Friederike Caroline Neuber
Die Verehrung der Vollkommenheit durch die gebesserten deutschen Schauspiele

[453]

[Widmungsgedicht]

Dem Frey- Hoch- Wohlgebohrnen Herrn

HERRN Franz Joseph von Klinglin

Frey-Herrn zu Hadtstatt Herrn zu Illkirch etc. etc. Sr. Königl. Maj. in Frankreich Raht Ritter- und Ehren Raht bey dem Hohen und Königl. Raht im Elsass, Der Freyen Königlichen Stadt Strassburg Praetori Regio, Aller auf hiesigem Rahthause sich befindlichen Collegiorum Praesidi etc. etc.

Meinem gnädigen Herrn.


[453]

Hochwolgebohrner Herr!

Du kanst sehr gnädig seyn.

Dein hocherhabner Geist sieht jeden Umstand ein;

Erforschet seinen Grund, kan alle Folgen schliessen,

Er wird auch meinen Trieb zu diesen Zeilen wissen.

Jedoch damit ihn auch ein andrer feiner Mann,

Der nicht so schliesst wie Du, zugleich erkennen kan:

So hat Dein hoher Werth, die Klugheit, die Dich zieret,

Und meine Schuldigkeit mir meine Hand geführet.

In der Begleitung komm ich vor Dein Angesicht;

Verwirf das schwache Werk von einer Frauen nicht,

Die Dich auf deutsch verehrt, zwar niedrig denkt und schreibet,

Doch wünschet; dass sie stets in Deiner Gnade bleibet!

Der deutsche Schauplatz wird von Dir, O Herr! beschützt.

O weiser Klinglin! Du verstehst wohl was er nützt,

Wenn er gereinigt ist. Der Ruf hat mir gesaget:

Dass Dein erleuchter Trieb schon lang darnach gefraget:

Ob auch ein deutsches Spiel verbessert werden kan?

Ich habe nun dazu mein möglichstes gethan.

Dein Beyfall fehlt nur noch, um den will ich Dich bitten.

Verzeihe! wenn ich was aus Schwachheit überschritten!

Ja, hab ich wo gefehlt, wirst Du so gnädig seyn,

Und mich entschuldigen. Diess kleine Werk sey Dein.

Lass es in Deinem Schutz den Wehrt und Gnade finden!

Hilf diese schwere Kunst mit andrer Kunst verbinden!

Du bist dafür bekannt, dass Du die Weisheit liebst,

Und jedem, der sie sucht, auch Deinen Beyfall giebst.

Du bist vor Raht und Volk das Liebste, das sie ehren,

Die Hohe Schule kan durch Dich die Weisheit lehren;

Du nützest ihr durch Dich; Dein himmlischer Verstand

Geht ihr mit Hülf und Raht und Vortheil an die Hand,

Du liebst sie väterlich durch Dein vernünftig Wachen,

Sie wird der Nachwelt selbst aus Dir ein Vorbild machen,

Wie man den Staat erhebt, den Bürger liebt und nützt,

Wie man der Künstler Fleis bewundert und beschützt,

Und keinen Fremdling stört, wann er was unternommen,

Das Lust und Nutzen bringt; er muss zu Kräften kommen,

Wenn Du es haben willst. Diess grosse Bild von Dir,

Von Deiner Eigenschaft, O Herr! befiehlet mir,

Weil ich zu niedrig bin Dein Hohes Lob zu mehren,

Dich schweigend, aber doch demühtigst zu verehren.


Ew. Hoch-Wohlgebohren Excellenz

Meines gnädigen Herrn unterthänige

Friderica Carolina Neuberin.

[Vorrede]

[454] Lieber Leser!

Was wirst du denken, das ich dir zum dritten mahle ein deutsches Vorspiel zu lesen gebe? Was du bey dem ersten gedacht hast, mag ich nicht wissen. Was du von dem andern gehalten hast, kan ich nicht wissen, und was du von dem itzigen sagen wirst, wird die Zeit lehren. Zu dem ersten trieb mich mein Unglück, welches mich unschuldig in meinem Vaterlande betraf; das andere erforderte meine Pflicht; und zu diesem bewegt mich die Verehrung und Bewunderung der Vollkommenheit, welche Frankreich in der Schauspielkunst, von der ich lebe, vor ganz Deutschland zum voraus hat. Alhier werden die Regeln der erhabenen Trauer-Spiele und der sinnreichsten Freuden-Spiele gezeugt, gebohren, erzogen, erhalten, und die etwas zu dieser Kunst beytragen, oder sie ausüben, werden alhier grossmüthig, reichlich, rühmlich, und nützlich ernähret. Aus diesem reinen und richtig gelegtem Grunde entstehet Gelegenheit genug, dass ganz Deutschland die Werke des Verstandes damit reinigen und erhalten kan. Oefters schämet man sich, diese Wahrheit einzusehen und zuzugestehen, man kan sie aber doch unmöglich ganz unterdrücken, und noch weniger entrahten. Ich bin zwar auch eine Deutsche, und bilde mir nicht wenig darauf ein, dass ich, aller Unglücks-Fälle ungeacht, dennoch die Eigenschaft behalten habe, nach allen Pflichten der redlich Deutschen wahrhaftig deutsch zu seyn und zu bleiben; Allein ich muss doch dieser überzeugenden Wahrheit trotz meiner Einbildung geziemend weichen. Die Einwürfe, so mir in diesem Falle gemacht werden könten, haben in sich selbst die Gabe mich zu vertheidigen. Als eine Frau soll ich mich nicht hoch versteigen, also weis ich auch, dass die Absichten, welche die Schauspiele erfunden, gebessert, erleuchtet, und bis auf den heutigen Tag erhalten haben, für mich zu hoch sind, ich kan sie nicht einsehen, noch weniger beurtheilen. Diejenigen Absichten aber, welche die Schauspiele hindern, mit Fleis beflecken, verderben, und ausrotten wollen, darf ich nicht käntlich machen, weil ich wahrgenommen habe, dass es vielen Leuten ungelegen ist, dass sie meiner Vernunft, als einer Comödiantin, und zwar als einer deutschen, sollen Vernunft gelten lassen. Inmittelst wende ich mich zu denen, welche die Schauspiele reinigen, verbessern, und nützlich brauchen, oder behutsam brauchen lassen, und übergebe diejenigen, welche die Schauspiele, gute oder böse, ohne Ausnahme, ihres Vortheils wegen, schelten, hindern und verderben, auch ihrer eigenen Verantwortung. Ich weiss, dass sie als wohlgeübte Leute klug sind, und sich vor allen vernünftigen [455] Richtern geschickt zu verbergen wissen, oder wo sie ja, wieder Vermuthen überrascht werden, den Misbrauch geschwinde zum Deckmantel erwischen, und den rechten Gebrauch durchaus nicht zum Vorscheine kommen lassen, sollten sie gleich, noch über dieses, mit dem Vorwand von dem Verderbe der Zeit, selbst noch viel mehr Zeit verderben, die Schaubühne nur verächtlich, wo nicht gar strafbar zu machen. Wahr ist es, die Schaubühne hat schwere Anfechtungen, viele Thorheiten, strafbare Fehler und Mitarbeiter gehabt, insonderheit in dem lieben Deutschlande. Allein dessen ungeacht hat sie ihr selbständiges Gute nicht durch ihre Schuld, sondern blos durch den verderbten Geschmack verlohren. Sie kan nichts dafür, dass viele Leute aus Bosheit oder Unwissenheit, ihr Gutes nicht einsehen können oder wollen. Wenn ich von einer so bedenklichen Sache denken dürfte, so wäre es nicht unmöglich, dass mir diese Gedanken einfielen: Als ob man die liederlichen, schändlichen, und unerlaubten Schauspiele deswegen noch beybehielte, damit man nur etwas daran aussetzen, der Schaubühne vorrücken, und solches mit lebendigen Exempeln beweisen könte. Itzo leb ich hier. Man hat mich willig aufgenommen, und mir gnädig erlaubt, die Früchte von einer gebesserten deutschen Schaubühne öffentlich zu zeigen. Man entziehet mir auch künftig diese Gnade nicht. Man ist nicht neidisch, dass sich die arme, verachte, sonst schlechte deutsche Schaubühne nach dem regelmässigen Französischen Theater gereiniget, und so viel möglich gebessert hat. Man ist so grossmüthig, und hält mir meine Fehler zu gut. Man ist so billig und bemühet sich nicht Fehler zu erzwingen, wo keine sind. Man beklagt nicht, dass die deutschen Comödianten so viel guten Trieb und Wissenschaft besitzen, dieses schwere Werk zu unternehmen. Ja man hält sogar mir, als einer deutschen Frauen nicht vor übel, dass ich ganz allein mich zur Verbesserung der deutschen Schaubühne angetrieben, und allen Vorschub, so wohl bey Hohen als Niedrigen, Gelehrten und Ungelehrten, aufs eyfrigste dazu gesucht habe. O möchte doch Deutschland so viel Gutes für mich denken, als man mir hier zugestehet! Ich werde zwar hier ebenso wenig reich, als in Deutschland, allein ich achte mich reich genug, wenn ich den Beyfall der Vernünftigen erhalte, und nur mit Mäsigkeit ernähret werde, also kan ich auch ohne Ueberfluss dennoch nicht über Mangel klagen. Ich bin daher zufrieden, bis sich die Umstände verbessern können. Unterdessen will ich die Regeln der guten Schaubühne wohl in acht nehmen, mich in die Zeit schicken, meine Schauspiele verbessern, mein Leben ordentlich und redlich erhalten, und die Beurtheilung der verderbten Schaubühne, und derer, so darauf und daran arbeiten, wie mich selbst, Gott, der Obrigkeit, und Dir empfehlen.

[456]

Personen

Personen.

    • Die Vollkommenheit, als Minerva gekleidet.

    • Der Verstand, als ein Held.

    • Das Alterthum, als eine Heldin.

    • Der Fleis, als ein Schäfer.

    • Die Regel, als eine Sclavin.

    • Die Liebe zur Vollkommenheit, roht und himmelblau gekleidet.

    • Das Trauerspiel oder die Tragedie, trägt über ihr gewöhnliches Kleid noch ein leichtes Schäfergewand, eine Krone auf dem Kopfe und einen Dolch in der Hand.

Vorspiel

1. Auftritt
Erster Auftritt
Die Schaubühne zeiget eine Grotte. Auf der einen Seite sitzet das Alterthum. Vor ihr liegt ein Buch mit dem Titel: Gesetze, Belohnung und Strafe. Zur rechten Hand liegt ein Buch mit dem Titel: Anweisung zu guten Sitten von weisen Regenten für billige Richter, vernünftige Lehrer, redliche Bürger, getreue Diener und willige Sclaven. Mit der linken Hand lähnt sich das Alterthum auf ein Buch, welches den Titel führet: Grundsätze der Weisheit, zur Dicht-Kunst, zur Lehre und Ausübung. Auf der andern Seite sitzet der Fleis und schreibt etwas in eine Schreibtafel.

FLEIS.
Geehrtes Alterthum! du bleibst noch immer schön,
Die Weisheit lässt dich stets mit neuen Kräften sehn;
Du weist dir lange Zeit die Herzen zu verbinden,
Man kann dich allemahl vernünftig, billig finden;
Dein Grund erhält den Bau der itzgen klugen Welt,
Wir ehren dich durch das, was du gut angestellt,
Und lang zuvor gesehn, was unsren Zeiten dienet.
ALTERTHUM.
Man hat mich aber oft zu tadeln sich erkühnet:
Bald bin ich voller Zwang, zu dunkel und zu schwer,
Bald gar zu leicht und schwach, bald braucht man mich nicht mehr
Bald lehr ich gar zu viel und mach die Regeln strenge,
[457] Und, was zur Kunst gehört, nicht deutlich. Eine Menge
Ist blos auf mich erzürnt, weil ich den Grund versteh,
Weil ich behutsam bin, vorsichtig weiter geh,
Und hab ich wo die Bahn mit schwerer Müh gebrochen,
So wird zu meinem Lohn oft schlecht davon gesprochen.
Es heist: das kan ich auch, das ist der Müh nicht wehrt,
Dass man Geheimnis voll mit diesem Werk verfährt,
Denn das begreift ein Kind.
FLEIS.
Du lässt dich doch nichts stören?
ALTERTHUM.
Man muss nicht allemahl auf schlechte Dinge hören,
Wenn sie den guten Grund gefährlich, schädlich seyn,
Wer wahrhaft nützen will, sieht jeden Umstand ein
Und braucht das Böse selbst zum Guten und zur Lehre,
Das, ohne die Gefahr, oft nicht so käntlich wäre.
FLEIS.
Ich aber danke dir gewis aus Herzens Grund
Für alle deine Müh. Du machst mir sehr viel kund,
Das mir verborgen war. Dein Licht weiss mich zu führen,
Dein mühsam schwerer Fleis kan mir das Herze rühren;
Ja, ich bewundre dich, verehre deine Macht.
Du hast es für dich hoch und für uns weit gebracht.
ALTERTHUM.
Mein Freund! Ich danke dir, du ehrest meine Mühe.
FLEIS.
Vergönne dass ich mir daraus auch Nutzen ziehe,
Und dir erkäntlich bin.
ALTERTHUM.
Das ist dir wohl erlaubt.
FLEIS.
Wir wären ohne dich der Weisheit gar beraubt,
Und wüsten nichts von dem, was Kunst und Tugend hiesen,
Du aber hast uns Grund und Fortgang angewiesen.
ALTERTHUM.
Ich bitt: vermeide doch mein Lob, und denk daran,
Wie man die neue Zeit genugsam ehren kan!
Ich gienge zwar vorher, doch must du nicht verschweigen,
Wie hoch die Künste itzt in ihrem Fortgang steigen.
So rauh mein Anfang war, so rein verfährt man itzt,
Das Sanfte der Vernunft, das jede Brust erhitzt
[458] Und den Verstand erklährt, ist fein, weis durchzudringen,
Kan das Erhabene zu der Vollziehung bringen.
Mit Nachdruck redet sie von jeder Wissenschaft
Und lässt dem Heiligthum die Deutlichkeit und Kraft,
Dass man auch das versteht.
FLEIS.
Ich bin nicht weit gekommen,
Doch hab ich mir sehr fest und eyfrigst vorgenommen
Der Dichtkunst nachzugehn.
ALTERTHUM.
Du thust recht wohl daran!
Hast du denn schon etwas in dieser Kunst gethan?
FLEIS.
Zur Zeit nicht gar zu viel. Wenn nur nicht diese Lehren
So mühsam und dabey oft zu gefährlich wären!
ALTERTHUM.
Schreckt dich die Arbeit ab?
FLEIS.
Ach nein! Ich liebe sie,
Mich dauert keine Zeit, ich fürchte keine Müh;
Es fält mir nichts so hart, als dass die Kunst zum dichten
Fast Jedermann nach sich und seinem Kopf will richten,
Das schlägt den Fleis zurück. Hernach ist dies dabey:
Dass fast noch jede Kunst zu dieser nöthig sey,
Wenn sie gefallen soll. Von deinen Trauerspielen,
Die ehedem bey dir den Klugen wohlgefielen –
ALTERTHUM.
Liebt man itzt keine mehr?
FLEIS.
Ach ja! allein man sagt:
Wer tragisch dichten will, der hab itzt viel gewagt,
Das sey die höchste Art, das wichtigste vor allen,
Sie soll der klugen Welt, dem Pöbel auch gefallen,
Und beyde Theile sind von unterschiedner Arth,
Wer zwischen beyde kömmt, ist schlecht genug verwahrt.
Der eine lacht ihn aus, wenn er von Regeln weichet,
Der andre schählt auf ihn, wenn er die Regeln zeiget,
Da steht der Künstler blos und wird verzagt gemacht,
Wenn man ihm Kunst und Fleis verfluchet und verlacht;
Sonst hätt ich Lust dazu.
[459]
ALTERTHUM.
Du must in schweren Stücken
Dich fleisig mit Geduld in alle Leute schicken
Wer herzhaft siegen will, weicht oft bescheiden aus,
Und treibt mit neuer Kraft den Wiederstand daraus,
Wo er am schwächsten ist sich selber zu erkennen,
Viel Dinge muss man oft zernichten, doch nicht nennen.
Das hab ich oft erlebt; Wer kömmt zu uns herein?
FLEIS.
Es wird das Trauerspiel in ihrer Arbeit seyn,
Sie sieht so schüchtern aus, und weiss sich kaum zu fassen,
Ach möchte doch die Kunst die Arme nicht verlassen!
Die Regel geht ihr zwar bemüht und ämsig nach.
ALTERTHUM.
Ist sie denn hier beliebt?
FLEIS.
So wie man von ihr sprach,
Hat sie Erlaubnis sich an jedem Ort zu zeigen.
2. Auftritt
Zweyter Auftritt
Das Trauerspiel, oder die Tragedie, ihr folget die Regel, als eine Sclavin gekleidet, sie trägt an der linken Hand Ketten, und in der rechten das Buch: La pratique du theatre par l'Abbé d'Aubignac. Das Alterthum. Der Fleis.

TRAUERSPIEL
siehet weder das Alterthum noch den Fleis noch die Regel an.
Mein Schicksal will mit mir bald auf, bald niedersteigen;
Ich bin recht übel dran. Es hindert mich sehr viel.
Es hat fast jedermann mit mir sein höhnisch Spiel,
Bald wollen sie mich gar bis an den Himmel heben,
Bald will mir fast kein Mensch Gehör und Antwort geben,
Das ist recht schwer für mich. Das meiste weis ich nicht,
Und wenn jemand etwas zu meinem Nutzen spricht,
So heist es: Bessre doch die Stücke, schaff dir Leute,
Die jung, und Künstler sind, halt sie an deiner Seite.
Und mach der neuen Welt auch was zu lachen mit,
Verändre deinen Tohn, gieb acht auf Tritt und Schritt,
Und sei nicht allemahl so traurig und so herbe.
Ich weis schon ohne dich, dass ich und du noch sterbe.
Es brauchts nicht, dass ich es in allen Stücken seh,
Und mit dem einen Fus bey dir im Grabe steh.
[460] Da werd ich zweifelhaft, wenn ich von Bessrung höre,
Und niemand sagt mir, wie. Sie kleiden ihre Lehre
Nur in Verzweiflung ein. Es heist: das war zu schlecht;
Das taugt dem Teufel nicht; das macht ihr gar nicht recht.
Alleine wenn ich mich nach allen will befragen,
So kan, so will, so darf mir niemand Antwort sagen.
Ey nun! So mag die Welt mit mir zufrieden seyn,
Wie ich es machen kan. Sie fält darum nicht ein.
Warum verlässt sie mich? Ich kan es nicht erzwingen
Und sie zu ihrer Pflicht, auf mich zu sehen, bringen.
Ich will den Trauer-Thon mit einem Lustgesang
Und Tanz vereinigen. Es soll hinfort kein Zwang
In meinen Spielen seyn; da mag man Weinen, Lachen,
Ich will es allen nun nach ihren Köpfen machen,
Damit ich leben kan. Es soll der Harlekin,
Der Pantalon, Hans-Wurst, der Rüpel und Scapin
In meinem Trauerspiel die Freuden-Kleider tragen,
Und jeder soll davon oft auch ein Zötgen sagen,
So lacht man wenigstens.
FLEIS.
Wo kömmst du her? mein Kind!
TRAUERSPIEL.
Aus Deutschland.
FLEIS.
Weist du nicht, dass wir zugegen sind?
TRAUERSPIEL.
Ich gab nicht Achtung drauf, ich war im Ueberlegen.
FLEIS.
Was hast du denn bey dir so wichtig zu erwegen?
TRAUERSPIEL.
Ich dacht an meine Kunst, wie die bald steigt und fält,
Und was man hie und da von meinen Spielen hält,
Wie ich von einem Ort zum andern werd getrieben,
Und was die meisten wohl am meisten an mir lieben,
Was ich befürchten mus, und was ich ändern kan.
FLEIS.
Wer sieht dich denn bey dir in deinem Land wohl an?
TRAUERSPIEL.
Es ist noch untermengt, bald Pöbel, bald Gelehrte,
Bald niemand.
[461]
FLEIS.
Wenn dich doch ein Ort in Ruh ernährte!
Ich säh es herzlich gern; was stellest du denn für?
TRAUERSPIEL.
Ich weiss es selbst nicht mehr, denn es entfället mir.
Es ist so vielerlei, bald traurig, bald zu lachen,
Bald muss ich beydes wohl in einem Stücke machen,
Itzund ist meine Kunst als wie ein buntes Kleid
Von einem Harlekin.
FLEIS.
Das ist mir herzlich leid!
Belehrt dich denn niemand?
TRAUERSPIEL.
Sie wissen mich zu fragen
So ängstlich und so sehr, so unerhört zu plagen,
Warum ich das nicht so und jenes ändern kan;
Alleine wenn ich frag: wie fängt man dieses an?
So sind die Redner stumm; Ich muss im dunkeln bleiben,
Und darf mein Glücke nicht durch Künste höher treiben.
FLEIS.
Mein Kind! du dauerst mich! du weist dein Gutes nicht,
Belehr dich also selbst! Und mach dein grosses Licht
Von Staub und Moder rein! Komm her, ich will dir rahten,
Befrag das Alterthum.
TRAUERSPIEL.
Ach! Ich hab mit den Thaten
Der neuen Welt zu thun, und komm da nicht zu recht,
Das Alte hält man itzt für närrisch, dumm und schlecht;
Die Zeiten sind verkehrt, die Leute sind verändert,
Und dieser kömmt zu kurz, der nicht mit ihnen schländert,
Das seh ich auch an mir.
FLEIS.
O! stell dich nicht so toll
Und hindre dich nicht selbst!
TRAUERSPIEL.
Sprich, was ich machen soll;
Ich weis es wahrlich nicht.
FLEIS.
Lass dich doch unterrichten
Vom weisen Alterthum, und lerne deine Pflichten.
Weist du nicht, dass in dir viel reine Weisheit liegt?
Und wilst du, dass bey dir das Lasterhafte siegt?
[462] Betrachte dich doch recht! Die Kunst ist zwar gefährlich,
Sobald der Missbrauch herrscht, doch siehst du auch gantz klärlich,
Dass, wenn die Ordnung dich mit Tugenden verbindt,
In dir und deiner Kunst viel hohe Sachen sind,
Die dir und aller Welt zum Nutzen dienen können,
Du must der Kunst den Fleis, wie dir den Vortheil gönnen.
TRAUERSPIEL.
Mein Freund! du liebst mich sehr, womit verdien ich das?
Du machest, dass ich Muht und mir ein Herze fass
Mich bey dem Alterthum gebührend zu befragen.
Ach Freundin!
ALTERTHUM.
Rede frey! was hast du mir zu sagen?
TRAUERSPIEL.
Der redlich wahre Fleis und ein verborgner Trieb
Verbindet mich, dass ich die Trauerspiele lieb.
Ich weis, dass man sie gut und besser machen solte,
Wenn mich nur auch jemand geschickt belehren wolte!
ALTERTHUM.
Frag die Gelehrten drum, such ihren Unterricht.
TRAUERSPIEL.
Ach die bekümmern sich um Trauerspiele nicht,
Sie haben sonst zu thun, wie sie in grossen Staaten
Mit ihrer Wissenschaft den höchsten Häuptern rahten,
Und da vergessen sie den Theil der mir gehört.
ALTERTHUM.
So sorge, dass man dich bey Hofe mit ernährt!
Und dich belehren lässt, dass du kanst Nutzen bringen.
TRAUERSPIEL.
Bey Hofe ist es ja noch weniger zu zwingen,
Die Wahrheit kömmt sehr schwer ins innerste Gemach,
Die Pracht verschliesst den Weg, und ich bin viel zu schwach
Gerade durch zu gehn; Wer Fürsten will bewegen,
Dem steht so vielerley, so mancherley entgegen.
Bey Hof ist guter Raht viel theurer noch als Gold;
Man ist der Lehrbegier gehässig und nicht hold,
Man fordert allemahl vollkommne hohe Sachen,
Und dass man von sich selbst soll Wunderdinge machen.
Man hintertreibt für mich der Fürsten Gnad und Gunst
Und man bekümmert sich gar nicht um meine Kunst.
[463]
FLEIS.
Nun so bekümmre dich um alles, was dir nützet,
Such aller Leute Gunst, und wenn dich diese schützet,
So führt sie dich vielleicht, eh' du es selber meynst,
An einen solchen Ort, wo du viel besser scheinst,
Wo man dich mit Gewalt aus deinem Irrthum ziehet,
Und sich mit dir zugleich um Besserung bemühet.
TRAUERSPIEL.
Ich habe lange schon mit Sorgfalt dran gedacht,
Wie man nach neuer Art die Trauerspiele macht,
Dass sie gefällig seyn. Ich hab mir vorgenommen:
Dass künftig allemahl ein Harlekin soll kommen,
Wenn in dem Trauerspiel der Held Gefahr verspührt,
Dass dieser ihn mit Lust aus allen Nöhten führt,
Dass er ihn trösten kan beym allerschwersten Sterben.
REGEL.
Tollkühne, schäme dich! wilst du dich selbst verderben?
Verfällst du in den Staub der blinden Raserey?
Dass deine Kunst nicht mehr erhaben, edel sey?
Was hast du für Gewinn? Nichts! als dein armes Leben.
Die reine Kunst kan dir und allen Nutzen geben,
Du must vernünftig seyn, und wenn dich alle Welt
Für thorigt, unnütz, dumm, ja gar für schädlich hält,
Ja, wenn die Weisheit gar in allen Künsten schwiege,
So sorge: dass dich nicht die Dummheit überwiege.
Weist du nicht, dass dein Haupt der Schmuck, die Krone, ziert
Und warum deine Hand den Dolch zum sterben führt?
Geh, schäme dich ins Herz! wie bist du angezogen?
Hat dich die schlaue Welt mit ihrem Witz betrogen?
Die dir das Hohe nicht von Herzens-Grunde gönnt;
Denn sie erschrickt vor dir, sobald man dich nur nennt.
Wirf diesen Umhang weg. Das Zarte von der Seide
Ist unter deinem Gold und reichem Königs-Kleide
Schön künstlich eingewirckt. Warum verstellst du dich
Mit einer Hirtentracht? Du bist mir ärgerlich.
TRAUERSPIEL.
Wer bist du? dass du mir so sträflich wilst gebiehten?
REGEL.
Die Regel, welche sucht dein Elend zu verhüten.
TRAUERSPIEL.
Hast du so viel Gewalt, strafst so geschwind und scharf,
[464] Dass man vor deinem Zorn auch gar nicht denken darf?
Du gehst so arm und schlecht, und bist ja selbst gefangen.
REGEL.
Ich hab die Bande blos aus meiner Hand empfangen,
Als Sclavin dien ich mir mit strengem Zwang und Joch,
Ich trag die gröste Last.
TRAUERSPIEL.
Und es erfreut dich noch,
Dass du gefangen bist?
REGEL.
Das kan mich nicht betrüben,
Ich habe guten Grund den schönen Zwang zu lieben,
Er machet mich geschickt, durch diesen werd ich frey,
Damit ich jeder Kunst zu dienen willig sey.
Ich kan die Wissenschaft durch alle Regeln führen,
Und dadurch alle Welt als Königin regieren.
TRAUERSPIEL.
Ich hab dich nicht gekannt.
REGEL.
Das ist es, was mich schmerzt,
Du hast mich liederlich verlohren und verscherzt,
Dein schönes edles Salz ist abgeschmackt, verdorben,
Du bist mir in der Kunst bey nah als abgestorben,
Wenn du dich nicht von mir aufs neue stärken läst.
TRAUERSPIEL.
Ganz gerne! doch wodurch?
FLEIS.
Setz deinen Vorsatz fest,
Und lerne ja itzund, was dir zu wissen nöhtig.
REGEL.
Ich suche dich ja selbst, und bin dazu erböhtig,
Drum weigre dich nicht mehr.
FLEIS.
Ich bitte nimm es an.
Weil sie dich ganz allein beständig führen kan.

Zur Regel

Hab doch mit ihr Geduld! Sie ist itzt noch verblendet,
Es hat die schlaue List den Vortheil ihr entwendet,
Dass sie das Gute nicht an dir erkennt und sieht,
Und weil du strenge bist, die Müh und Arbeit flieht.
Sprich ihr doch freundlich zu!
[465]
REGEL.
Ich bin ja ganz gelinde,
Sobald ich Lust und Trieb zum wahren Guten finde;
Komm her! Ich nehme mich der blöden Schwachheit an,
Und suche, wie ich dir die Kunst erleichtern kan.
Liss hier im d'Aubignac, da wirst du alles finden,
Wie du mehr Künste kanst mit deiner Kunst verbinden,
Forsch fleisig, sinne nach, liss aber mit bedacht,
Damit die Einsicht dir die Regeln brauchbar macht.
TRAUERSPIEL.
Ach was versuchst du mich? Das Buch kan ich nicht lesen.
REGEL.
Das ärgert mich. Du bist sonst so geschickt gewesen
Und itzt so schrecklich dumm. So lerne, was dir fehlt.
TRAUERSPIEL.
Dass mich die Regel doch mit ihren Lehren qvählt!
Das geht so leicht nicht an, das ist zu schwer zu lernen.
REGEL.
Ey nun so will ich mich auch ganz von dir entfernen,
Weil du in keinem Stück zum Guten willig bist,
So bleib im Irrthum. Geh! und opfre dich der List,
Die dich in Abgrund wirft. Nun geh mir aus den Augen!
Wenn du der Welt, und dir nicht wilst zum Guten taugen.
TRAUERSPIEL.
Ich will ja alles thun, du must nicht zürnen.
REGEL.
Nein.
TRAUERSPIEL.

Ich habe nicht gewust, was mir kan schädlich seyn,

Und auch niemahls gehört, dass ich was nützen könnte;

Es traf kein Umstand zu, der mir die Einsicht gönnte, Ich bitte, straf mich nicht. Denn hab ich was versehn,

So ist es doch von mir aus Bosheit nicht geschehn.

REGEL.
Ey nun so must du dich auch willig führen lassen,
Denn sonst muss ich dich selbstverderben, fliehen, hassen,
Und ich bin doch betrübt, wenn dich ein Schaden trift,
Drum fliehe, raht ich dir, der Faulheit ihren Gift.
TRAUERSPIEL.
Ich habe nicht gewust, dass du es redlich meynest,
[466] Weil du mir heute hier zum ersten mahl erscheinest,
Ich traue nicht so leicht, denn man betrügt mich oft,
Und räht mir gar nicht recht. Ich hab auf dich gehoft.
Und lang nach dir geseufzt. Ich hab dich still verehret,
Ob ich mich über dich itzunder gleich beschweret,
Nimm doch den Willen auch für etwas Gutes an,
Wenn das Vermögen noch nicht höher steigen kan.
Ich spührte deine Kraft, und konte dich nicht nennen.
REGEL.
Der Klügste braucht oft Müh mich richtig zu erkennen.
TRAUERSPIEL.
So dunkel meine Kunst mir noch im Herzen liegt,
Hat sie mich doch – – –
REGEL.
Schon gut, ich bin damit vergnügt.
ALTERTHUM
zur Regel.
Du hast dich wahrlich doch vollkommen gut gehalten,
Dein Ansehn war vor dem bei unsren lieben Alten
Zwar gross Verwundrungs voll, bekannt und allgemein.
Alleine deine Kraft muss itzo stärker seyn,
Dass dich (auch fremd, bedeckt, verborgen und vertrieben,
Verhindert und verjagt) das Trauerspiel muss lieben.
Ich kenn dich fast nicht mehr in so vollkommnen Stand.
REGELN.
Mein liebes Alterthum! Ein heimlich heilig Band,
Das die Vernunft geknüpft, bringt mich zu dieser Höhe,
Dass ich bis in den Grund, bis in die Seelen gehe;
Drum ists kein Wunder nicht, dass auch das Trauerspiel,
So fremd ich ihr auch war, auf die Gedanken fiel:
Ich müste in der Welt zu ihrer Kunst gehören,
Sie hat sich nur zu lang den Vorsatz lassen stören.
FLEIS
zur Regel.
Bleib nur itzund bey ihr!
REGEL.
Und du! geh nicht zurück!
An dir hängt auch mein Ruhm und ihr erhabnes Glück.
Wenn du die Hände läst ermüdet niederfallen,
So gehet sie zu Grund. Daher must du in allen
Behutsam, wachsam seyn: Benimm ihr den Verdruss,
Und hilf, dass sie nicht stets Verlust ertragen muss!
Dicht, schreib und red für sie!
[467]
FLEIS
zum Trauerspiel.
Ich will dich nicht verlassen.
TRAUERSPIEL.
So darf ich rechten Muht bey meiner Arbeit fassen?
Regel: Verbinde deinen Muht mit der Bescheidenheit
Und gehe nicht zu früh in diesem Stück zu weit!
Damit du sicher bleibst.
TRAUERSPIEL.
Ich will mich darnach richten.
REGEL.
Gedenk zu aller Zeit an alle deine Pflichten,
Und führ dich erbar auf.
TRAUERSPIEL.
Auch dieses soll geschehn.
REGEL.
Lass dich der ganzen Welt zu Ehren nützlich sehn.
TRAUERSPIEL.
Allein so must du mich in diesem auch belehren,
Was wohl für Künste noch zu meiner Kunst gehören?
REGEL.
Ach ja, das ist mir leicht.
TRAUERSPIEL.
Verstehst du denn den Staat?
REGEL.
So viel mir der Verstand davon erlaubet hat,
Denn dieser ist mein Herr, dem grossen Mann zu Ehren
Trag ich die Fesseln gern.
TRAUERSPIEL.
Wird er mir nicht verwehren,
Dass ich ihn suchen darf, weil ich so niedrig bin?
REGEL.
Ach nein, flieh nur getrost zu diesem Helden hin!
Zeig deine Schuldigkeit! Er kan itzt noch nicht wissen,
Dass du nach Regeln lebst, und dich den Wahn entrissen.
Er nimmt dich willig an.
TRAUERSPIEL.
Wann? wo? in welchem Land
Erfahr ich, wo er wohnt?
[468]
REGEL.
Ist dir das nicht bekannt?
Hier ist sein wahrer Sitz.
TRAUERSPIEL.
In Frankreichs weisen Staaten?
Gut, dass ich dieses weis, nun ist mir leicht zu rahten.
REGEL.
Hier lebet, wohnt, und herrscht, gar die Vollkommenheit,
Der feinsten Künstler Fleis in seiner Trefflichkeit,
Kurz jede Wissenschaft.
TRAUERSPIEL.
Ich will dir was vertrauen,
Da gib mir deinen Raht.
REGEL.
Du kanst fest auf mich bauen,
Wenn du vernünftig bist; so halt ich dich recht wehrt.
TRAUERSPIEL.
Doch dass mir ja hernach nichts böses widerfährt!
Denn ich muss schüchtern seyn.
REGEL.
Behutsam kanst du leben,
Sag mir nur, was du wilst? Ich will dir Nachricht geben.
TRAUERSPIEL.
Ich habe mich vorhin mit Fleis vor dir verstelt,
Als wär mir alles fremd, weil man in aller Welt
Nicht gerne sieht und glaubt ....
REGEL.
Dass Leute deinesgleichen
Auch durch die Schauspielkunst so hohen Grad erreichen,
Der andrer Wissenschaft zu weilen näher geht,
Als man für dienlich hält?
TRAUERSPIEL.
Dein feiner Geist versteht
Auch, was ich denken kan. Daher wolt ich vernehmen,
Ob ich mich ohne Furcht auch dazu dürft beqvemen?
Ob die Vollkommenheit, die Einsicht, der Verstand,
Damit zufrieden wär? dass ich in jedem Land
An ihren Ruhm gedenk.
REGEL.
Die Fragen sind bedächtig.
Du redest ja itzund nicht mehr so niederträchtig?
[469]
TRAUERSPIEL.
Kennst du die Regung nicht, daraus die Ehrfurcht stammt?
Und dass die Dankbarkeit auch ihr verpflichtet Ammt
Bey mir verrichten muss?
REGEL.
Ey freilich.
TRAUERSPIEL.
Nun so siehe,
Dass ich mich darin auch um meine Pflicht bemühe,
Und nichts dabey vergess, was sie erfordern kan,
Damit sie käntlich wird.
REGEL.
Du hast ganz recht gethan.
TRAUERSPIEL.
Ich habe weder Dolch noch Krone weggeschmissen,
Ich hab sie dann und wann zwar wohl verbergen müssen,
Allein aus Ehrfurcht nur und nicht aus Eigensinn,
Weil ich für dieses Werk zu sterben willens bin.
REGEL.
Wahrhaftig, das geht weit.
TRAUERSPIEL.
Bist du mit mir zufrieden?
REGEL.
Du bist in diesem Fall von vielen unterschieden
Und unverhoft geschickt.
TRAUERSPIEL.
Die schlechte Hirten Tracht,
Die mir dein strenger Sinn beym Anfang ausgelacht,
Trag ich nicht ohne Grund, die Pracht so einzukleiden,
Dass sie ein Schwacher auch vermögend ist zu leiden,
Der noch nicht weiter sieht.
REGEL.
Wahrhaftig, du bist schlau.
TRAUERSPIEL.
Sey nur vergnügt mit mir, ich bin nur eine Frau
Und weis mit jeder Kunst auch meine Kunst zu lieben,
Und wünsche sie geschickt und nützlich auszuüben.

Sie ziehet das gedruckte Trauerspiel Mithridates unter dem Schäferkleide hervor.

Hier ist ein Trauerspiel, vollkommen übersetzt,
Der Fleis von diesem Mann hat viele schon ergötzt,
Es ist der Mithridat.
[470]
REGEL.
Das hast du mir verborgen.
TRAUERSPIEL.
Ich hatte noch dabey sehr vieles zu besorgen,
Deswegen schwieg ich still; Itzt aber geht es an,
Dass ich das, was ich denk, dir wohl entdecken kan.
Dies hohe Trauerspiel soll man alhier zu Ehren,
Zum Muster, von der Kunst bey ihrer Bessrung hören
Und der Vollkommenheit von mir gewidmet seyn;
Trift nun dein Wille gut mit meinem Vorsatz ein,
So stehe mir itzt bey, hilf mir es gut volbringen,
Denn es kan ohne dich kein solches Werk gelingen,
Und nimm dich meiner an, dass ich vor ihren Thron
Mit Ehrfurcht kommen darf.
REGEL.
Ich weis das Mittel schon,
Dass du kanst glücklich seyn: verbinde deine Triebe
Mit der vernünftigen behutsam reinen Liebe
Zu der Vollkommenheit. Das jung und schöne Kind,
Das stets bey ihr nebst mir Gehör und Zutritt findt,
Wird gern dein Führer seyn, und ich will dich begleiten
Mit wahrer Redlichkeit.
TRAUERSPIEL.
Bleib ja auf meiner Seiten
Bey der Vollkommenheit, und hindre was mich stöhrt,
Dass sie mich auch vergnügt bey ihrer Hoheit hört.
REGEL.
Schweig! Itzund öfnet sich das Zimmer, wo sie wohnet,
Wo der Verstand erwehlt, beschliesset, straft und lohnet,
Wo die Vollkommenheit Gesetze giebt und hält,
Wo der Verstand ihr dient, sein Urtheil richtig fält,
Und jeden Künstler hört, ihn schützt, versorgt, und liebet,
Und selber Anstalt macht, dass er die Kunst recht übet.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Der mittlere Vorhang öfnet sich. Die Schaubühne zeiget: Ein mit alten Helden auggeziertes Zimmer. In der Mitte stehet ein erhabener Thron, dessen Sitz ein Königlicher Mantel bedecket. An demselben stehet ein Harnisch mit Palm und Lorbeerreissern umwunden, worauf eine Krone und ein Zepter ruhet. Zur rechten Hand lieget ein grosses Buch, mit dem Titel: Verherrlichung der Vollkommenheit. Dabey lieget eine Schwanen-Feder. Zur linken Hand: Ein Commando-Stab und ein bloser Degen. Unten an des Throns Stuffen sitzet Die Liebe zur Vollkommenheit auf einem Sammitten Küssen, sie ist roht und Himmelblau gekleidet. Das Alterthum, der Fleis, die Regel, das Trauerspiel.

[471]
LIEBE.
Wer kömmt da?
REGEL.
Ich bin hier.
LIEBE.
Bist du es?
REGEL.
Ja mein Kind.
LIEBE.
Wer mehr?
REGEL.
Das Trauerspiel.
TRAUERSPIEL
zur Regel.
Weil wir alleine sind,
So frage, ob ich mich soll näher [ ...] wagen.
REGEL.
Ich will dein Redner seyn, dein bestes vorzutragen.
LIEBE.
Hör doch! die Frau scheint fremd, sie darf wohl nicht herein.
REGEL.
Sie wird vor dem Gemach solang zufrieden seyn.
LIEBE.
Was will sie denn alhier?
REGEL.
Nichts als die schweren Werke,
Die Trauerspiele recht und in erhabner Stärke
Zu zeigen, dass man sie mit Nutzen sehen kan.
Sie nimmt den Unterricht auch mit Gehorsam an,
Und sucht mit allem Fleis die Regeln zu behalten,
Die sonst mit grosser Müh die fleisig weisen Alten
Besorgt und aufgesetzt. Was nun die neure Zeit
Durch Vorsicht, durch Verstand, für die Vollkommenheit
Verlanget und befiehlt, das sucht sie zu erfüllen
Im deutschen Trauerspiel; drum hilf dem guten Willen.
TRAUERSPIEL.
Mein mühsam schwerer Fleis wird oftermahls erschreckt,
Doch bleibt er allemahl zum Guten aufgeweckt.
[472]
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Die Vollkommenheit als Minerva, mit Helm, Schild, Lanze und Harnisch, blau gekleidet, kömmt rechter Hand langsam. Der Verstand, als ein Held gekleidet, kömmt zu gleicher Zeit linker Hand der Vollkommenheit entgegen, und machet ihr eine sehr tiefe Ehrenbezeigung, tritt hernach ehrerbietig zurück, dass der Thron in der Mitte freystehet, und die Vollkommenheit rechter Hand, und der Verstand linker Hand bleiben kan. So bald sie kommen, stehen der Fleis, das Alterthum und die Liebe zur Vollkommenheit auf. Die Liebe gehet zur Regel und zum Trauerspiele.

REGEL
zum Trauerspiele.
Siehst du wohl? Der Verstand ist hier stets gegenwärtig
Bey der Vollkommenheit.
LIEBE
zur Regel und dem Trauerspiele.
Macht Euch nun beyde fertig,
Wenn ihr was bitten wollt.
TRAUERSPIEL
zur Regel.
Itzt mach mir Herz und Muht
Und steh mir redlich bey.
REGEL.
Sey nur auf deiner Huht,
So wirst du glücklich seyn und keinen Fehler machen,
Denn zweifeln schickt sich nicht zu gründlich guten Sachen.
Du aber, liebstes Kind! du solst uns melden.
LIEBE
zur Regel.
Ja.

Zum Verstand.

Es ist das Trauerspiel, es ist die Regel da.
Die erste hat bey dir in Demuht was zu bitten.
VERSTAND.
Wenn sie nur kein Gesetz durch Frevel überschritten.
REGEL.
O nein! Sie sucht sonst nichts, als dass ihr deutsches Spiel
Dürft künftig besser seyn, damit es wohl gefiel.
VERSTAND.
Wenn ihr das möglich ist.
REGEL.
Ihr Fleis wird sich bestreben
Und ich will ihr dazu die besten Regeln geben.
[473]
VOLLKOMMENHEIT
zur Regel.
So mach ihr deutsches Spiel von allen Fehlern rein.
REGEL.
Sie hat alhier ein Stück, das soll zum Muster seyn,
Es ist der Mithridat.
VERSTAND.
Den kan sie?
REGEL.
Man wird sehen,
Was sie davon versteht. Drum lasse doch geschehen!
Dass die Verehrung sich in diesem Stück auch zeigt,
Dass auch ein deutsches Stück noch immer höher steigt,
Gelehrt, vernünftig wird, die Laster-Possen fliehet
Und der Vollkommenheit zu Ehren sich bemühet.
VERSTAND
zur Regel.
Das ist ihr wohl erlaubt.
LIEBE.
Ich bitt, vergönn auch mir
Das gute Stück zu sehn.
VOLLKOMMENHEIT.
Ja.

Die Vollkommenheit gehet vor dem Thron verbey, und auf der Seiten hinweg, wo der Verstand herausgegangen ist. Der Verstand macht ihr mit Ehrerbiethigkeit Platz, dass sie bey ihm verbey kan, und folget ihr gleich nach.
REGEL
zum Trauerspiele.
Gehe gleich von hier.
Es ist kein Augenblick mehr übrig zu verschwenden,
Mach dich ja recht geschickt, und lass es gut vollenden!
Ich aber, wo ich dir hier noch was dienen kan,
Will bleiben. Gehe nur, und fang dein Schauspiel an.
TRAUERSPIEL
zur Regel.
Du, Freundin, wirst hernach doch auch alda erscheinen?
REGEL.
Ich bin gewis bey dir, eh du es wirst vermeynen.
Halt dich nur nicht mehr auf.
TRAUERSPIEL.
Nun schenck mir dieses Buch,
So schwer es mir sonst schien, will ich doch zum Versuch
Mich drauf befleisigen die Regeln zu verstehen.
[474]
REGEL.
Du solst es künftig bald in deutscher Sprache sehen,
Es ist schon übersetzt. Indessen steht dir frey
Zu forschen, ob dir die zu lernen möglich sey.
TRAUERSPIEL.
Das ist ein schönes Werk, wer hat es unternommen?
REGEL.
Es ist von fleisigen geschickten Händen kommen.
In Leipzig hat itzund ein kluger Edelmann,
Der ein Gelehrter ist, und andre lehren kan,
Es gut rein deutsch gemacht. Hernach kanst du das lesen,
Was dir so lange Zeit versteckt und fremd gewesen.
Dann wird der Unterricht auch deutlich, rein und leicht,
Wenn immer neuer Fleis der Kunst die Hände reicht.

Die Regel giebt dem Trauerspiele das Buch.
TRAUERSPIEL.
Ich danke ihm und dir.

Das Trauerspiel gehet auf eben der Seite, wo die Vollkommenheit hindurchgegangen ist, nun auch weg.
REGEL
zum Fleis und Alterthum.
Ihr aber, lieben Freunde!
Erhaltet diese Kunst, erleuchtet ihre Feinde!
Mein liebes Alterthum! Mein edler schwerer Fleis!
Seht auch das Stück mit an! dass man zu sagen weis,
Wie ihr die Kunst verehrt. Helft auch das Stück mit zieren!

Zum Alterthume.

Wir müssen bey der Kunst dich, Heldin! nicht verliehren,
Schenk deine Bücher hier in dieses Heiligthum,
Alwo sie sicher sind, alwo zu deinem Ruhm
Darnach gehandelt wird. Ich will sie dahin legen,
Daher empfangen sie die Wirkung und den Seegen.

Der Fleis begleitet das Alterthum dahin, wo das Trauerspiel hingegangen ist. Die Regel trägt die Bücher auf die Stuffen des Throns.
LIEBE
zur Regel.
Ich aber bleib noch hier, und höre was du sagst.
REGEL.
Wie kömmt es denn, dass du so jung nach Regeln fragst?
LIEBE.
Wir Kinder werden hier nach Regeln auferzogen.
Drum kennen wir dich auch und sind dir gleich gewogen.
Nicht wahr, du liebst uns auch, wenn wir vernünftig sind?
[475]
REGEL.
Ach ja! Ich sorg und wach auch für das kleinste Kind,
Und richte mich nach ihm, wenn schwere Stellen kommen,
So lang bis die Vernunft durch Vortheil zugenommen,
Und die Erfahrung bringt: dass ein gewisser Schluss,
Auf gut gelegten Grund, auch richtig folgen muss.
Dann hab ich Ruhm davon. Ich liebe dich vor allen.
Komm! gib mir deine Hand! du solst bey mir nicht fallen,
Und gut verwahret seyn.
LIEBE.
Ach nein! ich falle nicht.
Bey der Vollkommenheit ist alles gut und licht.
Es ist gerader Weg, den der Verstand gebähnet.
REGEL.
Man geht doch sicherer, wenn man sich auf was lähnet.
LIEBE.
Vergiss mich nur itzund, und denk vielmehr daran,
Ob du in allen hier hast deine Pflicht gethan.
REGEL.
So kan ein kluges Kind das Alter fast beschämen.
Ich folge dir und will von dir die Vorschrift nehmen.
Dadurch ich meinen Dank an euch befördern kan.
Seht nun das Trauerspiel mit gutem Beyfall an!
O weiser Klinglin! Du! der alle Künste liebet,
Solst heute Richter seyn, ob alles wohl geübet,
Und gut gerahten ist, was unser deutscher Fleis
Zum Dank für unsern Schutz hier zu erfünden weis.
Durch dich verehren wir den Herrscher dieses Reiches,
Wir finden nirgends was vollkommnes und ihm gleiches.
So gar die Niedrigkeit in unsern schlechten Stand
Macht des Monarchen Ruhm durch unsre Kunst bekannt.
So kan die Herrlichkeit, die Weisheit Früchte bringen,
Und auch aus schlechten Staub was nützliches erzwingen.
LIEBE.
Der König lebe lang! Es blühe Frankreichs Staat!
REGE.
Damit die ganze Welt an Ihm ein Muster hat.

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TextGrid Repository (2012). Neuber, Friederike Caroline. Dramen. Die Verehrung der Vollkommenheit durch die gebesserten deutschen Schauspiele. Die Verehrung der Vollkommenheit durch die gebesserten deutschen Schauspiele. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5FD3-9