[188] [201]Die Demokratinnen

Sehen wir einmal mit unparteiischem Auge unter unsern Genossinnen uns um! Vielleicht, daß es uns auf die Weise möglich wird, Schwankende und Unsichere zu befestigen, Zweifelnde zu überzeugen – zurückzuweisen aber auch solche, welche den Namen der Demokratie mißbrauchen oder durch ihr Tun dem Spotte preisgeben.

Prüfen wir nun einmal unsere ganze Partei, die ganze Demokratie der Frauen – tun wir dies sowohl unserer Anhänger als unserer Gegner willen; seien wir streng und aufrichtig gegen uns selbst – wir sind dies sowohl unseren Freunden wie unseren Feinden, vor allem aber sind wir es uns selbst schuldig.

Die Beweggründe, welche die Frauen zur Demokratie geführt haben, sind zweierlei: Die einen sind Demokratinnen durch die Verhältnisse, die andern aus Überzeugung geworden – immer aber wird bei beiden das »Ewigweibliche«, das Moment der Liebe und Hingebung zum Grunde liegen – bei den einen ist es die Liebe und Hingabe an einzelne Personen – bei den andern ist es Liebe und Hingabe an das Allgemeine.

So teilen wir denn die Demokratinnen ein in:

1) Die Forcierten oder Gemachten, die, in Äußerlichkeiten sich gefallend, vor allen Dingen Aufsehen erregen wollen.

2) Die Isolierten oder Zurückgezogenen, das offenbare Gegenstück von jenen, wirken sie nur da, wo sie sicher sind, nicht bemerkt zu werden.

3) Die Frivolen oder Unsittlichen, welche teils die Demokratie zum Deckmantel eines wüsten Lebens brauchen möchten, teils sogar meinen, zu solchem Leben als Demokratinnen berechtigt zu sein.

4) Die Enthusiasmierten oder Begeisterten, die dem Geiste, der sie treibt, folgen, in der frohen Überzeugung, daß sie zuerst ihm gehorchen müssen, unbekümmert um das Urteil der Welt.

Betrachten wir nun diese einzelnen Klassen näher.

1. Die Forcierten oder Gemachten

Erstdruck in: Frauen-Zeitung, redigirt von Louise Otto, Leipzig, 2. Jg., Nr. 1, 5. Januar 1850.

I. Die Forcierten oder Gemachten

Wir sagen keineswegs, daß Eitelkeit ein speziellweiblicher Fehler sei. Die Männer sind in dieser Beziehung gerade nicht berechtigt, den Frauen Vorwürfe zu machen, aber leugnen können wir nicht, daß diese ihre Eitelkeit oft in viel äußerlichere Dinge setzen als die Männer und sie auf die kleinlichste Weise zu befriedigen suchen. So gefallen sich die forcierten Demokratinnen darin, die Sitten der Männer nachzuahmen. Sie sind es, welche in den Frauen-Clubs Biertrinken, Gläserklirren und Rauchen einführen möchten, die parlamentarische Ordnung durch Zwischenreden und Opponieren nur um Opposition willen vernichten und überall das letzte Wort haben müssen. Sie müssen ihrer Ansicht nach überall mit dabei sein – weniger um zu hören oder zu nützen, als vielmehr damit man sage: Fräulein N.N. usw. fehlte niemals. Vor allen Dingen liegt ihnen daran, bekannt zu werden und Aufsehen zu erregen. Sie sind nicht kokett oder frivol, sie drängen sich zwar an die Männer, aber sie sehen in diesen viel lieber ihre Duzbrüder als ihre Liebhaber, sie sind mit einem Wort »burschikos«. Es ist bei vielen nur eine Begriffsverwirrung; sie legen die Losung der Demokratie: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit falsch aus – sie meinen, die Freiheit sei auch zugleich ein Freisein von allen zarteren Formen der Schicklichkeit, des Anstandes, der feineren Sitte, die Gleichheit [201] hebe auch den Geschlechtsunterschied auf, daß die Frauen eben auch allen Gewohnheiten der Männer huldigen müßten, und die Brüderlichkeit sei vor allen Dingen durch eine Art Studenten-Konvent zwischen allen Demokraten und Demokratinnen einzuführen. Den meisten Frauen, auch den ungebildeten, sind eben solche Anschauungen nicht natürlich, daher forcieren sie sich zu denselben, und was als Naivetät vielleicht zu entschuldigen wäre, erreicht eben als Gemachtheit den höchsten Grad des Widerwärtigen.

Auch in ihrer Kleidung forcieren sich diese Frauen, oft zeichnen sie sich durch die Nachlässigkeit derselben aus, oder sie wählen Schnitte, die ihnen von weitem das Ansehen von Männer-Gestalten geben, oder auffallende Farben, die gleich als eine Demonstration gelten können.

Doch dies alles sind nur Äußerlichkeiten – und diejenigen, die nun mit ihnen prunkend sich selbst Demokratinnen nennen, verdienten eigentlich diesen Namen gar nicht, und wenn sie nicht selbst sich dazu zählten, würden wir auch nicht nötig gefunden haben, ihrer hier zu gedenken – so geschah es nur, sie zurückzuweisen – aber ein Teil von ihnen forciert sich auch innerlich – und handelt dann eben so forciert.

Die Wirksamkeit solcher forcierten Frauen, z.B. bei den Wahlen oder da, wo es gilt, den Reaktionären die Spitze zu bieten oder übermütige Söldner ein wenig zu demütigen, ist in der Tat gar nicht unbedeutend, obwohl die Heftigkeit, mit der sie bei allen Dingen verfahren, der guten Sache oft ebensoviel schadet als nutzt. Denn viele dieser forcierten haben gute demokratische Grundsätze, denen sie auch jedes Opfer zu bringen bereit sind – aber sie vorcieren sich eben über diese Grundsätze hinaus, indem sie alles auf die Spitze treiben, und wie sie gelegentlich im Schelten und Schimpfen sich Luft machen, so bedarf es nur einer Veranlassung, um aus der Forcierten eine Fanatikerin zu machen – eine jener Furien, von denen der Dichter singt:


»Da werden Weiber zu Hyänen,
Und treiben mit Entsetzen Scherz.«

Die Forcierte ist mit tätig beim Barrikaden-Bau, um auch mit dabei zu sein – nicht aus reiner Begeisterung des Augenblicks, die alles vergißt, sondern aus Eitelkeit, die alles bedenkt, sie gefällt sich mit der Axt in der Hand, und sie muß mit auf der Straße sein, weil ihr nur mitten im Getümmel am wohlsten. Sie hat auch schon immer einen Dolch bei sich getragen und sich oft im Schießen geübt; sie eilt mit in den Kampf, und wir müßten ihren persönlichen Mut ehren, wenn er mehr wäre, als die Folge geflissentlicher Überreizung. – Und wenn nun einst die wirkliche Revolution käme? Zweifeln wir nicht daran: die Forcierten forcierten sich immer weiter, und jene Erscheinungen der ersten französischen Revolution, jene Frauen, die mit kaltem Blute mordeten, die sich selbst zu Priesterinnen des Hasses und der Rache machten, können sich auch in Deutschland gar leicht wiederholen – wenn die Stunde gekommen ist. –

Und welche Frauen sehen wir vorzugsweise die Rolle der Forcierten spielen? Die Gattinnen mancher Demokraten, die in ihrem Kreis, gleichviel ob ein engerer oder weiterer, bekannte Persönlichkeiten, zuweilen Führer sind. Die Gattinnen wollen nicht hinter den Bestrebungen ihrer Männer zurückbleiben, sie sind stolz auf den Namen ihres Mannes, sie wollen auch würdig sein, ihn selbst zu führen. Dies an sich natürliche und löbliche Streben macht eben aus denjenigen Frauen »forcierte«, die erst durch ihre Männer Demokratinnen geworden [202] sind und so in einen neuen Kreis von Anschauungen sowohl als von Personen und Verhältnissen treten, sich in demselben nicht zurecht zu finden wissen und doch sich selbst darin zur Geltung bringen möchten. Die Halbgebildeten geraten da leicht auf den Abweg der Forcierung.

Hauptsächlich trifft man die Forcierten in den großen Städten, dort sind die Frauen, die sich hervortun möchten, am häufigsten – und zwar unter allen Ständen. Unter den sogenannten höheren forcieren sie sich freilich nicht zu Demokratinnen, sondern zu Treubündlerinnen – aber unter den mittleren und niederen haben natürlich die republikanischen Elemente die Oberhand. Wir müssen es eingestehen, daß, wenn die forcierte Demokratin des mittleren Standes – sie mag Jungfrau, Gattin oder Mutter, jung oder alt sein, sichlächerlich macht, so ist sie, aus den niedern Ständen hervorgehend, wahrhaft furchtbar. Es ist ein Unglück, das nicht die Frauen, nicht der einzelne, auch nicht die Gegenwart allein, sondern das die Gesellschaft lange Zeiten hindurch verschuldet hat: daß die Erziehung, der Unterricht der ärmeren Klassen ein so mangelhafter ist, daß Tausende in Rohheit und Unwissenheit aufwachsen. Sehen wir aber, wie die forcierte Demokratin der sogenannten gebildeten Stände schon sich darin gefällt, ihre feinere Bildung zu verleugnen und in der Abstreifung aller zarteren Formen des Umgangs – (Formen, die wahrlich nicht unnütze Ziererei und Narrheit, sondern das Bedürfnis der Humanität und edles Schicklichkeitsgefühl erfunden) ihr Gefühl für Freiheit zu betätigen sucht – so wird bei gleichen Grundsätzen das schon ohnehin rohe Weib noch roher und läßt allen Gemeinheiten absichtlich den Zügel schießen. – Man muß auch Ungebildetheit und Grobheit ertragen, wo sie eine Folge von Unwissenheit und mangelhafter Erziehung ist, man muß durch den Schmutz gehen können, wo es sein muß, ohne sich mit zu beschmutzen – aber man hat ein Recht, die Genossenschaft derer zurückzuweisen, die, statt aus dem Schlamme sich zu erheben, Gefallen finden, immer tiefer darin zu versinken.

Nicht wahr – das ist eine schonungslose Schilderung? sie wird uns viele Feindinnen unter denen machen, die sich vielleicht unsere Genossinnen nannten bis heute – wo wir diese Genossenschaft feierlichst zurückweisen. – Aber wir wollen kämpfen und siegen durch die Reinheit unserer Sache, und damit eben diese von allen erkannt werde, auch von denen, die ihr jetzt noch mißtrauen, gilt es, alle unedlen Elemente zurückzuweisen, die sich unter sie mischen. Wir sind ferne von dem Grundsatz, daß der Zweck das Mittel heilige, wir überlassen ihn unsern Gegnern.

L.O. [203]

2. Die Isolierten oder Zurückgezogenen

Erstdruck in: Frauen-Zeitung, redigirt von Louise Otto, Leipzig, 2. Jg., Nr. 2, 12. Januar 1850.

II. Die Isolierten oder Zurückgezogenen

Das offenbare Gegenteil von den Forcierten sind diese Isolierten – sie wirken nur da, wo sie sicher sind, nicht bemerkt zu werden – daß sie aus ihrer Zurückgezogenheit nicht herausgehen, davon tragen eben die Forcierten und Frivolen die Schuld, durch welche sie sich zurückgeschreckt und verletzt fühlen, deren Gemeinschaft sie um jeden Preis vermeiden wollen.

Unsere Zeit ist reich an edlen Frauen, deren Blicke wohl über den engen Kreis des Familien-Lebens hinausgehen, die aber nimmermehr auch ihre Schritte diesen folgen lassen möchten. Sie haben das Vorurteil wohl in der Idee, aber nicht in der Wirklichkeit überwunden – oder, wenn sie es selbst überwunden haben, so ist es doch in ihrer Umgebung, in ihrer Familie noch herrschend, und so akkomodieren sie sich, ihre Pflichten gegen das Allgemeine den Pflichten gegen das Besondere aufopfernd.

Wer kennte nicht diese mannigfaltigen hemmenden Familien-Verhältnisse der Gegenwart, welche auch die Frauen von entschiednen demokratischen Grundsätzen zur Isolierung zwingen! selbst demokratische Väter und Gatten wollen oft nicht, daß ihre Frauen an einem mehr öffentlich tätigen demokratischen Leben sich beteiligen, und zwar teils aus unvertilgbarer Philisterhaftigkeit, welche nicht von dem Grundsatz abgeht, jeden öffentlichen Schritt einer Frau unweiblich zu finden, und nicht will, daß man von einer Frau selbständig, d.h. anders spreche als von der Frau ihres Mannes, dessen Namen sie trägt – teils auch um ihren Frauen und Töchtern die Möglichkeit zu ersparen, mit jenen Forcierten und Frivolen in Berührung zu kommen, und dadurch, wie man zu sagen pflegt, in eine Klasse geworfen zu werden, – teils aber auch aus Ängstlichkeit und Unbehagen, schon bei den eignen schweren Verantwortlichkeiten eines öffentlichen Wirkens noch mit für die gleichen Schritte der Frauen und Töchter verantwortlich gemacht zu werden. Freilich sind auch die letzten Gründe noch ein gut Teil männlicher Philisterhaftigkeit – aber wir dürfen für dieselbe weniger die Männer an und für sich verantwortlich machen als vielmehr das Herkommen und die noch zu Recht bestehenden Institutionen, welche in der Tat Frauen und Töchter zu »Hörigen« der Gatten und Väter gemacht haben, daß diese die Schritte jener mit vertreten müssen. Haben nun schon Demokraten solche Bedenklichkeiten, denen die Frauen aus freiem Willen nachgeben, aus Klugheit, um den häuslichen Frieden zu erhalten, oder aus Liebe, die sich gern den männlichen Wünschen fügt und sich schweigend resigniert, so arten diese Bedenklichkeiten bei Reaktionären und Konservativen zur Tyrannei aus. Wer dem Absolutismus huldigt, wird auf immer in seinem Haus den Alleinherrscher spielen, und wem das Konservative Ideal ist, der wird auch gern in der eigenen Familie entweder die alten patriarchalischen Zustände aufrechterhalten oder es bis zum konstitutionellen Schein-Leben bringen, in dem die Frau zwar nein sagen, aber nicht danach handeln darf – das absolute Veto hat der Mann sich [204] vorbehalten. Es ist immer dieselbe Tyrannei, wenn auch unter verschiedenen Formen.

So wird ein großer Teil der Demokratinnen zur Isolierung von den Verhältnissen gezwungen. Wie oft wird uns nicht die Antwort, wenn wir Frauen oder Töchter zu einem Frauen-Verein, einer demokratischen Zusammenkunft oder zur Unterschrift eines öffentlichen Schreibens auffordern: »Mein Mann will es nicht – es tut mir leid«, – oder von den Töchtern, auch wenn dieselben längst mündig und über die Zeit der raschen Jugend hinaus sind: »Mein Vater gestattet dies nicht – ich darf nicht, so gern ich möchte.«

Aber es gibt auch freiwillig Isolierte außer diesen gezwungenen – denn Gott sei Dank! nicht das ganze Geschlecht lebt in diesem Joch. Es gibt Gatten und Väter, welche die Menschenwürde, d.i. das Recht der freien Selbst-Bestimmung, auch in ihren Gattinnen und Töchtern ehren – und noch viel mehr gibt es Unabhängige, Witwen und verwaiste Mädchen, die selbständig handelnd im Leben stehen – aber auch unter diesen wie viele Isolierungen! Wie viele Frauen, die bei einem scharfen Verstand und einem von wahrer Menschenliebe erfüllten Herzen doch so scheu in ihre Zelle sich zurückziehen, sich selbst so abhängig machen, nicht allein von den Urteilen, sondern auch von den Vorurteilen der Welt. – Einige beugen sich diesen Vorurteilen aus Interesse – Frauen, die von einem Geschäft leben müssen, vielleicht durch einen Handel das Brot ihrer Kinder verdienen, oder Mädchen, die als Lehrerinnen, Schneiderinnen usw. ihren Erwerb suchen müssen – sehen sich oft in die traurige Notwendigkeit versetzt, entweder ihre ganze Existenz, und oft ist es ja nicht die eigene allein, oder ihre Gesinnung – und wenn nicht diese selbst, so doch die öffentliche Betätigung denselben aufzuopfern, denn diese Frauen und Mädchen sind allein von den höhern Ständen abhängig – und es ist bekannt, wie besonders bei den Damen der Aristokratie und reichen Bourgeoisie der Fanatismus so weit geht – daß sie allen Verkehr mit Demokratinnen abbrechen und namentlich grundsätzlich denselben nichts zu verdienen geben. So zwingt die Sorge um den Lebensunterhalt viele zur Isolierung, zum Verhüllen ihrer wirklichen Ansichten. Doch auch die ganz Unabhängigen beugen sich aus freiem Willen dem Vorurteil und verharren scheu in einer selbstgewählten Zurückgezogenheit. Wir tadeln dies, aber wir finden dies sehr erklärlich, durch die Erziehung, welche bis jetzt das weibliche Geschlecht genossen, durch die Stellung, welche die Frauen in der jetzigen bürgerlichen Gesellschaft einnehmen, und durch die abschreckenden Beispiele, welche einige Frauen durch die Art ihres öffentlichen Auftretens gegeben haben.

Die Erziehung, welche bis jetzt – mit wenigen Ausnahmen – das weibliche Geschlecht genossen, lief darauf hinaus, die Frauen unselbständig zu erhalten und ihr eigenes Urteil von den Urteilen anderer abhängig zu machen. Die Redensart von der »weiblichen Bestimmung«, welcher man die allerengsten Grenzen zog und dabei von der Ansicht auszugehen schien, daß das Weib nur einen Körper, allenfalls ein Herz, aber doch ganz gewiß keinen Geist habe – ist unter dem weiblichen Geschlecht selbst jetzt noch viel mehr gang und gäbe. [...]

Nur die verschwiegenen vier Wände ihres traulichen Stübchens wagen sie zu den Zeugen ihrer erweiterten Interessen zu machen, und nur bei verschlossenen Türen flüstern sie irgendeiner kühneren Freundin zu: »Nimm diese Arbeit, dies Geschmeide oder diesen ersparten Thaler und sieh, ob Du damit einen unserer unglücklichen Freiheitskämpfer oder seine Frau, seine Kinder [205] unterstützen kannst – aber daß es nur niemand erfahre – Du wagst meine Freundschaft, wenn Dir mein Name entschlüpft« usw. Oder eine solche stille Demokratin seufzt gegen die Vertraute, die ihr von der Lebendigkeit einer Vereinssitzung, einer Assisen-Verhandlung usw. erzählt: »Ich möchte es für mein Leben gern mit gehört haben – aber –«, denn obwohl keines der früher angedeuteten Verhältnisse mit seinen tausend Rücksichten sie abhielte, so kann sie sich doch nicht entschließen hinzugehen – sie kann einmal ihre Scheu und Ängstlichkeit vor jedem Schritt aus dem Hause hinaus nicht überwinden, obwohl sie's der Freundin gar nicht verargt, die ihn tut, aber »ich kann es nicht« – ist ihre gewöhnliche Ausrede, und damit hat jeder Streit ein Ende. Das ist die Frucht verkehrter philisterhafter Erziehung – und von allen Vorurteilen sind in einem Frauen-Herzen diejenigen, die sie von ihren Eltern empfangen haben, am schwersten zu vernichten. Sie vergessen, daß die Pietät da aufhört, eine Tugend zu sein, wo sie sich an eine zufällige Form bindet, anstatt den geistigen Inhalt zu erfassen. Es heißt sich den Gesetzen des Weltgeistes widersetzen, der von Generation zu Generation auf größeren Fortschritt drängt, wenn es die Kinder in allen Stücken halten wollten, wie es zur Väter Zeit gewesen.

Allerdings sind viele für den letztern Grundsatz, und darum ist auch die bürgerliche Stellung der Frauen noch eine solche, daß in der Tat einiger Mut dazu gehört, selbständig aufzutreten. Eine jede Frau, die dies tut, ist mehr oder weniger den verschiedenartigsten Mißdeutungen ausgesetzt, und der Spott der Böswilligen heftet sich an ihre Fersen, es ist dies ein, namentlich in diesen Blättern schon oft behandeltes Thema, als daß ich nötig haben sollte, hier noch näher darauf einzugehen. [...]

Um deutlich zu sein, erinnere ich an ein Beispiel aus meinem Leben. Es mochte etwa der dritte sächsische Landtag sein, als einige Frauen mit auf die Galerien gingen. Über die Frage, ob dieselben auch den Frauen zugänglich seien, war in der Kammer debattiert worden, aber ohne dieselbe zu erledigen – als nun die Damen gerade kamen, wagte niemand, sie abzuweisen – ich hörte davon und machte auch mit von diesem Rechte Gebrauch. Die folgenden Landtage fanden eine besondere Damen-Galerie eingerichtet – aber sie war immer sehr leer, und es hieß auch, die Frauen, die sie besuchten, wollten Aufsehen machen, teils in der trivialsten Bedeutung, um gesehen zu werden, teils, um für besonders gelehrt, emanzipiert und was weiß ich alles zu gelten. Die wenigen, ihres guten Rechtes und ihrer reinen Absicht sich bewußt, ließen sich aber nicht abschrecken, und so folgte allmählich eine der andern nach. Jetzt sind die Damen-Galerien überfüllt, und man ist, Gott sei Dank! endlich so weit gekommen, die Pedanterie jener früheren Jahre (es sind aber kaum 4–6 seitdem vergangen) höchst lächerlich und kindisch zu finden, was aber von vielen zugleich geschieht, kann nicht in solcher Weise verdächtigt werden. Die in Masse isolierten Frauen brauchten daher nur in Masse ihre Isolierung aufzugeben, so hätten sie nicht einmal ein Wort der Verwunderung, geschweige denn jene lächerlichen Beschuldigungen zu befürchten. Wo die Ausnahmen sich verhundertfachen, werden sie gern schnell zur Regel, die sich jedermann gefallen läßt, auch wenn er früher über die Ausnahmen Zeter schrie.

Es ist unser lebhaftester Wunsch, diese Isolierten zum Aufgeben ihrer exklusiven Stellung zu vermögen, diejenigen aber, die von den Verhältnissen darin zurückgehalten werden, sollen uns immer werte Bundesgenossinnen sein. Mögen sie in der Stille fortwirken im Kreis der Familie, als Lehrerinnen oder [206] wo sie sonst für die heilige Sache der Demokratie tätig zu sein vermögen; – wir werden ihren guten Willen, auch wenn er in klöstliche Schleier sich hüllt, darum nicht weniger hochachten.

L.O. [207] [210]

3. Die Frivolen oder Unsittlichen

Erstdruck in: Frauen-Zeitung, redigirt von Louise Otto, Leipzig, 2. Jg., Nr. 3, 19. Januar 1850.

III. Die Frivolen oder Unsittlichen

Die Frivolen oder Unsittlichen möchten teils die Demokratie zum Deckmantel eines wüsten Lebens brauchen, teils meinen sie sogar zu solchem Leben als Demokratinnen berechtigt zu sein.


[...]

Es ist hier nicht der Ort, näher darauf einzugehen, wohl aber ist er's, darauf hinzuweisen, daß, weil der Kampf der Demokratie, d.i. der Kampf für die allgemeine Volkswohlfahrt, für die neue sittliche Weltordnung – die Sittlichkeit hoch über die Sitte stellt und diese von jener abhängig machen will, statt daß es jetzt so vielfach umgekehrt der Fall ist: so finden die Frivolen darin einen passenden Vorwand, jede Sitte, die ihnen einigermaßen unbequem ist, beiseite zu setzen und zu tun, was ihnen eben beliebt, ohne wie es die wahre Demokratie verlangt, nach dem Richterspruch höherer Sittlichkeit zu fragen. Diese Unsittlichen finden wir freilich auch bei allen Ständen und bei allen Parteien, so gut wie die Forcierten, aber während das Laster, z.B. bei einer ultramontanen Aristokratin noch den eleganten Schein eines gewissen äußern Anstandes bewahrt, tritt eben diesen gerade die frivole Demokratin absichtlich mit Füßen und ist noch imstande, mit ihrer Gemeinheit zu prunken und einer schamlosen Handlung noch einen schamlosen Scherz hinzuzufügen. Freiheit mit Frechheit zu verwechseln war immer die Art innerlich gemeiner Naturen, mögen dieselben nun in einer Mannes- oder Weibesbrust wohnen.


[...]

L.O.

[210]

4. Die Enthusiasmierten oder Begeisterten

Erstdruck in: Frauen-Zeitung, redigirt von Louise Otto, Leipzig, 2. Jg., Nr. 4, 26. Januar 1850.

IV. Die Enthusiasmierten oder Begeisterten

Beginnen wir mit den Worten Dokt. Jungs, welcher mit diesen in seinen Vorlesungen über Frauen die Enthusiasmierten bespricht: [...]

[211] »Der Enthusiasmus der jetzigen Zeit hat darin einen Vorzug vor dem einer früheren, daß er die bloße Sentimentalität überwunden und mit dem Gemüt zugleich den Verstand in sich kultiviert hat, was jetzt namentlich bei Frauen, mehr als zu einer andern Zeit hervortritt.«

Das Gottesreich zu erkennen und es suchen immer weiter auszubreiten – das ist der Lebenszweck aller echten Demokratinnen – er macht sie zu den Begeisterten, den Enthusiasmierten, welche wir schildern wollen.


[...]

Der enthusiasmierten Demokratie ist die Demokratie »Religion«.

[...]

Die Demokratie trachtet nach der Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden.

Darum wird jede begeisterte Demokratin alles daran setzen, was in ihren Kräften steht, um beizutragen, daß dieses erhabene Ziel näher gerückt und die Erreichung desselben beschleunigt werde.

Die Enthusiasmierte stellt diese Bestrebungen über alle andern und gibt ihnen so viel Aufopferung, als nur von ihr gefordert wird. Sie scheut keinen öffentlichen Schritt, wo die Verhältnisse ihn gebieten und sie durch denselben die Zwecke der Demokratie fördern kann – sie tut ihn, unbekümmert um das, »was die Leute dazu sagen«, wie diese nun einmal sind; sie scheut das öffentliche Urteil nicht, im Bewußtsein, das Rechte und Notwendige zu tun, aber sie fordert es auch nicht heraus. [...]

Die Enthusiasmierte wird sich nicht abhalten lassen, an einem demokratischen Verein teilzunehmen, als dessen Mitglieder man ihr die anrüchigen Namen einiger Forcierten oder Frivolen nennt – im Gegenteil wird sie gerade deshalb hingehen, um durch ihren achtungswerten Namen wie ihr edles Streben den besseren Elementen in einem solchen Verein die Oberhand zu verschaffen.

[...] Man hatte vorher viel geschwatzt von der Zivilisation des Jahrhunderts, welche blutige Schandtaten, wie jene Zeiten sie sahen, nicht mehr würde aufkommen lassen – diese und andere Redensarten haben sich als irrig erwiesen, die blutigen Schandtaten, von denen wir bisher nur in Chroniken lasen, sind unter unser aller Augen geschehen. Noch aber will es scheinen, als habe die Zivilisation doch einen Fortschritt gemacht: man hat bisher noch keine Frauen ermordet – wo sie nicht von absichtslosen Kugeln im Straßenkampf gefallen sind. Man hat einige gefangengenommen und andere ausgepeitscht, aber ihre Zahl ist doch nur gering, den Gefangennehmungen und Ermordungen gegenüber, welche man so massenhaft an den Männern vollzogen hat. Wohl möglich, daß dies auch noch kommt, denn von dem Fanatismus, der Rachgier ist alles zu erwarten, und wie entsetzlich das jetzige Jahr auch sein mag – vielleicht ist es nur ein kleines Vorspiel, und die folgenden Jahre bringen das Drama, bringen die blutige Ernte der blutigen Saat. Man muß den Mut haben, sich mit solchen Vorstellungen vertraut zu machen, damit die Zukunft uns nicht unvorbereitet trifft. – Die Enthusiasmierten werden in solcher Zeit so wenig von ihrer Begeisterung einbüßen, wie dies bei ihren Vorgängerinnen vor Jahrhunderten und Jahrtausenden der Fall war. Im Gegenteil: die Menschen wachsen mit den Zeiten, nur in großen Zeiten entwickeln sich die großen Menschen. Es ist in der Tat wohl auch nicht schwerer, für seine Überzeugung zu sterben, als unter Hohn, Schmach und Jammer für sie zu leben. Dies letztere ist jetzt das Los der Demokratinnen. [...]

L.O. [212]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Essays. Aufsätze aus der »Frauen-Zeitung«. Die Demokratinnen. Die Demokratinnen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-657D-F