[5] Erster Band

Vorwort zur zweiten Auflage

Es war im Sommer 1856, als ich zum ersten Male nach Nürnberg kam. Eine Reise nach der Schweiz, die ich von meiner Vaterstadt Meißen aus (das man auch zuweilen seiner alterthümlichen Bauart wegen »Klein-Nürnberg« genannt), angetreten, führte mich dahin. Man reiste damals noch nicht mit der fliegenden Eile von heutzutage – ich wenigstens war da gerade in der glücklichen Lage, an der Seite einer Freundin ohne zwingendes Ziel rein des Vergnügens willen zu reisen und Alles mitzunehmen, was sich Interessantes am Wege bot. Von all dem dünkte uns Nürnberg das Interessanteste, so bald wir es nur betraten – und nicht eher verließ ich es wieder, bis all seine Merkwürdigkeiten und Herrlichkeiten sich mir erschlossen und alle Denkmäler aus der Blüthezeit mittelalterlicher Kunst mir ihre Geschichte erzählt hatten.

Als ich im Sonnenuntergang auf der Veste stand und über die Mauern des Burggartens hinabblickte und hinein in die unzähligen Gassen und Gäßlein der[5] alten Stadt, auf all die Thürme und Giebel, die Chörlein und Brunnen, die da sprachen von einer glorreichen Vergangenheit, wie kaum eine andere deutsche Stadt sie erlebt und von der wenigstens in keiner andern so viel treu behütete Erinnerungszeichen bis auf unsere Tage gekommen, daß man Nürnberg wohl nennen mag: das Reliquienkästlein des deutschen Reichs – da ward die ganze alte Zeit lebendig vor mir und die Jahrhunderte versanken, wie der eine sinkende Tag.

Da war mir, als sähe ich da unten nicht nur Albrecht Dürers Standbild, sondern den Meister selbst, da er noch als Lehrling beim Meister Wohlgemuth arbeitete und mit dem Patriziersohn Willibald Pirkheimer das edelste Freundschaftsbündniß schloß – da sah ich die deutschen Kaiser einziehen und wie auf Kaiser Friedrichs III. Wink Elisabeth Behaim den Dichter Konrad Celtes auf offnem Markt mit dem Lorber krönte – sah wie Kaiser Maximilian I. bald auf der Veste einkehrte beim Burggrafen von Zollern, an der Seite seinen lustigen Rath Kunz von der Rosen, bald selbst Quartier nahm im Hause Scheurls, das noch unverändert steht – sah wie die Baubrüder arbeiteten nach dem System des Achtorts in der Bauhütte neben der Lorenzkirche und Hüttentag hielten – sah die beiden Loosunger und die Genannten aus den edelsten Nürnberger Geschlechtern: Tucher, Holzschuher, Muffel, Behaim u.s.w. zum Rathhaus gehen – sah hinein in [6] Peter Vischers Gießhütte und in Adam Krafts Werkstatt am Steig und –

Was ich da sah im Sonnenuntergang und im Mondschein, das sollte zu mehr werden, denn zu einem flüchtigen Reiseeindruck – als ich andern Tags noch einmal in der herrlichen Lorenzkirche weilte, dem schönsten Denkmal gothischer Baukunst und geschmückt mit Werken eines heiligen Kunsteifers, wie eben nur jene Blüthezeit des Mittelalters ihn aufzuweisen hat, da that auch ich bei all diesen Werken reiner Begeisterung und bei meiner eigenen ein Gelübde: zu versuchen, an all diese Denkmale noch selbst durch ein geschriebenes Denkmal zu mahnen.

Als ich wieder heimgekehrt, kam mir Nürnberg nicht aus dem Sinn – aber meine Aufgabe schien mir zu groß, als daß ich gleich so ohne Weiteres an deren Lösung gegangen wäre – konnte man doch von jenen Nürnberger Meistern selbst lernen, wie man mit Ernst und Fleiß arbeiten muß, will man etwas Rechtes erreichen. Ueber ein Jahr lang habe ich denn nur im Mittelalter und in Nürnberg im Geist gelebt; ein Freund und Gönner, der Culturhistoriker Hofrath Gustav Klemm, Oberbibliothekar der Königl. Bibliothek in Dresden, der früher selbst lange in Nürnberg gelebt, war mir freundlich behülflich, Alles zu suchen, was jene Bibliothek von alten Werken darauf Bezügliches enthielt – und nicht eher, bis ich durch die fleißigsten Studien ganz auf dem gewählten Schauplatz zu Hause [7] war, ging ich an meine Arbeit. Aber ich wollte in ihr nicht allein ein culturhistorisches Bild liefern, sondern auch ein poetisches Kunstwerk – wollte Ewiges dar stellen im Endlichen, wie es meine Helden – die Baubrüder, ja auch selbst gethan.

So erschien denn mein »Nürnberg« 1859. Es war mein erster historischer Roman – und ich hatte die Freude, ihn vom Publikum wie Kritik in gleicher Weise beachtet und – was bei mir viel sagen will, da mein entschiedener Parteistandpunkt mir immer viele principielle Widersacher schuf – einstimmig anerkannt zu finden. Ich darf mich mit Freuden auf die Urtheile der angesehensten Zeitungen und auf Namen berufen wie Gutzkow, Alfred Meißner, August Silberstein, Karl Frenzel, Ludwig Eckhardt, Hermann Klencke, Heinrich Kurz, Hermann Marggraf u.s.w. Was mich aber am meisten freute, das war, daß aus Nürnberg selbst mir die vielfachste Zustimmung zu Theil ward und daß Andere, wenn sie nach Nürnberg reisten, mir versicherten, mein Buch sei dafür der beste Führer.

Jahre vergingen – die letzten Sommer führten mich wieder nach »Nürnberg« – da grüßte mich dort mehr als ein Freund deutscher Kunst und Größe mit der bangen Bemerkung: »Es ist gut, daß Sie jetzt noch kommen – denn bald werden Sie Ihr Nürnberg nicht mehr finden!«

Die Stadt, die bisher die Erinnerungen ihrer reichsstädtischen mittelalterlichen Größe so treu gehütet, hatte [8] an der Zerstörung derselben begonnen – im Interesse des Nivellirungssystems der modernen Industrie sollten die alten Mauerkronen fallen sammt Thürmen und Thoren – –

Da gedachte ich wieder meines Nürnberg und da ich erfuhr, daß die erste Auflage bis auf das letzte Exemplar schon längst vergriffen war und ich darüber nur keine Mittheilung erhielt, weil der Verlag, in dem es damals erschien, an eine andere Firma übergegangen, so erschien es mir an der Zeit, jetzt eine zweite Auflage davon zu veranstalten und es namentlich auch Allen, die sich für die alte Reichsstadt und ihre einstige Kunstblüthe interessiren, nochmals zu bieten, als ein Denkmal ihrer Herrlichkeit – wie ja auch Holzschnitt und Photographie sich eben jetzt noch bemühen, festzuhalten, was noch vom alten Nürnberg steht, weil man ja nicht weiß, wie lange es noch der modernen Zerstörungssucht widerstehen kann.

Und so sende ich denn diesen Roman zum zweiten Male in neuer Gestalt und nochmals durchgesehen, wenn sonst auch unverändert, hinaus in die Welt und hoffe, daß er keine ungünstigere Aufnahme findet, als das erste Mal. Und somit grüß' ich all die Freunde, die er schon fand und die er mir selbst erwarb – und vor Allem grüße ich Nürnberg selbst und in ihm die Hüter und Förderer des »Germanischen Museums«, denen ich mein Werk nochmals zu Füßen lege.

Leipzig, 1874. Die Verfasserin.

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Romane. Nürnberg. Erster Band. Vorwort zur zweiten Auflage. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6464-F