Sechster Tag.

Am anderen Morgen ging Frau Oisille zettiger als gewöhnlich in den Saal, um sich für ihre Vorlesung vorzubereiten; als die ganze Gesellschaft das erfuhr, beeilten sie sich in dem Wunsche, ihre guten Belehrungen anzuhören, so sehr mit dem Anziehen, daß sie Oisille nicht lange warten ließen. Da sie die Herzen ihrer Zuhörer kannte, las sie ihnen die Epistel des Evangelisten Johannes vor, der voll von Liebe ist. Den anderen gefiel diese Kost so gut, daß, obgleich sie eine halbe Stunde länger als alle anderen Tage blieben, es ihnen schien, als sei es noch nicht eine Viertelstunde gewesen. Von da aus gingen sie die Messe hören, wo jeder sich dem heiligen Geist empfahl, damit er auch bei ihrer vergnügten Versammlung gegenwärtig sei. Nachdem sie dann gegessen und geruht hatten, gingen sie, ihren gewohnten Zeitvertreib fortzusetzen. Frau Oisille fragte, wer an diesem Tage beginnen würde, und Longarine antwortete darauf: »Edle Frau, ich ertheile Euch das [345] Wort, denn Ihr habt uns heut eine so schöne Vorlesung gehalten, daß Ihr uns sicherlich noch eine Geschichte erzählen könnt, die der Ruhm, welchen Ihr heut Euch verdient habt, vollendet.« »Es thut mir leid«, sagte Oisille, »daß ich Euch heute Nachmittag nicht eine ebenso zuträgliche Geschichte erzählen kann wie heute früh; jedenfalls wird meine Geschichte nicht aus der Lehre der heiligen Schrift heraustreten, wo geschrieben steht: ›Vertrauet nicht den Fürsten noch den Menschenkindern, denn in ihnen ist nicht Euer Heil.‹ Und damit Ihr aus Mangel an Beispielen nicht diese Wahrheit in Vergessenheit gerathen laßt, werde ich Euch eine ganz wahrheitsgetreue Geschichte erzählen, die sich vor so kurzer Zeit begab, daß kaum noch die Augen derer, welche dieses traurige Schauspiel sahen, getrocknet sind.«

Einundfünfzigste Erzählung.

Hinterlist und Grausamkeit eines Italieners.


Ein italienischer Herzog, dessen Namen ich verschweigen will, hatte einen Sohn von achtzehn bis zwanzig Jahren, der sehr verliebt in ein Mädchen aus gutem und achtungswerthem Hause war; da er nun nicht die Freiheit hatte, zu ihr sprechen zu können, wie er wollte, bediente er sich der Landessitte gemäß eines Edelmanns aus seinem Gefolge, welcher seinerseits in eine sehr schöne und ehrbare junge Dame verliebt war, die seiner Mutter diente. Durch diese ließ er seiner Geliebten die große Freundschaft erklären, welche er für sie fühlte; das arme Fräulein dachte nichts Uebles dabei, sondern ergriff mit Vergnügen die Gelegenheit, ihm gefällig zu sein, da sie ihn für so gut und ehrenhaft hielt, daß er keinerlei Absichten hegen könne, deren Botschaft sie nicht in allen Ehren übernehmen könne. Der Herzog aber, welcher mehr auf den Vortheil seines Hauses als auf eine ehrsame Freundschaft hielt, hatte so große Furcht, daß dieses Verhältniß seinen Sohn bis zur Heirath verleiten könnte, daß er ihn von allen Seiten beobachten ließ. Es wurde [346] ihm darauf hinterbracht, daß das arme Edelfräulein es übernommen hatte, einige Briefe seines Sohnes an dessen Geliebte zu befördern; darüber wurde er so zornig, daß er beschloß, der Sache ein Ende zu machen. Er konnte jedoch seinen Zorn nicht so ganz verbergen, daß nicht das Fräulein etwas davon merkte; da sie die Bosheit dieses Fürsten kannte, die sie für eben so groß, wie sein Gewissen klein hielt, verfiel sie in so arge Furcht, daß sie zur Herzogin ging, um sie um Erlaubniß zu bitten, sich so lange an einen Ort entfernt von Hofe begeben zu können, bis des Herzogs Zorn vorbei wäre. Ihre Herrin antwortete ihr, sie wolle versuchen, den Sinn ihres Mannes zu erforschen, ehe sie ihr Urlaub gäbe. Sie erfuhr jedoch sehr bald die bösen Anschläge, welche der Herzog hatte, und da sie seine Gemüthsart kannte, gab sie dem Edelfräulein nicht nur Urlaub, sondern rieth ihr sogar, so lange in ein Kloster zu gehen, bis der Sturm vorbei wäre. Dies that sie auch so heimlich wie möglich; doch wurde es trotzdem dem Herzog hinterbracht, der mit verstellter freundlicher Miene seine Gemahlin fragte, wo denn das Ehrenfräulein sei; da diese vermuthete, daß er doch schon die Wahrheit wüßte, bekannte sie ihm alles; er that, als ob er betrübt darüber sei, sagte ihr, daß sie nicht nöthig gehabt hätte, solche Maßregeln zu ergreifen, und daß er seinerseits ihr garnichts anthun wollte; sie solle sie nur zurückkommen lassen, denn das Gerede über solche Sachen thäte nicht gut. Die Herzogin antwortete, daß, wenn das arme Mädchen unglücklich genug wäre, sich seine Ungnade zugezogen zu haben, es besser wäre, wenn sie nicht gegenwärtig sei; aber er wollte von all den Gründen nichts hören und forderte von ihr, daß sie sie zurückkommen lasse. Die Herzogin ließ dem armen Fräulein den Willen des Herzogs vermelden, diese aber wollte sich nicht beruhigen lassen und flehte sie an, sie nicht zu diesem Schicksal zu zwingen, denn sie kannte den Herzog und wußte wohl, daß er nicht so leicht verzeihe, wie es schiene. Indeß versicherte ihr die Herzogin auf Ehre und Leben, daß ihr kein Leid geschehen werde. Das Fräulein, welches wohl wußte, daß ihre Herrin sie liebte und sie keinesfalls täuschen würde, vertraute diesem Versprechen und kehrte zur Herzogin zurück, da sie vermeinte, daß der Herzog niemals ein Versprechen brechen würde, bei dem die Ehre seiner Frau zur Bürgschaft gegeben [347] sei. Sobald der Herzog ihre Rückkehr erfuhr, ging er in das Gemach seiner Gemahlin und indem er das Fräulein erblickte, sagte er zu seiner Frau: »Da ist ja die Zurückgekommene«, und dann wandte er sich an seine Edelleute und befahl ihnen, sie ins Gefängniß abzuführen. Die arme Herzogin, welche ihr Wort verbürgt hatte, um sie aus ihrer Zufluchtsstätte hervorzuholen, gerieth darüber in solche Verzweiflung, daß sie sich vor ihm auf die Kniee warf und ihn anflehte, daß er um seiner und seines Hauses Ehre willen eine solche That nicht begehen möge, da sie das Fräulein, um ihm zu gehorchen, von dem Ort abberufen hätte, wo sie in Sicherheit war. Dennoch aber, welche Bitten sie auch aussprach und welche Gründe sie auch anführen mochte, konnte sie sein hartes Herz nicht erweichen und seinen gefaßten Entschluß, sich an ihr zu rächen, nicht wankend machen. Ohne seiner Frau ein einziges Wort zu antworten, zog er sich eiligst zurück und, Gott und die Ehre seines Hauses vergessend, ließ er ohne Gerichtsverfahren das junge Mädchen grausam aufknüpfen. Ich kann es nicht unternehmen, den Kummer der Herzogin zu schildern; es war der einer Dame von Herz und edler Gesinnung, welche diejenige sterben sieht, welche sie zu retten gewünscht hatte. Noch weniger aber läßt sich die Trauer des armen Edelmanns schildern, der ihr ein treuer Freund war und nichts unversucht ließ, was in seiner Macht stand, um das Leben seiner Geliebten zu retten, ja sogar das seinige für das ihre bot. Aber kein Flehen noch Mitleid rührte das Herz des Herzogs, der kein anderes Glück kannte, als sich an denen zu rächen, die er haßte. So wurde das unschuldige Mädchen von dem grausamen Herzog gegen das Gebot der Ehre und zum tiefsten Leidwesen aller derer, die sie kannten, umgebracht.

»Sehet nun, meine Damen«, fuhr Oisille fort, »welches die Folgen der Schlechtigkeit sind, wenn sie mit einer Machtstellung verbunden ist.« Longarine sagte: »Ich habe immer sagen hören, daß die Mehrzahl der Italiener (ich sage die Mehrzahl, denn es giebt auch dort ehrbare Leute, wie in allen Nationen) drei Lastern vor allem unterlegen sei; aber ich hätte nicht gedacht, daß Rache und Grausamkeit so weit gehen könnten, daß sie wegen eines so kleinen Versehens jemandem einen so grausamen Tod bereiten können.«

[348] Saffredant sagte lachend: »Ihr habt uns ganz gut das eine der drei Laster angegeben, Longarine; jetzt müßt Ihr uns noch die beiden anderen sagen.« Sie antwortete: »Wenn Ihr sie nicht kennt, will ich sie Euch sagen, aber ich bin sicher, daß sie Euch sehr wohl bekannt sind.« »Wollt Ihr damit sagen, daß ich sehr lasterhaft bin?« »Durchaus nicht, vielmehr halte ich gerade Euch mehr wie einen anderen dafür geschaffen, das Laster, wenn Ihr erst seine Häßlichkeit eingesehen habt, zu vermeiden.« Simontault nahm das Wort: »Wundert Euch nicht so sehr über diese Grausamkeit; Leute, die durch Italien gereist sind, erzählen so Unglaubliches, daß daneben diese Geschichte nur ein kleines unschuldiges Stückchen ist.« Guebron sagte: »So ist es. Als Rivole von den Franzosen genommen wurde, war da ein italienischer Kapitän, den man für einen sehr liebenswürdigen Kameraden hielt. Der sah einen Mann todt daliegen, der garnicht sein Feind war, nur eben Ghibelline, während er Welfe war; er riß ihm das Herz aus der Brust, briet es eiligst auf glühenden Kohlen und aß es. Dann von einigen befragt, wie es ihm gemundet habe, antwortete er, daß er niemals ein so saftiges und wohlschmeckendes Stück gegessen habe. Nicht zufrieden mit dieser Großthat, tödtete er noch die Frau jenes Mannes, die hochschwanger war, schnitt den Foetus aus ihrem Leibe, füllte den Körper beider mit Hafer und ließ seine Pferde daraus fressen. Glaubt Ihr nicht, daß dieser auch ein Mädchen, das er in Verdacht gehabt hätte, etwas gegen ihn zu thun, einfach umgebracht haben würde?« Emarsuitte sagte: »Jener Herzog muß mehr gefürchtet haben, sein Sohn könnte eine Arme heirathen, als es sein Wunsch war, ihm ein Mädchen, das ihm gefiele, zur Frau zu geben.« Simontault antwortete: »Ihr dürft nicht zweifeln, daß es für Leute hohen Standes nur etwas Selbstverständliches ist, sich weniger von der Liebe als von denjenigen Rücksichten leiten zu lassen, die sie über die Liebe stellen.« Longarine sagte: »Das sind eben gerade die Fehler, die ich darthun wollte. So z.B. heißt Geld lieben, ohne dasselbe anzuwenden, Götzendienst treiben.« Parlamente sagte, der Apostel Paulus habe nicht ihre und alle derer Laster vergessen, welche die anderen Menschen an Klugheit und menschlichem Verstande übertreffen wollen, worin sie sich dann so mächtig fühlen, [349] daß sie nicht Gott die ihm schuldige Ehre geben; »deshalb macht der Allmächtige, der eifersüchtig auf die ihm gebührende Ehre wacht, diejenigen, welche vernünftiger als andere Menschen sein wollen, zu rasenden Thieren, indem er an einem ganz widernatürlichen Thun derselben zeigt, daß sie einen verworfenen Sinn haben.« Longarine fiel ihr ins Wort und sagte: »Das ist das dritte Laster, dem die Mehrzahl von ihnen unterlegen ist.« »Nun wahrlich«, sagte Nomerside, »diese Auseinandersetzung gefällt mir. Denn wenn die Geister, die sehr klug und schneidend sind, solche Strafe erhalten, daß sie dümmer als Thiere werden, so muß man schließen, daß demüthige, niedrige und unverfängliche, wie der meine, voller Engelsweisheit sind.« »Ich versichere Euch«, sagte Oisille, »meine Meinung ist von der Euren nicht weit entfernt; Niemand ist unwissender, als wer sich für sehr weise hält.« Guebron sagte hierauf: »Ich habe noch nie einen Spötter, der nicht Spott eingeheimst hätte, einen Betrüger, der nicht betrogen und einen sich Ueberhebenden, der nicht gedemüthigt worden wäre, gesehen.« Simontault sagte: »Ihr erinnert mich an einen Betrug, den ich, wenn er nicht so niederer Art gewesen wäre, gern erzählt hätte.« »Da wir hier sind, um die Wahrheit zu sagen«, sagte Oisille, »kommt es auf die Güte nicht an; ich gebe Euch also das Wort.« Simontault antwortete: »Nun wohl ich will Euch die Geschichte erzählen.«

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Sechster Tag. 51. Erzählung: [Hinterlist und Grausamkeit eines Italieners.]. 51. Erzählung: [Hinterlist und Grausamkeit eines Italieners.]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5F57-0