Elftes Capitel
Hexen und Wegelagerer

Als die Baubrüder Ulrich und Hieronymus eines Abends in der Dunkelheit an ihre Wohnung kamen, sahen sie in einem Winkel der Hausthür irgend ein Wesen zusammengekauert hocken. Da sie eintreten wollten, erhob es sich, zupfte Ulrich leise, so daß dieser unwillkürlich an sein Schwert griff, indeß eine leise Stimme sagte:

»Ich habe Eure Wohnung ausgekundschaftet und auf Euch gewartet; nicht war, Ihr seid Ulrich von Straßburg und jener ist der blonde Hieronymus?«

»Wir schämen uns unserer Namen nicht!« sagte Ulrich, der gewahr ward, daß es ein weibliches Wesen mit langen Zöpfen war, das sich an ihn drängte; weiter vermochte er in der Dunkelheit Nichts zu erkennen, und da er eine Weile vergeblich auf einen Nachsatz zu der Anrede gewartet, sagte er unwillig das Mädchen [243] zurückschiebend: »Geh' fort, wir sind Baubrüder und mögen weder von ehrbaren Frauen noch weniger von verlaufenen Dirnen etwas wissen, die zur Nachtzeit in den Straßen lauern.«

Das Mädchen stieß einen Schrei aus und sagte: »Ich kann Nichts wider die innere Stimme, die mich antreibt ein Unglück zu verhüten, wo es möglich. Ihr habt Eberhard von Streitberg erzürnt, und er wird sich rächen an Euch und an Ihr!«

»Es ist wohl gar das Judenmädchen?« rief Hieronymus, es jetzt erkennend; »packe Dich in das Judenquartier, in das Du gehörst, und laß uns in Ruhe!«

Das Mädchen fing an zu weinen.

»Wenn Du es gut meinst,« sagte Ulrich besänftigend, »so gehe ruhig Deines Weges; ich sagte Dir schon einmal, daß uns auch der gefährlichste Raubritter Nichts rauben kann, denn wir haben Nichts, und mit seinem Schwert hat sich unseres schon gemessen, falls er uns nach dem Leben trachten sollte.«

»Ihr habt Nichts?« fragte das Mädchen ermuthigt, aber doch wie mit vorwurfsvollem Tone, und fügte wehmüthig hinzu: »O Ihr habt unendlich viel, wenn Ihr einen ehrlichen Namen habt, aber den trachtet Euch der Ritter zu rauben; er will Euch beschimpfen[244] und vernichten, indem er aussprengt: Eure Mütter wären – Hexen!«

»Unsinn!« rief Hieronymus; »es sollt' einer wagen mein Mütterlein zu beschimpfen, das jedes Nürnberger Kind als die bravste Frau kennt von Kindesbeinen an!«

»Er wird einen Makel auf Euch werfen, um Euch zu schaden, zweifelt nicht daran!« rief die Jüdin.

»Er mag's versuchen!« lachte Hieronymus; »komm, Ulrich, laß' uns nicht länger hören auf dies alberne Geschöpf!«

»Verachtet Ihr für Euch meine Warnung,« sagte sie seufzend, »so hört doch die für die Dame, der ihr damals beistandet. Laßt sie wissen, daß sie sich unter keinem Vorwand soll aus der Stadt locken lassen, daß sie –«

»Ach, laß uns in Ruh,« sagte Hieronymus; »geh' selbst zur Scheurlin und sag' ihr was Du willst, uns geht sie Nichts an!«

»Doch, doch!« rief das Mädchen, »ich kann nicht zu ihr! wir Ausgestoßenen dürfen ja weder bei Tag noch bei Nacht die Schwellen dieser stolzen Geschlechter überschreiten! Und doch möcht' ich das Unheil verhüten, da ich es einmal weiß! O wollt denn auch Ihr mich nicht hören?« wendete sie sich an Ulrich; »Ihr dürft [245] mich nicht verrathen und werdet es schon nicht – es sagt ja Niemand, der nicht zu unserm Volk gehört, daß er mit der armen Rachel geredet – aber ich sage die Wahrheit. Vor dem Thor draußen vor der Veste in dem kleinen Häuslein am Waldessaume wohnt die Amme der Scheurlin; übermorgen im Dunkeln wird man sie dahin locken, und derselbe Ritter von neulich wird sie überfallen und mit sich schleppen.«

»Aber woher weißt Du das?« fragte Ulrich.

»Darauf darf und kann ich nicht antworten!« rief Rachel; »aber einen Eid kann ich ablegen, daß ich die Wahrheit rede und daß es so geschehen wird.«

»Gut,« sagte Ulrich, »wenn Dich Dein Gewissen treibt, eine schlechte That zu verhindern, und Du uns gerade dazu berufen hältst, so wollen wir versuchen dasselbe zu thun. Wehe Dir aber, wenn Du nur einen frechen Scherz mit uns getrieben!«

Rachel schüttelte sich: »Ihr braucht mir nicht mit den Strafen zu drohen, die mein warten könnten, den Staubbesen oder die Henkershände die Zunge auszureißen, die falsch geredet, und allen Marterwerkzeugen – es ist noch keine Lüge aus meinem Munde gekommen! Ihr werdet es erfahren und mir künftig glauben. Warnt die Scheurlin – ich thäte es, könnt' ich schreiben.«

[246] »Es soll geschehen,« sagten die Baubrüder zugleich, »und nun geh' in Deine Gasse und gieb Dich zufrieden.« Sie traten durch die Hausthür, die sie hinter sich verschlossen, denn sie sahen einen andern Baubruder die Straße herauf kommen, und wollten nicht, am wenigsten an ihrer Hausthür, mit einem weiblichen Wesen betroffen werden, noch dazu mit einer verachteten Jüdin, denn den Baubrüdern war durch ihre Gesetze aller Umgang mit dem weiblichen Geschlecht verboten und es hieß in ihren Statuten: »Welcher Geselle mit ehrbaren Frauen geht, soll Urlaub bekommen und den Wochenlohn in die Büchse legen; wer aber mit berüchtigten und bösen Frauen sich führt, den soll man ganz aus dem Handwerk verweisen.« Zu den letztern würde man Rachel gerechnet haben, schon weil sie Jüdin, war sie dabei auch unschuldig wie ein Kind.

Als die Beiden allein in ihrem Gemache waren, sagte Hieronymus: »Es ist eine wunderliche Geschichte. Etwas thun müssen wir! aber was?«

»Das Mädchen redete aufrichtig aus einem geängsteten Herzen,« sagte Ulrich; »aber warnen können wir die Scheurlin nicht, um so weniger, als wir die Quelle auch nennen dürfen, und es auch, ohne daß man uns belogen, Alles nur Hirngespinst oder Pläne sein können, [247] die nicht zur Ausführung kommen. Laß uns übermorgen mit einigen Steinmetzen einen Spaziergang nach dem Feierabend vor jenes Thor machen, aber Keinem etwas weiter sagen; da findet es sich dann, ob Jemand unserer Hülfe bedarf.«

»Es ist der beste Rath,« stimmte Hieronymus bei; »obgleich das Mädchen uns selbst ja vor dem Raubritter warnte, dem wir nun entgegen gehen. Wie, wollte er nicht aussprengen, unsere Mütter wären Hexen?«

Ulrich nickte sinnend mit dem Kopfe. »Deine Mutter kennt hier Jedermann,« sagte er, »und zum Glück ist man hier noch vernünftig und glaubt nicht an den neuen Unsinn, der von herrschsüchtigen Priestern ersonnen worden, um nicht nur über den Glauben, sondern auch über Ehre und Leben des deutschen Volkes die Herrschaft zu erhalten. Aber in meiner Heimath hat der Hexenglaube schon lange Zeit manches Opfer geheischt – dort waren wir ja Frankreich, seiner Wiege näher. Dir allein kann ich sagen, was noch nie und gegen Niemand über meine Lippen gekommen: Da mir die Benediktiner die nöthigen Zeugnisse gaben, sagte Pater Anselm, mein Gönner, vertraulich zu mir: ›Forsche und frage draußen im Reich nicht mehr nach Deiner Mutter. Wir haben Dir das Zeugniß ehrlichen Herkommens [248] gegeben, ohne das Du nicht freier Maurer werden kannst, und es ist auch wohl verdient; aber später hat man Deiner Mutter üble Dinge nachgesagt, forsche und frage nicht weiter!‹ Vergeblich beschwor ich ihn mir mehr zu sagen, wenn er mehr von ihr wisse; aber er behauptete, daß ein Schwur seine Zunge binde und daß ich nicht weiter forschen und fragen dürfe. Darum traf mich jene Drohung doch sonderbar.«

»So geh' übermorgen lieber nicht mit,« sagte Hieronymus bedenklich, »wenn es auf eine Begegnung mit demselben Ritter abgesehen –«

»Nein!« rief Ulrich entschieden, »das wäre Furcht und Feigheit; mich gelüstet dem Mann gegenüber zu stehen, der es vergeblich wagen soll, meine Mutter oder mich zu beschimpfen.«

»Es ist auch dummes Zeug!« tröstete Hieronymus; »es wäre zum ersten Mal, daß in Nürnberg und nun gar in der Bauhütte von Hexen die Rede wäre. Dazu ist es zu hell in den Köpfen; und wenn auch der Rath und die ganze Verfassung erstarrt ist in den alten Formen, so hat das auch sein Gutes: das widersteht auch der neuen Finsterniß und der gewaltsam heraufgeführten Nacht. Hier kümmert sich Niemand um die Bulle Pabst Innocenz' VIII. und selbst die Geistlichen[249] scheuen sich davon Notiz zu nehmen. Die freidenkenden Gebildeten lächeln höchstens darüber, und in unserer Gemeinschaft würde Jeder sich selbst brandmarken, der an den Teufel anders dächte, als um ihn als darstellbares und allgemeinfaßliches Symbol zu benützen, die Sittenverderbniß der Zeit in wie außer der Kirche zu geißeln.«

»Ja,« sagte Ulrich, »es that mir wohl, diesen Geist in Nürnberg zu finden! Aber eben so hat es alle meine Hoffnungen auf König Max verringert, weil er schon vor fast drei Jahren in einem römisch-königlichen Brief vom 6. November 1486 aus Brüssel die päpstliche Bulle in allen Stücken genehmigt, die Inquisitoren in seinen Schutz nimmt und allen und jeden Unterthanen des Reichs befiehlt, ihnen bei Vollziehung ihrer Geschäfte alle Gunst und Hülfe zu leihen. Und das ist geschehen trotz dem Widerspruch der Gebildeten und vieler würdigen Geistlichen, die in ihre Predigten dem Volke die Versicherung gaben, daß es keine Hexen gebe, oder daß es wenigstens Nichts sei mit ihren angeblichen Künsten, durch welche sie den Menschen und andern Geschöpfen schaden sollten. Das ist geschehen trotz dem Buche De Lamiis pythonicis mulieribus von Ulrich Molitor (Müller) aus Kostnitz, eines Doctors der päpstlichen [250] Rechte zu Padua, worin er den Glauben an die Macht des Teufels zur Bewerkstelligung der angeblichen Zaubereien bestreitet und alles davon Erzählte für Erdichtungen oder für Werke der Einbildungskraft erklärt, obwohl er zugiebt, daß diejenigen Strafe verdienen, die durch Armuth und Unglücksfälle zum Bösen versucht, sich wenigstens der Absicht nach dem Dienst des Teufels ergeben. Aber anstatt diesem Urtheil der Vernünftigen sind die Fürsten und Universitäten dem Boten der Unvernunft beigetreten. Die Universität zu Cöln hat auf Begehr der Inquisitoren Heinrich Krämer und Jacob Sprenger ein beifälliges Gutachten über den ›Hexenhammer‹ ausgestellt, und gerade König Max mußte es sein, der ihm die vollste Bestätigung gab; ich glaube, der alte Kaiser Friedrich hätte es nimmer gethan – da thut es der Sohn; was bei dem Vater die Entschuldigung für sich gehabt, daß es von einem schwachsinnig gewordenen Greise stamme, das gereicht dem Sohn im blühendsten Mannesalter zu ewiger Schmach.«

»Ich habe mich bisher wenig um diese Dinge gekümmert,« sagte Hieronymus; »ich habe sie für zu einfältig gehalten, als daß man großes Gewicht darauf legen sollte, und wenn man aus Frankreich oder auch vom Rhein und Westfalen Hexengeschichten und Processe [251] hörte, so habe ich gemeint, solch' dummes Zeug könne sich doch nicht auf die Dauer erhalten, man könne die Thorheit ruhig mit ansehen, sie werde bald in sich selbst zerfallen.«

»Ja,« sagte Ulrich, »verachte man nur die Unvernunft, dem gewissen Sieg der Vernunft durch sich selbst vertrauend, und setze sich jener nicht mit aller Kraft entgegen, so wächst sie zur riesenhaften Macht empor. Das ist das Unkraut, das man unter dem Weizen nachsichtig duldet und das ihn dann erstickt. So scheint es hier zu gehen! Vor einem halben Jahrhundert verbrannte man die heldenmüthige Retterin Frankreichs Jeanne d'Arc, weil dem einfachen Mädchen aus dem Volke gelungen war, was Helden umsonst versuchten, und der politische Parteienhaß verdammte sie als Zauberin. Vor dreißig Jahren wurden zu Arras in Artois eine Menge von Menschen durch die Habgier schändlicher Ankläger und noch schändlicherer Richter der Gemeinschaft mit dem Teufel verdächtigt und schuldig befunden. Der Chronikenschreiber Monstrelet erklärt, daß diese ganze Anklage nur erfunden worden, um einige angesehene Personen in Schaden und Unglück zu bringen. Man ließ erst nur schlechte Leute gefangen nehmen, welche nun durch Marter und Pein gezwungen [252] wurden die Namen der Personen, die man ihnen vorsagte, als solche zu nennen, welche mit ihnen dem Teufel gehuldigt und Hexensabbath gefeiert. Die Angegebenen wurden dann wieder so grausam gefoltert und gemartert, bis sie endlich auch gestanden – und dann wurden sie auf unmenschliche Weise hingerichtet oder verbrannt. Aber trotzdem, daß so ein Gelehrter versuchte diese Schändlichkeit zu enthüllen und zu erklären, wollte man nun an andern Orten auch von Zauberei und Teufelsspuk hören, und die Finsterlinge, denen stets die Dummheit des großen Haufens und der Glaubenseifer edlerer Naturen willkommen ist ihr Reich zu kräftigen, fanden hier ein treffliches Netz, es immer weiter auszuwerfen und mehr darin zu fangen.«

»Wenn ich nicht irre,« sagte Hieronymus, »sind es etwa fünf Jahre, daß Papst Innocenz die Bulle erließ, durch welche der Hexenglaube und das damit verbundene Rechtsverfahren die kirchliche Weihe erhielt; aber Du überschätzest wohl die Schädlichkeit ihres Einflusses.«

»Gewiß nicht!« eiferte Ulrich; »die Dominikaner und Professoren der Theologie Heinrich Krämer in Oberdeutschland – und Jakob Sprenger am Rhein waren schon zu Inquisitoren ernannt, als sich noch viele der besseren und aufgeklärteren Geistlichen ihrem [253] Verfahren widersetzten; aber seit der päpstlichen Bulle und noch mehr seit der päpstlichen Bestätigung wagt das Niemand mehr, die Geistlichen wie die Laien haben sich gefügt, denn diejenigen, welche es nicht thaten, wurden ihrer Stellen verlustig. Der ›Hexenhammer‹, der erst kürzlich erschienen, enthält eine förmliche Hexengerichtsordnung, die nun überall gelten soll. Unsinn, Dummheit und Unflätherei wetteifern darin mit der schauderhaftesten Grausamkeit, und unzählige Frauen sind bereits als ihre Opfer gefallen. Das Schlimmste ist nur, daß die weltlichen Gerichte ihr Ansehen allein dadurch zu behaupten wähnen, daß sie den geistlichen Gerichten nicht die Spitze zu bieten, sondern ihnen zuvorzukommen suchen; so kommt es endlich zu einem förmlichen Wetteifer, wer mehr Teufels- und Hexenspuk aufspüren und wer seine Opfer gräßlicher foltern und bestrafen kann.«

Die Beiden sprachen noch lange so über ein einmal angeregtes schreckliches Thema und über eine, durch ein einziges Wort heraufbeschworene Gefahr, die nun wie ein Damoklesschwert über Ulrich's Haupte hing; denn kam der Verdacht eines unehrlichen Herkommens auf einen Baubruder; war seine Mutter der Schande verfallen, so verfiel er derselben mit und ward [254] für immer aus der Gemeinde der freien Maurer ausgestoßen und dadurch zugleich gewissermaßen für vogelfrei erklärt.

Als der zweite Abend nach diesem herankam, zogen die Baubrüder, ohngefähr zehn an der Zahl, vor das Thor an der Veste sich im Walde zu ergehen. Keiner, außer Hieronymus und Ulrich, ahnte dabei eine andere als die von diesen angedeutete Absicht, die schöne Waldluft zu genießen und an der Natur selbst Muster der Ornamentik zu studieren. Denn wie überhaupt die himmelanstrebenden Säulen der gothischen Dome, die oben in Zweigen und Aesten sich auseinander theilten, in den deutschen Hainen majestätischer Buchen und schlank aufstrebender Tannen ihre Vorbilder hatten, so bildete man jetzt mit immer wachsenderer Vorliebe für das Vegetabilische die Verzierungen an Säulen und Thüren, Piedestalen und Kapitälern dem lebendigen Laube in durchbrochener Steinarbeit nach, und die strebsamsten Steinmetzen, immer bemüht nach eigenen Anschauungen Neues und Eigenes zu schaffen, statt nach alten Maßbrettern zu arbeiten, suchten und zeichneten sich selbst ihre Muster in der Natur.

Jeder der Baubrüder hatte seine Ledertasche umhängen, und an die Stelle des Abendbrodes, das darin[255] steckte, bis es unterwegs verzehrt ward, sammelte man schön geformte Blätter hinein, sie gelegentlich als Modelle zu benutzen. Das kurze Schwert trug Jeder umgegürtet, nur bei der Arbeit trennten sie sich davon.

Als sie an der von der Jüdin bezeichneten Hütte vorüber kamen, sagte Ulrich: »Mich dürstet, und hier sehe ich nirgends eine Quelle oder einen Brunnen; ich denke, man wird mir hier einen Trunk Wasser nicht versagen.« Er schlug mit seinem Schwert an die verschlossene Thür, nur der eine Steinmetz Erwin, der auch Durst verspürte, wartete mit ihm.

Endlich öffnete man, und eine alte Frau fragte unwirsch, was es gäbe. Als Ulrich sein Begehr sagte, entfernte sie sich in ein inneres Gemach, um ein Trinkgefäß zu holen. Auf einem Schemel in der unsauberen Hausflur saß ein Mann in städtischer Dienertracht, der Ulrich zunickend zu ihm sagte, wahrscheinlich um seine Anwesenheit in diesem üblen Lokal zu rechtfertigen:

»Wenn Ihr nicht ganz verdurstet seid, möcht' ich Euch nicht rathen hier zu trinken! drinnen liegt eine alte Frau im Sterben – wer weiß, was ihr fehlt. Wir sind herausgegangen, weil sie die Amme meiner Herrin gewesen.«

[256] »Ja,« sagte Ulrich, »es ist auch ein schlechter Dunst hier: wenn Eure Herrin noch drinnen ist, möcht' ich Euch rathen bald mit ihr zu gehen, damit ihr kein Leid geschieht! ohnehin wird es bald dunkel, und da treibt sich hier oft schlechtes Gesindel herum; das ist kein Weg für Damen.«

»Das hab' ich auch gesagt,« bestätigte der Diener.

Die Frau kam mit dem Wasser, drinnen hörte man ächzen und stöhnen; Erwin schüttelte sich jetzt vor dem Wasser, und Ulrich goß es draußen weg statt zu trinken und winkte dem Diener heraus.

»Warum wartet Ihr nicht lieber außen?« fragte er ihn.

»Weil es ein verrufenes Haus ist; man schämt sich, wenn einen Jemand sieht; die Frau, die heraus kam, giebt sich mit Zaubereien ab, und ich kann nicht Jedermann erzählen, daß die Frau Scheurlin aus lauter christlicher Barmherzigkeit drinnen bei ihrer Amme sitzt, deren Sterben man ihr vorhin vermeldete und sie beschwören ließ herauszukommen, weil sie sonst nicht sterben könne.«

»Eben weil es ein verrufenes Haus ist,« sagte Ulrich, »solltet Ihr außen Wache stehen, um zu beobachten, daß sich nichts Verdächtiges zeigt. Wir sind[257] hier in der Nähe, ruft nach uns, wenn Ihr eines Beistandes bedürfet.«

Damit ging er mit Erwin, der zu ihm sagte: »War es nicht die Scheurlin, die Ihr gegen einen Ritter vertheidigt, wie der König hier war, und die er selbst vor allen Frauen ausgezeichnet?«

»Ja,« antwortete Ulrich; »wer weiß, droht ihr nicht wieder eine Gefahr, diese frechen Raubritter sind zu allen Schändlichkeiten fähig. Erst vor wenig Tagen ist bei Niclashausen ein Waarentransport überfallen worden, ein Trupp ritterliches Raubgesindel hat die Kaufleute und ihr Geleit in die Flucht geschlagen und ihre Waaren auf ihre Burgen geschleppt. Der Nürnberger Rath denkt immer sich allein helfen zu können, wenn die Reichsstadt aber nicht bald zum schwäbischen Bunde tritt, so wird das Uebel immer ärger werden.«

Als die Beiden wieder zu den Andern kamen, theilten sie ihnen das eben Erfahrene mit, und Hieronymus sagte: »Es kann ja Einer von uns nahe bei der Hütte bleiben, dem furchtsamen Diener und der barmherzigen Frau zum Schutz, und die andern rufen, wenn es nöthig.«

Ulrich war dazu bereit, aber er blieb so unter den[258] Bäumen versteckt, daß er auch von der Hütte aus nicht gesehen werden konnte.

Plötzlich sprengte ein geharnischter Ritter an ihm vorüber, er sprang vom Pferd und band es an einen Baum; in der Ferne hörte man noch mehr Pferdegetrappel. Zu Fuß ging er an die Hütte und lauschte am Fenster. Ein mattes Licht schimmerte daraus. Außen war es dunkel geworden. Ulrich schlich ihm leise so weit nach, als er es wagen konnte, um nicht gesehen zu werden.

Es dauerte noch eine Weile, da trat Elisabeth aus der Hütte von dem Diener gefolgt. Der Ritter näherte sich ihr und bot ihr sein Geleit, wie es schien – Ulrich verstand keine Worte – er hörte einen schrillenden Hülferuf Elisabeth's, dann des Dieners, dann einen gellenden Pfiff des Ritters. Auch Ulrich ließ einen lauten Ruf ertönen und stürzte auf den Ritter zu: die Schwerter blitzten im Dunkeln, der Diener floh, der Ritter hielt Elisabeth; an seinem Panzer prallte Ulrich's Schwert machtlos ab, aber ihn traf das des Ritters in die Seite, er wankte – noch knieend hielt er Stand; da kamen die andern Baubrüder, kamen auch die Knappen; Erwin hatte sich des ledigen Pferdes des Ritters bemächtigt und war nach Nürnberg gejagt um Hülfe [259] zu holen; sie kam schnell, da das Häuschen nur eine Viertelstunde von der Stadt. Indeß währte das Getümmel und Gewirre fort – vergeblich hatte der Ritter versucht Elisabeth mitzuschleppen; der knieende Ulrich hatte ihn in die Hand gehauen, daß er sie lassen mußte. Da die Bewaffneten aus der Stadt kamen, schwang sich der Ritter auf das Pferd eines im Kampf gestürzten Knappen, und es gelang ihm mit den andern zu entfliehen. Der Knappe, ein Steinmetzgeselle und Ulrich lagen für todt am Boden; Elisabeth war zurück in die Hütte geeilt, nicht um sich zu retten, sondern um Wasser und Linnen und die Frau, welche sie bewohnte, zu holen den Verwundeten beizustehen. Die Frau folgte ihr mit Jammergeschrei; Elisabeth sagte verweisend: »Das nützt nichts – helft!« und neigte sich über den regungslosen Ulrich. Jetzt erst erkannte sie ihn, da ein Kienspan, den die Alte mitgebracht, ihn beleuchtete. Jetzt erst überrieselten sie kalte Schauer, jetzt erst war es mit ihrer Kraft vorbei. »Todt! für mich!« hauchte sie verzweiflungsvoll. Er schlug die Augen auf, und es war, als entströme ihnen ein verklärender Strahl, dann schloß er sie wieder, um seine Lippen zuckte der Schmerz – vielleicht war es zum letzten Male.

[260] Indeß hatten die Baubrüder und die herbeigeholten Stadtmilizen aus Stangen, die sie an der Hütte fanden, und Aesten, die sie im Walde brachen, Tragbahren bereitet und die drei Verwundeten darauf gelegt. Jetzt kam auch Herr Scheurl, von dem Diener benachrichtigt, mit zahlreicher Begleitung und einer Sänfte für seine Gemahlin.

Als sie im Hause angekommen und er eine Erklärung von ihr forderte, konnte sie ihm keine andere geben, als daß gegen Abend ein Knabe zu ihr gekommen, den ihre ehemalige Amme, die jene Hütte mit einer ihr verwandten Holzhauerfamilie theile, schon oft als Boten zu ihr geschickt, um ihr zu sagen, daß die kranke Amme nicht ersterben könne, wenn sie nicht noch einmal sie gesehen. Sie sei darum mit dem Diener dahin gegangen, indeß ihr Gemahl nicht dagewesen. Die Amme war noch am Leben, aber nicht bei Bewußtsein, in der Hütte Niemand zu Hause als die alte Frau. Vergeblich habe sie lange gewartet, ob der Amme nicht ein lichter Augenblick komme, und dann sei sie endlich gegangen, da sie die Nacht gefürchtet. Der Ritter, der sich zu ihr gedrängt, habe das Visir geschlossen gehabt, sie könne nicht wissen, wer es gewesen.

[261] Daß sie in ihm Eberhard von Streitberg erkannt, verschwieg sie ebenso, wie sie den Vorfall auf der Hallerwiese verschwiegen, und bat ihren Gemahl um ihres Rufes willen die Geschichte nicht erst vor den Rath zu bringen und zu einer Untersuchung, die doch zu Nichts führe, da die Nürnberger ja keinen hängen, den sie nicht hätten; zu den Verwundeten aber solle er den besten Bader schicken und ihnen auf seine Kosten die beste Pflege angedeihen lassen, oder wenn sie stürben – sie schauderte bei dem Gedanken – das beste Begräbniß.

Für sich allein sann sie weiter nach, welch' ein Netz von Verrätherei sie umspinne. Dies Ereigniß hatte etwa vier Wochen später stattgefunden als ihr Besuch bei dem Goldschmied Dürer. Drei Wochen nach diesem war der Meister bestürzt zu ihr gekommen und hatte ihr erzählt, wie Tags vorher nicht jene alte Frau, sondern ein Knappe mit geschlossenem Visir zu ihm gekommen und die Nadel verlangt habe. Er sei wohl vorbereitet gewesen eine alte Frau festzunehmen, aber nicht einen geharnischten Mann. Dennoch habe er ihm kurz und rund erklärt, daß er die Nadel niemals machen werde, da man ihn belogen und die Besitzerin sie nie verloren habe. Da der Knappe sein Schwert gezogen, [262] habe er nach Hülfe geschrieen, aber ehe sie gekommen, sei Jener fort gewesen, nachdem er Vieles in seiner Werkstatt zertrümmert. Meister Dürer kannte den Knappen so wenig wie jene Frau; mit der Beschreibung derselben stellte aber Elisabeth jetzt Vergleichungen an, und der Gedanke gewann Wahrscheinlichkeit, daß jene alte Frau in der Goldschmiedswerkstatt und in der Hütte dieselbe gewesen. Dennoch suchte sie vergebens in diesen Ränken, welche offenbar nur gegen sie geschmiedet waren, einen Zusammenhang zu erblicken.

Kaum grübelte sie auch mehr darüber, als sie sich mit den Gedanken quälte, daß ihretwegen Blut geflossen, daß man sich um ihretwillen geschlagen, wohl gar gemordet!

Bald erfuhr sie, daß der Knappe wirklich todt sei. Das ertrug sie noch am leichtesten, denn er war einmal in die Hand der Nürnberger gefallen, und als ein Angreifer und Friedensbrecher wäre er entschieden gehangen worden, ja man würde ihm schon aus Rache, um dem verhaßten Raubadel wenigstens in seinen Dienern und Helfershelfern ein drohendes Beispiel zu geben, den höchsten Platz am Galgen angewiesen haben. Und wenn er nicht gleich gestanden, wer sein Herr gewesen und Alles was er wußte, so würde man ihn in den Marterkammern [263] unterm Rathhaus »in der Güte befragt haben«, wie die Redensart hieß, hinter der sich die Anwendung der gräulichsten Marterwerkzeuge von den Händen der Folterknechte versteckte. So war es ein Glück für den Knappen, daß er nur todt in die Hände der Sieger gefallen war.

Aber die Baubrüder, die nur die Beschützer einer wehrlosen Frau gewesen? Für sie sandte Elisabeth heiße Gebete zum Himmel empor, da sie hörte, daß sie noch lebten, aber schwer an ihren Wunden darniederlagen. War es doch derselbe Steinmetzgeselle, der sie schon einmal vertheidigt – derselbe, der schon einmal ihre Aufmerksamkeit erregte und doch ihre Rose verschmähte. Zum zweiten Male war er ihr Retter geworden, hatte sie zum zweiten Male mit Gefahr seines Lebens beschützt. Wie eine Beschämung lastete das auf ihr, doppelt, da er das erste Mal vielleicht den Ritter gekannt, und sie überhaupt es seiner Verschwiegenheit dankte, daß von diesem Vorfall Nichts in der Stadt herum gekommen. Sie ahnte nicht, wie viel sie ihm zu danken hatte – aber schon das, was sie erkannte, drückte sie wie eine Last! –

[264]

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Romane. Nürnberg. Erster Band. 11. Kapitel. Hexen und Wegelagerer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-646F-A