Siebentes Capitel
Auf der Hallerwiese

An dem Tage, an welchem König Max angekommen, ward auf der Hallerwiese von den Bürgern ein großes Büchsenschießen gehalten, zu dem man ihn eingeladen. Ein großes kostbares Zelt war für ihn und Markgraf Friedrich wie die begleitende Ritterschaft aufgeschlagen worden. Zu beiden Seiten desselben befanden sich die größern Zelte des Rathes und der Familien der »Genannten«. Ringsum hatten die Zünfte ihre Fahnen aufgesteckt, die stolz und lustig über den Platz hin wehten, in dessen Mitte eine zahllose Menschenmenge sich bewegte und auf die mannigfaltigste Weise ergötzte.

Immer aber war König Max der Mittelpunkt des Festes. Auch noch ehe er selbst auf der Wiese erschienen war, hörte man doch nur von ihm allein erzählen und Bemerkungen über ihn machen, die nur zu seinem [145] Lobe waren, selbst von denen, die sich sonst noch wenig um ihn gekümmert oder von ihm erwartet hatten. Das war bei den guten Nürnbergern doch nur so lange der Fall gewesen, als er sich nicht um Nürnberg kümmerte: nun aber war er ja gekommen, nun hatten sie ihn in ihrer Mitte, nun war er auch gut nürnbergisch, und die ritterliche und leutselige Art seines Wesens verstärkte nun den günstigen Eindruck, den sein Kommen schon an sich hervorgerufen.

So sagte Peter Vischer, der Rothgießer, der heute auch nicht in der Arbeitsschürze, sondern im Sonntagsrock erschien, zu seinen Begleitern, unter denen er der jüngste war:

»Ja, das ist ein Kaiser, der noch mehr gelernt hat, als die Waffen führen und schöne Reden auf den Reichstagen halten. Der versteht seine Waffen nicht blos zu schwingen wie ein Fechtmeister, seine Stücke nicht nur zu richten und abzuschießen wie der beste Büchsenmeister, sondern würde zur Noth auch seine Schwerter und Lanzen, Helme und Panzer selber fertigen und seine Stücke selber gießen können; denn in seiner Jugend hat er die Plattnerei und Harnischmeisterei, die Geschütz- und Lagerkunst lernen müssen, als sei er selbst zum Handwerker berufen.«

[146] »Ja,« stimmte der Steinmetz Adam Kraft bei, ein schon etwas älterer Mann mit klugen Augen unter der breiten Stirn, Haar und Bart von Natur gekräuselt; »die Steinmetzerei und Zimmerei hat er auch gelernt, und ist so absonderlich für die Baukunst eingenommen, daß er sogar selbst ein Baubruder geworden. Noch kein so großer Potentat hat das bisher gethan.« Wenn Meister Kraft so viel sprach, so war es ein Zeichen, daß es ihm sehr von Herzen ging, denn er war immer ein Mann von wenig Worten, kurz angebunden, und konnte es nicht leiden, wenn von irgend einer Sache viel gesprochen ward.

Darum sagte auch der Bildschnitzer Veit Stoß, ein Pole, der erst im kräftigsten Mannesalter von Krakau nach Nürnberg gezogen war, weil man da seine Kunst besser als in seiner Heimath zu schätzen verstand: »Ei, wenn Meister Kraft einmal so in Eifer geräth, da muß es freilich etwas Großes sein.«

Und der vierte Gefährte, Sebastian Lindenast, ein kunstreicher Kupferschmied, bemerkte: Ja, wenn ich König Max früher gesehen, hätte ich wohl ihn noch lieber als den Kaiser Karl IV. in Kupfer konterfeien mögen.«

[147] »Ach, Ihr meint bei dem zierlichen ›Männleinlaufen‹ zu der Uhr des Meisters Georg Heuß, dem Ihr die Männlein so schön in Kupfer getrieben habt,« sagte Peter Vischer. »Ich meine, es wird dem König absonderlichen Spaß machen, wenn er das zum ersten Male sieht. Ich wollte, Ihr selbst und Meister Heuß wäret dabei, wenn man den Kaiser vor den Thurm der Liebfrauenkirche führt und ihn nun bittet aufzupassen. Der wird nicht wenig schauen, wenn eine Stunde um ist, und Kaiser Karl tritt heraus, dann die sieben umgehenden Kurfürsten, dann der Ehrenhold, die vier Posauner, und endlich die zwei Männlein, davon das eine läutet und das andere die Uhr umwendet.«

»Freilich mußte es Kaiser Karl IV. sein,« sagte Lindenast, »da er es war, der dies Gotteshaus ›Unserer lieben Frauen Saal‹ gestiftet. War er doch auch ein großer Freund der Kunst, wenn schon sein Geschmack sich zuweilen von der guten deutschen Art entfernte, das italienische und antikische Wesen begünstigte.«

»Nun, wer weiß, ob ihm das Vischer nicht nachmachen will,« lächelte Kraft, »er will ja auch nach Italien gehen.«

»Ja, dahin zieht es mich nun einmal,« gestand dieser; »man muß sich in der Welt umsehen, wenn man[148] was Tüchtiges lernen will, und gerade dahin gehen, wo es auch große Werke und Künstler giebt, damit man sich nicht einbildet, man leiste schon was Rechtes. Ich habe nur noch gezögert, um den König hier nicht zu versäumen, dann mache ich mich gleich auf die Wanderschaft. Aber um wieder auf Euer Männleinlaufen zu kommen: es ist schade, daß die Figuren kupfern und nicht versilbert oder vergoldet sind. Wenn dem König Euer Werk gefällt, so riethe ich Euch das Eisen zu schmieden, weil es warm ist, und den König um ein Privilegium zu bitten, Eure Arbeiten künftig versilbern und vergolden zu dürfen, wenn es Euch beliebte.«

»Ich habe auch schon daran gedacht,« sagte Lindenast.

Indeß ward dies Gespräch durch lautes Vivatjauchzen unterbrochen, denn der König Max, von seinem von ihm unzertrennlichen Hofnarren, dem Markgrafen Friedrich und vielen Rittern begleitet, war gekommen. Aber er weilte nicht lange in dem für ihn bereiteten Zelte, sondern mischte sich unter die Büchsenschützen und schoß mit ihnen um die Wette, als gehöre er mit zu ihrem Verein. Da war nun unter dieser wieder Keiner, der nicht darauf geschworen hätte: das sei der[149] trefflichste Fürst, der je auf den Kaiserstuhl zu Rense gesetzt worden.

Freilich am ärgsten fast trieben es die Frauen und Mädchen, die einfachen Bürgerinnen so gut wie die vornehmen Patrizierinnen. Er grüßte jene wie diese, und während die ersteren den Kreis der Schießenden umdrängten, in deren Mitte sich der König befand, kamen auch die letzteren, die sich sonst immer abgesondert hielten, aus ihren Zelten hervor. Sie konnten ja heute einmal eine Ausnahme machen, und wenn der König selbst sich unter die zünftigen Bürger und den gemeinen Haufen mischte, so geschah auch ihrer Ehre kein Abbruch, wenn sie das Gleiche thaten.

Herr Christoph Scheurl ließ es sich diesmal nicht nehmen, selbst den Cavalier seiner Gemahlin zu machen. Er wußte, er werde so am ersten von den hohen Personen und dem Könige bemerkt werden – und daran lag ihm Alles. Denn zu den Dingen, um die er Hans von Tucher beneidete, gehörte auch, daß derselbe in den Adelstand erhoben worden war und ein adeliges Wappen führen durfte. Danach gelüstete Scheurl, und er trachtete nach jeder Gelegenheit, die ihm eine Möglichkeit verschaffen könnte, auch zum Ritterschlag zu gelangen. Um sich hervorzuthun, hatte er sein Haus so schön [150] schmücken lassen, und auf die seiner Gemahlin widerfahrene Huldigung war er nicht minder stolz als diese selbst, ja er war entzückt über ihren Einfall, den König mit Blumen zu werfen, obwohl es genug seiner Collegen gab, die ihn darum gegen seine Ehegattin aufhetzen wollten, oder ihm wenigstens ihr Betragen mit zweideutigen Späßen entgelten ließen. Auf Alles, was man ihm in dieser Weise sagen mochte, erklärte er lächelnd: daß ihm solche Reden nur zeigten, wie sehr man ihn beneide die schönste Frau zu besitzen, und er ging heute mit um so größerem Stolz an ihrer Seite, und obwohl sie sich sonst des Tages oft mehrere Male umzukleiden pflegte, so billigte er es, daß sie gerade heute es nicht gethan – in derselben Tracht werde der König sie um so eher wieder erkennen und vielleicht einige freundliche Worte an sie richten. Stolzer als je strahlte auch Elisabeth selbst in ihrer gebietenden Schönheit, als sie so über die Wiese ging, die lange Schleppe hinter sich herziehend, umflattert vom wehenden Schleier.

Aber wenn unwillkürlich die Blicke aller Männer an ihr haften blieben und sie doch mehr bewunderten als bespöttelten, so war das umgekehrt mit den Frauen, wenigstens bei dem größeren Theil der ihr ebenbürtigen [151] Patrizierinnen. Die ließen sich hinter ihrem Rücken in vielen spöttischen und anzüglichen Reden vernehmen, und suchten sie unter sich um so tiefer zu erniedrigen, als sie sich selbst über diese ungebildeteren, kleinlichen und engherzigen Frauen erhaben fühlte. Am spitzigsten lauteten die Bemerkungen, die aus dem Munde Katharina Haller's kamen, der Gattin des Bürgermeisters Wilhelm Haller und einer Tochter des Loosungers Holzschuher. Vor länger als einem Jahrzehent hatte sie zu den gefeiertsten Schönheiten Nürnbergs gehört, und es war ihr jetzt unerträglich, diesen Platz Anderen überlassen zu müssen. Ohne den Adel eines geistigen Ausdruckes hatte ihre Schönheit zu jenem gewöhnlichen Typus gehört, der nur durch Frische und Fülle der Jugend Reiz erhält – dies Alles war jetzt verschwunden, und hatte sie früher schon auf prüfendere Beschauer auch in ihrer Blüthezeit nur einen gewöhnlichen Eindruck gemacht, so machte sie jetzt, da jene vorüber war, auf Alle einen gemeinen. Ihre sonst eitel lächelnden Gesichtszüge erschienen jetzt von Neid und Bitterkeit verzerrt, aus ihren großen Augen meinte man giftige Pfeile fliegen zu sehen, und ihre Lippen schienen sich nie anders wie zu hämischen Bemerkungen öffnen zu können. Ihre Formen waren eckig geworden, wie alle[152] ihre Bewegungen, und ihre lange knochige Gestalt bemühte sich vergeblich eine würdevolle Haltung zu behaupten, es ward nur die einer steifen Gravität daraus. Ihre Kleidung war eben so kostbar wie die Elisabeth's, aber während diese dieselbe sinnig und geschmackvoll wählte und so reizend zu ordnen mußte, daß die Pracht derselben immer mit ihrer ganzen Erscheinung harmonirte und auch dem feinsten Schönheitssinne Rechnung trug, immer vielmehr ihrem eigenen idealen Geschmack als der gerade herrschenden Mode und Sitte folgte, so band sich Katharina Haller streng an diese, nur daß sie durch Ueberladung ihren Reichthum zu zeigen suchte.

Dem entsprechend waren jetzt ihre Bemerkungen gegen ihre Begleiter über Elisabeth und zum Theil von einer nicht wiederzugebenden Gemeinheit. »Was dünkt sie sich denn Besseres als wir, daß sie meint, sie allein könne sich Alles erlauben? Sie hätte sollen darüber zur Rechenschaft gezogen werden, daß sie sich heute unterstand nach seiner Majestät mit Blumen zu werfen und das Pferd scheu zu machen, daß es bald ein Unglück gegeben hätte; aber Alles muß ihr für voll ausgehen, es mag so unschicklich sein wie es will! Seht nur – sie drängt sich mit ihrem Manne gewiß noch [153] bis zum Könige. Ich wollte, er kehrte ihr den Rücken oder sagte ihr etwas recht Demüthigendes.«

»Das ist leider von dem ritterlichen Könige nicht zu erwarten,« sagte die andere Patrizierin, Eleonore Tucher, eine Schwägerin Stephan's; »mein Mann sagt, daß König Max ein Verehrer der Frauen ist, und man müßte nicht wissen, wie die Männer sind, auf dem Thron so gut wie anderswo, sie lassen sich am leichtesten von denen fangen, die ihnen mit freiem Betragen entgegenkommen. Da ist eher zu hoffen, daß sein Hofnarr ihr etwas Demüthigendes sagt.«

»Wenn man nur an ihn kommen könnte,« sagte Frau Haller, »denn wenn es ihr wieder gelingt, von diesem edlen König ausgezeichnet zu werden, wie sie es von dem alten Kaiser ward, als er das letzte Mal hier war und sie aufforderte, den Celtes öffentlich zu krönen, so wird ihr der Kamm immer noch höher schwellen.«

»Ach ja,« sagte Eleonore etwas boshaft; »ich erinnere mich, sie saß damals gerade neben Euch, und blieb erst sitzen, ohne sich zu rühren, indeß Ihr schon aufstandet, als der Bote des Kaisers kam sie abzurufen.«

Katharina hätte bei dieser Erinnerung vor Aerger bersten mögen, denn daß damals nicht sie, sondern Elisabeth zu der Krönung des Dichters hervorgerufen ward, [154] war die Hauptursache ihres Neides und Hasses. Aber sie erwiderte Nichts, denn eben steigerten sich diese Empfindungen zum höchsten Grad, als sie gewahrte, wie König Max aus dem Kreise der Schützen trat und einem seiner ritterlichen Begleiter winkte, und dieser darauf Christoph Scheurl und seine Gemahlin vor den König führte, sie ihm vorzustellen. Verstand die Entferntstehendere auch nicht, was er sprach, so sah sie doch an seinen huldvollen Mienen, die fast mehr bewundernd als gnädig auf Elisabeth ruhten, an ihrem mehrfachen Verneigen, zartem Erröthen und dem Lächeln des Triumphes, das ihr ganzes Antlitz verklärte, daß es nur Schmeichelhaftes sein konnte. Jetzt trat auch der lustige Rath hinzu, und obwohl Elisabeth vor seinen Worten die Augen niederschlug, so zeigte doch das beifälligstolze Lächeln ihres Gemahls, daß in dem Sprüchlein des Narren nur ein cynischer Scherz die für sie darin enthaltene Huldigung begleitet hatte, wofür ihm Max lächelnd mit dem Finger drohte und Elisabeth bat, seinem getreuen Bruder die Freiheit der Rede nicht übel zu deuten, die er selbst sich müsse gefallen lassen; worauf der Narr mit komischer Geberde Abbitte that, bis ihm Elisabeth die Hand reichte, die er demuthvoll küßte.

[155] Katharina stand stumm und sprachlos vor Wuth, während Eleonore ihren Gatten Anton Tucher in der Nähe Scheurl's gewahrte und sich zu ihm durchzudrängen suchte, um wenigstens auch der Ehre der Vorstellung theilhaftig zu werden, was ihr denn auch gelang, aber ohne daß der König sich weiter mit ihr unterhalten hätte, sondern Anton nach seinem Vater fragte, der auch zur Stelle war und seinerseits nun wieder seinen Sohn Stephan vorstellte.

Indeß war der Markgraf von Brandenburg zu Elisabeth getreten und sagte:

»Es gelang mir heute nicht einen Gruß von Euch zu erhalten, als ich an Euch vorüberritt, und als getreuer Vasall begnügte ich mich zu Gunsten Seiner Majestät darauf zu verzichten.«

»Verzeiht, edler Fürst,« unterbrach sie ihn; »ich war von der Verwirrung, die ich durch meine Unbesonnenheit beinahe angerichtet, so bestürzt, daß es wie ein Flor vor meine Augen sank.«

»Nun,« lächelte der Markgraf, »diese Entschuldigung will ich unsern Rittern vermelden, die mit mir in gleicher Lage waren, und von denen Einer sich nicht so leicht beruhigen wird.«

[156] Elisabeth sah ihn verwundert fragend an, und der Markgraf fuhr fort:

»Ich vermeine wohl die schöne Jungfrau Behaim wieder zu erkennen, die vor zwei Jahren den Konrad Celtes krönte – doch wußte ich nicht, daß es die Hausfrau Scheurl's war, die in dessen zierlichem Hause thronte gleich einer Feenkönigin. So waret Ihr es doch überdrüssig, nur die spröde Muse eines Poeten zu sein, und ich sehe Euch als gute deutsche Hausfrau wieder?«

Warum mußte Markgraf Friedrich, wenn auch vielleicht unwissend, Elisabeth gerade in dem Augenblicke so durch seine Anspielungen demüthigen, wo sie sich durch die Huld des ritterlichen Königs einmal wieder erhoben fühlte und ihr Herz in stolzer Begeisterung schlug? Ihre ganze Seelenstärke gehörte dazu, um ihre Bewegung zu verbergen, so daß sie ruhig sagen konnte: »Ihr seid sehr gütig, mich so in Eurem Gedächtniß behalten zu haben; es war ein großer Kummer für die Meinigen und meinen Gemahl, daß wir uns die Ehre Eurer Gegenwart nicht zu meiner Hochzeit erbitten durften, da ihr fern von uns in den Niederlanden weiltet.«

[157] »Nun,« lächelte der Markgraf, »es findet sich wohl eine andere Gelegenheit, von Euch zu einem Familienfeste geladen zu werden; wie ich Euch aus der Taufe hob, war ich freilich noch ein junger Mann, doch denk' ich auch jetzt noch einen stattlichen Taufzeugen abgeben zu können.«

Obwohl damals solche Scherze sehr an der Tagesordnung waren bei Vornehmen wie Geringen, erröthete Elisabeth doch unwillig, und da sie eben jetzt Ursula gewahrte, die verlegen zur Seite stand, weil sie sich unter den Augen der ganzen Familie Tucher befand, und deshalb um so weniger wagte mit Stephan Wort und Blick zu wechseln, so nahm sie Elisabeth bei der Hand und sagte:

»Vielleicht erinnert Ihr Euch noch meiner lieben Freundin Jungfrau Ursula Muffel?«

»Wenigstens von diesem Morgen,« antwortete der Markgraf, »denn von dieser holden Jungfrau fand mein Gruß Erwiederung. Wo ist Herr Gabriel, Euer Vater? Mich dünkt, ich sah ihn noch nicht.«

»Dort steht er –« sagte Ursula auf ihn deutend.

Und Elisabeth flüsterte leiser zu dem Markgrafen: »Ich empfehle ihn Eurer besonderen Gnade und werde Euch das Weitere schon noch erklären.« Nachdem sie[158] die Beiden einander genähert und mit feinem Takt eine Unterredung zwischen ihnen eingeleitet, nahm sie Ursula's Arm und sagte: »Mir wird so heiß und enge in dem Menschengewühl, lass' uns ein wenig abseits dort unter die Linden wandeln.«

»Ich kann es auch nicht mehr ertragen,« sagte Ursula, »und noch hab' ich kaum ein paar Worte mit Stephan zu wechseln gewagt.«

»Jetzt beginnt es dunkel zu werden, und die Dämmerung begünstigt alle Liebenden!« tröstete Elisabeth.

Und nicht lange wandelten sie allein unter den Linden, da gesellte sich Stephan zu ihnen. Nachdem er die ersten Zärtlichkeiten mit Ursula getauscht, sagte er: »König Max ist ein Mann nach meinem Sinn, was meinst Du, wenn ich ihm folge, mir auf eigene Hand in seinem Gefolge Ruhm und Ehr und den Ritterschlag erwerbe, und dann als Lohn für meine Dienste Nichts fordere, als daß der König unsere eigensinnigen Väter versöhne?«

»Das ist ein würdiger Entschluß!« rief Elisabeth, »so segensreich ist schon die Erscheinung eines wahren Helden – sie treibt auch Andere auf die Heldenbahn!«

Ursula sagte: »Ja, vertraue Dich ihm, er ist so ein[159] ganzer Mann und Held, und hat ja mit seiner Maria auch erfahren, was rechte Liebe ist!«

Elisabeth wollte das Paar nicht stören und zog sich wieder zurück. Um sich auszuruhen und ihren Empfindungen zu überlassen lehnte sie sich an eine der Linden, die ihre Zweige, sie fast verbergend, über sie breitete, wozu auch die grüne Farbe ihres Kleides beitrug.

Sie hatte die Augen halb geschlossen und hörte jetzt eine Männerstimme sagen: »König Max hat unsere Einladung angenommen, einem Zechentag in unserer Bauhütte beizuwohnen, und Propst Kreß hat den übermorgenden dazu festgesetzt. Gebe Gott, daß es ihm Ernst ist um die heilige Kunst.«

»Ich hoffe es!« antwortete der Andere mit der melodisch klangvollen Stimme, an der wir Ulrich erkennen. »Sein Geist, der in so vielen Fächern der Wissenschaft bewandert ist, wird auch die erhabene Lehre des Albertus Magnus in ihrer ganzen Herrlichkeit erfaßt haben, und diejenigen zu würdigen wissen, welche ihre geheiligten Lehrsätze im Stein zu verwirklichen suchen. Wird er uns nur ein Kaiser, der uns die alten Privilegien in Ehren läßt und sie zeitgemäß erweitert, so geschieht schon das Beste für uns, das wir begehren können, denn die deutsche Kunst ist das, was sie ist, [160] nicht geworden durch die Fürsten, sondern trotz ihnen – und wollte König Max den Einfluß, den er dadurch, daß er Baubruder geworden ist, auf die Bauhütten üben kann, je so weit gebrauchen, daß er in guter oder böser Absicht uns Vorschriften machen wollte: so wäre er kein rechter freier Maurer, und wir hätten die Pflicht, ihn aus unserem Bunde zu stoßen, seine Gemeinschaft zurück zu weisen. Als Fürst kann er für die Kunst nichts Besseres thun, als unsere Freiheiten bestätigen, uns schirmen gegen die Buchstabensatzungen der Pfaffen, wie gegen den Fürwitz der Profanen. Die göttliche Kunst selbst in ihrer Reinheit zu bewahren und höherer Vollendung entgegenzuführen – das ruht allein in den Händen der Künstler selbst.«

»Ich wollte, König Max hörte Dich selbst so sprechen,« sagte Hieronymus.

»Sollt' es ihm gefallen, mich etwas zu fragen,« sagte Ulrich, »so werde ich ihm nicht anders antworten, denn jedem andern Baubruder.«

»Herr Anton Kreß, unser Propst, der einmal sein besonderes Augenmerk auf Dich gerichtet, wird den König schon aufmerksam auf Dich machen,« sagte Hieronymus.

[161] »Wie es ihm gefällt,« entgegnete Ulrich; »übrigens aber hat die Theilnahme dieses Mannes für mich etwas Unheimliches.«

»Sage nur Geheimnißvolles,« verbesserte Hieronymus; »worin sollte das Unheimliche liegen? Er ist ein durchaus harmloser Charakter, wie mir scheint – ein Mann, der es zur Ehrensache anrechnet, sich das Ansehen zu geben, als habe er unsere Lehre bis in ihre ganze Tiefe erschöpft, und der vielleicht kaum das System des Achtortes von ihr behalten, der sich gern als Stifter erhabener Bauten einen Namen machen möchte, weil das zumal in Nürnberg so üblich, und den Glanz der ›Geschlechter‹ erhöht – der nebenher aber gern den Freuden der Tafel huldigt, dem Bachus opfert und nach schönen Frauen schielt.«

Elisabeth war kein Wort von dieser Unterhaltung verloren gegangen, denn alle ihre Sinne waren von ungewöhnlicher Feinheit, so auch ihr Gehör, und so auch sah sie jetzt trotz der Dämmerung, daß die beiden die Festtracht der Baubrüder trugen, wie sie dieselbe am Morgen gesehen, und es schien ihr wahrscheinlich, daß der eine von ihnen der Steinmetz war, von dem sie sich an diesem Morgen durch das Weg werfen ihrer Blume beschimpft hielt. Sie rührte sich nicht und ihre [162] Gegenwart blieb den Männern verborgen. Jetzt sah sie, wie eine kleine weibliche Gestalt ihnen nachgeschlichen kam, und sich ohne bemerkt zu werden, nur einige Schritte hinter ihnen hielt. Ihnen entgegen kamen zwei andere, noch knabenhafte Jünglingsgestalten.

»Sieh' da,« sagte Ulrich, »mein kleiner wackerer Freund Albrecht Dürer! Habt' Ihr heute auch einmal die dumpfe Werkstatt verlassen und seid von Meister Wohlgemuth's Knechten befreit?«

Albrecht schüttelte Ulrich herzlich die Hand. Der Steinmetz hatte Wort gehalten und ihn eines Tages in seiner Werkstatt besucht, und seitdem war es zuweilen geschehen, daß sie an Sonntagen einander gesehen, denn Ulrich fand Wohlgefallen an dem fleißigen, kunstbegeisterten Jüngling, und dieser wieder an Ulrich's Belehrungen, durch die er besonders seine geometrischen Kenntnisse vervollkommnete.

Er stellte diesem seinen Begleiter vor: »Das ist mein lieber Freund Willibald Pirkheimer, mit dem ich aufgewachsen, da wir in einem Hause wohnen.«

»Und woll't Ihr auch ein Maler werden?« fragte Ulrich den zartgebauten und fein gekleideten Jüngling, an dessen Haltung schon man den Patriziersohn trotz der Dunkelheit erkannte.

[163]

»Nein,« antwortete Willibald mit feinem Lächeln; »ich besuche die gelehrten Schulen, und wenn mein Freund Albrecht nicht mehr hier ist, so will ich nach Italien gehen, dort die Rechte studiren und mich mit den humanistischen Studien beschäftigen – dann meiner Vaterstadt und diesem edlen König Max dienen, der wohl Kaiser sein wird, wenn ich zurückkomme.«

»Und wie gefällt denn Euch der künftige Kaiser?« fragte Hieronymus die beiden, und zu Ulrich gewendet fügte er hinzu: »Man muß das nachwachsende Geschlecht befragen, denn dem gehört ja doch die Zukunft!«

»In diesem Augenblick,« sagte Pirkheimer feierlich, »habe ich ihm Treue bei mir selbst geschworen! Alles, was ich von ihm gehört und gelesen, hatte mich schon mit Bewunderung erfüllt, aber das wirkliche Begegnen hat sie noch tausendfach gesteigert!«

»Und ich,« sagte Dürer eben so feierlich, »habe eben geschworen, ihn einst zu konterfeien, und Gott gebeten, daß es ihm gefalle, mir einen rechten Maler werden zu lassen, damit mir das wirklich vergönnt werde!«

»Der König kann zufrieden sein,« sagte Ulrich, »denn aufrichtig ist die Begeisterung der Jugend.«

Elisabeth hatte jetzt um so aufmerksamer zugehört, als sie über den König Aeußerungen vernahm, die ihr[164] selbst so ganz ähnlich hätten entströmen mögen, und sie, durch Ursula auf Meister Wohlgemuth's hübschen Lehrling aufmerksam gemacht, sich diesen gemerkt hatte, da er ja auf einer Straße mit ihr wohnte und auch nie verfehlte, im Vorübergehen an dem schönen Hause Herrn Scheurl's hinaufzugrüßen, wenn er Jemand am Fenster gewahrte. Auch der zarte Willibald Pirkheimer war ihr kein Fremder, denn seine Eltern gehörten mit zu den »Genannten« und waren den Behaim und Scheurl's befreundet, so auch Willibald's zwei Schwestern, Charitas und Clara. Während dem hatte sie nicht bemerkt, daß der schwarzgekleidete Ritter, der auch diesen Morgen unter ihrem Fenster vorüber ritt, ohne von ihr gesehen zu werden, ihr ganz nahe geschlichen war und jetzt ihren Arm erfassend sagte:

»Hoffentlich erkennt Ihr mich im Dunkeln, da es heute früh im Sonnenglanze nicht geschah?«

Sie fuhr entsetzt zusammen, als habe sie einen Geist gesehen, und wollte sich sprachlos vor Schrecken von ihm losmachen. Er hielt sie fest und sagte:

»Du sträubtest Dich ja sonst nicht, Elisabeth? Ich kam mich mit Dir zu versöhnen, die alten Zeiten zu erneuern, Dir zu gestehen, daß Du doch die Krone aller Frauen bist!«

[165] »Laß't mich!« schrie sie, »Eure Keckheit duld' ich nicht!«

»Ei, warum denn hier so allein? Erwartest Du einen anderen Anbeter? etwa den Reimschmied Celtes – oder einen Boten des Königs?«

Elisabeth's Widerstand ward jetzt zum Ringen mit ihm, und in herzzerreißenden Tönen rief sie: »Willibald! schützt mich!«

»Himmel!« rief Willibald, »es ist die Scheurlin, der Jemand unziemlich begegnet!«

Er, Dürer und die Baubrüder stürzten im Nu auf die Beiden zu. Ulrich rief den Ritter an; »Was erfrecht Ihr Euch?«

»Sind das jetzt Eure Genossen?« höhnte der Ritter verächtlich, indem er sein Schwert zog; aber auch die Baubrüder zogen die ihrigen, welche sie stets am Gürtel trugen, und im Nu schlug Ulrich dem Ritter das nun eben erfaßte Schwert aus der Hand. Als er es wüthend wieder erfassen wollte, riß sich Elisabeth von ihm los, nahm Willibald's Arm und sagte: »Kommt, kommt unter die Menschen, die Zelte!«

Hieronymus hatte das fallende Schwert aufgefangen, und der Ritter drang auf ihn ein, es ihm wieder zu entreißen.

[166] Ulrich drängte ihn mit seinem eigenen Schwert zurück, aber ohne ihn zu verwunden, und sagte: »Wir schlagen uns nicht mit Raufbolden und Stegreifrittern, die ehrbare Frauen unziemlich behandeln; das Schwert behalten wir, weil Ihr nur Frevel damit anrichten möchtet; hol't es Euch wieder beim Könige oder bei dem hochedlen Rath dieser Stadt, wenn Euch danach verlanget.«

Es kamen Leute, Stadtschützen, eine stattliche Anzahl der Rußigen, und Alle fragten, was es gebe? Der Ritter, da er wußte, daß die Bürger und Zünftigen immer geneigt waren einander wider den Uebermuth des Adels zu helfen, und daß er allein unter diesen Vielen nichts ausrichten, und wahrscheinlich als ein Brecher des Landfriedens ›eingebracht‹ werden möchte, brach sich durch die Menge Bahn und sagte drohend:

»Ich werde dem König vermelden, wessen er sich zu den Nürnbergern zu versehen hat, die sich also gegen seine Begleiter betragen!«

Man ließ ihn gehen und die Meisten schalten ihn ein Großmaul, und lachten und höhnten hinten ihm her.

Die kleine weibliche Gestalt, welche Elisabeth vorhin hinter den Baubrüdern bemerkt hatte, war auch noch da. Es war das Judenmädchen von diesem Morgen. Sie drängte sich jetzt an Ulrich und sagte:

[167] »Der Ritter da ist ein Placker und Straßenräuber, nehm't Euch vor ihm in Acht.«

»Unser einem kann er nichts rauben!« lächelte er, »aber ich danke Dir, liebes Kind! Weißt Du seinen Namen?«

Wie glücklich lächelte die Kleine! Sie wollte antworten, aber Hieronymus zog den Kameraden von ihr fort und sagte vorwerfend: »Sprich doch nicht mit der Judendirne!«

Ulrich hatte in der Dämmerung die gelben Streifen an ihren Aermeln nicht bemerkt, er bemerkte auch weder vorhin noch jetzt, daß sie die weiße Rose, die er diesen Morgen zur Seite geworfen, an ihrem Kleide trug – aber er kehrte sich jetzt schnell von ihr ab und gewahrte darum auch nicht, wie sie ihre Arme wie von einem plötzlichen Schlag getroffen herabsinken ließ und die Hände ineinander rang.

[168]

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Romane. Nürnberg. Erster Band. 7. Kapitel. Auf der Hallerwiese. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6463-2