Neuntes Capitel
Frohe Feste

Bei den Gastmählern, welche der Rath von Nürnberg auf dem Rathhause bei festlichen Gelegenheiten zu geben pflegte, war auch die Betheiligung der Frauen und Töchter der Rathsmitglieder Sitte, allein sie fanden ihren Platz an einer gesonderten Tafel. Die aufgetragenen Speisen wurden zuerst an der Tafel der Rathsherren herumgegeben, und die Frauen erhielten nur von denjenigen Schüsseln, deren Inhalt bis zu ihnen reichte.

Demgemäß waren auch die Tafeln bei einem Mahl geordnet, das der Rath zu Ehren des Königs Max veranstaltet und ihn sammt dem Markgrafen Friedrich und allen andern Rittern und Herren geladen hatte.

Als der König mit seinem Gefolge eintrat, waren die Nürnberger bereits alle versammelt und harrten in einem Halbkreis aufgestellt, die Herren auf der einen,[192] die Damen auf der andern Seite, seiner Ankunft, die schmetternde Trompetenklänge verkündeten. Die beiden Loosunger Tucher und Holzschuher wiesen ihm seinen Platz oben an der Tafel an, den unvermeidlichen Kunz von der Rosen an seiner linken Seite und an seiner Rechten den Markgrafen von Brandenburg, daran reihten sich die beiden Loosunger, und nun wechselte je ein Rathsherr mit einem Ritter ab nach strengster Rangordnung.

Kunz machte ein so erstauntes, auffallend dummes Gesicht und saß so regungslos wie vom Schreck gelähmt, daß der Markgraf zu ihm sagte: »Nun Kunz, Ihr seh't aus, als sei Euch die Butter vom Brode gefallen, und habt doch zur Zeit weder das Eine noch das Andere erhalten.«

»Aber es sieht mir ganz danach aus,« sagte Kunz, »als wolle uns dieser hochedle Rath mit trockenem Brode abspeisen, denn die Unterhaltung mit diesen Herren wird sich mir bald wie trockene Krumme im Munde wälzen, wenn nicht das Lächeln der Frauen die Butter dazu sein darf.«

Der Markgraf lachte: »Ja das ist so Nürnberger Art. Der Rath hat im Kampf wider den Putz der [193] Frauen erliegen müssen, aber bei seinen Gastmahlen weiß er noch sich in Respect und sie im Zaum zu halten.«

»Ei, das wollen wir doch sehen!« sagte Kunz und schielte fragend nach dem König.

Der aber antwortete: »Du bist mein Rath und ich nicht der Deine. Ich will hoffen, daß Dich Dein Witz nicht im Stiche läßt, uns vom trockenen Brode zu helfen!«

Kunz sprang auf, kehrte aber, da er schon einige Schritte gethan hatte, wieder um, nahm den bereits gefüllten Humpen in die Hand, der an seinem Platze stand, und sagte: »Beinah' hätte ich vergessen mich gegen eine trockene Kehle zu verwahren!«

Mit einem Satze war er an der Frauentafel und stand vor Elisabeth.

»Erlaubt, edle Frau,« sagte er, »daß ich Euren Platz für mich in Anspruch nehme, um Euch dafür den meinigen zu bieten. Sollte Euch der Tausch nicht genehm sein, so bleibt mir Nichts als meine Schalksfreiheit zu brauchen und den Sitz mit Euch zu theilen; Ihr braucht nur ein wenig zuzurücken, so haben wir Beide Platz!«

Dieser Nachsatz genügte, daß sich Elisabeth eilig erhob, erglühend dem Hofnarren in's Gesicht sah und[194] nicht wußte, was sie thun oder antworten sollte, indeß die neben ihr sitzende Katharina Haller schadenfroh lächelte und mit zärtlichem Neigen auf Kunz blickte, denn sie nahm sein Kommen und daß er gerade an ihrer Seite Platz nahm, für eine ihr dargebrachte Huldigung, und indeß ein Theil der Frauen laut lachte, verließ Markgraf Friedrich seinen Platz, ging auf Elisabeth zu, und indem er sich vor ihr verneigend ihre Hand faßte, sagte er zu den Herren an der Tafel gewendet: »Die anderen Ritter werden dem Beispiel folgen, das der lustige Rath gegeben,« und zu Elisabeth: »Erlaubt, daß ich Euch zur Tafel führe, wie es Ritterbrauch.«

Und Kunz flüsterte ihr zu: »Nehm't es nicht übel, wenn Euch der Platz des Narren werden soll; nur wenn Ihr es mir nicht Dank wüßtet, wäret Ihr eine Närrin. Ihr hörtet eben, daß mich der Herr Markgraf einen lustigen Rath genannt, und da könnt Ihr wohl meine Stelle besser ersetzen. Ich sah, wie die Adleraugen meines Königs zu Euch flogen, und obwohl er Falkenblicke hat und auch in solcher Entfernung keiner Eurer Reize ihm entgeht, so wird er sich Eures Anblickes doch lieber in der Nähe erfreuen.«

[195] Erglühend, aber mit stolzem Anstand schritt Elisabeth, von Friedrich geführt den Ehrenplatz an der Seite des Königs einzunehmen auf diesen zu, indeß die Ritter und einige jüngere Nürnberger aufstanden, um zwischen den Damen Platz zu nehmen oder sie mit sich zur königlichen Tafel zu führen. Es entstand ein buntes Gewirre, daß auch die ehrwürdigsten Rathsmitglieder, die mit Schrecken diesen Umsturz alles wohllöblichen Herkommens durch den Narren sahen, Mühe hatten durchzudringen und nur einen leidlichgeordneten Zustand herbeizuführen, wo eine völlige Anarchie einzureißen drohte. Endlich hatten wieder alle Platz genommen, und mit Elisabeth saßen noch elf Damen unter den Herren, während eben so viele Herren an der kleineren Damentafel Platz genommen, darunter auch Stephan, der den Platz neben Ursula erobert.

Max versäumte zwar nicht die Pflicht des königlichen Gastes, sich Allen zu widmen und für Jeden, den sein Wort erreichen konnte, freundliche Rede und ein gefälliges Ohr für die eines Andern zu haben, aber er hatte daneben doch immer bewundernde Blicke für Elisabeth, und eben so oft, wie er ihr eine süße Schmeichelei zuflüsterte, sprach er auch laut mit ihr über dieselben Gegenstände, welche mit den Männern zur Sprache [196] kamen, wobei sie oft klügere und geistvollere Antworten zu geben vermochte als manche von ihnen.

Einmal fragte er sie leise: »Vermißt Ihr nicht Einen unter meinen Rittern?«

Sie ließ ihre Augen umherschweifen und verneinte die Frage.

»Das nimmt mich Wunder!« sagte er, »denn um Euretwillen habe ich Eberhard von Streitberg geboten die Stadt zu verlassen.«

Elisabeth ward todtenblaß, und man sah, wie kalte Schauer ihre zarte, weiße Haut überrieselten; sie blickte vor sich nieder und vermochte nicht zu antworten.

»Habe ich das nicht recht gemacht?« fragte Max mit dem Ausdruck der Verwunderung und suchte in ihren Augen zu forschen. »Ihr hab't nur zu befehlen, so ruft ihn ein Eilbote wieder zurück, und wenn ihm Eure Vergebung wird, soll ihm auch die meinige wer den.«

»Nie, nie!« rief Elisabeth, und dann fügte sie hinzu: »Ich danke Eurer Majestät, die mich von einer großen Angst und Qual befreit hat.«

Es war hier nicht der Platz zu einem weitern Gespräch, das nicht von andern Ohren gehört werden sollte, und so ward es durch andere Unterhaltungen beendet, bei denen Elisabeth lange die stumme Zuhörerin [197] machte, denn die Nennung des Ritters von Streitberg hatte sie in eine kaum geringere Aufregung versetzt, als neulich seine Gegenwart. Um ihretwillen hatte ihn der König fortgeschickt? Was wußte er von ihr und ihm? hatte Eberhard unziemlich oder drohend von ihr gesprochen? hatte er erfahren, wie sich jener auf der Hallerwiese gegen sie betragen? durch wen denn, wenn nicht durch ihn selbst; denn mit jenen Jünglingen oder den Steinmetzgesellen, die sie beschützten, konnte der König doch unmöglich selbst gesprochen haben? Auch jene Aeußerung des Markgrafs, daß sie ihn so wenig wie den schwarzen Ritter habe bemerken wollen, fiel ihr jetzt schwer auf's Herz. Was hatte Eberhard von ihr gesprochen? hatte er Lüge oder Wahrheit geredet – es dünkte ihr Beides gleich entsetzlich! – Und doch war ihr, als könne sie jetzt erst freier athmen, seit sie von der Furcht befreit war, ihn wieder zu treffen, und es mischte sich ein Gefühl stolzen Triumphes bei, weil sie diese Befreiung der Gnade des Königs dankte – der Theilnahme, die sie in ihm erregt; so war die ritterliche Höflichkeit, mit der er sie vor allen andern Frauen Nürnbergs auszeichnete, mehr als ein momentaner Sieg ihrer Schönheit, so dachte er ihrer auch, wenn er sie nicht erblickte, und handelte für sie.

[198] Inzwischen sagte an der andern Tafel Katharina Haller zu Kunz von der Rosen: »Ihr hab't wohl die Scheurlin schon früher gekannt, weil Ihr so vertraut mit ihr seid?«

»Ei, das ist mein Vorrecht wie bei dem König so bei den schönen Frauen,« antwortete Kunz, »sie machen die vernünftigsten Männer zu Narren, und da wüßte ich nicht, warum ihnen gegenüber ein Narr aufhören sollte einer zu sein. Uebrigens wißt Ihr ja, daß mein Herr und ich selbst zum ersten Male in Nürnberg sind.«

»Deshalb hättet Ihr die Scheurlin doch schon gesehen haben können, denn sie ist einmal über ein Jahr fort gewesen, um sich in Venedig und Gott weiß wo Alles abenteuerlich umher zu treiben,« berichtete Katharina, und fügte hinzu, indem sie den Mund höhnisch spitzte: »Freilich, es ist wahr, wenn Ihr sie früher gekannt hättet, würdet Ihr sie schwerlich der erwiesenen Ehre würdigen; in der Fremde hat sie sich, wie man hört, nicht viel besser betragen denn andere fahrende Frauen, und welch' anstößiges Verhältniß sie mit dem hergelaufenen Poeten, dem Celtes gehabt, weiß ganz Nürnberg.«

Ursula, die auf der andern Seite des Narren saß und zwar nur Aug' und Ohr für Stephan hatte, vernahm[199] doch diese Schmähung Elisabeth's, die ihr das Blut in's Gesicht trieb, und sagte:

»Glaubt das nicht, Herr von der Rosen! Frag't andere ehrsame Frauen und Männer in Nürnberg nach der edlen Frau Scheurlin, und alle werden mit Achtung und Anerkennung von ihr sprechen.«

»Solche ausgenommen,« fiel ihr Stephan in's Wort, um ihre Rede zu vollenden, »die ihre geistigen und körperlichen Vorzüge ihr mißgönnen, weil sie sich dadurch in den Schatten gestellt fühlen.«

»Ereifert Euch nicht, werthe Damen und Herren,« antwortete Kunz mit um so größerer Ruhe; ich müßte kein Narr sein, wenn ich nicht wüßte, daß die Menschen sich überall gleich sind, was Neid und Verleumdung reden, spaziert bei mir zu dem einen Ohr herein, um zu dem andern wieder hinaus zu gehen, und sagt mir nur, wie wenig von den Leuten zu halten, die also sich bemühen Andere herabzusetzen; vor denen aber, welche Andere vertheidigen, nehm ich meine Kappe ab!« Damit verneigte er sich ehrerbietig vor Ursula und schüttelte Stephan die Hand.

Die gedemüthigte Katharina saß sprachlos vor Wuth da und wendete sich zu ihrer stumm gebliebenen Nachbarin [200] Beatrix Immhof, einer hübschen, stillen Jungfrau, und sagte zu ihr:

»Nun sieht man doch, daß die alte Sitte gut ist, wenn wir Frauen für uns allein speisen; die Gegenwart der Männer verbittert die Unterhaltung.«

Beatrix fühlte sich gerade nicht veranlaßt dem beizustimmen, denn neben ihr saß der Ritter Apel von Weyspriach und erzählte ihr Wunderdinge von seiner Reise aus dem heiligen Lande. Dieser wandte sich jetzt zu Frau Katharina und sagte leise:

»Ihr hab't nur einen mißlichen Platz neben dem Narren; sobald er uns einmal von seiner Gegenwart befreit, möcht' ich gern von Euch Näheres über Celtes und die Scheurlin hören, und wie die gefeierte Schönheit noch dazu gekommen, einen zwanzig Jahre ältern Mann zu heirathen, der ihr freilich das Leben nicht schwer zu machen scheint?«

Katharina nickte ihm hocherfreut und beifällig zu, aber sie hielt ihre Zunge im Zaume, so lange Kunz neben ihr saß, von dem sie noch mehr als eine derbe Anspielung über neidische und klatschsüchtige Frauen hören mußte.

Die Mahlzeit währte bis zur Dämmerung, wo sich die Frauen entfernten, um zum darauf folgenden Ball[201] sich umzukleiden; indeß zechten die Männer noch weiter, und es gehörte viel Muth und Tanzlust der Frauen dazu, zu dieser wüsten Geschellschaft wieder zurückzukehren und von den angetrunkenen Männern im Tanz sich schwenken zu lassen. Indeß war es so Sitte, selbst im ehrbaren Nürnberg, über dessen Zucht und Ordnung die Rathsherren sorgfältiger wachten, als in einer anderen Stadt geschah, und das von allen zeitgenössischen Schriftstellern als ein Muster von würdigem Anstand und feinen Sitten hingestellt wird. Aber auch von dieser Stadt schreibt Konrad Celtes selbst, der sich in ihr so wohl fühlte, wie sonst nirgends: »Bei den meisten deutschen Völkerschaften giebt es Anlaß zu blutigen Zänkereien und zu vielen andern Uebeln und Ausschweifungen, daß sie einander nach gewissen Gesetzen und Gebräuchen aus großen Bechern zutrinken, wobei sie sich wie über einen großen Sieg rühmen, wenn sie einen sinnlos und gleichsam todt zu Boden gebracht haben. Hier in Nürnberg sind die Tischgespräche gar artig und gegen die Weise der Deutschen gesetzt, ohne Händel und ohne freches Gelächter, sondern durch bescheidenes Stillschweigen niedergehalten. Das Schimpfen und Fluchen ist hier weniger an der Tagesordnung als anderswo.«

[202] Die Nürnbergerinnen kehrten also wieder zurück, nachdem sie die schweren Woll- und Sammetstoffe mit leichteren Kleidern von dünner Seide und jenem zarten Stoff vertauscht hatten, welchen die alten Dichter seiner Durchsichtigkeit wegen »gewebte Luft« nannten, Haar und Gewänder mit lebendigen Blumen geschmückt.

König Max selbst eröffnete den Tanz mit Eleonore Tucher, indeß Markgraf Friedrich mit Elisabeth tanzte. Dafür widmete der König dieser später mehr als einen Tanz und erwies ihr jede ritterliche Huldigung.

In welchen Rausch von Stolz und Glück sie auch dadurch versetzt ward, so gehörte sie doch auch jetzt nicht zu den selbstsüchtigen Naturen, die alles Andere über sich selbst vergessen. Darum sagte sie zu dem König:

»Darf ich mir eine Gnade von Euch erbitten?«

»Ihr wißt, es wird mich glücklich machen, Euch Alles zu erfüllen, was ein König erfüllen darf.«

»Nun so tanzet den nächsten Tanz mit der blonden sanften Jungfrau im weißen Kleid mit Rosen geschmückt, die eben mit Stephan Tucher an uns vorüberschwebt,« sagte Elisabeth.

Der König lächelte: »Da hätte ich jede andere Bitte erwartet als eine solche! Wer ist das hübsche Kind?«

[203] »Die Tochter Gabriel Muffel's, der unter den Rathsherren Euch vorgestellt ward. Es giebt Leute, die es der Enkelin wollen entgelten lassen, daß ihr Großvater vor zwanzig Jahren hier als Loosunger gerichtet ward. Sie ist das edelste und sittsamste Mädchen von Nürnberg, erhebt sie durch Eure Gnade vor diesen ungerechten Menschen.«

»Es soll geschehen,« sagte der König; »aber hab't Ihr nichts Anderes zu wünschen?«

»Stephan Tucher,« fuhr Elisabeth fort, »wird Euch begleiten, wie ich höre, laßt ihn Eurer Gnade empfohlen sein.«

Max lächelte: »Darf Euer Gemahl diese Fürbitte hören?«

»Er würde sie wiederholen, wenn Ihr ihm dieselbe Gnade erwieset wie mir,« versetzte Elisabeth ruhig; »dieser Tucher liebt die Jungfrau Muffel, aber der Eigensinn der Väter widersetzt sich dieser Verbindung – nehm't Ihr das liebende Paar in Euren gnädigen Schutz.«

Max ließ seine Blicke auf Elisabeth mit reiner Bewunderung gleiten, die jetzt nicht ihren Körperreizen, auch nicht ihren Kenntnissen, sondern den Eigenschaften [204] ihres echtweiblichen Herzens galten, die sich jetzt ihm offenbarten, und sagte bewegt: »Keine andere Bitte?«

»Doch!« versetzte Elisabeth, »wenn Eure Majestät mich noch länger anhört. Heute bei der Tafel erzählte man Euch von Konrad Celtes, und wie Euer erlauchter Vater, unser gnädigster Kaiser und Herr mich ausersehen, ihm den Dichterkranz auf's Haupt zu setzen; vor all' den anderen Herren wagte ich nicht weiter von ihm zu sprechen, jetzt aber möcht' ich Euch bitten: leset seine Schriften und wollet bedenken, daß der nächste Platz neben dem Fürsten dem Dichter gebühren sollte. Ich wollte, er wäre jetzt noch hier: er würde Euch verstehen wie kein Anderer, und Ihr würdet seine Verdienste erkennen und zu würdigen wissen wie kein Anderer!«

»Ihr seid ein wunderliches Weib!« rief der König; »was kümmern Euch Andere? warum denkt Ihr nicht an Euch selbst?«

»Nur wenn ich an Andere denken kann, leb' ich mir selbst!« antwortete sie, und fügte bei sich selbst hinzu: wenn ich für Andere nicht leben kann, so will ich doch an sie denken! Dann fuhr sie fort: »Mich kümmerte es wohl, die beiden einzigen Männer, die ich als die edelsten ihres Geschlechtes verehre, berufen [205] dem gesunkenen deutschen Reiche wieder aufzuhelfen, Hand in Hand wirken zu sehen und die neue Zeit heraufzuführen, der Alle, welche denken können, sich entgegensehnen.«

Max hatte über dieses Gespräch des Tanzen vergessen – so hatte noch keine Frau zu ihm geredet. »Eine neue Zeit!« wiederholte er sinnend. »Ihr werdet mit mir die Tage der vergangenen Herrlichkeit und Kraft des Kaiserreiches wiederkehren sehen, der Thron Karl's des Großen wird seinen alten Glanz entfalten und die Ritterlichkeit jener alten Zeit sich durch mich erneuern!«

Elisabeth seufzte. Seit ihr Bruder ausgezogen war, um neue Welten zu entdecken, seitdem Celtes das Studium schöner Menschlichkeit den vertrockneten Lehren der Kirchenväter siegreich entgegen gestellt, seit der Bruder wie der Dichter ihre Lehren ihr verdeutlicht, war sie gleich ihnen mit der ganzen Inbrunst einer sehnenden und ahnungsvollen Frauenseele zu einem schönen Zukunftsglauben begeistert worden, und der König, der ihr als das Ideal eines Helden und Volksbeglückers erschien, wenn jemals einer auf einem Thron gesessen – der sprach nun von der Rückkehr zu der Herrlichkeit der alten Zeit!

[206] Aber er deutete ihr Seufzen anders und sagte: »Ihr hab't noch etwas auf dem Herzen – sprech't es aus; hab't Ihr denn keinen eigenen Wunsch, den Euer König erfüllen könnte?«

Er sah sie dabei so zärtlichglühend an, daß sie nach einigem Bedenken erröthend sagte: »Nun denn: wenn Ihr wieder einmal nach Nürnberg kommt und die Veste vielleicht nicht würdig bereitet ist Euch aufzunehmen, so betrachtet das Haus Christoph Scheurl's als das Eurige.«

»Seid versichert, ich werde Eure Einladung annehmen!« rief Max, reichte ihr zum Versprechen die Hand und küßte die ihrige. Damit verabschiedete er sich zugleich von ihr, denn der Tanz war zu Ende, und mit dem nächsten erfüllte der König Elisabeth's erste Bitte: er winkte den Narren herbei, damit er ihm Ursula zuführe. Die bescheidene Jungfrau war nicht wenig erstaunt über die ihr erwiesene Ehre, und wagte vor sittiger Verschämtheit und Bescheidenheit kaum die Augen aufzuschlagen zu dem ritterlichen König. In immer größere Verwirrung gerieth sie, als dieser sie mit Stephan Tucher neckte und an ihrer Verlegenheit sich weidete. Zuletzt aber sagte er zu ihr:

[207] »Verlaßt Euch auf Euren König! Ein wenig Prüfung müssen alle liebenden Paare bestehen, denket Ihr nur unter den Eurer an mein Wort: daß ich nicht anders denn zu Eurer Hochzeit mit Stephan Tucher nach Nürnberg zurückkehren will, wenn Ihr in rechter Treue für einander beharrt! Das möge Euch trösten!«

»O Majestät!« rief sie und suchte doch vergebens nach weitern Worten ihren Dank zu schildern. Aber da der Tanz beendigt war, eilte sie zu Elisabeth, denn sie ahnte, daß sie es war, der sie dies Glück verdankte. In ihren strahlenden Augen glänzte für Elisabeth der reichste Lohn eines Dienstes, den uneigennützige Freundschaft geleistet. Ihr Zweck war doppelt erreicht, denn außerdem, daß Ursula das königliche Wort als besten Trost empfangen, waren auch die Nürnberger, die ihr die Schande ihres Großvaters nachtragen wollten, durch die Auszeichnung beschämt, welche der König selbst ihr zu Theil werden ließ.

Unter mancherlei Festen ähnlicher Art war der dritte September herangekommen, den der König zu seiner Abreise bestimmt hatte.

Das Abschiedsmahl hatte Markgraf Friedrich auf der Veste veranstaltet und dazu nur eine ausgewählte Gesellschaft eingeladen, die, das Gefolge des Königs[208] ausgenommen, aus zwanzig Frauen und fünfzehn Männern bestand, sämmtlich den vornehmsten Nürnberger Geschlechtern angehörend. Gleich nach dem Mahl wollte der König zu Herzog Otto von Baiern nach Neuenmarkt reiten, der ihn dahin zu sich eingeladen, und von da nach Linz gehen zu seinem Vater, um die habsburgischen Erblande wieder zu erobern.

Noch einmal hatte Elisabeth das Glück, an der Seite des Königs ihren Platz angewiesen zu erhalten. Mit Staunen sah sie auf ihrem Teller eine kunstvoll gearbeitete Rose von in Gold gefaßten Rubinen mit Blättern von grünen Smaragden an eine goldene Nadel befestigt. Sie warf einen fragenden Blick auf den König, und dieser sagte:

»Die Rosen, die Ihr mir bei meinem Einzug zuwarfet, habe ich Euch zu Ehren getragen, bis sie verwelkten; aber ich werde sie immer als Angedenken an Nürnbergs edelste Frau bewahren – verschmähet dafür nicht diese Rose mir zu Ehren an Eurem schönen Busen zu tragen, sie ist von ewiger Dauer.«

Sie nahm das kostbare Geschenk erröthend und mit tiefem Verneigen und sagte: »Nicht Euch – mir selbst zu Ehren gereicht solch' bleibend Zeichen Eurer königlichen [209] Gnade. Eines Angedenkens daran, wie sie mir jetzt zu Theil geworden bedarf es nicht!«

»Sag't Verehrung!« flüsterte er ihr mit süßem Lächeln zu; »und wenn Ihr einmal etwas zu bitten hab't, am liebsten für Euch selbst oder auch für Andere: so laßt mich die Rose wieder sehen; sie wird mich an glückliche Tage mahnen, und ich werde jeden Wunsch erfüllen, den Ihr an die Rose knüpf't.«

Im Anfang fehlte diesmal die fröhliche Stimmung, die in den vergangenen Tagen geherrscht. Der König war stiller als sonst. Ward es ihm wirklich schwer, von der anmuthsvollen Nürnbergerin zu scheiden, oder dachte er nur daran, daß er nach dieser Ruhezeit voll harmloser Unterhaltung nun wieder in's Gewühl des Kampfes müsse, oder was ihm noch schlimmer dünkte, vergeblich dem Vater anliegen werde, sich zu Energie und That zu ermannen, um die angestammten Lande sich wieder zu erringen und König Mathias von dem angemaßten Thron zu stürzen? Hallte in ihm etwas von den Worten wieder, die der Baubruder Ulrich und die schwärmende Elisabeth zu ihm gesprochen, die noch mehr von ihm zu fordern schienen als den Siegeskranz des Helden und die Herrscherwürde Karl's des Großen? Wer lies't in den Seelen Derer, die das Schicksal auf [210] den höchsten Platz gestellt, daß sie von Allen gesehen werden und doch von den Wenigsten erkannt?

Auch Stephan Tucher, der nun schon dem Gefolge des Königs beigezählt war und dann mit ihm aufbrechen sollte, saß still neben Ursula, nicht minder beklommen von der nahen Abschiedsstunde wie von der Gegenwart seines Vaters und Bruders, die zwar jetzt in der gewissen Zuversicht, das Stephan, wenn er nur einmal von Ursula getrennt sei, ihr auch nicht treu bleiben werde, jetzt seine Huldigungen für sie weniger mißfällig bemerkten, aber ihn doch immer beobachteten, was ihn noch mehr in der Seele der Jungfrau beengte denn in der eigenen. Ebenso schien der Ritter von Weyspriach zu beklagen, daß er von Beatrix Immhof scheiden mußte, für die er an seine Erzählungen aus dem Morgenlande manche Galanterie geknüpft; und so gab es noch manchen fremden Herrn und manche für ritterliche Artigkeit empfängliche Nürnbergerin, die alle das Ende dieser harmlos fröhlichen Festtage bedauerten, und darum schon im voraus die gute Laune verloren hatten, so daß die ersten Gänge der auserlesenen Mahlzeit ziemlich still eingenommen worden waren, bis endlich Kunz von der Rosen sich in's Mittel schlug und in langer mit vielen Späßen und Seitenhieben »auf [211] Männlein wie Weiblein«, wie er sich ausdrückte, gewürzten Rede sich für den einzigen Vernünftigen und Alle für Narren und Närrinnen erklärte, die mit dem Gedanken an die künftigen Entbehrungen sich schon die gegenwärtigen Genüsse verdarben und durch eigene Schuld in Gift verwandelten.

Das half endlich und ebenso der massenhaft genossene Wein, der die Zungen löste zu freier Rede und fröhlichem Lachen, so daß die Unterhaltung bald die lebhafteste ward, die man je in diesen Tagen geführt.

Da hob der König die Tafel auf. Es war das Zeichen zum baldigen Aufbruch.

Kunz trat zu Elisabeth und Ursula und flüsterte ihnen zu: »Ich wollte Euch wohl einen guten Rath geben, wenn Ihr mir mit ein paar anderen Frauen hinausfolgtet in die anderen Gemächer.«

Elisabeth hatte bis jetzt immer die Einfälle des Narren zu ihren Gunsten gefunden, warum sollte sie ihm jetzt nicht vertrauen? Sie folgte ihm also mit Ursula, Beatrix, Eleonora Tucher und ein paar anderen Frauen.

Er führte sie durch verschiedene Corridore und Säle bis in das Gemach des Königs. »Seht,« sagte er, »da liegt die Rüstung, die er zu dem Ritt anlegen [212] wird – da liegen seine Stiefel und Sporen. Ich weiß aber, er gebe etwas darum, wenn er einen Grund fände, heute noch hier zu bleiben. Wer weiß, giebt es nicht ein Unglück wenn wir reiten, denn ich glaube, es wird Mancher von uns schief im Sattel sitzen. Nun aber nimmt der König nie einen einmal gegebenen Befehl zurück, es sei denn, er würde durch einen Scherz oder von den Fürbitten schöner Frauen dazu gebracht; wäret Ihr nicht alle froh, wenn wir noch heute hier blieben und noch einmal zusammen tanzten, statt allein auf den schlechten Wegen zu Pferd die Balanze zu verlieren?«

Alle riefen: »O wenn das möglich wäre!«

Kunz hob Maxens Stiefel empor, legte den einen der gewaltigen Ritterstiefel von unbeschreiblicher Last auf Elisabeth's weiße Arme, den andern gab er Frau Tucher und sagte:

»Nun wohl, hier habt Ihr seine Stiefel, versteckt sie, so kann er nicht fort; aber eilt, damit er uns nicht bei der That erwische.«

Wirklich hörte man draußen Tritte, und Kunz entfloh mit den Frauen durch eine kleine Tapetenthüre eine düstere Treppe hinab. Hier wurden die Stiefel in den finstersten Winkel gestellt, und auf einem anderen [213] Weg kehrten die Nürnbergerinnen wieder in den Speisesaal zurück.

Der König mit den Rittern hatte sich entfernt, sich zum Fortritt zu rüsten. Markgraf Friedrich, der nicht mit nach Neuenmarkt wollte, war noch da bei seinen anderen Gästen. Da meldete ihm ein Diener: es sei unbegreiflich, aber die Stiefel Sr. Majestät wären verschwunden und hätten doch vorhin bei der Rüstung gestanden.

Der Markgraf wollte aufschäumen über die Fahrlässigkeit des Gesindes, da trat Elisabeth vor und sagte:

»Wir wollen es nur gestehen: wir haben Sr. Majestät Stiefel und Sporen verborgen, damit er noch heute bei uns in Nürnberg bleibe.«

»Und mit uns tanze!« fügte Eleonora hinzu; »da kann er der Reiterstiefel und Sporen entbehren.«

Der Markgraf lachte und ging zum König. Es dauerte nicht lange, so brachte er ihn wieder; fröhliches Jauchzen empfing ihn und die Trompeten schmetterten.

»Sehet!« sagte Elisabeth, als der König zu ihr trat: »schon habe ich nun bei Euer Majestät etwas für mich selbst erbeten – und ich hätte auf die Rose, nun mein höchstes Kleinod gedeutet, wenn Ihr's verweigert.«

[214] Max nahm den Scherz gnädig auf und war gern bereit noch zu bleiben. In die Stadt sandte man Boten, noch andere Herren und Damen zum Tanz zu holen, der noch die ganze Nacht durch währte.

Noch einmal durfte Elisabeth die Huldigungen des Königs empfangen, noch einmal Ursula mit Stephan in trauter Nähe die Schwüre ewiger Treue tauschen – aber auch die plötzlich noch geschenkten Stunden verflogen und verrauschten, und endlich kam doch die letzte, die den Abschied brachte. – –

Am folgenden Tage war es sehr still in Nürnberg. Der König war in aller Frühe und Stille mit seinem Gefolge zur Stadt hinausgeritten, als könne er sonst noch einmal zurückgehalten werden.

»Die Gefangenschaft war weder so lang noch so langweilig wie die zu Brügge!« flüsterte Kunz ihm zu.

Die Nürnberger aber hatten Mühe, sich wieder in das alte Geleise ihres thätigen Lebens zurückzufinden.

[215]

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Romane. Nürnberg. Erster Band. 9. Kapitel. Frohe Feste. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6580-5