Heilmittel der Lappländer.
– So gering die Zahl der Krankheiten bey den Lappen ist, 1 so gering sind auch die medicinischen Kenntnisse dieses Volkes. Die Lappen überlassen die Heilung aller Krankheiten den Hausmüttern, und diese kennen keine andere Arzneymittel, als die ihnen ihr Vaterland und vieljährige Erfahrung an die Hand geben.
[52] Unter ihren innern Arzneyen verdient die wilde Angelika (angelica sylvestris C.B., die von den Dodon. und Tabernämont. angelica Islandica oder Norvagica, von andern auch Scandiaca genannt wird) den ersten Platz. Die Wurzel dieser Pflanze ist runzlich, länglich, aber kleiner, als die der wahren Angelika; sie schmeckt angenehm bitterlich, und gewürzhaft, und hat einen starken Geruch. Aber nicht blos die Wurzel, sondern auch die Stengel, und die noch unentwickelten Blumen werden gebraucht. Die letztern, in denen die ganze Kraft der Pflanze gleichsam vereinigt ist, werden von den Lappländerinnen gesammelt, und in Rennthiermolken bis zur Dicke eines Extrakts gekocht, das sie dann zum Gebrauche aufheben. Dies Extrakt schmeckt etwas bitter, aber nicht unangenehm. Wenn es gebraucht werden soll, so vermischen sie eine kleine Dosis davon mit einigen Maaßen Brühe von frischem Fleische, und lassen diesen Trank nach und nach den Kranken heiß genießen, wobey sie, nach Beschaffenheit der Umstände, alle andere Nahrungsmittel verbieten. Folgt hierauf ein Schweiß, so halten sie das für ein gutes Zeichen. Dies Mittel brauchen sie bey allen inflammatorischen und katarrhalischen Fiebern, auch bey Zufällen, die ihren Sitz im Blutwasser haben. Sie halten es ferner für ein vortreffliches Stärkungsmittel, und brauchen es gegen Durchfälle und Koliken, indem sie es, mit Rennthiermilch zu einer Lattwerge oder einem Brey gekocht, [53] in reichlichen Dosen eingeben. In Ermangelung der Milch lösen sie den Rennthierkäse im Wasser auf, und kochen ihn, mit diesem Extrakt vermischt, zur Dicke eines Breyes. Auch als Gewürz brauchen sie dieses Extrakt, so wie den Sauerampfer, an ihren Speisen.
Außer den Blumen der Angelika brauchen die Lappländer aber auch ihre Stengel. Nach Scheffer nehmen sie entweder die Stengel, wenn sie eben den Saamen ansetzen wollen, schälen sie ab, und kochen sie einen ganzen Tag in Molken, bis sie anfangen roth zu werden; oder sie nehmen auch, bey dem Sammeln der noch nicht aufgeblüheten Blumen dieser Pflanze, die zarten Stengel, und schneiden die innere weiche Substanz derselben, der Länge nach, in seine Stückchen, die sie Fathno nennen, und mit Milch zu einem Brey kochen. Beydes brauchen sie bey Brustzufällen; die weiche Substanz, oder den Mark aber genießen sie auch, so wie das aus den Blumen bereitete Extrakt, an den Speisen; und die Weiber entbehren diese Kost eben so ungern, als die Männer den Tabak. – Die frischen, in der Asche gebratenen und abgeschälten Stengel sind ihnen im Sommer das geschwindeste und sicherste Mittel wider den Husten. Auch sind sie Eins ihrer liebsten Leckerbissen. – Die zur gehörigen Zeit gesammelten und an der Luft gedörrten Wurzeln kauen sie wider Katarrhalzufälle; zuweilen schlingen sie dieselben auch, so gekaut, nieder, ohne alle Beymischung. – Wider [54] Kolik und Durchfall nehmen sie, wenn sie das Extrakt nicht haben, die zerstoßenen Wurzeln mit Fleischbrühe oder Fischsuppe, wozu sie bisweilen ein Stück Käse thun. – Auch in Ermangelung des Tabacks kauen sie diese Pflanze.
Aus allem diesen erhellet, daß die Lappen alle bekannten Kräfte der Angelika kennen, daß sie nämlich Giften widersteht, verdünnt, auflöst, eröffnet, und den Schweiß treibt. Auch wenden sie dieselbe vernünftig an. Nur gegen Fiberbewegung sollten sie diese Pflanze nicht brauchen.
Ihr zweytes Arzneymittel ist ein Moos, das sie nicht nur, mit Milch gekocht, täglich genießen, sondern auch als Arzney wider Kopfschmerz, Katarrhal, und Brustzufälle brauchen. Sie nennen dies Moos Jarth, und es ist nichts anders, als der muscus Islandicus, von dem Stobäus sagt, daß er nicht allein gut nähre, und daher Schwindsüchtigen empfohlen werde; sondern daß die nordischen Völker ihn auch zu Brod bücken, und mit Milch zu Brey gekocht äßen. Auch halte ich es für eben das Moos, von dem Thom. Bartholin 2 sagt: »In Island wächst ein Moos, das bisher kein Botaniker gekannt hat, und das die Einwohner der Insel im Anfange des Frühjahrs als ein Abführungsmittel brauchen. Im Sommer, wo es zum Abführen unbrauchbar ist, zermalmen [55] sie es, und kochen einen sehr nahrhaften Brey daraus.« Ob aber die Lappen die Purgirkraft dieses Mooses, wenn es frisch ist, kennen, weiß ich nicht.
Unter die Brustmittel der Lappen gehört auch das Tannenharz, das sie des Sommers, wenn es aus den Bäumen schwitzt, sammeln. Mit der ölichten Flüssigkeit, die sie aus geröstetem Rennthierkäse pressen, vermischt, und in warmer Fleischbrühe aufgelöst, gebrauchen sie es wider Engbrüstigkeit, Husten und Heiserkeit. Sie gebrauchen diese Mischung auch mit Nutzen wider Frostbeulen, und zum Zeitigen und Zertheilen der Geschwülste. Mit Rennthierfett vermischt, dient ihnen dies Harz als Pflaster oder Salbe auf alte und frische Wunden. Sie bereiten auch Pillen von der Größe einer Erbse daraus, und gebrauchen zwey oder drey solche Pillen wider Dysurie und Strangurie.
Des Fichtenharzes bedienen sie sich nicht so häufig. Des angenehmen Geschmacks wegen kauen es aber die Lappländerinnen häufig. Das Balsamische dieses Harzes verhindert bey ihnen das Riechen aus dem Munde; es befestiget das Zahnfleisch, verhindert das Hohlwerden der Zähne, und macht sie weiß. Ihm ist es auch wohl zuzuschreiben, daß die Lappländerinnen so wenig von Zahnschmerzen wissen.
[56] So kennen also die Lappländer die zertheilenden und balsamischen Eigenschaften, die diese Harze wirklich, nach dem Ausspruch aller Aerzte, besitzen.
Die Beeren des Kellerhalses (daphne mezereum, L.) gebrauchen die Lappen wider den Tiefsinn, und wider hysterische Zufälle.
Den Rennthierkäse gebrauchen sie auch äußerlich als ein erweichendes und zertheilendes Mittel. Das aus dem gerösteten Käse gepreßte Oel wenden sie äußerlich wider alle Arten von Geschwülsten an; und wider Frostbeulen kennen sie es, als das gewisseste Heilmittel. Auch Kindern, wenn sie heftig husten, legen sie diesen Käse auf die Brust. Mit Rennthiermich zu Brey gekocht, geben sie ihn wider den Husten, sowohl Kindern als Erwachsenen, innerlich. – Sie legen diesem Käse eine erwärmende Eigenschaft bey, und würzen daher oft ihre Fleischsuppe damit; nicht blos, um sie wohlschmeckender zu machen, sondern auch zur Erwärmung des Magens. Reichere kochen auch ein Stückchen Käse mit ihrem gewöhnlichen Trinkwasser, das sie meist aus Schnee gewinnen. Der Rennthierkäse schmeckt übrigens angenehm, fast wie Schafkäse, und wenn er geröstet wird, zerfließt er fast in Oel, das, wie Baumöl, in der Kälte gerinnt.
Die Bärengalle ist bey ihnen, so wie überhaupt bey den mitternächtlichen Völkern, eine Panacee. [57] Die Lappen gebrauchen sie innerlich wider alle Krankheiten, besonders aber, in Fleischbrühe oder Branntewein aufgelöst, wider Bauchgrimmen und Windkolik. Ferner kennen sie die Bärengalle als ein erwärmendes, stärkendes, auflösendes, und erweichendes Mittel (dergleichen auch das Bärenfett ist): denn sie brauchen es als eine Salbe wider Gicht- Hüft- und Nierenweh, ja selbst wider Lähmung und Schwind.
Das Bibergeil brauchen sie fast gar nicht; wohl nicht aus Unkunde seiner Kräfte, sondern wahrscheinlich, weil ihnen der Verkauf desselben ansehnlichen Vortheil bringt. Aus dem Schwanze des Bibers aber braten sie das Fett aus, und nehmen es, zur Beförderung des Eiters, und wider die Bräune, löffelweise, entweder unvermischt, oder mit Branntwein; auch mit Fleischbrühe.
Wider alle Arten von Augenkrankheiten gebrauchen sie, als eine Salbe, die Galle vom Schwan, vom Adler, oder vom Wolf; und bey serösen Augenkrankheiten (wo die große Schärfe der Galle Schmerzen, oder gar Entzündungen, verursachen kann) auch mit dem besten Erfolg den kalcinirten und gepulverten Selenit, der, dem Kranken in die Augen geblasen, wie ein Einsaugemittel wirkt.
Unter den chirurgischen Operationen verdient das Brennen den ersten Platz. Dies kommt so [58] sehr mit dem Brennen der Aegyptier durch Baumwolle, und dem der Chineser durch Moxa, überein, daß man glauben möchte, die Lappen hätten hierin jene Völker zu Lehrmeistern gehabt. Sie nehmen Birkenschwamm, und schneiden daraus einen Kegel, der einen halben Zoll lang ist, und dessen Breite an der Grundfläche drey Linien oder etwas darüber beträgt. Hierauf zünden sie die Spitze an, und setzen ihn auf den Ort, der gebrannt werden soll. Ist der Kegel verbrannt, welches bald geschieht, so nehmen sie einen zweyten, und so fort, bis der Kranke, oder derjenige, der die Operation dirigirt, es für hinlänglich hält. Einige appliciren auch nur Einen solchen Kegel, der dann verhältnißmäßig größer ist. Aber die Meisten verwerfen dies, weil das dadurch bewirkte Geschwür zu groß, und die darauf folgende Eiterung zu heftig wird. Während des Brennens pressen sie (wie die Aegyptier 3) die umliegenden Theile mit einem eisernen Ringe nieder: theils, um den Schmerz zu lindern, und das Verrücken des Kegels von seinem Standpunkte zu verhüten; theils aber auch, um das Feuer zu verhindern, um sich zu greifen, und es tief in die Substanz des Fleisches eindringen zu machen. Sie sagen auch schon vor und bey dem Brennen, ob es den Kranken erleichtern werde, oder nicht. Einen guten Erfolg [59] hoffen sie: 1) wenn der auf die Haut gesetzte Schwamm Funken sprüht, und dadurch von seinem Standpunkte verrückt wird; 2) wenn die Asche weißlicht ist; 3) wenn die gebrannte Stelle mit einer Röthe anschwillt, das Fleisch verzehrt ist, und bald nachher die Schwärung mit einer serösen oder eiterhaften Materie erfolgt. Einen unglücklichen Ausgang hingegen fürchten sie, wenn der Kegel auf der Stelle, wo er hingesetzt ist, unverrückt stehen bleibt, ohne Knistern und Funkensprühen abbrennt, und eine schwärzliche Asche zurückläßt; ferner, wenn er das Fleisch unversehrt läßt, und blos die Haut schrumpft, oder einen Schorf auf derselben, ohne Eiterung, verursacht.
Alle Krankheiten, die mit einem festsitzenden Schmerzen begleitet sind, suchen die Lappen durch das Brennen mit diesem Schwamme 4 zu heilen. Dahin gehört Gicht, Hüft- und Lendenweh, Rheumatismus, Kopf- und Zahnschmerz. Wider diese und ähnliche Uebel gebrauchen sie, wenn alle andre Mittel nichts helfen, zuletzt das Brennen, als ein untrügliches. Der Ort, wohin sie den Schwamm setzen, ist übrigens nicht bestimmt. Sie setzen ihn dahin, wo sich der größte Schmerz äußert, selbst ins Gesicht.
[60] Jährlich zweymal lassen die Lappländer sich von Wundärzten, die deswegen herum reisen, eine Ader öffnen. Kommen diese Wundärzte nicht, so dient ihnen selbst eine dazu bestimmte Nadel, oder ein dreyspitziges Messerchen, statt der Lanzette.
Die Art, wie sie sich Schröpfköpfe setzen, ist von der der Bothnier, ihrer Nachbarn, nicht verschieden. Sie nehmen ein Ochsenhorn, das zwey Oeffnungen hat, eine weitere und eine engere. Die weitere setzen sie auf die Stelle, die geschröpft werden soll; die engere nehmen sie in den Mund, und befestigen das Horn durch Ansichziehen der Luft. Ist dies geschehen, so verschließen sie die Oeffnung mit dem Finger, oder mit einer naßgemachten Blase. Hat sich die Stelle genug erhoben, so schröpfen sie dieselbe mit einem Messerchen, setzen das Horn wieder auf, und ziehen durch wieder holtes Saugen das Blut heraus.
Merkwürdig ist noch ihr Verfahren bey heftigem Husten, feuchter Engbrüstigkeit, und andern schweren Brustzufällen, die von einer Anhäufung des Schleims auf den Lungen herrühren. Helfen andere Mittel nicht, so verwunden sie mit einer Zange die äußerste Spitze des Zapfens, daß ein starker Blutverlust folgen muß.
M.s. Crells Ausz. aus Hallers Beyträgen zur Beförd. der Gesch. und Heilung der Krankheiten. 5. Bd. S. 427.
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