[196] [199]Der Eich-Baum bey dem Gutsmuthischen Begräbnisse fürgestellet/ An. 1690

B.N.


Der geist der poesie hat manches schon erdacht/
Wenn sie der todten grab mit farben angestrichen/
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Und bald aus ihrem thun granaten-frucht gemacht/
Bald wieder ihren ruhm mit lorbeern hat verglichen;
Heut aber fängt mein trieb was ungemeines an/
Indem ich einen mann/ der voller kern gewesen/
Der uns mehr nutz und frucht als palmen lassen lesen/
Und wie ein balsam-baum sich allen auffgethan/
Den edlen Gutsmuth nur mit einer blossen eichen/
Nach seinem tode will in dieser schrifft vergleichen.
Doch denckt nicht/ sterbliche/ daß meiner feder hier
So krafft als dinte wird zu beyder ruhme fehlen;
Athen zog eicheln schon dem besten zucker für/
Und ließ/ wie Spanien/ zu speisen sie erwehlen.
Die Römer haben nur/ den helden ihrer stadt
Zu ehren/ einen krantz von eichen-laub erfunden/
Und Deutschland war so sehr an dieses holtz gebunden/
Daß man mit anderm nichts vor dem geopffert hat.
Was kan der selige nun besserm auff der erden/
Als einer eichen noch zuletzt verglichen werden?
Sein erster kinder-gang in der verwirrten welt/
Nahm witz und lehren schon von jungen eichen-zweigen;
Denn wie ihr zartes holtz sich/ wie es uns gefällt/
Von unsern händen läst nach ieder forme beugen:
So fiel sein hertze bald der eltern willen bey/
Und ließ wie Cimon sich zur tugend auffwärts richten/
Zu zeigen: daß ein baum nur reich an seinen früchten/
Und eine mutter erst vollkommen glücklich sey/
Wenn sie um ihren schatz vor andern recht zu preisen/
Nur/ wie Cornelia/ darff auff die kinder weisen.
Mit zeit und jahren wuchs auch die erfahrenheit/
So wie ein eichen-baum von vielen sturm und winden;
Denn wer die stirne nicht mit staub und schweiß bestreut/
Wird auch das güldne fließ der ehre selten finden.
Der klügste Hannibal muß durch gefahr erhöht/
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Der grosse Cäsar vor in wellen elend werden.
Drum brach der selige durch sorgen und beschwerden/
Und glaubte: daß ein mensch nicht eher feste steht/
Biß müh und kummer ihm/ mit dem wir uns beladen/
So wenig als das feur kan grünen eichen schaden.
Diß alles überwog der kern der süssen frucht/
Die er biß in den tod vor keinem angebunden/
Und mancher offtermahls noch eh' er sie gesucht/
Wie eicheln ohngefehr in wäldern hat gefunden.
Der fromme Scipio hat alle fast beschenckt/
Agesilaus nichts als schuldner hinterlassen;
Er suchte iederman mit liebe zu umfassen/
Und hat mit Phocion den gringsten nicht gekränckt/
Wohl aber vielen so/ wie eichen-bäume bienen/
Zu ihrem auffenthalt und schutze müssen dienen.
Nechst liebe soll ein mensch auch klug im rathe seyn/
Nach art der wider gifft bewehrten eichen-rinden.
Denn klugheit muß die noth mit zucker überstreun;
Wie ärtzte wund und schmertz mit eichen-laub verbinden.
Der ruhm des seligen ist allen offenbar/
Und darff wie Cato sich durch säulen nicht vermehren/
Weil bloß vernunfft und witz der marmel seiner ehren/
So wie der eichen-safft des mistels wachsthum war;
Und unser Leopold ihn selber neu gebohren/
Indem er ihn zum rath und ritter außerkohren.
Je höher aber er an stand und würde stieg/
Je tieffer warff sein hertz sich wieder zu der erden;
Denn dieses bleibt auch sein/ wie Cyrus/ gröster sieg/
Daß er im glücke nicht hat können stöltzer werden/
Und also dißfalls auch wie eichen sich bezeigt;
Die zwar ihr hohes haupt zum himmel auffwärts strecken/
An wurtzeln aber auch gleich tieff im grunde stecken/
Zur lehre: daß der ruhm schon von sich selber steigt/
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Und ein bescheidner bloß mit nutz-erfüllten schalen/
Gleich wie ihr gipffel soll mit lauter früchten pralen.
Die klugen zehlen sonst zu wundern der natur
Auch dieses: daß ihr stamm kan keinen ölbaum leiden.
Wer weiß nicht/ wie sein geist auff der gesetzten spur/
Das öle falscher welt hat wissen zu vermeiden?
Wenn er auff erden schon den grossen Gott beschaut/
Und durch des glaubens krafft den sünden obgelegen?
Drum ward er lebenslang vom himmel auch mit segen/
Als wie ein eichen-baum mit honig überthaut/
Und ließ die blöden offt aus seinen augen lesen:
Daß er bey sorgen auch stets gutes muths gewesen.
Itzt hat der blasse tod sein urthel abgefaßt/
Und läst das trauer-lied in unsern ohren schallen/
Was jener Spanier auff einen eichen-ast
Zum sinnenbilde schrieb: Nun ist er auch gefallen.
Doch nur der meynung nach; denn kunst und wissenschafft/
Schnitzt form und bilder erst aus umgefällten eichen;
So kan auch unser geist erst Gottes bilde gleichen/
Wenn er sich von der welt zum himmel auffgerafft;
Der leib muß aber so/ wie eicheln in der erden
Zum stamme/ mit der zeit zum menschen wieder werden.
Was preßt/ betrübteste/ denn eure seuffzer aus?
Ein baum/ der lange zeit mit ruhme frucht gegeben/
Und schon/ dem wesen nach/ im himmel wie ein haus
Von eichen-holtze/ fängt von neuem an zu leben?
Fürwar/ sein glücke braucht itzt eure klagen nicht;
Drum auff/ und streicht das saltz der thränen von den wangen!
Denn ist euch allen gleich ein vater untergangen/
So glaubt/ daß dennoch auch sein tod diß urtheil spricht:
Daß/ wer hier trauren will/ muß eichen-bäumen gleichen/
Und mehr dem kummer nicht/ als diese blitzen weichen.

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TextGrid Repository (2012). Neukirch, Benjamin. Gedichte. Gedichte. Der Eich-Baum. Der Eich-Baum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-60D6-F