Zehntes Capitel
Elisabeth

Die frühe Dämmerung des Septemberabends brach schon herein, als eine vermummte Frau an dem »schönen Brunnen« vorüber schlich in die Winklerstraße, um von hier in das Hinterhaus des Pirkheimer'schen Hauses zu gelangen, in dem sich des Goldschmieds Albrecht Dürer Wohnung und Werkstatt befand. Die Gesellen waren aus derselben entlassen, aber der Meister arbeitete noch allein in dem dumpfen Gewölbe bei einer kleinen Flamme, die ihm zugleich Licht und für seine Arbeit die nöthige Hitze gab.

Eben hatte er ein Silberstäbchen an die Flamme gehalten, die sein ehrliches, von Sorgen und Arbeit gefurchtes Gesicht beleuchtete, als es draußen pochte Die Störung kam ihm ungelegen und sein Herein klang nicht etwa freundlich.

[216] Darauf trat eine weibliche Gestalt ein, von einem brauen Mantel umhüllt und über den Kopf ein großes schwarzes Tuch, das auf dem Kinn zusammengeknüpft, auch über die Stirn so weit vorstehend herunterhing, daß von dem darunter befindlichen Gesicht nicht viel mehr zu sehen war als eine spitzige Nase und ein großer Mund mit schadhaften Zähnen.

»Guten Abend, Meister Dürer,« sagte die Eintretende; »es ist wohl ein wenig spät, daß ich komme, aber ich hab' versprechen müssen, meinen Auftrag nur an Euch allein auszurichten, darum wählt' ich die jetzige Zeit. Aber ehe ich meine Bestellung mache, müßt Ihr mir versprechen auch keiner Seele weder jetzt noch künftig ein Wort davon zu sagen.«

Der Goldschmied dachte: das wird auch eine rechte Bestellung sein, welche diese Frau für mich hat – vielleicht aus Silberhellern einen Ring zu machen, oder wer weiß, ist es nicht Schlimmeres? ist es nicht vielleicht gestohlenes Gut, das sie bei mir verwerthen will oder umschmelzen lassen? Er hatte oft solche Versuchungen zu bestehen, und hatte sie immer mit der ganzen Kraft einer redlichen Seele tapfer bestanden, wenn auch der verheißene Gewinn noch so groß und die Sorge noch größer war, wie er sein Weib und seine achtzehn [217] Kinder vor Mangel und Noth behüten möchte. Darum sagte er auch jetzt:

»Das Versprechen zu schweigen gebe ich nur dann, wenn ich es mit gutem Gewissen halten kann. Ist das bei Euch der Fall, so ist ein Wort so gut wie tausend, ich verspreche zu schweigen und schweige. Ist's aber keine ehrliche Sache, so sag' ich Euch voraus, daß weder Furcht noch Gewinn, weder Bitten noch Drohungen mich abhalten werden, sie an's Tageslicht zu bringen. Ueberlegt es Euch also vorher, ob ich der rechte Mann für Euch bin oder nicht.«

»Der seid Ihr ganz gewiß, Meister Dürer,« antwortete das Weib; »ganz Nürnberg weiß, daß es keinen ehrlicheren Gold- und Silberschmied hier giebt denn Euch, Ihr werdet also schweigen?«

»Bei jedem ehrlichen Handel, ich bin keine Plaudertasche,« antwortete der Meister.

»Nun denn,« begann die Frau, »nicht wahr, die schöne Rose von Rubinen und Smaragden in lauterm Golde gefaßt, die unser allergnädigster König Max der Scheurlin zum Geschenk gemacht, ist von Eurer Arbeit?«

»Allerdings,« antwortete der Goldschmied, »ich darf mich dessen rühmen.«

[218] »Hab't Ihr sie noch treu im Gedächtniß?« fragte die Frau.

»Gewiß,« antwortete Dürer; »ich habe sie ganz allein selbst gefertigt, und vergesse nie, was meine Hände mit so viel Mühe gearbeitet. Mein Sohn Albrecht hatte mir die Zeichnung dazu gemacht und die habe ich auch noch.«

»Desto besser,« antwortete die Fremde; »nun denk't Euch das Unglück: die Scheurlin hat die Rose verloren –«

Dürer ward blaß vor Schrecken und Aerger. »Wie kann man ein solches Kleinod verlieren!« rief er entrüstet; »diese leichtsinnigen Weiber! Diese kostbaren Steine! dieses Kunstwerk, an dem ich so viel Tage und Nächte mit Fleiß und Mühe gearbeitet, vielleicht im Staube zertreten!«

»Ich glaube, es ist noch schlimmer!« sagte die Frau mit Achselzucken. »Sie hat sie in die Pegnitz fallen lassen, und darum keine Hoffnung sie jemals wieder zu bekommen. Darum verschweigt sie auch den Verlust, um sich nicht lächerlicher vor den Leuten zu machen, die ihr des Kaisers Gunst beneideten; am ängstlichsten verbirgt sie ihn aber vor ihrem Mann, und damit er [219] denselben nie entdecke, wünscht sie, Ihr möchtet ihr eine ganz gleiche Nadel machen.«

Dürer schüttelte den Kopf. Er konnte sich lange nicht zufrieden geben weder über den Untergang seines Kunstwerkes, noch über den Leichtsinn einer Frau, die einen Gegenstand, dessen hoher Werth durch den Geber ihr noch verdoppelt sein mußte, nicht vorsichtiger zu bewahren verstand. Endlich sagte er: »Und was denkt denn die Frau Scheurlin, daß die Nadel gekostet?«

»Sie ist reich, sie zahlt denselben Preis wie der König,« antwortete die Frau. »Nennt den Preis.«

»Zweihundert Reichsgulden.«

»Und bis wann kann die Nadel fertig sein?«

»Unter drei bis vier Wochen ist's gar unmöglich; ich muß erst sehen, daß ich die passenden Rubine bekomme.«

»Gut, in drei Wochen werde ich wieder kommen.«

»Ich kann sie ja der Frau Scheurlin schicken, so bald sie fertig ist, weil ich die Zeit nicht genau bestimmen kann.«

»Um's Himmels Willen nicht!« rief die Frau, »damit es nicht etwa Jemand von der Dienerschaft erfährt, und es mit Absicht oder aus Versehen dem Herrn Scheurl verrathen könnte, hat sie mich zu Euch gesandt, darum darf es keine Menschenseele weiter wissen, und [220] darum nahm ich Euch ja das Versprechen des Schweigens ab, wie auch Ihr darauf rechnen könnt', daß ich schweigen werde.«

»Aber wenn nun inzwischen Herr Scheurl die Nadel vermißt?«

»So wird seine Gattin sagen, daß sie Euch dieselbe zur Reparatur gegeben, weil sie ein Steinlein daraus verloren,« antwortete scheu die Frau.

»Nun, dann könnte ja auch dasselbe gesagt werden, wenn ich ihr die neue Nadel schickte, und sie käme ja nicht gleich in die rechten Hände.«

Die Frau war offenbar über diese Bemerkung bestürzt und suchte vergeblich nach einer Gegenrede. Endlich sagte sie: »Die Frau Scheurl hat es aber einmal so befohlen, wie ich sagte, daß die Nadel wieder bei Euch abgeholt werden soll. Ihr könnt' ruhig sein, Ihr brauch't sie nur gegen baare Bezahlung abliefern. – Und was die erwähnte Lüge betrifft, so war sie ja nur für den äußersten Nothfall ausgesonnen, und Frau Scheurl hofft, daß sie derselben nicht bedürfen werde, infern Ihr nur keine Unklugheit begeht.«

»Nun, so komm't in drei Wochen wieder, ich will mein Möglichstes thun, das Werk noch einmal zu vollenden.« [221] So war Dürer's letzter Bescheid und die Frau entfernte sich endlich.

Ein paar Tage darauf, am Sonntag Nachmittag, hatte sein Sohn, der Malerlehrling Albrecht, seine Freistunden, die er stets am liebsten im Elternhause zubrachte und auch da sich nicht immer Ruhe von der Arbeit gönnte, da es in diesen Mußestunden oft noch eine Zeichnung für den Vater zu fertigen gab. Eben saß er über einer solchen, aber nicht in der heute verschlossenen Werkstatt, sondern in der Wohnstube, in der die Mutter Barbara die Spindel drehte, dabei immer wohlgefällig nach dem Lieblingssohne blickend. Er war ihr drittgeborener; der älteste, der das Handwerk des Vaters lernte, war schon fort auf die Wanderschaft nach den Niederlanden, wo auch der Vater, der aus einem ungarischen Dorfe stammte, sich seine größte Geschicklichkeit erworben hatte. Das zweite Kind war gestorben, und so noch mehrere, aber dennoch war es noch ein ganzes Häuflein braungelockter Buben und Mädchen, das die enge Stube bevölkerte. Alle waren sehr einfach, aber reinlich gekleidet, das kleinste Kind lag noch in einer hölzernen Wiege, deren abgenutztem Zustand man es ansah, wie viele Insassen sie schon gehabt; und indem sie Frau Barbara mit dem Fuß in Bewegung [222] setzte, indeß sie mit den Händen glatte Fäden zu neuen Gewändern spann, da begriff man unter dieser Umgebung wohl, daß auch am Sonntag die Hände und Füße dieser Mutter sich keine Ruhe gönnen durften, die für so Viele zu sorgen hatten.

Mitten in dies Gewirr trat noch ein schlank- und zartgebauter Jüngling, der durch seine Kleidung und Manieren ausgezeichnet, wenig in diese fast ärmliche Handwerkerfamilie zu passen schien, Willibald Pirkheimer. Im Vorderhaus, das er mit seinen Eltern und Schwestern bewohnte, sah es freilich anders aus als hier; da herrschte der ganze Luxus des Reichthums mit feiner Sitte und dem Sinn für das Schöne wie für die Wissenschaft gepaart, da hatte der eifrig studierende Sohn des Hauses ein Gemach ganz für sich allein, in dem reiche Bücherschätze ihn umgaben und Niemand ihn stören durfte; aber die Freundschaft für Albrecht, mit dem er aufgewachsen, den er sich einst vor allen Knaben und jetzt vor allen Jünglingen zum vertrautesten Genossen ausersehen, zog ihn hierher und ließ ihn jede der Schranken überspringen, die hier die Besitzenden und hochangesehenen Geschlechter von den eigentlichen Bürgern, zumal den ärmeren Handwerkern trennten. Albrecht und Willibald hatten sich mit der [223] ganzen Schwärmerei jugendlich begeisterter Gemüther aneinander geschlossen, und waren nicht nur zusammen aufgewachsen, sondern oft mit einander verwachsen, daß sie auch von ihren übrigens sich fernbleibenden Familien als zusammengehörig betrachtet wurden. Die Frau Pirkheimer erwiederte den bescheiden ehrerbietigen Gruß der Frau Dürer stets nur mit vornehmem Kopfnicken und vermied jeden Umgang mit der armen, vielbekinderten Frau; aber so oft der Albrecht kam, ward er in Pirkheimer's Familie wie das Kind vom Hause angesehen, denn er war einmal Willibald's Kamerad, und trat wieder dieser aus seinen prächtigen Räumen in die engen der schlichten Handwerkerfamilie, so wurden auch auf ihn weiter keine Rücksichten genommen, denn er war einmal Albrecht's Kamerad.

So war es auch jetzt. »Ei, es ist schön, daß Ihr kommt,« sagte Frau Barbara ihm traulich zunickend; »Albrecht hat schon immer nach Euch ausgeschaut, und würde uns bald davon gelaufen sein Euch aufzusuchen, wenn er da nicht erst noch Etwas für den Vater zu zeichnen hätte.«

»Ich wäre auch schon früher gekommen,« sagte Willibald, »aber die Frau Scheurlin kam zur Mutter und hielt mich noch ein wenig auf.« Er lächelte dabei[224] Albrecht zu, ihn durch seinen Blick an das kleine Abenteuer auf der Hallerwiese zu erinnern, und sich über seine Zeichnung beugend fragte er: »Was zeichnest Du denn da?«

Albrecht antwortete: »Mein Herr Pathe, Anton Koberger, hat bei meinem Vater ein Bibelbeschläge bestellt, und da es gerade für ihn ist, wollt' ich gern die Zeichnung machen; ich bin gleich fertig.«

»Das ist hübsch!« sagte Willibald; »ein paar gefaltete Hände und ein Schwert und eine Palme, die sich kreuzen.«

»In Silber ausgeführt wird es gut aussehen,« bemerkte der Vater. »Albrecht wird mir fehlen, wenn er in einem halben Jahre fortgeht. Die Zeichnung zu der Nadel, die Se. Majestät der Scheurlin verehrt, ist auch von ihm.«

»Danach wollt' ich schon fragen,« sagte Willibald; »ich habe das Kunstwerk eben in der Nähe an ihr gesehen und bewundert.«

»Jetzt eben?« fragte Meister Dürer.

»Sie zeigte es meiner Mutter.«

»Das ist sonderbar!« sagte der Goldschmied und versank in Nachdenken. Dann ging er hinaus in die einsame Werkstatt, wie um zu überlegen, was nun zu[225] thun sei. Hatte die Scheurlin die Nadel verloren und wiedergefunden, so würde sie doch die neue abbestellen lassen; die Sache kam ihm erst sonderbar, dann verdächtig vor, die fremde Frau war es ihm gleich gewesen. Er hatte auch dem königlichen Diener, der die Nadel hatte anfertigen lassen, versprechen müssen, für Niemanden eine gleiche zu machen. Wie er auch geglaubt hatte, nach seinem Gewissen zu handeln, jetzt schien es ihm mit diesem Gewissen nicht verträglich, die Doublette zu verfertigen.

Nach einer Weile reiflicher Ueberlegung rief er Albrecht und Willibald heraus, fragte diesen noch einmal, ob die Scheurlin die Nadel wirklich jetzt getragen, und da er entschieden bejahte, sagt er zu den Beiden:

»Eilt hinüber und seh't, ob die Scheurlin noch da ist, und wenn sie es ist, so sag' ihr, Albrecht, daß vor drei Tagen Jemand bei mir auf ihren Namen eine große Bestellung gemacht hätte, ich wisse aber nicht, ob es eine Betrügerei sei oder nicht, und ließe sie bitten, mir einen Augenblick Gehör zu schenken, damit ich mich mit ihr verständigen könne. Sie mag Dir sagen, wo und wann, wenn sie sich nicht in meine Werkstatt herüber bemühen will.«

Die Freunde eilten den Auftrag auszuführen.

[226] Es war die höchste Zeit, denn Elisabeth schlüpfte schon in zierlichen Schnabelschuhen die teppichbelegte Marmortreppe hinab.

»Ei, sieh da, meine beiden kleinen Ritter!« rief sie den Jünglingen zu.

»Noch verdienen wir diese Namen nicht,« sagte Willibald, »wenn wir sie auch noch einmal zu bewähren hoffen. Ich will dereinst versuchen, mir unter Kaiser Maxens Fahnen ein Ritterschwert zu erwerben.«

»Und während Pirkheimer ihm dienen will mit Schwert und Feder, werde ich's nur mit dem Pinsel versuchen,« sagte Albrecht.

»Ei, ich hörte schon neulich Aehnliches von Euch,« sagte Elisabeth, »und freute mich, wie Ihr wünschtet des Königs Bild zu malen.«

»Wer weiß, thut er's nicht einmal, und auch für Euch, hohe Frau,« sagte Willibald; »Ihr tragt da schon ein Werk von seiner Hand – die Rose, die aus seines Vaters Werkstatt hervorgegangen, hat er gezeichnet.«

Albrecht erröthete verlegen, und Elisabeth sagte: »Das ist gewiß ein gutes Zeichen, wenn Ihr schon etwas für die edelste deutsche Majestät arbeiten durftet; [227] ich wußte bis jetzt nicht, daß Euer Vater der Künstler war, dessen Werk ich trage.«

»Er hat mich eben an Euch abgeschickt,« sagte Albrecht und richtete nun den Auftrag des Vaters aus.

Elisabeth war höchlich erstaunt und sogleich bereit, dem Sohn zu dem Vater zu folgen. Dies Erstaunen steigerte sich zur Entrüstung, als sie mit dem Goldschmied allein war und von ihm das Zwiegespräch mit jener fremden Frau erfuhr, während er nicht mehr an einem Betrug zweifelte, da er sein Werk, die Nadel, wiedersah. Aber was konnte der Zweck dieses Betruges sein?

»Wenn ich die Frau wieder zu Gesicht bekomme, so laß ich sie festnehmen,« sagte Meister Dürer.

»Laßt uns einstweilen gegen Jedermann schweigen,« sagte Elisabeth, »und wenn die Frau in drei Wochen wiederkommt, so wird es Euch leicht sein, sich ihrer zu bemächtigen und vielleicht gesteht sie Euch gleich, wer sie zu dem Betrug gebraucht – dann laßt Ihr sie laufen; außerdem hat aber die Justiz ja genug Mittel, Verstockte zum Geständniß zu bringen. Uebrigens danke ich Euch für Euer Verhalten, und da ich einmal hier bin, so möcht ich mir ein silbernes Kästchen mitnehmen – wie dies hier.« Sie deutete auf ein solches als [228] den ersten passenden Gegenstand, den sie unter dem kleinen Vorrath fertiger Geräthe erspähen konnte, um durch dessen Ankauf wenigstens in Etwas den Meister für seine Ehrlichkeit zu belohnen. Der Handel war schnell geschlossen und sie fügte hinzu: »Euer Sohn giebt mir wohl das Geleit und nimmt das Geld dafür in meiner Wohnung in Empfang?«

»Es hat ja Zeit,« sagte der Meister. Da sie aber erklärte, daß sie das Kästchen, wie klein es auch war, nicht selbst tragen werde, so ward doch Albrecht zu ihrer Begleitung gerufen.

Er wollte bescheiden hinter ihr gehen, aber sie unterhielt sich mit ihm von seiner Kunst und blieb an seiner Seite.

»Euer Freund Willibald Pirkheimer,« sagte sie, »hat mir vorhin Euer Konterfei gezeigt, das Ihr schon vor fünf Jahren mit dem Stift auf Pergament gezeichnet hab't. Ich hätte es nicht geglaubt, daß Jemand dies von sich selbst im Stande wäre, wenn ich nicht die Unterschrift gelesen: ›Das hab' ich aus einem Spiegel nach mir selbst konterfeiet im Jahr 1484, da ich noch ein Kind war.‹ Lautet es nicht so?«

»Ja,« versetzte Albrecht erröthend: »Willibald hätte es Euch nicht zeigen sollen, jetzt geriethe es schon besser. [229] Ich habe das Bildniß meines Vaters zu malen angefangen, und ich hoffe, das soll ähnlich werden.«

»Wie lange werdet Ihr noch hier bleiben?«

»Bis Ostern, dann ist meine Lehrzeit beendet, dann will ich mich in Deutschland umsehen. Ich wollte erst gern nach Colmar zu Martin Schongauer, aber der Meister starb zu früh für die Kunst und für mich!«

»Möchtet Ihr nicht nach Italien? Ich könnte Euch Empfehlungen nach Venedig mitgeben.«

»O wie gütig seid Ihr, edle Frau! Ich werde Euch später daran erinnern – vielleicht wenn ich einer Empfehlung würdig bin. Erst will ich im deutschen Reiche mich umsehen, fest werden in deutscher Art und Kunst, ehe ich das wälsche Wesen auf mich wirken lasse. Der deutschen Kunst und dem deutschen Vaterlande will ich dienen: ich habe keinen höhern Wunsch, und wenn ich es je dahin bringe ein Meister zu werden, so soll man mich als deutschen Meister kennen.«

So und ähnlich weiter sprechend war Elisabeth bis an ihr Haus gelangt und mit Albrecht in ihr Wohnzimmer getreten. Sie schellte nach Wein und Confekt für ihn, und bat ihn zuzulangen, bis sie aus einem andern Gemach ihre Goldchatulle geholt, absichtlich blieb sie lange, damit Albrecht ohne Verlegenheit dem seltenen [230] Genuß sich widmen könne. Dieser aber nippte nur bescheiden von dem edlen portugiesischen Rebensaft und ohne zu essen schob er ein paar kleine Stücke Backwerk in seine Tasche, um die kleinen Geschwister damit zu erfreuen.

Als Elisabeth wieder zurückkehrte, überreichte sie ihm das Geld in einer kleinen Ledertasche zum Umhängen und sagte: »Der Inhalt ist meine Schuld für Euren Vater. Die Tasche wird Euch auf der Wanderschaft vielleicht nützlich sein.«

Albrecht stand unschlüssig und verlegen, was er thun und antworten sollte; Elisabeth kam ihm zuvor, indem sie sagte: »Ich habe mich nicht geweigert, das Geschenk des Königs anzunehmen als ein Andenken; Ihr werdet dies werthlose Andenken von einer Frauenhand nicht zurückweisen, und Euch dabei derer erinnern, die in den Besitz Eurer Rose gekommen. – Aber nun noch ein Wort. Ich habe von allen Seiten nur Euer Lob gehört, von Eurem Meister, Euren Hausgenossen, Eurem Freund, auch von meiner Freundin Ursula Muffel, die Eurer Verschwiegenheit dankbar eingedenk ist; ich glaube, Ihr hab't mir schon denselben Dienst geleistet, ohne daß ich Euch darum bat, wenigstens hat Euer Freund [231] Pirkheimer mich dessen versichert – ich meine den Vorfall auf der Hallerwiese.«

»Ueber meine Lippen ist kein Wort davon gekommen!« betheuerte Albrecht.

»Es ist jeder Frau unangenehm, wenn von dergleichen gesprochen wird,« warf Elisabeth hin. »Ihr scheint jene beiden Baubrüder zu kennen?«

»Nur den Einen von ihnen, mir scheint er ein außerordentlicher Mensch!«

»Sein Name?«

»Ich kenn' ihn nur als Ulrich von Straßburg.«

»Und warum erscheint er Euch als außerordentlich?«

Albrecht zuckte die Achseln. »Er ist so begeistert für die Kunst, er ist so aufgeklärt und voll großer Anschauungen, dabei so freundlich und mild, zum Beispiel gegen Lernbegierige wie ich, trotzdem daß ich, wie uns die Baubrüder nennen, ein Profaner bin und er mir gewiß nicht mehr von seinem Wissen mittheilen wird, als seine Gesetze erlauben.«

»Hab't Ihr ihn seit jenem Tage wiedergesehen?«

»Ja, aber wir haben wenig zusammen gesprochen; sein Gönner, Herr Anton Kreß, der Propst von St. Lorenz war bei ihm.«

[232] Elisabeth hatte ihr Examen beendet. Albrecht hatte erwartet, da sie einmal nach seiner Bekanntschaft mit den Baubrüdern fragte, sie werde ihm ihren Dank für Ulrich auftragen, denn eigentlich war es doch nur dieser, der sie aus den Händen des Ritters befreit. Allein Elisabeth brach das Gespräch ab. Sie drang nur noch in Albrecht, alles noch dastehende Confekt seinen kleinen Geschwistern mitzunehmen, und damit war er entlassen.

Elisabeth warf sich wie erschöpft auf einen Polsterstuhl und lehnte das stolze Haupt müde zurück.

Wie war ihr denn? So lange der König hier war, hatte sie in einem glücklichen Rausch gelebt. Er erschien ihr als das Ideal eines Mannes, eines Helden auf dem Thron. Und sie war es vor allen Frauen, der dieser auserlesenste aller Ritter auch die auserlesensten Huldigungen weihte. Sie hatte sie annehmen dürfen ohne Furcht, sie durfte daran zurückdenken ohne Scham und Reue, denn es knüpfte sich nichts Unwürdiges oder Erniedrigendes daran. Vor aller Augen hatte er sie ausgezeichnet vor allen Nürnbergerinnen, und vielleicht noch stolzer und glücklicher als sie selbst war ihr Gemahl über die ihr zu Theil gewordene Gunst. Das Versprechen des Königs, das nächste Mal in seinem Hause seine Wohnung aufzuschlagen, machte ihn zum [233] glücklichsten Sterblichen; er knüpfte daran sogleich die Hoffnung, daß er dann wohl an das Ziel seiner Wünsche gelangen und den Adelstand, nach dem er lange trachtete, erlangen werde, ja wenn er in etwas mit seiner Gemahlin nicht ganz zufrieden war, so war es eben nur, daß sie nicht schon jetzt die Adelswürde vom Könige erbeten, da ihr dieser gewiß keine Bitte abgeschlagen hätte. Wohl gab es Leute genug, welche durch boshafte Bemerkungen und heimliche Zuträgereien oder verstohlene Winke Scheurl auf den König hatten eifersüchtig machen und die Treue und Tugend seiner Gattin verdächtigen wollen; allein er wies alle solche Angriffe als erbärmliche Waffen des Neides und der Mißgunst zurück, und war und blieb stolz darauf, daß es gerade seine Gattin war, welche den Sieg in der Gunst des Königs über alle andere Frauen davon getragen. Vielleicht hätten so auffallende Huldigungen, wenn ein anderer Mann sie gewagt, ihn sowohl gegen denselben wie gegen seine Gemahlin, die sie nicht zurückwies, sondern mit sichtlichem Wohlgefallen annahm, aufgebracht; allein von dem Könige dargebracht, hatte er einen andern Maßstab dafür. Nicht etwa den einer gemeinen Bedientenseele, die sich geehrt fühlt, wenn sein Herr sich zu ihm herabläßt, und die sich als Ehre anrechnet, was [234] sie von anderer Seite als Schimpf empfinden würde: sondern weil er wußte, daß seine Gemahlin zu stolz war, sich jemals zu einer Buhlerin wegzuwerfen, und weil er weiter schloß, daß dieser königliche Nebenbuhler ihn ja nur auf kurze Zeit verdunkelte, und weil er Elisabeth genug kannte, um zu begreifen, daß sie von dem ersten Ritter und königlichen Helden ihres Zeitalters ausgezeichnet, nun um so ruhiger auf die Huldigungen anderer Männer verzichten werde – und beinahe kaufmännisch berechnete der reichsstädtische Handelsherr, daß der eine durch seine Entfernung auf den Thron, wie durch den Raum ungefährliche Nebenbuhler ihm die Furcht vor jedem andern erspare; denn aus den gewöhnlichen Alltagsmenschen ihrer Umgebung konnte ihm keiner erwachsen, der mit dem Einen sich hätte messen können.

In dieser Beziehung war Elisabeth wirklich von ihrem Gatten verstanden, wie wenig er sonst auch der Mann war, die Höhen und Tiefen eines weiblichen Charakters zu ermessen, wie dieser Elisabeth's. Sie hatte den Triumph ihres Geistes und ihrer Schönheit mit vollen Zügen genossen, wie der König hier war, von Begeisterung war sie durchzuckt worden bei dem Gedanken, daß dieselbe Männerhand, welche ihre kleine [235] Hand zärtlich drückte, die Geschicke einer Welt und das Scepter über viele Lande zu halten berufen war. Herrlich war es ihr erschienen, die Gedan ken des Mannes zu erforschen, auf den viele Millionen Augen voll Hoffnung und Erwartung blickten: von ihm die Rettung aus verwilderten Zuständen hofften, eine neue Aera, eine neue Form für ausgelebte Verhältnisse, und göttlich die eigenen Gefühle neben ihm auszusprechen, aus den Flammen des eigenen Geistes Funken in das Licht des seinen zu werfen, mit einem kühnen Wort vielleicht die Anregung zu geben zu einer kühnen That, oder wieder durch eine weiblich sanfte Fürbitte Befreundeten zu nützen – das gewährte ihrem ganzen Wesen eine vollere Befriedigung und gab ihr einen höheren Schwung als die leidenschaftlichen Erregungen, an denen Gemüth und Sinnlichkeit den größeren Antheil haben.

Aber jetzt war dieses Glück vorüber. Es schien, als wolle ihr Geschick ihr nur zeigen, wozu sie Beruf und Macht habe, was ihr Genüge und Beseligung geben könne, um es dann nach kurzem Besitz wieder von ihr zu nehmen! –

Die Muse eines Dichters und die Freundin eines Königs! Das Schicksal hatte sie dieser seltenen Gunst [236] gewürdigt; aber jetzt war Beides vorüber! Max war nur wie ein leuchtendes Phänomen neben ihr aufgetaucht, und jetzt erglänzte es in unerreichbarer Ferne. Sie sah wohl noch sein Leuchten – aber wie stolz und eitel sie auch war, sie wagte doch nicht sich einzubilden, der König werde unter den Sorgen der Krone und des Krieges noch ihrer gedenken. Sie sagte sich, daß er so wie ihr wohl schon vielen Frauen gehuldigt und vielen andern noch huldigen werde in seiner ritterlichen Weise, daß, wenn nicht andere Bürgerinnen, doch Edelfräulein und Fürstinnen ihr Bild verlöschen würden. Und Konrad Celtes? Sie zweifelte nicht, daß sie in seinem Herzen fortlebte wie in seinen Liedern; sie war sich ihrer geistigen Gaben genug bewußt, um zu wissen, daß er für das Verständniß seines geistigen Wesens keinen Ersatz für sie bei andern Frauen finden werde – aber sie konnte nicht ohne Schmerz und Bitterkeit an ihn denken. Er hatte sie doch nicht geliebt, so wie sie ihn liebte, sonst hätte er ihr nicht entsagt, da sie noch frei war – ach, warum gab es keinen Mann, der zu lieben verstand wie sie selbst, mit solcher Kraft und Hingebung und Treue?! Weil sie an Celtes zu der Erkenntniß gekommen war, nach einem Ideal zu jagen, für welches das Leben keine Verwirklichung [237] habe, hatte sie dem ungeliebten Mann ihre Hand gegeben, um sich vor neuen Kämpfen zu bewahren.

Und nun mußte gerade jetzt wieder eine Gestalt aus der goldenen Morgenzeit ihrer Jugend, die sie für immer zu vergessen wünschte, gleich einem Gespenst vor ihr auftauchen? Jener Augenblick auf der Hallerwiese, da sie Eberhard von Streitberg wiedersah, gehörte zu den schrecklichsten ihres Lebens!

Sie war erst siebzehn Jahre alt, da sie ihn in Venedig kennen lernte. Leicht war es dem feurigen und damals auch äußerlich anmuthigen Ritter, das liebesehnsüchtige Herz der Jungfrau zu gewinnen, und im ganzen Sonnenglanz der ersten Liebe, von Italiens Sonne doppelt verklärt, flossen ihnen Tage und Monde dahin. Sie schworen sich ewige Liebe und Treue, und Elisabeth zweifelte nicht, daß ihre Eltern in Nürnberg ihren Bund segnen würden. Es kam schon vor, daß ein Ritter, der nicht besonders mit Schätzen gesegnet war, und Streitberg schien das auch nicht zu sein, sich's noch zur Ehre schätzen mußte, wenn ein reichsstädtischer Bürger ihm die Tochter mit der reichen Mitgift gab, die Einwilligung ihrer Eltern erhalten werde. Da sie von Venedig scheiden mußte, und er das belagerte [238] Wien zum Ziel hatte, gelobten sie einander Treue und Schweigen, bis es ihm möglich sein werde nach Nürnberg zu kommen. Ueber ein Jahr verging so getrennt, zuweilen durch ein zärtliches Brieflein unterbrochen.

Endlich meldete ihr ein solches, daß er komme, daß er sie bitte ihn vor dem Thiergärtnerthor zu erwarten, damit ihr erstes Wiedersehen nach so langer Trennung ohne Zeugen sei, dann wolle er sie zu ihren Eltern begleiten. Liebeselig erfüllte sie seinen Wunsch noch vor der bestimmten Stunde. Die angegebene Stelle pflegte sonst menschenleer zu sein. Sie erstaunte eine verschleierte Dame dort zu finden.

»Elisabeth Behaim,« fragte diese, »Ihr wartet auf Eberhard von Streitberg?«

Und da Elisabeth schwieg, gab ihr die Fremde den von Elisabeth selbst geschriebenen Brief.

Elisabeth rief: »O er kann nicht kommen, und sendet mir seine Mutter oder Schwester? oder wer seid Ihr, die er seines Vertrauens würdigt?«

Die Fremde nahm Elisabeth's Arm und sagte: »Wir wollen in die Stadt gehen, hier ist es so einsam, ich erzähle Euch unterwegs; Eberhard schrieb Euch, daß[239] er Euch nach Hause begleiten und um Euch werben wolle, und Ihr glaubtet das?«

»Ich habe nie an seinem Wort gezweifelt!« sagte Elisabeth zuversichtlich.

»Armes Kind!« rief die Fremde, »Eure Unschuld spricht aus Euren Mienen wie aus Eurem Brief, darum kam ich, Euch und mich vor Schande zu bewahren, Ihr wißt wirklich nicht, daß Eberhard seit zehn Jahren verheirathet ist?«

»Ihr lügt!« rief Elisabeth.

»Ich bin seine Gattin, die er einst liebte wie Euch vielleicht auch; könnte er ehrlich um Euch werben, käme er in Euer Haus; so bestellte er Euch vor das Thor, um Euch zu entführen. Euer Brief fiel in meine Hände statt in seine, und so kam ich statt seiner. Glaubt Ihr mir nicht, so schreibt ihm nur, was Ihr von ihm gehört, und das Ihr ihn im Elternhaus erwartet, wie einer sittsamen Jungfrau ziemt!«

Was auch Elisabeth noch fragen und zweifeln mochte: es blieb bei diesem Resultat, und es blieb dabei, nachdem sie an Eberhard geschrieben und durch Andere Erkundigungen über ihn einzog. Er war verheirathet; indeß er in der Welt herum abenteuerte, lebte seine Gattin einsam auf Streitberg, und jetzt, da sie hörte, [240] daß er zurückkehre, war sie ihm entgegengereist, um auf dem Schloß eines seiner Freunde bei Nürnberg, des Herrn von Weyspriach, mit ihm zusammenzutreffen; sie kam ihm doppelt ungelegen, als sein Brief an Elisabeth eben fort war, dessen Antwort in die Hände der unglücklichen Gattin fiel.

Da Eberhard seinen Plan vereitelt sah, so schied er wieder aus der Gegend, und Elisabeth hörte nur, daß er in's heilige Land mit Weyspriach gereist. Freilich nicht zu einer Buß- und Betfahrt, sondern zu neuen Abenteuern.

Acht Jahre waren seitdem vergangen. Elisabeth, so gräßlich in ihrer Jugendliebe betrogen, unschuldig eine Schuldige, den Mann ihrer Liebe als einen Gegenstand der Verachtung erkennend, wollte wenigstens sich davor bewahren, Anderen ein Gegenstand des Spottes zu werden, und trug die ganze Centnerlast ihres Schmerzes allein als ihr Geheimniß, daß sie jetzt tausendmal ängstlicher hütete als zur Zeit des Glückes. Sie suchte ihr Herz gegen die Liebe zu verhärten und setzte jedem Manne kalten Stolz entgegen. So vergingen fünf Jahre. Da schmolz die Eisrinde unter der Gluth der Poesie, aber auch Celtes erkannte ihr Herz nicht ganz, [241] so zog es sich zusammen, und durch eine ewige Fessel wollte sie es zwingen ruhig zu schlagen.

Und jetzt, nach acht Jahren hatte der Verräther ihrer Jugendgefühle sich wieder zu ihr zu drängen gewagt; hatte er mit dem Markgrafen, mit dem Könige von ihr gesprochen – oder durch wen sonst – sollte jetzt verrathen worden sein, was sie als unauslöschlichen Schimpf empfand? Nimmer hatte sie seinen Namen wieder über ihre Lippen gebracht, weder den Markgrafen noch den König nach ihm fragen mögen, wie sehr sie diesem auch seine Verbannung dankte.

Aber hatte sie nicht für sich zu fürchten, nun er ihr wieder einmal genaht? Das quälte und ängstete sie, und sie versank in vergebliches Sinnen darüber, wie über die Geschichte, die ihr der Goldschmied Dürer erzählt.

[242]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Romane. Nürnberg. Erster Band. 10. Kapitel. Elisabeth. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6582-1