Zweiundsiebenzigste Erzählung.

Von der fortwährenden Reue einer Nonne, welche, ohne daß ihr Gewalt angethan wird und ohne daß sie liebt, ihre Jungfräulichkeit verliert.


In einer der größten Städte Frankreichs nach Paris war ein reich fundirtes Hospital, d.h. eine Abtei mit 15 bis 16 Nonnen und in einem anderen Flügel des Hauses ein Prior mit 7 bis 8 Geistlichen, welche alle Tage den Gottesdienst wahrnahmen, während die Nonnen nur den Rosenkranz hersagten und die Stundengebete abhielten, weil ihnen im Uebrigen die Pflege der Kranken oblag. Eines Tages starb ein armer Mann dort, wobei alle Nonnen zugegen gewesen waren. Nachdem sie alle Mittel, ihn zu heilen, angewendet hatten, schickten sie nach einem Mönch, um ihm die Beichte abzunehmen. Dann, als sie sahen, daß seine Kräfte abnahmen, gaben sie ihm die letzte Oelung; kurz darauf verlor er die Sprache. Da er aber noch weiter zu leben und zuzuhören schien, sagten sie ihm alle Trostworte, so viel sie konnten. Auf die Dauer aber langweilte es sie; die Nacht war herangebrochen, es war schon spät geworden, und sie gingen eine nach der anderen zu Bett. Es blieb nur bei den Sterbenden eine der jüngsten Nonnen mit dem Mönch, den sie wegen der Strenge, die er in seinem Leben und seiner Worten offenbarte, mehr als den Prior oder irgend einen anderen fürchtete. Nachdem sie dem armen Mann noch viele Gebete ins Ohr gerufen hatten, sahen sie, daß er todt war, und bereiteten ihm das Sterbelager. Während sie diesen letzten mitleidigen Akt ausführten, [444] begann der Mönch von der Hinfälligkeit des Lebens und dem Glück des Todes zu sprechen; mit solchen Reden verbrachten sie die halbe Nacht. Das arme Mädchen lauschte aufmerksam auf seine Predigt und sah ihn mit Thränen in den Augen an; er empfand ein so großes Vergnügen darüber, daß er, während er von dem zukünftigen Leben sprach, sie häufig umarmte, als drängte es ihn, sie gleich in seinen Armen ins Paradies zu tragen. Das arme Mädchen hörte weiter zu, und da sie ihn für den gottesfürchtigsten aller seiner Genossen hielt, wehrte sie ihm nicht. Als der Mönch dies merkte, vollführte er, immer von Gott sprechend, eine That, die der Teufel ihm plötzlich eingegeben hatte, und wovon garnicht die Rede gewesen war. Er versicherte sie, daß ein geheimgehaltenes Vergehen vor Gott straflos sei, und zwei nicht gebundene Personen in solchem Fall kein Verbrechen begehen könnten wenn nur kein Gerede davon entsteht; um das zu vermeiden, solle sie sich hüten, einem anderen als nur ihm zu beichten. So trennten sie sich; sie ging zuerst, und als sie durch eine Kapelle der Mutter Gottes kam, wollte sie, wie sie es ge wohnt war, ihre Andacht verrichten; als sie aber mit den Worten »Jungfrau Maria« begann, fiel ihr ein, daß sie ihre Jungfräulichkeit ohne Gewalt und ohne Liebe verloren habe, nur aus einer ganz dummen Furcht, worüber sie so zu weinen begann, daß sie meinte, das Herz müsse ihr brechen. Der Mönch horte von Weitem ihr Seufzen, und da er vermuthete, daß sie ihren Sinn geändert hätte, wodurch er sein Vergnügen verlieren würde, suchte er sie, um das zu verhindern, auf und fand sie auf den Knieen vor dem Muttergottesbild. Er tadelte sie mit heftigen Worten und sagte ihr, daß, wenn sie ihr Gewissen zu erleichtern wünsche, sie ihm beichten solle, daß er sie auch nicht mehr behelligen werde, denn er sowohl wie sie seien in ihrer Freiheit ohne Sünde. Die dumme Nonne glaubte Gott eine Genugthuung zu erweisen und beichtete ihm, und er, anstatt aller Buße, schwor ihr, daß sie nicht sündige, wenn sie ihn liebe, und daß Weihwasser die ganze Sünde zu sühnen imstande sei. Sie glaubte ihm mehr als Gott, und nach einiger Zeit folgte sie ihm wieder, so daß sie schließlich schwanger wurde. Sie wurde darüber so traurig, daß sie die Aebtissin bat, jenen Mönch aus dem Kloster [445] zu jagen, da sie wußte, daß er so schlau und verschlagen war, daß es ihm schon immer von Neuem gelingen würde, sie zu verführen. Die Aebtissin und der Prior, welche beide im Einverständniß standen, machten sich über sie lustig, indem sie sagten, sie sei groß genug, um sich eines Mannes zu erwehren, auch sei der, von dem sie spreche, ein durchaus wohlanständiger Mann. Am Ende bat sie die Aebtissin, im Drang ihrer Gewissensbisse nach Rom gehen zu dürfen; sie glaubte nämlich, wenn sie auf den Knieen ihre Sünde dem Papst beichten würde, könnte sie ihre Jungfräulichkeit wiedererlangen. Der Prior und die Aebtissin erlaubten ihr das bereitwilligst, es war ihnen lieber, sie wurde gegen die Regel eine Pilgerin, als daß sie sich einschloß und so gewissenhaft wurde, wie es der Fall war. Sie fürchteten auch, daß sie in ihrer Verzweiflung das Leben, wie es bei ihnen geführt wurde, offenbaren könnte, und gaben ihr auch das nöthige Reisegeld. Gott wollte aber, daß, während sie in Lyon war, eines Abends nach der Vesper die Herzogin von Alençon, die spätere Königin von Navarra am Altar der Kirche Saint Ican sich befand, wo dieselbe mit drei oder vier ihrer Frauen insgeheim eine neuntägige Andacht abhielt; als sie vor dem Krucifix auf den Knien lag, hörte sie jemanden die Stufen emporsteigen und sah beim Schein der Lampe, das es eine Nonne war. Um nun ihre Andacht anzuhören, zog sich die Herzogin bis ans Ende des Altars zurück. Die Nonne, welche sich allein glaubte, kniete nieder; dann schlug sie sich vor die Brust und begann so laut zu schluchzen, daß es zum Erbarmen war, und rief immer nur: »O, mein Gott, mein Gott, erbarme dich mir armen Sünderin.« Die Herzogin näherte sich ihr, um zu erfahren, was es sei, und fragte: »Meine Gute, was habt Ihr? Woher kommt Ihr und was führt Euch an diesen Ort?« Die arme Nonne, die sie nicht erkannte, sagte zu ihr: »O, meine Liebe, mein Unglück ist so groß, daß ich mich nur an Gott wenden kann, den ich bitte, mir die Möglichkeit zu gewähren, mit der Frau Herzogin von Alençon sprechen zu können. Denn ihr allein will ich meine Geschichte erzählen und bin sicher, daß, wenn sie mir helfen kann, sie es thun wird.« Die Herzogin sagte: »Meine Liebe, Ihr könnt zu mir, wie zu ihr selbst sprechen, ich bin eine ihrer Freundinnen.« »Verzeihet mir«, antwortete [446] die Nonne, »niemals wird jemand anderer als nur sie allein mein Geheimniß erfahren.« Nunmehr sagte ihr die Herzogin, sie könne ohne Zagen sprechen, denn sie habe gefunden, was sie suchte. Die arme Nonne warf sich ihr nun zu Füßen, und nachdem sie viel geweint und geschrieen hatte, erzählte sie ihr ihr Unglück, das Ihr schon vernommen habt. Die Herzogin tröstete sie so gut, daß sie, ohne ihr zwar die fortdauernde Reue wegen ihrer Sünde zu nehmen, ihr doch den Gedanken ausredete, nach Rom zu pilgern. Sie schickte sie vielmehr in ihre Abtei zurück und gab ihr Briefe für den Bischof mit, damit dieser den Befehl gebe, den gewissenlosen Mönch fortzujagen.

»Ich habe diese Erzählung von der genannten Herzogin selbst«, fuhr Dagoucin fort, »und Ihr könnt daran sehen, daß das Rezept Nomerfides nicht bei Personen aller Art hilft. Denn diese beiden berührten und begruben einen Todten und wurden doch von Fleischeslust erfaßt.« Hircan sagte: »Das ist eine Erfindung, die meines Erachtens niemals ein Mensch anwendete, vom Tode zu sprechen und dabei Leben zu schaffen.« »Zu sündigen heißt nicht Leben schaffen«, wandte Oisille ein, »denn man weiß wohl, daß die Sünde den Tod gebiert.« »Glaubt mir«, sagte Saffredant, »diese guten Leute dachten nicht an alle diese theologischen Deduktionen. Vielmehr, wie die Töchter Lots ihren Vater betrunken machten, um ihr Geschlecht zu erhalten, so wollten diese armen Menschen wieder gut machen, was der Tod an jenem Körper zu Schanden gemacht hatte, und einen neuen schaffen. Deshalb sehe ich nur ein Schlimmes dabei, das sind die Thränen der armen Nonne, die immer weinte und in ihrem Denken immer zu der Veranlassung ihrer Thränen zurückkehrte.« »Ich habe genug gesehen«, sagte Hircan, »welche auch ihre Sünden beweinten und daneben ihrem Vergnügen weiter lebten.« Parlamente sagte: »Ich errathe, für wen Ihr das sagt, einer, dessen Lachen lange genug gedauert hat, daß es nun an der Zeit wäre, daß die Thränen beginnen.« »Schweig«, gebot Hircan, »noch ist die Tragödie, die mit Lachen begonnen hat, nicht zu Ende.« »Um nun von etwas anderem zu sprechen«, sagte Parlamente, »so scheint mir, daß Dagoucin unsere Abmachung überschritten hat, nur Geschichten zu erzählen, die uns lachen machen; [447] die seine war doch zu traurig.« »Ihr sagtet selbst«, wandte sich Dagoucin an sie, »daß wir nur thörichte, Dinge erzählen sollen, und da bin ich doch wohl nicht aus der Rolle gefallen. Um aber etwas Lustiges zu hören, gebe ich Nomerfide das Wort und hoffe, daß sie meinen Fehler wieder gut machen wird.« Diese sagte: »Ich weiß auch gerade eine Geschichte, welche werth ist, auf die Eure zu folgen, denn es dreht sich um einen Mönch und um den Tod. Hört also gefälligst zu.«


Hier enden die Erzählungen der verstorbenen Königin von Navarra, so viele davon wieder aufgefunden worden sind.

Fußnoten

1 Man nahm früher an, daß bei einer Jungfrau die Aederchen im Weißen des Auges roth seien, während sie bei einer Frau bläulich wären.

2 Am Festtage zum Gedenken an die Ermordung der unschuldigen Kindlein durften junge Leute, welche Frauen noch im Bett liegend überraschten, diese mit einer Ruthe schlage

3 Im Original steht das Wort étron, welches aus Gründen der Wohlanständigkeit durch das obenstehende ersetzt worden ist.

4 Wahrscheinlich war dies der Name der Heldin der vorstehenden Erzählung.

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TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Achter Tag. 72. Erzählung: [Von der fortwährenden Reue einer Nonne]. 72. Erzählung: [Von der fortwährenden Reue einer Nonne]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5ED4-D