihm ab und gab sogar die ihm verpfändete Markgrafschaft Burgau heraus, um nur den Frieden des Kaisers zu behalten. Er schrieb an die Reichsstände und erbot sich vor dem römischen Könige, vor den Kurfürsten von Mainz und Trier, dem Grafen Eberhard von Würtemberg, ja selbst vor des Bundes Häuptern wegen Regensburg vor Recht zu stehen: aber das Reichsheer achtete nur auf den Befehl seiner Führer, namentlich des Markgrafen Friedrich von Brandenburg, und bewegte sich vorwärts. Bei Stadel, wo die Herzöge Wolfgang und Christoph mit 200 Mann zu Pferde und einigen Hundert Mann Fußvolk hinzustießen, ward eine Brücke über den Lech geschlagen und das Heer hinübergeführt. Es nahm ein Lager bei Kaufring, unweit der schlagfertigen Baiern ein.

In diesem Augenblicke, wo man eine blutige Schlacht zweier deutscher Heere gewärtigte, erschien König Max [244] im Lager und verkündigte, daß er einen Tag nach Augsburg zum Vergleich dieser Sache angesetzt habe, und daß Herzog Albrecht denselben mit der Absicht beschicken wolle, den Wünschen des Kaisers Genüge zu leisten. Brüderlich und dringend hatte Max seinen Schwager ermahnt, dem Unglück des deutschen Vaterlandes, auf dem ohnehin große Noth und Theuerung lastete, durch verständige Nachgiebigkeit Einhalt zu thun, es nicht geschehen zu lassen, daß durch den Trotz der Fürsten Tausende ihrer Tapfern in den Tod gejagt würden, ohne dem Vaterlande einen Gewinn zu bringen. Seine Schwester Kunigunde hatte ihre Bitten mit den seinigen vereinigt, und so gab Albrecht endlich nach. Von frohen Hoffnungen beseelt kam Max in das Lager des Reichsheers, und nachdem er von dem Markgrafen Friedrich einen Waffenstillstand erlangt, nahm er die Bundeshauptleute Hugo von Wartenberg undWilhelm Besserer mit sich nach Augsburg, wo Herzog Georg schon mit Vollmacht seines Vetters Albrecht wartete und auf die an diesen gestellte Forderung solche Sicherheit gab, daß noch vor Ende des Waffenstillstandes der kaiserliche Fiskal Johann Keßler dem Heere den Austrag des Streites und die Einstellung der Feindseligkeiten verkünden konnte. –

[245] Wie freute sich Max, daß es ihm endlich gelungen war die Seinen zu versöhnen, woran er seit acht Jahren vergeblich gearbeitet hatte! Keine Stunde länger als nöthig mochte er im prächtigen Augsburg bleiben, sondern wollte zu Herzog Albrecht eilen, um ihn und Kunigunden mit sich nach Linz zu führen zu dem greisen Vater, damit er vor seinem Ende noch segnend die Hand auf das Haupt der erst verstoßenen Tochter lege und zum ersten Male ihren Gatten als Sohn willkommen heiße! –

In diesem Augenblicke war es, als Elisabeth von ibrem Bruder Georg und Stephan Tucher begleitet in Augsburg eintraf. Schon war der König zur Abreise gerüstet und saß mit Kunz von der Rosen beim Frühstück, um noch einen kräftigen Imbiß mit auf den weiten Weg zu nehmen. Noch einmal stieß dieser fröhlich mit ihm an auf das gelungene Friedenswerk – da trat ein Edelknabe hastig ein, so daß Max aufbrechend rief: »Nun, sind die Rosse gesattelt und gezäumt? Auf mich soll Niemand zu warten haben!«

»Verzeiht,« antwortete der Eintretende, »ich wollte wohl Eurem Befehl folgen, Niemanden vorzulassen, da Ihr durchaus nicht aufgehalten sein wollt; aber eine trauernde Dame verlangte von mir Euch gemeldet zu[246] werden, und da ich mich dessen weigern wollte, gab sie mir diese Nadel – ich müsse sie Euch geben, dann werde sie nicht vergeblich bitten.«

Max blickte sinnend auf die Nadel und fragte: »Hat sich die Dame nicht genannt? – In Trauer sagst Du? – Nun, führe sie nur herein!«

Aber Kunz hatte kaum die Nadel gesehen, als er rief: »Das ist Nürnberger Hand: Wahrhaftig, Ihr Könige hab't doch das schlechteste Gedächtniß, der Narr muß es immer für Euch haben – selbst für Eure Narrheiten! Die Nadel schenktet Ihr einst der schönsten Nürnbergerin und ihrem Gatten zur Nadel den Adel! Wenn Ihr Elisabeth Scheurl vergessen hab't, weil sie tugendhafter blieb als Andere, die Euch gefielen, so habe ich sie mir deshalb um so besser gemerkt – denn ein Narr merkt sich die Ausnahmen immer besser, als die Regel.«

Auch ohne diese Mahnung würde der König, als Elisabeth selbst vor ihm stand, sogleich seiner schönen Wirthin und seines königlichen Wortes eingedenk gewesen sein, denn ihre Erscheinung übte denselben magischen Eindruck auf ihn wie einst, umhüllte sie auch jetzt die dunkle Trauerkleidung statt dem gewählten Putz, in dem er sie sonst gesehen.

[247] Auf den Lippen des lustigen Rathes erstarb vor ihrem Blick auf diese Trauerzeichen und der schmerzlichen Bewegung, die aus Elisabeth's Mienen sprach, wohl der Scherz, aber nicht die herzliche Anrede, mit welcher er sie begrüßte.

So fand sie schnell ein williges Gehör. Der König überreichte ihr die Nadel wieder und sagte: »Nehmt sie noch einmal aus meiner Hand als mein Versprechen Euer Gesuch zu gewähren, dafern das in der Macht des römischen Königs ist. Ich sehe Euch in Trauer wieder?«

Sie erwähnte nur kurz, daß sie Wittwe geworden, und sagte dann: »Ich komme nicht, um für mich selbst zu bitten, sondern für Einen, der, obwohl mir ein Fremder, zwei Mal sein Leben einsetzte, das meine zu retten oder mir einen Schimpf zu ersparen – ich komme, um von Euch das Leben und die Ehre eines Baubruders zu erbitten, dem Ihr einst in Nürnberg auch Eure Huld erwieset – ich bitte für Ulrich von Straßburg. Den königlichen Baubruder ruf' ich an, sich des Baubruders zu erbarmen.«

Max runzelte die Stirn. »Einen königlichen Baubruder,« sagte er, »giebt es nicht. Als freier Maurer bin ich nur der Bruder Max und habe nicht mehr[248] Macht als die andern – als König hab' ich die Statuten der Bauhütten bestätigt, als Baubruder muß ich ihre Entscheidungen ehren!«

Elisabeth erzählte so kurz als möglich Ulrich's Geschick: daß er aus der Bauhütte ausgestoßen worden, weil er nicht ehrlich geboren sei, und daß er nun zum Feuertode verurtheilt worden, weil er seinen Vater aus gräßlichem Gefängniß befreit. Sie hatte weder einen Namen, noch irgend eine Person in dieser traurigen Geschichte vergessen; aber mit besonderer Begeisterung sagte sie Alles, was zu Ulrich's Lob und Entschuldigung sich sagen ließ: wie er selbst erst vor Kurzem das Geheimniß seiner Geburt erfahren, und wie er nichts gethan habe, was nicht eher Bewunderung als Strafe verdiene.

Wohl war Max gerührt – aber er wußte selbst keinen Ausweg.

»Ei was,« sagte der Narr, der niemals ein Freund der Geistlichkeit war, auf ihre Kosten immer am meisten spottete und sich freute, wenn er ihrer Macht ein Schnippchen schlagen konnte, »wenn es nicht wahr sein soll, was ich Dir schon gesagt, daß Du ein gut Theil Deiner Macht aus den Händen gegeben, als Du die Bulle des Papstes Innocenz VIII. über den Hexenprozeß in Deutschland bestätigt, so zeige wenigstens, daß Du [249] die Inquisition nicht duldest – oder laß Dir von den Pfaffen helfen, statt daß Du ihnen hilfst. Hat der Maurerhof von Straßburg fast dreißig Jahre lang ein Auge zugedrückt über Ulrich's Herkommen, so ist's wohl auch kein Unglück, wenn es länger geschieht. Erkläre Du und laß es von einem Bischof oder in Rom, wenn es sein muß, bestätigen, daß Ulrich als ehrlich Geborner zu betrachten, weil seine Eltern Buße gethan haben im Kloster, und weil er selbst ein braver Kerl und rechter Baubruder geworden; so ist's gut, die Hütte muß ihn wieder mit Ehren aufnehmen und die Pfaffen müssen ihn auf Dein Fürwort herausgeben; er ist mit eingeschlossen in den großen Gnadenakt, den Du im Reich erlassen mußt, weil Dir ein Friedenswerk gelungen, das mehr noch als Deinem Lande Deinem Herzen und – dem Hause Habsburg zum Glück gereicht. Mir scheint, so ist's nur christlich gehandelt: wenn der Sohn dadurch, daß er wohl gerathen und auch vom vierten Gebot nicht gelassen hat, die Schuld der Eltern sühnen kann – das Umgekehrte, daß ihre Schuld an den Kindern heimgesucht werde, das überlaß den Juden.«

Elisabeth's Augen strahlten; sie faßte Kunzen's Hand und rief: »O wohl mir, daß ich in Euch einen[250] Fürsprecher gefunden, wo mir ohne denselben Rath und Hülfe fehlen würden!«

»Ihr würdet meiner nicht bedurft haben,« sagte Kunz, »wenn Ihr für Euch selbst etwas erbeten hättet; Ihr wißt, daß es den ritterlichsten König immer verdroß, daß Ihr bei ihm – an Andere denkt!«

Das traf. Max zog die Augenbraunen unwillig auf und sagte zu Elisabeth: »Da der Narr bessern Rath weiß als ich, so mag er die Papiere, die ich Euch als Freibriefe für Euren Schützling oder Schützer mitgeben will, nach Gutdünken ausfertigen. Ich habe Euch mein Wort gegeben, das die Erfüllung Eurer Bitte im Voraus gewährleistete – es soll mir eine Warnung sein, schönen Frauen gegenüber damit künftig vorsichtiger zu sein. Ich liebe diese willkürlichen Handlungen nicht, zu denen Ihr mich drängt!«

»Hoho!« sagte der Narr, indem er eifrig auf große Stempelbogen schrieb, »die Willkür der Gnade ist mir immer lieber als die der Rache. Das deutsche Reich ist ohnehin nicht in sonderlicher Ordnung, und der Wirwarr wird nicht größer, wenn Du einmal Gnade für Recht ergehen läßt. Bist Du erst Kaiser, hast Du aus den jetzigen schwachen Versuchen den großen und kleinen Raufereien und Zänkereien einen Damm entgegenzusetzen, [251] einen wahrhaften, dauernden, ewigen Landfrieden gestiftet und ein Reichskammergericht eingesetzt, das auf Ordnung sieht im Großen und Kleinen, dann bin ich gewiß der Letzte, der Dich zum eigenmächtigen Handeln drängt. Aber so lange Du Andere eigenmächtig das Böse thun siehst, kannst Du auch eigenmächtig das Gute thun – dadurch wird weder das Reich zu Grunde gehen, noch das Haus Habsburg!«

Als Elisabeth aus Kunzen's Händen die königlichen Schreiben mit der Unterschrift und dem Siegel Maxens empfing, wies der Narr ihren tiefempfundenen Dank zurück, indem er sagte: »Ihr kamet zur guten Stunde und hab't mir mehr geholfen, denn daß ich Euch geholfen hätte. Ich hatte schon daran gedacht, daß ein Friedens- und Freudenfest, wie die Versöhnung des Kaisers mit seinen Kindern, überall einen Nachhall finden sollte und einige arme Teufel aus Schöppen- und Pfaffenhänden befreien; aber die Majestät meinte erst, es sei schon genug, daß die ganze Heeresmannschaft wieder heimgehen könne zu den Ihrigen – wenn er gleich das schöne Heer lieber beisammen behielte, es an die flandrischen und französischen Grenzen zu schicken – und da war es gut, daß Ihr kamet und ich mein eigenes [252] Wünschlein hinter die Bitte aus schönen Frauenlippen verstecken konnte. Es schadet nichts, daß die Eva den Adam verführte, wenn auch erst so viel Unheil damit in die Welt gekommen: das Gute hat es gehabt, daß ihre Töchter ihre Macht über die Männer kennen und sie manchmal verführen – zu etwas Gutem. – Nun kehrt glücklich heim nach Nürnberg: Ihr werdet wohl bald wie Penelope von Freiern belagert sein – und wenn Ihr wieder Hochzeit haltet, so bittet mich zu Gaste wie zu der Jungfrau Muffel.«

Elisabeth erwiederte ruhig: »Hoffentlich findet sich eine andere Gelegenheit, Euch wiederzusehen; ich glaubte, Ihr dächtet besser von mir, als zu denken, daß ich zum zweiten Male –«

Sie stockte und er sagte: »Das ist die Redensart aller Wittwen, so lange sie trauern; aber dann –«

»Verzeiht,« unterbrach sie ihn, »Ihr ließt mich nicht ausreden – ich wollte sagen: um zum zweiten Male eine Thorheit zu begehen. Ihr seh't, ich habe Offenheit von Euch gelernt – und auf Heuchelei mich niemals verstanden!«

Er drückte ihr die Hand und sagte: »Es ist doch Schade, daß Ihr kein Mann geworden seid; Ihr könntet vielleicht einmal als mein Nachfolger Euer Glück machen. [253] Ihr versteht Euch darauf, Scherz und Ernst so zu vermengen, daß die Wahrheit herauskommen muß – und die hören gewisse Personen nur in solchem Gewande. – Wenn wir durch Wien reisen, werden wir Konrad Celtes treffen, der dort an der Universität auch die Wahrheit redet und dafür wirkt, daß sie mit der Schönheit die Gesittung und das deutsche Bewußtsein fördere in deutscher Nation – darf ich ihm einen Gruß von Euch vermelden und Alles sagen, was wir hier verhandelt haben?«

»Alles!« antwortete sie; »sagt ihm, daß Elisabeth Scheurl stolz ist auf seine Achtung, wie es einst Elisabeth Behaim auf seine Liebe war, und daß sie der hohen Bahn sich freue, die sein Genius wandle. Sag't ihm, daß gleich wie er bemüht sei, vaterländischen Sinn zu wecken unter den Gelehrten wie unter der Jugend, und dem deutschen Volk zu zeigen, daß es eine Geschichte habe: – Elisabeth seinem Streben zu folgen vermöge, und so viel sie es selbst könne, deutsche Art und Kunst mit fördern helfe in ihrem Kreise; daß sie alle Schätze, mit denen sie gesegnet sei, fortan nur dazu verwenden werde, und daß wir, wie weit getrennt auch immer, uns in jenem höhern Menschheitsleben begegneten, das durch ein segenbringendes Streben für [254] Andere, und wenn auch erst für spätere Geschlechter, wenigstens in einzelnen Weihestunden für alle Entbehrungen irdischen Glückes entschädigen kann!«

»Und ich werde hinzufügen,« sagte Kunz als letztes Abschiedswort, »daß Ihr mir sonst nur wie eine edle Königin, heute aber wie der Genius der leidenden Menschheit erschienet, und daß Ihr von hier schiedet mit so strahlenden Augen, wie eben dieser Genius, wenn er die Thränen von Tausenden getrocknet.«

Aber Elisabeth seufzte und schlug beschämt die Augen nieder. »Vielleicht werde ich noch, wie Ihr denkt, daß ich bin – Eurem Genius gegenüber fühle ich, daß ich doch nur als ein Weib kam, das nicht an Tausende, sondern nur an Einen dachte.«

Sie zog den schwarzen Schleier über ihr Antlitz – er verbarg ihr Erröthen und ihre Thränen.

[255]

12. Kapitel. Rache und Versöhnung

Zwölftes Capitel
Rache und Versöhnung

Ueberall im deutschen Reich und in den baierschen Landen zumal wie in den angrenzenden Staaten, besonders auch im reichsunmittelbaren Nürnberg, herrschte große Freude über die Friedenskunde, die Heimkehr der in's Feld gezogenen Mannschaften und den Gnaden akt mit dem König Max das von ihm längst ersehnte Versöhnungsfest seiner Familie begleitete, und der auf seinen Wunsch überall ausgeführt ward. Begann auch damals schon in den fürstlichen wie in den städtischen Kanzleien eine aufhaltende Vielschreiberei einzureißen, so gab es doch noch genug besondere Fälle, wo davon gänzlich abgesehen ward und einzelne fürstliche oder oberherrliche Machtsprüche vollständig genügten, einem gefaßten Beschluß Gültigkeit zu verleihen, daß er alsobald in's Werk gesetzt werden mußte.

[256] Dem Abt des Benediktinerklosters, der nicht allein auf die Aussagen des Riesen-Jacob hin, sondern gedrängt von der höheren geistlichen Behörde, zu deren Ohren das fast zum Nürnberger Stadtgespräch gewordene Ereigniß gekommen war, die Untersuchung nicht mehr hatte hemmen können, kam diese plötzliche Niederschlagung und Beendigung derselben sehr gelegen. Um wie viel mehr nicht dem Propst Kreß, der selbst mit hinein verwickelt war, und es mehr noch Ulrich's Edelmuth als dem Ansehen, in dem er stand, so wie seiner Stellung vor der Welt, in der man ihn gern schonen wollte, zu danken hatte, daß die Sache nicht bedrohlicher für ihn war, die es aber jeden Tag noch werden konnte! Der Novize Konrad hatte sich selbst als Ulrich's Mitschuldiger bekannt, obgleich dieser Anfangs versucht hatte ihn als solchen zu verläugnen; der stille Jüngling wollte um so weniger etwas von dieser Schonung wissen, als er nun in Ulrich einen Leidensgefährten in jeder Beziehung erkannte: einen Ausgestoßenen, gleich sich selbst. Er war zwar nicht zum Tode, aber doch zu enger Kerkerhaft im Kloster verurtheilt, die härter erschien als der Tod. Dazu kam das schreckliche Geschick seiner Mutter Katharina, die er nur noch einmal vor ihrem Tode sehen durfte, mit dem sie ihre Missethat schrecklich zu büßen hatte. Auf Räuber und Mörder[257] erstreckte sich der Gnadenakt nicht mit, und so entgingen weder sie noch Jacobea der gesetzlichen Todesstrafe, nur daß man sie bei Katharina in minder grausamer Weise ausführte. Jetzt war auch Konrad der Strafe überhoben. Aber das war nicht Alles – Elisabeth ließ ihn zu sich entbieten, sie wollte den Sohn nicht verantwortlich machen für die That der Mutter, vielmehr die Schuld des Vaters an ihm sühnen.

Von dem Propst und Stephan Tucher hatte sie strenge Verschwiegenheit verlangt über ihre Fahrt gen Augsburg und deren Resultat – ja sie, die man so stolz und hochfahrend schalt, verheimlichte in edler Bescheidenheit, daß es ihr Werk war, daß unzählige Unglückliche schrecklichen Strafen entgingen – womit es ihr ja leicht gewesen zu prunken, sich Ansehen und Dankbarkeit zu verschaffen. Wie gut hätte sie doch mit ihrem Einfluß bei König Max prahlen können und dem huldreichen Empfang, der ihr geworden, wie die andern Nürnbergerinnen demüthigen können und doppelt, wenn sie erkennen ließ, wie sie selbst, da sie in Gefahr war, nur allein auf ihre Unschuld und ihr Recht sich verließ, die königliche Hülfe verschmähend, da sie derselben doch so gewiß hätte sein mögen, wie jetzt, da sie für Andere sie forderte. Aber sie wollte sich keinen eitlen Triumph verschaffen, wo ihre Seele von dem schönsten in ihren [258] heiligsten Tiefen erfüllt war. Ja, sie wollte auch nicht den bösen Leumund von einer Hallerin preisgegeben sehen, was sie mit dem reinsten Hochsinn des Herzens gethan, dem ein edles Wesen folgt, auch wenn es sich sagen muß, daß es sich damit dem Spott oder der Verläumdung aussetze. Am meisten aber wünschte sie aus weiblichem Zartgefühl, daß es Ulrich selbst verborgen bleibe, was sie für ihn gethan: ihr schönster Lohn war es, daß sie ihm Leben und Ehre wiedergegeben, ihr genügte dies Bewußtsein, sie wollte keinen Dank, und sie wollte auch kein Begegnen, das ihren und seinen Ruf auf's Neue gefährden könne.

Aber freilich: bis jetzt war auch nur das eine Versprechen des Königs in Erfüllung gegangen, daß die Verurtheilten begnadigt und frei und die noch schwebenden Untersuchungen niedergeschlagen waren – aber daß Ulrich für ehrlich erklärt ward und in die Bauhütte wieder aufgenommen, das ging nicht so schnell, das bedurfte erst noch anderer Schritte und Vorbereitungen und konnte ihm nur als Hoffnung verkündet werden. Indeß hatte Elisabeth doch die königliche Schrift in Händen, welche für Ulrich zum Freibrief werden sollte, aber da sie das Dokument in die Hände des Propstes legte, geschah es nur unter der Bedingung: Ulrich weder [259] zu sagen, durch wen er es erhalten, noch wem er diese glückliche Wendung seines traurigen Geschickes verdanke.

Da der Propst mit zu den Ersten gehörte, welcher die glückliche Nachricht von der Niederschlagung dieser Untersuchung erhielt, so war es ihm auch leicht die Erlaubniß zu erhalten: Ulrich selbst die Freiheit zu verkündigen. Es drängte ihn um so mehr dazu, als er sich jetzt, nun die Gefahr vorüber, seiner Feigheit und seines Kleinmuthes schämte, womit er selbst Ulrich preisgegeben, und nur sich selbst aus der Schlinge zu ziehen gesucht hatte. Um sein eigenes Gewissen zu beruhigen, redete er auch sich selbst glücklich ein, daß er, da Elisabeth ihn zu Rath gezogen, ehe sie gen Augsburg reiste, doch einigen Antheil an dem glücklichen Resultat habe, das sie mit heimgebracht, und daß er sich wenigstens mit einigen solchen Andeutungen bei Ulrich entschuldigen dürfe.

Ulrich war wie ein Träumender – das Leben war ihm wieder geschenkt, und mehr als das: die Ehre, und mehr als beides: die hohe Kunst, der er diente, der er voll heiliger Begeisterung sich ganz geweiht, ein Tempelbauer, der mit reinen Händen die reine Form zu bilden strebte, die das Schöne mit dem Erhabenen vereinend über der betenden Menschheit einen Himmel zu wölben suchte, der es ihr leicht machte, sich zu dem Ueberirdischen emporzuschwingen; er hatte sich vergebens [260] gelebt und gestrebt bis jetzt – er durfte weiter leben und streben zu dem erhabensten Ziele! – aber dennoch – von Allem, was er erlebt und gelitten, war in seinen Ohren das Wort, das ihn verdammte, am lebendigsten geblieben: »Ich habe keinen Theil an Dir!« Die Baubrüder hatten es alle gesprochen – auch Hieronymus! – Von der Erinnerung daran noch einmal gefoltert, rief Ulrich:

»So hatte Keiner Theil an mir – und Niemand nahm ihn – kein einziges Wesen unter Allen, für die ich selbst gern mein Leben eingesetzt hätte, hatte etwas Anderes als Schmach für den Ausgestoßenen!«

Da dachte der Propst nicht mehr daran, das ihm anvertraute Geheimniß zu bewahren; er gab es preis, um Ulrich's Glauben an die Menschen zu retten. »Eines ausgenommen,« sagte er, »oder auch zwei, wenn Du willst – Elisabeth Scheurl und König Max.

Ulrich fuhr empor und der Propst erzählte ihm Alles.

Nach seiner Freilassung wohnte Ulrich bei dem Propst und wartete bei dem Gottesjunker, bis man ihn wieder in die Hütte berufen würde; so lange wollte er sich auch nicht in den Straßen von Nürnberg sehen lassen. Aber da er einmal allein war, überwältigte ihn sein Gefühl – er konnte es nicht ertragen, zu wissen, daß Elisabeth seine Retterin, ohne ihr danken zu dürfen. [261] Sie, das einzige Wesen, das an ihn geglaubt und für ihn gehandelt, sie mußte er wiedersehen, ihr danken, und sei es nur mit einem einzigen Wort; das war nicht wider sein Gelübde – umgekehrt hätte er sich eines Gelübdes geschämt, das ihm Undankbarkeit zur Pflicht gemacht, es sei gegen wen immer es sei. Aber er wollte nicht allein gehen; an dem Tage, an welchem sie selbst den Novizen Konrad zu sich beschieden, beschloß er diesen zu begleiten.

Konrad hatte im Kloster die Erlaubniß erhalten, zu Frau von Scheurl zu gehen, die dem Abt hatte sagen lassen, daß sie nicht wolle, daß der Sohn büßen solle für die Schuld seiner Eltern, sondern daß sie selbst ihm zu dem verhelfen wolle, was ihm zukäme. Der Abt, der Elisabeth's Großmuth und Freigebigkeit kannte, erwartete, daß sie ihm einen Theil von dem ihr allein zugefallenen Vermögen Scheurl's, dessen Sohn überweisen werde, und erwartete daher von dem Gang desselben zu ihr einen Vortheil für das Kloster – mit Freuden ließ er darum den jungen Novizen gen Nürnberg ziehen.

Dieser ging zuerst zu Ulrich und schüchtern, wie Konrad war, machte er Jenem selbst den Vorschlag, ihn zur Frau Scheurl zu führen.

Als sie in ihr Haus kamen, wurden sie sogleich zu ihr gelassen.

[262] Martin Behaim hatte gerade auf einem Marmortisch, der in dem Chörlein stand, Karten und Zeichnungen ausgebreitet, weil hier das hellste Licht war, um sie seiner Schwester zu zeigen. In der Mitte des Tisches stand ein Globus, der Nürnberger Meister hatte ihn eben nach Martin Behaim's eigener Angabe vollendet – er war der erste Globus, den es jemals gab – und Martin freute sich des neuen wichtigen Werkes, das zugleich aus seinem Forschergeist und einer deutschen Werkstatt hervorgegangen, das der Wissenschaft neue Pforten öffnete und ihre Arbeit allen kommenden Geschlechtern erleichterte. Er hatte beschlossen, diesen ersten Globus seiner Vaterstadt zum Geschenk zu machen und sich damit selbst, ehe er sie für immer wieder verließ, ein Denkmal in ihr zu setzen, das sie und sich in gleicher Weise ehrte; aber die Erste, die seine Freude an dem gelungenen Werke theilen sollte, mußte Elisabeth sein, deren weitschauender Geist am ersten die Tragweite dieser neuen Erfindung, wenn nicht ganz beurtheilen, doch mit jenen heiligen Schauern ahnen konnte, die bei jedem großen Werke über sie kamen – mochte es nun eine große That sein, oder ein Kunstwerk, oder ein bahnbrechender Gedanke der Wissenschaft.

So stand sie auch jetzt mit strahlenden Augen neben dem Bruder, seinen Erklärungen lauschend, ihre kleine [263] weiße Hand ruhte auf dem Südpol des Globus und ihr ausgestreckter Finger suchte die Stelle, auf der wohl jetzt Christoph Columbus schiffen mochte das ersehnte Land zu finden – ja vielleicht war dies der Augenblick, in dem er es gefunden. Sie trug noch Trauerkleidung, aber den Schleier hatte sie im Zimmer abgelegt, ihr glänzendes Haar war nur von einem schwarzen Band ein wenig aufgehalten und wallte in malerischen Locken auf die blendenden Schultern. Da hörte sie Tritte im Zimmer und trat hinein. Sie war schon in einer gehobenen Stimmung durch das Gespräch mit ihrem Bruder – sie blieb in ihr, da sie neben dem erwarteten Konrad auch den unerwarteten Ulrich sah, und hieß sie Beide willkommen.

Sie neigten Beide die Kniee vor ihr und wollten Worte des Dankes sprechen. Aber Elisabeth hieß sie aufstehen, wenn sie nicht zürnen solle, und sagte zu Konrad:

»Euch ließ ich zu mir entbieten, oder vielmehr zu meinem Bruder Martin Behaim, von dem Ihr vielleicht gehört. Ihr seid zu jung und hattet Euch zu innig an die hohe Kunst gehangen, um Euch und Eure Kraft in ein Kloster zu vergraben – unterbrecht mich nicht – ich weiß, daß nur der Zwang Euch dahin trieb und daß die Bauhütten Europas sich Euch verschließen. [264] Aber mein Bruder sucht Bauleute die ihn über das Meer zu begleiten, und auf jenen, nur von Heiden bewohnten Inseln kümmert man sich nicht um die Statuten dieser alten Welt: bringt Ihr nur Begeisterung mit für den christlichen Glauben und die christliche Kunst, so seid Ihr würdig in der neuen Welt die erste christliche Kirche bauen zu helfen – an Geld dazu aus dem Vermächtniß Eures Vaters, meines seligen Gemahls, soll es Euch nicht fehlen.«

Konrad drückte begeistert und Freudenthränen weinend Elisabeth's Hand an seine Lippen und rief: »Ihr seid eine Heilige, die Todte zu erwecken vermag – denn mir ist, als habe ich im Grabe gelegen und Ihr wecktet mich zu neuem Leben!«

»Geh't dort hinein zu meinem Bruder,« sagte sie auf das Chörlein deutend, »er wird das Fernere mit Euch besprechen.«

Konrad gehorchte, die Glasthür des Chörleins zog er hinter sich zu.

»Ihr wolltet meinen Dank verschmähen, hohe Frau,« sagte Ulrich erglühend, »dennoch ertrug ich's nicht; ich mußte Euch wenigstens sagen, daß ich täglich für Euch bete, nicht nur mit den Lippen, noch nur mit meinem Herzen, sondern daß ich für Euch beten will mit meiner ganzen Kunst und Euch danken in meinen Werken!«

[265] Sie gab ihm die Hand und sagte mit sanfter Stimme: »Ich wollte, ich dürfte sprechen wie Ihr! Wohl Euch, daß Ihr Eure Empfindungen im Stein verewigen könnt und sie zu Kunstwerken verklären, an denen Ihr Euch selbst erheben und läutern dürft und Tausende, die nach Euch kommen.«

»Vielleicht ist dies das Schönere, vielleicht auch das Leichtere!« rief Ulrich; »aber das Höhere ist's, das eigene Sein und Leben selbst zu einem Kunstwerk verklären, das nur Segen spendet in dem Kreis, in den es tritt – so für Andere wirken und handeln und Euch opfern, wie Ihr gethan!«

»Nein, Ulrich! keine Unwahrheit!« unterbrach sie ihn. »Mir gebührt kein Dank von Euch, denn ich hatte Euch zu danken, und hab' es nicht gethan. Zwei Mal hab't Ihr mir Ehre und Leben gerettet, und ich floh Euch, um Euch nicht zu danken – ich wollte es vergessen, daß dies meine Pflicht war. Als ich Euch zum ersten Male sah, folgte ich rücksichtslos meinem augenblicklichen Gefühl, und Ihr bereitetet mir dafür eine Demüthigung, gegen die sich mein ganzes Wesen empörte; von diesem Augenblicke an war mir, als müsse ich Euch entweder hassen oder lieben, und ich fühlte dabei doch, daß ich entweder das Eine noch das Andere – durfte. Ihr kamet immer wieder in meinen[266] Weg, auch ohne daß Ihr es wolltet; jetzt endlich kam der Augenblick, da ich Euch vergelten konnte, jetzt endlich durft' ich Euch sagen: Ulrich, nun sind wir quitt! – und – o Gott – was habe ich Euch denn gesagt!«

»Nur Aehnliches, als was ich selbst empfunden!« rief Ulrich. »Mein Thun und Fühlen glich dem Euern! Wohl uns, daß wir in diesem Kampfe nicht erlegen sind, daß er uns nicht hinabgezogen hat in den Pfuhl der Sünde oder auch nur in den Staub des Alltaglebens; er hat uns geläutert und erhoben zu jener einzig wahren Gemeinschaft der Heiligen, die im reinen Streben nach dem Höchsten Ersatz finden für die Schmerzen und das Entsagen, unter dem sie danach ringen. Eure Hand, Elisabeth! Kein Fliehen und kein Suchen mehr – ein freudiger Triumph, zu wissen, was wir Ein's dem Andern danken – ein Sieg des Geistes, der die Welt überwunden, indem er sie verklärt im Dienst der Kunst. Was ist der kurze Rausch des Erdenglückes gegen die Seligkeit eines Streben und Ringens, das nach Aeonen zählt und uns seine Wahrzeichen hinterläßt in ewigen Schöpfungen?«

Groß und herrlich standen die Beiden einander gegenüber – als Priester und Priesterin des Ideals, dem, so lange die Welt steht, alle strebenden Geister [267] nachringen, um es zu erreichen für sich selbst und die Menschheit, der sie dienen; der letzte Sonnenstrahl der hinter Gewitterwolken purpurumsäumt scheidenden Sonne fiel auf sie und umwob sie mit einem gemeinsamen Heiligenschein – da donnerten Männertritte draußen durch den Corridor.

Elisabeth sagte zu Ulrich: »Ruft meinen Bruder!« und indeß er die Thür des Chörleins öffnete, stürmte durch die entgegensetzte Zimmerthür ein Mann in Bettlerkleidung herein, unter seinem Mantel zog er ein Schwert hervor, drang damit auf Elisabeth ein, die arglos auf die Thür zugegangen war, stieß es in ihre weiße Brust und rief:

»Du entgehst Deinem Schicksal nicht!«

»Streitberg!« rief sie außer sich und stürzte auf den Teppich nieder.

Es war ein Augenblick, und wenn auch in demselben noch die drei Männer zu Hülfe sprangen, die alle unbewaffnet waren – denn Ulrich wollte nicht das Schwert wieder tragen, das man ihn in der Bauhütte abgenommen, – so war es doch zu spät – zu spät sogar einen andern Eindringenden abzuhalten, der Streitberg nachstürzte und diesen mit einem Wehgeschrei, ehe er sich dessen versah, mit seinem Schwert durchbohrte.

[268] »Amadeus!« rief Konrad, den Mönch in der ritterlichen Tracht erkennend, indeß Martin und Ulrich sich über Elisabeth neigten und sie auf das Sopha hoben. Sie war ohnmächtig, aber sie lebte noch; Martin drückte ihr ein Tuch in die tiefe Wunde, Ulrich rief nach den Leuten, die schon von dem Lärm gelockt herbei kamen; sie liefen nach dem Bader und Doctor. Zwei Diener schafften Streitberg in ein Nebengemach. Eine Dienerin sagte, daß sie den zudringlichen Bettler vergeblich habe abweisen wollen, er habe sich durch die Thür gedrängt und sie einen Treppenabsatz hinabgeworfen. –

Amadeus erklärte, daß man ihm in Augsburg erzählt, daß eine Frau von Scheurl bei König Max gewesen und für einen zum Tode verurtheilten Baubruder, der seinen Vater aus dem Kloster befreit, gebeten habe; Amadeus war zurückgeeilt nach Nürnberg, um sich selbst auszuliefern und dadurch den Sohn zu retten. Durch Nürnbergs Straßen gehend, war er einem Bettler begegnet, der ihm aufgefallen. Er hatte Streitberg erkannt, und nichts Gutes ahnend, war er ihm nachgegangen, als dieser in Scheurl's Hause ver schwunden, Amadeus war zu spät gekommen die Unthat an Elisabeth zu verhindern; vielleicht aber wäre Ulrich ein zweites Opfer gewesen – und so hatte er doch den Sohn gerettet.

[269] Streitberg kämpfte nur einen kurzen Todeskampf. Als er auf der Flucht und versteckt erfahren, daß Weyspriach gefangen war und dann, daß die Nürnberger es wagten den Ritter enthaupten zu lassen, hatte er Rache geschworen und tollkühn wie er war, sich selbst als Bettler verkleidet nach Nürnberg begeben. Er sah Elisabeth mit Martin am Fenster, da er ihr Haus umschlich; er sah auch Ulrich in dasselbe gehen – da erwachte seine Leidenschaft, er folgte ihr in blinder Wuth, traf sein Opfer und fiel selbst von einer plötzlich eingreifenden Rächerhand.

So erklärte es Amadeus Ulrich und Konrad, während Martin mit Elisabeth's Dienerin diese in ihr Schlafzimmer und zu Bett brachten und der herbeigerufene Bader ihre Wunde untersuchte und verband – er konnte keine Hoffnung geben.

»Ulrich!« flüsterte sie und Martin ging den Baubruder zu rufen.

Er knieete an ihrem Lager. »Ulrich!« sagte sie, »mein Mörder giebt mir jetzt einen schöneren Tod als das erste Mal – ich rede nicht irre – er war der Geliebte meiner Jugend, und ich mußte erkennen, daß er mich betrog – damals zerriß er mein Herz ohne Schwertstreich – es schmerzte mehr als heute.«

Nach einer Pause sagte sie: »Es ist schön, in dem[270] Augenblicke zu sterben, in dem die Seele ihren Flug schon zum Himmel nahm, sie kommt nun in kein fremdes Reich. – Ihr verspracht mir schon die Begräbnißkapelle der Behaim mit dem Werk Eurer Hand zu schmücken – versprecht nun es auch für die Kapelle der Scheurl – ich habe keine Erben – meine Erbin sei die Kunst in meiner Vaterstadt – meine Brüder werden das Testament vollstrecken.«

»Elisabeth!« rief Ulrich, »Ihr seh't Thränen in meinen Augen – sie versprechen Euch Alles, was Ihr wünschet. Ich will nicht vor Schmerz weinen in dieser Stunde – wir wollen uns freuen, daß es also kam; der höheren Weihestunde von vorhin wird keine profane folgen – ich werde in meinen Werken nicht mehr für Euch beten – sondern zu Euch!«

Ihre Hand ruhte auf seinem Scheitel. »Lebt wohl!« hauchte sie noch einmal und winkte ihm dann fort. Er küßte ihr die Hand und ging.

Sein Vater und Konrad begleiteten ihn stumm. Auf der Straße begegnete ihnen Hieronymus – es war zum ersten Male, daß sich die Freunde wiedersahen.

Hieronymus stand beschämt vor Ulrich. »Kannst Du mir vergeben?« fragte er beklommen.

Ulrich drückte ihm die Hand. »Ich komme von Elisabeth's Sterbebette – nein, ich komme von der Verklärungsstätte [271] eines Genius – in meinem Herzen ist lauter Gottesfriede – kannst Du noch mein Freund sein?«

»Wenn Du mich nicht verstößt!« rief Hieronymus und blieb an seiner Seite. –

Amadeus ging wieder in sein Kloster; sich freiwillig stellend, gehörte er mit zu den Begnadigten, und büßte nun, wie er vorher gebüßt, ehe die Sehnsucht nach Ulrich ihn halb wahnsinnig gemacht. Der Sohn hatte ihn gesegnet und Ulrike auf ihrem Sterbebette vergeben – er hatte Frieden.

Nicht lange währte es mehr, da ward Ulrich wieder feierlich in die Bauhütte aufgenommen. In Behaim's und Scheurl's Begräbnißkapelle vollendete er hohe Kunstwerke, darunter Elisabeth's Statue selbst die vollendetste war. Dann verließ er Nürnberg, um auch in andern Landen an der Erbauung hoher Dome sich selbst und seine Kunst zu fördern. –

Auf Ansuchen des Nürnberger Rathes ertheilte ihm Max die Erlaubniß, die Juden für immer aus der Stadt zu weisen. Auch Ezechiel und Rachel waren unter den Auswandernden.

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Romane. Nürnberg. Dritter Band. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-65D5-7