Benedikte Naubert
Alf von Dülmen
Oder
Geschichte Kaiser Philipps
und seiner Töchter
Aus den ersten Zeiten der heimlichen
Gerichte


[5] Eingang
1393

Auf einer einsamen Reise, deren Ursach und Endzweck die Sage zu melden vergessen hat, kam Pfalzgraf Ruprecht, mit dem Zunamen der Bärtige, in eine Gegend, welche unser Urschreiber, der seine Gegenstände überhaupt hier und da geflissentlich in Dunkel zu hüllen scheint, ebenfalls ungenannt läßt. Es war ein wüstes Thal mit hohen Gebürgen umgeben, in der Mitte von einem schmalen, aber tiefgehenden und hochufrigen Bergstrom durchschnitten, der sich nordwärts von einer Felsklippe auf die andre herabstürzte, und sich schon in der Fern durch sausendes Geräusch verkündigte.

Ruprecht war in diesem Gebiet so wohl ein Neuling als wir, er hatte die umliegenden Gegenden oft bereist, wußte ihren Namen und ihren Eigener, aber in diesen Abschnitt derselben, in diesen verlassenen Winkel der Natur [5] war er nie gekommen, hatte nie nur das Daseyn desselben gemuthmaßt, ob er gleich in der Folge sich besann, daß er jenseit dieser Gebürge zuweilen an heitern Tagen, etwas wie Thurmspitzen und Mauerzinnen auf einer der höchsten Anhöhen hatte herüberragen sehen; doch die Augen des Pfalzgrafen waren schlecht, die Ferngläser noch nicht erfunden, und wenn er in diesen Gegenden wallte, ritt ihm gemeiniglich kein hellersehender Knappe zur Seite, denn die Natur seiner Reisen wollte es, daß – er allein war.

Jetzt, da ihn ein enger Bergweg durch Zufall in die Gegend leitete, die er zuvor niemals sah, erblickte er deutlicher, was er vorher nur wie Schatten gesehen hatte. Jene Thurmspitzen und Mauerzinnen zeigten sich ihm jetzt näher, und von einer andern Seite, sie waren ein Theil einer allen halb verfallenen Burg, welche auf einem der mittlern Hügel der besagten Gegend lag, und den Hintergrund eines Gemäldes ausmachte, welches im Ganzen wenig Reiz für die Sinnen hatte. Ein ödes Thal mit unfruchtbaren Gebürgen umgränzt, ein brüllender Bergstrom, eine alte Trümmer von einem Schloß, das wahrscheinlich schon zu Karls des Großen Zeiten nicht mehr neu gewesen war, welche Gegenstände für einen müden Reisenden, über dessen Haupt [6] sich Gewitterwolken zusammen zogen, und seine Sehnsucht nach Ruhe und Obdach vermehrten!

In dem ganzen Bezirk zeigte sich dem Auge kein lebendiges Geschöpf, als die niedrig fliegenden Vögel, welche die Ahndung des Sturms ihre Nester suchen machte. Die Luft im Thale athmete schwül, kleine Windstöße unterbrachen die bängliche Stille. Der Staub drehte sich in kurzen Kreisen, einzelne Regentropfen begannen zu fallen, und in der Ferne rollte der Donner.

Ruprecht spornte sein Pferd an, dem drohenden Sturm zu entkommen. Zwar sah er keine andere Zuflucht vor sich, als das noch ziemlich ferne Schloß, das auf seiner Höhe in der dicksten Nacht der Gewitterwolken zu liegen schien, und auf keine Art einen einladenden Anblick gab; aber er war in dem Falle, nicht wählen zu können, welcher gewöhnlich jeder Bedenklichkeit ein Ende macht.

Ehe er die Burg noch erreichen konnte, brach schon das Ungewitter mit vollem Wüthen los; der Himmel strömte, der Fluß schwoll an, die hundertjährigen Fichten, die einigen hier gedeihenden Bäume, beugten sich, und der arme Pilger sah seinen Weg wechselsweis in dichte Dunkelheit gehüllt, und in Feuer schwimmend vor sich. Der Schloßberg war jetzt erreicht, jetzt über die Hälfte zurückgelegt, der Pfad ward [7] weniger steil; auf einem Absatz linker Hand machte ihm ein Blitzstrahl ein hohes steinernes Gebäude sichtbar; es schien kein Ort, wo man Obdach finden konnte, sondern ein altes halb verfallnes Monument zu seyn, von dem er keine weitere Notiz nahm, sondern im vollen Trabe vorübersetzte, endlich die Burg zu erreichen, wo er noch nicht wußte, ob er Menschen, oder Raben und Eulen zu Hauswirthen haben würde.

Das Thor war geschlossen; der Pfalzgraf schlug mit einer Macht an, die seinen Stand und seine Hülfsbedürftigkeit gleich stark bezeichnete. Erst auf den vierten Schlag erfolgte zur Antwort von innen die Frage: wer sich einmal in diese Gegend verirrt habe? – Ein Reisender, war die Antwort, den das Ungewitter hieher treibt. – Das merke ich, antwortete man, indem sich die Pforte öffnete; bey schönem Wetter wird hier wohl niemand einsprechen. Doch kommt herein, das Unwetter hat euch übel mitgefahren, ihr seyd naß bis auf die Knochen!

Es war ein alter Mann in ehrbarer Kleidung von gutem Ansehen, der diese Worte zu dem triefenden und keuchenden Ruprecht sagte, es war etwas Zutrauen erweckendes in seinem Tone, der Pfalzgraf, der jetzt abgestiegen war, schüttelte ihm treuherzig die Hand, und folgte ihm aus dem hochgewölbten Vorhaus, das von [8] einer hängenden Ampel erhellt wurde, in die untere Halle, wo nach alter deutscher Sitte auf dem steinernen Tisch in der Mitte ein Krug mit Wein und ein gefüllter Becher auf den warteten, der sie leeren wollte.

Labt euch hier mit einem Trunke, sagte der Hauswirth, indeß ich Befehl gebe, daß man ein Feuer anmache, und euch trockne Kleider bringe. Ruprecht that wie ihm geheißen war, und trat denn ans Fenster, in den Sturm hinaus zu sehen, dem er eben entkommen war. Ein fürchterlicher Blitz, und ein Donnerschlag, welcher nicht anders tönte, als ob der alte Steinhaufen, in dem der Reisende eingekehrt war, über ihm zusammenstürzte, scheuchte ihn zurück. Ruprecht war eben nicht furchtsamer Art, aber die wenige Kenntniß von den Geheimnissen der Natur machte, daß man zu den damaligen Zeiten noch mehr vor dem Feuer des Himmels bebte, als heut bey Tage.

Das ist ein fürchterliches Wetter, sagte der Wirth, der jetzt wieder herein trat; dieser Schlag hat in der Nähe Baum oder Fels gespalten! Gott gnade mir und meinen armen Hause, wenigstens um des Reisenden willen, den ich eben aufgenommen habe. – Kennt ihr ihn? fragte Ruprecht, könnte er nicht etwa [9] ein Sünder seyn, der die Rache des Himmels erst über euch brächte?

Das ist er nicht! sagte der Alte, indem er seinen Gastfreund behülflich war, die nassen Kleider gegen das mitgebrachte reine und ausgewärmte Gewand zu vertauschen; aber verzeiht, daß ihr so langsam bedient werdet; ich habe nur zwey Knechte! Vincent, eile du dort am Feuer, daß du meinen Herrn zu Tische dienen kannst; Kurds Wildpret muß, wenn er nach Hause kommt, auf Morgen aufbewahrt werden, ich hoffe die Gegenwart meines edeln Gasts mehr als einen Tag zu geniessen.

Vincent hatte im Kamin ein tröstendes Feuer angezündet, der Hauswirth, der sich seinem Gaste auf Befragen, Thomas Knebel nannte, zog ihm einen Sitz herbey, und sorgte, daß er sich mit dem Rücken nach den Fenstern kehrte, damit ihn das noch immer fortdaurende Feuer der Blitze nicht schrecke oder blende. Darauf half er seinem Knechte selbst den Tisch bereiten, der mit Wein, Brod, kaltem Wildpret und Früchten bald so gut besetzt war, daß ein hungriger Reisender volle Erquickung und Sättigung hoffen konnte.

Erlaubt, sagte Thomas, als Ruprecht sich setzte, daß ich euch gegenüber meinen Platz nehme.

[10] Und warum erlauben? Ihr seyd Wirth, ich Gast!

Ihr habt recht, ein ehrlicher Wirth darf wohl an seines Gastes Seite sitzen, und wir sind ja weit genug von der Welt entfernt, die die scharfe Gränzlinie zwischen Fürst und gemeinen Mann gezogen hat, welche eigentlich nur zwischen den guten und bösen Menschen statt finden sollte!

Fürst? Kennt ihr mich? –

Schon vorhin meine Hoffnung, daß mir Gott um euretwillen gnädig seyn möchte, hätte euch sagen sollen, daß ich euch kenne. Ihr seyd Pfalzgraf Ruprecht der Kleine, ein wackerer biederherziger Mann, der den Fluch in kein Haus bringen wird, wo er einkehrt.

Thomas Knebel, antwortete Ruprecht, ich würde sagen, mir sey nie so fein geschmeichelt worden, wenn sich das Wort Schmeicheley zu eurem Gesicht paßte.

Ihr würdet mir in Wahrheit unrecht thun, lachte Thomas. Daß ich nicht schmeicheln und kriechen kann, zeigt euch die Art, auf welche ich mit euch spreche; die Stelle, worauf ich sitze, und der Trunk aus diesen Becher, mit welchen ich euch hier willkommen heiße.

Thomas trank, Ruprecht that Bescheid, man speißte mit Appetit, und so ganz ohne [11] Zwang, als wenn hier der Gleiche mit dem Gleichen zu Tisch gesessen hätte, und nachdem ein halbes Dutzend Gemeinplätze z.B. über das nachlassende Ungewitter, und die Verirrung auf Reisen vorüber waren, dergleichen sich bey dem Eingang jedes Gesprächs finden, so nahm eine Unterhaltung unter beyden Platz, welche den redlichen geradsinnigen Pfalzgrafen in der Seele wohl that. Das funfzehende Jahrhundert, an dessen Grenzen sich diese Geschichte zutrug, mißte schon manchen der Vorzüge seiner Vorgänger, es war in denselben schon etwas seltnes geworden, daß ein Fürst, wenn er mit einem Niedern zusammentraf, etwas anders fand, als den Ton der Schmeicheley oder die düstre Zurückhaltung des Mißtrauens und heimlichen Neides.

Mein redlicher Thomas, sagte Ruprecht am Ende der Abendmahlzeit, indem er seine Hand über den Tisch nach seinem Wirthe ausstreckte, die seinige zu fassen. Ich werde von euch scheiden müssen, sey es gleich Morgen oder über mehrere Tage, und ich fühle, daß mir die Kenntniß eures Namens beym Andenken an euch nicht genug thun wird, laßt mich mehr von euch wissen, laßt mich wenigstens wissen, woher ihr mich kanntet.

Ich führte unter eurem Vater, antwortete er, zuerst die Waffen, wie sollte ich euch, den [12] Sohn meines Herrn und Wohlthäters nicht kennen? Manches Jahr ist wohl seitdem entflohen, ihr seyd seitdem aus dem Jüngling zum Manne geworden, aber die Grundzüge des Gesichts, so wie die des Gemüths, sind nicht so leicht zu verlöschen, man kann in denselben nach einen halben Menschenalter noch immer seinen Bekannten wieder finden.

Aber wie ists möglich, fragte der Pfalzgraf, daß der Mann, dem ich bekannt war, der sich durch das, was mich jetzt in wenig Stunden an ihn gefesselt hat, vor Tausenden auszeichnen mußte, daß dieser mir so lang unbekannt blieb?

Glaubt denn Ruprecht, jeden Biedermann zu kennen, der ihn kannte? – Mich hat mein Schicksal Jahrelang der abendländischen Christenheit aus den Augen gerückt, und ich mußte also wohl unbekannt werden! In meinem Vaterlande erregte zu der Zeit, da ihr ein Jüngling waret, ich ein Mann wurde, eine Unthat allgemeines Aufsehen, welche zu groß für die Ahndung der öffentlichen Gerechtigkeit, den Arm heimlicher Rächer auf sich lenkte. Ein Mann, der mein Freund war, hatte sie begangen, ich war so unschuldig als unwissend in der Sache, aber die That schlängelte sich durch allerley Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten, so [13] dicht zu mir heran, daß ich eine fast unmögliche Rechtfertigung zu Stande bringen, sterben oder fliehen mußte. Ich wählte das letzte. Palästina ist mein Vaterland gewesen bis vor wenigen Jahren, da sich eine gute Gelegenheit zeigte, den Orient zu verlassen. Die furchtbaren Unbekannten, die mich verfolgten, sind allwissend, aber Dank sey ihrem großen Oberrichter, sie sind nicht unsterblich. Ich dachte mir die Möglichkeit, keinen von ihnen mehr am Leben, oder mich durch jahrelange Mühe und Abwesenheit so unkenntlich gemacht zu sehen, daß ich nun mit Sicherheit in dem Lande leben könnte, aus welchen mich einst zu hochgespannte und übelverstandene Gerechtigkeit vertrieb. Meine Hoffnung ward erfüllt, niemand kannte meinen Namen mehr, wie hätte man sich meiner Gestalt noch erinnern sollen! Verwandte hatte ich von jeher wenig, Freunde noch weniger; die ich hatte waren gestorben, ich war allein auf der Welt. Da nahm ich die Denkmale der sarazenischen Siege, meine mühsam zu rath gehaltene, nicht mit unnöthig vergossenem Blut besudelte Beute zusammen, und kaufte mir von denen von Reinen dieses verfallene Schloß. Die Gegend, in welcher es liegt, paßte zu meiner Laune, es fehlt mir nicht an Mitteln, es auf die wenigen Jahre, die ich noch zu leben habe, [14] für mich bewohnbar zu machen; Arbeiter zu diesem Entzweck sind auf künftigen Frühling schon bestellt; da ich nur für mich, nicht für Nachkommen zu bauen habe, so wird ihr Werk bald geendigt seyn, ich werde noch einige Jahre hier ruhig leben, und dann eben so ruhig sterben. – Wär ich nicht ein Feind auch jedes Anscheins von Augendienerey, so würde ich sagen, (und wahrhaftig, ich könnte es ohne Nachtheil der Wahrheit thun,) mir sey es Freude, euch, theurer Pfalzgraf, hier gesehen und bewirthet, und die Hoffnung zu haben, euch öfter hier zu sehen und zu bewirthen, da, wie aus euren Reden erhellt, eure Geschäfte euch oft in diese Feldmark treiben. –

Meine Geschäfte beyseite gesetzt, unterbrach ihn Ruprecht, was konnte euch bey eurer langen Abwesenheit aus dem Abendland zu so viel Vorliebe bewegen, als ihr gegen mich, einen Mann beweißt, von dem ihr nicht viel mehr kennt, als den Namen?

Eure Thaten, Herr Pfalzgraf.

Meine Thaten sind sehr unbedeutend und glanzlos.

Ich habe in meinen Leben sehr glänzende Thaten gesehen, deren Ruhm ich nicht in meinen Mund nehmen, noch vielweniger den, der sie vollbrachte, einiger Vorliebe würdigen [15] werde. Was aber euch anbelangt, so gebe Gott dem deutschen Reiche einmal einen solchen Kaiser, wie euch, er wird ihm mehr Frommen bringen, als all die da gewesen sind, und deren glänzende Thaten zwanzig Seiten der Geschichtbücher erfüllen.

Ich weiß nicht, Thomas, wie ihr auf diesen seltsamen Wunsch kommt. Kaiser zu werden, ist mir wohl nie eingefallen, ungeachtet ich wohl oft gedacht habe, wenn ich es wär, so sollte manches anders werden.

Sahet ihr etwa auch Stätte der Gerechtigkeit, wo Gewissenlosigkeit und Uebermuth den Scepter führte, und Thränen der Unterdrückten an der Stufe des richtenden Throns? – Was ihr gesehen habt, das habe ich gefühlt und erfahren, und noch einmal, Gott gebe seinem Reiche, anstatt des trägen schwelgerischen Wenzels, einen Fürsten, wie euch, der so wenig in die Fehler dieses unwürdigen Menschen als in die seiner streitbaren und ruhmsüchtigen Vorfahren fällt, der, indem er keinen Anspruch auf glänzende Thaten macht, das Schwerd gegen den Reichsfeind nur zieht, wo er muß, und dafür lieber darauf sieht, das Schwerd der Gerechtigkeit in seinen Landen so zu lenken, daß es strafe und schone, wie es recht ist, daß es nicht, indem [16] es sich rühmt, der Allgewalt Gottes nachzuahmen, Rechte an sich reiße, die keiner sterblichen Macht gebühren.

Ruprecht verstand den eifernden Thomas wohl. Im deutschen Reiche hatte damals die Macht jener heimlichen Rächer, welche meine Leser nicht erst aus diesen Blättern kennen lernen werden, fürchterlich überhand genommen. Alles wurde vor ihren Richterstuhl gezogen, nichts konnte ihrer Gewalt entgehen, sie richteten meistens recht, aber sie richteten zu streng, und waren oft durch einen blossen Anschein von Schuld nur allzuleicht zu täuschen. Ruprecht hatte bey dem scharfen Beobachtungsgeist, der ihn beseelte, oft Gelegenheit gehabt, Dinge wahrzunehmen, die sein Innerstes erschütterten, und deren Abschaffung einer höhern Gewalt als der seinigen vorbehalten zu seyn schien. Er seufzte zu der Aeußerung seines Wirths und schwieg, aber zum erstenmal regte sich vielleicht in seinem Herzen der Wunsch, einst auf der Stelle zu stehen, die ihm Thomas wünschte, um alles Gute ausrichten zu können, das er wollte.

Während der Pause, welche das Nachdenken des Wirths und des Gasts machte, öffnete sich die Thür, und Vincent trat herein, um [17] seinem Herrn anzumelden, wie Kurd von der Jagd zurückgekommen sey, und keinen Schaden von dem Ungewitter gelitten habe, von welchem er übereilt worden sey. Lebhafte Freude glänzte in den Augen des Herrn und des Dieners über die Nachricht. Kurd erhielt Befehl, so durchnäßt als er war, einzutreten, und der Pfalzgraf ward nicht einmal um Erlaubniß gebeten; ein Zug, der ihn so wenig beleidigte, daß er ihm vielmehr ein neuer Beytrag zu der Treflichkeit des Mannes schien, den er vor sich hatte. Thomas trug kein Bedenken, seinen Diener vor den Augen des Fürsten zu ehren, den er vor einem Augenblicke noch im vollen Ernst einen der höchsten Throne gewünscht, und ihn schon im prophetischen Geist darauf gesehen hatte. Ruprecht ward eine Viertelstunde lang ganz aus den Augen gelassen, und der alte Konrad spielte die Hauptrolle beym Tischgespräch, er wurde um die wahrscheinliche Gefahr beym Ungewitter und beym schnellen Austreten des Flusses gefragt, und erhielt denn die Weisung, sich sogleich zu entfernen, ein Maaß Wein zu trinken, und zur Ruhe zu gehen.

Höre doch, Kurd, rief ihm Thomas nach, was mag der letzte fürchterliche Donnerschlag für Schaden gethan haben? daß er traf, glaubte ich zu hören.

[18] Er hat des von Dülmen Säule von der Spitze bis auf die Stufen zertrümmert, war die Antwort, morgen sollt ihr mehr davon hören.

Verzeiht, Herr Pfalzgraf, sagte Thomas, da jetzt Kurd fort war, und er sich von der Freude, ihn geborgen zu sehen, wieder erholt hatte, daß ich mir in eurer Gegenwart so viel Freyheit nehme, aber meine Knechte sind mir so lieb wie meine Kinder, beyde haben mich nach Palästina und wieder heraus begleitet, Vincent war mein Reisiger und Konrad mein Knappe, dem letzten habe ich zweymal mein Leben zu danken, so wie ich auch ihm das seinige einmal rettete; noch einmal, es ist zwischen ihnen und mir das nehmliche Verhältniß, wie unter Vater und Kindern.

Wollte Gott; rief Ruprecht, jeder Fürst stünd mit seinen Unterthanen, so wie ihr mit euren Knechten; doch was wollte Konrad mit des von Dülmen Säule?

Diese Säule, Herr Pfalzgraf, ist ein altes Denkmal in diesen Gegenden, bey welchem ihr vorübergekommen seyn müßt, und das wir nicht anders zu nennen wissen, als die Säule Alfs von Dülmen, weil sein Name und der Name einer gewissen Alverde, die wohl seine Gattin [19] gewesen seyn mag, unter andern Charakteren darauf noch lesbar war.

Und wer mag dieser von Dülmen gewesen seyn? es thut mir leid, daß ich das Monument so kurz vor seinem Untergang nur im Schimmern gesehen habe, denn ich vermuthe, es war eben das, das ich vorhin auf einem Absatz des Schloßbergs im Heraufreiten zur Seite liegen ließ; so viel mir der Schein des Blitzes zeigte, eine Gigantische Pyramide auf vier Stufen, mit einer kleinen abgestumpften Nebensäule.

Ihr habt recht gesehen, und hört, was ich euch von diesen Dingen sagen kann, so wie ich es beym Ankauf dieser Gegend aus dem Munde eines alten Bauern des jenseitigen Dorfs erfuhr. Wer die uralten Eigner dieses Schlosses gewesen sind, weiß ich nicht, ich erhielt es aus den Händen derer von Remen, die es anderthalbhundert Jahr besessen haben sollen. Der erste Ankäufer aus diesem Hause, Evert von Remen, fand Gefallen an der wilden Gegend, in welcher es lag, wie ich Gefallen daran gefunden habe, glaubte sie des Anbauens und der Verschönerung fähig, und beschloß den alten Steinhaufen, diese Burg, wie sie noch jetzt ist, zum zierlichen Schlosse zu machen. Bey seinem ersten Eintritt als Eigenthümer, warf sich ihm der Schloßbewahrer zu Füssen, und bat um Gnade [20] wegen dessen, was er ihm jetzt, durch Noth gezwungen, bekennen müsse. Zehn Jahr, fuhr er auf Befehl fort, war ich Hüter dieses Hauses, bey Antritt meines Amts ward ich in Pflicht genommen, einen Gefangenen, welcher damals schon dreyßig Jahr in einem unterirdischen Gefängniß schmachtete, auf die Art fortan zu halten, wie er bisher gehalten worden war, und ihn, sobald dieses Schloß in fremde Hände käm, zu erwürgen. Das erste habe ich treulich gethan, das andre zu erfüllen, ist mir unmöglich. Hier sind die Schlüssel zu seinem Kerker, thut mit ihm, wie euch gefällt, nur macht mich nicht zu seinem Henker!

Evert von Remen schauderte ob den Gedanken einer vierzigjährigen Gefangenschaft, und flog, die verjährten Fesseln desjenigen zu lösen, dessen Freyheit das Schicksal so wunderbar in seine Hände gestellt hatte. Die Tradition sagt nicht genau, wie er jenen Unglücklichen gefunden habe, doch das versichert sie, daß er, ich weiß nicht ob mit mehr Freude oder Entsetzen, in ihm einen alten, lang verlohrnen, todgeglaubten, fast vergessenen Jugendfreund, eben jenen Alf von Dülmen fand, dem zu Ehren er bald darauf das Denkmal setzen ließ, welches jetzt der Donner gespaltet hat. Alf von Dülmen überlebt das Glück, seine Freyheit und seinen Freund [21] nach vierzigjährigem Elend wiedergefunden zu haben, nur wenige Tage. Er starb in des von Remen Armen, und wurde von ihm auf der euch bezeichneten Stelle begraben.

Evert fand von nun an die Gegend, wo sein Freund so lang gelitten hatte, zu schrecklich, um sie zu bewohnen, er ließ den Bau des Schlosses, und begnügte sich, hier ein Grab gebaut zu haben. Er that nachher große Reisen nach Spanien, Frankreich und Welschland, die, wie man sagte, Beziehung auf die Geschichte seines unglücklichen Freundes hatten, welches aber diese Geschichte war, das ist nie kund worden, wirds auch wohl nie werden, bis auf jenen großen Tag, den Erklärer aller Geheimnisse. Einige behaupten, Alf von Dülmen sey sehr in die Begebenheiten von der Ermordung weiland Kaiser Philips verflochten gewesen, andere wollen, auch hier habe jene furchtbare unbekannte Macht, von welcher wir vorhin sprachen, und deren Verfolgungen auch ich gefühlt habe, die blutige Hand mit im Spiele gehabt, seine Geschichte habe in jenem furchtbaren Gericht Anlaß zu größerer Heimlichkeit und geschärften Gesetzen gegeben, als bis dahin üblich waren. Doch wer will auf diese Sagen trauen! das gemeine Gerücht ist lügenhaft, in unsern Tagen kann[22] kein großer Herr ohne Verdacht der Vergiftung oder des Meuchelmords das Leben verlieren, und kein Privatmann unvermerkt aus dem Zirkel seiner Bekannten verschwinden, ohne daß man hier die Macht der unsichtbaren Rächer ahnde. Wie man heute denkt, so dachte man wahrscheinlich schon vor zweyhundert Jahren, zu Kaiser Philipps und Alfs von Dülmen Zeiten; die Sache sey übrigens Wahrheit oder nicht, wir werden sie nicht ergründen; doch ist jenes Denkmal der Vorzeit wohl der Wichtigkeit von euch gesehen zu werden, ehe ihr diese Gegend verlasset, sollte es auch nur in seinen Trümmern seyn.


Thomas führte seinen erhabenen Gast, nachdem noch die späte Mitternacht in Gesprächen mancherley Inhalts herangekommen war, in das beste Zimmer seines Schlosses, das den Pfalzgrafen zum Schlafgemach bereitet worden war; ein hohes schallendes Prachtgewölbe, mit Mahlereyen mancher Art, Sarazenenschlachten und biblischen Geschichten, Familienbildern und allegorischen Gemälden ausgeziert. Ruprecht war noch nicht schläfrig, und brachte, nachdem sich der Schloßherr zurückgezogen hatte, noch eine gute Stunde [23] mit Betrachtung dessen hin, was hier einige gute lombardische Meister geliefert, einige Stümper mit krellen Farben gepfuscht hatten.

Drey Stücke zogen besonders seine Aufmerksamkeit auf sich, die er sich deutete, so gut er konnte. Das erste waren zwey Helden der Kleidung, dem gezogenen Schwerd und der Miene nach; beyde hielten das entblößte Eisen mit der Linken und die Rechte des Freundes mit der Rechten, Freunde waren sie, dies sah man nicht allein aus den fast in einander gedrückten Händen, sondern noch mehr aus den Blicken voll Liebe, mit welchen beyde an einander hingen. Das sind David und Jonathan, dachte der Pfalzgraf, der es mit der ziemlich modernen Rüstung der beyden Krieger und dem Kreuz auf dem Brustschild nicht so genau nahm. Der arme David! wie bleich! wie verfallen! er scheint eben erst aus der Höhle Asel hervorgegangen zu seyn, um mit Sauls Sohne den Todesbund der Freundschaft zu beschwören.

Ruprecht, der sich seiner Meynung nach das erste von seinen Lieblingsgemälden so wohl gedeutet hatte, war schnell fertig, aus den andern ebenfalls eine biblische Geschichte zu machen. Dieser Kerker, sagte er zu sich selbst, dieser Mann in Fesseln, und diese freundliche Gestalt, die ihm die wunden Hände loßschließt, [24] stellen nichts anders vor, als Sankt Peters Befreyung durch den Engel; sonderbar, daß dieser Engel ohne Flügel und kein Jüngling, sondern ein bärtiger Mann ist; vermuthlich eine Grille des Mahlers, welcher etwa wähnte, die Erscheinung einer himmlischen Gestalt möchte den heiligen Apostel zu sehr geschreckt haben. Aber hier, dieses dritte Bild, das, so häßlich es gesudelt ist, meine Aufmerksamkeit doch so sehr reitzt? – Die Schöpfungsgeschichte kann es nicht seyn, denn ich sehe hier zwey Menschengestalten, die aus den Händen zweyer Schöpfer hervorgehen; das, was Geschaffen wird, ist kein Adam, sondern eine gewappnete Gerechtigkeit mit Wage und Schwerd! – Die Bildner tragen einer das kaiserliche Diadem, der andre die dreyfache Krone. – Sankt Peters Nachfolger scheint dem ersten die Künste abzusehen! – aber was er fertigt, wird keine Göttin, wird ein feyerspeyendes Ungeheuer, dessen Mißgestalt die Binde nur schlecht verbirgt. – Gott und alle Heilige, was mag das bedeuten! – In meiner Kindheit erzählte mir mein Lehrer eine heidnische Fabel von Epimetheus, der seinem Bruder das Bildnerhandwerk übel nachahmte, paßte hier nur eine der Gestalten, ich würde rathen – – doch rathen hilft hier nichts, und – setzte er gähnend hinzu, [25] ist unnütz! was gehn mich die seltsamen Phantasien der Vorwelt an!

Noch ein Blick, auf das letzte Bild, der den Pfalzgrafen unter der einen Hauptfigur den Namen Carolus M. lesen ließ; und die Kerze wurde ausgelöscht, wel che den schlaftrunkenen Forscher nicht behülflich seyn wollte, auch den andern Namen zu erkennen.

Ruprecht legte sich zur Ruhe, aber so müde er auch war, verzog doch der Pfalzgraf, seine Augen zuzudrücken. An die gesehenen Bilder dachte er zwar nicht mehr, aber andre Ideen durchkreuzten sein Gehirn, und verscheuchten den Schlummer. Die alte Geschichte dieses Schlosses, von welcher ihm der gegenwärtige Besitzer nur so unvollkommene Fragmente geliefert hatte, Alf von Dülmen, und vor allen Evert von Remen, welcher, wie Thomas Knebel ihm gesagt hatte, unter päbstlichem Bann ohne Einsegnung und Sacrament gestorben war, schwebten ihm im Sinn, und er that sich tausend Fragen hierüber, deren Beantwortung er an eben den Ort gestellt seyn lassen mußte, von welchem er die Enträthselung jenes Bilds von Epimetheus und seinem Bruder stellen mußte.

So befiel ihn endlich weit gegen den Morgen der Schlaf, welcher ihm ein Gewühl von Träumen brachte, so bunt und verworren als [26] seine Ideen vor dem Einschlafen gewesen waren; bis zuletzt folgendes Gesicht so hell und deutlich vor ihm aufstieg, als wär es etwas mehr, als nächtliches Schattenwerk gewesen.

Eine männliche Gestalt voll Majestät und Würde, stand vor ihm. Kennst du mich? fragte sie, nachdem sie ihn eine Weile mit festem Blick angesehen hatte.

Du bist eine von den Figuren, die ich gestern sahe, erwiederte Ruprecht, bist der David jenes Jonathans!

Mein Name ist Adolf, Graf von *** oder Alf von Dülmen, wie jene Unglücksbenennung lautet, unter welcher ich den Weg zu Tod und Elend ging. Ruprecht! Ruprecht! du wirst einst Kaiser seyn! Siehe das Blut, das an meinen Händen haftet, es ist Kaiser- es ist Freundesblut! steure der blinden Gerechtigkeit, die mich mit demselben besudelte, steure ihr, daß sie nicht ganz jenem feuerspeyenden Ungeheuer ähnlich werde, das du im Bilde gesehen hast! – Was sie in meinen Tagen im Verborgenen übte, das wagt sie in den deinigen kühner, noch einmal steure ihr, so wahr du einst Kaiser seyn wirst!

Ruprecht schauerte in sich zusammen und erwachte. Er lag lange, um dem Traum nachzudenken, der ihn erweckt hatte, Gedanken stiegen in ihm auf, die seiner Deutung ziemlich nahe kommen mochten, aber immer blieb es noch [27] dunkel vor ihm. Heller zu sehen, hätte er Alfs von Dülmen Geschichte wissen müssen, deren Enthüllung, wie vorigen Abends Thomas Knebel sagte, nur für jenen großen Tag, den Erklärer aller Geheimnisse, aufbehalten zu seyn schien.

Der Mond schien hell durch die Fenster des Schlafgemachs, der Pfalzgraf, mißtrauisch auf sein Gedächtniß, verzeichnete alle Worte seines Traums auf eine Tafel, die er bey sich zu tragen pflegte, und stand denn auf, um das Bild der beyden Freunde noch ein mal zu betrachten, die er des vorigen Abends für Jonathan und David gehalten hatte. Es ward hinlänglich von dem einfallenden Mondstrahl beleuchtet, um ihm in dem letzten die volle Aehnlichkeit Alfs von Dülmen zu zeigen, so wie er ihn eben im Traum gesehen hatte; jener Petrus im Gefängniß zeigte das nehmliche.

Noch war ihm alles ein Räthsel. Ein Schauer, wie man ihn nur da fühlen soll, wo Geister uns umschweben, befiel ihn; er eilte auf sein Lager zurück, und verhüllte sich in die Decken; wo sich bald darauf ein Schlummer seiner bemächtigte, welcher so tief war, so völlige Vergessenheit alles Vergangenen mit sich brachte, daß der Pfalzgraf in der Folge mehrmal versichert hat, er habe kein anderes Denkzeichen desselben für sein Gedächtniß, als was er davon [28] in der Nacht in sein Taschenbuch geschrieben habe.

Es war heller Tag, als der Schloßbesitzer vor sein Bette trat, und ihn zu erwecken suchte. Ruprecht fragte, indem er sich die Augen rieb, ob sein Pferd gesattelt sey, und er seine Reise weiter fortsetzen könne?

Erhebet euch, Herr Pfalzgraf, war die Antwort, um die Entscheidung eurer Frage selbst zu sehen. Ruprecht richtete sich auf, Thomas schlug den Vorhang zurück, und deutete auf die hohen Fenster, durch welche man ins Thal hinab, wie in eine wallende See sahe. Was ist das? schrie der Pfalzgraf. – Nichts, antwortete Thomas Knebel, als die Gewißheit, daß ihr heute und morgen nicht reisen könnt: der anhaltende Regen hatte schon gestern den Fluß, der bey seinen hohen Ufern doch so leicht überströmt, dermaßen angeschwellt, daß euch das Fortkommen ziemlich erschwert worden seyn möchte; gegen Morgen hat ein Sturm – (Ich glaube, daß ihr einst den jüngsten Tag verschlafen werdet, weil ihr diesen verschlafen habt) – ein Felsenstück am Eingang des Thals losgerissen, und in den Fluß gestürzt, welches uns die völlige Ueberschwemmung gebracht hat. Die Leute aus dem jenseitigen Dorfe, welche mein Haus versorgen, sind vor einer Stunde auf Kähnen angekommen, [29] und haben diese Nachricht mitgebracht. Seyd indessen ruhig, Herr Pfalzgraf, auf unserm Berge sind wir sicher, die Fluth steht noch mehrere Ellen tiefer als Dülmens Säule, und wie hoch wir über denselben wohnen, ist euch bekannt.

Ruprecht stand auf, und ging bald darauf mit seinem gastfreyen Wirthe hinaus, die Verheerung anzusehen, welche das Wasser angerichtet hatte; es war ein schauerlicher Anblick, den sie von ihrer Höhe hatten. Der Schloßberg und seine Nachbarn, die sich ringsum noch höher als er, Himmelan thürmten, standen wie einzelne unter sich nicht verbundene Inseln in der allgemeinen Fluth, der Strom, dessen Bette in der großen Wasserfläche, durch den reißenden Zug seiner Wellen noch kenntlich war, führte Felsstücke, ausgewurzelte Bäume und Trümmer von Häusern und Fahrzeugen mit sich fort, ein schnell vorübergehendes, immer änderndes Schauspiel des Schreckens. Der Pfalzgraf und sein Freund thronten wie Götter über der allgemeinen Verheerung, aber über ihnen hing noch ein ganzer Himmel voll Ungewitter, und unter ihnen zeigte die vom Donner zerschmetterte Säule von Dülmens, wie wenig auf die Sicherheit dieses Gebürgs zu trauen sey.

[30] Herr Pfalzgraf, sagte Thomas, nach einer gedankenvollen Pause, gefällt es euch, so wollen wir hier hinabsteigen, und sehen, was der Stral des Himmels von jenem Denkmal unversehrt gelassen hat, das mir jetzt merkwürdiger als jemals ist. –

Und warum heute mehr als sonst? fragte Ruprecht. – Nicht darum, erwiederte er, weil, wie ihr vielleicht wähnen möchtet, mir der Arm des Himmels genauere Untersuchung dessen nunmehr erschwert hat, was ich all die Zeit über, da ich hier wohne, mit so leichter Mühe hätte betrachten können, ehemals zu thun, nein, weil ich heute, eben erst heute, oder vielmehr schon gestern erfahren habe, daß das, was hier in einen Steinhaufen zusammengestürzt liegt, mehrere Betrachtung würdig ist, als die meisten Monumente, die ein Freund dem Andenken des andern weiht. Diese Steine decken nicht nur die Asche eines Men schen, der bey seinem Leben denen die ihn liebten, wichtig seyn mochte, nein, wahrscheinlich verschliessen sie Dinge, an welchen noch der Nachwelt gelegen ist, und die euch, der einst Kaiser seyn wird, besonders wichtig seyn müssen.

Ruprecht sahe seinen Begleiter bey diesen Worten mit starren Augen an, er hatte ähnliche diese Nacht im Traume gehört, dieser Traum, welcher fast gänzlich aus seinem Gedächtniß verwischt war, schwebte [31] wie ein dunkles Bild schnell vor ihm über, dicht an denselben kettete sich die Idee, von dem was er diese Nacht niedergeschrieben hatte, auch dieses schien ihm Traum zu seyn, doch griff seine Hand maschienenmäßig nach der Tafel, die er bey sich trug, und die den Beweis enthalten mußte, was von der ganzen Sache zu halten sey.

Thomas war indessen einige Schritte vorausgegangen. Ruprecht stand still, las was er diese Nacht bey Mondenlicht von jenem Nachtgesichte aufgezeichnet hatte, das Ganze vergegenwärtigte sich seiner Seele auf einmal aufs lebhafteste, er sah Alf von Dülmen gleichsam wieder vor sich stehen, hörte die Worte, die ihm das Kaiserthum weißagten, und dachte sich einen Zusammenhang unter diesen Dingen, den er selbst noch nicht absehen konnte, den er erst aus dem Munde seines Freundes vernehmen wollte; er beschloß zu schweigen, bis er ihn erst gehört hätte, und ging vollends langsam den Abhang hinab, wo Thomas unter den Trümmern stand, und sich mit Hinwegräumung der leichtern herabgerissenen Steine beschäftigte.

Herr Pfalzgraf, rief er, als er Ruprechten herannahen sahe, indem er von seiner Arbeit abließ, Hört was mir Konrad diese Nacht von [32] diesem Orte gemeldet hat: Der Wetterstrahl, der dieses Gebäude zertrümmerte, fiel in dem Augenblick herab, da mein Knecht auf seiner Heimkehr nicht zwanzig Schritte von hier entfernt war. Betäubt von dem Schlage, der uns viel weiter Entfernte zittern machte, stürzte er zu Boden, der Regen, welcher auf ihn troff, brachte ihn endlich zu sich selbst. – Er erhub sich und schleppte sich langsam fort, aber seine Schwäche war so groß, daß er nicht weiter kommen konnte, als bis auf die Stelle, wo der Blitz getroffen hatte; Konrad sank auf einem der herabgerißenen Steine nieder, wo er noch über eine Stunde halb sinnlos gelegen haben muß, denn völlig erholte er sich erst denn wieder, als das Ungewitter nachgelassen hatte. Er besann sich jetzt ganz auf das, was ihm wiederfahren war, und beschloß, da der Himmel sich ein wenig zertheilte, und der Mond hinter den schwarzen Wolken hervortrat, hier noch eine Weile zu ruhen, und denn den nicht kleinen Rest des Weges nach dem Schlosse vollends zurückzulegen. Hier war es, wo ihm der Mondstrahl, unter den umhergestreuten Trümmern etwas glänzendes in die Augen fallen ließ, das er, weil die Sage von vergrabenen Schätzen, die bey jedem alten Denkmal nicht fehlt, auch hier ihr Recht [33] behauptet hat, für Gold hielt und zu sich nahm; es war dieses kleine küpferne Schild, das er mir bey seiner Heimkunft mit Erzählung des ganzen Vorgangs einlieferte, und dessen Inschrift ihr jetzt selbst lesen mögt.

Ruprecht nahm und las in Charakteren die drey halbe Jahrhunderte nicht ganz unkenntlich gemacht hatten, folgendes: »Evert von Remen setzte dieses Denkmal der Schuld und der Unschuld seines Freundes Graf Adolfs von *** – Grabe tiefer, du, dem der Arm des Himmels diese Höle öffnete, und bist du aus dem Fürstenstamme desjenigen, welcher unschuldig für Kaiser Philipps vergoßnes Blut büßen mußte, so wisse, daß du einst Kaiser seyn wirst, die Wage der Gerechtigkeit richtig wägen, und ihr Schwerd mit Schonung strafen zu lehren.«

Was ist das? rief Ruprecht, indem er die Tafel fallen ließ, und auf wen mag dies gehen?

Ich weiß nichts weiter, sagte Thomas, als daß die Welt nun zwey Seculo hindurch den durch Peter von Kalatin hingerichteten Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach für Kaiser Philipps Mörder hielt, und daß ihr, Pfalzgraf Ruprecht, einer der Urenkel jenes Fürstenhauses seyd. Nicht ohne mühsames Forschen habe ich diese Nacht über diesen kleinen Schimmer von Licht in der dunkeln Weißagung gefunden; ihr seyd weiser[34] und gelehrter als ich, seht ob ihr mehr entdecket.

Das Vornehmste, sagte Ruprecht nach langen Schweigen, wird wohl hier seyn, nach Ausweisung der Schrift, tiefer unter diesem Gestein nachzugraben; mehrere Nachricht, auf die ich hoffe, wird uns des unnützen Grübelns überheben.

Die Arbeit, von welcher hier die Rede war, war nicht für den Pfalzgrafen und seinen Begleiter; man konnte sich auf die Treue der beyden Knechte Thomas Knebels verlassen; man sagte ihnen so viel von der Sache, als sie, die beyde nicht lesen konnten, wissen mußten, und ehe die Sonne zweymal unterging, hatten sie unter Aufsicht ihres Herrn ein kleines bleyernes Kästchen zu Tage gefördert, welches er dem Pfalzgrafen brachte.

Es ward geöffnet, und das darinn gefunden, was unsere Leser in einigen Stunden der Muße beschäftigen kann, so wie es Ruprechten und den treuen Thomas viele Tage lang beschäftigte, da sie im Lesen nicht so geübt waren wie die klügere Folgezeit, da die etwas veralteten Charaktere ihnen das Lesen erschwerten, und eine Menge zwischen eingestreuter mündlicher Anmerkungen dasselbe weiter ausdehnte als [35] bey Personen geschehen kann, die bey diesen Dingen nicht so viel Interesse haben als der Pfalzgraf und sein Gefärthe. Sie fanden hier übrige Unterhaltung für alle die Tage, welche Ruprecht wegen der Ueberschwemmung auf dem Schlosse verweilen mußte; die Wasser verliefen sich, und sie waren mit Beherzigungen noch bey weiten nicht zu Ende, welche einen tiefen Einfluß in die Zukunft hatten. Welches ihre Betrachtungen und Plane waren, wird der Leser besser errathen können, wenn er gelesen hat was sie lasen.

Ruprecht nahm diese Schriften, als er das Schloß wieder verlassen, und seine Reise fortsetzen konnte, mit sich. O! Thomas, sagte er, was für Dinge habe ich in eurem Hause erfahren, und welche Gedanken haben sich in meiner Seele entwickelt!

Denket daran, versetzte der Alte, wenn ihr einst Kaiser seyn werdet, und erfüllt das Gute, was jetzt in eurem Herzen reifen mag.

Everts von Remen und seiner so mühsam auf Kosten seiner Ruhe und seines Lebens gesammelten Schriften werde ich wohl ewig gedenken, und die Wünsche für Gerechtigkeit und Gericht, die daher in meiner Seele entglommen, sollen nimmer erlöschen; aber ob ich je der Mann seyn werde, sie auszuführen, ob ich je [36] Kaiser seyn werde, oder ob ich es nur seynmöchte, das ist eine Sache, die wir unentschieden lassen wollen. In allen diesen Blättern habe ich nichts gefunden, das Everten von Remen in meinen Augen das Ansehen eines Propheten geben könnte, und seine Weißagung nebst etwa einem seltsamen Traume ists doch allein, was euch und mir die Gedanken an den Kaiserstuhl in den Sinn bringen könnte.

Wir wollen die Sache Gott und der Zeit überlassen, sagte Thomas, ihr aber gedenkt in eurer künftigen Hoheit der hier verlebten Tage, der hier gefaßten Entschlüsse, und des alten Mannes, der euch jetzt nicht ohne eine Thräne von sich lassen kann!

So gewiß werde ich seiner denken, erwiederte Ruprecht, daß ich denn kommen werde, ihn zu mir zu holen, damit er mein Freund und Rathgeber sey, und mir ausführen helfe, wozu jetzt mir Menschenkräfte zu schwach dünken.

Thomas schüttelte den Kopf und meynte, dies wär schlechter Lohn für die genossene gute Bewirthung, wenn er noch auf seine alten Tage der ruhigen Einsamkeit, die sein Glück machte, beraubt und in die Welt zurückgeschleudert werden sollte!

Der Pfalzgraf lachte des Eifers, mit welchen sein Freund sprach. O wie fern, rief er [37] mit gefalteten Händen, wie unglaublich fern sind diese Dinge noch von mir und euch! mich dünkt, ihr könntet kühnlich versprechen, wozu ihr vielleicht nie in der Würklichkeit aufgefordert werden dürftet!

Und fern, sehr fern waren würklich die Dinge noch, von welchen hier die Rede war. Mehr als zehn Jahre vergingen, und der Pfalzgraf blieb noch immer der er war, ohne an das Kaiserthum zu denken, oder, wie so viele um und neben ihm thaten, ängstlich darnach zu ringen. Die Begebenheiten bey des von Dülmen Säule schien er ganz vergessen zu haben, wenigstens hat er sie nie gegen jemand erwehnt, und sie sind erst lang nach seinem Tode, vielleicht, als wofür wir nicht stehen können, durch die Tradition ein wenig verfälscht ans Licht gekommen; aber was ihm das Schicksal beschieden hatte, erfolgte doch endlich. Nach Kaiser Wenzels Absetzung fielen alle Stimmen auf ihn; er erlangte die Würde, die ihm geweißagt worden war. Das Kriegsschwerd und andere Unruhen verhinderten ihn lange, die Verbesserungen und Beschränkungen im Gebiet der rächenden Gerechtigkeit vorzunehmen, die in den damaligen Zeiten so nöthig wurden, daß es keiner Geschichte eines Alf von Dülmen bedurft hätte, um sie zu [38] veranlassen; aber endlich begann 1 er, was erst unter Kaiser Siegmunds Regierung, und doch nicht ganz so, wie er es geendet haben würde, zu Stande gebracht wurde. Thomas Knebel ward sein Rath, so wie er bisher sein Freund gewesen war; er überlebte den edeln Mann, der es so wohl verdient hatte, Kaiser zu seyn, der verdient hätte, es noch länger zu bleiben, und war einer von denen, welche Ruprecht verordnet hatte, das Erbe unter seine Kinder zu theilen; dann kehrte er in sein einsames Schloß zurück, froh an den Gränzen eines Lebens zu stehen, das nach dem Verlust seines königlichen Freundes allen Reiz für ihn verlohren hatte.

Geschichte Alfs von Dülmen

Evert von Kemen an die Nachwelt
1252

So nimm sie denn hin, Nachwelt, diese Blätter! und du, in dessen Hände sie gerathen, bedenke, daß sie dem Sammler theuer zu stehen kamen, und nutze sie, wie du urtheilen kannst, [39] daß er sie genutzt haben würde, hätte die Lage der Sachen es nicht gehindert.

Ich hatte im Frühling des Lebens einen Freund; ob er meiner Treue ganz so lohnte, wie er gesollt hätte, das gehört nicht an diese Stelle; von ihm, nicht von mir will ich die Folgezeit unterhalten! –

Ich hatte einen Freund, wir wurden getrennt, wie Menschen oft getrennt werden. Das Schicksal führte einen jeden seinen eigenen Weg, der meinige ging weit aus meinem Vaterlande, Abwesenheit brachte Vergessenheit, ich war ein Mensch, wie hätte nicht auch ich endlich vergessen sollen, den der mich vergaß! Doch fragte ich, als ich im späten Herbst der Jahre mein Vaterland wieder sahe: Wo ist der Freund meiner Jugend? wo ist Graf Adolf von ***? Jedermann schwieg! – Wo ist Alf von Dülmen? wiederholte ich, in der Meynung, die Nachwelt würde jenen Unglücksnamen, über dessen Annehmung wir zuerst uns entzweyten, besser kennen. – Man zuckte die Achseln! – Da ging ich hin, in irgend eine Einsamkeit, sein Andenken zu beweinen, welches der Anblick des Himmels, unter dem er und ich gebohren waren, wieder neu machte. Ich suchte einen verlassenen Winkel meines Vaterlands, dem Andenken [40] des Verlohrnen, Vergessenen, oder Verstorbenen, ihm und noch einer, deren Namen ich nie ohne Thränen nennen kann, meine letzten Tage zu widmen. – Ich suchte, und das Schicksal ließ mich die Stelle finden, wo mir schreckliche Aufklärung all meiner Zweifel bevorstand. Ich kaufte ein Haus, und wußte nicht was ich mit ihm gekauft hatte; wußte nicht, daß ich durch den Besitz dieser verfallenen Burg Herr über Freyheit und Leben meines Verlohrnen geworden war. O warum wurde ich es nicht vierzig Jahre eher?

Länger als diese genannte Zeit hatte Alf von Dülmen in dieser Hölle die Ketten von Henkern getragen, die ich nicht nennen kann. Ich glaubte einem Unbekannten die Pflicht gemeiner Menschlichkeit zu leisten, indem ich seine lang getragnen Fesseln lößte, und der Freund meiner Jugend lag in meinen Armen. O Alf von Dülmen! wie gern hätte ich deinem Leben die Hälfte des Rests meiner Tage zugesetzt, um nur noch eine kurze, ganz kurze Zeit die Freude gehabt zu haben, dich gerettet, getröstet, erfreut, dem Grabe zu wandeln zu sehen! aber diese Freude sollte mir nicht werden. Vierzigjähriges Elend konntest du ertragen, aber die Wiederkehr besserer Tage, das Wiedersehen der [41] Sonne, die Wiedervereinigung mit deinem Freunde tödtete dich.

Mein Wiedergefundener, mein Alf von Dülmen, starb in den ersten Tagen des Wiedersehens in meinen Armen; ich grub ihm dieses Grab, thürmte über seiner Asche diese Marmorsäule auf, grub Worte darauf, ihm zum Gedächtniß; ihm und seiner Schwester Alverde, deren Gebeine nicht hier ruhen, die einst in andern Gegenden zur ewigen Wiedervereinigung erwachen wird. Sie war mir unvergeßlich wie er, sie – doch genug von dem was sie betrifft!

Mein Freund hatte mir ein Erbtheil hinterlassen, die traurige, verhängnißvolle Geschichte seines Lebens. Nachwelt, ich bin dir sie schuldig! Leiden, wie die seinigen, dürfen nicht der Vergessenheit überlassen werden! Aber soll ich dir sie geben, wie er mir sie gab? Sie war mit der Feder des düstersten Selbsthasses geschrieben; ohne Erklärung würde sie dir einen Begriff von ihm beybringen, welcher der Wahrheit Gewalt anthät! – Alf von Dülmen war nicht unschuldig, aber er war auch der Verbrecher nicht, für den er sich selbst hielt: andere brauchten ihn zum Werkzeug ihrer finstern Entwürfe, [42] die Schuld ihrer Verbrechen sey über ihnen! –

Die Rechtfertigung meines Freunds zu bewürken, seine Entschuldigung und anderer Bosheit aufzudecken, überwand ich die Unmöglichkeit. Ich spähte die schriftlichen Beglaubigungen beyder aus, und entriß sie der Dunkelheit, in welcher sie begraben lagen. Die Kabineter der Könige, die Archive der Klöster, selbst St. Peters Heiligthum öffneten sich mir, und gaben ihre Heimlichkeiten heraus, mir folgte Fluch und Bannstrahl, man schrie mir nach: ich sey getäuscht worden; was ich gesammelt habe, seyen Lügen! man sey unschuldig an dem, was ich nur auf meine Gefahr wagen dürfe, ans Licht zu bringen!

Gut, dem sey so! Wer kann hier über Menschen Schuld und Unschuld entscheiden! – Nicht ihre Drohungen, sondern das Gefühl weniger Macht, und die Möglichkeit, daß ich auch Ihnen unrecht thun könne, bewogen mich, das zu unterdrücken, was ich gern gegen alle vier Winde des Himmels ausschreyen möchte. Nimm es auf, heiliges Denkmal, in deine Schatten! Lieferst du es einst in die Hände eines Weisen oder Mächtigen, so nütze er es mit Klugheit. Vielleicht sind denn schon Jahrhunderte über [43] meine und meines Freundes Asche hingeflogen, und es kümmert niemand mehr, ob Alf von Dülmen schuldig oder unschuldig war, aber seine Geschichte ist nicht ohne gute Lehre, und nachdem die Zeit ist, in welcher sie sich aus der Dunkelheit hervorwindet, nachdem wird ihr Nutzen seyn. Vielleicht groß, wenn sie Zeit genug kommt, dem Uebel zu steuern, das jetzt unter dem Namen der Gerechtigkeit Unheil stiftet, vielleicht klein, wenn sie erst in Jahrhunderten erscheint, in welchen Dinge, unter deren Druck jetzt die Welt seufzt, längst vernichtet und zur Fabel geworden sind.

[44]
Der Kardinal Lothar an den Bischof von Kastilien
Der Kardinal Lothar an den Bischof
von Kastilien.
1198.

Ich schreibe euch noch unter meinen alten Namen, ungeachtet ich schon eines neuen und glorreichern gewiß bin. Bald wird die ganze christliche Welt mich als ihr sichtbares Oberhaupt verehren, aber dem ehrwürdigen Hirten der kastilischen Heerde werde ich nie etwas anders als Freund seyn.

Noch würde ich nicht gesiegt haben, wär nicht der alte Nebenbuhler meiner Größe, der alte Feind all meiner Anschläge, wär nicht Philipp von Thuscien schnell nach Deutschland gefordert worden, daselbst seine eigenen Angelegenheiten zu betreiben; und wißt ihr, worin dieselben bestehen? in nichts geringern, als in der Erlangung des Kaiserthums. O mein Freund, bekennt die Uebermacht meiner Einsichten gegen die eurigen! – Als Kaiser Henrich Philippen die Vormundschaft über den unmündigen Friedrich auftrug, da waret ihr bereit zu wetten, der treuherzige Schwabe, wie ihr den Thuscier nanntet, würde Blut und Leben für das Wohl seines Mündels aufopfern, würde ehe sterben, [45] als diesem Kinde die römische Krone entreißen lassen; ihr wißt was ich euch damals sagte, jetzt liegt der Erfolg meiner Behauptung am Tage. Die deutschen Fürsten mögen kein Kind zu ihrem Herrscher haben, und der ehrgeizige Philipp vergißt seine Vormundschaft so ganz, daß er sehr geneigt ist, sich in ihren Eigensinn zu fügen.

Ob es ihm gelingen, ob es meinem alten Hasser gelingen wird! – Ihm ward am nehmlichen Tage der Kaiserstuhl geweißagt, da mir jener Mönch die dreyfache Krone prophezeihte, die letzte ist mir gewiß, wird es ihm auch der erste seyn? Er hat mächtige Nebenbuhler, mir darf sich niemand entgegen setzen. Zwar dem geizigen Herzog von Zähringen könnte er wohl seine Ansprüche mit Gelde abkaufen, aber was will er gegen den weisen uneigennützigen Bernhard von Sachsen beginnen, welcher zum Kaiser gebohren zu seyn scheint? Mir wär – da doch nun einmal das Schicksal die Päbste und die Kaiser in seine Wagschalen gesetzt hat, einander das Gegengewicht zu halten, – mir wär ein solcher Gegenmann, wie Bernhard fürchterlich, und wenn ich alles betrachte, so wollte ich fast Philippen noch lieber als ihm das Diadem gönnen! – Auf jeden Fall müssen [46] Maaßregeln genommen werden, und höret wie ich sie genommen habe:

Ich komme von dem Sterbebette der Kaiserin Konstanzia. Ich habe ihr Philipps Treulosigkeit nachdrücklich vorgestellt, und das dadurch erlangt was ich wünschte. Philipp, sagte sie, verläßt seinen Mündel, und sucht das für sich, was dem Sohn Kaiser Henrichs zukam? Wohl gut, ich muß die Sorge für dieses unglückliche Kind treuern Händen empfehlen. Ich lege sie in die eurigen, Graf von Segni, in die eurigen, ihr, den ich schon als Statthalter Christi verehre. Legt eure Hand in die meinige, und schwöret mir, daß ihr dem verlassenen Friedrich die Krone seines Vaters erhalten wollt!

Ich schwur ihr, Friedrichen die Krone seines Vaters zu erhalten, wobey ich zwar eigentlich keine andere in den Sinn nahm, als die von Sicilien; doch würde ich gar nicht dawider seyn, wenn ich ihm auch die deutsche erhalten könnte. Friedrich wär Kaiser, der Pabst sein Vormund, könnte etwas glücklichers für die Christenheit erdacht werden? – Doch dieses Unternehmen möchte wohl, wie ich besorge, zu viel Blut kosten, möchte mir auf alle Art unausführbar seyn, ich kenne den Starrsinn der deutschen Fürsten, und hütete mich daher wohl, etwas mehr zu versprechen als ich halten konnte. [47] Die Kaiserin war nach Art aller Matronen unfähig ein Mißtrauen in die Worte eines Geistlichen zu setzen, glaubte durch mein Versprechen all ihre Wünsche gewährt, und entschlief wohl zufrieden.

Friedrich ist nun mein Mündel und König von Sicilien, aber nur auf gewisse Bedingungen, welche heute zu melden, da ich noch Graf von Segni oder Kardinal Lothar bin, lächerlich seyn würde; morgen wird der Pabst aus einem andern Tone sprechen.

Das was euch nach der Standserhöhung eures Freundes in diesem Briefe das Wichtigste seyn wird, habe ich auf die letzt verspart. Die unter uns beyden beschlossene Vermählung des kastilischen Prinzen mit der jungen Gräfin von Toulouse ist so gut als richtig; heute habe ich Nachricht von dem Beichtvater des Grafen, er hat mit ihm von der Sache gesprochen, und ihn geneigt gefunden, und ihr könnt auch nun eurem Könige davon sagen, dessen Einwilligung zu erhalten, es euch nicht an Mitteln fehlen kann.

[48]
Bernhard, Herzog zu Sachsen, an Pfalzgraf
Bernhard, Herzog zu Sachsen, an Pfalzgraf Otten von Wittelsbach.
1198.

Mit was für Herzen, mein Otto, hätte ich nach dem Kaiserstuhl streben, oder vielmehr, da er mir geboten wurde, ihn annehmen sollen? Die sichtbare und die unsichtbare Obergewalt im deutschen Reiche können und dürfen nie in einer Person vereinigt seyn, ich hätte die letzte aufgeben müssen, um die andre zu behaupten, und urtheilet ihr selbst, ob dieser Tausch vortheilhaft gewesen wär. Das höchste Gut des redlichen Mannes ist Gelegenheit und Macht, der Bosheit zu steuern und das Gute empor zu bringen. Der Stuhl, 2 auf welchem ich im Verborgenen sitze, giebt mir dieser Gelegenheiten tausend, ich möchte sie nicht missen, um zehn Kaiserthrone; auch ist das Schwerd furchtbar, das ich in den Händen trage, ich möchte seine Schärfe keinen andern als den meinigen anvertrauen. Unheil damit anzurichten, wär leicht, wie sollte ich es um einen Scepter vertauschen, und dadurch den, der wie ihr wißt, nach mir [49] der nächste ist, und der es nach mir aufnehmen würde, in Gefahr setzen, ein Tyrann zu werden.

Dinge, wie diese, versteht kein Profaner, ihr, die ihr schon auf gewisse Art zu den Wissenden gerechnet werden könnt, könnt viel davon verstehen.

Nein, mein Otto, ich neide Kaiser Philippen nicht seiner Erhöhung, und zürnen könnte ich nur auseinem Grunde mit ihm: Der Herzog von Zähringen hat sich seine Ansprüche um 12000 Mark abkaufen lassen, wie habe ich verdient, daß mir ein ähnliches geboten wurde! – Doch Philipp kennt Bernharden von Sachsen nicht, das ist seine Entschuldigung! Es ist verschmerzt, mein Zorn ist vorüber. Zum Zeichen, wie gut ich es mit dem neuen Kaiser meyne, sagt ihm, was er unmöglich noch wissen kann, (ihr wißt, keine Posten gehn schneller als die unsrigen;) sagt ihm, der nunmehrige Pabst fange an, sich ihm als einen fürchterlichen Feind zu beweisen. Die Vormundschaft über den jungen König von Sicilien hätte nicht vernachläßigt werden sollen, sie ist nun in seinen Händen. Doch dies ist eine alte Zeitung, aber diese ist neu, daß er den kaiserlichen Präfekt der Stadt Rom gezwungen hat, ihm, dem Pabst, den Eid der Treue zu schwören,[50] daß Markgraf Markard der Mark Ankona, und Konrad von Schwaben seines Herzogthums Spoleto beraubt, nächstens in Deutschland seyn werden, daß alle lombardischen Städte sich dem furchtbaren Innozens unterwerfen, und Thuscien nächstens das nehmliche thun wird. Sehet hier eine Menge Dinge, die Philipp eilig wissen muß, um Gegenvorkehrungen zu treffen. Gehet, empfehlet euch ihm mit denselben. Er hat schöne Töchter und keinen Sohn, könnte er sich doch mit einer derselben Pfalzgraf Otten zum Sohn eintauschen, dies würde Glück für beyde seyn, mich dünkt, Philipp braucht einen Helden, wie ihr, zur Stütze seines Throns, der wahrscheinlich, besonders von Rom her, viel Erschütterungen erfahren wird, und ihr braucht eine holdselige Gattin, die euch, nachdem ihr lang genug die Mühseligkeiten des Kriegs empfandet, die Freuden des häuslichen Lebens schmecken lehre. Möchte mir doch ähnliches Glück lachen! möchte mich doch der Besitz der schönen Adila von Pohlen meinen trübseligen Wittwerstand vergessen machen! Doch sie ist noch sehr jung, und die Sache leidet Aufschub.

[51]
Elise von Schwaben an die Gräfin Alix von Toulouse
Elise von Schwaben an die Gräfin
Alix von Toulouse.
1198.

Ich komme wieder in deine Arme, meine Freundin! der Glanz am Hofe meines Vaters kann Elisen nicht fesseln. Du weißt, was ich fühlte, als Philipp ehemals den Aufenthalt in meinem Vaterlande dem friedlichen Schwaben mit dem stolzen Thuscien verwechselte. Die italiänischen Herrlichkeiten behagten mir nicht, ich wählte das Kloster, in welchem ich dich wußte, und söhnte dadurch meinen Vater mit meiner Wahl aus; er, der alles Ausländische liebt, ließ sich ehe gefallen, seine Tochter zu Lion an der Seite einer französischen Prinzessin erziehen zu lassen, als wenn ich Marienzell, wo meine Base Aebtißin ist, oder ein anderes deutsches Kloster zu meinem Aufenthalt erwählt hätte; dies sind Schwachheiten, die ich als Tochter vielleicht kaum bemerken sollte; – aber wie kann ich die Augen hier vor so manchem verschließen, das mich bekümmert?

O Alix, mein Vater hat sich sehr geändert! Die Kaiserwürde kann es unmöglich allein seyn, die dieses gethan hat! – Meine Mutter, die mich immer mehr als Freundin behandelte, sagt [52] mir, Philipp habe in Welschland viel Umgang mit den Römern gepflogen; diese können wohl sein Herz verderbt haben! Eine übertriebene Freundschaft mit dem Grafen von Segni, dem nunmehrigen Pabst, hatte lange Zeit Platz genommen, sein Haus und das unsrige haben Jahrelang ein Einiges ausgemacht, man hat von nähern Verbindungen durch Vermählung einer meiner Schwestern mit einem Neffen des damaligen Grafen gesprochen, bis ein unbedeutender Wortstreit einst der Vertraulichkeit auf einmal ein Ende gemacht, und die ehemaligen Freunde in die erbittertesten Feinde verwandelt hat.

Gottlob, sagte ich, da Irene mir dieses erzählte, Gottlob, daß ein Ungefähr den deutschen Philipp von der gefährlichen Verbindung mit einem Ausländer loßriß! – O mein Kind, erwiederte sie, du sprichst wie die Erfahrung deiner Jahre es mit sich bringt. Entzweyungen dieser Art tragen bittre Früchte; man hat sich ehedem geliebt, hat sich Dinge vertraut, welche kein andrer wissen durfte, ein Nichts hat die genaue Verbindung zertrümmert, und eben darum haßt man sich desto herzlicher, man fürchtet das Andenken vergangener Dinge, man besorgt, der andere möge den Bruch rächen, und will ihm lieber zuvorkommen; so ziehen Beleidigungen Gegenbeleidigungen [53] nach sich, bis endlich Rache, die von beyden Seiten sich ziemlich rechtfertigen kann, den einen oder den andern der ehemaligen Freunde, oder vielleicht beyde aufreibt. Dein Vater hat schon längst von seinem gewesenen Vertrauten, dem Grafen von Segni, Proben rächenden Hasses erhalten, die er selbst jetzt im Kaiserstande noch nicht verwinden kann. Segni ward Cardinal, und das erste, wozu er sich seiner Würde bey Cölestin dem Dritten, bey welchen er viel galt, bediente, war die Erregung des päbstlichen Donnerkeils gegen seinen vormaligen Freund. – Philipp liegt unter dem Banne, wer soll ihn lösen? – etwa der nunmehrige Pabst? war er es nicht selbst, der dieses Unglück über ihn herabrief? O Kind! Kind! die Aeußerungen des Hasses welche zwischen deinem Vater und dem Grafen von Segni klein begannen, gehen nun zwischen Kaiser Philippen und Innozens dem Dritten ins Große, gebe Gott, das sie nicht blutig endigen!

Meine Mutter gab mir noch einige neuere Beweise von dem, was sie sagte, und ich zitterte! – Möchte doch Philipp Herzog von Schwaben geblieben seyn, möchte er doch diesen Römer und sein verführerisches Vaterland nie gesehen haben; möchte er doch wenigstens nicht Kaiser geworden seyn! Vielleicht daß wir, seine [54] Kinder, uns denn seines Lebens und seiner Vorsorge desto länger zu erfreuen hätten!

Eins tröstet mich! Die deutschen Fürsten beten ihr gewähltes Oberhaupt an; mein Vater – (Man sagt mir, ich soll ihn Kaiser nennen, wenn ich von ihm spreche oder schreibe, aber ich thue solches ungern) – Mein Vater hat wieder eine neue herrliche Eroberung an einem der deutschen Helden gemacht, den ich zuvor noch nie sahe. O meine Alix! welch ein Mann ist der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach! Schön wie der Prinz von Kastilien, dessen Bild ich bey dir sahe, und gut, tapfer und bieder wie der Herzog von Sachsen, dessen Seite er bisher hielt, auf dessen eigene Einwilligung er sich nun eben zu meinem Vater wendet!

Laß mich aufrichtig mit dir reden, meine Freundin, der Wittelsbacher hätte machen können, daß du deine Elise nicht wieder im Kloster gesehen hättest; man spricht von einer Verbindung mit ihm, durch eine von Philipps Töchtern; er hat sein Auge auf Kunigunden geworfen, und ich fliehe. Freylich ist Kunigunde jünger und schöner als ich, aber ich fürchte, sie hat ihr Herz in Italien zurückgelassen!

Ich komme, Alix, ich komme wieder in deine Arme! Ich bringe dir noch eine Freundin mit, meine Schwester Beatrix; sie ist zwar noch [55] ein Kind, aber in wenig Jahren wird sie ganz zu deiner Freundin gebildet seyn. Unsere Mutter sieht es gern, daß ich sie mit nach Lion nehme, sie ist mit der Erziehung zufrieden, die ich in unsern heiligen Mauern erhalten habe, und wünscht für ihre jüngere Tochter die nehmlichen Vortheile; auch sieht sie sie gern von den glänzenden Scenen eines Kaiserhofs entfernt, die ein junges Herz so leicht verderben können. Was meinen Vater anbelangt, so hat er für niemand unter seinen Kindern Augen als für Kunigunden, und läßt sich also unsere Entfernung, wenn nur sie ihm bleibt, herzlich gern gefallen!

O Elise! Elise! was hast du da geschrieben? Prüfe dich, ob nicht in diesen Aeußerungen etwas Neid lauscht, Neid gegen Kunigunden, wegen Philipps und Ottos Vorliebe, welche sie doch wegen Schönheit, Munterkeit, Geist und Weltsitte so sehr verdient! – Wahrhaftig, Alix, ich fühle, es ist Zeit, daß ich in unsere heilige Einsamkeit zurückkehre. Die Kunst, mein Herz zu prüfen, mag ich wohl aus derselben mit in die Welt gebracht haben, aber die Kunst, es zu besiegen, ließ ich zurück; ich muß eilen, sie wieder zu finden.

[56]
Pabst Innozens III. an Kaiser Philippen
Pabst Innozens III. an Kaiser Philippen.
1198.

Ich höre, das Oberhaupt des deutschen Reichs klagt über den Statthalter Christi, wegen einiger Unannehmlichkeiten, die ihm von demselben widerfuhren. – Mögen doch der Pabst und der Kaiser Klage wider einander haben, wenn nur der Graf von Segni und Philipp von Schwaben die alte Freundschaft wiederfinden können. Oder habt ihr dieselbe vergessen? haltet ihr die Kleinigkeiten, die euch, seit ich auf Sankt Peters Stuhl sitze, widerfuhren, für Erneuerungen alter Fehden, die ehemals unter uns vorfielen? – Sollte ich doch nicht glauben, daß Philipp, welcher nun selbst weiß, was höhere Würden oft von uns heischen, so schwachsinnig urtheilen könne! Was der Pabst dem Kaiser Pflicht wegen zuwider thun mußte, das geht ja die Freunde Lothar und Philipp nicht an! Laßt die Kirche und das Reich diese Dinge mit einander ausmachen!

Um euch indessen zu beweisen, wie viel ich euch, meinem alten Freunde, zu Liebe zu versuchen im Stande bin, so hat derjenige, aus dessen Händen ihr dieses vertrauliche Schreiben erhaltet, Befehl, mit euch geheime Unterhandlungen [57] zu treffen, und so viel von euren Beschwerden zu heben, als nur bey unserer Pflicht für das uns befohlne Wohl der Kirche möglich ist.

Lebt wohl, mein Bruder, und empfangt den herzlichsten Glückwunsch zur erlangten Kaiserwürde, und den apostolischen Segen von eurem alten Freunde.

Philipp an Innozens
Philipp an Innozens.
1198.

So viel ich mich erinnere, habe ich nie über das geklagt, was mir von Rom her begegnete. Wir Deutsche klagen überhaupt niemals, wir tragen ein Schwerd an der Seite, welches allen Beschwerden ein schnelles Ende macht. – Doch ziehen wir es nie ohne Noth, und es ist mir daher lieb, daß ich von eurem Gesandten, dem Bischof von Sutri Vorschläge gehört habe, die mir nicht ganz unannehmlich dünken. Doch ich gedenke nicht über diese Dinge der einige Richter zu seyn, die deutschen Fürsten mögen die Sache beleuchten und entscheiden.

Daß ihr als Pabst noch der ehemaligen Freundschaft denkt, erfreut mich. Es waren selige [58] Tage, die wir, entfernt von der Höhe, die wir erstiegen haben, verlebten; wollte Gott, sie möchten wiederkehren! – An mir soll es nicht liegen, daß dieses – so fern es möglich ist, – nicht geschehe, auch könnt ihr mir glauben, daß ich den Kaisernamen, den ihr mir in eurem letzten Schreiben zuerst zugestehet, nicht gesucht, nicht euch zum Trotz angenommen habe. Vielmehr hatte ich auch hier, so wie allemal euer Wohl und das Wohl der heiligen Kirche zum Augenmerk. Philipp ist ein treuer Sohn dieser heiligen Kirche, ob er gleich aus ihrem Schooß verstoßen leben muß, er wird ihr und Sankt Peters Nachfolger nicht so viel Unruhe machen, wie mancher andre, auf den die Wahl schier gefallen wär. Nehmt den Herzog von Zähringen, der überall nur auf seinen Nutzen denkt, nehmt den Philosophum, – hätte bald gesagt den Ungläubigen! – Bernhard von Sachsen, und fragt euch selbst, ob Philipp von Schwaben, der euch zu Liebe alles glaubt, was ihr wollt, der freygebige Philipp, der auch bey dieser Gelegenheit Sankt Petern ein Zeichen seines guten Willens zusendet, ob ihr ihn nicht lieber euch gegenüber auf dem Throne seht als jene?

Blos um Unheil für euch zu verhüten, ward ich Kaiser, und aus dem nehmlichen Grunde [59] werdet ihr, hoffe ich, zugeben, das ich es bleibe, als welches sich doch nun nicht ändern läßt.

Hiemit Gott befohlen, von eurem geneigten Bruder Philipp.

Pabst Innozens an den Bischof von Sutri
Pabst Innozens an den Bischof von Sutri.
1198.

Ich habe ein Schreiben von meinem lieben Sohn und Bruder, Kaiser Philippen erhalten, welches mich bis zu Thränen bewegt hat; er klagt, aus dem Schooß der heiligen Kirche verstoßen zu seyn, welcher er so treulich anhangt. Diesem Jammer muß abgeholfen werden, und ihr erhaltet hiermit Befehl, den frommen Fürsten vom Banne loszusprechen, mit welchem er von unsern in Gott ruhenden Vorfahren wegen einiger im Toskanischen verübten Gewaltthätigkeiten belegt wurde.

Daß dieses auf das feyerlichste geschähe, wär wohl mein heißester Wunsch, doch äußern sich dabey einige Bedenklichkeiten; daher ihr auch dieses Schreiben kaiserlicher Majestät insgeheim zu zeigen, und mit ihr darüber zu rath zu gehen habt.

[60] Die Excommunication unsers theuren Sohns und Bruders ist, so viel uns wissend, nur wenigen bekannt, denn wie möchte er sonst, bey der Verehrung, die noch jedermann für die Stimme Gottes aus unserm Munde hat, durch einhellige Wahl zum Kaiserthum gelangt seyn? Sollen wir nun durch öffentliche Lossprechung erst kund machen, daß er bisher ein Gebundner des Herrn war? würden wir nicht durch dieselbe ihm vielleicht mehr Leid zufügen als Gutes erzeigen? –

Noch einmal, gehet ihr selbst mit unserm Freund, Kaiser Philipp, hierüber zu rath, und was er für gut finden wird, das geschehe; doch habt ihr überall ihn durch eure bessere Einsicht in geistlichen Dingen zu leiten.

Von Rom an den Erzbischof von Kölln
Von Rom an den Erzbischof von Kölln.
1198.

Auf Befehl melden wir euch, daß der Bischof von Sutri in diesen Tagen Philippen von Schwaben, der, wie ihr wißt, unter dem Kirchenbann liegt, unter Vorwand päbstlicher Vergunst heimlich losgesprochen, und wieder in den Schooß [61] der Kirche aufgenommen hat, bedenket, ob euch ansteht, dieses zu dulden.

Gar nicht zu gedenken, daß ihr bey dieser hochfeyerlichen Handlung so schimpflich übergangen worden seyd, so liegt euch auch noch überdem, ohne weitere Rücksicht auf euch selbst, ob, an der Rechtmäßigkeit der ganzen Sache zu zweifeln, da die Lossprechung heimlich vor sich ging, und päbstliche Heiligkeit sich wohl nie zu einem Antheil an dem ganzen Vorgange verstehen wird.

Es ist wohl billig zu beklagen, daß das deutsche Reich ein unter dem Bann liegendes Oberhaupt haben soll, da es sich besseres Glücks unter einem andern Könige hätte erfreuen können; aber niemand denkt mehr daran, daß Heinrich des Löwen Sohn, der fromme Herzog Otto noch lebt, welcher sich wohl besser für das Reich geschickt haben würde, als ein excommunicirter Philipp. –

Der Empfang dieses Schreibens bleibt verschwiegen.

[62]
Die Kaiserin Irene an ihre Tochter Elise
Die Kaiserin Irene an ihre Tochter Elise.
1198.

Glücklichere Zeiten begannen uns zu lächeln. Das Joch des Banns war von des Kaisers Nacken gerissen, er athmete freyer, und konnte nun, so meynte er, mit heiterm Muth auf das Wohl des Reichs und das Glück seiner Kinder denken. O Elise, wie soll ich dir die Plane zärtlicher Eltern zum Besten ihrer Lieblinge schildern! Dir, du Heilige, die sich, wie es scheint, den Himmel zum einigen Erbtheil erwählt hat, dir weltliches Glück zu bereiten, daran dachten wir wohl nicht, aber unversorgt sollst du auch nicht geblieben seyn, die Aebtißinnen von Quedlinburg waren immer Töchter deutscher Kaiser, und du kannst also errathen, worauf man für dich dachte, und was dir auch noch nicht entgehen soll, da das Glück all deiner Schwestern gestört ist. –

Zufrieden, unsere Kunigunde mit Pfalzgraf Otten von Wittelsbach so wohl berathen zu sehen, dachten wir nun auch an unsere Jüngern. Für die dreyjährige Agnes bestimmte dein Vater den jungen König von Sicilien, und für Beatrix den wackern Herzog von Braunschweig, Heinrich des Löwen Sohn; Verbindungen, welche dem ganzen Reiche den Frieden gebracht haben würden.

[63] Die Ausführung guter Plane darf nicht verschoben werden: Kunigundens Vermählung mit dem Pfalzgrafen war so gut als geschlossen; du weißt, daß dich mein letzter Brief zum Hochzeitfest einlud. Von der kleinen Agnes etwas zu gedenken, war fast noch zu früh, doch ließ dein Vater, der jetzt auf ganz gutem Fuße mit dem Pabste steht, in einem vertraulichen Schreiben einige Worte davon fallen; und wegen Beatrix waren schon Boten an den Herzog nach Poiton abgeschickt, als wir, o Jammer! erfahren mußten, daß man eben diesen Herzog von Braunschweig, eben diesen Otto, Heinrich des Löwen Sohn, den wir verehren, den wir an unser Haus zu verbinden trachteten, zum Gegner deines Vaters macht.

Ach, Elise, du wirst es nicht aus meinem Briefe zuerst erfahren, daß es das Ansehen hat, als wollte das Reich zwey Kaiser bekommen! auch schrieb ich dir ihn nicht in der Absicht, sondern nur um die Einladung des Letzten zu widerrufen. Du kannst dir wohl vorstellen, daß man bey jetzigen Aussichten nicht an Hochzeitfeste denken darf. Der Pfalzgraf und Kunigunde bleiben vor der Hand nur Verlobte, und es ist zu verwundern, wie wohl sie sich darein schicken, besonders Kunigunde, sie scheint mehr ererfreut [64] als bekümmert über den Aufschub zu seyn; welches ich weder begreifen noch billigen kann.

O Elise! mein Herz ist gepreßt! was wollte ich darum geben, dich als meine Trösterin bey mir zu haben! – Noch hoffe ich, es wird alles gut gehen. Alle deutsche Fürsten sind auf Philipps Seite, und der Pabst, welcher hier so viel thun kann, ist sein Freund; ich wünsche, daß man, um Blutvergießen zu verhüten, die Sache seiner Entscheidung übergiebt, er wird gewiß wider den Herzog von Braunschweig und für deinen Vater sprechen.

Das ganze Unglück entspann sich durch Anstiften des Erzbischofs von Kölln, welcher die Rechtmäßigkeit der Lossprechung des Kaisers vom Banne nicht anerkennen wollte; es ist lächerlich, das bezweifeln zu wollen, wobey wir die Stimme des Pabsts vor uns haben, und ich kann nicht begreifen, warum der Beweis dieser Dinge darüber Brief und Siegel in den Händen des Bischofs von Sutri ist, so erschwert wurde, bis alles zu spät, und die Trennung im Reiche da war.

[65]
Pabst Innozens an die deutschen Fürsten
Pabst Innozens an die deutschen Fürsten.
1198.

Da das Reich erst durch die Päbste von den Griechen auf die Deutschen gebracht wurde, da kein Kaiser diesen erhabenen Namen mit Recht führen kann, wir geben ihm denn Salbung und Krone, und da besonders mir, wegen erlangter Macht und Ansehens die Stimme der Entscheidung in solchen Sachen zukommt, so thut ihr recht und löblich, getreue Söhne der Kirche, daß ihr euch in gegenwärtigem zweifelhaften Fall an den heiligen Stuhl wendet, und ihm die Berichtigung der großen Frage vorlegt: Wer soll unser Oberhaupt seyn?

Es ist ein schmeichelhafter Beweiß eures Zutrauens auf unsere Unpartheylichkeit, daß ihr kein Bedenken traget, uns zu fragen, da ihr doch vielleicht wähnen könntet, wir möchten mit unserm Vorwort (daß wir unserer Stimme keinen höheren Namen geben) – auf unsern Mündel, den jungen König von Sicilien fallen, dessen wir als Vormund uns anzunehmen, vielleicht gehalten seyn möchten; doch fern sey es von uns, der Billigkeit entgegen für einen Prinzen zu sprechen, der hier gar nicht in Betrachtung kommen darf, indem er bey seiner ehemaligen [66] Ernennung zum Nachfolger seines Vaters, ja noch nicht einmal getauft, und folglich nicht wahlfähig war; – Wär indessen auch dieses nicht, so verwehrte doch auch sein gegenwärtiges noch zu zartes Alter schon jeden Gedanken auf ihn.Wehe dem Lande, des König ein Kind ist, und dessen Fürsten frühe essen! welches letzte vielleicht auf noch einen andern passen möchte, den wir sonst Freudschafts halber unser Wort gern zu geben geneigt wären.

Philipp von Schwaben ist unser Freund, aber darf Freundschaft bey einer Sache in Anschlag kommen, wo blos die Gerechtigkeit vorwalten muß? – Nein, sie darf uns nicht gegen die Wahrheit verblenden, darf uns nicht vergessen lassen, daß Philipp als ein Gewaltthäter von unserm in Gott ruhenden Vorfahren excommunicirt wurde, und noch unter dem Banne liegt; seine heimliche 3 widerrechtliche Loszählung durch den Bischof von Sutri kann ihm hier nicht helfen. Warum heimlich, wenn, wie er rühmt, unser Beyfall auf seiner Seite war? Ueberdieses ist Philipp ein Wollüstling und Schwelger, bey welchem, wie wir oben berühmten, Tag und Nacht, Abend und Morgen der [67] Ueppigkeit geweiht sind, ein Meineidiger, welcher das Kayserthum an sich riß, das er seinem Mündel, dem jungen König von Sicilien zu erhalten schuldig war, ein Feind der Kirche, ein Abkömmling Heinrich des Fünften und Friedrich des Ersten, Heinrich des Sechsten Bruder, und all dieser Widersacher der Kirche würdiger Nachfolger, welcher schon einige Proben gegeben hat, was diese heilige Mutter von ihm fürchten muß.

Werdet ihr nach diesen angezogenen Punkten noch zweifeln, auf wen unsere entscheidende Stimme fällt? Was fehlt dem Herzog von Braunschweig? ist er nicht ein Held und eines Helden Sohn? ist er nicht ein getreues Kind der Kirche? Ihm mag nicht schaden, daß er später und von wenigern gewählt wurde, als Philipp, da er zur Regierung tauglicher, und uns und der Kirche anständiger ist als er.

Habt ihr indessen etwas wider diesen unsern Gewählten einzuwenden, so wollen wir euch in so weit eure Freyheit nicht beschränken, sondern euch nur andeuten, daß ihr euch bald über die Wahl eines Würdigern vergleichet, oder widrigenfalls gewärtig seyd, daß wir Otten von Braunschweig öffentlich als König erkennen, und zu uns nach Rom zur Kaiserkrönung berufen.

[68]
Irene an Elisen
Irene an Elisen.
1200.

Eine Hoffnung bleibt uns noch, nach so manchen blutigen Händeln, die jener ungerechten unerwarteten Entscheidung des Pabsts folgten, auf die ich all meine Hoffnung setzte. O Elise, freue dich, der ehrwürdige Konrad von Maynz ist von seinem Zuge nach Palästina zurück! Er war der Jugendlehrer deines Vaters, er vermag alles über ihn, so wie hingegen Philipp immer auch seyn Liebling war. In gleicher Achtung steht er mit dem Herzog von Braunschweig, (dem nach seiner Krönung zu Aachen jedermann den Kaisernamen giebt), – und selbst der Pabst fürchtet sich vor ihm, o Elise, was läßt sich von der Vermittelung eines Heiligen, wie Konrad erwarten! Vermittler will er seyn, das hat er meinem Gemahl in den mildesten Ausdrücken geschrieben, und Philipp, der nie etwas von Vermittlung hören wollte, hat zum erstenmal dieses Wort geneigt aufgenommen, er thut noch mehr, er geht der Vermittlung entgegen, und vergiebt sich damit, wie einige Friedensstöhrer wollen, etwas von seiner Hoheit. Ich kann ihn nicht tadeln. Erzbischof Konrad ist ein achtzigjähriger Greis, ist für den geistlichen [69] Vater des Kaisers zu rechnen, dem er die ersten Grundsätze der Tugend ins Herz prägte, es geschieht ihm wohl nicht zu viel Ehre, wenn ihm Philipp zu Gefallen nach Maynz geht, seine Meynung zu hören. Sie sey, welche sie wolle, mir soll sie willkommen seyn. Ein Mann, den die Glorie der Heiligen schon bey lebendem Leibe umstrahlt, kann nicht falsch entscheiden. Wenn er nun auch von gemeinschaftlicher Herrschung mit Otto sprechen sollte, würde das Philipps Hoheit etwas benehmen? da er als der ältere immer den Vorrang behielt, da er durch seine Tochter sich seinen Nebenkaiser noch fester verbinden könnte? Und ich? wär ich denn nicht zugleich Mutter und Gemahlin eines Kaisers? sähe ich nicht meine Kinder um mich her glücklich und das Reich in Ruhe? – O ihr Engel des Friedens beglückt die Anschläge, die jetzt im Verborgenen zu unserer aller Besten reifen, gebt Konrads Worten unwiderstehliche Gewalt, und Philipps Herzen Biegsamkeit!

[70]
Pfalzgraf Otto von Wittelsbach an Adolf, Grafen von ***
Pfalzgraf Otto von Wittelsbach an Adolf,
Grafen von ***.
1200.

Du verziehst deine Nachfolge zu lange, mein Freund, komm, eile zu kommen, mein Herz sehnt sich nach dir. Ich lebe hier in einer Welt, für die sich mein deutsches Herz nicht schickt. Himmel, an wen hat Bernhard von Sachsen meine Anhänglichkeit für ihn abgetreten! Hätte ich doch Kaiser Philippen und seine verführerische Tochter nie gesehen! Du weißt, wie Kunigunde anfangs mein Herz fesselte, du weißt auch, wie wenig sie bey genauerer Bekanntschaft demselben genug that. Sie ist schön, aber nicht für mich, munter und witzig, aber nur mich bey meiner Gerechtigkeit in denken und sprechen in Verlegenheit zu setzen; ich glaube sie ist mir hold, und möchte mich ungern verlieren, woher sonst ihre Bemühungen, mich wieder auszusöhnen, wenn ihre italiänischen Grillen mich einmal aufgebracht haben? gleichwohl aber scheint ihr Herz nie ganz bey mir zu seyn, und bey den unabläßigen Hinderungen unserer Verbindung ist sie so wohlgemuth, daß ich wohl deinen Scharfsinn haben möchte, aus ihr klug zu werden. Komm, mir diese Dinge zu enträthseln, [71] und mir aus neuen noch fürchterlichen Zweifeln zu helfen, die sich in mir von einer andern Seite erheben.

Gott und alle Heilige was soll ich von Philipp denken! Sollte das möglich seyn, was mir der Bischof von Sutri bey dem, was sich in diesen Tagen hier zutrug, ins Ohr raunte? Wir sind in Maynz, Erzbischof Konrad, ein leibhafter Sankt Peter, der Würde und dem Ansehn nach, ein Engel an Beredsamkeit, ein sichtbarer Heiliger, hat den Kaiser hieher erbeten, Unterhandlungen zu treffen, über die ich, der mehr vom Schwerde halte, nicht richten kann; alles fügt sich wohl, Philipp lebt und webt in seinem alten Lehrer, kann keine Stunde ohne ihn seyn, speißt mit ihm aus einer Schüssel, trinkt mit ihm aus einem Becher, und man sagt, er sey sein heimlicher Feind? Kann, kann dies möglich seyn?

Erzbischof Konrad ist tod, schnelles Todes gestorben, nach einer an Philipps Seite gehaltenen einsamen Mahlzeit; kann, kann Philipp, wie man mich bereden will, sein Vergifter seyn?

Ich bin außer mir, ich kann und darf mit niemand von diesen schrecklichen Dingen reden, Philipp kann unschuldig seyn, niemand außer mir und dem, der dieses Gift der Hölle, diesen teuflischen Verdacht in mein Herz goß, denkt [72] daran, daß Konrad eines andern Todes als des Todes hohen Alters gestorben sey; doch kann ich den quälenden Gedanken nicht los werden, alles bestättigt mich in demselben, selbst die Behändigkeit, mit welcher Philipp gleich nach seinem Tode wußte, was ihm zu thun sey, die Eil, mit welcher er einen andern, eigenmächtig an seine Stelle gesetzt hat.

Mein Herz wollte springen, ich mußte mich einer Seele vertrauen, ich schüttete meinen innern Gram gegen die einige Person aus, gegen welche ich hier am Hofe unumschränkte Achtung hege, gegen die Kaiserin Irene, die durch ächte deutsche Redlichkeit ihre griechische Abkunft so ganz verleugnet. Sie hat mit mir gesprochen, wie ein Engel. Sie bürgt mir für ihren Gemahl, wie könnte ich noch Mißtrauen in ihn setzen. Gleichwohl ist und bleibt mir hier alles zu enge; ich kann niemand ganz trauen als ihr, und ich muß fort, wenn du nicht bald erscheinst, meine Unruhe durch deine Freundschaft zu lindern; komm, wenn du kannst, unter verstelltem Namen, ich habe hiezu Ursachen, die du ein andermal erfahren sollst.

[73]
Der Bischoff von Sutri an den Kardinal Guido von Präneste
Der Bischoff von Sutri an den Kardinal
Guido von Präneste.
1201.

Ich höre, ihr seyd zu Kölln angelangt, die Eingriffe zu ahnden, welche Philipp durch Einsetzung eines maynzischen Erzbischofs in die päbstlichen Rechte that, und ich eile, mich gegen euch über gewisse Dinge zu erklären, welche man mir, wie ich höre, am römischen Höfe zur Last legte, ich erkenne in euch nicht allein den päbstlichen Legaten, dem ich Rechenschaft von meinem Verhalten schuldig bin, sondern auch den Freund, gegen welchen ich mich offenherziger über meine Lage herauslassen kann, als gegen andre, den Mann, von dem ich weiß, er wird das, was ich ihm sage, und sagen muß, nicht zu meinem Nachtheil gebrauchen. Hört meine kurze Geschichte, und denn beurtheilet mich nach eurem eigenen Herzen, nach dem was, wie ihr wißt, in dieser argen Welt ein jeder thun muß, der sich empor schwingen will, der sein Leben nicht im Staube zu endigen denkt.

Aus dem widrigsten unter allem Staub auf Erden, aus dem Klosterstaube hatte ich mich schon längst empor geschwungen. Ich war Bischof von Sutri, und wurde, was ihr jetzo seyd, [74] päbstlicher Legat. Ich er hielt geheime und öffentliche Aufträge nach Deutschland, wie ihr sie erhalten habt, und richtete sie hoffentlich so gut aus, wie ihr die eurigen ausrichten werdet. Ich sprach den Kaiser gerade so vom Banne los, wie mir vorgeschrieben, und alles hatte die Folgen, die es haben sollte: Zwist und Uneinigkeit entsprang, und das Reich sieht jetzt zwey Kaiser. –

Daß man, nachdem alles geschehen war, was man von mir verlangte, mir den Rücken wandte, mir keine Versprechungen hielt, die mir gethan wurden, und sich gar unter der Hand verlauten ließ: man müsse dem Bischof von Sutri wegen Kaiser Philipps heimlicher Lossprechung an den Hals; dies waren freylich Dinge, die ich hätte voraussehen sollen, da mir meine Erfahrung sagte, man pflege sich gern derer auf eine gute Art zu entledigen, durch die man heimliche Dinge ausgerichtet hat, und das Werkzeug ins Feuer zu werfen, wenn das Werk geschehen ist; Leider fanden mich diese Dinge unvorbereitet. Ich war ein Mensch, ich ward aufgebracht, und suchte, da Rache unmöglich war, meine Sicherheit.

Ich fand sie in Philipps Armen, Philipp schätzte und liebte mich, weil er aus meinem Munde zuerst die Worte der Gnade gehört [75] hatte, und ich nicht unterließ, ihm täglich zu versichern, daß meine ihm ertheilte Absolution gültig sey, und daß er sich dem Pabst und dem ganzen Kardinalskollegio zum Trotz für bannfrey halten könne. Diese Tröstungen trugen mir außer der kaiserlichen Gnade und Vertraulichkeit noch glänzende Versprechungen ein, ich traute auf sie, denn ich bedachte nicht, daß Philipp nur ein halber Deutscher ist. Ich rechnete in der Stille auf einen Fall, wie er jetzt durch den Tod des alten Erzbischofs von Maynz geschehen ist, und sah mich schon im Geist einen der ersten geistlichen Fürsten, einige Stufen näher zur dreyfachen Krone, welche doch nun einmal, – gesteht es selbst, Guido, – das Kleinod ist, nach dem wir alle mit Sehnsucht hinblicken.

Erzbischof Konrad starb, Kaiser Philipp fühlte Nothwendigkeit und Macht, an seiner statt dem Pabste zum Trotz eine eigene Wahl zu thun. Ich glaubte, der Gewählte zu seyn, alle Dinge bestättigten mich in dieser Hoffnung, und – ich ward übergangen. Ein Lüpold, ein Bischof von Wormbs begleitet die Stelle die, wenn Recht und Dankbarkeit gegolten hätten, mir zugekommen wär. Thörichter Philipp, welch eine Stütze hast du dich an mir beraubt! Wird Lüpold das leisten können, was du von [76] mir erwarten konntest? Zittre vor den Folgen deiner Wahl!

Doch dies ist nun vorüber, ich lache der Versprechungen, die man mir von neuem that, und denke auf andre Mittel zu Rache und Glück. – Guido, ich gestehe es, daß ich, durch schlechte Begegnung aufgebracht, mich vom Pabste mit meinem Herzen zum Kaiser wandte, aber ich kehre zurück. Die römischen Geheimnisse sind mir bey aller Vertraulichkeit gegen Philipp heilig gewesen, ich bringe sie unversehrt in den Schooß der Kirche zurück, noch ist nichts verlohren, und erklärt man sich mir auf eine anständigere und sicherere Art als bisher, so kann ich mich vielleicht anheischig machen, Angaben zu machen, die man zu dem großen Entzweck, Philippen zu stürzen, würksam finden wird. Ich habe bereits, um meine verneute Treue zu zeigen, einen Anfang gemacht, den nur der, welcher nicht die ganze Sache zu übersehen im Stande ist, klein und unbedeutend nennen kann.

Philipp hat an seinem Hofe einen Mann, den Pfalzgrafen Otto, den man wohl mit recht eine eherne Säule des Kaiserstuhls nennen kann, er soll sein Schwiegersohn werden; und wird es dieser Held mit dem eisernen Arme, dieser ächte Deutsche mit der festen unerschütterlichen Rechtschaffenheit, so mögen wir nun alle Anschläge [77] gegen Philipp aufgeben. Sein Feind muß der Pfalzgraf werden, wenn wir ihn stürzen wollen. Seit mein Vortheil mit Philipps Besten nicht mehr ein Ganzes ausmacht, habe ich nachgesonnen, wie man das Herz des Biedermanns von ihm abwendig machen könne, und gefunden, daß nichts, selbst persönliche Beleidigungen nicht, das bey ihm bewürken werden, was Verdacht in Philipps Rechtschaffenheit thun kann.

Der Pfalzgraf ist ein Mann, bey welchem das Herz Gold, der Verstand nur Silber ist, sein Urtheil zu täuschen, ihn morgen zu bereden, der, der ihn heute beleidigte, habe ihn eigentlich nicht beleidigt, ist leicht; aber ihn mit dem Beleidiger der Tugend auszusöhnen, ist Unmöglichkeit; dem ersten wird er gern, dem andern nie verzeihen. Dies ist der Mann, den ich Philippen rauben, und damit all mein erlittenes Unrecht rächen will, und höret, wie ich es begonnen habe.

Erzbischof Konrad starb des Todes, den mehrere Greise seiner Art gestorben sind, Kaiser Philipp ist so unschuldig an seinem Tode, wie ich an Lüpolds Erhebung zum Erzbisthum. Auch hat niemand einen Gedanken, daß er etwas wider seinen alten Lehrer, wider den gethan haben könnte, der ihn väterlich liebte. Der Argwohn, den ich zu erregen mir vorgenommen [78] hatte, ist ungeheuer, und doch gelang mir es, ihn in das trugloseste unbewachteste aller deutschen Herzen in das Herz des Wittelsbachers überzutragen. Ich bin sein Beichtiger, seit unserer letzten geistlichen Unterhaltung, glaubt er in Kaiser Philipp einen Mörder zu sehen, sein ganzes Herz empört sich bey seinem Anblicke, und wir können darauf rechnen, daß wenn auch Ueberzeugung von der Falschheit des Argwohns bey ihm endlich unvermeidlich wär, doch der zuerst ausgestreute Saame des Mißtrauens in der Folge Früchte tragen wird, die uns eine gute Erndte bringen können.

Sehet, das ists, was ich bereits für diejenige Macht gethan habe, von der ich auf einen Augenblick abtrünnig ward, und zu der ich nun auf ewig wiederkehre. Ich sage euch nur den kleinen Vortheil, den man von mir erwarten kann, die Angabe des größern behalte ich zu meiner Sicherheit zurück. Fallen die Bedingungen so aus, wie ich wünsche, so soll man mehr erfahren, so wie ich aus dem Munde des Wittelsbachers, der in den Stunden der Andacht ganz heilige unverstellte Offenherzigkeit ist, Dinge erfahren habe, auf die man in Rom nimmermehr rathen würde, und deren völlige Kenntniß von einem Nutzen seyn müßte, welchen weder wir noch unsere Nachkommen[79] übersehen könnten. – Der Pfalzgraf weiß viel von verborgenen Dingen, deren Mittheilung ich unserm Oberhaupt unter gewissen Bedingungen verspreche, aber er hat in Westphalen einen Freund, dem noch mehr von denselben bekannt ist. Ich habe Sorge getragen, daß er herüber gerufen, und mit in unser Netz gezogen werde, gebe der Himmel, daß er nicht scharfsichtiger, behutsamer und weniger andächtig sey, als der Pfalzgraf, fast fürchte ich dieses, da seine Ueberkunft sich so lange verzögert!

Pfalzgraf Otto an den Pabst
Pfalzgraf Otto an den Pabst.
1201.

Zwar pflegt ein deutscher Fürst immer lieber das Schwerd als die Feder zu gebrauchen, doch darf er, wenn es das Wohl des Reichs und der Wille gemeiner Fürsten erfordert, auch den Gebrauch der letzten nicht versäumen. Unglücklicher Weise bin ich unter uns allen derjenige, welcher dieses Werkzeug der Gelehrten mit der meisten Fertigkeit führt, und ich muß mich also zu einer Arbeit verstehen, die ich gern jedem andern überlassen haben möchte.

[80] Das was ich dem Oberhaupt der Christenheit mit all der Ehrfurcht vorzutragen habe, die ich und wir alle gegen desselben fühlen hat nicht so wohl die gekränkten Rechte Kaiser Philipps, an den man mich durch besondere Bande gefesselt halten möchte, als einige Eingriffe in die Freyheiten des deutschen Reichs zum Gegenstand, die wir von Rom her erfahren mußten, und die sich auf keine Art verschmerzen lassen.

Wo denkt Sankt Peter hin, daß er uns nach seinem Gefallen einen König aufdringen will? Wo wagte es je einer der uralten frommen Bischöfe von Rom, die noch in der Demuth ihres himmlischen Meisters einhergingen, sich in weltliche Dinge zu mischen, und bey der Kaiserwahl eine Stimme zu fordern? Daß Kaiser Päbste wählen, ist bekannt, aber Kaiser zu wählen hatte man nie den Beytritt eines Pabstes nöthig. Ließen die Kaiser zuweilen aus christlicher Bescheidenheit das Recht aus der Hand, das sie hatten, bey der Pabstwahl im entscheidenden Ton zu sprechen, wie soll man die Kühnheit benennen, mit welcher sich der römische Hof Rechte anmaßt, welche er nie besaß, auch nie mit unserm Willen erlangen wird?

Wär ich in künstlichen Wortverschränkungen geübter als ich es nicht bin, so würde ich [81] annehmen, Innozens der Dritte könne unmöglich etwas von den Dingen wissen, die kürzlich zu Kölln vorgegangen sind, und ihm klagend berichten, welchen Frevel der Bischof von Präneste daselbst geübt, indem er sich wider alle Reichsordnung in die römische Königswahl gemischt hat; doch es ist bekannt, daß euch dieses nicht unbewußt ist, und daß Guido, indem er zu Kölln den Herzog von Braunschweig zu unserm König bestättigte, nichts that als euren Willen.

Unmöglich dünkte es uns, schon des heiligen Vaters letztes Schreiben zu verschmerzen, und noch unmöglicher ist es uns, die letzte Vorlegung unserer Reichsrechte gleichgültig anzusehen; den schiedsrichterlichen Ton des ersten mochten wir vielleicht einigermaßen verschuldet haben, weil wir selbst auf gewisse Art euch zu Rath und Urtheil aufforderten; aber wodurch haben wir dem kühnen Bischof von Präneste Anlaß zu seinem eigenmüthigen Verfahren gegeben? Wir bitten euch, heiliger Vater, ruft ihn zurück, erklärt sein Beginnen für null und nichtig, oder laßt es euch nicht befremden, daß wir dasselbe, indem wir es blos aus Achtung gegen euch ungeahndet lassen, gänzlich auf die Seite setzen, und zum Kaiser behalten, wer uns, nicht wer einer fremden Macht recht dünkt. Wahrhaftig, [82] wir würden eine schwere Verantwortung auf uns laden, wenn wir den, der nur in geistlichen Dingen richten kann, in weltlichen als Richter erkennten und ihm dadurch neue Gelegenheit zu pflichtwidriger Anmaßung fremder Rechte gäben.

Der Pabst an den Herzog von Zähringen
Der Pabst an den Herzog von Zähringen.
1201.

Den Pfalzgrafen Otto, welcher neulich ein kühnes Schreiben an uns abgelassen hat, kennen wir nicht, und wir richten also die Beantwortung jenes Briefs, die uns dennoch nöthig dünkt, weil sie gemeine deutsche Fürsten angeht, an euch, den wir kennen und schätzen.

Wie kommen doch die Erben und getreuen Söhne der Kirche auf den Wahn, als wollte die liebende Mutter Freyheiten beschränken, und Rechte schmälern, welche ihre Kinder ja zuerst aus ihren Händen erhielten? Kam nicht das römische Reich durch Hülfe des apostolischen Stuhls in der Person Karl des Großen zuerst an euch Deutsche? und könnt ihr wähnen, der Statthalter Christi wollte euch mit einer Hand[83] wieder nehmen, was er euch mit der andern schenkte? – Das sey fern! Aber gönnen wir euch von der einen Seite die Macht, den zu eurem König zu ernennen, den ihr selbst wollt, so dürft ihr uns auch von der andern das Recht nicht bestreiten, den zu prüfen, den wir salben und krönen sollen, wie auch denn bekannt seyn wird, daß kein deutscher Fürst ohne päbstliche Salbung und Krönung, das ganz ist, wozu ihr ihn wählt, und daß unsere Weihe eurer Wahl allererst das Siegel aufdrückt.

Es ist eine allgemeine Regel und Observanz, daß der, welcher geistlicher Handauslegung und Weihe bedarf, sich zuvor geistlicher Prüfung unterwerfen muß, so hält es die heilige Kirche bey den kleinsten Aemtern und Bestallungen, so muß es auch bey den größten bleiben, selbst der Pabst muß getauft werden, ehe er die dreyfache Krone tragen kann, wie sollte sich der deutsche König der Prüfung entziehen dürfen? Ihr könntet uns ja sonst einen Kirchenräuber, einen Verbannten, einen Tyrannen, einen Blödsinnigen, einen Ketzer oder Heiden zur Salbung vorstellen, und uns zumuthen, an ihm das heilige Oehl zu entweihen. Urtheilet nun selbst, ob wir in Ansehung eures Königs Herzog Philipps von Schwaben, was Prüfung und Entscheidung anbelangt, widerrechtlich verfahren haben, und gestehet, daß unser [84] Legat, der Bischof von Präneste, keinesweges, wie ihr ihm beymesset, sich ein richterliches Ansehen über euch angemaßt, weder einen König für euch gewählt noch verworfen, sondern nur in unsern Namen erklärt habe, was wir von eurer Wahl halten, und was wir hiermit nochmals erklären und bekannt machen, daß, ihr mögt von Philipp und Otto, Heinrich des Löwen Sohn, nun denken was ihr wollt, doch immer der erste nach unserm untrüglichen Urtheil untüchtig, der andere vor allen Fürsten des deutschen Reichs würdig seyn wird, Kron und Salbung aus unsern Händen zu erhalten 4. ect. etc.

Die Kaiserin Irene an ihre Tochter Beatrix
Die Kaiserin Irene an ihre Tochter Beatrix.
1206.

Du schreibst mir fast zuviel von dem Besuche des Prinzen von Kastilien bey seiner verlobten Braut, der Gräfin von Toulouse, und von der Rolle, welche du und deine Schwester bey derselben gespielt habt. Ich sehe die Nothwendigkeit nicht ein, warum ihr euch einem fremden Manne zeigen mußtet, welcher entweder nur Augen für seine Braut hatte, und also euren Anblick [85] entbehren konnte, oder mehr Aufmerksamkeit für euch bewies, als seine Pflicht erlaubte, wie es mir in Ansehung deiner Schwester Elise fast der Fall gewesen zu seyn scheint.

Mehr hievon zu wissen, als mir vielleicht die Bescheidenheit deiner Schwester und ihre Furcht vor mütterlichen Verweisen gestehen würde, wende ich mich an dich, mein Kind; du wirst dich erinnern, daß deine Pflichten gegen deine Mutter älter sind, als die gegen deine Schwester, und mir nichts verschweigen; auch weiß ich, daß du mir nichts nachtheiliges von unserer Elise melden kannst, und ich schreibe jeden Fehler, der hier vorgegangen ist, auf die allzugroße Freyheit, die man den Fräuleins in den französischen Klöstern gönnt; wollte Gott, die entscheidende Neigung eures Vaters für das Ausland, hätte mich nicht um eure nahe Gegenwart gebracht, damit ich selbst über euch wachen könnte. – Ich fühle es immer mehr, wie nöthig diese sorgfältige mütterliche Wachsamkeit über heranwachsende Töchter ist, sahe es an Kunigundens Beyspiel; die Bildung, die sie einst in einem unglücklichen Jahre, da ich sie aus den Augen lassen mußte, in Thuscien erhielt, gefällt mir nicht; ich sehe die Folgen dessen, was sie dort einsog, und was sie zu dem Liebling ihres Vaters macht, immer mehr. – Sie verdient nicht von dem edeln Pfalzgrafen Otto [86] so lange, so standhaft geliebt zu werden, wie er liebt; sie vermag ein Herz, wie das seinige, gar nicht zu schätzen; ich besorge zuweilen, sie hat das ihrige in Italien zurückgelassen. – O meine Kinder, bewahrt eure Herzen vor eigenmächtiger Wahl, dies ist die Pflicht aller, auch der gemeinsten Jungfrauen: Prinzessinnen liegt sie doppelt ob, da sie weniger als irgend eine ihres Geschlechts wissen, wozu sie das Schicksal bestimmt hat, und wem sie das Opfer der ersten ungetheilten Liebe vorbehalten müssen.

Wem das Opfer der deinigen bestimmt ist, meine Beatrix, das könnte ich dir vielleicht sagen, wenn du bey mir wärst, doch Dinge von solcher Wichtigkeit sind Briefen nicht anzuvertrauen; sey nur von deiner Mutter im Allgemeinen so viel erinnert, daß du wohl vor allen deinen Schwestern bestimmt seyn könntest, dem römischen Reich durch Vergebung deiner Hand und deines Herzens die Ruhe wieder zu schenken. Welch Unglück, wenn du in dem Augenblick, da diese Pflicht von dir gefordert würde, von früherer Leidenschaft geblendet, dich weigern, oder wärst du Heldin genug, deinem Herzen zum Trotz dich nicht zu weigern, ein Raub des Elends und fehlgeschlagener Hoffnungen werden solltest, indem du andre glücklich machtest!

[87] Von diesen Dingen ist jetzt nicht mehr zu reden, ich verlasse mich ganz auf deine Klugheit und Tugend, vielleicht erlauben die Umstände, daß ich bald mündlich mit dir von deiner künftigen Bestimmung sprechen kann.

Ein Sturm ist wieder vorüber. Dein Vater hält seinem Gegenkaiser, dem edeln Otto, der gewiß wider Willen unser Gegner ist, mächtig die Wage. Nicht durch Gewalt, nein durch Huld, Freygebigkeit und Geschenke gewinnt sich Philipp aller Herzen. Sein Gegner, Herzog Otto, von Natur die Liebe und Großmuth selbst, ahmt ihm hierin nach, aber sein Vermögen kann es nicht so gut aushalten als das unsrige; und doch auch, selbst wir fühlen die großen Schenkungen, die die Zeitläufte nöthig machen. Schadet nichts! der Schatz des deutschen Kaisers ist der Reichthum seiner Fürsten; auch seine Kinder sind reich, wenn sie auch im äußern Prunk andern etwas nachstehen sollten. Nimm dieses zur Antwort, mein Kind, auf das Lob, daß du den Schmuck der kastilischen Braut giebst, und den Wunsch, daß du und deine Schwester als Töchter eines Kaisers, es ihr hierin gleich thun möchten. Nacheiferung dieser Art hat oft Neid zum Grunde. Die Gräfin Alix ist ja eure Freundin, ihr würdet ja sie nicht beneiden!

[88] Es giebt eine Sache, in welcher sich Kinder großer Fürsten von keinen andern übertreffen lassen müssen, und dieses ist Bereitwilligkeit Bedrängte zu schützen, und ihnen Gunst zu erzeigen, ich überschicke euch, dir und deiner Schwester, hier ein Mittel, diese Pflicht eures Standes zu üben:

Peter von Kalatin, du kennst ihn, der schönste, reichste und leichtsinnigste Ritter an unserm Hofe, brachte neulich ein Fräulein herüber, zu deren Besitze er wohl nicht durch rechtmäßige Mittel gekommen seyn mag, ich ahnde hier Entführung oder andere Ränke, ungeachtet weder er noch sie sich darüber erklären. Sie nennt sich Alverde von Merode, aber ich ahnde, daß sie vom höhern Stande sey, als sie sich ausgiebt; ein schönes liebenswürdiges Geschöpf, von deinen Jahren, meine Beatrix, und also jung genug, um anzunehmen, daß sie, die vielleicht nicht so guter Erziehung genoß, als du und deines gleichen, unschuldig zu einem Schritte hingerissen wurde, der sonst keine Entschuldigung verdient.

Eine junge Schönheit, wie sie in der Gewalt eines Mannes, wie Kalatin, erregte meine Aufmerksamkeit; ich ließ sie vor mich kommen, und fand sie meines Schutzes nicht unwürdig. Um sie noch sicherer zu wissen, sende ich sie [89] mit den Leuten, die euch diesen Brief überbringen, nach Lion, und empfehle sie deiner und deiner Schwester Vorsorge. Sprechet für sie bey der Aebtißin eures Klosters, versichert der hochwürdigen Frau in meinen Namen die Zahlung der Gebühr für Alverdens Aufnahme, erwerbet dem jungen Mädchen die Freundschaft der edeln Gräfin von Toulouse, und wendet die Summen, die ich euch hier zu euren kleinen Ausgaben schicke, nicht an, es der künftigen Königin von Kastilien in Kleiderpracht gleich zu thun, sondern lieber der neuen Freundin, die ich euch empfehle, ihre Lage so angenehm zu machen, daß sie es fühle, Kaiser Philipps Töchter waren ihre Versorgerinnen; – ich meyne, ihr Herz soll es fühlen, nicht euer Mund oder euer Betragen soll es ihr zu verstehen geben; doch es wär lächerlich, so etwas Unedles nur von euch zu vermuthen.

Deiner Schwester Elise meinen mütterlichen Gruß, und die Versicherung, daß unsere Sachen, von welchen sie mehr weiß als du, weil sie älter ist, jetzt ein immer vortheilhafteres Ansehen gewinnen. Sogar der römische Hof neigt sich zugleich mit dem Glück auf unsere Seite. Der Pabst soll vortheilhaft von Philipp gesprochen haben; ich traue hier nicht ganz, doch kann ich nicht dawider seyn, daß man sich entschließt, [90] verbindliche Worte mit verbindlichen Briefen zu erwiedern, und eine Gesandtschaft nach Rom zu schicken, in welcher der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, Kunigundens Verlobter, auch mit begriffen seyn wird. Hier also wieder eine neue Verzögerung, der Jahrelang verschobenen Vermählung, die nun vor der Thür war, und jetzt nur um der römischen Reise willen auf künftigen Winter verlegt werden muß. Ich weiß nicht ob mich das freuen oder betrüben soll. Man hat schon längst Versuche gemacht, den edeln Pfalzgrafen auf die grausamste Art wider euren Vater aufzuhetzen, ihn mit dem gräulichsten Argwohn gegen ihn zu erfüllen; mit Mühe habe ich ihm sein redliches Herz wieder gewonnen; aber wird man in Rom nicht neue Versuche machen, Uneinigkeit zu stiften? und wer wird da den Schaden heilen? – O meine Kinder, es ist hier ein undurchdringliches Gewebe von Kabalen, die Hand, die die Fäden durcheinander schießt, sehen wir nicht, Gott gebe, daß wir die Folgen der finstern Arbeit nicht fühlen mögen! Wohl euch in eurem Kloster, und wohl mir, wär ich noch Herzogin von Schwaben!

[91]
Beatrix an ihre Mutter
Beatrix an ihre Mutter.
1206.

Recht aufrichtig, meine Mutter, will ich euch auf alles antworten, worum ihr mich befragt, ich kann es um so leichter, da ich es mit Bewilligung und unter den Augen meiner Schwester thue, ich könnte euch ja unmöglich hinter ihrem Rücken etwas von ihr sagen, dies wäre wider Schwestertreue, so wie die Versagung meines Gehorsams in diesem Stück, wider Kindespflicht gewesen wär; ich vereinigte diese beyden Dinge, die hier ein wenig zu streiten schienen, dadurch, daß ich ihr euren Brief lesen ließ; sie hat, ich weiß es, kein Geheimniß vor euch, sie schreibt euch selbst, aber da ich mir das Recht nicht nehmen lassen will, euch selbst die Antwort auf eure Fragen zu geben, so hat sie mir lachend erlaubt, euch nur alles von ihr zu sagen, was ich wüßte. – Recht wohl, Elise! alles was ich weiß? – Ey ich könnte wohl etwas von dir wissen, daß du nicht dächtest, wie nun, wenn ich dir eine kleine Schalkheit bewies, und der guten Mutter auch dieses entdeckte?

Wisset also aufs erste, daß bey jener Zusammenkunft mit dem Prinzen von Kastilien, wegen welcher ich uns nicht mehr entschuldigen [92] will, da ihr es selbst thut, meine Schwester Elise der guten Gräfin Alix zum besten wohl hätte zurück bleiben können; aber warum hätte sie es thun sollen? sie erschien bey derselben auf Bitte ihrer Freundin, so wie ich aus Vorwitz. Das Herz der kastilischen Braut ist gegen ihren Bräutigam so kühl, daß sie nicht fürchtet, daß ihr jemand bey ihm Eintrag thun werde, und Elisens Meynung von ihren eigenen Reizen ist so bescheiden, daß sie nicht glaubt, daß sie jemand Eintrag thunkönne; aber ich fürchte, sie hat es wider Wissen und Willen hier gethan. Die arme Alix, so schön und gut sie ist, stand ganz im Schatten gegen der herrlichen Elise, die selbst ich bewundere, ungeachtet ich ihre Schwester bin.

Der Prinz von Kastilien, der nur Augen für die schöne Freundin seiner Braut zu haben schien, mag indessen für sie in den damaligen Augenblicken gefühlt haben was er will, so versichere ich euch, daß Elise es gar nicht bemerkte, daß wenigstens ihr Nonnenherz ganz kalt dabey blieb. Eins lobte sie an ihm, als wir in der Einsamkeit von ihm sprachen, seine sprechenden Augen und einige andere Züge seines schönen Gesichts; solltet ihr aber wohl glauben, warum? – Weil sie in denselben die auffallendste Aehnlichkeit mit dem Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach [93] zu finden glaubt. – Ach Mutter! Mutter! hier liegt eben das Geheimniß, das ich wider meiner Schwester Wissen und Willen von ihr im Besitz habe, und das ihr wegen der allgemeinen Erlaubniß, die sie mir gab, so neben bey auch mit erfahren sollt. Elise würde gewiß, wenn sie an Kunigundens Stelle wär, nicht kalt gegen den Pfalzgrafen seyn! – Ueber Kunigundens Gleichgültigkeit wundre ich mich weiter nicht, wußte ich doch schon als Kind, da ich manches erlauschte, was man andern verbarg, daß der nunmehrige päbstliche Nepot, Graf Richard ihr Herz hat!

Wie ihr sehet, so mußten mir aus dem Beyspiel meiner Schwestern schon die Lehren einleuchten, die ihr mir gebet. Ja, Mutter, ich will meinen Herzen und meinen Augen gebieten, will beyde verschliessen, bis ihr mir Befehl gebt, sie zu öffnen, will selbst an Otten von Wittelsbach nicht denken, der mir im Grunde wohl so gut gefällt, als er einer meiner Schwestern gefällt und der andern gefallen sollte. Wenn ich Zeit habe, an so etwas zu denken, so soll mein einiger Gedanke jener Ungenannte seyn, dessen Namen ihr mir einst entdecken wollt, nach dem ich aber gar nicht neugierig bin, ungeachtet Elise mir sagt, es würde wohl jener [94] Otto, nicht der von Wittelsbach, sondern der Gegner meines Vaters seyn.

Ich kann eben nicht sagen, daß ich mich über diese Muthmaßung freue; so wird mir also wohl auch so ein trübseliger Brautstand bestimmt seyn, wie der guten Gräfin Alix, die ich wahrhaftig um ihre Juwelen nicht beneide. Mich dünkt, sie fühlt so wenig für den Prinzen von Kastilien, als er für sie, bedenkt selbst, schon so lange ist sie seine Braut, die Sache gewinnt nimmermehr ein Ende, ich bin indessen aus einem Kinde zur Jungfrau geworden, und gleichwohl wird ihr die Zeit gar nicht lang dabey, das zeigt von schlechter Liebe! – Sie treibt ein unaufhörliches Lesen gewisser Bücher welche ihr ihr Bruder, der Graf von Toulouse, heimlich zuschickt, dies ist ihre einige Leidenschaft. Mich dünkt, sie sollte sich besser zur Nonne als zur Königin schicken, gleichwohl habe ich nie jemanden heftiger wider den Klosterstand sprechen hören als sie. Ueberhaupt äußert sie ganz andre Meynungen, als uns von unsern Lehrern eingeprägt werden, vieles, das sie sagt, gefällt mir unendlich, und ich wollte wohl, daß es wahr wäre. Diese Dinge müssen in ihren Büchern stehen. Elise hat sie auch gelesen, und spricht mit Entzücken davon. Auch mir sollen sie mitgetheilt werden, wenn ich gesetzter bin und [95] besser schweigen kann, denn all dieses wird sehr heimlich behandelt.

Daß ihr Alverden von Merode dem Heinrich von Calatin entrissen und uns geschenkt habt, dafür sagen wir alle drey, die Gräfin und wir, den herzlichsten Dank; sie ist uns schon sehr lieb geworden, und lebt mit uns, ohne Rücksicht auf Standesunterschied, an welchen uns die Nonnen, denen die Aufsicht über uns befohlen ist, zuweilen erinnern, völlig auf schwesterlichem Fuß. Sie scheint mehr Zutrauen zu uns zu haben, als zu euch, denn sie hat uns schon die Mittheilung ihrer Geschichte versprochen, die ihr freylich auch erfahren sollt.

Die verwirrten Händel von unserm und dem römischen Hofe verstehe ich nicht, mag mir auch den Kopf nicht damit zerbrechen, meine Schwester, die über ihrem Briefe so emsig ist, daß sie den meinigen nicht lesen will, wird euch schon vernünftiger über diese Dinge schreiben, als ich es könnte. Gott bewahre nur euch, unsern Vater, und den Grafen von Wittelsbach für Unglück, so wird schon alles gut gehen.

[96]
Kaiser Philipp an den Pabst
Kaiser Philipp an den Pabst. 5
1207.

Die gelegenste Zeit, einem entfremdeten Freunde zur Aussöhnung die Hand zu bieten, ist die, da er selbst die Unannehmlichkeiten des Zwists zu fühlen und zu wünschen beginnt, Geschehenes möchte ungeschehen seyn; diese Zeit ist, nach einigen Aeußerungen, die man uns aus eurem Munde gemeldet hat, bey euch gekommen, und ich eile, sie nicht zu versäumen.

O Lothar, waren wir auch je Feinde? was entzweyte uns? Kleinigkeiten! – Wohl, so ist es billig, daß euch eine Kleinigkeit, ein vortheilhaft gesprochenes Wort, ein günstiger Rückblick auf vergangene Zeiten uns wieder aussöhne. Ihr wißt selbst, ihr gebrauchtet auch einst selbst dieser Worte gegen mich: alle wichtigere Streitigkeiten, die unter uns vorfielen, waren nicht unsere Sachen, war die Sache der Kirche und des Reichs, laßt uns diese vergessen, und wieder die alten Freunde seyn!

Haben wir euch und die heilige Kirche auf eine Art beleidigt, die ihr nicht ungeahndet vergessen[97] könnt, wohlan so verstehen wir uns zu jeder Genugthuung, die die Versammlung der deutschen Fürsten und das Kardinalskollegium vereint uns zusprechen werden. Erhielten wir ähnliche Beleidigungen von euch, so überlassen wir, mit Entsagung jeder Genugthuung die Sache Gott und eurem Gewissen, weil wir überzeugt sind, daß ihr hier nicht von Menschen gerichtet werden könnt.

Voll Vertrauen auf die ehemals beschworne brüderliche Treue, und noch mehr auf die Vaterliebe, auf welche wir als ein treuer Sohn der Kirche Anspruch machen können, erwarten wir eure Entscheidung; ihr werdet uns wenigstens denn nicht die Rückkehr eurer Zuneigung versagen, wenn ihr die neuen Beweise unseres christlichen Gehorsams gegen die Gebote der Kirche und unserer herzlichen Ergebenheit gegen euch gesehen haben werdet.

Pfalzgraf Otto von Wittelsbach an Adolf, Grafen von *** [1]
Pfalzgraf Otto von Wittelsbach an Adolf,
Grafen von ***.
1207.

Du säumst auf meine Einladung zu kommen, säumtest nun schon Jahrelang, und gleichwohl [98] habe ich Post, daß du längst dein Vaterland verlassen hast, um, wie Evert von Remen, dein Freund versichert, zu mir zu kommen; wo magst du verweilen? Ist dir ein Unglück begegnet? hat sich dein Herz gegen mich geändert? oder was ist sonst die Ursach deines Zögerns?

Die Unruhe, wegen welcher ich deine Anwesenheit so sehnlich verlangte, ist gehoben, meine gute Meynung von dem Vater meiner Verlobten ist wieder hergestellt, mag doch der Anschein wider ihn seyn, ich kann ihn nicht für schuldig halten; der Friedensengel, Irene, verbürgt sich für ihn. Also wenn du kommst, keine von den Nachforschungen, die ich dir aufzulegen dachte; Philipp muß unschuldig seyn, ich will nicht, daß mir die Augen über das Gegentheil geöffnet werden. Könnte ich meinen Vertrauten, den Bischof von Sutri, um einer Ursach willen hassen, so wär es wegen der hartnäckigen Zweifel, die er wider das was ich glauben will, einzustreuen weiß, wegen des verdächtigen Stillschweigens, das er beobachtet, wenn er sieht, daß ich seinen Reden kein Gehör geben will.

Sutri ist sonst ein treflicher Mann, um seinetwillen mußt du herüber kommen, ich habe ihm von dir gesagt, habe ihm versprochen, ihn [99] mit dir bekannt zu machen, er weiß alles von dir, nur deinen wahren Namen nicht, diesen glaubte ich ihm verschweigen zu müssen, weil ich deinen Willen nicht wußte, und aus diesem Grunde bitte ich dich nochmals, dich unter irgend einer angenommenen Benennung zu verstecken; du hast ja Schlösser und Burgen genug, nach welchen du dich, ohne die Wahrheit zu beleidigen, nennen kannst. Wird denn dein Herz zu jener Vertraulichkeit bewogen, die ich gegen ihn hege, so ists noch allemal Zeit, dich ihm zu entdecken, und diese Zeit wird, wie ich vermuthe, bald kommen. Sutri weiß einem jedes Geheimniß aus dem Herzen zu stehlen, ich selbst habe ihm mehr gesagt, als ich glaubte je einem Menschen sagen zu können, mehr als ich vielleicht gesollt hätte; doch es geschah unter dem Siegel der Beichte! – O Gott, daß alle Geistliche ihm gleichen möchten! jeder Mensch dürfte denn ohne Scheu ihnen sein Herz öffnen, aber ich komme jetzt von Rom mit neuen Erfahrungen, wie ungleiche Brüder er in seinem Stande hat.

Laß dir alle diese Dinge genauer berichten, sie sind umständlicher Erzählung wohl werth.

Als Gesandter Kaiser Philipps kam ich nach Rom. Philipp hatte eigenhändig an Sankt Peters Nachfolger ein Schreiben verfaßt, das [100] ich nicht geschrieben haben würde; es athmete nichts als Zuneigung gegen den, welchen er hassen muß, nichts als Unterwerfung gegen den, welchen er, dächte er wie ich, billig die Stirn bieten sollte; es war in aller Absicht zu süß, als daß man seinem Inhalt trauen konnte, und vielleicht ward das Mißtrauen, welches es erregte, der Grund zu einem Verfahren, das mir sonst doppelt teuflisch vorkommen würde.

Mit Entzücken laß der heilige Vater Philipps Schreiben, ich sah es ihn mehr als einmal an seine Lippen drücken, und hörte Worte von ihm, wie ich sie etwa gegen dich beym Wiedersehen, auf welches ich so sehnlich hoffe, führen könnte. Und eben dieser Mann konnte mir an dem nehmlichen Tage Anträge thun lassen, vor welchen ich zurückschaudre! Sie geschahen nicht in seinem Namen, aber wie konnte man ihn in denselben verkennen?

Himmel! man konnte es wagen, Otten von Wittelsbach, dem Verlobten der Tochter Philipps, dem Mann, der gegen ihn, er mag nun übrigens von ihm halten was er wolle, die Pflichten eines Sohnes hat, man konnte ihm zumuthen, sein Gegner zu werden, die Hand nach der Krone auszustrecken, die er trägt, den Stuhl noch mehr zu untergraben, der ohnedem nur allzuoft schwankte! Es scheint, man glaubt [101] Herzog Otto sey ihm nicht genug gewachsen, oder man findet in ihm nicht das, was man erwartete, oder was sonst die Dinge seyn mögen, welche den schwärzesten aller Anschläge veranlaßten. Ich fühlte die Beschimpfung, die ich in der Zumuthung, an Philipp treulos zu werden, erlitt, und antwortete dem gemäß; ein höhnisches Lächeln war die Erwiederung meiner Rede.

Der Pfalzgraf Otto handelt sehr weislich, sagte der Mann, den man an mich abgesandt hatte, dem so treu ergeben zu seyn, der gegen ihn keine Treue kennt, und dagegen durch bittere beleidigende Aeußerungen denjenigen zu reizen, welcher sein Glück sucht und es zu befördern wissen würde. Vielleicht wird er bald einige Proben sehen, wie der Philipp gegen ihn gesinnt ist, für den er sich aufopferte.

Der Pabst war lauter Huld, als ich meine Abfertigung erhielt, in dem Briefe, welchen er mir für den Kaiser überreichte, sollte, wie er mich versicherte, alles enthalten seyn, was dem Reiche Frieden, dem Kaiser Glück, und auch mir neue Freude und genauere Kenntniß meiner Freunde bringen würde. Ich lasse es dahin gestellt seyn! dieser vielsagende Brief ist bereits an den Kaiser übergeben; außerordentliche Dinge mochte er wohl enthalten, ich sah es an dem[102] öftern Farbenwechsel auf Philipps Gesicht, und an der Miene, mit welcher er einigemal die Augen auf mich heftete. Es lag ein Zug von Mitleid in derselben, der mich beleidigte, und mich ehe aus dem Zimmer trieb, als ich es eigentlich hätte verlassen sollen. – Sollte man mich vielleicht bey Philippen zu verleumden suchen? ein solcher Streich von Rom unter dem Deckmantel der Freundschaft wär nichts ungewöhnliches; mich würde er indessen wenig rühren. Dem biete ich Trotz, der etwas nachtheiliges auf mich bringen könnte, welches den mindsten Schein der Wahrheit hätte!

Ich habe seitdem mit niemand gesprochen, auch habe ich mit niemand zu sprechen gesucht; die Sache macht nicht den Eindruck auf mich, daß ich Erläuterung ängstig suchen sollte.

Nach Rom
Nach Rom.
1207.

Die Dinge, welche der Bischof von Sutri unter dem Siegel der Beichte von Pfalzgraf Otten erfahren hat, bestättigen sich: es ist gewiß, daß seit Karl des Großen Zeiten in Deutschland ein heimliches Tribunal besteht, das alle [103] todeswürdige Verbrechen ausfindig zu machen, und zur Strafe zu ziehen weiß, es ist zum Erstaunen, daß in so langen Jahren noch keiner von den tausenden, welche theils als Richter, theils als Beysitzer an diesem verborgenen furchtbaren Gericht Theil haben, gegen Beichtiger oder Freund von diesen heimlichen Dingen so viel verrieth, als uns auf die Spur leiten konnte, die uns jetzt der Entdeckung des Ganzen so nahe bringt. Die Winke, die der Bischof von Sutri von seinem Beichtsohn erhielt, sind klein, aber sie haben zu größern Aufklärungen geführt; der Pfalzgraf ist nur einer von der niedern Klasse der Wissenden, wir haben Personen unter unserer geistlichen Heerde, welche höher stehen, und von welchen man mehr erforschen kann. In den nächsten Tagen wird an dem kaiserlichen Hofe ein gewisser Alf von Dülmen erscheinen – (sein wahrer Name hat noch nicht erforscht werden können) – welcher Pfalzgraf Ottens vertrauter Freund ist, und der eine hohe Stufe in dem heimlichen Gericht begleitet. Er ist unterwegens in unsern Händen gewesen, aber alle Künste – Gewalt wollte man nicht brauchen, – sind nicht im Stande gewesen, mehr aus ihm zu bringen, als die Gewißheit, daß bey der Versammlung, die nächstens zu Pamiers gehalten werden soll, sich mehrere der Richter [104] und Beysitzer jenes Tribunals, vielleicht auch der oberste Stuhlherr, wie sie ihn nennen, sich unter verdecktem Namen einfinden werden. Es ist hochnöthig, daß man jetzt alle Anschläge zu Philipps Sturz und des kühnen Wittelsbachers Untergang auf die Seite setze, und einen schlauen Kopf nach Pamiers sendte, sich über Dinge zu unterrichten, die der Kirche zu wissen Noth sind.

Welcher Vortheil für sie, besonders in diesen kezerischen Zeiten, da das Unkraut der Waldenser und Albigenser sich immer mehr ausbreitet, wenn man die Gewalt dieses Tribunals an sich reißen, oder, da nach dem was wir erforscht haben, dieses unmöglich scheint, nach Maaßgabe dieses weltlichen Gerichts ein geistliches errichten könnten, welches die Macht und Allwissenheit des ewigen Richters auch seine wundervolle Einrichtung nachahmt, jedes Geheimnisses spottet, und das Verbrechen aus der tiefsten Dunkelheit zur Strafe zu ziehen weiß. Unser Herz wallt, unsere Hand zittert, da wir dieses schreiben, die Begeisterung zeigt uns in der Folgezeit Möglichkeiten, die auf diese einige Entdeckung gebaut, die Macht und Allgewalt der Kirche unumschränkt machen, und ihren Scepter über die ganze Erde verbreiten würden.

[105]
An den Bischof von Kastilien
An den Bischof von Kastilien.
1207.

Wir hören, daß euer König nächstens Anstalt machen wird, die Braut seines Sohns aus Frankreich abholen zu lassen. Versäumet nicht unter den Abgesandten zu seyn, und euch zu Pamiers einige Zeit lang aufzuhalten; es werden sich Personen daselbst einfinden, welche Dinge von Wichtigkeit mit euch zu bereden haben. Richtet besonders eure Aufmerksamkeit auf einen gewissen Grafen von Segni, dessen wahren Namen ihr vielleicht errathen könnt.

Hättet ihr unter der mittlern Klasse eurer Geistlichen irgend einen fähigen Kopf, durch welchen sich Dinge, bey welchen kein Großer die Hand sichtbar im Spiel haben darf, ausrichten ließen, so vergesset nicht, ihn mit euch zu bringen, wir werden in Zukunft Leute dieser Art genug nöthig haben.

Auf die Braut eures Prinzen habt ein wachsames Auge, man sagt, sie solle von dem verderblichen Gift des Peter Waldus angesteckt seyn, und sich erkühnen, die heiligen Bücher, welche er durch eine verwegene Uebersetzung unter die Layen gebracht hat, nicht allein zu lesen, sondern auch andern mitzutheilen. Muß [106] denn eben sie Königin von Kastilien werden? – Es giebt Prinzeßinnen, mit welchen wir unsere Absichten besser erreichen können.

Die Kaiserin Irene an ihre Töchter
Die Kaiserin Irene an ihre Töchter.
1207.

Kommt zurück, meine Kinder, in das Haus eures Vaters, eine doppelte Nothwendigkeit erfordert es. Dein Brief, Beatrix, enthält Dinge, welche mich fürchten lassen, die Gesellschaft der kastilischen Braut könne euch gefährlich werden; schon aus dieser Ursache würde ich geeilt haben, euch wieder in meine Arme zu rufen, wo kein Gift der Ketzerey eurem Glauben, keine Freyheit, die königlichen Jungfrauen nicht ansteht, eurer Tugend droht, aber es haben sich außerdem noch hier Begebenheiten ereignet, welche mir würklich eure Hülfe, besonders die deine, meine Elise, nöthig machen.

Schon längst merkte ich, daß man deinem Vater die Freundschaft des edeln Pfalzgrafen Otto beneidete, ich könnte dir von schrecklichen Versuchen, ihn von uns abwendig zu machen, schreiben, doch ich schone dein Herz, du bist zu jung, um durch frühzeitige Erfahrung von der [107] Bosheit der Menschen die Welt hassen zu lernen, in welcher du noch eine Zeit lang zu leben hast. Die neuesten Mittel die man gebraucht hat, den treflichen Wittelsbacher in unsern Feind zu verwandeln, kann und darf ich dir nicht so verschweigen, sie liegen zu klar am Tage, als daß sie verborgen bleiben könnten.

Ein Antrag vom Pabste, ein Brief, den der unschuldige Otto selbst überbringen mußte, ladet deinen Vater ein, die dem Pfalzgrafen Otto versprochene Braut, deine Schwester Kunigunde, ihm zu entreißen, und sie Graf Richarden, des Pabsts Nepoten zu geben. Kannst du die Antwort errathen, welche darauf erfolgt? – Sie heißt Ja! – O Gott! der gerühmten deutschen Treue, dem heiligen unverletzlichen Kaiserwort zum Trotz heißt sie Ja! – Der Pabst hat seine Huld zum Preis dieses Ja gemacht. – Stelle dir das Wüthen des Pfalzgrafen, stelle dir meine Verzweiflung vor!

Nach deiner Schwester Kunigunde frage nicht; sie willigt lächelnd in das was der Pabst und der Kaiser wünschen; o Beatrix, du wußtest was niemand bekannt war; ihr Herz spricht für Richarden, nur Mangel an Hoffnung diesen je zu erlangen, trieb sie in Ottos Arme, den sie nie wahrhaftig liebte. Es ist schändlich, einen deutschen Mann all diese Zeit über[108] so geäfft zu haben; und doch auf diesen Theil der ganzen fatalen Geschichte, der eigentlich meinem Herzen, das sich an Kunigundens Stelle schämt, der kränkendste ist, doch eben auf diesen baue ich die Möglichkeit, den Pfalzgrafen, den ich uns nicht rauben lassen will, aufs neue an uns zu fesseln. Es ist unmöglich, daß der stolze biedre Otto einer Person länger achten kann, die es nie redlich mit ihm meynte, auch gesteht er selbst, daß der Eindruck, den Kunigundens Schönheit anfangs auf ihn machte, durch genauere Kenntniß ihres Charakters längst geschwächt ist, daß er hier mehr über die erlittene Beschimpfung als über die verlohrne Braut zürnt, daß er vielleicht selbst die Hand von ihr zurückgezogen haben würde, wenn die Anhänglichkeit an das einmal gegebene Wort nicht die Ueberzeugung aufgewogen hätte, daß er mit einer Person von ihrem Charakter nicht glücklich seyn könne!

Auf dieses Geständniß gründe ich einen Plan, den du, meine Tochter, mir ausführen helfen sollst. Elise, zürne nicht mit deiner Schwester, daß sie deine Geheimnisse verrathen hat. Beatrix hat mir gesagt, daß du Pfalzgraf Otten liebst, komm herüber, und zeige dich ihm in allen deinen Vorzügen, er wird auch dich lieben, und durch dich unser Sohn werden. Der Kaiser, welcher den Wittelsbacher so ungern verlirt [109] als ich, er, der sich nur durch Staatsklugheit gezwungen glaubt, ihm sein Wort zu brechen, suchte ihn schon anfangs durch etwas zu beruhigen, das mich seine Einwilligung hoffen läßt. Pfalzgraf, sagte er, ich habe mehr Töchter!

Ich habe seit der Zeit mit ihm von dir gesprochen, er willigt in eure Zurückberufung, und hat mir gestanden, daß er dich vielleicht gleich anfangs für den von Wittelsbach bestimmt haben würde, hätte er deine Neigung zum Kloster nicht für entschieden gehalten, der Pfalzgraf scheint das nehmliche von dir gedacht zu haben, und aus einem meiner letzten Gespräche mit ihm, schöpfe ich die Vermuthung, daß nur die Ueberzeugung, du seyst eine Verlobte des Herrn, ehemals seine Augen von dir auf Kunigunden, (die bereits zu ihrem Bräutigam nach Rom gesandt worden ist), lenken konnte. –

Ich bitte dich, Elise, laß keinen unzeitigen jungfräulichen Stolz, keine unnöthigen Bedenklichkeiten dich vom Gehorsam ablenken, du schenkst deiner Mutter die Ruhe, deinem Vater einen wichtigen Freund wieder, wenn du den Pfalzgrafen für uns erhältst, und wie groß wird dein eigenes Glück an der Seite eines solchen [110] Mannes seyn, den du bereits liebst, und der dich, sobald er dich kennt, lieben wird.

Dir, Beatrix, habe ich nichts zu sagen, du bist klug und gutdenkend genug, zu wissen, wie du dich in Gegenwart des Mannes zu betragen habest, der für dich bestimmt ist; verspare den Schimmer all deiner Vorzüge für den jungen Herzog von Braunschweig, – (es wird mir schwer, ihm den Kaisernamen zu geben, den ihm alle Welt, deinem Vater zum Trotz beylegt) – du hasts errathen, für diesen Prinzen bist du bestimmt, und du siehst wohl, welche Vortheile die Verbindung mit ihm, uns und dem Reiche bringen wird; doch all dieses liegt noch weit in der Zukunft, er kennt dich so wenig als du ihn, Glück und Gelegenheit muß euch erst wieder zusammen bringen.

Die Jungfrau Alverde darf nicht mit euch nach Hofe kommen, ich seh es gern, wenn sie sich unter das Gefolge der kastilischen Braut begäbe, damit sie dem Kalatin ganz aus den Augen käme. Ich hasse diesen Menschen mehr als ich fast vor dem Richterstuhl der Billigkeit verantworten kann; Leichtsinn und etwas Ausgelassenheit nach Art der heutigen Hofjünglinge ist ja das einige was man noch zur Zeit auf ihn bringen kann. – Um mein Urtheil über ihn mehr zu berichtigen, wünschte ich sehr, etwas [111] von Alverdens Geschichte zu wissen. Hat sie sie euch noch nicht mitgetheilt, so veranlaßt, daß sie dieselbe schriftlich verfasse, und euch zuschicke, denn eure Abreise darf um keiner Betrachtung willen einen Tag verschoben werden.

Evert von Gemen an Adolf Grafen von ***
Evert von Gemen an Adolf Grafen von ***.
1207.

Mehrere Monate sind vergangen seit du dein Vaterland und mich verliessest, und von dieser Zeit an, folgen dir meine Boten überall, dich aufzufinden, und wo möglich zurück zu bringen, keiner kann deine Spur treffen, und ich muß glauben, die Unglücksahndung, die mich bewog, mich dieser letzten mehr als allen deinen vorhergegangenen geheimen Reisen zu widersetzen, sey bereits eingetroffen.

Ach meine Stimme wird dich nicht mehr von dem Rande des Abgrundes zurückreißen können, aber ich muß meinem Herzen Luft machen, muß das aufs Papier aushauchen, was an meinem Herzen nagt, und mir dabey die Möglichlichkeit denken, es könne einst in deine Hände [112] kommen; vielleicht wird dies mich beruhigen, in diesen schrecklichen Augenblicken, da ich alles verlohren habe.

Dem Grafen von Wittelsbach will ich diese Blätter zuschicken, Unglück macht uns auch mit Unbekannten vertraut, ich kannte diesen Mann nie anders, als aus dem Gerücht, aber ein abgerissener Zettel mit einigen unzusammenhängenden Worten, den ich in einem Kabinet deines verödeten Schlosses fand, nannte seinen Namen, ich dachte mir es möglich, du, den ich seit einigen Jahren in so manchen mir unbegreiflichen Verhältnissen mit zuvor nie gesehenen Personen fand, du könntest auch mit ihm in Verbindung stehen, und ich entschloß mich, ihm fragend von dir zu schreiben. Ich habe Antwort von ihm, aber sie tröstet mich nicht, Pfalzgraf Otto scheint dich zu kennen und zu lieben, wie ich, scheint um dich Trotz mir bekümmert zu seyn, und eben so wenig als ich errathen zu können, was aus dir geworden sey.

Er bekennt, daß er dich zu dieser Reise veranlaßt, daß er schon vor einigen Jahren von dir gefordert habe, sie unter verdeckten Namen zu unternehmen, und ich kann nicht sagen, daß er mir um dieser Entdeckung willen lieber ist. Wegen des Entzwecks der dir ausgesonnenen Reise, [113] läßt er mich in Zweifel: er wünsche dich mit einem seiner Freunde bekannt zu machen, sagt er, mit einem Manne, der noch dazu ein Bischof ist; das danke ihm ein andrer als ich; auswärtige Bekanntschaften haben dich deinem Hause entfremdet, und die Ehre, den Geistlichen in unsern Tagen bekannt zu seyn, wird von so räthselhaften Menschen wie du, oft theurer erkauft. Was mich mit meinen neuen Korrespondenten aussöhnt, ist seine Einladung, dir zu Erleichterung meines Herzens weitläuftig zu schreiben, und ihm den Brief zuzuschicken, weil, wie er sich rühmt, er vielleicht noch am ersten eine Möglichkeit wisse, ihn dir zu Händen zu bringen.

So wende ich mich denn schriftlich an dich, aber alles was ich auf das Papier bringen kann, sind Klagen. O du, der meinem Herzen unter allen Männern am nächsten ist, wollte ich all meine Klagen um und über dich ausathmen, wo sollte ich anfangen? – Nicht von dem Augenblicke, da du dich zuletzt aus meinen Armen losrissest, und dich mit rauhem Ton erklärtest, du müßtest reisen, nein, früher, viel früher heben meine Beschwerden an.

Wir wurden mit einander erzogen, das Glück schien uns so ziemlich auf eine Stufe gesetzt zu haben; dein Vater schien zu seyn, was der meinige war, ein wackerer Ritter von altem [114] westphälischen Adel, nur vom Glück etwas schlechter mit zeitlichen Gütern bedacht, als Konrad von Remen, sein Freund. Dein Vater arbeitete von jeher unter einem geheimen Kummer, der ihn wahrscheinlich zuletzt auf das Krankenbette warf, und dem Tode entgegen führte. Er lag zu sterben, du und ich weinten an seinem Lager, er hieß mich hinausgehen, und behielt blos dich zurück. Was du in jener Stunde von ihm erfahren hast, weiß ich nicht, aber nie habe ich einen Menschen in einer seltsamern Bewegung gesehen als dich, da du dich mir wieder zeigtest.

Kummer über deinen Vater, der eben die Augen zum ewigen Schlafe geschlossen hatte war es nicht allein, es war mehr. Du gingst einige Tage wie im Traume umher, und kaum hattest du die Reste des Entschlafenen zur Erde bestattet als du dich erklärtest, dein Bleiben sey nicht in diesen Gegenden, du müßtest fort, um Plane auszuführen, deren Folgen wir vielleicht bald sehen würden. Deine Schwester, damals ein zehnjähriges Kind, vertrautest du der Aufsicht meiner Eltern, und entferntest dich, entflohest, möchte man fast sagen, ohne daß jemand wußte, wohin du gekommen seyst. Das Geheimnißvolle in deinem Betragen war der erste [115] Bruch brüderlicher Vertraulichkeit, ich fühlte ihn, an dein volles Zutrauen gewöhnt, so tief, wie man gewöhnlich den ersten Anfang eines Leidens fühlt, das man mit der Zeit ertragen lernen muß.

Du kehrtest in nicht allzulanger Zeit als Graf von *** zurück, daß du aus diesem Hause entsprossen warest, daß du die gegründetsten Ansprüche auf die mit deinem großen Namen verbundenen Güter hattest, das durfte niemand bezweifeln, die Leichtigkeit, mit welcher dir alle deine weitläuftigen Besitzungen eingeräumt wurden, bewieß, das deine Rechte höhern Orts anerkannt waren, daß du von einer Macht geschützt wurdest, der sich niemand widersetzen durfte; wer diese Macht war, wußte niemand, man rieth ganz natürlich auf den Kaiser, aber es ließ sich erweisen, daß du nicht nach Hofe gekommen warest, daß du dein Vaterland nicht verlassen, sondern dich all die Zeit deiner Abwesenheit an einem Irgendwo aufgehalten hattest, das niemand kannte.

Von diesem Zeitpunkte an rechne ich eine gänzliche Veränderung deines Charakters, nicht der Moralität desselben, du bliebst gut und bieder, wie du immer warest, aber du hattest die Heiterkeit, den Freymuth verlohren, der bey einem Jüngling von zwanzig Jahren, wie du [116] damals warest, immer mit Herzensgüte und Biedersinn verbunden ist. Du warest von nun an düster und zerstreut in Gesellschaft, ein übertriebener Freund der Einsamkeit, immer beschäftigt, ohne daß jemand wußte, was du triebst, oft abwesend ohne daß jemand errathen konnte, wo du warest, in eine Menge von neuen Bekanntschaften verflochten, die niemand wußte woher sie entstanden; man fand dich oft in Gesellschaft von Leuten, die niemand kannte, die da kamen und verschwanden, ohne daß man wußte wie. Verzeihe mir, Adolf, ich würde dich in Verdacht böser Händel gehalten haben, hätte es sich nicht gefunden, daß Männer vom Range und Tugend die Notiz nahmen, Männer, von denen ich nicht einmal wußte, daß du ihnen bekannt wärest. Ich habe Abgeschickte des Herzogs von Sachsen bey dir gesehen, und ein Gesuch, das einer deiner Freunde bey dem von Braunschweig hatte, wurde durch eine einige Reise von dir erlangt, so wie ein einiges Wort von dir einem Unschuldigen, der in die Hände der Gerechtigkeit gefallen war, die Freyheit brachte. Du warest ein mächtiger Mann, aber wie du es wurdest, und worin eigentlich deine Macht und dein Ansehen gegründet war, das wußte niemand. Du begleitetest weder bey dem Heer noch bey der Regierung eine Stelle, drängtest dich nicht zu den [117] Gunstbezeugungen der Fürsten, hieltest dich in der Stille, und zürntest, wenn man etwas mehr in dir ahndete als du seyn wolltest.

Laß mich die Geschichten all übergehen, welche in die folgenden Jahre fielen, und die mir immer mehr räthselhaftes in dir zeigten, laß mich zu der letzten, zu dem Grund all meiner Klagen übergehen, laß mich dich fragen, was dich bewog, vor nunmehr acht Monaten plötzlich deine Schwester, die in dem Hause meiner Eltern, du weißt es wohl, für mich herangewachsen war, in das deinige zu nehmen, wo sie bey dem beständigen Zufluß von Fremden, der in denselben war, nicht mit Ehren leben konnte, was dich bewog, Tags darauf nach diesem übereilten Schritte, dich zu einer Reise zu erklären, die, wie du selbst gestandest, lang dauern sollte, warum du mir sagtest, du würdest nirgend unter deinem wahren Namen, überall unter dem, Alf von Dülmen, zu erfragen seyn; du weißt den Widerspruch, den all diese Dinge bey mir fanden, und die Antworten, die ich erhielt. Du reistest, allen Warnungen zum Trotz, und nun höre, was aus dieser Reise entstanden ist. Der Bischof von Bremen, welcher längst ein Auge auf deine östlichen Güter hatte, nutzte den ersten Augenblick, da sich deine Abwesenheit nicht mehr verbergen ließ, sich derselben [118] zu bemächtigen, ich machte mich auf, Gegenvorkehrungen zu treffen, und mußte den guten Fortgang, mit welchem ich dem Unheil steuerte, durch ein andres Unglück erkaufen, das dein Haus in meinem Abseyn betroffen hatte. Deine Schwester, die in deinem von seinem Herrn verlassenen Schloß freylich nicht so gut aufgehoben war, als in dem Schooß meiner Mutter, war durch jenen Peter von Kalatin, den du immer, mir zum Trotz um dich duldetest, davon geführt worden. Ich setzte ihr nach, ein Sturz vom Pferde brachte mich in den Zustand, in welchem ich schon mehrere Wochen das Bette gehütet habe, und aus welchem ich mich jetzt nur empor richte, um mir es lebhaft zu denken, daß ich dich und Alverden verlohren habe, daß während meiner Krankheit, da meine Leute blos um mich besorgt waren, auch die Spur verlohren ging, nach welcher ich die Geraubte wiederfinden könnte. Dich selbst kann ich weder nach deinem würklichen, noch nach dem Namen, Alf von Dülmen, ausfündig machen, und meine letzte Hoffnung steht noch auf den Grafen von Wittelsbach, zu dem mich, wie gesagt, ein in deinem Kabinet gefundner abgerissener Zettel hinleitete.

O Alf von Dülmen, (denn diese fremde Benennung schickt sich am besten für den, der [119] mir so ganz fremd geworden ist,) was soll aus diesen Räthseln werden! Ich muß glauben, du und Alverde habt euch gutes Willens so von mir losgemacht, daß ich nie wieder etwas von euch hören soll; ist dieses, denn gute Nacht Vaterland! ich habe nichts mehr, das mich an dich fesselte, das letzte noch übrige heiligste Band ward diese Nacht gelößt: meine Mutter, welche seit Alverdens Verlust schwer darnieder lag, ist nicht mehr, ich bin von nun an hier ein Fremdling, der, da er keine Freunde mehr hat, auch künftig keine Heimath hier haben will. Verfließet noch eine festgesetzte Zeit, ohne Nachricht von dir und Alverden, so verkaufe ich alles, was ich hier besitze, nehme das Kreuz, und wallfarthe nach dem heiligen Grabe, nicht auf Monate und Jahre, nein auf Lebenszeit; andere tragen ihre Sündenlast an die heilige Stelle, ich will die Last meines Kummers dorthin schleppen, ob es mir am Herzen leichter werden möchte.

[120]
Der Graf von Segni an den Bischof von Sutri
Der Graf von Segni an den Bischof von Sutri.
1207.

Wir haben allerdings Ursach, euch wegen der Treue zu danken, mit welcher ihr uns gewisse Dinge gemeldet habt, welche uns nützlich werden können, indem sie uns Anlaß geben, da tiefer zu forschen, wo uns noch nicht alles enthüllt ist; ihr würdet indessen irren, wenn ihr wähntet, ihr hättet ganz etwas neues unerhörtes gethan; indem ihr uns auf jene Macht aufmerksam machtet, die durch ganz Deutschland im Verborgenen herrscht; wir haben sie an ihren Würkungen erkennen können, wenn wir auch nicht im Stande waren, wie wir vielleicht nun bald seyn möchten, ihr Inneres ganz zu zergliedern.

Die Geschichte seit Karl des Großen Zeiten ist voll von Ereignissen, die selbst uns unerklärbar waren, Verbrechen, welche in die tiefste Nacht gehüllt schienen, wurden, man wußte nicht wie, ans Licht gezogen; sie fanden ihre Vertheidiger, aber gesetzt auch, daß sie vor allen Richterstühlen losgesprochen wurden, so entgingen sie doch einen heimlichen Rächer nicht, dessen blutige Fußtapfen niemand in der Dunkelheit [121] erkennen konnte. – So wie auf der einen Seite die Strafe schnell auf jedes unablösliche Verbrechen folgte, so ward auf der andern Seite die gekränkte Unschuld, man wußte nicht wie, gerechtfertigt, Gewaltthätigkeiten wurden abgestellt, unrechtmäßiges Eigenthum seinem Besitzer entrissen, und dem wahren Eigner mit gränzenloser Macht wieder zugestellt; dieses und viel andre Dinge sahen und fühlten wir, wie hätten wir nicht längst auf das fallen sollen, wovon ihr euch stolz genug rühmt, uns den ersten Fingerzeig gegeben zu haben, und eure Forderungen derhalben bis zum Unbescheidenen ausdehnt.

Hätte uns nichts über diese Dinge, von welcher ihr zuerst die Decke genommen zu haben glaubt, die Augen öffnen können, so wär es die Geschichte des Grafen Adolf von *** die so ganz in unsere Zeiten fällt, daß wir nicht leugnen können, sie mit eigenen Augen gesehen zu haben; und blind müßten die Augen gewesen seyn, hätten sie hier nicht eine verborgene Macht entdeckt, welche alles regierte, und das Unmögliche möglich machte, stumpf müßte unser Verstand gewesen seyn, hätte er uns nicht die Möglichkeit geschildert, diese Macht könne der heiligen Kirche einst nachtheilig werden, wie [122] sie es denn z.B. in der Geschichte Graf Adolfs schon geworden ist.

Ueberlegt euch selbst diese Begebenheiten, von welchen ihr zum Theil Zeuge gewesen seyd. Der Erzbischof von Bremen, und der von Münster nebst einigen andern Herrn hatten sich in den Besitz der Güter des Vaters Graf Adolfs gesetzt, welcher sein Recht vor keinem Richterstuhle erlangen konnte, und in den Gegenden, wo er ehedem geherrscht hatte, als ein gemeiner Edelmann lebte. Er starb, und auf einmal sahen wir seinen Sohn unter dem Namen seiner Vorfahren auftreten, seine Güter wurden ihm ohne Schwerdschlag herausgegeben, denn die mächtigsten Fürsten, die selbst zum Theil ihre Ohren vor den Bitten seines Vaters verschlossen hatten, verwendeten sich für ihn, man wollte sich seiner wachsenden Größe hier und da widersetzen, aber seinen Gegnern wurden die Hände gehalten, eine allgemeine Furcht bemächtigte sich ihrer, Graf Adolf kam immer mehr empor, und würde vielleicht noch jetzt nicht zu steigen aufhören, wenn man nicht – –

Doch dieses sind Dinge, welche nicht hieher gehören, wir halten es indessen für nöthig, weil wir einmal dieses Grafen erwehnt haben, auch noch einige Worte seinetwegen zu sagen; ihr meldet in einem eurer geheimen Schreiben [123] eines Freundes, welchen Otto von Wittelsbach in Westphalen haben, und den er auf euren Wink gesonnen seyn solle herüber zu rufen; andre Schreiben sagen uns, dieser Freund nenne sich Alf von Dülmen, und werde nächstens am kaiserlichen Hofe eintreffen; uns ist daran gelegen, genau zu wissen, ob dieser Alf von Dülmen mit Graf Adolfen eine Person sey, Muthmaßung davon haben wir bereits; auf unsere Veranlassung ist Graf Adolf aus seinen Landen verlockt worden, durch Nachlässigkeit unserer Agenten ging seine Spur perlohren, aber wir glauben ihn unter den Namen Alf von Dülmen wieder in unsern Händen gehabt zu haben; die Art Leute, zu welcher er sich zählt, ist unerforschlich, wir konnten mit List und Gewalt bey weiten nicht alles von ihm erpressen, was uns zu wissen noth ist, solltet ihr hierinn glücklicher seyn, denn erst würdet ihr verdienen, was ihr schon verdient zu haben glaubt; strengt all euren Fleiß, all euren Scharfsinn an, durchzudringen, und denkt, daß der Kardinalshut euer Lohn seyn wird.

[124]
Der Graf von Segni an den Bischof von Kastilien
Der Graf von Segni an den Bischof
von Kastilien.
1207.

Wir sind nun beyde zu Pamiers, aber die Klugheit will es, daß wir uns weder kennen noch Gemeinschaft mit einander haben, daher sey das, was uns beyden zu wissen noth ist, der Feder oder dem jungen Dominikus Gutzmann vertraut, doch der ersten noch mehr als dem letzten; der junge Mensch besitzt zu viel tugendhafte Schwermerey, als daß er mit allem zufrieden seyn könne, was hier nöthig ist; sein Feuereifer für die Wahrheit, sein Ehrgeitz müssen genutzt werden, ohne daß man ihn überall das Ganze durchschauen lasse. –

Gesegnet sey die Reise nach Pamiers! sie hat uns großen Vortheil gebracht, und wir sehen uns nun im Stande darauf fort zu bauen, was Pabst Lucius der Dritte bereits einigermaßen angefangen hat.

So wie die Christenheit bisher unter dem verborgenen Scepter weltlicher unbekannter Richter lebte, so beuge sie sich nunmehr vor einen geistlichen 6 heimlichen Gericht, die Erde säubre [125] sich auf diese Art von dem untilgbaren Unkraut der Ketzerey, und das Feuer reinige das Gold des Glaubens von den Schlacken, die wir nun erst überall wo sie verborgen liegen, auszuspähen im Stande seyn werden.

Es kann dem jungen Dominikus sein Gesuch zu Stiftung eines neuen Ordens so wenig abgeschlagen werden, als wir es dem frommen Johann Bernardon abgeschlagen haben; er errichte einen Predigerorden zu Bekehrung der Ketzer, und sende, so wie jener thut, seine Jünger aus in alle Welt, sie dem Glauben unterwürfig zu machen. Diese Leute werden unsere Augen und Ohren seyn, die uns zu jener Allwissenheit verhelfen, deren sich die furchtbaren Richter vermittelst der zahllosen Mitglieder ihres Gerichts rühmen; wir haben sie nun erst ganz kennen gelernt, und uns zum Vorbild gewählt; es ist Schande, daß wir von den Weltlichen in solchen herrlichen allgemein nützlichen Dingen ein Muster nehmen sollen; aber wir hoffen, wenn wir unser Original in der Nachbildung übertreffen, dennoch vor ihm den Preiß zu gewinnen.

Laßt uns aber bey Erreichung dieses grossen Entzwecks auch einige Nebendinge nicht versäumen; unsere billigen Beschwerden über Kaiser Philippen sind, wozu uns auch äußerlich [126] die Staatsklugheit nöthige, noch nicht vergessen; fast gleichen Antheil an unserm Haß hat Otto von Wittelsbach, der kühne Mann, der uns durch Briefe und stolze Worte zu schmähen wagte. Zu ihnen gesellt sich ein Dritter, Graf Adolf von ***, den wir wegen widerrechtlicher Anmaßung geistlicher Güter billig hassen; er schwärmt, so hat der Bischof von Sutri endlich durch seine Nachforschungen gewiß gemacht, nachdem ihn Peter von Kalatin auf unsern Befehl aus seiner Sicherheit aufjagte, unter dem Namen Alf von Dülmen in der Welt umher. Könnten wir doch diese drey auf eine Stelle versammeln, um sie mit einem Schlage desto gewisser zu treffen! könnten wir doch einen durch den andern fällen! es ist billig, daß ein Gottloser der Henker des andern sey, und die Hände der Heiligen Gottes rein erhalten werden!

Diesen Otto von Wittelsbuch mit Philippen zu entzweyen, scheint eine Unmöglichkeit zu seyn, seine Treue für ihn ist felsenfest, er verschmerzt ihm zu Liebe, was sonst nie ein Deutscher verschmerzte, Wortbruch und Beschimpfung.

Doch Otto kann sich leicht Kunigunden rauben lassen, da die schöne Elise ihm zu Theil wird, o ließ sich auch dieses neue Band zerschneiden mit welchen Philipp ihn an sich zu fesseln sucht! Elise hätte sich wohl besser zur [127] Königin von Kastilien geschickt als die Gräfin von Toulouse, eine heimliche Anhängerin des verdammten Waldus, eine Leserin verbotener Bücher, die künftige Verfälscherin des rechten Glaubens, der sich, Gott und eurer Vorsicht sey es gedankt, bisher so herrlich an dem Hofe und in den Landen eures Königs erhalten hat.

Der Unbekannte an Alf von Dülmen
Der Unbekannte an Alf von Dülmen.
1207.

Unter diesem Namen, höre ich, habt ihr eure Lande verlassen, und ich halte es für Pflicht, euch darüber zu Rede zu stellen. Euch ist bekannt, daß euch nach den Gesetzen, die ihr beschworen habt, nicht erlaubt ist, den Ort eures Aufenthalts ohne mein Vorwissen zu verlassen, noch viel weniger euren Namen zu ändern, ohne in Angelegenheiten des großen Bundes. Ihr seyd zu Pamiers gesehen worden, was trieb euch dahin, wohin ihr nicht gefordert wurdet? was trieb euch an einen Ort, den ich selbst nicht betreten zu haben wünschte? Ich lernte dort einen Grafen von Segni kennen, welcher Mittel [128] wußte, sich mein ganzes Herz zu eigen zu machen. Bey einer Jagdpartie, die für mich sehr unglücklich hätte ablaufen können, dankte ich ihm mein Leben. Von diesem Augenblick an war er unablässig um mich beschäftigt, er war der einnehmendste Mann, den ich je gesehen habe, meinem Urtheil nach, gleich vortreflich an Geist und Herzen, schon dachte ich auf Mittel, ihn für unsere Verbindung zu gewinnen, als er sich mir als bereits einen der unsern bekannt machte, als einen, der, nachdem was er wußte, schon eine hohe Stufe in dem unsichtbaren Reiche erstiegen hatte. Ich kannte ihn nicht; wie wär es möglich, alle Glieder der endlosen Kette zu kennen, ich kannte ihn nicht, aber ich traute ihm, mußte ihm trauen.

Wir sprachen viel mit einander von dem Innern des großen Bundes, ich zittre über das, was wir mit einander sprachen, da mir hinten nach aus einem einigen Umstande wahrscheinlich wird, daß ich hintergangen ward, daß ein Profaner mir Worte entriß, welche ewig ungesprochen hätten bleiben sollen. Ist dieses, so haben wir einen Verräther unter uns, irgend jemand lehrte ihn die Mittel, nicht allein mich unter meinem verdeckten Namen zu kennen, sondern sich auch auf eine Art, die ich weder muthmaßen, [129] noch vermeiden konnte, in meine Vertraulichkeit einzuschlingen.

Wehe euch, Alf von Dülmen, wenn ihr dieser Verräther seyd. Ich rufe das dreyfache Wehe über euch, und lade euch auf den Tag, den ihr aus der Zahl der Buchstaben errathen werdet, zur Verantwortung. Am nehmlichen Tage soll Gericht über Philipp, den Kaiser, gehalten werden, Gericht über unerhörte Beschuldigungen, die mir von ihm zu Ohren gekommen sind. Laßt Otten von Wittelsbach von diesen Dingen wissen, was er wissen muß, im Uebrigen schweiget.

Alf von Dülmen an den Unbekannten
Alf von Dülmen an den Unbekannten.
1207.

Wohl mir, daß euch euer eignes Beyspiel lehrt, daß bey der höchsten Spannung der Vorsicht Täuschung möglich sey. Kein Verräther bin ich nicht, ich werde nicht ermangeln, mich gehörigen Orts zu verantworten.

Ihr sprecht mit mir aus einem Tone dessen sich kaum unser Oberhaupt Herzog Bernhard bedienen würde. Wehe der Sache der Gerechtigkeit, daß er durch Krankheit verhindert [130] wurde, nach Pamiers zu gehen, und daß ihm das Unglück euch zum Stellvertreter gab, ihn würde kein Graf von Segni mit gleißenden Worten hintergangen haben!

Doch was sage ich? bin nicht vielleicht auch ich hintergangen? Ich verließ mein Land, änderte meinen Namen, kam nach Pamiers nicht anders als auf höchsten Befehl, Peter von Kalatin war der Ueberbringer desselben; sollte auch ich hintergangen seyn, so müßte man sich an ihn halten. Ich erscheine unausbleiblich auf dem bestimmten Tag, gegenseitige Erklärungen werden das Geheimniß enthüllen, mag dann Gericht gehalten werden über wen da wolle, ich weiß, was ich geschworen habe, und halte meinen Arm zur Rache über den Schuldigen fertig, ich weiß, daß ich keinen Höhern über mir erkennen darf, als Gott und die Gerechtigkeit.

Alverde an Irene
Alverde an Irene.
1207.

Ja, meine Kaiserin, ich weiß es, daß ich euch die Geschichte meines kurzen Lebens schuldig [131] bin, die Gnade, mit welcher ihr euch für mich verwendetet, den Schutz, den ihr mir gewährtet, ehe ich noch wußte, daß ich desselben bedürfe, machen mir die Aufrichtigkeit zur Pflicht, auch ists möglich, daß meine eigene Ehre es nöthig macht, daß ich rede, wo Schweigen mir Verdacht bringen könnte.

In einem kleinen nicht unzierlichen Hause einer Landschaft, die ich nicht nennen darf, wenn ich nicht eidbrüchlich werden will, verlebte ich die ersten Jahre meines Lebens, alles was mich umgab, zeigte ehe von Mittelmäßigkeit als Ueberfluß, und sagte mir, was mich mein Vater oft versicherte, daß ich die Tochter eines unbemittelten Hauses sey, deren künftige Aussichten auf Glück in der Welt, sich blos auf Tugend und gute Aufführung gründeten; ich fragte, als ich über das, was man mir vorsagte, nachdenken lernte, was Tugend sey, und mein Vater führte mich in das Haus einer benachbarten Edeldame, die, wie er mich versicherte, mir meine Frage besser beantworten könne, als irgend jemand. Sie ist die Tugend insicht barer Gestalt, sprach er, suche ihr gleich zu werden, so wirst du tugendhaft seyn. – Ich warf mich in die Arme der Frau von Remen, so hieß die Dame, welcher ich vorgestellt wurde, und bat sie, mich doch geschwind zu lehren, wie ich ihr [132] ähnlich werden könnte, weil ich nichts liebenswürdigers kennte als sie, und weil man durch ihre Nachahmung, wie mein Vater versicherte, glücklich würde; Thränen standen der edeln Frau bey meiner kindischen Aeußerung im Auge, vielleicht daß die ungesuchte Schmeicheley, die ich ihr sagte, sie rührte, vielleicht, daß die Ueberzeugung, mit welcher ich Tugend und Glück in meinen Vorstellungen paarte, ihr Erfahrungen vom Gegentheil in den Sinn brachte. –

Ich kannte die Frau von Remen schon lange, sie war die vertraute Freundin meiner Mutter gewesen, und hatte, als diese starb, eine Art von Vorsorge für ihre Hinterlassenen übernommen: meine Mutter hatte es ihr sterbend empfohlen, ihrem Gemahl und ihren Kindern ihren Verlust so viel es möglich zu ersetzen.

Ich war bisher schon oft in dem Hause der guten Dame gewesen, jetzt, da mich ihr mein Vater auf so eine besonders feyerliche Art empfohlen hatte, verließ ich es fast nie. Ich hatte noch einen Bruder, welcher einige Jahre älter war als ich, er ließ sich zuweilen herab, Theil an meinen Spielen zu nehmen, und ich mißte seinen Umgang, den ich von nun an sparsamer genoß, ungern; doch was ich in ihm verlohr, das fand ich in dem Sohne meiner zweyten [133] Mutter, in dem jungen Evert von Remen zweyfältig wieder; er beschäftigte sich mehr und auf weit gefälligere Art mit mir, als mein Bruder Adolf, wie er denn überhaupt mehr einnehmendes in Bildung und Charakter hatte als jener. Mein Bruder war ein wilder stürmischer Jüngling, Evert von Remen sanft, nachgebend und mild, wie seine Mutter.

Einige Jahre, die glücklichsten meines Lebens verflossen auf diese Art, ich war bald bey meiner Pflegmutter, bald bey meinem Vater, ließ mich bald von dem feurigen Adolf zu Beschäftigungen, die ihm behagten, hinreißen, und spielte bald mit meinem jungen Freunde stille Spiele, oder neckte ihn durch kleinen kindischen Muthwillen, denn dieses merkte ich, so jung ich war, gar bald, daß ich aus ihm machen konnte, was mir gefiel; eine Entdeckung, die mir schmeichelte. Evert war der einige unter den Erwachsenen, mit denen ich Umgang hatte, der sich von mir gängeln ließ, der erste und einzige, der mir bald durch kleine Schmeicheleyen, bald durch die gränzenlose Gefälligkeit, mit welcher er sich nach meinen Grillen bequemte, ein Gefühl von meiner Wichtigkeit beybrachte.

Ich hatte das zehende Jahr zurückgelegt, als das Schicksal mir meinem Vater entriß. Meine Pflegemutter, ihr Sohn, mein Bruder [134] und ich umringten sein Sterbelager, um seine letzten Seufzer aufzufassen. Alverde, sagte er, ich verlasse dich, aber du verlierst wenig an mir, da ich dir die Frau von Remen zur Mutter gegeben habe, ich wünsche, das Glück mag auch in Zukunft aus dir machen was es wolle, daß du ganz ihre Tochter werdest; wie das geschehen soll, das wird sie und dein Freund Evert von Remen dir sagen, wenn du älter bist. Umarmt euch, meine Kinder, und seyd glücklich, wenn euch einst festere Bande verbinden!

Evert, der diese Worte vermuthlich besser verstand als ich, küßte mich, und ich weinte. Ich wollte mich darauf wieder an dem Bette meines Vaters niederwerfen, und seine erstarrende Hand ergreifen, aber er bat die Frau von Remen, sich mit mir zu entfernen; sie macht mir das Sterben schwer, sagte er, auch habe ich, ehe ich den Mund auf ewig schließe, noch einige Worte insgeheim mit meinem Sohne zu reden.

Ich folgte meiner zweiten Mutter auf ihr Schloß, und sahe das Haus meines Vaters nicht wieder, als am Tage seiner Beerdigung. Mein Bruder hatte mir nie mehr mißfallen, als in seiner Trauer, die wohlthätigen Zeichen des Kummers, die Thränen fehlten ihm ganz, sein Betragen war nicht Gram, nicht Wehmuth, war Verzweiflung. Er warf sich einmal über das [135] andre auf den Leichnam unsers Vaters, der nun eben beygesetzt werden sollte, sprang denn auf, rang die Hände und schrie: Ach daß diese Augen sich zu frühzeitig schlossen, um bessere Tage zu sehen! daß diese Lippen sich so spät öffneten, mir zu sagen, wo ich ein Glück finden sollte, das nun mein bester Freund nicht mit mir genießen wird! – Niemand verstand diese Worte, aber wir wiederholten sie uns in der Folge oft, und sie wurden für die Frau von Remen, ihren Sohn und mich die Quelle tausendfacher Muthmaßungen, die wahrscheinlich alle ihres Zwecks verfehlten.

Kaum ein Tag war nach der Beysetzung unseres Vaters verflossen, so erklärte mein Bruder, wie er genöthigt sey, eine Reise zu thun, deren Ende und Folgen er noch nicht absehen könnte – Es gehe, wie es wolle, setzte er hinzu, indem er sich zu der Frau von Remen wandte, die Dinge, welche ich vor mir habe, glücken oder sie glücken nicht, so empfehle ich euch meine Schwester, lasset sie in eurem Hause wohnen, lasset sie eures Umgangs, eures Unterrichts geniessen, bis ich sehe, was das Schicksal aus mir machen wird.

Die Frau von Remen nahm mich zu sich, Adolf reiste, aber ich habe vergessen die Zeit seiner Abwesenheit zu messen, weil sich während [136] derselben in dem Hause wo ich als Kind aufgenommen wurde, Dinge zutrugen, die meine Thränen um meinen Vater wieder hervorriefen, und meine ganze Aufmerksamkeit an sich rissen. Der Vater Everts von Remen, der Busenfreund des meinigen starb, ich glaube Gram um den Verstorbenen war es, was ihn demselben so schnell folgen ließ.

An meinem jungen Freunde lernte ich jene Art des Traurens kennen, die mit meinen Gefühlen harmonirte, und die ich an meinem Bruder so sehr vermißt hatte. Evert, immer sanft und gemäßigt, äußerte bey dem Verlust seines Vaters, so tief er ihn fühlte, nichts von Adolfs stürmischem Ungestüm, wir weinten mit einander, wallfartheten zu den Gräbern unserer Verstorbenen, sprachen von ihnen, und fühlten unsere gegenseitige Zuneigung durch das harmonische unserer Empfindungen gestärkt; damals, glaube ich, fühlte ich es zuerst, daß Evert von Remen mir mehr war, als mir je ein Jüngling werden konnte, wir waren einander durch die letzten traurigen Begebenheiten unsers Lebens näher gerückt, mich hatten sie um einige Jahre älter, und weniger leichtsinnig gemacht, und er war durch dieselben wo möglich noch sanfter und liebenswürdiger geworden, als er zuvor war.

[137] Mein Bruder kehrte zurück, aber wer hätte die Art ahnden sollen, wie er zurück kehrte! Das Glück hatte ihn aus einem gemeinen Ritter zum großen Herrn, aus einem unbegüterten Edelmann zum reichen Besitzer großer Ländereyen gemacht. Unsere Vorfahren, das war erwiesen, hatten Ansprüche auf diese Dinge gehabt; mein Vater hatte sein Leben zu Wiedererlangung derselben vergeblich verarbeitet und vertrauert, aber wer Adolfen zu Erlangung so lang unmöglich erfundener Dinge geholfen habe, das konnte niemand errathen.

Ich hielt meinen Freund für den Vertrauten meines Bruders, und befragte ihn um diese Dinge, er zuckte die Achseln und schwieg. Ueber meine Unwissenheit in Ansehung des Grunds eures Glücks, fing er endlich an, wollte ich mich noch beruhigen, wär ich nur ihrer Folgen gewiß. – Wie versteht ihr das, Herr von Remen? erwiederte ich. Wird die Gräfin Alverde, sagte er, die Gesinnungen beybehalten, mit welchen sie mich in ihrem niedern Stande beehrte? – Ich werde immer eure Freundin seyn! sagte ich. Immer Freundin, und sonst nichts mehr? rief er, o Alverde! Euer Verstand übertrifft eure Jahre, ihr solltet wohl wissen, daß ich auf zärtlichere Gefühle hoffen darf. Ich erröthete, und versprach zum Beweis, wie werth ich ihn[138] schätze, jede andere Gesellschaft außer der seinigen zu fliehen, und das Schloß meines Bruders, welches jetzt nie leer von Fremden wurde, nie zu besuchen, als wenn es ganz einsam wär.

Was ich gelobt hatte, das hielt ich eine Zeitlang treulich. Nur ein einziges mal traf sichs, daß ich einen jungen Herrn vom kaiserlichen Hofe bey meinen Bruder fand, als ich ihn ohne Gesellschaft glaubte, es war Peter von Kalatin, und ihr, meine Kaiserin, die ihr ihn kennt, werdet urtheilen, ob es ihm gelang, mich fest zu halten. Anfangs blieb ich aus Achtung gegen meinen Bruder, und aus Furcht durch schnelle Entfernung den Wohlstand zu beleidigen, in der Folge waren es seine Gespräche, die mich fesselten. Hatte Peter von Kalatin die Absicht, meine Entfernung zu hindern, so hätte er den Gegenstand der Unterhaltung nicht glücklicher wählen können; er sprach von euch, gnädige Frau, und euren reizenden Töchtern; die wahren treffenden Züge, mit welchen er euch schilderte, hier beyzubringen, verbietet mir Bescheidenheit und Ehrfurcht; aber so weit die Personen, die ich hier zum erstenmal gleichsam im Bilde sahe, dieses Bild übertreffen, so war es doch reizend genug, den Wunsch nach persönlicher Kenntniß in mir zu erregen.

[139] Ganz von euch erfüllt, kehrte ich zu der Frau von Remen zurück, und enthüllte ihr alle meine Wünsche. Mein Kind, sagte sie, dein Verlangen ist nicht unbillig, dein Stand erfordert es überdem, daß du bey Hofe vorgestellt werdest. Gedulde dich noch einige Jahre, und ich will dich selbst dahin begleiten, wohin dein Herz drängt. Die Jahre, welche mein Sohn den ritterlichen Uebungen weihen muß, kannst du nicht besser, als in der Schule der Tugend, an dem Throne der Kaiserin Irene zubringen.

Diese Jahre vergingen. Das Verlangen von euch und den Prinzessinnen zu hören, trieb mich oft auf das Schloß meines Bruders, wenn ich Peter von Kalatin daselbst wußte. Evert von Remen, der ihn nicht leiden konnte, trauerte bald, bald zürnte er darüber. Das Lob der kaiserlichen Damen, sagte er eines Tages, wird bald mit dem Lobe der schönen Alverde abwechseln, und ihr müßtet kein Fräulein seyn, wenn ihr das letzte nicht weit lieber anhören solltet, als das erste.

Was mein Freund besorgt hatte, das geschah; ich hörte es nicht ungern, daß Kalatin mich versicherte, ich sey nicht weit hinter den vortreflichsten Frauen der Welt zurück, und ich würde sie dereinst ganz erreichen. Seine Schmeicheleyen wurden immer süßer, und behagten mir [140] um so vielmehr, da Evert von Remen in seinem Unwillen, den er wieder mich gefaßt hatte, mir wenig angenehmes vorsagte, und mir es ein wenig zu oft zu verstehen gab, daß ich durch das väterliche Wort für ihn bestimmt sey, und daß es meine Pflicht erfordere für niemand Augen und Ohren zu haben, als für ihn.

Ich war thöricht genug, hierüber gegen meinen Bruder zu klagen, Kalatin erfuhr davon, und wußte meinen armen Freund mit seinem beißenden Witze auf so eine unbarmherzige Art lächerlich zu machen, daß der eine bey mir dadurch soviel gewann, als der andre verlohr. Kalatin spottete, so geistreich Evert von Remen war, so steif wurde er durch das wachsende Mißverständniß, in welchem wir lebten, noch so viel mehr, daß ich kein zwölf oder dreyzehnjähriges Mädchen hätte seyn müssen, um nicht den ersten liebenswürdiger als den andern zu finden.

Mein Bruder liebte Everten würklich noch immer, aber auch bey ihm wußte sich Kalatin durch seine Spöttereyen Eingang zu verschaffen. Es fand ohnedem schon seit langer Zeit, ich weiß nicht warum, keine rechte Vertraulichkeit unter ihnen mehr Platz: Evert von Remen fühlte dieses, forschte nach, wo er nicht sollte, gab Ermahnungen, wo sie nicht verlangt wurden, und sein heimlicher Widersacher, Kalatin, bekam dadurch [141] den Vortheil in die Hände, ihn um die Neigung des Freundes zu betrügen, so wie er ihm das Herz der Freundin entfremdet hatte.

Evert von Remen, mein Bruder und ich lebten von nun an in einer Art von heimlichen Mißverständniß, welches keins dem andern, und noch vielweniger unserer gemeinschaftlichen Freundin und Mutter der Frau von Remen gestehen wollte, und das eben dadurch unheilbar ward.

Kalatin und mein Bruder hatten öftere geheime Konferenzen, in welchen wohl nicht allemal, wie sie vorgaben, von Geschäften die Rede seyn mochte. Ich überraschte einst meinen Bruder halb außer sich bey dem Bild einer schönen Person, das er, wie ich nachher erfuhr, aus den Händen Kalatins erhalten hatte; er konnte es meinen Augen nicht mehr entziehen, ließ mich es bewundern, ließ mich es küssen, und den Namen lesen, den ich in der Folge so oft mit dem höchsten Gefühl der Zuneigung ausgesprochen habe, und den ich hier nennen würde, wenn ich nicht so wie über verschiedene andere Dinge hierüber eidlich Stillschweigen hätte angeloben müssen.

Mein Bruder sahe das Entzücken, mit welchem ich das Bild dieses irdischen Engels betrachtete, es war etwas mehr als Schönheit, womit es sich auszeichnete, ich habe schönere Personen [142] gesehen, aber keine, die so ganz den Abdruck einer himmlischen Seele im Auge trug, keine, die als Sterbliche schon die Bürgerin einer bessern Welt zu seyn schien.

Ich muß sie sehen, rief mein Bruder, als er mein Entzücken bemerkte, muß sie persönlich kennen lernen, und du sollst mir den Weg zu ihr bahnen. Höhere Befehle werden mich bald nöthigen von hinnen zu scheiden, halte dich fertig, mir zu folgen; Peter von Kalatin wird dich wenig Tage nach meiner Abreise nachholen, und dich dahin führen, wo ich deine Dienste brauchen kann, aber diese Reise muß ein unverbrüchliches Geheimniß decken, weder die Frau von Remen noch ihr Sohn müssen etwas von derselben erfahren, sie zu erleichtern, werde ich dich aus ihrem Hause abfordern, und in das meinige bringen, das übrige wird die Gelegenheit geben, nur vergiß nicht, daß, du kommst hin, wohin du wollest, unser Name verborgen bleiben muß; die Natur meiner Reise fordert diese Vorsicht von mir.

Ich fand Bedenklichkeit, hinter dem Rücken meiner Wohlthäterin und meines Freundes zu scheiden, fand es unschicklich, an der Hand eines unbekannten Mannes mein Vaterland zu verlassen, und dadurch den Verdacht einer Entführung auf mich zu ziehen, aber mein Bruder [143] wollte es, und ich gehorchte; nicht allein gränzenlose Liebe fesselte mich an ihn, sondern auch eine gewisse Art von scheuer Ehrfurcht. Seit meines Vaters Tode hatte er die Stelle desselben bey mir eingenommen, und ich hielt es für Hochverrath, ihm hartnäckig entgegen zu seyn.

Was er beschlossen hatte, geschahe; den nächsten Tag, nachdem ich das Haus der Frau von Remen mit dem seinigen verwechselt hatte, trat er seine Reise an, und ich machte alle Anstalten, ihm, sobald Peter von Kalatin mich in seinen Namen abfordern würde, zu folgen. O Gott, noch gedenke ich mit Kummer des letzten Abends vor diesem Schritte! Ich hatte ihn bey der Frau von Remen zugebracht. Ihr Sohn, dem ich jetzt geneigter war als zuvor, gegen den ich ein innerliches Mitleiden wegen des Streichs fühlte, den ich ihm bald versetzen sollte, ihr Sohn, der großmüthige, ganz unserm Dienst geweihte Evert von Remen, war diesen Tag ausgezogen gegen den Bischof von Bremen, dessen Leute in einem entlegenen Theil der Besitzungen meines Bruders eingefallen waren. Unsre Trennung war so zärtlich gewesen, als die Gespräche, die ich nach seinem Abschiede mit seiner Mutter hielt. Sie nannte [144] mich tausendmal ihre Tochter, ihre einige Trösterin in der Abwesenheit ihres Sohnes, sie beschwur mich, wenn ich, so lang mein Bruder außer Landes wär, mich nicht getraute sein Haus gänzlich zu verlassen, doch nur täglich das ihrige zu besuchen, weil sie ohne mich nicht leben könne; – und diese Frau sollte ich täuschen? sollte ich hinterlistig verlassen, und ihr dadurch den Dolch in die Brust stoßen? ich weiß nicht, wie sie meinen Abschied empfunden hat, weiß nicht was Evert von Remen bey demselben gefühlt haben mag, aber ich zittre, wenn ich nur an diese geliebten Seelen denke. Ach sie werden mich für eine Verbrecherin halten, und Gott weiß, wann ich das Zeugniß von meiner Unschuld, das ich in die Hände meiner Kaiserin niederlege, ihnen mittheilen kann, da Wort und Eyd mich binden, mein Vaterland nicht ohne Bewilligung meines Bruders wieder zu sehen. – Eben dieser Eyd versiegelte jenes Abends, da ich mich mit der Frau von Remen letzte, meine Lippen. Zwanzigmal schwebte das Geheimniß, daß ich mich von ihr trennen müsse, auf meinen Lippen, aber ich hatte geschworen, und mußte schweigen.

Peter von Kalatin kam diese Nacht; er legitimirte sich durch das Beglaubigungsschreiben [145] meines Bruders, ich mußte ihm trauen, und er führte mich davon. Das Ganze mußte vor jedermanns Augen das Ansehen einer gesetzlosen Entweihung haben, denn Kalatin nützte auch nicht den kleinsten Vorschlag, den ich that, unserer Reise das Verdächtige zu benehmen.

Noch hatte ich keinen bösen Verdacht auf meinen Begleiter, noch argwohnte ich nicht, er könnte bey meiner Abholung außer dem Befehl meines Bruders Nebenabsichten haben. Er führte zwar oft Reden gegen mich, welche Liebeserklärungen ähnlich lauteten, aber ich war zu einfältig, sie zu verstehen, und sie für etwas anders zu halten, als für den Unsinn, den, wie die Frau von Remen mir gesagt hatte, die jungen Männer in der Welt den Jungfrauen vorzuschwatzen pflegen, es war einer höhern Hand, die für mich sorgte, ohne daß ich es dachte, vorbehalten, mir hierüber die Augen zu öffnen. Daß Kalatin mich liebte, war gewiß, und Gott weiß, wo er mich hingebracht haben würde, wenn nicht der Zufall ihn genöthigt hätte, mich in eure Residenz zu führen. Ein Sturz vom Pferde machte mir die Hülfe eines Wundarztes nöthig, Kalatin war zu besorgt um mich, zu sehr um meine Heilung bekümmert, als daß er alle die Vorsicht hätte brauchen sollen, die er sich vielleicht vorgesetzt hatte, wir mußten nicht allein in [146] der Hauptstadt liegen bleiben, sondern man sahe und kannte ihn auch, und seine Bedienung als Reichsmarschall nöthigte ihn, da einmal seine Anwesenheit nicht zu verbergen war, nach Hofe zu gehen. Dieses ward das Mittel, auch mich der edelsten aller Fürstinnen bekannt zu machen. Ihr, vortrefliche Kaiserin, hörtet nicht sobald, daß Kalatin ein fremdes Fräulein mit sich gebracht habe, als ihr euch um mich bekümmertet. Ich genoß während meiner Krankheit eine Pflege, die von eurer Hand geleitet wurde, und nach meiner Genesung eures Schutzes; daß ich dieses Schutzes gegen Kalatin bedürfe, erfuhr ich erst des Tages, da ich von euch die Einladung erhalten hatte, mich unter eure Hofstatt zu begeben; an diesem Tage hielt er zuerst erst ein Gespräch mit mir, das mir ihn verdächtig machen mußte. Mein Bruder war der Gegenstand desselben. Ich hatte diesen meinen einigen Verwandten, den Liebsten, den ich auf der Welt kannte, so lang nicht gesehen; so lang nicht von ihm gehört, was war natürlicher als daß ich Sehnsucht und Besorgniß um ihn äusserte.

Möchte doch Graf Adolf dieser zärtlichen Anhänglichkeit des schönsten und truglosesten Herzens [147] würdig seyn! erwiederte der hämische Kalatin.

Was wollt ihr mit diesen seltsamen Wunsche sagen? fragte ich voll Befremdung. Wißt ihr etwas nachtheiliges von meinen Bruder?

Nachtheiliges eben nicht, aber unendlich viel räthselhaftes, und es müßte Wunder seyn, wenn die kluge Alverde nicht schon längst das nehmliche gefunden hätte.

Ihr zielt auf seine Reisen, seine Gesellschaften, seine Arbeiten? O Evert von Remen hat schon mit seine Mutter und mir über diese Dinge zu sprechen.

Evert von Remen? – Nun wahrhaftig, wenn diese Dinge jenem Schwachkopfe in die Sinne fielen, so muß Graf Adolfs Schuld wohl erwiesen seyn.

Welche Schuld, Kalatin?

Graf Adolf ist, damit ich nur einmal aufrichtig mit euch rede, aller Wahrscheinlichkeit nach, Mitglied einer verdächtigen im Finstern schleichenden Gesellschaft, welche sich Richter Gottes nennen, aber im Grunde nichts sind als eine Bande von Henkern, die sich unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit die größten Kränkungen der Menschheit erlauben, Vater, Mutter, Bruder, Schwester, keine Verbindung, kein Name ist ihnen zu heilig. –

[148] Behüte Gott, schrie ich, Kalatin was redet ihr!

Er fühlte, daß er sich zu harter Ausdrücke bedient hatte, fühlte, daß er einlenken mußte, und begnügte sich, mir nur nochmals zu verstehen zu geben, was er vermuthlich durch die ganze Tirade hatte einleiten wollen, daß ich meinem Bruder nicht zu trauen habe, und weit besser thun würde, mich seiner Leitung zu überlassen, als Geschäfte auszuführen, die Adolf mir aufgetragen hätte, die sich gar nicht für ein junges Fräulein schickten, und deren Bedenklichkeit zu beurtheilen ich nicht im Stande sey. Ueberlegt es selbst, sagte er, ihr sollt eurem Bruder in Anspinnung einer Intrigue mit einer Person behülflich seyn, die eigentlich gar nicht für ihn existirt. Die Dame, welche Adolf anbetet, lebt im Kloster, ist die Verlobte eines andern, und ist noch obendrein mit den Gift einer verabscheuungswürdigen Ketzerey angesteckt, das sich Zeit genug auch seiner bemächtigen und Bann und Fluch über ihn herab ziehen wird.

Ich entsetzte mich über die Dinge, welche ich hören mußte, sie würden vielleicht ihre Würkung nicht ganz verfehlt haben, wenn nicht einige Reden aus eurem Munde, gnädige Kaiserin, mir die Reinigkeit der Absichten Kalatins [149] verdächtig gemacht hätten, ein förmliches Geständniß der glühendsten Leidenschaft, welches das ganze Gespräch beschloß, vollendete meinen Argwohn, ich verließ ihn ohne Antwort, und konnte den Morgen kaum erwarten, da ich, ohne weitere Rücksprache mit ihm, mich zu euch begab, und um die Vollziehung eures Versprechens, um Aufnahme in euer Frauenzimmer bat.

Mein Gesuch ward bewilligt, aber die Ehre, zu eurem Hause zu gehören, befreyte mich nicht ganz von Kalatins Verfolgungen. Zu schwach, sich dem Entschluß, den ich gefaßt hatte, zu widersetzen, oder mich eurem Schutz zu entreißen, und zu klug, nur einen Wunsch dieser Art zu äußern, nützte er wenigstens jede Gelegenheit, mich mit seiner gehässigen Leidenschaft, mit Ausfällen auf meinen Bruder, und Planen für mein künftiges Glück, die mir nicht anstanden, zu unterhalten; ihr, gnädige Kaiserin, sahet mein Leiden, ehe ich es euch noch klagen konnte, ich erhielt ganz unverhofft den Befehl von euch, mich nach Lion in das Kloster zu begeben, wo sich die Prinzessinnen aufhielten; er war mir doppelt lieb, da ich Kalatins Vorspiegelungen zum Trotz die Absicht noch nicht aus dem Gesicht verlohren hatte, warum ich eigentlich von meinem Bruder aus meinem Vaterlande entfernt worden war; ich hatte die Dame, [150] die er anbetete, an eurem Hofe nicht gefunden, daß ich sie in dem Kloster, nach welchem ich bestimmt wurde, finden würde, wußte ich gewiß, und ich brannte vor Verlangen, theils diesen Engel zu kennen, theils mich selbst zu überzeugen, ob das würklich wahr sey, was mir Kalatin von der Unmöglichkeit, sie für meinen Bruder zu gewinnen, gesagt hatten.

Mit der heissesten Inbrunst, vortrefliche Kaiserin, danke ich euch, daß ihr mich in das Kloster brachtet, wo ich das Glück meines Lebens fand. Ich lernte die besten Fürstinnen der Welt, lernte diejenige darin kennen, um deren Willen ich mein Vaterland verlassen hatte. Das was Kalatin mir von ihr sagte, ist nicht ganz unwahr, aber kann mein Bruder nicht durch diesen Engel glücklich werden, wird sie darum weniger meine Freundin seyn? – Nie erfahren sie aus meinem Munde seine kühnen Hoffnungen, damit sich nicht vielleicht blos dieserwegen ihr Herz von mir wende!

Euren Rath, gnädige Frau, mich unter das Gefolge der Gräfin von Toulouse zu begeben, habe ich befolgt; Gott weiß, wenn ich in mein Vaterland zurückkehren kann, aus welchen ich so unnöthig verlockt wurde, und seit die Prinzessinnen, eure Töchter dieses Kloster verlassen [151] haben, ist nichts vorhanden, das mich mehr an dasselbe fesseln sollte.

Morgen früh mit Aufgang der Sonne bricht die Dame, zu deren Hofstatt ich nun gehöre, die Gräfin Alix, die mich mit den Namen Freundin beehrt, nach Pamiers auf, und ich begleite sie; die kastilischen Gesandten sind bereits daselbst angekommen, sie von da in die Arme ihres Bräutigams zu führen. Mir ist es empfindlich, diese Gegenden verlassen zu müssen, ohne etwas von meinem Bruder gehört zu haben; wie wird er mich suchen, wie wird er um mich besorgt seyn, wenn er mich da nicht findet, wohin ich von ihm bestimmt war! Möchte ihn doch das Schicksal an euren Thron führen, gnädige Frau, möchte doch euer Blick, der die tiefsten Geheimnisse aus dem Herzen ziehen kann, ihn nöthigen, sich euch zu entdecken, über alles was ihm Sorge machen könnte, würdet ihr ihn zu beruhigen wissen!

Beatrix an Alverde
Beatrix an Alverde.
1207.

Dank dir, meine Freundin, für die offenherzige Darlegung deiner Geschichte, die dich in [152] unser aller Augen rechtfertigt, und dir den Namen eines entführten Fräuleins, der bey meiner Mutter nicht im besten Ansehen ist, völlig erläßt. Die Kaiserin findet viel abentheuerliches an deinen Begebenheiten, sie bedauert dich, unter der Gewalt eines Bruders gestanden und von seinen Grillen abgehangen zu haben, der wie es scheint, keine allzuvortheilhafte Meynung in ihr erregt; was ich von der ganzen Sache, was ich besonders von ihm halte, das ist freylich ein wenig verschieden von dem Urtheil meiner Mutter, wie denn die Urtheile junger und bejahrter Personen es immer sind.

Anstatt deinen Bruder zu hassen, oder schlecht von ihm zu denken, schätze und bewundre ich ihn; es ist so etwas großes in den Unbegreiflichkeiten, die sich in ihm finden, die Verborgenheit seines und deines Namens dient meiner Phantasie zum unterhaltenden Spiel, sie reizt meine Neugier, und doch ists als möchte ich das Geheimniß nicht gelößt sehen, Graf Adolf hat mehr Interesse für mich, so lange ich mir von ihm denken kann was ich will, als wenn man mir ihn als einen der größten Fürsten der Welt bekannt machte. Und denn die heimliche Gesellschaft, zu welcher er sich zählt, mit dem großen Namen, die Richter Gottes! – Ich glaube Kalatin nichts von dem Bösen, was [153] er diesen Leuten nachsagt, muß denn hinter jeder Heimlichkeit etwas verdächtiges verborgen liegen?

Meine Schwester Elise scherzt mit mir, daß ich seit deinem letzten Briefe von nichts zu reden weiß, als von Graf Adolf dem Unbegreiflichen. Ich weiß wohl, was mich so zu ihm hinreißt, aber niemand als dir, meine Schwester Alverde, möchte ich es gestehen, und doch merke ich, auch gegen dich, meine Vertrauteste, kostet es mir Ueberwindung, mich zu erklären, wenn ich nicht meiner Feder gebiete, ohne Ueberlegung hinzuschreiben, was ihr Wahrheit und Offenherzigkeit diktiren.

Alverde, ich weiß wen dein Bruder liebt, kenne die Dame, deren Bild dich und ihn so entzückte, daß es von euch wahrhaftig mit übertriebenen Lobeserhebungen beehrt wurde. Ich kenne die Glückliche, die in der Folge deine Freundin ward, und die es bleiben würde, und wenn du auch deinen Vorsatz brächest, und ihr die kühnen Wünsche deines Bruders geständest. – Warum kühn, meine Alverde; ist dein Bruder auch nicht ganz der große Fürst, für den ich ihn halte, o es giebt Prinzessinnen genug, die sich um Liebe Willen eine Stufe herabsetzen; und was meine Verlobung betrifft –

[154] Gott, was habe ich gesagt! – Alverde, das Geheimniß ist heraus! Ich weiß es, Beatrix von Schwaben ist die Dame, die deines Bruders Herz gerührt hat, alle Umstände, die du angiebst, passen auf mich und auf keine andre, je öfter ich deinen Brief lese, je gewisser werde ich hievon, aber laß dich von nichts irren; meine Verlobung an den Gegner meines Vaters, an Herzog Otten, ist noch nicht auf die entfernteste Art eingeleitet, geschweige geschlossen, und was das sogenannte Gift der waldensischen Lehre anbelangt – Alverde, du weißt, was wir alle viere, du, Alix, meine Schwester und ich davon halten, und ich, überhaupt nicht sonderlich aufgelegt zu ernsthaften Dingen, bin noch vielleicht diejenige unter euch, die sich am ersten eines andern belehren ließ. Gleicht dein Bruder, wie du uns einmal sagtest, dir von Gesicht, und dem Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach von Gestalt, so werde ich ihn lieben, und was wird der, den ich liebe, nicht aus mir machen können!

Himmel was habe ich dir alles geschrieben! Geschwind will ich es schließen, ich stürbe vor Beschämung, wenn es außer dem treuen Auge der Freundschaft jemand erblickte. Laß es weder von Sonne noch Mond bescheinen, sondern wenn du es gelesen hast, so opfre es augenblicklich [155] den Flammen, daß mein Geheimniß nur in deinem Herzen existire. – Es beschämt und beunruhigt mich in der That nicht wenig, daß ich vor meiner Mutter und meiner Schwester, denen ich nie etwas verschwieg, eine Heimlichkeit haben soll, aber meine Mutter hat nichts im Sinn als ihren Herzog Otto, bey dessen Namen mich immer ein Schauer befällt, weil mirs immer ist, als flüsterte man mir ins Ohr: du wirst nicht acht Tage leben, wenn du seine Gattin wirst. Was Elisen anbelangt – o die ist so glücklich in ihrem Wittelsbach, daß sie kein Mitleiden für die Gefühle andrer haben würde, und daß ich also auch gegen sie schweigen muß. – Sie kann sich selig preißen; die Stelle in dem Herzen des vortreflichen Pfalzgrafen, die eine andre einnahm, hat ihr das Glück, sie weiß selbst nicht wie, geräumt, er vergießt bey ihr Kunigunden völlig, und kann sie leicht vergessen, denn Elise ist besser und schöner, als die nunmehrige Gemahlin des päbstlichen Nepoten, aber ist nicht Beatrix auch gut und schön? hatte sie nicht auch Gefühl für die Vorzüge des Grafen von Wittelsbach? und doch mußte sie zurückstehen, doch gebot ihr die strenge Mutter, ja keinen ihrer Vorzüge vorleuchten zu lassen, damit es ja bey dem Pfalzgrafen gar nicht zur Wahl käme, damit sein Auge ja[156] gleich allein auf der, welche man ihm bestimmte, haften bliebe.

O Alverde, diese Dinge marterten mich ungemein, ehe ich wußte, daß Graf Adolf mich liebt, jetzt bin ich mit allem ausgesöhnt, bin fest entschlossen, der fatalen Staatsheirath auszuweichen so viel ich kann, und keines andern zu seyn, als der mich aus freyer Wahl liebte; warum soll ich unter meinen Schwestern allein die Unglückliche seyn? warum will man mich allein aufopfern, da man die andern nach ihrem Wunsch und Willen vergiebt? Glaube mir, ich habe es an der kastilischen Braut genug gesehen, welch ein elendes Ding es ist, wenn man so einer trübseligen Verbindung entgegen schleicht, wie mir aufbehalten wird; Alix hatte doch bey ihrem Elend noch einen Trost, ihre Bücher, was aber würde ich haben, die bey der Unterhaltung mit den Todten nie die lebende sichtbare Welt zu vergessen vermochte?

[157]
Alverde an Alf von Dülmen
Alverde an Alf von Dülmen.
1207.

Pamiers.


Betrogen mich meine Augen, oder habe ich würklich meinen Bruder gesehen? Warst du es der heute in der Messe uns gegenüber an der Säule stand, ganz im Anschauen der schönen Alix verlohren? du, der sich zwey Stunden darauf der kastilischen Braut unter den Namen, Alf von Dülmen, vorstellen ließ? – Mein Erstaunen überwog meine Freude, sonst müßte ich mich gleich in deine Arme gestürzt, und den Namen Bruder ausgerufen haben, und doch weiß ich nicht was geschehen wär, hätte mich nicht dein gebietender Blick zurückgescheucht.

O daß der meinige die nämliche Kraft haben könnte! daß er dich von einem Orte zurückscheuchen möchte, wohin du nichts als Unglück bringen kannst. Bruder! Bruder! was willst du hier! du weißt doch wohl, das deine angebetete Alix, deren verführerisches Bild dir der verrätherische Kalatin, Gott weiß warum, in die Hände spielte, du weißt doch wohl, daß sie verlobte Königin von Kastilien ist? daß sie in wenig Tagen dem Grafen von Kastelmoro, als dem Stellvertreter seines Prinzen, vom Bischof von [158] Kastilien angetraut wird? Noch einmal, was willst du hier? verlangst du in dem Herzen noch einer unschuldigen Seele ein Feuer anzuzünden, wie du es schon bey einer andern ohne es zu wissen gethan hast? – O Adolf, laß ab von der verlobten Alix, das Herz einer andern spricht für dich, die so schön und unschuldig als jene, zwar ebenfalls verlobt, aber bey weiten noch nicht so fest gebunden als sie, vielleicht eher dein Glück machen wird, als die kastilische Braut. Bedenke, daß wir hier überall von wachenden Augen umgeben sind, bedenke vor allen die Blicke der zahlreichen Geistlichkeit, die hier überall auf uns treffen, du sagtest oft zu mir, die Bischöfe und Mönche wären deine Freunde nicht, warum ziehst du dich hier, wo alles von geinfulten und bekappten Herrn wimmelt, nicht zurück? Glaubst du, der Name, Alf von Dülmen, werde dich schützen? sollte unter so viel scharfen Augen nicht ein einziges Paar seyn, das dich kennte? – Und wozu der Einfall, der Gräfin von Toulouse im Namen ihres Bruders aufzuwarten, und ihr Schriften von seiner Hand zu überreichen, die ihr wohl heimlicher hätten eingeliefert werden können? Du hast dich in die Vertraulichkeit des Grafen eingeschlichen, um dich bey der Schwester einführen lassen zu können, aber so unvorsichtig zu verfahren, als du verfuhrst, ward dir [159] vermuthlich nicht aufgetragen. Du glaubtest wir wären ganz allein, und was würdest du sagen, wenn ich dich versicherte, daß wir dennoch beobachtet worden seyn mußten?

Die Fürstin von Kastelmoro, die man der Prinzessin aus Kastilien entgegen geschickt hat, bat sie noch am nehmlichen Abend, sich nicht durch allzuvieles Lesen die Augen zu verderben, und machte einige Versuche, sich der Bücher zu bemächtigen, welche der liebste Zeitvertreib der unglücklichen Alix sind, es gelang uns, ihren Augen die verdächtigsten, Henrich Brües und Peter Waldus Gedanken vom Fegefeuer, vom Ablaß, von den Bischöfen u.s.w. zu entziehen, aber die Uebersetzung der Evangelien ist doch in ihre Hände gerathen; Alix hat die ganze Nacht über den Verlust geweint, und ich weine in der Stille über die Folgen, die dieser Verlust haben könnte. – Alles dieses, erlaube mir es zu sagen, sind Folgen deiner Unvorsichtigkeit! – O des boshaften Kalatins, daß er durch das Bild der verlobten Alix dich auf Gedanken leitete, die, wie es scheint, deinen Verstand ganz benebeln, und deine jüngere Schwester, die einfältige Alverde, in den Fall setzen, dich zu recht weisen zu müssen, dich, dem sie bisher, und wie es mich jetzt dünkt, nicht allemal [160] zur Ehre der gesunden Vernunft blindlings folgte. – Oeffne die Augen, Adolf, erkenne doch, was es dich hilft, dich zum Anschau einer Person zu drängen, welche nicht mehr frey ist, und bey welcher aufs beste genommen, deine Gegenwart ganz nutzlos seyn wird, denn das wirst du doch nicht wünschen wollen, daß du einen Eindruck auf die unschuldige Seele machtest, daß du ihr Gefühle einflössest, welche sich mit der Treue nicht vertrügen, die sie in wenig Tagen dem Prinzen von Kastilien schwören soll? –

Ich werde diesen Brief dir diesen Abend, wenn du wieder unvorsichtig genug seyn solltest, uns beym Spaziergehen zu verfolgen, selbst in die Hand drücken. Die Fürstin von Kastelmoro, welcher dein geflissentliches Nachschleichen überall, wo wir uns blicken lassen, nicht entgeht, affektirt zu wähnen, du habest ein Auge auf mich geworfen; ich werde mich nach dir umwenden, dir einige harte Worte sagen, und beyläufig Gelegenheit suchen, dir dieses unvermerkt zuzustecken, es fremden Händen anzuvertrauen, wär unmöglich. – Hast du eine Antwort für deine Schwester, so verbirg sie in dem hohlen Baume am Ende der dritten Allee des Gartens, de la Mariniere, aber sie darf nichts enthalten, als Abschied auf [161] ewig, von Alix und den Gegenden, wo sie lebt. Begieb dich an dem kaiserlichen Hof, vielleicht daß dort ein besseres Glück dir lächelt, vielleicht, daß ich dir dort Nachricht von mir geben und mit mehrerer Sicherheit das nehmliche von dir erhalten kann.

Peter von Kalatin nach Rom
Peter von Kalatin nach Rom.
1207.

Es ward mir aufgetragen, den Grafen Adolf von *** auf was Art es sey, aus seiner Sicherheit zu locken, und es ist mir endlich gelungen, ist mir schon vor mehreren Monaten gelungen; daß ich dieses so spät melde, geschieht darum, weil ich seine Spur gänzlich verlohren hatte, und erst jetzt mit Zuverlässigkeit weiß, daß er, nachdem er sich eine Zeit lang beym Grafen von Toulouse aufgehalten hatte, jetzt zu Pamiers angelangt ist. Was ihn dorthin leitete, war Liebe. Liebe war das einige Mittel, den Unerschütterlichen zu fangen, sollte ich, der ich sie in seinem Herzen weckte, sie auf einen unschicklichen Gegenstand gelenkt haben, so wird der Schade davon immer allein auf ihn fallen; ich darf nicht darüber zur Rechenschaft gezogen werden, [162] da, wie ich hier nochmals wiederhole, mir ungemessene Freyheit gegeben wurde, zu Erreichung meiner Absichten, kein Mittel zu verschmähen.

Daß der Graf von Segni von dem sogenannten Unbekannten, dem Stellvertreter des Herzogs von Sachsen zu Pamiens viel verborgene Dinge erfahren haben soll, darauf kann ich nichts sagen; ich habe ja erklärt, daß mir von allen Heimlichkeiten dieser Art nichts bewußt ist. Der Unbekannte ist ein schwacher leicht zu bethörender Fürst, das Schicksal könnte dem klugen Grafen von Segni keinen schicklichern Gegenstand in die Hände geführt haben. Ich wünsche ihm, daß er nicht selbst betrogen seyn mag!

Peter von Kalatin an den Unbekannten
Peter von Kalatin an den Unbekannten.
1207.

Der Brief, welchen der sogenannte Alf von Dülmen an euch, mein gnädiger Herr, geschrieben hat, ist mehr als kühn, und verdient die Vermehrung eures Hasses; wohl euch, daß ihr nun bald im Stande seyn werdet, ihm die [163] Würkungen desselben fühlen zu lassen. Er ist jetzt zu Pamiers, und was ich gethan habe, ihn blos euch zu Liebe dahin zu bringen, das ist euch bekannt. Niemand als ich, der als Repräsentant des freyen Stuhls zu ** bey ihm den meisten Glauben findet, hätte ihn durch falsche Ladungen zu Schritten verleiten können, die er vor dem Gericht, in welchem er selbst eine so hohe Stufe bekleidet, nimmer verantworten wird.

»Sollte ich irre geleitet worden seyn« spricht er in seinem Antwortschreiben von euch – »Sollte ich irre geleitet worden seyn, so müßte man sich an Peter von Kalatin halten.« O guter Adolf, Peter von Kalatin wird den Kopf aus der Schlinge zu ziehen wissen, wenn die Sache vor unserm furchtbaren Tribunal zum Vortrag gebracht wird, und du wirst allein büßen, wozu du dich zu deinem Verderben bereden liessest. Ich hasse diesen sogenannten Alf von Dülmen jetzt mehr als jemals; euch machte ihn die schnell erlangte hohe Gewalt in unserm Zirkel zum Feinde, und mich verhetzte gekränkte Liebe gegen ihn. Er schlug mir zu wiederholten malen seine Schwester unter dem Vorwand ab, sie sey bereits an Evert von Remen versprochen; ich mußte mich rächen, und wie konnte ich es besser thun, als wenn ich ihn in [164] Leidenschaft gegen eine ebenfalls schon Verlobte verstrickte. Seine rasende Liebe zu der Gräfin Alix von Toulouse, von deren Vermählung an den kastilischen Gesandten ihr nun bald Zeuge seyn werdet, ließ ihn alle Schritte, zu denen wir ihn verleiten wollen, mit mehrerer Unbesonnenheit thun, als vielleicht sonst geschehen seyn würde, und sie ward noch überdem das Mittel, mir meine geliebte Alverde in die Hände zu spielen; zwar ist mir dieser köstliche Raub jetzt wieder entwischt; aber Geduld! wenn all unsere Anschläge geglückt sind, wird auch meine Liebe glücklich seyn! Ein mächtiges Hinderniß derselben ist ja schon aus dem Wege geräumt. Evert von Remen, mein glücklicher Nebenbuhler, hat nach seiner gewöhnlichen Einfalt und Voreiligkeit all seine Habschaft in Geld verwandelt, und ist nach dem heiligen Lande gezogen; sehr wohl! Das Glück hat gut zwischen uns entschieden, ihm gab es das Kreuz, und mir bewahrt es die schöne Alverde auf.

Verzeihet, gnädiger Herr, ich thue Unrecht, euch mit meinen Angelegenheiten zu unterhalten, ja noch mehr, ich begehe vielleicht eine Thorheit, dem Heimlichkeiten anzuvertrauen, welcher so leicht auszulocken ist! – O der Graf von Segni! der Graf von Segni! Eure beyden Augen hättet ihr ehe verlieren, als diesem trauen [165] sollen! Daß ich doch zu spät kam, euch zu warnen! Wie war es doch möglich, einen so helldenkenden scharfsichtigen Geist, wie den eurigen zu täuschen! – Ich in meiner Schwachheit habe ähnlichen Versuchungen, denen auch ich ausgesetzt war, nie untergelegen, doch ich entging vielleicht der Gefahr dadurch am sichersten, daß ich nie eingeständig war, Antheil an verborgenen Dingen zu haben; wie sollten die Räuber in der Hütte des Mannes von kundbarer Armuth Schätze suchen!

Das fatalste bey der ganzen Sache ist das, – erlaubt mir es zu sagen – unüberlegte Geständniß gegen Alf von Dülmen, das der Graf von Segni euch abgelockt hat. Wozu dieses? habt ihr eurem Gegner nicht damit die Waffen, euch zu schaden, in die Hände gegeben? – Ich kann mich hierin in der That nicht in euch finden, gnädiger Herr! Die Angst über die abgedrungenen Geheimnisse muß euch zum Geständniß eurer Schuld, gleich gegen den ersten den besten, der euch in den Sinn kam, gereizt haben, wie es denn weiche Seelen giebt, die die kleinste Gewissenswunde nicht schnell genug durch Beicht und Absolution zu heilen wissen. Ey Lieber, wenn ihr beichten wolltet, warum mußte denn Alf von Dülmen euer Konfessor seyn? gab es keinen treuern Kalatin in der [166] Welt, welcher euch Trost und Lossprechung nicht versagt, und euch wohl noch eine Warnung angehängt haben würde?

Wißt ihr, worin sie besteht? – Ihr schreibt in der Kopie eures Briefs an den von Dülmen, da so etwas von Verbrechen Kaiser Philipps, welche vor das heimliche Gericht gezogen werden sollten; ich bitte, nehmt euch hier wohl in Acht, kommen die Denunciationen von dem Grafen von Segni, so sind sie verdächtig. – Man trachtet den Geheimnissen unsers Bundes nach, das ist offenbar; man beneidet uns unsere unumschränkte Gewalt, will sie uns vielleicht entreissen, wie könnte das leichter geschehen, als wenn man unsere Unfehlbarkeit verdächtig machte? wenn man unsere Gerechtigkeit statt der Binde gefärbte Gläser vor die Augen legte, und sie zu falschen Urtheilen verleitete? –

Noch einmahl, nehmt euch in Acht, denn könnte es nicht auch möglich seyn, daß eine fremde Macht Philipp den Kaiser haßte, und durch unser Schwerd auszuführen suchte, was sie sich selbst nicht zu handhaben getrauet?

Was mich anbelangt, ich hasse Alf von Dülmen herzlich, weil ich Alverden liebe, ich wünsche seinen Untergang, theils weil seine Größe meinen Stolz beleidigt, theils weil es hier und da einige giebt, die ihn ebenfalls gern [167] gedemüthiget sehen möchten, und mir meinen Beytritt in ihren Anschlägen gut bezahlen. Aber der Göttin, deren Diener wir alle sind, der unsichtbaren Themis werde ich ewig treu und gewärtig bleiben, und bis auf den letzten Hauch meines Lebens sey es mein liebstes Geschäft, an der Unerschütterlichkeit ihres Throns zu arbeiten. Ungeachtet ich bedürfenden Falls es für gut halte, sie gar nicht zu kennen, wohl gar gelegentlich auf ihre Diener zu schmähen; Dinge, womit ich ihr sicher die treusten Dienste leiste.

Alf von Dülmen an Alverde
Alf von Dülmen an Alverde.
1207.

O Schwester, was legst du mir auf! Ich soll den Himmel verlassen, in welchem meine Göttin wohnt, nachdem ich alle Quaalen der Vorhölle ausgestanden habe, ihn zu erreichen? ich soll die himmlische Alix nicht mehr sehen, deren Anblick die Spur jeder Schönheit, die ich vor ihr sah, verlöschte, jeden Reiz, den ich nach ihr erblicken möchte, zur Häslichkeit machen wird? Rede mir nicht vom Glück, das ich durch fremde Liebe erreichen könnte, rede mir nicht von [168] dem, was das Herz einer andern für mich sprechen mag, ich höre nichts, ich sehe nichts als die göttliche Gräfin von Toulouse; und liebte mich das Wunder unserer Zeit, Kaiser Philipps Tochter, die aufblühende Beatrix, nach deren Besitz alle geizen, die sie je gesehen haben, ich verschmähte ihre Liebe, um einen einigen Blick von jenem Engel zu gewinnen, dessen Reize mir Kalatins Bild so schwach, so unvollkommen schilderte.

O Alverde, es ist Unsinn was ich dir schreibe, aber verzeihe! – Du hast nie einen Zustand wie den meinigen erfahren, mein Gehirn ist in Flammen, mein Blut kocht, ich fühle, daß ich wie ein Rasender handle, aber ich kann, ich kann mich nicht zurückziehen, und stünd mein Leben und das Leben meiner Geliebten auf dem Spiele. –

Die wildesten Entwürfe von Raub, Mord und Entführung durchkreuzen meine Einbildungskraft. Sprich selbst, wie soll ich meine Geliebte dem glücklichen Kastilier anders entreißen, als durch Gewaltthat? Ihm, der sein Glück nicht einmal zu schätzen weiß, der kalt genug ist, einen Gesandten zu schicken, der seine Hand an seiner Statt in die Rechte der himmlischen Braut legen, und den priesterlichen Segen über sich sprechen lassen soll! – O für so einen [169] Handschlag, für so einen Segen über mich und sie, gäbe ich mein Leben; aber mir wird nicht einmal ein Blick von ihr zu Theil; sittsame Zurückhaltung und eine himmlische Schwermuth, die sie vollends unwiderstehlich macht, senken ihre Augenlieder zur Erde, und du und die feindselige Kastelmoro zieht euch so dicht um sie her, daß kein Seitenstrahl von ihren Blicken auf mich fallen kann!

Ich habe euch gestern, deinen Warnungen zum Trotz, wieder unablässig umschwebt, ich habe sie gesehen, ob ich gleich von ihr wohl nicht bemerkt wurde. Sie war traurig, – Sprich, warum mag Alix trauern? Ach sie liebt ihn nicht, den Prinzen von Kastilien, oder sie weiß, daß sie von ihm nicht geliebt wird! Ich habe Nachricht von einem vertrauten Freunde, daß Ferdinand die Prinzessin Elise einst sah, und mehr bey ihrem Anblick fühlte, als bey den Reizen des Engels, den ich anbete. Himmel! wie mag irgend ein Sterblicher die Gräfin von Toulouse sehen, und doch für eine andere noch Augen haben können?

Möchte doch der Himmel eine so übelausgesonnene Verbindung stören! Ferdinand fühlt nichts für Alix, sie nichts für ihn, was kann daraus entstehen! – Möchte man doch Ferdinanden seine Elise geben, und mir meine Geliebte [170] lassen. Man soll, (hast du nichts davon gehört?) am kaiserlichen Hofe sehr darauf denken, eine Prinzessin zur kastilischen Königin zu machen; was man sich doch für Mittel bedienen wird, diesen Entzweck zu erreichen?

Wie, wenn ich Philippen einen Ritterdienst erzeigte, und die Gräfin von Toulouse entführte, daß seine Tochter auf dem kastilischen Throne Raum hätte!

Alverde, ich hoffe, du glaubst nicht, daß diese Dinge mein Ernst sind; du könntest etwa heimliche Anschläge auf die Gräfin argwohnen, und da du meiner Liebe so entgegen bist, Gegenvorkehrungen zu treffen. – Dies wär lächerlich! Alverde, wahrhaftig, dies wär sehr lächerlich! Unternimm nichts von solchen Dingen, wenn du einen Antheil an meiner brüderlichen Liebe behalten willst!

Die Fürstin von Kastelmoro an den Bischof von Kastilien
Die Fürstin von Kastelmoro an den Bischof
von Kastilien.
1207.

Was für einen Posten hat man mir anvertraut? was für einer Person bin ich zur Hüterin gesetzt? – Diese Alix soll Königin von Kastilien werden? – Hier leset die Bücher, die [171] ihre Lieblingsunterhaltung sind, hier die Briefe, die man an ihre Jungfrauen schreibt! – Was wollen wir machen? eine Ketzerin auf den Thron setzen? unserm Prinzen eine Gemahlin geben, die weder ihn liebt, noch von ihm geliebt wird? – Leset, was der Unsinnige, dessen Brief ich hier einschließe, hievon schreibt. Sollte es möglich seyn, daß die kaiserliche Prinzessin dem Prinzen von Kastilien besser behagen würde, als diese Gräfin von Toulouse? – Und wär hier nicht auch ein Ausweg zu finden, eine Aenderung in der Sache zu treffen, ohne Wortbrüchig zu scheinen? –

Ihr müßt diese Dinge reiflich überlegen! – Man könnte nach Kastilien berichten, daß Alix eine heimliche Waldenserin ist, daß sie von einem Rasenden verfolgt wird, welcher nicht ehe ruhen wird, bis er sich ihrer bemächtigt hat; – doch das geht nicht! – Eilt, gebt mir euren Rath. Was ich thun kann, habe ich gethan, das ist, ich habe jene Alverde, deren heimliche Korrespondenz man mir verrieth, eilig entfernt, und zwanzig Spione aufgeboten, mir den Verwegenen auszukundschaften, der sich ihren Bruder nennt, ohne sich einen andern Namen zu geben. Ich habe auf jenen Alf von Dülmen, jenen Menschen, mit dem unerklärlichen Ansehen gerathen, der sich seit einiger Zeit [172] hier sehen läßt, ich habe Alverden darüber auszuforschen gesucht, aber weder Gewalt noch Güte konnten sie besiegen. Ich würde noch strenger gegen sie verfahren seyn, als ich gethan habe, wenn es nicht offenbar wär, daß in vergangener Nacht würklich ein Anschlag zur Entführung der Gräfin vorhanden war, der allein durch Alverdens Klugheit vernichtet wurde – Ich glaube allenfalls, ich könnte sie beybehalten, ohne zu fürchten, daß ihre Ehrlichkeit irgend einem der rasenden Anschläge ihres Bruders die Hand bieten würde, aber ich habe sie entlassen, weil sie der Gräfin von Toulouse mit unverbrüchlicher Treue ergeben ist, und sich Dinge ereignen könnten, bey welchen wir sie nicht zur Zeugin zu haben wünschen würden. Eilet, mir Antwort auf meine Fragen, Rath in meinen Verlegenheiten, und wenn ihr einen Entschluß gefaßt habt, die nöthigen Verhaltungsregeln zu schicken.

[173]
Alverde an den Pfalzgraf Otto von Wittelsbach
Alverde an den Pfalzgraf Otto von Wittelsbach.
1207.

Die fürchterliche Angst, in welcher ich mich befinde, entschuldige mich, daß ich mich an einen Mann wende, der mir, wenn ich die wenigen male ausnehme, da ich ihn als Kunigundens Bräutigam bey Hofe sah, ganz unbekannt ist. – Unbekannt? – kann man sagen, man kenne den Pfalzgrafen Otto nicht, wenn man seinen Namen auch nur gehört hatte? diesen Namen, der im ganzen römischen Reiche den edeln Charakter desjenigen bezeichnet, welcher ihn führt? – Ja, Otto, ich kenne euch, ich weiß, daß ihr gern helfen wollt, wo ihr könnt, und wer könnte es mehr in dem Falle, da ich eure Hülfe anflehe.

Euer Freund, Alf von Dülmen, oder wenn ihr lieber so wollt, Graf Adolf von ***, mein Bruder, ist in Gefahr. Eine wüthende Leidenschaft zu der kastilischen Braut, eine Liebe, die man ihm, ich weiß nicht ob durch Zauberkünste beygebracht hat, hält ihn hier zu Pamiers fest, und läßt ihn Dinge begehen, welche ehe den Handlungen eines Rasenden, als dem Betragen ähnlich sind, das sich von einem so guten [174] Kopf und Herzen, wie das seinige sonst war, vermuthen lassen.

Da persönlicher Umgang mit ihm hier unter tausend Aufmerkern unmöglich ist, so suchte ich eine Zeitlang durch Briefe ihn auf den rechten Weg zu leiten; zweymal vernichtete ich seine tollkühnen Anschläge auf die Gräfin Alix, welche ihn zum Hochverräther und zum Jungfrauenräuber gemacht haben würden. Ob das, was ich für ihn that, ihn zur Erkenntniß und Besserung gebracht hat, weiß ich nicht, er befindet sich in einem fürchterlichen Rausch von Leidenschaft, der ihn nichts beachten läßt; so viel ist gewiß, daß alle seine Plane zu unvorsichtig angelegt waren, um nicht entdeckt zu werden, sie haben nur allzuschnell Unglück über uns beyde gebracht. Ich habe meine Entlassung aus der Hofstatt der Gräfin von Toulouse erhalten, und ihm stellt man auf eine Art nach Freyheit und Leben, die bey seiner gänzlichen Verblendung nicht wohl fehlschlagen kann.

Was ich in dieser schrecklichen Lage von euch gethan wünsche? – O Otto, könntet ihr so fragen? Ich weiß die Verbindung nicht, in welcher ihr mit meinem Bruder steht, aber daß eine solche, daß die allergenauste zwischen euch statt findet, davon bin ich durch tausend Umstände überzeugt. Ich kann mich hierüber nicht [175] genau erklären, aber ihr könnt wohl denken, daß eine Person mit sehenden Augen, eine Schwester, die ihren Bruder und was ihn umgab, so lange wir noch in Westphalen waren, täglich sah, manches muthmaßen mußte, was sie zu furchtsam ist zu gestehen. Ich weiß, daß ihr, oder durch eure Vermittelung einer, der noch höher ist als ihr, nur ein Wort zu sagen braucht, eure Verbundenen aus allen Winkeln Deutschlands zusammen zu rufen; sprecht dieses Wort, und Adolf, der sonst auf nichts hört, wird gehorchen, oder gehorchen müssen; ruft ihn hinweg von diesem Orte, wo Lebensgefahr und Gelegenheit zu neuen Vergehungen ihm drohen, gebt eurem Freunde Sicherheit und Tugend, und der unglücklichen Alverde das Leben wieder. Ihr kennt mich zwar wenig, und nichts ist, das euch für mich persönlich intereßiren könnte, aber ihr würdet Mitleiden mit mir haben, wenn ihr meine Angst sehen könntet. Ich bin Schwester, ich bin Freundin, meine Lieben stehn am Rande des Verderbens, dies ist alles was ich sagen kann, denkt euch das Uebrige.

Ach, Otto, ich habe euch einmal zum Vertrauten gewählt, mein Herz ist geöffnet, ich muß es vollends ausschütten. Die Lage meines Bruders ist es nicht allein, was mich ängstigt, ich [176] leide noch um eine Person, die mir wenigstens so lieb ist als er, leide um meine Freundin Alix. Ich bin von ihr getrennt, habe meine Entlassung trotz meiner Unschuld an Alf von Dülmens Händeln erhalten. Ihr, der ihr meinen Stand kennt, werdet wohl errathen, daß die Entbehrung einer armseligen Hofstelle, die ich meinen eigenen Jungfrauen besser geben kann, mich nicht beunruhigt; die Trennung von der Gräfin von Toulouse ists, was mich quält, unter dem Namen ihrer Dienerin war ich ihre Freundin, sie kennt meinen Stand, so weit ich ihr ihn entdecken durfte, und lebte nie anders mit mir, als die Gleiche mit der Gleichen. Sie verlassen, sie in Händen verlassen zu müssen, die mir verdächtig sind, dies ist die Ursach meiner Angst.

Die kastilische Heyrath ist eine von den unseligsten Verbindungen, welche je in dem Kopfe eines Staatsmanns ausgeheckt worden seyn mögen, bey den beyden Hauptpersonen findet sich nicht ein Funken von Liebe; dies ist nicht genug, auch die Großen von Kastilien sind heimliche Feinde der unglücklichen Braut. Der Plan zu dieser Vermählung ward so lange gemacht, daß sich seitdem das Staatsinteresse zehnmal verändert hat, man schließt sie jetzt nur [177] darum, weil man einmal gegebenes Wort nicht brechen mag; aber ich bin so gewiß überzeugt, als ich das Leben habe, daß man nichts mehr wünscht, als sich je eher je lieber eine unglückliche Prinzessin vom Halse zu schaffen, welche ihrem Gemahl jetzt keine sonderlichen Staatsvortheile mehr zubringen kann. Man geht mit neuen vortheilhaften Verbindungen für den kastilischen Prinzen um, die ich euch nicht genauer bezeichnen will, um euer Herz, guter betrogener Pfalzgraf, nicht vor der Zeit zu brechen. Die letztern Abentheuer, der unglücklichen Alix, die entstandenen Zweifel wider ihre Rechtgläubigkeit, und die Rasereyen meines Bruders, kamen vielleicht recht zu gelegener Zeit, um irgend einem grausamen unbilligen Verfahren gegen eine Unschuldige einen Anstrich zu geben. Worin das, was man wider meine Freundin im Sinne hat, bestehen mag, weiß ich nicht, aber daß irgend ein schrecklicher Vorgang vor der Thür ist, das muthmaße ich aus allen Umständen. Ach man entfernte mich vielleicht blos darum von ihr, damit man sie desto sicherer stürzen könnte, man wußte, daß mein Auge zu sehr über sie wachen würde, um betrogen zu werden.

Ich erhielt, als ich von der Fürstin von Kastelmoro entlassen ward, den Befehl, Pamiers sogleich zu verlassen, und ihr werdet wohl errathen, daß [178] ich mich nicht für verbunden hielt, ihn zu befolgen. Verlaß mich nicht ganz, Alverde! rief Alix, als sie sich beym Abschied weinend an meinen Nacken schmiegte, bleib hier in irgend einem Kloster, wo ich dir Nachricht von mir geben kann; dieser Bitte, oder vielmehr dem Antrieb meines eigenen Herzens zu folge, halte ich mich bey den hiesigen Cölestinernonnen auf, bereit auf den ersten Wink alles für diejenige zu wagen, für welche ich gleichfalls die Hülfe des guten Fürsten anflehen würde, an welchen ich schreibe, wenn ich anzugeben wüßte, wie der unglücklichen Gräfin zu helfen wär. So lang sie in den Händen der Kastilier ist, giebt es keine Möglichkeit, sie mit einem Anschein des Rechts zu befreyen, und wer weiß, ob sie lebendig aus denselben kommen wird. O schreckliche, schreckliche Vorstellungen! ich suchte ihr Quälendes durch Mittheilung zu lindern, aber ich merke, daß sie bey mehrerer Auseinandersetzung nur mehr Wahrscheinlichkeit, nur mehr Kraft gewinnen, mein Herz zu foltern.

Pfalzgraf Otto, ihr könnt die Prinzessin nicht retten, rettet wenigstens meinen unglücklichen Bruder auf die Art, welche euch besser bewußt seyn wird als mir.

[179]
Alix an Alverde
Alix an Alverde.
1207.

Noch einen harten Stand habe ich nach deiner Entfernung gehabt; ich ward über Dinge befragt, von welchen ich zum Glück keine Auskunft geben konnte, über deinen Stand und Herkunft; daß du mehr bist als du dich ausgiebst, mußte ich gestehen, wie hätte ich leugnen sollen, was jedem, der dich sieht, in die Augen fällt. Ueberhaupt ist leugnen gar nicht meine Sache. Eure Rede sey ja, ja, nein, nein, sagen unsere Bücher, die man mir so grausam entrissen hat; gut daß die Lehren derselben in mein Herz geschrieben stehen, womit wollte ich sonst mich jetzt, und in meinem langen freudenlosen Leben trösten, das ich an dem kastilischen Hofe vor mir sehe?

O, Alverde, weißt du was ich jetzt oft mir wünsche? frühen Tod! Ich mit all meinen Wünschen und Hoffnungen passe ja eigentlich gar nicht in diese Welt. Ich, Alverde, ich soll eine Königin werden? Ja, wenn Königinnen ihren Scepter trügen, blos um wohlzuthun! – Dieser Gedanke, der Gedanke durch die Krone zur unumschränkten Macht zu gelangen, Gutes zu stiften, und Elend zu lindern, dieser machte mir [180] lange Zeit mein Loos erträglich. Himmel, Gutes thun, und nicht müde werden, und bey dieser unermüdeten Begier nach guten Thaten, eine eben so unerschöpfliche Quelle an Macht und Vermögen zur Seite zu haben, aus der man nur nehmen und ausstreuen könnte, wo Mangel und Elend lechzte, und wenn denn rund umher, so weit die Augen reichen, alles befriedigt, alles beglückt wär, mit dem Seherblick, den man Königen zuschreibt, in die Ferne spähen nach neuer Arbeit, mit ihrem weitreichenden Arm Hülfe und Trost in die entlegensten Gegenden der Erde tragen, dieses war so mein Plan, und wer bey einem solchen eine Krone verschmähen, oder die Ruhe des Todes der Thätigkeit des Lebens vorziehen wollte, o der müßte wohl den Hauch nicht verdienen, den ihm der Schöpfer für andere nicht für sich schenkte.

Ich habe der Kastelmoro viel von meinen Wünschen und Hoffnungen gesagt, sie hat mich verlacht, und mir so ein ganz andres Bild von dem Leben einer Königin entworfen, daß ich mich mit wahrer Lebensmüdigkeit sehne, das Joch abzuwerfen, welches man mir auflegen will, und das ich zum Theil schon trage. Es scheint, zu tugendhafter Thätigkeit werden mir die Hände in Kastilien noch mehr gebunden seyn, [181] als im Kloster; wer wollte sich da das Leben wünschen? –

Mein Ansehen ist hier so klein, ungeachtet alles sich stellt mir zu Füssen zu sinken, daß ich nicht einmal Macht zu bitten habe, oder Hoffnung, daß man meine Vorbitte hören wird: Du erinnerst dich vielleicht eines jungen Menschen, welcher einst von meinem Bruder abgeschickt, mir einige Bücher brachte, deren Verbergung uns in der Folge so große Unruhe machte – (ach sie sind auch dahin, man hat mir sie genommen, und ich habe die Kastelmoro in Verdacht, daß sie sie den Flammen opferte) – dieser junge Mensch also, – (Alf von Dülmen denke ich ist sein Name) – der schönste Jüngling, den ich jemals sahe, mir doppelt rührend, durch den Ausdruck heiliger Schwermuth in seinem Auge, ist einigemal in Kirchen und auf Spaziergängen ertappt worden, daß er mir und meinen Frauen folgte; ich weiß es selbst, daß er es that, ich sprach damals mit dir davon, und glaubte, daß du, meine Alverde, der Gegenstand seiner Aufmerksamkeit wärest, ach die blendende Blässe seiner Wangen, und der wilde Blick seiner herumirrenden Augen hätte wohl auf das deuten können, was ich wohl ehe von den Würkungen unglücklicher Liebe hörte. – – Nun dieser Alf von Dülmen, (ich weiß[182] nicht, wie ich dies sagen soll, mir ists als würde ich mit der Nachricht dein Herz verwunden, ich fange zehnmal an und kann nicht endigen,) – genug man hat ihn, Gott weiß warum, eingezogen, und in ein abscheuliches Gefängniß geworfen. Sein Diener kam, nach dir zu fragen, und dich um Vorbitte für ihn anzusprechen, woraus ich fast schließen möchte, daß er dir bekannt wär, und meine Furcht, du könntest durch die Nachricht von seinem Schicksal gekränkt werden, ihren guten Grund hätte. –

Du warst nicht mehr vorhanden, da wandte sich Alf von Dülmens Vorbitte an mich, und du kannst wohl denken was ich that. Zum Bischof von Kastilien eilte ich, welcher des Gefangenen Schicksal in Händen hat, für ihn zu bitten; aber glaubst du, daß meine Vorbitte, die Vorbitte einer Person, welcher man mit der Macht zu befehlen schmeichelt, etwas fruchtete? Fast zu Füssen habe ich mich dem grausamen Priester geworfen, umsonst! Mein Eindringen schien ihn nur noch mehr zu erbittern. – Ich eilte von ihm zu den Grafen von Kastelmoro, dem Sohn der Fürstin, ich bestürmte das Mitleid der Fürstin selbst, sich mit mir bey dem Bischof zum Besten des armen Unbekannten zu verwenden; ich ward eben so hart, fast möchte ich sagen schimpflich zurückgewiesen. Es hat [183] das Ansehen, als wollte man mir es zur Sünde rechnen, daß ich Gefühl für fremde Leiden habe. Man hat mich in Verdacht geheimer Kenntniß von den mir unbekannten Verbrecher jenes Gefangenen; man thut Fragen an mich, über die ich erstaune! O, Alverde, noch einmal, ist dieses der Zustand einer künftigen Königin, so wähle ich den Tod – doch ihn herbeyzuwünschen, ist fast so ruchlos als ihn beschleunigen, ich nehme also meine Worte zurück, und ergebe mich in mein Schicksal.

Alf von Dülmen soll tod seyn, man sagt, meine Vorbitte habe sein Urtheil beschleuniget, o Alverde, siehe hier die glorreichen Würkungen, welche inskünftige meine Verwendungen für Elende haben werden.

Pfalzgraf Otto von Wittelsbach an Bernhard
Pfalzgraf Otto von Wittelsbach an Bernhard, Herzog von Sachsen.
1207.

Ich habe Nachricht, Graf Adolf von *** sey in Lebensgefahr, ich sehe nicht, was man außer einigen jugendlichen Thorheiten für Verbrechen auf ihn bringen kann, hier ist der Brief seiner Schwester, durch welchen ich hievon das [184] erste erfuhr, zu weiterer Belehrung; ihr wißt, meine Macht reicht nicht zu seiner Rettung hin, ihr aber vermögt alles. Der Ort der Gefahr ist Pamiers, die Hauptfeinde des Verfolgten wahrscheinlich Mönche. Genauere Kunde werdet ihr besser und schneller als durch mich erhalten können.

Antwort
Antwort.
1207.

Noch immer durch Krankheit festgehalten, muß ich die thätige Hülfe für den Freygrafen Adolf, dem Herzog von ** auftragen, welcher sich an meiner Statt unbekannt zu Pamiers aufhielt. Wenn ihr dieses durch die gewöhnlichen Mittel erhaltet, wird Graf Adolf wahrscheinlich schon gerettet seyn! – Daß Mönche seine Feinde sind, ist nicht zu bewundern, sie sind Feinde unsers ganzen Bundes; sie trachten nach der Macht, die uns Gott und der Kaiser verliehen hat. Ich habe dem Herzog ** nach Pamiers warnend geschrieben, daß er sich von niemand auslocken lasse, auch euch, mein theurer Wittelsbach, warne ich. Ich höre von einer besondern Vertraulichkeit zwischen euch und dem Bischof [185] von Sutri; Dinge, die mir nicht gefallen. Nehmt euch in Acht, ihr werdet nie aus Bosheit und Leichtsinn fehlen, aber ich kenne euer Herz, ihr könntet leicht aus frommer Unachtsamkeit, euch zu Aeußerungen über Dinge verleiten lassen, die uns Gefahr bringen könnten, und die euch auf der Stufe, auf welcher ihr steht, noch nicht einmal verständlich sind.

Alf von Dülmen an den Pfalzgrafen Otto
Alf von Dülmen an den Pfalzgrafen Otto.
1207.

Kann ich die Hand verkennen, welche mich aus dem Kerker, dem Tode aus dem Rachen riß? Es war die Deinige, aber soll ich dir danken für das was du thatest? In welch ein Leben hast du mich zurückgerufen! Es ist wahr, das Elend des Gefängnisses hat mein Gehirn ein wenig abgekühlt, hat mein Blut ruhiger fließen gemacht, hat mir Muße zum Nachdenken gegeben; in der Dunkelheit eines Kerkers beurtheilt man manche Dinge richtiger, als bey hellem Sonnenlichte, aber wenn ich auch das Rasende meines Betragens in Ansehung der Gräfin von Toulouse einsehe, wenn ich auch fühle, [186] zu welchen Thaten mich eine wüthende Leidenschaft beynahe hingerissen hätte, und dem Schicksal danke, daß es mich bey so viel Abgründen vorüber führte, macht dies meine Lage glücklicher? Alix ist und bleibt dennoch für mich verlohren. Mit dem Tage, der sie zur Königin von Kastilien macht, stirbt für mich jede Hoffnung auf Glück. Noch irgend eine Freude auf der Welt zu erwarten, würde für den, welcher so niedergedrückt ist als ich, lächerlich seyn.

Du schreibst, an dem kaiserlichen Hofe könne Glück für mich blühen, die jüngere Schwester deiner Verlobten, die Prinzessin Beatrix sey noch nicht so fest für den Herzog von Braunschweig bestimmt, daß sich nicht Aenderung hoffen ließ, sie habe dir den wahren Namen ihrer Freundin Alverde und ihres Bruders abgefragt, habe mein Bild bey dir gesehen, und vortheilhaft von mir gesprochen; alles gute und schöne Dinge, welche mir fast dasjenige wieder ins Gedächtniß rufen könnten, was mir einst meine Schwester in voller Angst über meine Anschläge auf die Gräfin von Toulouse schrieb; – mir helfen im Grunde all diese Hoffnungen nichts; und wär Beatrix noch zehnmal schöner, als sie seyn soll, und wär sie, statt die Tochter eines Kaisers zu seyn, selbst Kaiserin, und brächte sie mir mit ihrer Hand Kron und [187] Thron, die angebetete Alix würde sie mich doch niemals können vergessen machen. –

Doch ich fühle das Gewicht deiner Rathschläge, ich muß mich herausreißen, muß Pamiers verlassen, und meinen Gedanken, wär es auch nur zum Schein, eine andere Beschäftigung geben, damit ich die Königin von Kastilien vergesse.

O Otto, du weißt nicht, wie weit meine Leidenschaft für sie gegangen ist, so weit, daß sie mich die Pflichten der Freundschaft vergessen machte; mir kam etwas zu Ohren, als könnte man willens seyn, der Gräfin von Toulouse die ihr so lang bestimmte kastilische Krone zu entziehen, und sie einer andern, die dem Königreiche mehr Nutzen brächte, zuzuwenden; diese Andre, versicherte man mich, könnte wohl Kaiser Philipps Tochter, deine Elise seyn; und solltest du es wohl glauben, daß ich mich freute, dich zum zweytenmal deiner Verlobten beraubt zu sehen? nicht etwa weil dies dich unglücklich machte, sondern weil es meinen Hoffnungen auf Alix mehrere Wahrscheinlichkeit gab. In dem Taumel, in welchen ich damals war, glaube ich im Stande gewesen zu seyn, dir deine Braut mit eigener Hand zu entreißen, und auf den kastilischen Thron zu setzen, nur daß Alix mir geblieben wär. – Gott lob, daß die [188] blinde Raserey der Leidenschaft vorüber ist, welche nichts auf Freundschaft und Billigkeit achtet, nur auf eigenen Nutzen sieht.

Jetzt habe ich schon wieder gelernt, auf den Gedanken mit Entsetzen zu blicken, daß Philipp dich zum zweytenmal verrathen könnte; o Otto, wenn dieses möglich wär! traue ihm nicht zuviel, ich habe Dinge von ihm gehört, welche mich schaudern machen! Auf jeden Fall sorge, daß Elise bald dein Eigenthum werde, so lange sie noch in der Gewalt ihres wankelmüthigen Vaters bleibt, kannst du nicht gewisser auf ihren Besitz rechnen, als auf ihre Schwester Kunigunde. Der Pabst haßt dich und den Kaiser, er zittert vor dem Gedanken, die Macht des einen durch Verbindung mit dem andern gestärkt zu sehen, er wird nicht ermangeln, zum zweytenmal zu stören, was er weder dir noch ihm gönnte. Glaube nicht, daß ich dich mit bloßen Muthmaßungen unterhalte, sobald ich bey dir bin, will ich dir Beweise auflegen.

Bald, bald siehst du mich an dem kaiserlichen Hofe, diesen Abend noch einen Abschiedsbesuch bey meiner Schwester im Kloster, und morgen meine Abreise. Die arme Alverde, die treue zärtliche Schwester verdient durch den Anblick dessen getröstet zu werden, dessen Schicksal ihr so viel Kummer machte. Man hatte ihr [189] hinterbracht, ich sey tod; denke dir das Entsetzen der guten Seele.

Du wunderst dich über den ruhigen Ton, in welchem ich der vor wenig Tagen noch halb Wahnsinnige schreibe, du kannst nicht begreifen, daß die Kerkerluft allein diese Aenderung bewirkt habe? – Du möchtest vielleicht Recht haben. Wisse, ich bin jetzt mit mehreren Hoffnungen in meiner Liebe beglückt als zuvor, ich habe erfahren, daß die himmlische Gräfin von Toulouse sich in meinem Elend durch die dringendsten Vorbitten für mich verwendet hat; dies schmeichelt mir nicht allein mit dem Gedanken, daß ich ihr nicht gleichgültig bin, sondern es bringt mir auch noch andre Möglichkeiten in den Sinn. Sie hat durch ihre Gnade gegen mich, welcher man einen höhern Namen giebt, als ich für wahr halten kann, den Haß der Kastilier noch mehr auf sich geladen, ihre Einsegnung mit dem kastilischen Gesandten wird verschoben von einem Tage zum andern, sie werden sie nimmer zu ihrer Königin machen; sie sinnen nur darauf, wie sie das Band mit guten Schein brechen, und die Heyrathswerbung um deine Elise anspinnen wollen; das letzte soll ihnen, so Gott will, fehlschlagen, aber das erste bringt die schöne Alix in meine Arme. Auf die erste Bewegung, die man macht, sie ihrem Bruder zurück [190] zu schicken, – und dies muß geschehen, ehe man mit Anstand die Werbung um die kaiserliche Prinzessin einleiten kann – auf den ersten Wink, den mir Alverde, mit der ich einverstanden bin, hievon giebt, habe ich Recht, die Verstossene in meine Arme aufzufassen. Hier ist die Rede weder von Entführung noch Gewaltthat. Ganz ruhig, und vor den Augen der ganzen Welt bringe ich sie nun in die Arme ihres Bruders zurück. Die Lage des Grafen von Toulouse ist bedenklich, der Schutz, den er den Waldensern in seinen Landen gönnt, reizt allgemach den Zorn des Pabsts, man sagt, der tapfre Graf Simen von Montfort rüste sich mit mehreren Tausenden, einen 7 Einfall in die durchächtete Grafschaft zu thun; dies ist gerade so ein Gegner für mich. Der Graf von Toulouse wird Alf von Dülmens Schwerd brauchen können, und ihm denn, wenn er sich ihm als Graf Adolf von *** zu erkennen giebt, seine Schwester nicht versagen.

Siehe, Otto, dies sind meine Plane und meine Hoffnungen, sie haben mich aus der Tiefe der Verzweiflung herausgerissen, ein Unglück [191] für mich ists, daß diese Dinge Zeit brauchen. Verlaß dich darauf, ich komme nach Hofe, um die große Crise abzuwarten; meine Schwester, Alverde bleibt hier in der Verborgenheit ihres Klosters, und wacht für alles.

Alverde an den Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach
Alverde an den Pfalzgrafen
Otto von Wittelsbach.
1207.

Ich habe den Brief gelesen, den euch mein Bruder schreibt, um Gotteswillen begünstiget alle seine weitaussehenden Hoffnungen, sie sind das einzige Mittel, seinen Rückfall in jenen fürchterlichen Zustand zu verhüten, dem er kaum entgangen ist. Was mich anbelangt, ich hoffe wenig und fürchte viel, aber ich verschließe meine heimliche Angst in meinen Busen. Die Hauptsache ist jetzt, meinen Bruder von Pamiers zu entfernen; seine Gegenwart hier taugt zu nichts, als ihn in neue Gefahren zu stürzen, und die Lage der Gräfin von Toulouse noch bedenklicher zu machen. Die Großmuth, mit welcher sich diese edle Seele für den verwendete, den sie nie anders kannte, als Alf von [192] Dülmen, und für den sie nichts weiter fühlt als Mitleid, da ihr seine Leidenschaft für sie ganz unbekannt ist, diese Großmuth, dieses dringende Bitten um seine Befreyung, als er gefangen war, ihr Kummer über den Abschlag, ihre Betrübniß über seinen vermeynten Tod, ihre Freude, als sie von ohngefähr erfuhr er sey frey, werden ihr hier ganz falsch ausgelegt, und es ist nichts besser, als daß Alf von Dülmen gänzlich verschwinde, um ihr Ruhe zu schaffen.

Wie ihr seine Befreyung bewürkt, wie ihr den Bischof von Kastilien genöthigt habt, ihn herauszugeben, das ist Gott bekannt, mir ziemt es nicht darnach zu fragen, es scheint, euch und den eurigen ist alles möglich, und ihr könntet wohl dem Tod und die Hölle zwingen, ihre Gefangenen wieder heraus zu geben. Möchte sich doch eure Macht auch auf die unglückliche Alix erstrecken! aber es scheint, man muß in euren Bund gehören, um eure Hülfe vollkommen zu genießen, und der schwächere und am meisten hülfsbedürftige Theil des menschlichen Geschlechts, wird sich also immer eurer Macht am wenigsten zu getrösten haben.

Lebt wohl, edler Pfalzgraf. Die Warnungen, wegen eurer Verlobten, der Prinzessin

[193] Elise, schlagt nicht in den Wind, sie haben ihre guten Gründe.

Der Unbekannte an Peter von Kalatin
Der Unbekannte an Peter von Kalatin.
1207.

Gott weiß, welche Hand über den sogenannten Alf von Dülmen waltet. Zweyen Schlingen ist er entgangen, in welchen wir ihn gewiß zu haben glaubten. Die Ausschweifungen, welche er aus Liebe gegen die Gräfin von Toulouse recht erwünscht beging, brachten ihn in die Gewalt des Bischofs von Kastilien. Aber ein Wink unsers leider allgemeinen Oberhaupts, des Herzogs von Sachsen, dem seine Gefangenschaft, ich weiß nicht wie verkundschaftet worden war, und ich mußte alles anwenden, ihn zu befreyen.

Hier genöthigt, meinem Feinde die Fesseln zu lösen, dachte ich ihn auf einer andern Seite desto gewisser zu fällen. Er war nicht sobald frey, als ich Sorge trug, daß die euch bewußten Klagen wider ihn in unserm heimlichen Gericht angebracht wurden, aber er vertheidigte sich so bündig, daß alle Schuld sich von ihm hinweg und auf einen andern, auf euch lenkte; die Mittel, die ihr sehr klüglich gebraucht hattet, [194] euch auf diesen Fall sicher zu stellen, schlugen nicht fehl, ihr wurdet schuldlos erklärt, aber er war es nicht weniger, und was ich noch zu seinem Nachtheil hätte thun können, war unmöglich, wenn ich mich nicht in Gefahr setzen wollte, daß er auftrat und alles entdeckte, was ihm einst von meiner erzwungenen Vertraulichkeit gegen den Grafen von Segni merken ließ.

O Kalatin, wohl hattet ihr Ursach, mir diese Unvorsichtigkeit zu verweisen! ohne sie wär jetzt unser Feind aufs wenigste seiner Stelle im heimlichen Gericht entsetzt, ich an seinem Uebermuth gerochen, und mein Bruder, der Erzbischof von Bremen, wieder im Besitz der geraubten Lande, und Alverde euer. – Ich würde ganz ohne Trost über die Fehlschlagung meiner Wünsche seyn, wenn sich nicht Hoffnung, ihn zu fällen, mir noch von andern Seiten öffnete.

Einige der Bischöfe, welche bereits zu viel von unsern Geheimnissen wissen, drangen darauf, daß die schreckliche Anklage wider Kaiser Philippen, die vorgebliche Vergiftung Erzbischof Konrads von Kölln vor den Richterstuhl gebracht werden sollte. Ich mußte einwilligen, der Graf von Segni hat mich in seinen Banden. Noch hoffte ich, die Sache sollte sich selbst zerstören, weil ich sie ganz für unerweislich hielt, [195] leider war sie es nicht; doch was könnten Bischöfe nicht beweisen!

Kaiser Philipp sey schuldig oder nicht, so machte die Sache auf die Versammlung einen erstaunenswürdigen Eindruck, und den tiefsten auf den sogenannten Alf von Dülmen, welcher, nachdem er von vorgedachter Anklage gerechtfertigt war, nun wieder seinen Sitz in der Versammlung eingenommen hatte. Der Stab ward gebrochen, das Loos über die Bluträcher geworfen, es traf, wie ihr denken könnt, den Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach, und Alf von Dülmen.

Stimmen erhuben sich von allen Seiten zur Appellation, ihr wißt, Pfalzgraf Otto ist des Kaisers erwählter Schwiegersohn, und Alf von Dülmen – (wie ich den stolzen Grafen Adolf am liebsten nenne) – des Wittelsbachers bester Freund, aber es durfte keine Einwendung mehr angenommen werden, der Hahnenschrey verkündete den Tag, der Himmel graute, und die Richter gingen auseinander.

Laßt uns warten, was aus diesen großen Anlagen entstehen wird. Behauptet sich Philipps Schuld, so folgt ihm der Bluträcher, aber es ist kein kleines, einem Kaiser ungestraft den Todesstreich zu geben, so viel ich weiß, ist noch in keinem unserer Gerichte der Fall vorgekommen.[196] – Otto von Wittelsbach und Alf von Dülmen, ihr Gehaßten beyde! Wehe über euch! euer Schwerd erreiche oder verfehle sein Ziel! im ersten Fall seyd ihr der öffentlichen Gerechtigkeit als Kaisermörder, im andern der heimlichen, als Meineidige verfallen.

Beatrix an Alverde [1]
Beatrix an Alverde.
1208.

Dein Alf von Dülmen, den ich nun aber schon längst nach seinem wahren Namen, und eben so lang nach einem Bilde von ihm, das mir der Pfalzgraf zeigte, kenne, der Bruder meiner Alverde ist hier angekommen, aber Gott, welch ein Mann gegen die Vorstellungen, die ich mir nach allen Umständen von ihm machen mußte! Können so schöne Züge durch ein innerliches Etwas so entstellt werden? und was mag das Etwas seyn, das in seinen Innern gährt?

Nein Alverde, dein Bruder hat den Eindruck nicht auf mich gemacht, den ich geglaubt hätte, als ich ihn nur noch von Hörensagen, als ich ihn nur noch aus jenem geschmeichelten Bilde kannte; statt ihn zu lieben, fürchte ich ihn. Auch in seinem Betragen herrscht eine [197] gewisse scheue Furchtsamkeit, die ihn zu einem äußerst widrigen Gegenstande macht; und dieser Mann sollte mich einst geliebt haben? – Nein, er hat es nicht, das Ganze war nur eine Täuschung der Eitelkeit, welche meine Alverde mir zu benehmen nicht freundschaftlich genug dachte. Der Pfalzgraf hat es mir entdeckt, daß die verlobte Königin von Kastilien der Gegenstand seiner Leidenschaft war, den du mir verschweigest, und ich hörte diese Entdeckung mit mehrerem Kaltsinn an, als bey meinem für ihn gefaßten Vorurtheil geschehen seyn würde, hätte ich ihn ganz dem Bilde ähnlich gefunden, das ich mir von ihm machte.

Doch er mag wohl nicht immer so beschaffen gewesen seyn, als er jetzt ist, der Pfalzgraf versichert mich, daß er ihn selbst kaum mehr kenne, daß er ihm ganz fremd geworden sey, fremd auf alle Art; denn bey der großen Vertraulichkeit, die von je her unter ihnen herrschte, hat er noch zu keiner Privatunterredung mit ihm kommen können; Wittelsbach behauptet, es müßte etwas ganz außerordentliches in seinem Innern arbeiten, aber dieses zu entdecken, ist keine Möglichkeit, da er ihn auf das sorgfältigste flieht.

Alverde, fast möchte ich anfangen deinen Bruder zu bemitleiden! sollten dies vielleicht [198] noch Ueberbleibsel der Rasereyen um Alix seyn? O der schöne herrliche Mann! daß die Liebe ihn so zu Grunde richten mußte! Möchte sie ihm doch die ausgestandenen Leiden auf andere Art vergüten! und wie glücklich wär diejenige, welche der Himmel zum Werkzeug dieser Vergütung bestimmt hätte, sie, die diesem edeln Herzen die Ruhe, dieser Stirn die Heiterkeit, dieser Gestalt ihre Würde wieder geben könnte; ach Freundin, ich weiß nicht was ich denke, ich scheue, ich fürchte diesen unbegreiflichen Mann, deinen Bruder, und doch ist wieder mein Mitleid gegen ihn so zärtlich, daß ich im Stande wär, ihm alles zu verzeihen, selbst, daß er die Gräfin von Toulouse liebte, und nicht mich!

Alf von Dülmen an den Pfalzgrafen
Alf von Dülmen an den Pfalzgrafen.
1208.

Verfolge mich nicht, Wittelsbach, frage mich um nichts, du möchtest schreckliche Dinge hören. Allerdings tobt ein grauenvolles Geheimniß in meinem Busen, das ich dir zu entdecken schuldig wär, da es einen Auftrag betrifft, den wir vor dem heimlichen Gericht gemeinschaftlich erhalten haben; du kannst ihn nicht ausrichten, [199] er würde dein Unglück machen, nun so fällt er also mir auf die Schultern, aber ich versichere dich, es ist kein kleines ihn zu übernehmen.

Nimm jetzt den Rath an, den ich dir gebe, heyrathe deine Elise sobald als möglich, und wärs diesen Abend, es ist ihrem Vater auf keine Weise zu trauen, wer weiß ob nicht schon Verhandlungen deine Verlobte zur kastilischen Königin zu machen, unterwegens sind, denen er nur allzugefällig gehorchen wird, die er vielleicht selbst veranlaßte. Nimm Elisen, sage ich nochmals, und führe sie so weit du kannst, auf eines deiner Schlösser, damit du nicht hörest, was hier bey Hofe vorgeht, – Wohl, o wohl mir, da ich thun muß, was ich thun werde, daß nicht die reizende Beatrix, sie, die einzige, welche die Stelle der Gräfin Toulouse ersetzen könnte, mein Herz fesselte, was würde sonst aus mir werden? denn wär ich gerade in dem nehmlichen Fall, in welchem du, ohne es zu wissen, dich befindest!

Aber Himmel, sollte die Sache auch völlig erwiesen seyn? Der Herzog von Sachsen war nicht beym Gericht, als es uns den grauenvollen Auftrag gab; mit ihm Rücksprache zu halten, wär doch wohl Pflicht und Nothwendigkeit ehe man handelte. –

Otto, ich weiß du verstehst mich nicht, ich hatte dir all dieses nicht schreiben sollen, aber [200] meine Gedanken werden, ich schreibe oder ich spreche, unwillkührlich zu Worten, und da Worte nicht im Stande sind, den Zustand meines Herzens zu schildern, so rede und schreibe ich unverständlich, und werde für einen Träumer gehalten. – O Schicksal, Schicksal! daß du mich in allem das härteste Loos ziehen ließest!

Elise an ihre Mutter Irene
Elise an ihre Mutter Irene.
1208.

Es war als ob mein Herz von mir riß, da ihr die Reise nach eurem neuen Lustschlosse antratet; doch eure Gesundheit wollte es, die Aerzte, diese allgewaltigen Herrscher in eurer Lage, geboten, und man mußte nachgeben. O warum durfte ich euch nicht folgen! Ihr sagtet mir lachend, meine Pflege würde euch bey den Stunden, welche euch bevorstehen, wenig frommen; nun wohl, für euch in der Nähe zu wachen, dem Kaiser täglich Nachricht von euch und endlich die frohste aller Botschaften zu überschreiben, dazu wär ich doch wohl verständig genug gewesen, dazu hätte es doch wohl nicht Noth gethan, daß ich erst, wie ihr euch scherzend ausdrückt, [201] ein halbes Dutzend Jahre Gräfin von Wittelsbach gewesen wär?

Ach wie weit ist dieser Name warscheinlich noch von mir entfernt! – Ihr wisset, wie ich den theuren Pfalzgrafen liebe, ich habe es euch gestanden, daß lange vorher, ehe seine Wahl unter Kaiser Philipps Töchtern auf Kunigunden fiel, mein heissester, heimlichster Wunsch war, er möchte mich wählen. Er wählte mich nicht, und ich eilte den Kummer, dessen ich mich schämte, in der Dunkelheit des Klosters zu vergraben.

Sehet, das Schicksal hat nun zwischen mir und meiner Schwester, die ihr Glück nicht erkannte, entschieden; Pfalzgraf Otto ist mein, tausendmal betheuert er mir, daß er sich freut, von Kunigunden getäuscht, und durch ihren Wankelmuth mein geworden zu seyn; ein Kind, sagte er oft zu mir, geht ja wohl vor köstlichem Golde über, und wählt eine schimmernde Scherbe, es verwundet sich die Hand, und greift nach dem heilenden Golde 8; sehet, Elise, dies ist mein [202] Fall, ich weiß jetzt was ich an Kunigunden verloren, und an euch gewonnen habe. –

Reden von dieser Art schmeicheln mir, entzücken mich, sie haben in dem Munde meines Otto doppelten Werth, in dem Munde eines andern würden sie nichts sagen. Die Sekte Peters von Kalatin, die schmeichelnde, süßlächelnde, wortreiche Sekte der Frauendiener nimmt immer mehr überhand, nur wenig Männer sind, bey welchen, so wie bey meinem Verlobten, jedes Wort genau den Gehalt hat, welchen sein Gepräg versprach.

Zu welcher Gattung mag sich jener Alf von Dülmen rechnen, der sich seit einiger Zeit hier aufhält, den wir aber alle unten einem höhern Namen kennen. – Er ist der Freund meines Otto, o möchte er ihm an Redlichkeit gleichen! Ihr wißt, meine Mutter, was mich zu diesem Wunsche bewegt. Die vorgehabte Verbindung unserer Beatrix mit dem Herzog Otto von Braunschweig ist so gut als vernichtet. Mein Vater und er konnten ja bey der letzten vom Pabst veranstalteten Friedensunterhandlung so wenig einig werden, daß gar nicht daran zu denken ist, eine Vermählung könne den ewigen Zwist heben; sprecht selbst, wer sollte nur den Vorschlag dazu thun? – Ist dieses, hat Beatrix von dieser Seite nichts zu hoffen, oder fast möchte ich lieber sagen, zu [203] fürchten, so könnte man ja auf eine andere Verbindung, auf eine Verbindung nach dem Herzen des armen Mädchens denken! – Dieses Herz, meine theure Mutter, spricht mir nur gar zu hörbar für den sogenannten Alf von Dülmen, in dem sie so wenig als wir alle, den bekannten Grafen Adolf von *** verkennt; zwar ist er eben keiner von den größten Fürsten unserer Zeit, aber er hat doch Land und Leute, ist vom hohen königlichen Adel, und kann sich an Ansehen im römischen Reiche mit manchem weit höher Benamten messen. O meine Mutter, wenn wir Beatrix durch ihn glücklich machen könnten! – Doch dies sind weitaussehende Dinge. Er hat für meine Schwester nichts als Bewunderung, da sein Herz noch voll ist von unglücklicher Liebe gegen die künftige Königin von Kastilien. Meine Schwester giebt vor, ihn in der Nähe weit weniger einnehmend zu finden, als in der Fern, auch ist es wahr, er hat ein gewisses Etwas an sich, das mich von ihm zurückschreckt, doch mich dünkt, dies ist ihm fremd, ist vielleicht nur noch ein unglückliches Ueberbleibsel von seinen Leiden um Alix, ist erst diese so fest gebunden, daß keine Hoffnung auf sie mehr übrig bleibt, so wird er sich erholen, wird ganz wieder der werden, welcher er ehemals war, wird für andre Reize Augen zu haben beginnen, wird sie ganz natürlich [204] auf die liebenswürdige Beatrix werfen, ihr und mein Vater werdet einwilligen, und auch sie wird glücklich seyn, wie ich es bin.

O wenn nur Alf voll Dülmen ganz der ist, für welchen ich ihn, ungeachtet seines finstern zurückstoßenden Wesens, halte! Zwey Dinge sind, davon das eine für, das andre wider ihn spricht. Peter von Kalatin, dieser Mann, den wir alle verabscheuen, und seit der Kenntniß von Alverdens Geschichte noch mehr verabscheuen müssen, war einst sein Freund und ist es nicht mehr, auf die erste Nachricht von seiner Ankunft bey Hofe, entfernte er sich, wie ihr wißt, und hat sich seitdem nicht wieder sehen lassen; dies gereicht zu Alf von Dülmens Besten; brechen lasterhafte Freunde mit einem Manne, so muß er wohl der Tugend gehuldigt haben; aber ist das auch vortheilhaft für den Mann, von welchem wir reden, daß mein geliebter Pfalzgraf einst sein Freund war, daß er es auch noch ist, und doch von ihm wie ein Feind geflohen wird?

Der Pfalzgraf hat in diesen Tagen einen äußerst seltsamen Brief von ihm erhalten, aus dem er selbst, ungeachtet er gewiß mehr davon versteht als ich, nicht klug werden kann.

Mich dünkt, meine Mutter, Otto hätte mich ihn nicht lesen lassen sollen, es kommen Punkte [205] darinn vor, welche geheime Dinge betreffen, die wohl eigentlich vor kein profanes Auge, am wenigsten vor das Auge eines Weibes kommen sollten; aber so ist das truglose Herz meines Geliebten, er vertraut sich andern zu leicht, und obgleich seine Verschwiegenheit in dem was er eigenlich zu verschweigen gelobt hat, unverbrüchlich ist, so entfallen ihm doch oft, ohne daß er es denkt, Winke, welche kühnen Muthmaßern Stoff genug zum Forschen und Nachdenken geben. Gott gebe, daß ich die Einzige bin, und gewesen seyn mag, gegen welche er sich solche Unvorsichtigkeiten zu Schulden kommen ließ von mir hat er nichts nachtheiliges zu besorgen; kann ich mir das Muthmaßen nicht wehren, so wird mich doch Vernunft und Bescheidenheit wohl ewig vor kühnem Forschen und Ausschwatzen bewahren. Selbst gegen euch, meine Mutter, würde ich dieses wenige nicht gesagt haben, wüßte ich nicht, daß euch jedes Geheimniß, selbst das Geheimniß eurer Kinder, heilig ist, und von euch wohl immer unangetastet bleiben wird.

Außer den Dingen, über welche ich mich nicht weiter erklären kann, enthielt Alf von Dülmens Brief noch verschiedenes, welches mich wohl wider ihn aufbringen, und bewegen könnte, all die gute Meynung, all die guten Absichten, die ich für ihn habe, zurück zu nehmen. Bedenkt [206] selbst, er sucht meinem Verlobten Argwohn gegen meinen Vater einzuflößen, giebt nicht undeutlich zu verstehen, der Kaiser könne die Absicht haben, mich ihm zu entreißen, und an die Stelle der Gräfin von Toulouse auf den kastilischen Thron zu heben!

Ich hoffe, Alf von Dülmen ward selbst von unsern Feinden getäuscht, und schreibt dieses nicht aus bösem Herzen. Ich habe mächtig gestritten, dem Pfalzgrafen alle Unwahrscheinlichkeiten zu zeigen, welche in diesem Vorgeben liegen. Weil Philipp einmal wortbrüchig an dem Pfalzgrafen ward, darum muß er es nicht zum zweytenmale werden! Daß Kunigunde ihm entzogen wurde, läßt sich entschuldigen, sie liebte ihn nicht, und ein anderer hatte ihre frühern Gelübde, aber was für ein Vorwand zeigte sich, mich ihm zu rauben, mich, die ganz in dem geliebten Otto lebt und athmet, die nie, außer ihm, einen Mann eines Wunsches würdigte, die sich dem Kloster gewidmet haben würde, wär kein Wittelsbach für sie in der Welt gewesen? –

Die Sache widerlegt sich selbst, mein Vater ist ein Deutscher, so wird er nicht handeln, und auf der andern Seite, welch ein ungeheurer Einfall: Alix, welche so nahe am Throne steht, sollte jetzt noch einer andern Platz machen! [207] Ich habe meinem Geliebten das Abgeschmackte in einem solchen Vorgeben deutlich gezeigt, aber er gab mir hier nicht so viel Gehör, als in Ansehung des ersten, er meynte: Wie und warum die Verfassung der Gräfin von Toulouse möglich wär, wollte er mir wohl ein andermal bey mehrerer Muße erklären, doch schien er mir im Ganzen beruhigt, und schied mit ziemlich frohem Muthe eine Reise nach Polen anzutreten, welche ihm der Kaiser aufgetragen hat. Ich aber bin seit seiner Entfernung sehr traurig. Das was mir anfangs in Alf von Dülmens Brief so unwahrscheinlich dünkte, macht mir jetzt manche trübe Stunde; einmal ist doch so viel gewiß, meine Verbindung mit dem Grafen wird über die Gebühr verschoben, und was mag seine Reise jetzt wieder bedeuten? Mußte man eben ihn, konnte man keinen andern schicken? –

Ach, meine Mutter, wie ich im Anfang sagte, der Name der Gemahlin meines Otto ist wohl noch weit entfernt von eurer

Elise! [208]

Kunigunde, Gräfin von Segni, an ihre Schwester Elise
Kunigunde, Gräfin von Segni,
an ihre Schwester Elise.
1208.

Du hast mich, seit ich aus dem vaterländischen Hause schied, keines Briefs gewürdigt, und ich muß glauben, das was dein sogenanntes Glück gemacht hat, bringe dich wider mich auf, und bewege dich, gegen mich unschwesterlich zu handeln. O Elise! was hab ich dir gethan? zürnest du darum mit mir, weil ich den Pfalzgrafen Otto von der Hand ließ, um meinem Richard treu zu bleiben? Du liebtest deinen Wittelsbacher, die Art, wie ich gegen ihn handelte, handeln mußte, ward dein Triumph, ohne mich wär Otto nie dein geworden, so solltest du ja billig mir ehe danken, als auf mich zürnen!

Und doch hättest du billig Ursach, mir übel zu wollen, hätte ich gutwillig die Veranlassung zur Verbindung mit einem Manne gegeben, der deiner Wahl nicht würdig ist; bey Gott, das wollte ich nicht, ich erschrak als ich erfuhr, die Gefahr, Gräfin von Wittelsbach zu werden, welcher ich mit genauer Noth entkam, betreffe nun eine meiner Schwestern! – Wie[209] konnte ich glauben, der Kaiser, welcher einmal Bedenken trug, dem Pfalzgrafen eine Tochter zu geben, sey nun zum zweytenmal im Begriff, sich berücken zu lassen? wie konnte ich vermuthen, die stolze Elise würde sich an dem Besitz eines Herzens laben, dasich verschmähte, oder um weltlicher Liebe den heiligen Vorsatz zum Kloster aufgeben? Kaum hätte ich dieses der kleinen leichtsinnigen Beatrix zutrauen sollen, die nun, wie ich höre, groß und schön geworden ist, und gar davon träumt, durch den Herzog von Braunschweig, (den freylich ich als Philipps Tochter nicht Kaiser nennen darf, obgleich alle Welt ihm diesen Namen zugesteht) – römische Kaiserin zu werden.

Wir wollen die Kleine mit ihren vergeblichen Hoffnungen lassen und zu dir zurückkehren. – Elise, du weißt, daß du verschiedene Jahre mehr hast, als ich, und also mich an Klugheit übertreffen solltest, aber du lebst in dem schlichten geradsinnigen Teutschland, ich in dem aufgeklärten Italien, dies diene uns beyden zur Entschuldigung, wenn wir das Geben und Annehmen wohlgemeynter Warnungen einmal gegen einander vertauschen.

Dich zu warnen, mein Kind, schreibe ich dieses, dich zu warnen vor dem falschen Grafen von Wittelsbach; – ich hoffe, du traust mir [210] zu, daß ich nicht ohne Ursach so schnell mit ihm brach; nicht allein die ältere Liebe zu Richard, sondern auch genaue Kenntniß seines Charakters bewog mich, so zu handeln, wie ich handelte, und der Bann, den alle Welt, den selbst Mutter und Schwestern wegen meiner sogenannten Wankelmüthigkeit über mich ergehen ließen, trifft nicht mich, sondern den, welchen ich mit reifer Ueberlegung verließ.

O Elise, du dauerst mich! Wittelsbach ist nicht der, welcher ein Herz, wie das deinige beglücken kann; was solltest du fromme Nonne mit dem unruhigen Pfalzgrafen? Du zärtliche, du treue Tochter, mit dem Manne, der Zeit genug seine Hand nach deines Vaters Kron und Thron ausstrecken wird? Du ewigliebende Seele, mit dem, welcher mit jedem Jahreswechsel die Treue ändert, welcher irgend eine, die ich nicht nennen kann, einst um meinetwillen, mich für dich, und dich für eine neue Geliebte vergaß, die, wenn er nicht bald stirbt, auch wohl nicht die letzte in seiner Liebesreihe seyn wird! Was dient dir ein Mann, der zu einem furchtbaren heimlichen Bunde gehört, dessen ich nicht ohne Grauen gedenken kann, zu einem Bunde, welcher es seinen Mitgliedern zur Pflicht macht, das Schwerd immer gewetzt zu halten, und[211] sollte es auch seyn, Vater, Bruder und Freund hinzuopfern!

Du entsetzest dich, ob den harten Beschuldigungen? Du forderst Beweise? Wohl gut, deine Forderung übersteigt die Schranken eines Briefs, aber ich kenne das weibliche Herz genug, um zu wissen, daß wenn ich dir die Wahrheit einer meiner Anklagen vor Augen gelegt habe, du keine mehr bezweifeln wirst. Beweise ich dir, daß Otto von Wittelsbach treulos gegen seine Elise handeln konnte, so vermuthe ich, du wirst ihn keiner Unthat unfähig halten.

Du kennst doch die Königin Adila, Premislaus geschiedene Gemahlin? sie, um deren willen unser Vater sich einst den König von Böhmen zum Feinde machte, weil er die Seite der verstossenen Adila nahm? Diese Adila hat eine schöne Tochter ihres Namens, man nennt sie die Prinzessin von Pohlen, weil ihr Oheim, der Herzog von Pohlen, sich ihrer in ihren Elend erbarmte, und sie zur Tochter annahm. Fräulein Adila ist, wie gesagt, recht schön, fast so schön wie du, und noch um einige Jahre jünger; ihr Oheim wollte sie gern verheyrathen, er verspricht dem, der ihr die Hand bietet, eine königliche Mitgift, aber das beste, was sie mit in den Ehestand bringt, ist eine Anwartschaft auf das Königreich Böhmen, welche ein Held,[212] wie Wittelsbach, nicht leicht verschmähen wird; du weißt wohl, die schwächsten Ansprüche kann ein Schwerd, wie das seinige, geltend machen. Adila ward deinem Otto angetragen; er zögerte, sprach von Treue gegen dich, wog Vortheil und Verdienste, und – fand dich zu leicht. Ein Gerücht, das sich ausbreitete, Kaiser Philipp möchte dich wohl lieber Königin von Kastilien als Pfalzgräfin sehen, gab ihm Ursach, sich mit dem Kaiser zu entzweyen, man zankte sich ein wenig, vertrug sich dann wieder, und Otto versprach, dich so wie mich zu vergessen, wenn Philipp ihm sein mächtiges Vorwort bey der Prinzessin von Pohlen verleihen wollte. Der Kaiser verachtete den kleinen Pfalzgrafen in seinem Herzen, doch um ihn loszuwerden, that er was er verlangte, er schrieb; aber war es ihm zu verdenken; daß er in das Empfehlungsschreiben nach Pohlen allerley einmischte, den Charakter des Ueberbringers zu bezeichnen, den Herzog von Pohlen und die schöne Adila zu warnen, und des Wittelsbachers Anschläge verunglücken zu machen? –

Erwarte nun mit jedem Tage, daß dein Otto wiederkehrt, entweder kochend von Rache gegen den Kaiser, der seine Absichten vereitelte, oder nachdem es die Gelegenheit giebt, so treu und zärtlich gegen dich, wie vormals. Das [213] wird er freylich nicht denken, daß irgend eine treue Hand, dir seine Tücke verrathen könnte, und wenn ihm die schöne Adila nicht werden kann, so wird er immer noch Liebe genug für dich übrig haben, wenn du sie nur annehmen willst.

Bedenke dich, Elise, was du auf jeden Fall zu thun hast, und willst du dem was ich dir sage, keinen Glauben beymessen, – denn freylich unwiderleglich beweisen läßt sich so etwas nicht, davon die Urkunden in andern Händen sind – willst du mir nicht glauben, sage ich, so vergiß wenigstens nicht, daß du gewarnt bist, von deiner Schwester Kunigunde.

Elise an ihre Mutter Irene [1]
Elise an ihre Mutter Irene.
1208.

O Mutter, alles vereinigt sich, mir das Herz zu brechen! – Ich, ohnedem kummervoll und zweifelhaft über das was ich euch zuletzt schrieb, muß heute einen Brief erhalten, der mich vollends in Verzweiflung stürzt; wehe mir, daß ich ihn euch nicht mittheilen, und euren Rath vernehmen kann, was ich davon zu halten habe; leider ist er von einer Person, welche zu schonen mir [214] Pflicht ist, wider welche ich euren Zorn auf keine Art reizen mag, und gleichwohl stoße ich in diesem Unglücksschreiben fast bey jedem Absatz auf Stellen, die euch aufbringen würden, so daß ich ihn euren Augen vorhalten soll und muß.

Ach Gott, wenn ich nur irgend eine Seele fragen könnte, was ich von der Sache glauben soll! – Mein Wittelsbach untreu? Er Brautwerber um die schöne Adila von Pohlen? sollte, könnte dies möglich seyn? – Nach Pohlen ist er mit Briefen vom Kaiser gereist, auch hat es vor einiger Zeit ein hartes Gespräch zwischen beyden über mich und die kastilischen Träume gegeben, alles dieses sagt mein geheimes Schreiben auch; aber wird alles, was es enthält, wahr seyn, so wie einiges wahr ist? – Da ich hier schlechterdings niemand fragen kann, so muß ich abwarten, was von diesen Dingen durch den Ausgang bestättigt oder vernichtet wird. Auf meinen Otto ein Mißtrauen zu haben, ist freylich schwer, doch klingt alles, was man mir von ihm vorbringt, so wahrscheinlich. Er ist treu und bieder, aber er ist gleichwohl ein Mensch, der durch Treulosigkeit und Wortbruch aufgebracht und zur Rache gereitzt werden kann, gesetzt nun, es wär wahr, was ich mir gar nicht als möglich denken kann, der Kaiser dächte [215] darauf, mich ihm zu entreißen, wär es da wohl Wunder, wenn auch er sich seines Eydes quitt, und es sich verstattet glaubte, sein Glück von einer andern Seite zu suchen?

Doch nein, sobald könnte mein Wittelsbach seine Elise nicht vergessen! an mir würde er ja nicht rächen, was ein anderer verschuldet hätte!

Himmel! Himmel! sollte dies Möglichkeit seyn! und er war beym Abschied noch so treulich und so hold! – Wie oft er zurückkehrte, mich noch einmal in seine Arme zu schließen! – Wie bekümmert er war, über den bloßen Gedanken, man könne mich ihm rauben wollen! Was ich alles anwenden mußte, ihn zu beruhigen! Und dieser Mann mit der schönen Thräne im Heldenauge, das sonst nie weinte, dieser Mann mit den Worten der Wahrheit auf der bebenden Lippe, dieser sollte mich betrügen können? – Nein! Nein! Nein! ich kann nichts davon glauben.

Und doch! und doch! – O Mutter, mein Kampf beginnt von neuem! Schaffet mir Hülfe, daß ich nicht vergehe!

[216]
Irene an Elisen [1]
Irene an Elisen.
1208.

Mir dünkt alles, was du mir schreibst, so unglaublich als dir. Für Pfalzgraf Ottens Treue dächte ich, wollte ich mit meinem Leben bürgen! Indessen, da du mir die Quelle, aus welcher du deine Zweifel schöpftest, nicht entdecken darfst, so kann ich hier nicht mit voller Gewißheit entscheiden, und muß dich an andere Tröster und Rathgeber verweisen.

Der beste, und der dir über alles die bündigste Auskunft geben könnte, wär wohl dein Vater, wenn du ein Herz zu ihm fassen könntest, aber leider ist Philipp jetzt nicht mehr Herzog von Schwaben, sondern Kaiser; diese Würde hat ihn seinem Hause entfremdet, die Staatsgeschäfte bemächtigen sich all seiner Zeit, du würdest schwerlich eine Stunde treffen, da er so ganz dein wäre, daß er dich ruhig hören, und dir wie ein Vater rathen könnte; überdieses, wenn er nun würklich wider dich und den Pfalzgrafen, welches mich so unmöglich eben nicht dünkt, Böses im Sinn haben, wenn er nun würklich auf höhere Dinge für dich sinnen sollte, als du denkest und wünschest, was für Trost würdest du denn bey ihm nehmen?

[217] Höre meinen Rath. Ich habe in meinem Leben so wohl als du Stunden erlebt, wo mir um Trost und Leitung bange war, und wo ich sie nicht bey Menschen suchen durfte, ich suchte sie denn in den Armen der Religion; das thue auch du, doch traue auch hier nicht deinem eigenen Nachdenken, sondern vertraue dich irgend einem verständigen frommen Manne, vertraue dich deinem Beichtiger; ich weiß nicht in wessen Schooß du deine heimlichen Anliegen auszuschütten pflegst, kenne den Heiligen nicht, dem du deine geistliche Führung anvertraut hast, aber ich bin überzeugt, daß du auch hier glücklich gewählt haben wirst, und glaube also deine Ruhe in guten Händen. Lebe wohl, mein Kind, ich bin sehr schwach, das viele Schreiben wird mir beschwerlich, aber nicht so das Lesen, ich hoffe bald und umständlich wieder von dir zu hören.

Elise an ihre Mutter
Elise an ihre Mutter.
1208.

Ich habe euch gehorcht, habe mich dem Manne vertraut, welcher in aller Absicht der einige ist, der mir aus dem Labyrinth, in welchem ich irrte, helfen konnte, dem, der so wohl meine als [218] Pfalzgraf Ottos Herzensgeheimnisse in Verwahrung hat, unserm gemeinschaftlichen Konfessor, dem Bischof von Sutri. Er selbst empfahl mir ihn einst zum Gewissensrath. – – O Wittelsbach! Wittelsbach! du dachtest wohl damals nicht, welchen Stab du mir in die Hand gabst, mich aus den Irrgängen zu leiten, in welchen mich mein eigenes Herz, dies Herz, das dir nicht mißtrauen konnte, gerade falsch geführt haben würde.

Er ist vorüber, Mutter! ich weis nun ganz gewiß, was ich von meinem ehemaligen Geliebten glauben soll, aber kein Wort mehr von ihm, andre Wichtigkeiten heischen meine Feder!

O Mutter, was habe ich euch zu berichten! werde ich Muth haben, euch mit Dingen zu unterhalten, die mein Herz in Thränen schmelzen? – Doch seyd mir willkommen ihr Trauergesichter, ich will mich ganz in euch vertiefen, will keinen eurer kleinsten Umstände unberührt lassen, ich bin so gerade auf der Laune, unter Gräbern zu wallen, und die Nichtigkeit irdischer Hoffnungen mit den Freuden einer bessern Welt zu messen. O Alix! Alix! wie groß waren deine Ansprüche auf irdisches Glück! wie lächelte dir die Welt in frühern Jahren! sie täuschte dich, du fandest nicht, was du so wohl verdient hattest, du fandest den Tod! Wohl dir, daß du [219] ihn gefunden hast, möchte auch ich ihn finden, bald finden!

Ja, meine Mutter; meine liebste Freundin, die ältste Gespielin meiner Jugend, die unvergleichliche Alix von Toulouse ist nicht mehr. Alverde ist die Ueberbringerin der Trauerpost; gestern langte sie hier an, – aber welche Thörin bin ich! ich verspreche euch umständliche Erzählung dieser Dinge, und Alverde, die arme Alverde, ist noch nicht im Stande gewesen, uns, einige wenige Winke ausgenommen, mehr zu sagen, als ihr jetzt eben von mir erfahren habt! – Verzeiht, meine Mutter! mein Kopf ist sehr schwach, mein Herz blutet, wie leicht ists da, unüberlegt, und unordentlich zu schreiben!

Ach Alverdens Winke von dem Tode meiner Freundin sind fürchterlich! ich wünsche und scheue mehrere Aufklärung, sobald ich sie erhalte, will ich sie euch mittheilen. Jetzt Ruhe, nur ein wenig Ruhe für eure unglückliche Tochter Elise!

[220]
Alverde an die Prinzeßinnen
Alverde an die Prinzeßinnen.
1208.

Ich soll euch erzählen, wie Alix starb? Himmel! werde ich das können? Jahre könnten wohl hingehen, ehe meine Stimme fest, von Thränen ungehemmt genug seyn würde, um, wenn ich von diesen Dingen rede, euch verständlich zu werden!

Nein, der Feder sey überlassen, was der Mund nicht auszusprechen vermag; da kann die müde Hand doch so oft ausruhen, das Auge sich so oft satt weinen als es will, ohne daß euch die Erzählerin lästig oder langweilig würde. Doch langweilig genug werde ich euch auch mit meinem Schreiben werden, nicht durch Zahl der Worte; wenig Züge werden im Stande seyn, euch die Trauergeschichte zu schildern; nein, durch Länge der Zeit, die ich zu dieser sauren Arbeit brauchen werde. Ich spare sie für die düstern Stunden der Nacht auf, die ich doch ohnedem schlaflos verweine, der Tag sey euch geweiht, ob vielleicht die lebenden Freundinnen mich wieder mit der Welt aussöhnen möchten, die mich der Tod meiner Alix hassen lehrte, und in der ich doch leben muß.

[221] Unter allem, was mich beym Gedanken an ihr Scheiden martert, ist die Vorstellung, ob wohl ich oder jemand von den Meinen ihren Tod beschleunigte, die fürchterlichste Quälerin. Tröstet mich, meine Freundinnen, tröstet mich nur über diesen einigen Punkt, und ich will der himmlischen Seele mit Lächeln in jene bessern Welten nach sehen, die ihr schneller Flug nun schon erreicht hat.

Alf von Dülmen, er, den ihr als meinen Bruder kennt, liebte die Gräfin von Toulouse; Fluch über den, welcher seine Wahl auf die schon Verlobte lenkte! – Alf von Dülmen hatte hohen Sinn, nichts schien seinen Wünschen unerreichbar, er würde seine Augen zu Kaiser Philipps Töchtern erhoben haben, hätte man ihre Reize gebraucht, ihn zu verlocken, aber die frevelhafte Hand nach dem Eigenthum eines andern auszustrecken, dazu dachte er zu edel, er würde den ersten Gedanken an Alix getödtet haben, hätte man ihm gesagt, daß sie nicht mehr frey, daß sie versprochene Königin von Kastilien sey. Sein falscher Freund, jener Peter von Kalatin, der, ich weiß nicht welchen Vortheil in seinem Untergang suchen mußte, verschwieg ihm dieses, fachte die enstehende Leidenschaft durch teuflische Kunst zur Flamme an, brauchte sie zum Mittel, meinen Bruder und [222] mich aus dem Schooß der Ruhe und Sicherheit zu reißen, und uns in die quaalvollsten Verhältnisse zu setzen. Als der unglückliche Adolf erfuhr, Alix sey nicht für ihn gebohren, frühere Bande fesselten sie an einen andern, da war es schon zu spät, Gefühle auszurotten, welche bereits zu tief im Herzen gewurzelt hatten, und Schritte zurückzunehmen, die ihn an den Rand des Verderbens brachten. Seine Leidenschaft kennte weder Einschränkung noch Behutsamkeit mehr; was er für Alix fühlte, was er ihrentwegen zu unternehmen fähig war, mußte bald der ganzen Welt in die Augen fallen; nur ihr, der unschuldsvollen Seele, blieb es verborgen, sie hielt ihre Reize nie für mächtig genug, eine Leidenschaft, wie die seinige, zu erregen, sie war zu bescheiden, so etwas nur zu denken, zu fromm, es zu wünschen, sie kümmerte sich wenig um irdische Liebe, da ihr Sinn mit himmlischen Dingen erfüllt war; es dauerte lang, ehe der Unglückliche, von welchem ich spreche, nur ihre Aufmerksamkeit erregte, und als endlich ihr Auge sich auf ihn heftete, so fühlte sie, bey sehr richtiger Beurtheilung seiner Vorzüge, nichts für ihn als Mitleid; ein Mitleid, welches doch die wahre Ursach, warum er zu beklagen war, weit verfehlte.

[223] Ihr war es unbekannt, daß ich seine Schwester sey, sie hielt mich für den Gegenstand seiner Wünsche; sie sprach oft mit mir zu seinem Besten; mich für ihn einzunehmen, lobte sie ihn oft in Gegenwart verdächtiger Personen, und als endlich seine rasenden Versuche auf sie, die nur sie nicht kannte, ihn um die Freyheit und in Lebensgefahr brachten, da verwendete sie sich mit solchem Eifer für ihn, daß sie jedem Verdacht, den man auf sie hatte, oder zu haben affektirte, volle Nahrung gab. Meine Warnungen, sich zu mäßigen, fruchteten nichts, ich hätte ihr die ganze Sache entdecken müssen, wenn ich ihr hätte die Augen öffnen wollen, und wie konnte ich das, ohne die Pflichten der schwesterlichen Liebe und der Klugheit zu beleidigen?

Es fragt sich, ob mein Betragen verantwortlich war? ich hielt es damals für das einige rechtmäßige, obgleich jetzt tausend Gewissensbisse mich foltern, und die Reue mir tausend andere Wege zeigt, welche ich hätte gehen sollen.

Man haßte die Gräfin von Toulouse schon längst, und beneidete ihr den kastilischen Thron. – Himmel, wars möglich, daß man einen Engel hassen, daß man der Tugend eine Stelle beneiden konnte, die sie mit so vieler Würde [224] erfüllt haben würde? – Doch nichts ist der Bosheit zu viel! – Immer bedacht, irgend etwas ausfindig zu machen, das man an der selbstständigen Vollkommenheit tadeln könne, gerieth man auf die Spur ihrer Meinungen in Religionssachen; ich schweige hiervon; was ich sagen könnte, möchte partheiisch ausfallen, da ich bekenne, von ihr auf den Weg geleitet worden zu seyn, den sie selbst ging.

Ihre Anhänglichkeit an die Lehren des Waldus mußte, wie man glaubte, sie schnell von dem Throne verdrängen, den man ihr misgönnte, nur wünschte man, sprechende Beweise von ihren Gesinnungen zu haben. Eine Unvorsichtigkeit meines Bruders bot hierzu die Hand, einige im Namen des Grafen von Toulouse der unglücklichen Dame auf unbehutsame Art überreichte Bücher veranlaßten eine strenge Untersuchung, man fand in ihrem Kabinet wenigstens etwas von dem, was man finden wollte, und eilte, es zu ihrem Nachtheil nach Kastilien zu schicken; König Alphons, der für seine künftige Tochter fast noch mehr eingenommen war, als ihr bestimmter Bräutigam, schrieb dem Bischof von Kastilien nach Pamiers zurück: er wolle die fromme Alix über diese Dinge selbst hören, sie trügen den Stempel der Wahrheit,[225] und er sey zu gewohnt, die himmlische Wahrheit überall zu verehren, wo er sie fänd, als daß er ihre schöne Anhängerinn ungehört verdammen sollte.

Dies war zu viel für den altgläubigen Bischof von Kastilien, welcher eben neue Verhaltungsbefehle zu Verfolgung und Ausrottung jeder Ketzerey, wo er sie nur immer finden möchte, von Rom erhalten hatte. Hier war nach seinen Gedanken Gefahr für den Glauben seines Herrn, Gefahr für das ganze Königreich vorhanden. Die, welche die Fackel der Wahrheit in entfernte Gegenden hätte tragen können, mußte aus dem Wage geräumt werden, und es kam hier nur darauf an, wie man die Unschuldige von einer andern Seite verdächtig machen, oder glückte dieses nicht, sie ohne weitere Rücksprache verderben wollte.

Die Rasereyen meines unglücklichen Bruders gaben Anlaß genug zu dem, was man wünschte; man nahm die unschuldige Gräfinn als Theilhaberinn seiner Leidenschaft an, weil man diese zu verborgenen Absichten tauglich fand; es zeigte sich in ihrem Betragen, wie ich vorhin erwehnte, unterschiedliches, welches das, was man für erwiesen annehmen wollte, begünstigte, man griff begierig zu, und ich glaube, [226] von diesem Augenblicke an war ihr der Tod geschworen.

Mich hatte man von ihr verbannt, um sie desto gewisser zu fällen; was hätte sonst die Ursach meiner Entfernung seyn sollen, da man vor Augen sah, daß ich keinen Antheil an den Dingen hatte, welche man zur Ursach meiner Entlassung machte, daß ich Alf von Dülmens Anschlägen entgegen gearbeitet hatte, anstatt sie zu befördern? Daß Alix vielleicht längst in seine Hände gerathen wär, wenn ich nicht gesteuert hätte. – Ach Gott! daß ich dieses that, ist jetzt die heftigste Pein meines Gewissens. Hätte Alf sie doch entführen mögen, so wär sie nun aus den Händen ihrer grausamen Henker gerettet, lebte in den Armen ihres Bruders, des Grafen von Toulouse, (denn dorthin und an keinen andern Ort würde ihr Entführer sie gebracht haben,) in Ruhe, und ich müßte nicht nur glauben, daß ich in dem Augenblicke, da ich der Tugend ein Opfer zu bringen glaubte, die Unschuld eines Rettungsmittels beraubte, das ihr vielleicht vom Himmel zugesandt worden war. – O meine Freundinnen, meine Gedanken verwirren sich, wenn ich hierüber nachsinne, doch wird zuweilen die tröstende Ueberzeugung in mir lebendig, daß ich nach meiner besten[227] Kenntniß von Recht und Unrecht handelte, und also nicht straffällig seyn kann.

Ich hatte auf die Bitte meiner unglücklichen Freundinn bey meiner Entlassung Pamiers nicht gänzlich verlassen, sondern mich zu den Cölestinernonnen begeben, in deren Kirche Alix oft ihre Andacht hatte, dies ward das Mittel, mir öfters Briefe und zweimal eine geheime Unterredung mit ihr zu verschaffen. Das letztemal, da ich sie sah, – Himmel, es war den Tag vor ihrem Tode! – Prinzessinnen, ich muß die Feder niederlegen, muß Luft schöpfen, ehe ich fortfahre; die Erinnerung an die letzte Unterhaltung mit ihr drückt mich zu Boden.


Es war am heiligen Osterabend; die Nonnen waren nach geendigter Vesperandacht mit Ausschmückung ihrer Kirche beschäftigt, ich hatte die betende Alix in einem mir in ihrem letzten Briefe kenntlich gemachten Schleyer gehüllt längst in einem Stuhle knien gesehen; das unter uns verabredete Zeichen zur geheimen Unterredung war das Läuten der Abendglocke, ich erhub mich von meiner Stelle, und sah von weitem auch Alix sich erheben, ich ging durch [228] eine kleine nur wenigen bekannte Pforte in einen verfallenen Kreuzgang, und von da auf den sonst von allen Seiten verschlossenen Begräbnißplatz der Nonnen; eine weite grünende Wiese, mit den ersten Blumen des Frühlings geschmückt, rund um von säußelnden Lindenbäumen umgeben, und nur durch die weißen Kreuze, die sich über den Gräbern erhuben, als das ausgezeichnet, was sie wirklich war, als einen Todenacker.

Ich hatte von Zeit zu Zeit zurück geblickt, und Alix mir folgen gesehen, mein Wink hatte sie in dem sinkenden Gemäuer, durch welches wir paßiren mußten, fleißig vor den Stellen gewarnt, welche am meisten den Einsturz drohten; – wahrhaftig niemand hätte sich auf diesen gefahrvollen Weg wagen können, als ein paar Liebende, oder ein paar Freundinnen, die so wie wir von Feinden belauscht, sich einige frohe Augenblicke abstehlen wollten. Ach es war das letzte mal, daß wir uns sehen sollten! das letzte Lebewohl, dem wir mit Lebensgefahr entgegen eilten!

Schon stand ich unter den Linden, meine Freundinn zu erwarten, die jetzt auch die morschen Stufen, welche aus dem Gewölbe herabgingen, zurückgelegt hatte, und sich in meine Arme stürzte; wir setzten uns auf das nächste [229] Grab, das einer der dichtesten Bäume in seinem Schatten barg, ich drückte Alix an mein Herz, und setzte sie über die ungewöhnliche Blässe, die ich jetzt erst auf ihren Wangen wahrnahm, zur Rede.

Sie lächelte. Wünsche mir Glück, sagte sie, das, was dich erschreckt, verkündigt mir baldige Freiheit.

Freiheit, Alix? ist eine königliche Braut eine Gefangene? Du wirst doch die Kleinigkeit, daß wir uns verstohlen sehen müssen, dich nicht bewegen lassen, deinem Zustande einen so verhaßten Namen zu geben.

Alverde, du bist nicht aufrichtig! niemand kann wohl meinen Zustand richtiger beurtheilen, wie du; was quälst du dich, mir ihn unter gefälligen Farben vorzustellen. Mich dünkt – (dies sagte sie leise ihren Mund dicht zu meinem Ohr geneigt, als fürchte sie, belauscht zu werden) mich dünkt, ich bin in bösen Händen, und daß ich dir es kurz sage, ich glaube, man hat mich vergiftet.

Vergiftet, Alix? du tödest mich!

Erschrick nicht! – ich kann mich ja irren! doch höre meine Beweise: Ich bemerkte schon seit einiger Zeit an meinem Morgentrunk einen seltsamen Geschmack, über den ich mir aber vielleicht keine Gedanken gemacht haben würde, [230] wären meine Empfindungen nach dem Genuß desselben nicht allemal so sonderbar gewesen; eine befremdende, zwar nicht unliebliche Mattigkeit, eine übertriebene Neigung zum Schlaf, aus dem ich mich doch eben erst erhoben hatte, war diese überwunden, ein konvulsivisches Zittern über den ganzen Körper, und eine fliegende Hitze, die sich oft mit dem stärksten Fieberfrost endigte, dies waren die Zufälle, welche ich so oft bemerkte, als ich getrunken hatte; unterließ ich dieses, so blieb ich frey. Du wirst errathen, daß ich nun nicht mehr trank, sondern bey der gänzlichen Verdachtlosigkeit, man könne Absichten wider mein Leben haben, mich über den bemerkten fremden Geschmack und die darauf erfolgten Empfindungen beklagte; man stellte sich besorgt um mich, man sprach von Symptomen einer annahenden Krankheit, man brachte mir Arzney. Ich kostete, und bemerkte den nehmlichen widerlichen Reiz auf der Zunge, der mir mein Morgengetränk zuwider gemacht hatte. Hier erhob sich der erste Argwohn in meiner Seele, welcher dadurch vermehrt wurde, daß man mir eben Botschaft brachte, wie mein kleiner Hund, der von allem etwas zu bekommen pflegte, was ich genoß, und der diesen Morgen das Getränk, das ich hinweg setzen ließ weil es mir [231] nicht schmeckte, ganz ausgeschlürft hatte, gestorben sey.

Mich überfiel ein Zittern über den ganzen Körper bey den Gedanken, die sich auf einmal in meiner Seele erhuben, ich sah die Person, welche mir die Arzney reichte, bleich werden, und gleichfalls zittern. Man drang nicht in mich, das Dargereichte zu nehmen, auch habe ich jenen verdächtigen Geschmack seit dem weder an Speisen noch Getränken bemerkt; aber ich muß glauben, ich habe bereits in den zwey-oder dreymalen, da ich noch verdachtlos hinnahm, was man mir gab, ohne mich durch Geschmack und Empfindungen irren zu lassen, genug bekommen, um den Tod oder ein sieches Leben besorgen zu müssen. Siehe selbst, wie bleich und abgefallen ich bin, ist das noch die blühende Alix, die du vor vierzehen Tagen auf dieser Stelle in deine Arme schlossest? – Und sprich, warum widerfuhr mir dieses? Wer gab den Befehl dazu? Was habe ich verbrochen? – O Alverde, soll ich leben denen zum Trotz, die meinen Tod wünschen? soll ich mein schmachtendes Leben in ein Land schleppen, wo man wahrscheinlich nichts weniger wünscht, als meine Ankunft? – Bedenke, wie diese Gedanken mein Herz beengen müssen, und wundre dich [232] noch, wenn ich der baldigen Befreyung, die mir der Tod bringen wird, entgegen leuchte.

In Thränen schwimmend sank ich an den Busen der Gräfinn von Toulouse, sie weinte nicht. Ein himmlisches Lächeln überströmte ihr Gesicht. Freundinn, sagte sie, indem sie mich fester umschlang, ich fühle es, daß wir uns heute zuletzt sehen, aber wie schön, wie ahndungsvoll ist unsre heutige Zusammenkunft an diesem Orte! Bedenke selbst, heute am Vorabend vor dem Feste der Auferstehung, hier unter Gräbern, welche der Frühling alle neu bekleidet, unter Gräbern welche einst alle die Schlummernden wieder heraus geben werden – –

Sie wollte weiter reden, aber ein gräßliches Gepolter hinter uns im Kreuzgange unterbrach sie, wir sprangen beyde auf und starrten einander an. – Ich besorge, sagte sie, welche sich am ersten faßte, uns ist das verdrüßlichste Abentheuer begegnet, das uns zustossen konnte! Ganz gewiß ist eins von jenen überhangenden Gewölbern, durch welche wir hieher gekommen sind, eingestürzt, und hat uns den Rückweg versperrt. Was soll ich nun beginnen? An der Pforte warten meine Leute, welche mich in der Kirche noch betend glauben, es wird Nacht, was wird man denken, wenn [233] ich nicht zurückkehre, und man nirgend mich findet?

O schrie ich, möchtest du nie in jene Hölle zurückkehren dürfen! möchtest du hier bleiben! In meinen Armen, durch meine Pflege sollte dir Gesundheit und Leben erhalten werden.

Das sind vergebliche Wünsche, sagte sie, ich muß zurück, wenn mit mir nicht auch du unglücklich werden sollst; glaube mir, ich kenne die Wuth dieser Leute besser als du, ich mag dich ihr nicht aufopfern.

Mit diesen Worten sah ich sie von mir eilen, die Stufen zum Kreuzgange hinaufsteigen, und in das Gewölbe eindringen, das von der kürzlich erlittenen Erschütterung noch zu schwanken schien. – Ich rief ihr nach, lieber alles als dieses zu wagen, sie hörte mich nicht! –

Ihr Muth erweckte den meinigen; ich konnte sie nicht verlassen, ich folgte ihren Fußtapfen, und wir traten bey halbem Dämmerlichte einen Weg an, auf welchem sich bey jedem Schritte neue Schrecknisse unsern Augen darboten; hier wadeten wir in Schutt und Steinen, dort versperrten die herabgestürzten Quader uns den Weg, auf einer andern Seite hatte sich ein Grab geöfnet, und zeigte uns zerfallene Totenleichen und morsche [234] Gebeine; wir mußten hinüberschreiten, und uns bücken um unter dem zusammengesunkenen Gemäuer durch zu kommen; aber nun war auch der gefährlichste Theil unserer Reise überstanden, der Weg krümmte sich, die Gewölber wurden fester, und wir erreichten die Kirche.

Wir sahen sie mit Leuten erfüllt, welche die Prinzeßinn mit Fackeln suchten. Dies machte unsern Abschied kurz, sie umarmte mich noch einmal, und drückte mir einen Brief in die Hand. Er ist an meinen Bruder, den Grafen von Toulouse, sagte sie heimlich, du wirst ihn zu gehöriger Zeit zu bestellen wissen.

Noth bereichert auch die truglosesten Seelen mit Einfällen zu anderer Täuschung. Während ich mich in einer Nische hinter einem heiligen Bilde verbarg, sah ich die Gräfinn in einen Kirchenstuhl schlüpfen, und sich schlafend stellen. Hier ward sie gefunden, dem Anschein nach erweckt, und trat den Rückweg mit ihren Leuten an, welche ihr ihre Sorge über ihr langes Ausbleiben, und die Angst bey der vergeblichen Nachsuchung nicht genug beschreiben konnten.

Der Schlaf, sagte Alix, der mich jetzt überall beschleicht, überraschte mich auch hier; ich danke euch, das ihr mich erweckt habt, und [235] verlange, daß die Fürstinn von Kastelmoro nichts von diesem Vorgang erfahre.

Zitternd stand ich in meiner Nische. Nicht die Furcht, von denen noch im Kirchgewölbe verweilenden Klosterleuten entdeckt zu werden, machte mich beben, es war eine andere Empfindung; ich glaube, es war Vorgefühl, daß ich jetzt die geliebte Alix zum letztenmahl gesehen hatte, die sich in der Kirchthür noch einmahl umwandte, und einen Blick auf den Ort warf, wo sie mich verborgen wußte; es war der letzte Abschiedsblick, alles lag in demselben, was sich liebende Seelen so kurz vor Trennung am Grabe sagen können. –

Die Kirche war jetzt leer, ich konnte hervorgehen, aber ich fand alle Thüren verschlossen, und mußte mich entschliessen hier zu übernachten, wenn ich es nicht etwa für bequemer hielt, durch den Kreuzgang, den Weg auf dem Gottesacker noch einmal zu machen. – Um Mitternacht hörte ich das Geräusch einstürzender Gewölber noch einmahl, ich zog mich auf den Altarstufen, auf welchen ich jetzt saß, dichter zu sammen, und Gedanken von Vernichtung und Untergang erfüllten meine ganze Seele. Ach nichts schwebte mir lebhafter vor Augen, als die Vernichtung des schönsten Werks Gottes, das allmählige Hinsterben meiner Alix; [236] doch hielt ich sie noch nicht ganz rettungslos, ich machte Plane zu ihrem Besten, zu deren Ausführung ich am künftigen Morgen den ersten Schritt dadurch thun wollte, daß ich mich dem Kaplan der Nonnen, der zugleich unser Arzt war, entdeckte, ihm den Zustand der Gräfinn schilderte, ihm unsere Besorgnisse mittheilte, und seine Hülfe für sie forderte; er war ein so kluger als frommer Mann, alles ließ sich von ihm erwarten.

Unter der Metten, welche nun anging, fand ich Gelegenheit aus der Kirche zu entschlüpfen, und nach meiner Zelle zu kommen. Erstarrt und bis zum Tode von den letzten Vorgängen, und von dem Kampf im Innern meiner Seele ermattet, verhüllte ich mich in mein Bette. – Ich läutete der dienenden Nonne, die wie gewöhnlich diesesmahl vom Gottesdienst hatte zurück bleiben müssen; es ward mir leicht, Krankheit zu erdichten, und dadurch den Besuch unsers Kapellans, des Pater Cyrill, zu erlangen, da ich mich würklich krank fühlte. – Man sagte mir, ich müsse mich gedulden, weil er zu einem Krankenbesuch bey der Fürstinn von Kastelmoro gefordert worden wäre. –

Bey der Fürstinn von Kastelmoro der kastilischen Oberhofmeisterinn? wiederholt ich. – [237] Die Antwort war ja, und ich fühlte, daß sich ein geheimer Schauer meiner bemächtigte. – Ist die Fürstinn krank? fuhr ich fort zu fragen. – Nein, aber die Prinzeßinn Alix, welche ohnedem schon seit einiger Zeit kränklich war, befindet sich sehr übel, sie soll sich gestern in unserer Kirche, wo sie der Schlaf übereilt hat, so daß man sie erst nach länger als einer Stunde hat finden und erwecken können, eine Erkältung geholt haben. – Pflegt Pater Zyrill sonst Kranke ausserhalb des Klosters zu besuchen? fragte ich, indem ein schrecklicher Gedanke gegen des Mannes Redlichkeit in meiner Seele aufstieg, weil mir die vergiftete Arzney der Gräfinn einfiel. – Nie! war die Antwort, ausser in ganz ausserordentlichen Fällen, wie wohl dieser seyn mag.

In außerordentlichen Fällen? wiederholte ich, nun so sey Gott mir gnädig! – Die Nonne deutete diesen Ausruf auf meine Begierde nach der Hülfe des Arzts, und suchte mich zu beruhigen. Ich hörte nicht auf sie, und schickte ohn Unterlaß, um zu vernehmen, ob Zyrill noch nicht zurück sey.

Endlich erschien er. Mit einer Stimme, die ihn wohl bey so einer kranken Person, als ich seyn sollte, befremden mochte, fragte ich nach [238] der Gräfin von Toulouse. Ihr ist wohl! erwiederte er mit gen Himmel gehobenem Blick.

Gott sey Dank! der Schlaf im kalten Kirchgewölbe hat ihr also nicht geschadet?

Kennt ihr die Prinzessin Alix? fragte er, indem er sich umsah, ob wir allein wären.

Ob ich sie kenne? – Mehr um ihret- als um meinetwillen ließ ich euch zu mir berufen; sie bedarf eurer Hülfe!

Sie bedarf ihrer nicht mehr!

So schnell genesen, bey so bedenklichen Umständen?

Genesen auf ewig! – Sie ist bey Gott!

Eine Ohnmacht war bey mir die Folge dieser Nachricht.

Zyrill wußte nicht, wie nahe Alix meinem Herzen war, sonst würde er die Nachricht von ihrem Tode behutsamer eingekleidet haben; doch hätte wohl etwas den Eindruck, den dieselbe auf mich machte, vermindern können? Sie, die gestern noch mit leidlicher Gesundheit in meinen Armen lag, sollte nach so wenigen Stunden tod seyn? Sie war schwach, aber ihre Krankheit war ein schleichendes Uebel, sollte würklich Erkältung in der Kirche und vielleicht Schrecken und Angst über den verschütteten Rückweg nebst der heftigen Anstrengung ihr Ende beschleuniget haben?

[239] Als ich wieder zu sprechen vermochte, entdeckte ich dem Mönche meine Gedanken. Er schüttelte den Kopf. Die Prinzessin sagte er, starb weder an Schreck noch Erkältung, sie starb am Gifte!

Gott! und ihr konntet sie nicht retten?

Nicht sie zu retten, nur sie erblassen zu sehen ward ich gerufen, ihr könnt wohl aus dem, was euch von ihr bewußt zu seyn scheint, urtheilen, daß es ihren Feinden nicht darum zu thun war, daß ein geschickter Arzt ihr Werk vernichtete, ein solcher mußte nur gerufen werden, da es zu spät war; ich kam nur den letzten Blick ihrer brechenden Augen zu sehen, und dann nebst andern Aerzten, die man der Ceremonie wegen herbey gerufen hatte, das nothwendige Zeugniß von ihrem würklichen Tode abzulegen, dessen Ursach keiner unter uns, so unwissend man uns auch halten mochte, in so dichtem Schleyer man sie auch gehüllt glaubte, verkennen konnte.

Ich sah Zorn in den Augen des redlichen Mannes über die Unthat, zu deren Zeugen man ihn gemacht hatte, und ich beschwur ihn, laut wider dieselbe zu schreyen, und aller Welt kund werden zu lassen, welches Todes Alix gestorben sey.

[240] Was verlangt ihr von einem armen Mönche? sagte er. Wird meine Anklage irgend etwas in der Sache ändern? Die unschuldig Ermordete wird nicht erwachen, ihre Feinde werden sich rechtfertigen, Zyrill wird gelogen haben, und das Opfer ihrer Rache werden. Ein einiges flüchtiges Wort dieser Art, das ich gegen den Almosenier des Bischofs von Kastilien fallen ließ, zog mir eine Antwort zu, welche ich wohl nie vergessen werde, und die mich gänzlich zur Ruhe und Schweigen verweist.

Ich überließ mich dem finstersten Gram über den Tod meiner Freundin. Zyrill war und blieb mein liebster Gesellschafter, er wußte von den kaiserlichen Angelegenheiten so viel als ich, und versprach mir, (denn auch dem redlichsten Mönche ist die Gabe des Auskundschaftens gegeben), noch mehrere Beyträge.

Die Nonnen des Klosters, wo ich lebte, schickten eine Gesandtschaft an die Fürstin von Kastelmoro und den Bischof von Kastilien, mit der Nachricht, wie sich in voriger Nacht bey ihnen ein großes Anzeichen von dem Tode der Prinzessin, die ihre Heiligen so fleißig zu besuchen geruht hätte, durch Einstürzung eines Kreuzgangs ereignet habe, und erhielten sich dadurch die Ehre, daß der Leichnam der unglücklichen [241] Alix indessen in ihrem Kloster beygesetzt wurde. Ein Todesfall, meynten die Kastilier, welcher auf so anständige Art durch Zeichen vorgedeutet worden wär, müsse bey jedermann das Ansehen eines unzeitigen gewaltsamen Todes verlieren.

Allerdings mochte man befürchten, daß einiger Verdacht dieser Art unter dem Volke durch die albern herbeygerufenen Aerzte, welche nicht schwiegen, rege werden möchte; das Volk liebte Alix, und man konnte einen Auflauf besorgen; derhalben ward der Leichnam in äußerster Stille beygesetzt, und aufs strengste verboten, so lang derselbe der Gewohnheit zu folge noch über der Erde bleiben mußte, niemand seinen Anblick zu gönnen.

Ich ließ mir diese traurige Genugthuung dennoch nicht rauben. Der Pater Zyrill, welcher die Messen zu besorgen hatte, die bey dem Sarge gelesen wurden, verschaffte mir das Anschauen meiner entseelten Alix; einen Anblick, den ich nie vergessen werde. Ach dieses schöne Gesicht war von scheuslicher Geschwulst entstellt, und mit schwarzen und blauen Flecken gezeichnet! dieser herrlichgebildete Körper trug schon überall Spuren schneller Verwesung, das Merkmahl beygebrachten Giftes! und die, welche noch gestern in meinen Armen lag, konnte des andern Tages schon nicht mehr über der Erde [242] geduldet werden, wenn nicht durch todathmenden Duft auch die noch Lebenden vergiftet werden sollten.

Ich erstaunte über den plötzlichen Fortgang eines Anfangs so langsam schleichenden Uebels, aber Zyrill bewies mir, daß man aus der letzten Begebenheit im Kloster, nehmlich aus ihrem langen Außenbleiben, und einigen Umständen bey der Wiederfindung der Vermißten, Anschläge zur Flucht gemuthmaßt, und es daher für schicklich gehalten habe, durch Beybringung einer doppelten Dosis von dem schon zu verschiedenen malen gekosteten Todestrank, lieber schnell mit ihr zu enden, als sich der Entdeckung auszusetzen; da, wie es scheint, der kastilische Hof mit dieser Unthat nichts zu thun hat, und so wohl von ihm als von Toulouse bey dem geringsten Verdacht schwere Ahndung zu befürchten wär.

Pater Zyrill hat mir viel hierüber gesagt, das ich nicht entdecken darf, nur eins halte ich mich verbunden anzuzeigen, da es eine der edeln Prinzessinnen, an welche ich schreibe, unmittelbar angeht. O Elise, man denkt darauf, durch euch die Stelle eurer Freundin zu ersetzen, prüfet euch, was euer Herz dazu sagt, und nehmt darnach eure Maaßregeln, so wie ich die meinigen nahm, als ich aus dem Munde meines Vertrauten [243] erfuhr, man ahnde im Kloster die Anwesenheit einer verdächtigen Person, und ich werde wohlthun, mich zu entfernen.

Ich flohe, flohe an den Hof, wo ich schon einmal Schutz gefunden hatte, flohe in die Arme der Freundinnen, welche in Alix verlohren haben, was ich verlohr, die süsseste Gespielin, das herrlichste Tugendmuster, die Leiterin zur Wahrheit! – Ach sie war das erste Opfer unter Tausenden, die vielleicht dieser verfolgten verkannten Wahrheit geschlachtet werden möchten, wenn das erfüllt wird, wovon man mir sagt, daß es jetzt am römischen Hofe im Verborgenen reife.

Beatrix an Irene
Beatrix an Irene.
1208.

O meine Mutter, welche Unruhen hat die Nachricht von dem Tode unserer lieben Gräfin von Toulouse verursacht! meine Schwester, überhaupt von Natur tieferer Gefühle fähig als ich, und nicht mit genugsamen körperlichen Kräften begabt, um innerliche Stürme auszuhalten, liegt ganz zu Boden, sie ist unfähig, euch zu schreiben, und hat mir dieses Geschäft, das einige, [244] was mir gegenwärtig Trost bringen kann, aufgetragen. Ach ich weiß es, was ihren Kummer, der ohnedem beym Verlust einer solchen Freundin wie Alix, bey einer solchen Verkettung von tragischen Umständen wohl natürlich ist, ich weiß es, was ihren Kummer gränzenlos macht, die Furcht vor der kastilischen Heyrath, welche wohl nicht ganz ungegründet seyn möchte, da gestern der Graf von Kastelmoro, der Bischof von Kastilien und der junge Dominikus Guzmann in Geschäften hier angelangt sind, welche niemand erfährt, die sich aber errathen lassen. Sie haben schon zweymal geheime Audienz bey meinem Vater gehabt, und meine Schwester ist, wenn sie sich so weit erholen kann, außer dem Bette zu seyn, auf diesen Abend zu einer Privatunterredung in das Kabinet des Kaisers beschieden.

Sie arbeitet unter tödlicher Angst, sie zittert vor der Trennung von ihrem Otto, und doch, meine Mutter, und doch weiß ich nicht, ob der Wittelsbacher es verdient, so heiß von ihr geliebt zu werden, ob er es verdiente, daß auch ich ihn einst mit besonderer Partheylichkeit ansah, und – was sollte ich leugnen, – mir gern das Loos meiner glücklichern Schwester gewünscht hätte. – Diese Träume sind Gottlob vergangen, ich sehe jetzt heller, in Ansehung des [245] Pfalzgrafen als meine partheiische Schwester. Ich habe kürzlich einen Brief von Kunigunden aus Rom, welcher mir Dinge von dem Wittelsbacher meldet, über die ich zurückschauere. Ich habe ihn Alverden mitgetheilt, welche versichert, Elise habe ein ähnliches Schreiben von unserer Schwester erhalten, und sie habe ihr über dasselbe schon gesagt, was sie jetzt auch mir sagen müsse, daß Kunigunden nicht zu trauen sey, daß das schlechte Glück, das sie an Graf Richards Seite genieße, sie wohl bey dem von ihr bekannten Charakter veranlassen könne, das bessere Loos ihrer Schwester zu beneiden und daß sie überdem, wie Alverde von ihrem Vertrauten, dem Pater Zyrill weiß, so ganz unter der Herrschaft der römischen Mönche steht, daß wohl ihr eigenes Urtheil getäuscht, und ihr Brief nichts seyn könne, als das Sprachrohr, durch das ein anderer redet.

Ich weiß nicht, was ich von diesen Dingen denken soll, gleichwohl bestättiget sich alles Nachtheilige, daß man von dem Pfalzgrafen hört, durch den Mund des Bischofs von Sutri, den ich, so wie meine Schwester, zu meinem Gewissensrathe gewählt habe. Gleichwohl ist so viel gewiß, daß Otto von Wittelsbach, wie ich genau erforscht habe, nach einem erhaltenen hochheimlichen Schreiben von Herzog Bernharden [246] von Sachsen, eine Privataudienz beym Kaiser hatte, daß Empfehlungsschreiben nach Pohlen ausgefertigt wurden, deren Inhalt, wie man von dem kaiserlichen Geheimschreiber erlauscht hat, eine Heyrathswerbung um die schöne Adila war, daß der Pfalzgraf diese Reise selbst antrat, und daß er noch nicht zurück ist.

Arme Elise, braucht man noch etwas mehr, dein Unglück zu erweisen? und würde dir, wenn Otto von Wittelsbach treulos ist, die kastilische Heyrath, falls sie in Vorschlag käme, nicht wenigstens aus Rache zu wählen seyn?

Ich habe diesen Morgen schon eine lange Unterhaltung mit meiner Schwester über diesen Gegenstand gehabt, sie bleibt standhaft auf ihren Vorurtheilen, zwar trauet sie dem Wittelsbacher, von welchem sie seit seiner Abreise keine Nachricht hat, nicht mehr ganz, aber sich völlig von ihm loszumachen, dazu fordert sie volle Gewißheit, eigenes Geständniß seiner Schuld, und da ich dieses für unmöglich halte, so wird sie freylich wohl ewig seine Gebundene bleiben.

O meine Mutter, so viel ist doch gewiß, daß wir Töchter Philipps recht unglücklich in der Liebe sind! Kunigunde ward es durch eigene Schuld; Elise durch Untreue ihres Geliebten, und andere widrige Umstände, und die arme Beatrix? – O Mutter, laßt mich dieses Herz [247] ganz vor euch ausschütten; wenn es sich auch aus Scheu wegen seiner Schwäche eine Zeitlang euren Augen entzieht, so kehrt es doch immer gar bald zu euch zurück, enthüllt euch seine Gebrechen, und fordert die mütterliche heilende Hand zu Trost und Linderung auf, die es sonst nirgends findet.

Nehmt hier das Bekenntniß seiner innersten Geheimnisse: Den Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach liebte ich, oder würde ihn geliebt haben, wenn ihn das Schicksal für mich bestimmt hätte. Den Herzog Otto, dem man mich gern vorbehalten hätte, liebte ich nie, und nun, da er, wie man mir sagt, mich bey der letzten Friedensunterhandlung mit meinem Vater verschmäht hat, ohne mich einmal gesehen zu haben, nun möchte ich wohl sagen, daß ich ihn hasse. – Aber leider ist ein anderer, den ich liebe, den ich anbete, würde ich sagen, wenn dieser Ausdruck nicht gar zu erniedrigend in meinem Munde lautete; gleichwohl ist er der rechte; wie sollte man sonst die unbegreifliche Partheylichkeit nennen, die ich für den, den ich mich fast namhaft zu machen schäme, die ich für Alf von Dülmen fühle?

Alles was mein Herz von ihm losreißen könnte, verfehlt seine Würkung, und bringt das Gegentheil hervor, sein wildes rastloses Wesen [248] anstatt mich zu schrecken, erregt meine Aufmerksamkeit, gewisse geheime Verbindungen mit einer unbekannten furchtbaren Macht, die man ihm schuld giebt, erregen statt scheuer Furcht in mir ein Gefühl von seiner Wichtigkeit, das Alltägliche fesselte nie meinen Blick, nur das Unbegreifliche, das Geheimnißvolle pflegte mir zu gefallen. – Das wichtigste, was mir ihn zuwider machen könnte, seine unsterbliche Liebe für Alix, that seine Würkung nur eine kleine Zeit, und hat jetzt nach dem Tode meiner Freundin, dieselbe vollends ganz verlohren; ich würde nicht zürnen, sein Herz mit einer Verstorbenen theilen zu müssen, ich würde es für meinen höchsten Triumph halten, ihn endlich über dieselbe zu trösten. Alle diese seltsamen Gefühle, die ich euch gestehe, vollends zur heftigsten Leidenschaft zu machen, mischt sich noch das Mitleid ein. O, meine Mutter, wie ist der unglückliche Graf Adolf zu bedauren! wie elend ist er vollends nach der Nachricht von dem Tode der Gräfin von Toulouse, welche, so sehr wir es zu verhüten suchten, sein Ohr dennoch erreicht hat!

Vom Anfang seiner Anwesenheit am kaiserlichen Hofe, lebte er in dem Pallaste des Grafen von Wittelsbach, auch noch hält er sich daselbst auf, aber in welcher traurigen Lage! – [249] Sein Verstand scheint durch die Post von dem Tode der armen Alix gelitten zu haben, seine treuen Leute suchen seinen wahren Zustand zu verhelen, aber so viel ist gewiß, daß man ihn bewachen muß, daß man ihm Waffen und Rüstung genommen hat, um ihm die Möglichkeit, Unheil anzurichten, zu benehmen; er soll sich sehr gefährliche Reden verlauten lassen, soll den Tod der Gräfin von Toulouse, welcher, wie er wähnt, blos erfolgt ist, Elisen auf den kastilischen Thron zu helfen, Personen zuschreiben, welche hier schuldig zu halten Lächerlichkeit und Hochverrath seyn würde, und in seinen Paroxismen oft fürchterlich von blutiger Rache rasen!

Gott was wird noch endlich aus diesen Dingen werden – Könnte ich nur mit jemand verständiger hierüber sprechen, und Verhaltungsregeln fordern, die ich von euch bey eurer Entfernung so spät erhalte! – Graf Heinrich von Andechs und Bischof Egbert sind hier angelangt, beydes fromme und verständige Männer, die ich von Kindheit auf kenne, die von meinem Vater geschätzt werden, und denen man sich wohl vertrauen könnte – aber – sie sind Brüder des verdächtigen Pfalzgrafen, und so könnte man sich doch immer über das wichtigste, über das, was ihn angeht, nicht gegen sie herauslassen. –

[250]

O, meine Mutter, nur einige Worte, einige wenige Worte von eurer Hand uns zu leiten, jetzt, da uns Leitung nöthig ist.

Irene an Beatrix
Irene an Beatrix.
1208.

Ich bin zu schwach, mein Kind, dir viel zu schreiben, die gefürchtete Stunde, die mir, wenn Ahndungen nicht trügen, wohl diesmal gefährlich werden könnte, naht heran. Nimm auf deinen Brief nur das wenige, was ich dir und deiner Schwester zu sagen vermag. Verdammet Otten von Wittelsbach nicht unverhört, er kann, er muß unschuldig seyn; vertraut euch dem Bischof von Sutri nicht zuviel; ich sehe es ungern, daß er euer Gewissensrath ist, die geistlichen aus der römischen Schule sind mir verdächtig; und du, meine Beatrix, wie war dir es doch möglich, dein Herz dergestalt an jenen Alf von Dülmen zu hängen; der Mensch ist mir furchtbar, ich zitterte vor ihm beym ersten Anblick! doch meine Empfindungen, von denen ich noch überdem keinen Grund anzugeben weiß, können nicht zum Regelmaß für die deinigen dienen; bemitleide ihn also und bete für ihn, ich will [251] mich darin mit dir vereinigen, aber Mitleid ist auch alles was du ihm schenken darfst; auch irrst du dich gewiß in deinen Gefühlen: heftig aufgeregtes Mitleid kann bey einer so guten zartfühlenden Seele leicht die Gestalt der Leidenschaft tragen, aber du thust dir gewiß Unrecht, wenn du ihm einen zu hohen Namen giebst! Beatrix ist und bleibt für den Herzog von Braunschweig bestimmt, er konnte sie nur darum verschmähen, weil er sie nicht kannte; die Vorsicht wird euch zusammen bringen, und eure beyderseitigen Gefühle werden sich ändern; an seiner Seite wirst du erst die Liebe kennen lernen, deren du dich gegen diesen Alf von Dülmen mit Unrecht beschuldigst. –

Wärs denn nicht möglich, diesen unglücklichen Mann vom Hofe zu entfernen? – Seine Entfernung liegt mir, ich weiß selbst nicht warum, so hart an, daß ich selbst Nachts im Traume damit beschäftigt bin. Ich mache in eigener Person, mit unglaublicher Aengstlichkeit zu seiner Reise Anstalten; habe ich ihn denn abreisen, habe ich ihn von der Schloßzinne mit seinen Reisigen am äußersten Gesichtskreis verschwinden gesehen, so findet es sich, er ist in verstellter Tracht dennoch zurückgeblieben, und meine Angst beginnt von neuem. O Beatrix! mütterliche Besorgniß um dich, giebt mir diese [252] Träume ein, hüte dich, daß dein bethörtes Herz dich nicht deinem Stande und jungfräulicher Zurückhaltung unwürdig handeln lehrt; und noch einmal, suche Alf von Dülmen zu entfernen; mit Heinrich von Andechs und Bischof Egberten, die du mit Recht hochschätzest, wär zu bereden, wie dieses mit Anstand, vielleicht unter dem Vorwand seiner schwachen Gesundheit und der nöthigen Erholung in der Landluft geschähe. –

Elise komm hierin deiner schwachen Schwester zu Hülfe, und du selbst verzage nicht; halte deinem Wittelsbach feste Treue, Gott wird dir ihn als Sieger über alle Verleumdungen wieder schenken. Der kastilischen Heyrath, sollte sie dir angetragen werden, widersetze dich mit Klugheit, es ist schwer, einem Vater ungehorsam zu seyn, aber noch schwerer, gegebenes Wort, ohne hinlängliche Ursach, zu brechen.

Alf von Dülmen an den Unbekannten [1]
Alf von Dülmen an den Unbekannten.
1208.

Zum zweytenmal ward ich an Ausrichtung meines Auftrags erinnert, ich zweifelte an der Schuld des Angeklagten und dachte mich, – [253] verzeiht der Appellation von dem eurigen an ein höheres Gericht – dachte mich um Tilgung meiner Unwissenheit an den Herzog von Sachsen zu wenden; – Jetzt bin ich davon überzeugt, wovon ich mich zuvor nie überzeugen konnte. Der Verfehmte ist ein zwiefacher Mörder! und ich trage kein ferneres Bedenken, das von neuem zu versprechen, was Otten von Wittelsbach und mir im letzen Gericht befohlen ward.

O Herzog! mein Verstand ist jetzt oft abwesend, mein Kopf, mein Herz hat zuviel gelitten, um unzerrüttet zu bleiben! O Alix! Alix! unschuldig Ermordete! wo bist du?

Herzog Bernhard von Sachsen an Pfalzgraf Otten von Wittelsbach
Herzog Bernhard von Sachsen an Pfalzgraf Otten von Wittelsbach.
1208.

Peter von Kalatin ist gestern hier angelangt, und meldet mir außerordentliche Dinge, Folgen von der Bosheit oder Unüberlegtheit des Herzogs von ** meines diesmaligen Stellvertreters zu Pamiers. O, daß mich Krankheit von dieser Reise abhalten mußte! ich fürchte, bey dem letzten Gericht sind unverantwortliche Sachen vorgefallen, oder vielmehr, ich weiß es gewiß![254] Peter von Kalatin ist so wenig mein Liebling als der eurige, tausenderley ließ sich gegen seinen Charakter einwenden! Aber eins lobe ich an ihm: seine Treue gegen den heimlichen Bund ist eisenfest, und seine Klugheit und Verschwiegenheit unbestechbar, ich traue ihm in gewissen Dingen mehr als irgend einem; sehet hier die Ursach, warum ihr hierdurch unter Eid und Bann erinnert werdet, euch stracks Angesichts dieses, aufzumachen, um vor dem freyen Stuhl zu *** als dem höchsten auf der rothen Erde 9 Red' und Antwort über die Vorgänge des letzten Gerichts zu geben. Peter von Kalatin weiß nicht genau, ob ihr gegenwärtig waret, aber Alf von Dülmen war es gewiß, von ihm müßt ihr alles erfahren haben, was uns Sorge macht; auch geht zugleich mit diesem Schreiben ein ähnliches an ihn ab, ihn, gleich euch, vor unser Gericht zu laden. – So wie nach Pamiers an den Herzog von *** noch geschärftere Befehle gelangen. – Von den pohlnischen Händeln ein andermal!

Seyd der Eil erinnert, und aller Freundschaft versichert von

Bernhard, Herzog von Sachsen. [255]

Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, an die Prinzeßinn Elise
Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, an die Prinzeßinn Elise.
1208.

Nunmehr kann ich alles glauben, ich zweifelte an der Wiederholung der Treulosigkeit, die mir dein Vater, meine Verlobte, schon einmahl bewiesen hatte, nun kann ich alles glauben! Elise, verzeihe, daß ich aus einem Ton mit dir spreche, den ich mir noch nie erlaubte. Aber Eifer, Angst, Entsetzen, Furcht, auch dich zu verlieren wüthen in meinem Herzen, und lassen mich jede Schonung vergessen. Elise, du bist mir jetzt einen grossen Beweis deiner Treue schuldig, du mußt mit mir fliehen um der Gewaltthätigkeit zu entgehen, mit welcher man auch dich mir entreissen will. Die kastilischen Gesandten sind an dem Hofe deines Vaters angelangt, man wird dich ihnen mit oder wider deinen Willen ausliefern, man wird dich zu dem Throne schleppen, der noch von dem Blute deiner Vorgängerinn träuft, und den du nicht ohne doppelte Treulosigkeit besteigen kannst!

O des falschen, falschen Kaisers! Um meine erste Braut betrogen, in der Werbung [256] um die pohlnische Adila durch falsche Briefe getäuscht, soll ich nun auch Elisen verlieren?

Noch einmahl, du Verlobte Wittelsbachs, der bey Gott nicht mit sich spielen läßt, verlaß den treulosen Vater, und wirf dich in die Arme deines Gemahls, die Bande, die dich an mich fesseln, sind jetzt die stärksten, du kannst sie nicht ohne Ruchlosigkeit zerreissen. Mein Bote wird dich dahin führen, wo ich wenige Meilen von der Stadt mit meinen Reisigen deiner warte, erscheinst du nicht, sehe ich ihn einsam zurückkehren, so nimm die Verantwortung der schrecklichsten Folgen über dich.

Antwort [1]
Antwort.
1208.

Alle Schmähungen, die du auf meinen Vater häufest, fallen auf dich zurück, du selbst Treuloser! Kannst du in dem Briefe, da du deine eigene Untreue bekennst,mich zur Treue auffordern? – O es ist schrecklich, was ich in diesen Zeilen lese! Ja, Otto, ich wär dir gefolgt, wär – mein Herz gegen dich war immer schwach – wär ohne Rücksicht auf [257] Kindespflicht mit dir geflohen, geflohen aus Ende der Erde, um nur dein zu bleiben! aber das Bekenntniß deiner Schande aus deinem eigenen Munde lößt alle Bande zwischen uns auf. Die Bande, die mich an meinen Vater fesseln, sind unauflösbar, diese fühle ich, jetzt da mir die Augen über deine wahre Gestalt aufgehen, mit neuer Stärke; nur die täuschende Liebe und der thörigte Wahn von deiner Treue hätten mich hierinn verblenden können! – O Otto! wenn du das Herz sehen könntest, das du zerrissen hast! – Nein, ich komme nicht, dein Bote kehrt einsam zurück, mögen die Folgen davon seyn wie sie wollen!

Otto von Wittelsbach an die Kaiserinn Irene
Otto von Wittelsbach an die Kaiserinn Irene.
1208.

Leset beygeschlossene Briefe, eine Kopie eines Schreibens von mir nebst seiner Antwort, und entscheidet zwischen mir und eurer Tochter! Ich treulos? Otto treulos? Ich ein Bekenner meiner eigenen Schande? Was habe ich gesagt, was habe ich geschrieben, das sich auf diese Art deuten ließ?

[258] Euch, meine Mutter, übergebe ich meine Sache. Zu ruhelosem Umhertreiben bestimmt, muß ich in dem Augenblick, da mein Herz von tausendfachen streitenden Gefühlen glüht, da es alles fühlt, was Rache, Liebe und Bekümmernis folterndes haben, mich zu einer neuen Reise verstehen, da ich die vorhergehende kaum geendigt habe. Herzog Bernhard von Sachsen fordert mich in einem mir ganz unverständlichen Briefe zu sich, fordert mich auf eine Art, der ich nichts entgegen setzen kann! – Muß denn alles auf mich einstürmen? Was will Bernhard mir zu dieser Unzeit? will er mich vielleicht wegen der mislungenen Werbung um die pohlnische Adila, die ich für ihn übernahm, zur Rede setzen? – Er halte sich an den Kaiser, den ich einen Verräther nennen würde, wenn er nicht Irenens Gemahl war! Doch er ist, er ist es trotz seiner Verbindung mit diesem Engel! Anstatt Bernhards Ehewerbung in dem von ihm geforderten Empfehlungsschreiben an den Herzog von Pohlen zu begünstigen, schilderte er mich und ihn in den gehäßigsten Farben, und widerrieth heimlich, was er öffentlich zu befördern versprach. Der Pohle, redlicher als er, entdeckte mir dieses, und hies mich zurück eilen, wenn ich noch einem heimtückischen [259] Streiche vorbeugen wollte. Ich eile auf den Flügeln der Ungeduld, und das Gerücht kommt mir entgegen, wie kastilische Gesandte bey Hofe angelangt wären, die mir versprochene Elise zu ihrer Königinn abzufordern. In der ersten Wuth gekränkter Ehre und Liebe, schreibe ich an meine Verlobte, und erhalte diese Antwort. O Mutter, Mutter! entscheidet zwischen ihr und mir, entscheidet günstig für mich, oder ich wiederhole es auch euch, zittert vor den Folgen!

Anton von Hagenau, kaiserlicher Kammerherr
Anton von Hagenau, kaiserlicher Kammerherr an die Oberhofmeisterinn der Kaiserinn Irene.
1208.

Wapnet euch mit Standhaftigkeit, edle Frau, das schrecklichste zu vernehmen, was der Himmel über uns verhängen konnte. Der Kaiser ist ermordet!!

Auf Befehl der Reichsräthe setze ich mich, euch die Unglückspost im ersten Wahnsinn der Bestürzung, fast in dem Augenblick, da die That geschah, zu berichten, damit sie das Ohr unserer guten Gebieterinn nicht unzeitig erreiche, [260] damit ihr für sie wachen könnt, daß übereilte Entdeckung ihres Unglücks sie nicht tödte.

Es ist die unerhörteste That, welche je verübt wurde, sie ist vor unser aller Augen geschehen, ohne daß einer sie hindern konnte. Ich würde mir sagen, ich habe den unsinnigsten, schrecklichsten Traum geträumt, wenn hier auf dem Boden nicht das rauchende Blut, aus welchem man eben Philipps entseelten Körper aufhub, ihn in ein anderes Zimmer zu bringen, und wenn nicht die Stimme allgemeines Klagens nebst dem Getümmel der Bestürzung mir die Gewisheit des grauenvollen Vorgangs bestättigten.

Der hochwürdige Erzbischoff von Speyer, welcher sieht was ich geschrieben habe, befiehlt mit, mich nicht in fruchtlose Klagen zu vertiefen, sondern zu eilen, damit das gemeine Gerücht nicht meinem Briefe zuvorlaufe, und vielleicht unserer guten Kaiserinn den Tod bringe.

Hört also mit wenig Worten das Ganze der Greuelthat, welche nicht in so viel Minuten geschehen war, als ich brauchte, davon zu schreiben.

Otto von Wittelsbach ist der Mörder! daß er wenige Meilen von der Stadt angekommen war, wußte der Kaiser, er wunderte [261] sich über sein Zögern und ließ ihn zu sich fordern, weil er Wichtigkeiten mit ihm zu bereden hatte, er erwartete ihn in Gesellschaft des Bischoffs von Speyer, und des von Bamberg in seinem Kabinet, wohin auch die Prinzesinn Elise beschieden war; man vermuthete ein Anmuthung an den Pfalzgrafen, sich wegen der kastilischen Heyrath von seiner Verlobten loszusagen, aber ich, der immer um den Kaiser war, und viel Geheimes aus seinem Munde hörte, weis fast mit Gewißheit, daß die Absicht unsers unglücklichen Monarchen war, sich vor dem Pfalzgrafen, wegen eines untergeschobenen Briefes an den Herzog von Pohlen, der ihm zur Last gelegt wird, zu rechtfertigen, und ihm den Besitz seiner Elise, die den kastilischen Gesandten abgeschlagen wurde, von neuem zu versichern.

Während der Kaiser nebst den beyden Bischöfen die zu ihm beschiedenen erwartete, stand ich an der einen Seite der Kabinetsthür, und wartete auf Befehl, sie zu öfnen. Ich hörte jemand mit Hastigkeit, in das Vorzimmer eintreten, und bemerkte durch das Seitenfenster den Pfalzgrafen in voller Rüstung mit entblößtem Schwerd, und so festgeschlossenen Helm, als gehe es zur Schlacht und nicht zum Verhör bey seinem Herrn; welchem er [262] sich doch Wohlstands wegen mit entblößtem Gesicht zu zeigen, verbunden gewesen wär, – aber gewiß war dieses auf Geheimhaltung des Verübers der vorhabenden Greuelthat abgesehen; als wenn nicht des Wittelsbachers Waffen, und seine Riesengestalt, in welcher er hier bey Hofe kaum eines Gleichen hat, hinlänglich wären, ihn kenntlich zu machen. – Ich ward gefragt, wer im Vorzimmer tose. Es ist der Herr Pfalzgraf, sagte ich halb lachend, welcher mit seinem Schwerd allerley wunderliche Gaukeley treibt, er ficht gegen die Wände, kehrt jetzt das Eisen gegen seine Brust, und murmelt unverständliche Worte zwischen den Zähnen.

Er glaubt sich allein, sprach der Kaiser, öfne die Thür, und sage, daß er gebührlich eintrete. Otto trat, oder vielmehr er stürzte herein. Es war, als ob seine Geberde und das fortdaurende Gaukelspiel mit dem Schwerdte schaudern machte. Der Kaiser erwartete seine Anrede, und sagte denn mit mildem Ton: Mein Otto, was ist euch? vergesset ihr ganz, vor dem ihr stehet? – Ha, Verräther schrie der Wahnsinnige, indem er sich auf den Kaiser stürzte, der ihm einige Schritte entgegen trat, ich stehe vor einem verruchten Mörder, den dieses Schwerd richten soll!

Mehr errathen als gehört haben wir diese Worte, jeder von uns will sie anders vernommen [263] hoben; wahrscheinlich hörte keiner ganz richtig, unsere Seele war in die Augen geflohen, wir sahen das Schwerd des Meuchelmörders blinken, wir stürzten hinzu, aber der Kaiser war gefallen, der Thäter entflohen, ehe wir beide erreichen, oder das Geschehene hindern konnten.

Kaiser Philipp lag in den Armen des Bischofs von Bamberg, und blutete aus einer fürchterlichen Halswunde, die er empfangen hatte. Ihr seyd der Bruder meines Mörders, stammelte der Kaiser, ich vergebe euch und ihm, und will glauben, daß ihr unschuldig seyd.

Ich lag vor dem Verwundeten auf den Knien, und bestrebte mich, das Blut zu stillen; der Bischof von Speyer stand wie versteinert da, und warf verdachtvolle Blicke auf Bischof Egberten, den ich an der That seines Bruders schuldlos halte, und der in einem Zustand war, welcher ihn dem Tode fast so nahe brachte, als der verwundete Kaiser war; es eilten mehrere Kammerbediente auf das Geräusch von des Kaisers Fall und den Anblick des fliehenden Mörders, den sie nicht aufhalten konnten, herzu, sie brachten den ohnmächtigen Egbert hinweg, und liefen nach Wundärzten.

Da trat die Prinzessin Elise herein, sie war dem Mörder begegnet, welcher mit dem blutigen Schwerde bey ihr vorbeygestrichen war, [264] ohne von ihr gekannt zu werden, oder sich bey ihr aufzuhalten. –

Doch dies läßt sich nicht beschreiben! – Denkt selbst, was die zärtliche Tochter bey dem blutenden und sterbenden Vater, bey der Nachricht fühlen mochte ihr Verlobter habe ihn ermordet.

Der Kaiser war, während man sich mit der ohnmächtigen Prinzessinn beschäftigte, verbunden worden, aber die Wundärzte gaben keine Hofnung! – Elise, stammelte er, noch ehe er verschied, dein Wittelsbach, den ich dir so gern gegönnt hätte, ist für dich verloren, du wirst dem Mörder deines Vaters nicht die Hand geben, werde kastilische Königinn!

Ich werde hier erinnert, der Eil wegen zu schließen! Gott weis, was ich geschrieben habe, die Wahrheit ist es, das andere entschuldige die allgemeine Bestürzung.

Alverde an den Pater Zyrill vom heiligen Kreuze
Alverde an den Pater Zyrill
vom heiligen Kreuze.
1208.

Mein Herz braucht Trost, meine Aufführung Leitung, an wen könnte ich mich lieber wenden als an Euch. Ach, mein Vater, die Dinge, [265] von welchen ich Euch zu unterhalten habe, sind Eurem Herzen nicht fremd, sie betreffen die, welche Ihr ehedem schätztet und liebtet, betreffen Philipp und Otto, mit welchen ihr einst in so genauer Verbindung standet. Trauert nicht, daß Eure zu feste Anhänglichkeit an Pflicht und Tugend Euch vom Hofe vertrieb, Euch aus einem kaiserlichen Gesandten zu eurem gegenwärtigen demüthigen Posten brachte, denn welche Greuelthat würdet ihr hier erlebt haben, aber darüber trauert, daß endlich das teuflische Projekt, das Herz des besten Mannes zu vergiften, und ihn zum Mörder seines Freundes, seines Vaters zu machen, dennoch geglückt ist. O Zyrill, hättet ihr damals, als ihr den Grafen von Wittelsbach auf seiner Gesandschaft nach Rom begleitetet, als ihr Augenzeuge von seiner großmüthigen Verachtung alles desjenigen waret, was man aussann, ihn gegen den Kaiser aufzuwiegeln, hättet ihr gedacht, daß Philipp einst durch seine mörderische Faust fallen würde? – Muß es denn der Bosheit vergönnt seyn, die Tugend so lange mit unabläßigen Angriffen zu ängstigen, bis sie endlich Siegerinn ist? – Ach Otto würde kein Verbrecher geworden seyn, hätte man nicht durch unabläßiges verleumderisches Einhauchen sein Urtheil allmählig bestochen, und so ihn nach und nach zu [266] einer That bereitet, die nun leider geschehen ist, und die ich Euch nicht erzählen darf, da ihr bereits durch das Gerücht alles vernommen haben werdet.

Man kann sich keine andere Ursach denken, warum Wittelsbach die Hände mit dem Blute seines Freundes seines Vaters benetzte, als seinen Wahn von der kastilischen Heyrath, den ich Unschuldige von andern getäuscht, leider auch mit nähren half und einen Brief, welchen der Kaiser an den Herzog von Pohlen zu Ottos Nachtheil geschrieben haben soll, und der, mit sich nun ergiebt, von einem erkauften nun bereits bestraften Geheimschreiber untergeschoben ward!

Mit der kastilischen Heyrath hat es die nemliche Bewandniß, es erweist sich, daß die Gesandten um des Pfalzgrafen willen bereits abgewiesen waren und daß der edle Philipp auf keine Art treulos an seinem Mörder gehandelt hatte. Aber wird durch die Erweisung und Kundbarkeit dieser Dinge unsere Lage glücklicher? o nein! wir steigen durch sie noch eine Stufe tiefer in den Abgrund des Elends hinab!

Ein verrätherischer Tyrann wird ja nicht so bitter beklagt, als ein gütiger nur verkannter Vater; den Rächer angethanen Unrechts kann man ja weniger verabscheuen, als den, welcher aus blindem [267] Jähzorn seinen Wohlthäter ermordete, und wie schrecklich ists, den verabscheuen zu müssen, den man ehemals liebte!

Elisens Jammer ist nicht auszusprechen. Das Unglück, ihren Vater auf diese Art verlohren zu haben, berechtigte sie schon zu Kummer ohne Gränzen, aber ihn durch Wittelsbach verloren zu haben, wer mißt das Fürchterliche, das in diesem Umstande liegt? wer kann sie verdenken oder tadeln, daß sie sich selbst Vorwürfe macht, weil auch sie voreilig zu Werke ging, weil sie aus einigen falsch verstandenen Worten in einem Briefe ihres Otto ihn für treulos hielt, und ihn durch Härte und Vorwürfe aufs äußerste brachte?

Zittre vor den Folgen deiner Strenge! schrieb er am Ende jenes unglücklichen Briefs, von dessen Beantwortung alles abgehangen zu haben scheint; ach wer hätte sich bey diesem Manne die schrecklichen schrecklichen Folgen getäuschter Liebe, die wir nun vor Augen sehen, denken können!

Nun erklärt sichs, daß Philipp unschuldig, daß von Kastilien her nichts zu fürchten, daß Otto nicht treulos, sondern nur Herzog Bernhards Brautwerber um die schöne Adila war, aber die schreckliche That, welche auf den falschen Wahn von all diesen Dingen gebaut war, ist nun einmal zur Hölle entschlichen, wer will sie zurückrufen, wer den ermordeten Philipp erwecken, oder Ottos Hände von Blut reinigen?

[268] Es ist schrecklich, wie eine That wie diese den ganzen Charakter eines Mannes, selbst eines Tugendhelden, wie Wittelsbach, umwandeln kann; hätte ich mir ihn nach verübter That vorstellen sollen, so würde ich mir ihn am Abgrund der Verzweiflung, reuig, bekennend, oder aufs höchste sein Verbrechen beschönigend gedacht haben; aber zu leugnen, mit der höchsten Unverschämtheit zu leugnen, was vor den Augen mehreren Zeugen begangen ward, zu drohen, noch Plane zu neuen Verbrechen zu machen, wer hätte das in dem edeln Pfalzgrafen gesucht!

Leset diesen Brief, welchen Elise gestern Morgen erhielt, höret, was auf denselben erfolgte, und erstaunet über die Herabwürdigung Eures ehmaligen Tugendhelden. Auf Vergunst der Prinzessinn mache ich euch zum Vertrauten in diesen Dingen, sie schätzt Euch, wie ich Euch schätze; und nicht allemal mit den strengen Aussprüchen ihres Gewissensraths, des Bischofs von Sutri, gleich zufrieden, will sie auch Eure Meinung über diese Dinge hören.

Hier ist Wittelsbachs Schreiben.


Der Pfalzgraf Otto an Elisen.


Falsche! nicht genug, mich durch deine Härte, durch die grausame Behandlung eines Unschuldigen [269] aufs äußerste gebracht zu haben, willst du mich noch zum Mörder deines Vaters machen? Ich bin es nicht! ein Mensch oder ein Teufel muß meine Gestalt angenommen haben, euch alle zu täuschen, wenn das Ganze nicht nur ein Vorwand ist, dich ohne den Tadel der Welt von mir loszumachen! Wisse, ich lasse dich nicht, und ob heilige Mauern dich bärgen, und ehe der Abendstern zweimal heraufgeht, bist du in meinen Armen.


Dieser Brief versetzte uns alle in das heftigste Schrecken, den Betheurungen von Wittelsbachs Unschuld glaubten wir nicht, konnten ihnen nicht glauben, wenn wir nicht die von mehreren Zeugen bestättigte Wahrheit zur Lügnerin machen wollten, aber vor seinen Drohungen zitterten wir. Wir sahen sie noch in selbiger Nacht erfüllt. Gewappnete brachen in das Zimmer der Prinzessinn ein, und brachten sie davon, Wittelsbach war persönlich nicht gegenwärtig, aber da keiner von seinen vornehmsten Dienern unter den Entführern fehlte, so konnte man die Hand nicht verkennen, welche die angedrohte That ausführte.

Ich, welche diese Nacht allein bey Elisen geblieben war, entkam mit Mühe den Räubern, welche auch mich festhalten und verhindern wollten, Lerm zu machen. Ich wußte keine thätigere [270] Hülfe zu suchen, als bey meinem tapfern Bruder; der Pallast des Pfalzgrafen, in dem er sich bisher aufgehalten hat, stößt an den unsrigen, wenig Schritte brachten mich in Alfs Vorzimmer; hier erfuhr ich erst, daß seine Hüter – (ach der zerrüttete Gemüthszustand des Unglücklichen, welchen ich in dem Augenblick, da ich seine Hülfe suchen wollte, nicht gleich erwog, hat ihm seit einiger Zeit Hüter nöthig gemacht!) – Hier, sage ich, erfuhr ich erst, daß man ihn schon seit vorgestern vermißte; der allgemeine Tumult am Tage der Ermordung des Kaisers muß gemacht haben, daß man ihn aus der Acht ließ, er muß ganz blos entflohen seyn, denn nichts von seinen Sachen, die man ohnedem vor ihm verschlossen hatte, vermißt man, und selbst sein Nachtgewand, darin er das Bette verließ, hat man in einem Winkel des Hauses gefunden.

Hier also neue Ursach für mich zu Gram und Verzweiflung, ich hatte also auch den Bruder verloren, der auf die letzt mir seine Liebe ganz entwendet hatte, mich nicht einmal vor sich lassen wollte, weil er glaubte, ich habe in seinen Abentheuern mit der Gräfinn von Toulouse nicht zu seinem Vortheil gehandelt.

Die Angst um Elisen machte, daß ich diesen neuen Schlag des Schicksals nur halb fühlte. Sie mußte schleunige Rettung haben, und [271] ich suchte sie bey den kastilischen Gesandten, welche, ungeachtet sie mit ihrer Werbung vom Kaiser abgewiesen worden waren, doch noch hier verweilten, weil sie gehört hatten, er habe in seinen letzten Augenblicken noch einige Worte zum Besten ihres Herrn mit der Prinzessinn gesprochen; dies ist nur allzuwahr, und ich weis nicht, was die Folge davon seyn wird, und ob ich das, was wahrscheinlich geschehen muß, billigen oder tadeln soll.

Durch Hülfe der kastilischen Gesandten, besonders des tapfern Grafen Kastelmoro, sahen wir des andern Morgens unsere Elise uns wieder geschenkt, er hatte sie noch eher ereilt, als sie von Wittelsbachs Reisigen in die Arme ihres wartenden Herrn geliefert wurde. Der Schrecken hat die Geraubte so krank gemacht, daß sie den Pallast der Gesandten, in welchen sie ihr Retter brachte, noch nicht hat verlassen können. Ihre Schwester, die Prinzessinn Beatrix ist bey ihr, und vereinigt sich mit dem Bischof von Sutri, dem von Speyer, und dem von Kastilien, der unglücklichen Dame begreiflich zu machen, daß sie verbunden ist, den letzten Willen ihres Vaters zu erfüllen, und in den Armen des kastilischen Prinzen den Schutz zu suchen, den ihr kein Ort, selbst kein Kloster vor [272] Angriffen des wütenden Wittelsbachers geben wird. –

Noch schützt sie sich mit der fehlenden Einwilligung ihrer Mutter, aber wie wird ihr geschehen, wenn sie erfährt, daß die vortrefliche Kaisersinn nicht mehr ist!

Die Schreckenspost von Philipps Ermordung durch Wittelsbach, hat ihr eine frühzeitige Niederkunft, und durch dieselbe den Tod gebracht. Am Ende dieses Schreibens erhielt ich die Nachricht von der Oberhofmeisterinn, mit Bitte sie den Prinzeßinnen behutsam beyzubringen. –

Wie kann ich das? Wie kann ich ihnen den Dolch in die Brust stoßen, ohne sie zu töden? – Hier ein Schreiben von der abgeschiedenen Heiligen an ihre Kinder, wie soll ich es ihnen überreichen? –

O mein Vater, mir schwindelt, ich weis nicht mehr was ich schreibe! ich hatte euch noch so viel zu sagen, von dem frommen Bischoff Egbert, und dem treflichen Marggrafen von Andechs, wie sie ihres Bruders des Wittelsbachers Schuld, und seine Durchächtung theilen müssen; alles dieses bleibt nun bis zu besserer Fassung. O Otto! Otto! über wie viel gute Seelen hast du den Fluch gebracht.

[273]
Die sterbende Irene an ihre Kinder
Die sterbende Irene an ihre Kinder.
1208.

Kennt ihr noch die zitternden Züge von der Hand Eurer Mutter? – O ich strenge meine letzten Kräfte an sie fest und kenntlich zu machen! Sie sollen die letzte Handlung der Gerechtigkeit vollführen, die mir genseit des Grabes zu thun beschieden war, sollen Euch des Pfalzgrafen Unschuld betheuren. Otto von Wittelsbach ist unschuldig. Zu der Stunde, da mein Gemahl, dem ich in die Ewigkeit folge, unter dem Stahl des Meuchelmörders fiel, hat der Verleumdete an meinem Bette gesessen; Plane für die Zukunft beschäftigten uns, die nun ein einiger Schlag alle zernichtet!

Doch die Ewigkeit wird alles klar machen! – Noch einmal: Otto ist unschuldig! – Kinder! unglückliche verlassene Kinder! meinen Seegen! –

Alverde an den Pater Zyrill
Alverde an den Pater Zyrill.
1208.

Wer kann die Worte einer Sterbenden, die letzten Worte einer Heiligen bezweifeln? Zyrill, [274] ihr habt den Brief der verewigten Kaiserinn, dessen Abschrift ich Euch auf Vergunst mittheilte, gelesen; wir müssen nach demselben Wittelsbachs Unschuld glauben, obgleich unser Verstand bey der Möglichkeit derselben still steht; und welches sind die Folgen von dieser Entdeckung? – Also wären die Bande zwischen ihm und Elisen noch unzerrissen? also müßte sie allen Hindernissen zum Trotz die Seinige bleiben? – Meinem Urtheil nach wär dem also, auch war es ohne Zweifel die Meynung der sterbenden Kaiserinn dieses zu bewürken. –

Niemand sieht dieses deutlicher ein als Elise, deren Herz noch immer für den Pfalzgrafen spricht, dessen Unschuld sie aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz mit voller Ueberzeugung glaubt. Ach, daß diese Ueberzeugung zu spät kommen müßte, daß sie jetzt nur darum, mit voller Stärke eintritt, um die gequälte Prinzessinn noch unglücklicher zu machen!

Elise ist seit gestern vermählte Prinzeßinn von Kastilien; absichtlich hielt man mich von ihr zurück, bis die Einseegnung, welche in aller Stille vor sich ging, geschehen war; man wußte, daß ich nicht dafür war, daß die Stelle der Gräfinn von Toulouse durch eine andere von meinen Freundinnen ersetzt würde, ich[275] kannte die kastilischen Herrlichkeiten zu gut, um Einer meiner Geliebten dieses Loos zu gönnen, ich wußte, daß dasjenige, was man an der unglücklichen Alix tadelte, was ihr wahrscheinlich den Tod brachte, sich auch bey Elisen fand; ihr versteht mich Zyrillo, ihr habt mit uns in verschiedenen Stücken einen Glauben, und ich kann mich also hierüber deutlicher gegen Euch erklären, als ich gegen einen andern Eures Standes thun würde.

Niemand wußte das, worauf ich ziele so gut, als Beatrix, und doch ließ sie sich von den Bischöfen verblenden, ihre Schwester zu einer Verbindung zu bereden, die ihr Glück nicht machen kann! Doch dies ist ihr Charakter! – O Beatrix! wie vortreflich würdest du seyn, würden deine Vollkommenheiten nicht durch so viel Leichtsinn, Leichtgläubigkeit, und übereiltes Wesen befleckt!

Einen neuen Beweis ihrer Voreiligkeit, legte sie bey dem Auftritte ab, von welchem ich Euch jetzt unmittelbar unterhalte. Nach zweytägigem vergeblichen Streben, vor die nunmehrige Prinzeßinn von Kastilien gelassen zu werden, erhielt ich endlich Zutritt. Elise kam eben vom Altar. Mir vergingen die Sinnen über den Schritt, den sie gethan hatte, ungeachtet mir der Inhalt von dem Briefe der Kaiserinn, [276] die der ganzen Sache ein noch bedenklicheres Ansehn giebt, noch nicht bekannt war! – Ich hatte indessen Besonnenheit genug mich zu fassen, und nicht mit der Trauerpost, welche mir auf dem Herzen lag, unzeitig heraus zu brechen. Die Prinzeßinn Beatrix hatte man schon mit dem Tode ihrer vortreflichen Mutter bekannt gemacht, und sie hatte Mittel gewußt, ihrer Schwester die Schreckenszeitung, die sie beyde zu völligen Waisen machte, mit ziemlich guter Art beyzubringen. Irenens Tod war es eben, worauf man die Beschleunigung des kastilischen Bundes gebaut hatte, Elise hatte niemand mehr, an dessen Einwilligung sie appelliren, mit dessen Nein sie sich schützen konnte, sie war sich selbst überlassen, und der Gedanke, von niemand mehr abzuhängen, führte die Vorstellung von Hülflosigkeit so natürlich herbey, machte die Ausschlagung einer königlichen Heyrath zu so offenbarer Thorheit, daß Elise Ja sagte, aus Bewegungsgründen Ja sagte, die wohl noch nie bey einer so edlen Seele, wie die ihrige, entschieden haben. – Doch, nein, ich thue dieser unvergleichlichen Person Unrecht, nicht Rücksicht auf zeitlichen Vortheil, nur das Andenken an die letzten Worte ihres Vaters, konnte sie zu dem bestimmen, was sie that; Sie hielt dieselben nach dem Absterben ihrer Mutter, für [277] das Einzige, an was sie sich nun zu binden hatte.

Ganz in Thränen gebadet, warf sich jetzt die Neuvermählte in meine Arme. Keine Glückwünsche, Alverde, zu dem was jetzt geschehen ist! rief sie, jetzt kein anderes Gespräch als von meiner Mutter! – O wo bist du in diesen für mich so schrecklichen, so wichtigen Tagen gewesen? wie sehr habe ich meine Trösterinn, meine Rathgeberinn vermißt! – Warst du vielleicht gar bey dem Sterbebette jener verklärten Heiligen? – Hat sie nicht vor dem Scheiden noch unserer gedacht? hat sie nicht für ihre Elise gebetet? Hat sie nichts an ihre Töchter hinterlassen?

Urtheile, Zyrill, was ich bey dieser Aufforderung fühlte. Schon war ich im Begriff, ihr Irenens Schreiben zu überreichen, doch bessere Ueberlegung hielt mich zurück; es war Pflicht, jetzt die Zagende zu trösten, anstatt durch irgend etwas ihre Gefühle noch mehr zu erwecken. Der Brief der Kaiserinn kam aus meinen Händen zuerst vor die Augen der Prinzeßinn Beatrix; fester und muthiger als ihre Schwester, brauchte sie wenige Schonung, auch konnte man von ihr erwarten, sie würde Elisen den Inhalt der traurigen Zeilen nicht ohne Prüfung, und erst gerade zu der Zeit mittheilen, da es ihr die wenigste Gefahr drohte. –

[278] Wie konnte ich diese weise Vorsicht von Beatrix erwarten? Elise las das, was man ihre Jahre lang hätte vorenthalten sollen, noch am nehmlichen Abende, und ward dadurch gerade in den Zustand gesetzt, den ihr Euch vorstellen könnt. – Sie fiel in ein hitziges Fieber, sie raste, wie ich höre, in ihren Paroxismen fürchterlich von Philipps Ermordung, Irenens Tode und des Wittelsbachers Unschuld. – Ich, die man, weil man mich noch wegen der Gräfinn von Toulouse haßt, sehr freygebig die Ursacherin dieses Unglücks nennt, werde wie eine halb Gefangene gehalten, darf Elisen nicht sehen. Wohl gut! wie lang, so lege auch ich mich zu sterben. – Die Würkungen alle der Uebel, die ich seit einiger Zeit ausstand, werden sich doch endlich äussern, ich fühle Vorboten einer Krankheit, die mich schnell dahin führen kann, wo Alix voranging, und wohin Elise mir folgen wird!

Lebt wohl, Zyrill, vielleicht auf ewig! – Betet für die unglückliche Alverde; deren Herz durch eine heute aus ihrem Vaterlande erhaltene unglückliche Zeitung den letzten Stoß bekam! ach Evert von Remen! du entflohen? aus Verzweiflung über Alverdens Verlust entflohen, niemand weis wohin? – Und du, meine Mutter, meine [279] Erzieherinn tod?, ich also ganz verwaist in der Welt zurück geblieben? Jede Hoffnung, jede Aussicht auf Glück mir verschlossen?

Alverde an den Pater Zyrill [1]
Alverde an den Pater Zyrill.
1208.

Nach einer langen Bewustlosigkeit erholte ich mich; mir war geschehen wie ich dachte. Von meinem letzten Schreiben an Euch war ich aufgestanden um mich zu langer Krankheit zu legen; daß ich krank gewesen war, hatte ich wenig gefühlt, ich erinnere mich nur zuweilen ein dunkles Gefühl von meiner Schwäche, von der Herannahung der Nacht des Todes, und die Vorstellung vom Erwachen in einer bessern Welt gehabt zu haben. Ich erwachte, aber noch diesseit des Grabes. Ich sah um mich her, und alles war einsam. – Ich fragte nach der Prinzeßinn von Kastilien – »Sie werde nun wohl am Hofe ihres Gemahls angelangt seyn.« – Nach der Prinzeßinn Beatrix. – »Man wollte Sie rufen, und Sie mit dem Anblick meiner angebenden Genesung erfreuen.« – Wie? schrie ich, die Prinzeßinn von Schwaben ist ihrer Schwester nicht nach Kastilien gefolgt?[280] – Glaubt denn Alverde, antwortete mir ihre sanfte Stimme, daß ich sie hier krank, und unberathen verlassen konnte?

Ja, Zyrill, Beatrix war grosmüthig genug gewesen, um meinetwillen in dem unruhigen Teutschland zurück zu bleiben, und die Wartung einer kranken Freundinn, der Theilnahme an dem königlichen Empfang ihrer Schwester vorzuziehen. Zyrill, denkt Euch meine Rührung! – Reden, danken, konnte ich nicht, aber ich schmiegte mich mit strömenden Augen in ihre Arme.

Beatrix ist nicht so leichtsinnig, sagte die Prinzeßinn, als du sie deinem Freunde schildertest, ich habe den Brief an ihn, an dessen Versiegelung der schnelle Einbruch deiner Krankheit dich hinderte, gelesen, und ihn abgeschickt. Zyrill ist verständig genug, mich nicht übereilt zu beurtheilen; und was ich versah, das sollen meine nachfolgenden Handlungen vergüten.

Ach Beatrix, schon die gegenwärtige löscht jedes Vergehen aus, und macht mich zur Verbrecherinn!

Jetzt nichts mehr hievon, Alverde! Sorge für deine völlige Wiederherstellung, und traue mir zu, daß ich mich über manches, das du tadelst, rechtfertigen kann.

Die Zeit dieser Rechtfertigung ist gekommen, aber sie thut mir bey weiten nicht völlig [281] genug, sie zeigt mir nur so viel, daß der Bischof von Kastilien und der von Sutri der armen Beatrix zu mächtig waren. Auch kann ich ihr und ihnen bey kaltem Blute nicht ganz unrecht geben; ohne Zweifel ist der Stand einer kastilischen Königinn dem einer verwaißten Prinzessinn, die der Gnade des nunmehrigen Kaisers leben muß, weit vorzuziehen; Wittelsbachs Unschuld war in dem Augenblick, da Beatrix ihre Schwester zu dem unwiderruflichen Ja bereden half, noch unbekannt, und wär sie auch damals schon so erwiesen gewesen als jetzt, da sich des Pfalzgrafen Abwesenheit zur Stunde des Kaisermords bestättigt, da mehrere Umstände zu seinem Vortheil reden, hätten ich und sie dieselbe schon damals so fest als jetzt geglaubt, was hätte dies gefruchtet? Wittelsbach wird immer nur vor den Augen Weniger entschuldigt, immer in dem Urtheil des großen Haufens ein Kaisermörder bleiben; ist dieses nicht genug, das Band zwischen ihm und Elisen völlig zu zerschneiden? oder hätte Philipps Tochter den Fluch und die Verachtung der ganzen Welt dadurch auf sich laden sollen, daß sie ihre Hand demjenigen gegeben hätte, den jederman für den Mörder ihres Vaters hält.

So urtheile ich jetzt, so hat mich Beatrix und der Bischof von Sutri urtheilen gelehrt, [282] dieser weise Mann ist noch immer bey uns, auch über ihn hat sich mein Urtheil geändert, es giebt der Leute viel, welche durch genauere Kenntniß gewinnen, und wenn ich mich auch vor diesem, von welchem ich jetzt spreche, immer wegen seines Scharfsinns, der ihm aus den durchdringenden Augen leuchtet, fürchten werde, so wird sein Herz mir doch schätzbar bleiben, von dessen Güte er täglich tausend Beweise ablegt.

Eins tadle ich an ihm, und finde es nicht ganz einstimmig mit den Lehren des Evangeliums, die er an nimmt, und die ich zu Pamiers noch deutlicher kennen lernte: – Er predigt mir und Beatrix ohne Unterlaß die Rache. – Ihr sagt er, es komme der Tochter des ermordeten Kaisers zu, den Bluträcher wider den, welcher sein Blut vergoß, aufzurufen, und mich erinnert er, daß es meine eigene Ehre, die Ehre meines Hauses wolle, auf die Kundmachung und Bestrafung des wahren Thäters zu dringen. Seit man sich hier und da, sagt er, mit der Muthmaßung trägt, der Pfalzraf könne unschuldig seyn, seitdem erheben sich Gerüchte, die ich, um euch zu schonen, nicht einmal erwähnen würde, wenn euch nicht die Pflicht zufiele, sie zum Stillschweigen zu bringen. Euer Bruder, edle Alverde, fährt er fort, ward zur nehmlichen Zeit vermißt, da der Kaisermord geschah, [283] war es möglich, die Gestalt des Grafen von Wittelsbach mit der irgend eines andern zu verwechseln, so fällt aller Verdacht auf Alf von Dülmen, welcher ihm an außerordentlichem Wuchse hier bey Hofe noch der ähnlichste ist.

Ihr werdet mir glauben, Zyrill, daß solche Aeußerungen mich zittern machen, ich vertheidige meines Brudens Unschuld, ich erweise, daß er in jener grauenvollen Stunde krank im Pallast des Wittelsbachers daniederlag, daß sein schnelles Verschwinden sich anders deuten lasse, und daß noch über das alles sich ja gar keine Vermuthung zeige, was sein Schwerd gegen den Kaiser gerichtet haben könne, mit dem er nie in besonderer Verbindung stand, der ihn nie, wie etwa den Wittelsbacher, zu persönlicher Rache reizte. Sutri versichert mich hier mit dem Ton fester Gewißheit, den er all seinen Worten zu geben weis, daß gegen ihn die Vertheidigung meines Bruders ganz unnütz sey, daß er nicht einen nachtheiligen Gedanken von ihm hege, aber um so viel mehr fährt er fort, muß ich auf seine Rechtfertigung dringen, wozu man euch zu seiner Zeit die Mittel anweisen wird.

Dergleichen Gespräche habe ich viel mit dem Bischof von Sutri gehabt, ihre wahre Deutung und ihren Erfolg werdet ihr und ich erst in der Zukunft erfahren. Aehnliche Unterhaltungen [284] fallen auch zwischen ihm und der Prinzessinn vor, sie ist fest entschlossen, zum nunmehrigen Kaiser, dem ehmaligen Herzog Otto von Braunschweig, zu ziehen, und Rache des vergossenen Blutes von seinen Händen zu fordern.

Ich zittre! ein Rache flehendes Weib, welch ein empörender Anblick! gleichwohl dringt man von allen Seiten mit der Nothwendigkeit dieses Schrittes auf sie ein; und was von ihr die Kindespflicht fordert, das möchte vielleicht von mir schwesterliche Liebe und die Sorge für die Ehre meines Bruders heischen. Ach der Geliebte! der Verlorene! was mag aus ihm geworden seyn! vielleicht ist er bereits nicht mehr, darum wagt es die Schmähsucht desto kühnlicher, seine Asche zu besudeln! soll ich dieses dulden? Soll ich nicht vielmehr jeden Schritt gehen, den man mir vorzeichnet, seine Ehre zu retten?

Elise, Prinzessinn von Kastilien an ihre Freundinn Alverde
Elise, Prinzessinn von Kastilien an ihre Freundinn Alverde.
1209.

Die Rache schläft, soll ich sie wecken? Otto von Wittelsbach ist unschuldig, an wessen Händen mag das Blut meines Vaters haften? Diese [285] Gedanken verfolgen mich ohne Unterlaß, verfolgen mich doppelt heftig seit einem Schritte, zu welchen mich Reue über begangene Fehler bewog.

Alverde, du und ich sind große Sünderinnen, auch Alix war es, Gott sey ihrer Seele gnädig! Der fromme und gelehrte Bischof von Kastilien hat während der Reise zu meiner Bestimmung oft mit solchen Ermahnungen an mein Herz geklopft, als wüßte er, welche Irrthümer ich zu Toulouse eingesogen habe, eine Predigt des Dominikus Guzman, der, wie man versichert, dereinst ein großes Licht der Kirche werden wird, vollendete meine Bekehrung. Ich nützte die erste ruhige Zeit nach den Festen, welche meine Vermählung nach sich zog, mir Erlaubniß zu einer achttägigen Andacht im Kloster S. Maria zu erbitten; ich erhielt sie, und säumte nicht, mich zu den Füßen der Heiligen zu werfen. Ach Alverde, mein Herz war voll, noch lebte der Wittelsbacher in demselben, da ich es doch nur allein meinem Gemahl schuldig bin, dem mich der Himmel so augenscheinlich in die Arme geführt hat, daß ich seine Hand nicht verkennen, daß ich nicht murren darf. Gleichwohl blieb die Erinnerung vergangener Dinge unaustilgbar, und der Gram um Unmöglichkeiten unsterblich. Sprich, Alverde, sollte ich beym Gefühl meiner Schwäche nicht nach übernatürlicher Hülfe schmachten? Ich suchte sie bey [286] den Altären, ich schwur, um mir sie vom Himmel zu erringen, den Glauben an alles ab, was ich von Alix erlernte, und was man mir mit dem Glauben der Kirche weiland geschildert hat; Gott, was hätte ich nicht gethan, um mir Ruhe zu erkaufen!

Ich denke, ich habe sie erlangt, das Andenken des Wittelsbachers ist in meinem Herzen ertödet, oder es schlummert wenigstens; Gott gebe, daß es nie erwache! – Aber ein anderes peinigendes mit meinem ganzen Charakter streitendes Gefühl ist in mir erwacht, der Trieb nach Rache! Trieb? Wunsch? – nein, so kann ich das nicht nennen, wovor ich zittre; es ist blos der Gedanke, der in mir rege ward, Rache des unschuldig vergoßnen Blutes meines Vaters sey nöthig, und ich, die Tochter, müsse sie fordern; denke selbst: Keine Nacht im Kloster verging, daß mir nicht der blutige Schatten des ermordeten Kaisers in Nebelduft gehüllt vor die halb wachenden Augen kam, und Worte an mich ertönten, die mir wohl ewig unvergeßlich bleiben werden. Ich wiederhole sie nicht; Geistersprache, sagt man, darf die Zunge der Sterblichen nicht nachlallen; meinem Beichtvater habe ich davon entdeckt, was ich mußte, und höre hier den Plan, der mehr aus fremden Rathschlägen, als aus eigenem Nachdenken zu Wiedererlangung meiner [287] Ruhe entstand, und zu dessen Ausführung du mir die Hand bieten mußt.

Kaiser Philipps Blut muß von der Hand seines Mörders, so gern mein leidendes Herz ihm auch die Strafe schenkte, blutig zurückgefordert werden, meine Schwester Beatrix hat, wie ich vernehme, am Throne des neuen Kaisers vergebens um Recht und Rache gefleht, sie ward gnädig, mehr als gnädig aufgenommen, aber ihr Gesuch schlug man ihr unter dem Vorwand ab, daß bey einer so verborgenen Sache niemand als Gott richten könne. Nun wohlan, so muß man sich an Gottes Stellvertreter, an jene furchtbaren Richter wenden, die an seiner Statt im Verborgenen richten. Wisse, durch das ganze deutsche Reich herrscht eine heimliche Macht, nur durch ihre Würkungen sichtbar; sie weis jedes Verbrechen aus der Verborgenheit zu ziehen, jede Unthat nach Gebühr zu strafen. Mache dich auf, Alverde! klage in meinem Namen an den Stufen des furchtbaren Richterstuhls! die Mittel, zu demselben zu gelangen, findest du auf diesem Blatte verzeichnet, ich dachte nicht, daß diese Dinge, welche ich einst von Einem erfuhr, welcher mir nichts verschweigen konnte, mir nutzbar werden würden. Nutzbar? – wird Rache mir Nutzen oder Ruhe [288] bringen? – Man versichert es mich, aber mein Herz spricht nein! – Wenn nun die Tochter die Rache über den Mörder des Vaters herabgerufen hat, und das Gerücht erschallt, dieser oder ein anderer, den ich kenne, oder nicht kenne, ist durch den Stahl heimlicher Henker gefallen, weil er Kaiser Philipps Blut vergoß; wird da nicht mein Herz beben, und mich selbst eine Mörderinn nennen? – Ist auch das Urtheil jener Unbekannten unfehlbar? – und da ich dieses durch viel Beyspiele gelehrt glauben muß, darf auch der Mensch richten, wo Gott Nachsicht hat? Wer weis, zu welchen großen Absichten der ewige Richter dem Kaisermörder seine Verborgenheit gründe, die ich nun zerstöre! –

O Alverde, ich weis nicht, was ich beginne, richte du selbst über die Rechtmäßigkeit meines Verlangens, und gehe, so viel die Geheimhaltung der Sache verstattet, mit Verständigen darüber zu Rathe. Ich nenne dir besonders den Bischof von Sutri, zu welchem ich unumschränktes Vertrauen habe.

[289]
Alverde an die Prinzeßin von Kastilien
Alverde an die Prinzeßin von Kastilien.
1209.

Der Schritt, zu welchen ihr mich aufruft, ward mir wegen meinen eigenen Angelegenheiten bereits gerathen. Ich eile, eure Befehle zu erfüllen, ich werde in eurem Namen Rache für einen ermordeten Vater, in dem meinigen Rechtfertigung eines unschuldig verleumdeten Bruders flehen! – Es ist schrecklich, es euch zu sagen, aber wegen Aehnlichkeit der Gestalt beginnt man auf Alf von Dülmen das Verbrechen zu wälzen, welches man hier und da von des Wittelsbachers Schultern nimmt. O daß beyde zur Stelle wären, um sich zu vertheidigen! Doch vor jenen furchtbaren Richtern, die ich besser kenne als ihr denkt, kann sich niemand bergen, ihr allmächtiger Ruf vermöchte wohl Schuld und Unschuld aus dem Schooß der Erde herauf zu holen.

O Prinzessin! es ist ein schwerer Gang, den ich unternehme, doch Freundesrath, Freundespflicht und Schwesterliebe leiten mich, wie kann ich irren?

[290]
Beatrix an Alverde [2]
Beatrix an Alverde.
1209.

Ich komme von meiner unglücklichen Reise nach Frankfurth zurück, ich eile auf mein Schloß Frankenstein, dahin ich dich beschied, ich denke in deinen Armen mein ganzes Herz auszuschütten, und ich vernehme, daß du zwar hier gewesen, aber schnell davon geschieden bist. Deine Abreise trägt die seltsamsten Spuren des Geheimnisses. Um Mitternacht in Trauergewand, ohne alle Begleitung, hast du das Schloß verlassen.

Deine Weiber, die mir weinend entgegen kamen, wollen dich vor dem unerklärlichen Schritte in außerordentlicher Bewegung gesehen haben, du sollst die Jutta, welche du immer am meisten liebtest, und die dich ungeachtet deines Verbots weiter als ihre Gespielinnen begleitete, noch einmal umarmt, und zu ihr gesagt haben, bete für mich, gutes Kind, ich weiß nicht ob ich zum Leben oder zum Tode gehe! –

Ich habe mit den Ueberbringerinnen dieser unerklärlichen Nachrichten gescholten, sie hätten dich schlechterdings nicht allein lassen sollen, wer weiß, zu was für Ausschweifungen dich der [291] Trübsinn, der dir nach den letzten Trauergeschichten anhängt, und die Einsamkeit, in welcher du hier gelebt haben sollst, gebracht haben.

Ich höre, daß du niemand gesehen hast, als den Bischof von Sutri, und meine Muthmaßung, daß er um deine Angelegenheiten wissen muß, ist wohl nicht ungegründet; ich habe schon mit ihm hierüber gesprochen, ohne etwas ergründen zu können. Nur in einem hat er mich beruhigt: Ich besorgte, Kalatin, der, wie ich weiß, dir noch immer nachstellt, habe dich zu verlocken gewußt, und du seyst vielleicht in seine Hände gerathen; Sutri versichert mich vom Gegentheil, und setzt das Versprechen hinzu, dir einen Brief von mir in die Hände zu liefern; so weiß er doch wo du bist, also kennt er doch die Mittel zu dir zu gelangen? – Wer mag sich in diese Bischöfe finden! auch ich habe mich nur allzuoft von ihnen lenken lassen, und jetzt sehe ich die Folgen davon, Folgen, die ich ewig bereuen werde! Gebe Gott, daß du nicht das nehmliche erfahrest: Höre hier das vornehmste meiner letzten Geschichte, das ich dir mittheilen muß, um mein Herz nur einigermaßen zu erleichtern.

Von Sutri angefeuert, entschloß ich mich zur Reise nach Frankfurth; ich glaubte dem Tode entgegen zu gehen. Beydes der Ort, wohin, [292] und die Ursach, warum ich reiste, mißfiel mir. Ich sollte Rache über das vergossene Blut desjenigen flehen, welchen keine Ahndung der Schreckensthat in die Arme seiner Kinder zurückbringt, sollte dieses verabscheuungswürdige Gesuch bey demjenigen anbringen, den ich haßte, ohne ihn je gesehen zu haben, bey Otto, dem nunmehrigen Kaiser, dem Gegner meines unglücklichen Vaters bey seinen Lebzeiten, jetzt dem Besitzer seines Throns, bey ihm, mit dessen Heyrath ich von Kindheit auf gequält wurde, und der, als ich ihm endlich angetragen ward, mich verschmähte.

Er verschmähte mich, weil er mich nicht kannte, dies sagte man mir tausendmal, und o möchte er mich doch nur nie kennen gelernt haben! Aber ich habe Ursach zu glauben, daß man mich nur darum zu dieser Reise veranlaßte, um mich ihm vor die Augen zu bringen; – man hat seine Absicht erreicht, der Kaiser hat mich gesehen, in einer unglücklichen Stunde gefiel ich seinen Augen, und er hat Unterhandlungen verneuert, welche er einst selbst abbrach.

Alverde, ich kann nicht sagen, daß Otto, der Kaiser mir mißfällt, er ist ein schöner, und wenn die gemeinen Regeln der Gesichtskunde nicht trügen, ein edler Mann, ich hätte ihn [293] vielleicht lieben, hätte ihn wenigstens dulden können – wenn kein Alf von Dülmen in der Welt gewesen wär. – O, meine Schwester, verzeihe mir das nochmalige Geständniß einer Schwachheit, die du nie billigtest, ich liebe deinen Bruder, ich werde ihn ewig lieben, der Kummer um ihn ist jetzt, da ich bereits alles verlohren habe, was mir das Leben lieb machte, da ich nach dem Tode angebeteter Eltern für kein andres Leiden Gefühl übrig haben sollte, noch immer stark genug meine umwölkten Tage noch mehr zu trüben. O, Alverde, wo mag Alf von Dülmen seyn? wo mag er verweilen, daß er nicht die Flecken abwischt, welche man seinem guten Namen anhängt! Es war mir schon entsetzlich, Otten von Wittelsbach, meinen Freund, den Liebling meiner Mutter, den Verlobten meiner Schwester, Kaisermörder schelten zu hören, denke was ich fühle, wenn man den Mann meines Wunsches und meiner Wahl mit diesen Namen brandmarkt!

Frankfurth zu besuchen, vor dem Kaiser um Recht zu flehen, ließ ich mich wahrlich mehr aus Liebe als aus kindlicher Pflicht bewegen; Rache kann, wie ich schon vorhin sagte, mir meinen Vater nicht wiedergeben, aber Rache, wenn sie den rechten Mann trifft, kann wohl den Unschuldigverleumdeten rechtfertigen, und mir den Gedanken an ihn erlaubt machen! –

[294] Ach dieser Gedanke möchte mir wohl nun auf ewig verboten seyn! Des Kaisers Absichten auf mich sind ernstlich, man sagt, er sey über meine schnelle Abreise aus Frankfurth in Verzweiflung, er habe gewähnt, ich sey aus Zorn geschieden, weil er mein Gesuch mit den Worten abschlug: »Kaiser Philipps Mord sey in so dichte Dunkelheit gehüllt, daß kein anderer als Gott den Mörder richten könnte.«

Bey Gott! dies war nicht die Ursach, warum ich mich so bald zurückzog; ich wußte ja kaum ob ich das wünschte, was ich am Throne suchte, wie hätte mich die Verweigerung beleidigen sollen; aber den Eindruck, den ich auf dem Kaiser machte, sahe ich, seinen Fortgang wollte ich hindern, darum flohe ich.

Der Bischof von Speyer, welcher dem Kaiser die Reichskleinodien nach Frankfurth überbrachte, und dem ich auf halben Wege begegnete, schalt mit mir über meine Flucht, er drang auf meine Rückkehr, und schwur, als ich mich weigerte, er wolle die Sache zu meinem Glück schon zu endigen, und meine begangenen Fehler auszugleichen wissen.

Glück, Alverde, was nennen diese zudringlichen Freunde Glück? daß ich Kaiserin werde? – O wie armselig gegen den Wunsch meines Herzens, Liebe und Leben an der Seite des Mannes, den ich mir wählte!

[295]
Kaiser Otto IV. Erklärung
Kaiser Otto IV. Erklärung.
1209.

Nachdem es uns obliegt, das Blut unsers in Gott ruhenden Vorgängers auf dem Kaiserstuhl von den Händen des Mörders zu fordern, und dadurch Flecken auszutilgen, welche man unserer eigenen Ehre anhängen könnte; so erging schon längst in alle Gegenden des deutschen Reichs unser gemessener Befehl zu Entdeckung und Bestrafung des Mörders; allein da das erste unmöglich war, so blieb es auch das andere.

Jetzt, da Kaiser Philipps Tochter an unserm Throne um Rache flehte, welche wir anfangs nur darum zurückwiesen, weil wir ihrem Gesuch nicht nach Maaßgabe der Gerechtigkeit Gnüge thun konnten, jetzt, da der Bischof von Speyer und Anton von Hagenau, als persönliche Zeugen beym Kaisermord, den sie doch nicht hindern konnten, einmüthig den Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach den Thäter nennen, jetzt sehen wir uns genöthigt, die Acht, welche wir gleich anfangs über den Verbrecher und seine Brüder ergehen ließen, nochmals zu erklären, letztere all ihrer zeitlichen Habschaften auch Ehrenämter und Titel verlustig, und erstern [296] vorgemeldeten meuchelmörderischen Pfalzgrafen, für Vogelfrey zu erklären; so daß jeder mann, (laut unserer ersten Erklärung, welche wir über die Person des Kaisermörders zweifelhaft gemacht, zurücknehmen mußten,) ihn ungestraft tödten könne, wo er ihn findet, damit das unschuldig vergossene Kaiserblut von unsern Thron und unsern Landen hinweg gethan, und die Rache des ewigen Richters von uns gewendet werde.

Kaiser Otto an Beatrix
Kaiser Otto an Beatrix.
1209.

Prinzeßin, eure Wünsche sind erfüllt, die Rache folgt den Fußtapfen des mörderischen Wittelsbach, nur Täuschung konnte mich bewegen, euch Recht zu versagen; jetzt, da der Bischof von Speyer mir die Augen öffnet, jetzt, da zwey Augenzeugen die Unthat des Pfalzgrafen gewiß machen, jetzt sollt ihr sehen, daß ich Kaiser bin, und zu strafen wisse.

O daß ich hoffen könnte, nur Unwille über den, der es wagte, euch die erste Bitte zu versagen, nicht Abneigung gegen meine Person, nicht Haß gegen den alten Gegner eures Vaters, [297] nicht Verachtung gegen den, welcher ehemals seine Augen vor seinem Glück verschloß, habe euch bewogen, Frankfurth so schnell zu verlassen! Bischof Konrad versichert mich davon, o daß ich die Bestättigung aus eurem Munde oder von eurer Feder erhalten möchte!

Meine Gesandten haben Befehl mit euch, euren Vormündern, und euren Verwandten über die Angelegenheit, welche das Glück meines Lebens betrift, über eure Erhebung auf den Thron Unterredung zu pflegen; wie selig würde ich mich schätzen, mir eure Huld um eine Krone einzutauschen! wie selig Philipps Andenken, zu dessen Feinde mich nur mein böses Schicksal machen konnte, in seiner Tochter Gerechtigkeit wiederfahren lassen zu können.

Herzog Bernhard an Peter von Kalatin
Herzog Bernhard an Peter von Kalatin.
1209.

Dein Eifer um die Rechte der heimlichen Gerechtigkeit, war löblich. Deine Anzeige indessen, was man zu Pamiers hinter meinem Rücken, vielleicht in Hoffnung, meine Krankheit sollte mein Tod seyn, begann, hochnöthig und Lohns werth, auch weißt du, daß verschiedene Warnungsschreiben [298] aufs schleunigste von uns an diejenigen ergingen, die von einer falschen Themis, der Nachäfferin der unsrigen Auftrag erhalten hatten, ihre Hände mit dem Blute Philipps zu beflecken, welcher vielleicht in mehr als einer Betrachtung sorgfältig, doch in Rücksicht auf das angeschuldigte Verbrechen unschuldig war.

Alf von Dülmen und Otto von Wittelsbach wurden vor unsern freyen Stuhl nach *** geladen, theils von der Unthat, welche eine feindselige Macht ihnen aufbürden wollte, abgehalten zu werden, theils Rechenschaft über verschiedene dir bewußte Verbrechen abzulegen; man beschuldigte beyde eigenmächtiger Schritte ohne Vorwissen des heimlichen Bundes, beschuldigte besonders den Pfalzgrafen eines Mangels an Verschwiegenheit, dessen Folgen wir bereits nur gar zu deutlich spüren, Ursach genug für uns, zu rufen, und für jene eilig zu erscheinen.

Aber unser Ruf erreichte ihr Ohr nicht, oder blieb von ihnen unbefolgt; die schwärzeste That der Hölle, der Kaisermord erfolgte, und noch hatte jene beyden niemand von den unsern gesehen; große Veranlassung für uns, einen von ihnen oder beyde für die Thäter zu halten, und sie mit dem Rachschwerd zu verfolgen.

Dicke Nacht liegt hier noch über Schuld und Unschuld verbreitet, selbst unser Auge, das [299] sonst alles durchdringet, ist zu schwach, hier deutlich zu sehen. Otten von Wittelsbach hält das ganze Reich vor den Mörder, der Bischof von Speyer hat wider ihn zu Frankfurth gezeugt, und er und seine Brüder sind in die Acht gesprochen. Dagegen klagen Kaiser Philipps Töchter an unserm Throne, aber nicht gegen Wittelsbach, dessen Unschuld sie nicht unwahrscheinlich beweisen. Sie rufen Rache in alle vier Winde, sie fordern uns auf, den unbekannten Mörder ihres Vaters aufzufinden, und denn zu richten, und siehe, Alf von Dülmen steht auf, und bekennt sich selbst zu der That. –

Auf! Kalatin, du weißt was in solchem Fall unsere Rache heischt, auf! denn dir ist das Loos gefallen, der Bluträcher zu seyn, und den Kaisermörder zu richten, wo du ihn findest; säume nicht, damit die gemeine Gerechtigkeit nicht ihrer Schwester ein Opfer raube!

Alverde an Beatrix
Alverde an Beatrix.
1209.

Ich liege zu Regenspurg krank, liebt mich Beatrix, so wird sie kommen, meine letzten Seufzer aufzufassen, denn ob ich gleich eine Wiedergenesende [300] heiße, obgleich die Aerzte, die man wider meinen Willen mir zu Hülfe rief, mich so weit gebracht zu haben glauben, daß sie mir den Gebrauch der Feder gestatten können, so ist diese Besserung doch nur scheinbar; ich werde und will nicht leben! Der Tag täuscht meine Helfer, mein Befinden ist während desselben erträglich. Aber die Nacht ist meine Peinigerin! in ihren düstersten Stunden tritt allemal eine Furie an mein Bette, und wiederholt mir das, was ich sah, und das was ich hörte, und foltert mich mit den Schrecknissen der Zukunft. Sie nennt mich Brudermörderin, und reißt durch lebendige Vorstellung von dem, was ich that, und was ich so wohl vermeiden konnte, jede Nacht einen Theil von meinen Leben ab. Der Rest, der noch vorhanden ist, kann nicht groß mehr seyn, vielleicht ist er aufgezehrt, ehe ihr, theure Beatrix, meine Bitte erfüllt, vielleicht, ehe dieser Brief noch vor eure Augen kommt.

Im Fall denn, daß ich euch diesseit des Grabes nicht wiedersehe, und euch mündlich gewisse Aufträge an eure Schwester, die Prinzeßin von Kastilien geben kann, so vergesset nicht, was ich euch schriftlich sage, ihr wörtlich kund werden zu lassen. Euch wird es räthselhaft seyn, aber ich bitte euch, grübelt nicht zuviel in diesen Dingen, wenn ihr euer eigenes Herz nicht [301] durchbohren wollt. Vergeßt Alf von Dülmen, vergeßt Alverden, seine unglückliche Schwester, werdet die Gemahlin des edeln Mannes, den euch der Himmel zuführt; der Kaisername ist Ottos kleinstes Verdienst, ich sagte euch dieses oft, wenn ich euch durch Vorstellung eurer Bestimmung, von einer blinden Leidenschaft ablenken wollte. O, Beatrix, wissen wir auch allemal was wir wählen, oder was wir wünschen? Das Schicksal entreißt uns den Gegenstand unserer Wahl, und bietet uns einen andern, wir erheben ein großes Geschrey, und wissen nicht, daß es unser Unglück war, was wir unser Bestes, was der Himmel für uns wählte. –

Ich wiederhole es euch nochmals, Prinzessin, schlagt Ottos dargebotene Hand nicht aus, vergeßt Alf von Dülmen, und werdet Kaiserin; daß euch das Glück 10 reicher als eure Schwestern machte, mag euch nichts zum frohen Leben helfen, wenn ihr thöricht genug seyd, um einer Chimäre willen den Sohn Heinrich des Lowen, den edeln Otto auszuschlagen, und dadurch den Tadel der ganzen Welt auf euch zu ziehen. Der Rang, den euch der Himmel anweißt, giebt euch aufs wenigste den Trost, den Wunsch eurer Eltern erfüllt zu haben, und für [302] Eure 11 unmündige Schwester mit mehreren Anstand sorgen zu können. Nehmt dieses als die letzten Rathschläge einer sterbenden Freundinn, und vernehmet jetzt, was ich euch an Elisen aufzutragen habe.

Nach manchen innerlichen Kämpfen, faßte ich den Entschluß dahin zu gehen, wohin sie mir Auftrag gab; ich wankte lang, doch ich wähnte selbst bey der Sache intereßirt zu seyn, und Freundesrath bestimmte mich völlig. Der Bischoff von Sutri wußte, und billigte jeden meiner Schritte.

So rüstete ich mich denn. Ich verhüllte mich in Trauergewand, blos aus Rücksicht auf den Wohlstand, wie ich meynte, aber sollte nicht geheime Ahndung mich bey meiner Wahl in dieser Kleinigkeit gelenkt haben? Ahndung, daß ich von nun an zu ewiger Trauer bestimmt sey! Es ist möglich, daß ich im Drang unerklärbarer Gefühle, zu meinen Frauen Worte gesagt habe, welche halbe Deutung auf mein Geschick haben könnten; ich weiß nicht mehr, was ich sagte.

Ein heimliches Grauen befiel mich, ob dem Wege den ich betreten sollte, doch betrat ich ihn einsam, so wollte es meine Anweisung. [303] Es dauerte nicht lang, so fand ich meinen Führer, er leitete mich, ob nahe oder fern, ob in Stunden oder Wochen, das thut nichts zur Sache, genug er leitete mich an den Ort, wo die Richter richteten; eine geschlossene Ehrfurcht gebietende Versammlung! Als Klägerinn trat ich vor derselben auf und zitterte, was muß hier der Beklagte fühlen! –

Man bedeutete mich, nicht ehe zu sprechen bis ich aufgefordert würde, und ich schwieg. Vor meinen Ohren wurden Dinge abgethan, die ich nicht nachsagen darf, denn man trug Sorge, meine Lippen beym Eintritt in den geweihten Ort, mit einem Eide zu versiegeln. Aus allen Bezirken des Deutschen Reichs, auch noch aus fernern Gegenden, standen Zeugen auf und zeugten von ungeheuren Verbrechen. Kläger, die von andern Richtstühlen zurückgewiesen worden waren, suchten hier Genugthuung und fanden sie. Die ausgesendeten Diener der Rache, wurden aufgerufen, und empfingen durchs Loos Anweisung zu schrecklichen Geschäften; Andre traten auf, und legten Rechnung ab, wie sie das anvertraute Schwerd hie und da nach Befehl gehandhabt hatten; Ach das Blut des Freundes und des Bruders haftete an manchem, und die Thränen flossen in seine Erzehlung.

[304] Mir ward das Blut zu Eis bey diesen Auftritten, o Elise, hättest du alle Schrecknisse des Auftrags gewußt, den du der armen Alverde gabst, du würdest ihrer geschont haben. Einige der Männer unter welchen ich stand, – (kein Weib war überall gegenwärtig) – hatten Mitleid mit der Bewegung, in welcher sie mich sahen, und unterstützten mich, daß ich nicht sank. Einer von ihnen wagte es, das heilige Stillschweigen, das hier ausser den Stimmen am Richterstuhle herrscht, zu brechen, und mir Verwundrung, eine Person meines Geschlechts hier zu sehen, zuzuflüstern, ein anderer bewunderte meinen Muth mich an diesen Ort zu wagen. – Ich antwortete nicht; mein gerühmter Muth verminderte sich von Augenblick zu Augenblicke, und er war ganz hin, da man mich zum Sprechen aufforderte.

Ich ward an die Stufen des Throns geleitet, aber ich konnte nichts weiter thun als niederfallen, und die Hauptworte meines Gesuchs stammeln. Man fragte mich, ob ich Kaiser Philipps Tochter sey? ich verneinte und nannte den Namen der Prinzeßinn, auf deren Befehl ich erschien. –

Eine grosse Untersuchung begann; Personen waren gegenwärtig, welche wohl um die That [305] wußten, und mehr hierüber sagen konnten als ich selbst vermochte. Die Zeugen und Beysitzer des grossen Gerichts, sind die lebendigen Verzeichnisse von allem, was hier des Forschens bedarf. Kein Fall kann vorkommen, über welchen nicht einer aus der Versamlung bündige Auskunft zu geben wüßte.

Nachdem alles vorgebracht war, was zur Sache taugte, nannte man einmüthig den Namen Pfalzgraf Ottos von Wittelsbach. Ich hatte indessen Muth genug gefaßt, seine Vertheidigung zu übernehmen, ich zog den Brief der Kaiserinn Irene vor, welcher den besten Beweis seiner Unschuld enthielt, auch erhub sich einer aus der Versammlung, den ich schon vorher wohl bemerkt und gekannt hatte, den Wittelsbacher schuldlos zu erklären. Man forderte Beweise von ihm; die Stelle, antwortete er, die ich in diesem Gericht bekleide, berechtigt mich, mein blosses eidliches Wort, als beweisend anzugeben.

Wittelsbach war also entschuldigt, und nun erhub sich eine Stimme, den Mörder Kaiser Philipps aus allen Gegenden der Welt zur Strafe herbey zu rufen; mir bebte das Herz, als wär ich die Verbrecherinn! – Eben wollte man weitere Verfügung zu Herbeybringung des Schuldigen auf den nächsten Gerichtstag[306] treffen, da stand einer von den Höchsten aus der Versammlung auf und rief; Ich, Ich bin der Mörder! Verführung und halber Wahnsinn könnten mich entschuldigen, aber – –

Ein fürchterliches Getös erhub sich auf der ganzen 12 Fläche, so weit des Sprechers Worte gehört worden waren. Es war etwas unerhörtes, einen Beysitzer des furchtbaren Gerichts, als Verbrecher aufstehen zu sehen, die ganze Versammlung erhub sich, alle Stühle wurden mit Geräusch umgekehrt, alle Lichter gelöscht, nur der Mond erhellte mit seinen Stralen die grauenvolle Scene.

Von Entsetzen übermocht, war ich zur Erde gesunken, der, welcher sich als Kaiser Philipps Mörder bekannte, der, wider welchen ich das Rachschwerd aufgerufen hatte, war eben derjenige, welcher zuvor nebst mir zu des Pfalzgrafen Vertheidigung gesprochen hatte, es war – – – – O Elise! schenkt mir den Namen!

Gänzliche Bewustlosigkeit würde mir in meiner Lage Wohlthat gewesen seyn, der Himmel begnadigte mich nicht mit derselben, ich blieb bey mir selbst um zu hören, wie der, den [307] ich liebte mit den fürchterlichsten Flüchen belastet, und hinaus gewiesen ward, aus der Versammlung, daß ihn töde wer ihn finde, weil dieser Ort zu heilig sey sein Blut zu vergiessen. Ich sprang auf, ihm zu folgen, man hielt mich zurück; man zog das Loos, über die bestimmten Henker des Unglücklichen wider den ich die Rache geweckt hatte, aber ich vernahm die Namen nicht; endlich besiegte die Verzweiflung die Kräfte der Natur, und ich sank in einen Zustand des Nichtseyns, aus welchem ich erst nach mehrerern Tagen hier in Regenspurg, in dem Hause eines Verwandten, in welches man mich aus jenem Schreckensorte gebracht hat, erwachte.

Ich zürne mit der Natur, daß sie sich aus dem gefahrvollen Zustande, in welchem ich dem Tode nahe war, empor half; doch die Hoffnung zu sterben, bald zu sterben, ist noch nicht erloschen, wie wärs möglich, das, was ich im Stillen leide, lang auszuhalten?

Eilet, Beatrix, wenn ihr mir den Trost gönnet, euch diesseit des Grabes noch einmal zu umarmen, eilet zu mir nach Regenspurg! Von dort aus habt ihr kaum den halben Weg nach Frankfurt, und ihr könnt so gleich vom Grabe der Freundinn nach dem Traualtar gehen.

[308] O Elise, könnte ich auch dich noch einmal umarmen! Doch wohl dir, daß du nicht hier bist meinen Jammer zu sehen, den du besser als irgend jemand verstehen würdest! Leb wohl! – Dort, wohin Alix voran gegangen ist, sehen wir uns wieder.

Ach dein letzter Brief an mich, enthält manches in Rücksicht auf die Gräfinn von Toulouse, darüber ich gern dein Urtheil berichtigen möchte! – Mein Trost ist, daß dort nicht Verirrungen des Verstandes, nur des Herzens gerügt werden, doch wehe denen die dich verabscheuen lehrten, was du ehemahls mit so heissem Eifer für wahr erkanntest! Wisse, du hast keine Stunde deines Lebens zu bereuen, die du mit Alix zubrachtest, und ich nenne mich um keiner Handlung willen eine Sünderinn, als um derjenigen, die mich jetzt zum Grabe befördert; noch mehr, ich würde gegenwärtig ganz ohne Trost seyn, wüßte ich nicht, was ich zu Toulouse lernte.

Dies dir, meine Elise! und dir Beatrix nochmahlige Einladung zur Eile!

[309]
Beatrix an Elisen
Beatrix an Elisen.
1209.

Alverdens Brief, den du nun erhalten haben wirst, und den ich besser verstand, als eine von euch denken mag, ließ mir kaum Kraft übrig, die eilige Reise zu beginnen, die mir unsere Freundinn empfahl; aber den Entschluß, des Kaisers Bewerbung um meine Hand nicht zurück zu weisen, zu dem man mich schon halb überredet hatte, diesen fest zu machen, bewies er seine volle Kraft.

Ich weiß, ich werde auf kurze Zeit Kaiserinn seyn, aber diese kurze Zeit sey angewandt Pflichten zu erfüllen, die ich nicht anders als auf dem Throne vollbringen könnte. Wollte Gott, ich wär schon Ottos Gemahlinn! wollte Gott, ich könnte schon jetzt vom Throne den Ausspruch thun: Ich Philipps Tochter, verzeihe seinem Mörder! ich will nichts von Rache hören, meine erste Bitte an die Gerechtigkeit, und an den Handhaber derselben, den Kaiser, ist Schonung! Schonung für die Schuldigen und Unschuldigen! – Meynst du nicht, Elise, daß der Kaiser Macht, Gerechtigkeit für die hat, allen Rächern, allen, du verstehst mich, allen sage ich, Einhalt zu thun?

[310] Arme, unglückliche Schwester! ich denke mir, wie seit den letzten Briefen aus Deutschland deine Thränen geflossen seyn werden!

Sehr unvorsichtig hat man dir, wie ich höre, berichtet, daß auch über den Pfalzgrafen, so unschuldig er seyn mag, die Reichsacht ergangen ist, und du beweinst also ohngefähr, was ich beweine; nur ohngefähr, nicht ganz. Verleumdete Tugend ist der Gegenstand deines Kummers, meine Thränen fliessen für das Verbrechen! Wer ist am meisten zu beklagen?

O Schwester! wär der Antheil, den wir an dem Verderben dieser Unglücklichen haben, nur nicht so groß! Himmel! wozu hat man uns verleitet! Man hat uns zu Anklägerinnen derjenigen gemacht, die wir gern mit einem Theil unsers Blutes retten würden! Otto, der Kaiser, denkt, die Erklärung seiner Liebe gegen mich nicht besser einleiten zu können, als mit der Versicherung, daß Wittelsbach sterben solle. Wittelsbach der Unschuldige, mein ehemahliger Freund, mein gehofter Bruder: Auch um ihn fliessen meine Thränen, fliessen fast so häufig um ihn, als um den andern, den ich nicht nennen mag! Ich habe dem Kaiser um Schonung geschrieben, ich sehne mich nach dem Tage, da mir der Name Gemahlinn noch mehr Recht über sein Herz und seine Handlungen giebt, [311] ach daß nur nicht denn alles schon zu spät sey! Die Rache hat Flügel, wer will sie einholen.

Ich hasse jetzt jeden, der mich an den Abgrund von Elend leitete, an welchem ich jetzo stehe; oft wenn ich über das ganze All unserer Unfälle nachdenke, so ist mirs, als herrschte durchaus eine verborgene feindseelige Macht, die alles zu unserm Verderben leitete, die uns selbst zu Werkzeugen desselben machte, die uns handeln lehrte, wie wir nicht handeln wollten, und uns gerade das vollbringen ließ, was wir verabscheuten.

Hier sind Abgründe, die weder du noch ich jemahls durchschauen werden; Hände haben hier gewürkt, Triebräder in die grosse Maschiene, die zu unserm Verderben in Gang gesetzt wurde, eingegriffen, auf die wir wohl nie rathen durften.

Die, welche uns sichtbar am Seil führten, waren Sutri, und der Bischoff von Speyer. Den letzten entschuldige ich, ich kenne den alten Mann hinlänglich, um ihm zuzutrauen, daß überall Treue gegen seinen unglücklichen Kaiser, und Wünsche seine verlassenen Töchter zu beglücken der Grund seiner Handlungen war; aber was soll ich von Sutri denken? –

[312] Wider meinen Willen ist er mir nach Regenspurg gefolgt. Er quält die schwache Alverde unabläßig um Mittheilung verborgener Dinge, zu deren Augenzeuginn sie seine hämische Staatsklugheit zu machen wußte; er, der wohl von Männern Geheimnisse herauszulocken wußte, glaubte von einem schwachen Frauenzimmer alles erfahren, ihre Augen ganz wie die seinigen gebrauchen zu können; aber er irrte. Alverde mußte, wie ihr Brief sagt, Geheimhaltung gewisser Dinge beschwören, und es fehlt ihr nicht an Festigkeit, ihren Eid zu halten. Auch sie scheint jetzt Sutri aus einem andern Lichte zu betrachten als vordem, da er sie mit seiner schlauen List sowohl als dich und mich eingenommen hatte; sie haßt und flieht ihn. Bey ihm will gleichfalls die Maske der Freundlichkeit gegen sie nicht mehr recht haften; er spielt oft auf ihren Irrglauben an, nennte sie jüngst öffentlich eine Waldenserinn, und sprach viel von den Verfolgungen, die diese unglücklichen Leute jetzt in Toulouse auszustehen haben, oder von dem Triumpf des Glaubens, wie er es zu nennen pflegt.

Meinst du nicht, Beatrix, sagte die arme Alverde zu mir, meinst du nicht, daß ich mich bald zum ewigen Schlafe niederlegen muß, wenn ich ruhig und ungefoltert sterben will? Ich schloß sie in meine Arme. Wenn Beatrix Kaiserinn [313] wird, sagte ich, so wird sich niemand unterstehen, ihre Busenfreundinn anzutasten. Du vermissest dich viel! antwortete sie; wollte Gott, das Gute wäre alles schon gethan, das du dir in den Sinn nimmst.

Uebrigens sprechen wir wenig von den Dingen, die uns am meisten am Herzen liegen, und nichts von dem Inhalte ihres letzten schrecklichen Briefs; ich fühle die Nothwendigkeit, sie auf alle Art zu schonen. Sie muß wissen, daß ich jedes Wort desselben verstehe, sie schrieb ihn vielleicht in der Absicht nicht unmittelbar an dich, daß ich ihn lesen, und aufs wenigste Muthmaßungen fassen könnte, die mich zu meiner Pflicht antrieben. Sie handelte recht; die Bande, welche mich an den unglücklichen Alf von Dülmen fesselten, mußten gewaltsam zerrissen werden, wenn der Kaiser nicht abgewiesen werden sollte.

O Alf von Dülmen! Alf von Dülmen! wer hätte das von dir gemeint! noch bist du mir ein Räthsel! Verführung und halber Wahnsinn machten dich zum Mörder, sagtest du? – Ach ja wohl Verführung! Auch wir sind in ihre Stricke gefallen, auch uns hat sie zu Mörderinnen gemacht! sind du und der Pfalzgraf nicht zu retten, so klebt euer Blut an unsern Händen!

[314]
Peter von Kalatin an den Herzog von **
1209.

Mußte es so mit mir enden? – Ja, ich haßte diesen Otto von Wittelsbach, weil er mit Verachtung auf mich herabsah, haßte den sogenannten Alf von Dülmen, weil er sich höher geschwungen hatte, als ich je mich schwingen werde, und weil er übermüthig genug war, mir seine Schwester zu versagen; aber wäre die Demüthigung meiner beyden Feinde erfolgt, wär Alverde die Meinige geworden, so wär ich befriedigt gewesen, Ottos und Adolfs Mörder wünschte ich nicht zu werden.

Und doch bürdet mir das Schicksal diese schreckliche Rolle auf. Als Mitglied des großen Bundes bestimmte mich das Loos zum Ausrichter der heimlichen Rache, die – o es ist entsetzlich zu sagen – die die Schwester wider ihren Bruder aufgerufen hat! – Als Untermarschall des Reichs habe ich die Obliegenheit, die Verfolgung des Pfalzgrafen zu veranstalten, treffe ich ihn persönlich, so haftet mein Leben für das seinige, ich muß sterben, oder ihn mit dieser Hand erwürgen! grauenvolle Pflichten, welche die schreckliche Göttinn, die wir Gerechtigkeit nennen, von uns heischt! – Sind beyde Angeklagte schuldig, oder ists nur einer? sollen [315] beyde büßen, was nur einer verschuldete? und warum muß ich ihr Henker seyn? – Ach das dachte ich nicht, da ich die ersten Feindseligkeiten wider sie begann, das dachte ich nicht, da ich mich durch römisches Gold zu falschen Schritten verleiten ließ; demüthigen wollte ich die Stolzen, ihr Blut vergießen wollte ich nicht! –

Ihr sagt, daß ich gleichwohl der erste war, der den Verdacht des Kaisermords wider sie erweckte; doch geschahe dieses nicht, um die Heiligkeit unsers Bundes zu retten, um der Gerechtigkeit, die im Verborgenen richtet, den Namen der unbefleckten, untrüglichen auf ewige Zeiten zu erhalten? – Ihr, Herzog! ihr gabt die Losung zu allen diesen Gräueln! ihr ließt euch zu strafbarer Vertraulichkeit mit römischen Spionen verleiten, ihr schwatztet aus, was verschwiegen bleiben sollte, ihr gabt dadurch unsern Feinden die Mittel an die Hand, unserer Gerechtigkeit statt der heiligen Hülle gefärbte Gläser vorzuschieben. Vor eurem Gericht kam die ungeheure Beschuldigung des nun ermordeten Kaisers zu stande, ihr rüstetet die Rächer aus, ihn für ein Verbrechen zu bestrafen, das er nicht begangen hatte; die That geschah, und nun sollen die Thäter für ein Verbrechen sterben, das eigentlich ihr beginget.

[316] Herzog! Herzog! die Rache tritt auch in eure Fußtapfen, ich will euch glauben, daß ihr getäuscht, daß ihr in einen Wirbel von falschen Schritten gezogen wurdet, ohne es fast gewahr zu werden; aber soll das Auge des Richters so leicht zu täuschen seyn? soll sein Fuß so leicht von dem rechten Pfade abirren? – Gesteht, daß ihr euch der hohen Würde eines Stellvertreters des weisen Bernhard von Sachsen ganz unwürdig erzeigt habt, stehet auf aus dem Gericht, wo ihr nicht mehr Platz haben könnt, da das Blut der Unschuld, da Philipps, Wittelsbachs, und Graf Adolfs Blut, da auch das meinige an euren Händen haftet. Stehet auf, Herzog, von dem heiligen Stuhl, ehe man euch mit Gewalt hinwegreißt.

Euch das Elend, dessen Ursach ihr waret, vor Augen zu legen, euch vor dem zu warnen, was euch selbst betreffen könnte, das ist der Endzweck dieses Briefes. Lasset ab von den römischen Verbindungen, in welche ihr, wie man versichert, euch immer tiefer verwickelt. Man hat euch die geheime Einrichtung des allsehenden Gerichts abgelauscht, um seine Macht an sich zu reißen, oder ihm ein anderes an die Seite zu setzen, welches sein Nebenbuhler werden, das unsrige verschlingen, und lange nach seinem Untergang noch existiren kann, da man [317] bey seiner Gründung weniger auf die Nachahmung unserer Gerechtigkeit als derjenigen Dinge sehen wird, die unsern Bund zum Schrecken der Menschheit machen.

Noch einmal Herzog! legt eure Würde gutwillig nieder, ehe man euch die Zeichen derselben mit Gewalt entreißt. Schon ist unser weises Oberhaupt von dem größten Theil eures unvorsichtigen Betragens unterrichtet, durch mich unterrichtet, denkt euch die Folgen, und zittert.

Otto von Wittelsbach an Elise und Beatrix
Otto von Wittelsbach an Elise und Beatrix.
1210.

Was that ich euch, ihr Töchter Philipps, daß ihr mich so grimmig verfolgt? Ihr fordert das Blut eures Vaters von meinen Händen, das weder ich, noch die meinigen, vergossen haben. Ich weis mich keiner Unthat schuldig, als des Versuchs, dich treulose Elise, die meiner nun in den Armen eines andern spottet, gewaltsam zu entführen; ein thörigter Anschlag, welcher der Wuth gehöhnter Leidenschaft noch wohl zu verzeihen ist! auch traf er dich nicht ungewarnt, ich sagte dir zuvor, du solltest mich nicht durch deine Härte aufs äußerste bringen, [318] oder dir gefallen lassen, was daraus erfolgte; dies war der Gegenstand meiner Drohungen, die man jetzt wider mich anführt, und mir schuld giebt, ich habe dir den Mord deines Vaters gedroht, an dem ich unschuldig bin, und den ein Mensch oder ein Teufel auf meine Rechnung beging, welchen Gott richte. –

Für meine Unschuld zeugt alles, wenn man nur die Augen aufthun wollte, um zu sehen; demohngeachtet muß ich in meinem Vaterlande wie ein Vertriebener leben. Meine Schlösser wurden geschleift, meine Habe zur gemeinen Beute gemacht, meine Knechte des Gehorsams entlassen, meine Brüder und Verwandte, so unschuldig als ich, (unschuldiger können sie nicht seyn,) theilen mein schreckliches Loos, meine Freunde kehren mir den Rücken, öffentlich wüthet gegen mich des Kaisers Bann, heimlich tritt ein noch furchtbarerer Feind in meine Fußtapfen, schleicht um mein elendes Lager, das ich in Büschen und Felsklippen nehmen muß, und droht mir, den Dolch schlafend ins Herz zu drücken. Ich will mich vor dem Gericht rechtfertigen, dessen Verfolgung mich am meisten ängstigt; aber Todesfurcht, die ich im Felde, in tausend rühmlichen Fehden nicht kannte, schreckt mich in meine Höle zurück; der Rächer könnte mir auf dem Wege zum Stuhl der Unfehlbarkeit, [319] wohin ich meine Unschuld tragen will, begegnen, und mich erwürgen. Ich will mein Vaterland verlassen, aber soll Wittelsbach, der nie seinem Feinde einen Fußbreit wich, jetzt wie ein Verbrecher fliehen?

Doch was mache ich! Philipps stolze Töchter könnten auf den Thronen, zu welchen sie blindes Glück und Treulosigkeit erhoben haben, wähnen, der unglückliche Otto flehe ihr Mitleid an! Dafür lieber den Tod, der mich schon getroffen haben würde, hätte sich nicht ein Freund, ein Schutzengel zu mir gesellt, dessen Werth, so hoch ich ihn immer schätzte, mir doch erst mit voller Klarheit in die Augen leuchtet. –

O Alf von Dülmen, welch ein Freund bist du! – Jetzt da alles von mir zurückweicht, stehst du allein an meiner Seite! suchst mich auf in meiner düstern Einsamkeit, theilst mit mir das Felsenlager und das Mahl von Wurzeln und wilden Früchten, arbeitest für mich, daß ich nicht aus der Sicherheit der Höle entweichen darf, wachst, damit ich ruhig schlafen kann, und schwörst, mich gegen jeden zu vertheidigen, der mich antasten will, oder mein Blut wenigstens an ihm zu rächen! –

O Jonathan, mein Bruder, deine Liebe ist zärtlicher als Frauenliebe! Das habe ich erfahren, [320] frage meine treulose Braut auf dem kastilischen Throne, frage die stolze Kaiserinn Beatrix, sie werden dir mit Erröthen den Vorzug lassen müssen, ob du gleich mir täglich sagst, du opferst mir nichts mit deinem Leben, du seyst selbst ein Verbannter, ein Verbrecher, der Urheber meines Unglücks, und wie die Worte alle lauten, mit welchen du die unglaubliche Treue, die du mir erzeigst, herabsetzen, und meinen Dank schwächen willst.

Lebt wohl, Prinzessinnen, ehemals meine Freundinnen, jetzt grimmige Verfolgerinnen, die nach meinem Blute dürsten, fast hätte ich vergessen, daß ich mit euch, nicht mit dem redete, der jetzt der einige Gegenstand meiner Liebe ist; durch seine Vermittelung komme dieses Blatt in eure Hände; es lehre euch, daß mich eure Wuth doch nicht des besten Guts, das die Menschheit kennt, eines Freundes, berauben konnte.

Beatrix an die Prinzessinn Elise von Kastilien
Beatrix an die Prinzessinn Elise von Kastilien.
1210.

Mein Loos ist entschieden. Morgen trete ich die Reise nach Frankfurt zu meinem Gemahl [321] an; ach Schwester, warum ist mir mein Herz so schwer? Otto ist ja liebenswürdig, er liebt mich, er wird mir keine der Bitten versagen, die ich auf dem Herzen habe, und um derenwillen allein ich Kaiserinn zu seyn wünsche: des Pfalzgrafen Rechtfertigung, die Begnadigung des unglücklichen Alf von Dülmen, dessen Name mir wohl ewig eine Quelle von Thränen bleiben wird! –

Ich kann, ich kann nicht bereuen, was ich für ihn fühlte, aber unabläßig wird mein Herz fragen: Warum mußte ich mich so schrecklich in meiner Wahl irren? Woher diese unglaubliche Vorliebe zu einem Menschen, der mir das größte Leid zufügen sollte? Was machte den zu einem Verbrecher, der in jedem Zuge das Bild der höchsten Tugend trug?

Ich leide unbeschreiblich bey Betrachtungen von dieser Art, gleichwohl wollen es Pflicht und Wohlstand, daß ich heiter scheine; was würde man von den Thränen einer königlichen Braut denken? Sie zu hemmen, muß ich mich vom Nachdenken gänzlich losreißen. Alverde, welche von einer schweren Krankheit genugsam hergestellt ist, wieder meine Gefärthinn und Rathgeberinn zu seyn, zürnt schon mit mir, daß ich durch das Schreiben an dich meine erkünstelte Heiterkeit trübe; sie hat mir die Erlaubniß abgenöthigt, [322] sich eine Zeitlang aller Briefe, welche an mich einlaufen, bemächtigen zu dürfen, nun wird sie mir auch die Feder rauben; das Schreiben von vergangenen Dingen, behauptet sie, sey mir so nachtheilig, als wenn ich durch Briefe von meinen Freunden an dieselben erinnert würde. Was könnte ich eben für Briefe dieser Art erhalten, als etwa von dir oder Kunigunden? doch nahm gestern Alverde ein Schreiben zu sich, das an dich und mich zugleich überschrieben war, und das ihr verdächtig vorkam, weil es das wittelsbachsche Wappen trug. Ein Unbekannter hat es gebracht. Also ein Brief von dem unglücklichen Pfalzgrafen. –

Sie nehme es hin, und berichte uns daraus, was uns zu wissen gut ist. Ich zweifle, ob man dir bey deiner gegenwärtigen Lage, die du mir ziemlich zwangvoll beschreibst, gestatten würde, Schreiben von einer ehemaligen Verlobten anzunehmen. Möchte doch dieses, welches ich Alverden überließ, Nachricht von seiner Sicherheit enthalten, Sicherheit nur so lang, bis die Urheberin seines Unglücks, die arme Beatrix, mehr für ihn thun kann!

Tröste dich, Wittelsbach! deine Schlösser sollen wieder aufgebaut, du und deine durchächteten Verwandten losgesprochen werden, sobald nur [323] meine Stimme das Ohr des Kaisers erreichen kann. Mein erster Fußfall soll, was meine schriftliche Vorbitte nicht vermochte, euch Gnade erwerben! Mein künftiger Gemahl schrieb mir ja nur noch neulich: bittende Schönheit sey unwiderstehlich, die knieende Beatrix habe zuerst sein Herz gerührt! – Und um was kniete, um was bat ich da? – Um Rache! Sollte ich nicht noch mehr vermögen, wenn ich bey einem guten, gnadevollen Monarchen um Schonung flehte?

Ich fragte Alverden um den Inhalt jenes Schreibens; sie schwieg, aber ich sah wohl, daß sie, als sie aus ihren Kabinet, in welches sie sich um zu lesen verschlossen hatte, hervorging, heftig geweint hatte. –

Auf meine nochmalige Frage, ob sie Erschwerung unseres Leidens gelesen habe, antwortete sie: Nein! ehe das Gegentheil! Wittelsbach hat einen Freund, einen Tröster gefunden, ein Ort der Sicherheit birgt ihn; dies ist, denke ich, genug, euch zu beruhigen!

Es ist es, Alverde! aber was mag aus deinem unglücklichen Bruder geworden seyn? – Gern hätte ich so gefragt, aber um sie zu schonen, darf ich Alf von Dülmens nicht gedenken.

Sie ist noch sehr schwach! Nur überwiegende Liebe für mich bewegt sie, mir nach Frankfurth [324] zu folgen, so wie mich nichts veranlaßt, sie aus ihrer Ruhe und Einsamkeit zu reißen, als die Hoffnung, das Geräusch des Hofs werde ihren innern Gram über Dinge, die sie sich ohn Ursach zur Last legt, erst betäuben, denn seinen Stachel abstumpfen, und so nach und nach ihr Gemüth zu völliger Heilung vorbereiten, die mir gelingen muß, wenn alles so geht, wie ich es wünsche, und wie ich es eingeleitet habe.

Leb wohl, Elise! Denkst du gar nicht mehr an unsere Freunde in Toulouse? Man verfährt grausam mit ihnen, einiger Lehren wegen, die sie annehmen, und die man irrig nennt? – Die Klugheit verbietet mir, mich hierüber deutlicher zu erklären, eine Frage glaube ich thun zu können, und ich dächte, auch dir würde sie erlaubt seyn: Ob Feuer und Schwerd Mittel sey, Irrende zu bekehren? – O Elise! bittende Schönheit ist unwiderstehlich! Knie auch du vor deinem Gemahl, um Schonung, wie ich für dem meinigen knien werde. Sein Einfluß, in das Schicksal der unglücklichen Anhänger des Waldus ist groß. Der Bischof von Kastilien ist einer ihrer vornehmsten Verfolger, er soll einer der ersten Richter in dem Tribunal seyn, welches der Pabst zu Ausrottung der Ketzer neulich errichtet hat; bitte auch ihn, knie auch vor ihm, wenn es seyn muß, keine Demüthigung [325] zu Rettung der Unschuldigen wird deiner Hoheit schaden.

Alverde schüttelt den Kopf über das, was ich geschrieben habe, sie meynt, es könne dir Nachtheil bringen; auf vieles Bitten überlasse ich ihr den Brief, sie mag ihn in deine Hände befördern, wenn es ihre Klugheit am sichersten hält; ach freylich hat sie Recht, daß ein mündliches Gespräch, alles was ich dir hier sagte und sagen könnte, besser und gefahrloser berichtigen würde, als zwanzig Briefe; aber wird mir das Glück, dich wieder zu sehen, auch diesseit des Grabes beschieden seyn? – Ich zweifle! In dem Augenblicke, da man mich zum Traualtar führen will, umschatten mich Todesgedanken, und schwarze Ahndungen steigen in meiner Seele auf! Leb wohl, leb wohl, Elise!

Alf von Dülmen an Otto von Wittelsbach
Alf von Dülmen an Otto von Wittelsbach.
1210.

Dein Brief an die Prinzessinnen ist überliefert, ich selbst war der Ueberbringer; ich achte mein Leben so wenig, daß ich mich kühnlich dahin wagte, wo meine Entdeckung mein Todesurtheil [326] gewesen wär, obgleich die Botschaft, wie ich dir wohl glaube, nicht von der Wichtigkeit war, ein solches Opfer zu fordern; deinen Hasserinnen Nachricht von deinem Elend zu geben, war in Wahrheit, wie du selbst gestehst, eine undankbare Mühe! – Ach Schicksal! daß du die, welche uns sonst die liebsten waren, zu unsern Feinden machtest! –

Dein Brief kam aus meinen in Alverdens Hände, ich sah sie, meine ehemalige Schwester, jetzt meine Verfolgerin und Anklägerin, ohne von ihr gekannt zu werden, das Geräusch von der Heimführung der königlichen Braut, verhinderte die Aufmerksamkeit, auch mag das Elend wohl unkenntlich machen!

Otto, ich weiß, daß du verschiednes nicht verstehst, was ich hier geschrieben habe, meine Geschichte ist dir noch bey weitem nicht ganz bekannt, du weißt nicht, welch einen Verbrecher du bisher an deiner Seite duldetest. – Verbrecher? kann es wohl einen größern geben, als einen Kaisermörder? und doch fänd auch dieser seine Entschuldigung: Philipp hatte Blutschulden genug auf sich, es war billig, daß er einmal bezahlte. O Alix, Alix von Toulouse!

Mir ist, seit ich Personen wiedersah, die mir einst in glücklichern Zeiten theuer waren, seit ich aus der Einsamkeit unter Menschen kam, [327] der Kopf ganz schwindelnd, die alten Anfälle kehren wieder! – Du sollst dereinst schon alles erfahren, aber nicht ehe, bis ich an heiliger Stelle mich entsündigt habe, und mich dir ganz rein von den Schulden darstellen kann, die jetzt noch auf mir haften. – Einst wär ich der schönen Alix von Toulouse zu Liebe bald ein Albigenser geworden, aber diese Leute halten nichts von den Entsündigungen, die jetzt mein einiger Trost sind!

Nein, Otto, es bleibt dabey, wir ziehen zum heiligen Grabe, dort findet sich Ruhe für unsere Seele, und Arbeit für unser Schwerd. Meine Reise nach Regenspurg war nicht fruchtlos, ich hoffe, dir übermorgen Mittel genug zu unserer Ausrüstung und Zehrung auf dem weitern Wege zu bringen; das alte Gemäuer, wo du auf deiner ersten Flucht vor des Kaisers Bann deine Schätze bargst, habe ich gefunden; die Nacht wird mir zu dem Uebrigen helfen. Dir nur einige Kunde von meinen Expeditionen zu geben, schrieb ich dieses, du wirst es in der holen Weide an der Donau, die du mir zu diesem Behuf bezeichnetest, schon zu finden wissen. O daß die Begierde nach Nachricht von mir, dich nur nicht bewege, dich unvorsichtig zu wagen! Bedenke, daß die Hand der Rache in deinem Nacken, und der, welcher dir schwur, für[328] dich zu sterben, fern ist. Nur bey Nacht darfst du die Weide besuchen.

Otto, du wirst finden, daß ich am Ende dieses Briefs ganz vernünftig geschrieben habe. Nur zuweilen, nur wenn ich auf gewisse Punkte komme, schwankt mein Verstand. Habe Geduld mit mir, es wird sich alles aufklären!

Sey morgen meiner auf der Stelle gewärtig, wo du diesen Brief finden wirst, doch darfst du mich nicht ehe als um Mitternacht erwarten. Wir setzen denn bis an den Morgen die Reise durch den Wald fort, ruhen des Tages, erheben uns wiederum bey Nacht, und fahren so fort, bis wir in Gegenden kommen, wo wir mit mehrerer Sicherheit unsere Reise beschleunigen, und das Meer erreichen können, das uns unter einen friedlicheren Himmel tragen wird.

Blutschulden, sagt man, folgen dem Menschen nicht aufs Meer, sie bleiben auf der Erde zurück, die das Blut von seinen Händen trank. Und ob sie uns auch folgten; Buße am heiligen Grabe tilgt alles.

[329]
Jutta, Alverdens Kammerfrau, an den Bischof von Sutri
Jutta, Alverdens Kammerfrau, an den Bischof von Sutri.
1210.

Ich fand so wenig bedenkliches an eurem Auftrag, euch alles zu melden, was auf unserer Reise nach Frankfurt vorfallen möchte, daß ich ihn erfüllt haben würde, auch wenn unsere Begegnisse von anderer Art gewesen wären, als die, welche uns leider betroffen haben; Begegnisse, welche mich in die Nothwendigkeit gesetzt haben würden, euch zu schreiben, auch wenn ich den Befehl dazu, nicht unter dem Siegel der Beichte erhalten hätte. Höret das ganze All unsers Unglücks; die königliche Braut ist krank, der Reichsmarschall, der Herr von Kalatin, welchen der Kaiser der Prinzessin zum Führer zuschickte, ist ermordet, und mein armes Fräulein befindet sich an den Pforten des Todes!

Daß die letzte euren geistlichen Zuspruch wünschen oder fordern solle, kann ich eben nicht sagen, auch ist sie zu schwach, zu wissen, was ihr gut ist, mir aber, als einer getreuen Dienerin, liegt ob, für ihr ewiges Heil zu sorgen, und euch, hochwürdiger Herr, zu ihrem geistlichen Beystand herbey zu rufen; und dieses um so viel mehr, da ihr mir oft sagtet, daß ihr[330] Glaube mangelhaft, ihr Hang zu Ketzereyen stark sey; Dinge, welche meine Anhänglichkeit an sie zwar merklich schwächten, aber jetzt den Wunsch, sie gerettet zu sehen, nur desto mehr anfachen.

Mit halber Nachricht, ehrwürdiger Herr, wär euch, wie ich überzeugt bin, nicht gedient, und ich nütze also die Stunden der Nacht, die mir bis zu Abgang des Boten übrig sind, euch alles zu melden, was uns zugestoßen ist; es sind schreckliche Dinge, von welchen ich das wenigste verstehe; doch ich erhielt Befehl von euch, auch das mir unverständliche, und eben dieses mit der meisten Sorgfalt zu verzeichnen, damit es eurer Weisheit nicht an Mitteln fehle, sich aus Irrgängen zu finden, wo mein schwacher Verstand still steht.

Die Schwermuth, mit welcher mein Fräulein seit einiger Zeit befallen war, kennt ihr, und ich behaupte nochmals, was ich euch oft sagte, wenn ihr euch herabließt, mit mir über diesen Punkt zu sprechen, daß dieselbe etwas mehr als aufgeregten Gewissenszweifel zum Grunde haben müsse. So heiter die Prinzessin sich äußerlich erzeigte, mit so viel Freude sie ihrer erhabenen Bestimmung entgegen zu gehen schien, so ward sie doch so wohl als ihre Freundin in der Stille von einem Gram gefoltert, welcher [331] keine Gränzen hatte. Euch über den Grund dieser Dinge vollen Aufschluß zu geben, trachtete ich noch des Abends vor unserer Abreise, mich zweyer Briefe zu bemächtigen, davon die Prinzessin den einen selbst geschrieben, und ihn Alverden endlich nach einigem Streit überlassen hatte; den andern brachte an einem der vorigen Tage ein Unbekannter, den ich nicht selbst gesehen habe; auch von dem Briefe weiß ich nichts weiter zu sagen, als daß er, ob er gleich an die Prinzessinnen Elise und Beatrix gerichtet war, dennoch von meinem Fräuleim erbrochen, und unter tausend Thränen gelesen wurde.

Ihr sehet wohl, daß sich aus diesen Schreiben viel aufgeklärt haben würde, aber sie sind mir unter den Händen verschwunden, und ich muß glauben, daß sie nebst andern Schriften zusammen gepackt, und nach einem Kloster zur Verwahrung geschickt worden sind, dessen Namen ich, als Alverde den Boten abfertigte, nicht verstehen konnte.

Ob diese Dinge einen Zusammenhang mit dem haben, was ich nun melden werde, mögt ihr entscheiden; ich gehe weiter.

Der Gram der Prinzessin und meines Fräuleins ward durch das Geräusch der glänzenden Heimführung der ersten nicht getilgt. Unser Führer, der Herr von Kalatin, den ich wohl [332] ehe bey Hofe als den muntersten unter allen Rittern gesehen habe, schien von der nehmlichen Seuche angesteckt zu seyn. Er nahte sich Alverden nie, ungeachtet ich wohl weis, wie er ehedem um einen Blick, um ein Wort von ihr gerungen hat. Mag wohl seyn, daß die Verminderung ihrer Schönheit seine Liebe tödtete, denn gewiß der heimliche Gram hat sie ganz zu einer andern gemacht, als sie vormals war.

Der Herr von Kalatin schränkte, ungeachtet ich weis, daß er von euch bey der Abreise andere Einschläge erhielt, unsere Freiheit auf keine Art ein; in Gedanken verloren ging er meistens seinen einsamen Weg für sich, und ließ uns den unsrigen nach Gefallen suchen. Die Reisigen, welche zu unserer Hut bestellt waren, mogten wohl die wenigste Zeit wissen, wo ihr Führer und wo die ihnen Anbefohlnen waren. Ihn fanden sie etwa des Abends oder auch wohl erst des Morgens im Feld und Wald mit der Miene eines Verzweifelnden umher irren, indessen unsere Damen zu der Zeit, wenn Ablager gehalten werden sollte, immer auch gesucht, und dann ebenfalls in irgend einer Einöde, von ihren Thieren abgestiegen, weinend und seufzend gefunden wurden; in Summa, eine trübseligere und unordentlichere Heimführung einer königlichen Braut, als die unsrige, mag wohl, seit die Welt steht, nicht gesehen worden seyn.

[333] Ich war nur selten die Begleiterinn meines Fräuleins auf ihren einsamen Wanderungen; die Gnade, mit welcher sie mich ehemals beehrte, scheint seit dem Vertrauen, das ihr, ehrwürdiger Herr, auf mich warfet, merklich gemindert zu seyn; doch wollte es das Schicksal, daß ich mich gerade in den merkwürdigen Augenblicken an ihrer Seite fand, welche den vornehmsten Gegenstand meiner Erzählung ausmachen.

Es war eine der schönsten mondhellen Nächte, die wir in diesem Sommer gehabt haben. Unser Reisegefolge ruhte unter den Zelten, welche man, um einmal zu rasten, auf der großen Ebene an der Donau aufgeschlagen hatte, aber daß wir nicht rasteten, brauche ich euch nicht erst zu sagen. Die Prinzessin und ihre Vertraute wurden von ihrem ruhlosen Gram vom Lager aufgescheucht, und mich bewog die Hitze unter den Gezelten, vielleicht auch Neugier und Wunsch, euch zu dienen, meinem Fräulein nachzuschleichen, und Erfrischung im Freyen zu suchen. Ich folgte nur von weiten, weil ich nicht zur Begleitung aufgefordert war. Ich sah, daß die Damen ihren Weg nach dem Strome nahmen, der, wie er seine Fluthen im Mondglanz dahin wälzte, würklich ein hinreißend schönes Schauspiel gab. Der Ort, wohin sich unsere [334] Schritte lenkten, war einsam. Der ausgetretene Strom hatte sich in einer der lieblichsten Gegenden ein Bette gemacht, das in niedrigen Ufern die klare Fluth umschloß, und von alten Weiden beschattet wurde. Man ließ sich an denselben nieder, man sprach, man weinte; ich hätte die Welt darum gegeben, ein Wort zu verstehen, aber die Entfernung, in welcher ich mich halten mußte, war meiner Neugier nicht günstig, und nur einigemale kamen mir die Namen, Otto von Wittelsbach, und Alf von Dülmen zu Ohren; wars nicht schon Verbrechen für Kaiser Philipps Tochter, für Kaiser Ottos Braut, diese Namen in ihren Mund zu nehmen? – Doch ihr sollt noch mehr hören!

Ueber der vergeblichen Bemühung, etwas zu vernehmen, das ich euch melden könnte, war ich entschlummert. – Mit Schrecken erwachte ich; Waffengeräusch wars, was mich weckte. Ich sprang auf, mein erster Blick war nach den Damen, mein erster Gedanke Besorgniß um sie. Ich sah sie nicht mehr auf der Stelle, wo sie gesessen hatten, aber die klagende Stimme der Prinzessin, lenkte meine Schritte nach dem Orte, wo ich sie finden sollte. Weiter ins Thal hinein ist eine Stelle von dichten Bäumen umschattet, die sie meinen Augen verbarg. Das Geklirr der Schwerdter und die unaufhörlich von [335] der Prinzessin ausgesprochenen Namen, Otto von Wittelsbach und Alf von Dülmen ließen mich dorthin eilen, ich sahe zwey gerüstete Ritter im vollen Kampfe, ich sah Beatrix, wie sie bald sich mit Gefahr ihres eigenen Lebens zwischen sie warf, um ihren Streit zu hindern, bald auf den Boden neben einem Verwundeten, den ich noch nicht wahrgenommen hatte, hinkniete, um ihm das quellende Blut zu stillen; mein Fräulein sah ich gar nicht, und man hat sie erst ziemlich spät in tiefer Ohnmacht unter den Weiden entdeckt. Das Herz jedes Weibes ist zum Mitleid gebildet: ich flog zu dem Verwundeten, die Sorge um ihn, mit der Prinzessin zu theilen, und ihr die Trennung der beyden Kämpfer, davon ich den einen beym Mondlicht für den Herrn von Kalatin erkannte, zu erleichtern.

O, Jutta! schrie die Prinzessin, rette, rette, wenn du kannst, den Pfalzgrafen! er ist unschuldig, der Kaiser wird ihn begnadigen! Ja, bey Gott! lallte der Sterbende, das bin ich! aber Kaisergnade bedarf ich nicht mehr, nur die Gnade des Richters, vor dem ich nun bald stehen werde!

Beatrix betauete des Wittelsbachers bleiches Gesicht mit ihren Thränen. Geht Prinzessin, lallte er, indem er sie von sich abwehrte, [336] rettet Alf von Dülmen, mit mir ists zu spät! O Alf von Dülmen! Alf von Dülmen! schrie die Prinzessin, indem sie aufsprang, und sich von neuem unter die Kämpfenden stürzte, deren Gefecht sich jetzt weiter nach dem Strom hingezogen hatte. Der Pfalzgraf verschied unter meinen Händen; das Geschrey der Prinzessin, das von der andern Seite zu mir um Hülfe ertönte, machte, daß ich meinen Thränen, die würklich auch um den schönen edeln Mann flossen, ungeachtet er in Acht und Bann gestorben ist, Einhalt thun mußte; ich flog dahin, wohin ich gerufen ward, ich sahe den Herrn von Kalatin fallen, seinen Mörder sich aus den Armen der Prinzessin winden, und sich vom hohen Ufer mit einem Sprunge in den Strom stürzen. Beatrix sank ohne Gefühl zu Boden, mir mochte es nicht besser gegangen seyn; denn ohne zu wissen, wie das zusammenhing, sahe ich mich auf einmal von unsern Leuten umringt, die mich empor huben, und der Prinzessin und Alverden nach, unter die Gezelte trugen.

Die Unruhe, welche seitdem hier herrscht, ist unglaublich. Der Leichnam des Herrn von Kalatin ist bis auf weitere Verordnung des Kaisers, nach dem nahen Paulinerkloster gebracht worden, den Körper des Wittelsbachers, als eines [337] Durchächteten, hat man in den Strom geworfen.

Alf von Dülmen aus den Fluthen zu retten, soll sich einer von euren uns mitgegebenen vertrauten Leuten, ehrwürdiger Herr, sehr viel Mühe gegeben haben. Die Prinzessin liegt ohne Besinnung, Alverde ist dem Tode nahe; der Kaiser, welcher seiner Braut entgegen gegangen war, ist persönlich hier eingetroffen, und da aus den kranken Damen von dem ganzen Vorgange nichts zu erforschen ist, so habe ich Dinge aussagen sollen, wovon ich doch nichts als das Ende gesehen habe.

Ich schütze mich mit meiner Unwissenheit; Erklärungen über so delikate, und nach meinen Gedanken ziemlich verdächtige Händel, hätten leicht mir selbst Gefahr bringen können.

Ihr, ehrwürdiger Herr, werdet euch aus diesen Räthseln besser finden können, als ich. Der Morgen bricht an; ich muß eilen, damit der kaiserliche Bote, der mir versprochen hat, ein Schreiben an euch mit sich zu nehmen, nicht ohne dasselbe abgehe.

[338]
Alverde an die Aebtißin des Cölestinerklosters zu Pamiers
Alverde an die Aebtißin des Cölestinerklosters zu Pamiers.
1210.

Verwahrt die Papiere wohl, die Euch kurz vor diesem Schreiben oder mit demselben eingereicht wurden; merkwürdige Dokumente beyspiellosen Unglücks! – Alverde, Mörderin ihres eigenen Bruders? Beatrix und Elise, Verderberinnen derer, welche sie auf der Welt am meisten liebten? Wird die Nachwelt fassen, wird sie glauben, was in diesen Worten liegt?

Ich schreibe auch dieses durch die Hand einer vertrauten Dirne, nicht der Jutta, welche mir seit ihrer Vertraulichkeit mit Sutri, verdächtig geworden ist. Sutri ist hier, vermuthlich auf ihr Anregen, mir meine letzten Stunden schwer zu machen; vielleicht fordert mich Gott ab, ehe die Stimme donnernden Gesetzes aus seinem Munde mir noch den wenigen Trost raubt, den ich übrig habe!

Ja, ehrwürdige Mutter, mein kurzes qualvolles Leben ist bald vorüber, die Stunden sind kostbar, ihr müßt in wenig Worten vernehmen, was mich so schnell zum Ziel beförderte. Die Würkung einiger unüberlegten Schritte, [339] die ich, verführt, ohne Euren Einrath und Vorwissen that! –

Das Ganze, wie man uns nach und nach zu unserm und unserer Freunde Verderben leitete, euch zu erzehlen, wär für mich am Rande des Lebens zu viel; ich beziehe mich auf meine Papiere. Alles ist unsern Feinden gelungen: Wittelsbach ist tod, das Schicksal ließ uns ihn am Ufer der Donau sterbend treffen. Kalatin, von der Gerechtigkeit zu der blutigen That authorisirt, war sein Mörder. Während wir uns mit der Rettung des Verwundeten vergeblich bemühten, erschien Alf von Dülmen, Wittelsbachs bisheriger Elendsgefärthe, damals nur zu seinem Unglück auf wenige Tage von ihm getrennt, an deren Ende ihn das Schwerd des Rächers getroffen hatte.

Alf von Dülmen, ich wage es nicht ihn Bruder zu nennen, fand seinen tödlich verwundeten Freund, fand uns an seiner Seite, wechselte wenige schreckliche Worte mit uns, die mich in Ohnmacht stürzten, und flog dann, Wittelsbachs Mörder aufzusuchen, und ihn an der Stelle, wo er gefallen war, hinzurichten. Ich sah nichts davon, wie ihm sein Unternehmen glückte, sah nicht, wie er nach vollbrachter That den grauenvollen Entschluß faßte, seinem elenden Leben durch einen Sprung in die [340] Donau ein Ende zu machen. Ich hörte es von Beatrix, von ihr könnt ihr alles weitläuftiger erfahren, wenn Gott ihr das Leben fristet, wie ich zu ihm sterbend flehe, ich werde zu schwach, um der Schreiberin alles in die Feder zu sagen.

Beatrix ist krank, man zweifelt an ihren Aufkommen; der sie mit der heissesten Inbrunst liebende Kaiser, besteht darauf, daß sie als seine Gemahlin leben oder sterben soll, sie wurden diesen Morgen in der Stille eingeseegnet. Beatrix hat für die Freunde des Wittelsbachers und für seinen Leichnam gebeten, den man in die Donau geworfen hat; für Alf von Dülmen kommt alle Vorbitte zu spät. – Von den Verwandten des Pfalzgrafen ist die Acht zurück genommen, sein Leichnam ist gefunden, und ehrlich beerdigt worden. Alfs Körper hat man nicht finden können!

O, meine Mutter, ihr merkt aus den letzten so kurzabgebrochenen Worten, wie schwach ich bin! – Meine letzte Hoffnung ist Ruhe in jener bessern Welt, Gott gebe, daß mir sie kein Sutri raube! – Vergesset nie die unglückliche Alverde!

[341]
Bernhard, Herzog von Sachsen, an den Herzog von ***
Bernhard, Herzog von Sachsen,
an den Herzog von ***
1210.

Ich muß mich mit Eurer Erklärung brfriedigen; Gott gebe, daß euer eigenes Gewissen sich damit beruhigen läßt, es ist hier eine Kette von Schrecknissen, davon allemal das erste Glied in eurer Hand war.

Philipp, Wittelsbach, Graf Adolph, seine Schwester, die arme Beatrix, welche nur vier Tage den Namen einer Kaiserin führte, und vielleicht mehrere andere, haben ihr Schicksal den Unordnungen zu danken, welche ihr in den Euch anvertrauten Geheimnissen einreissen liesset. Die Möglichkeit, der guten Sache auf die Art zu schaden, wie bereits geschehen ist, muß euch auf ewig benommen werden, ihr sehet selbst, daß Entsetzung von Eurer Stelle eine sehr mäßige Strafe des Bösen ist, das ihr veranlasset, und das für uns und die Welt unwiederbringlichen Schaden nach sich zieht. Wer vernichtet das, was auf die von uns erlauschten Heimlichkeiten erbauet ward? wer benimmt den arglistigen Römern die Mittel, hinfort noch mehr Unkraut unter unsern Waizen zu säen?

[342] Fortan müssen unsere Gesetze geschärfter und heiliger gehalten werden. Bruch der Verschwiegenheit, dessen der unglückliche Pfalzgraf und ihr, Gott weiß ob so unschuldig als er, euch erkühntet, werde gleich jedem andern unablöslichen Verbrechen vor unserm Gericht mit dem Tode bestraft.

Wer sich erkühnt unsere heiligen Gebräuche nachzuäffen, und unter dem Namen unserer Gerechtigkeit Unheil zu stiften, der sterbe!

Wer eigene Rache unter der Maske der heimlichen Rächer ausübt, der sterbe ungewarnt und wo man ihn findet!

Wer den Richter zu blenden sucht, den Schuldlosen mit seinem Namen schreckt, oder den Verbannten warnt, der sterbe! –

Mein Herz blutet, ob den fürchterlichen Gesetzen, welche die Stellvertreter der göttlichen Gerechtigkeit zu geben, und ich zu bestättigen genöthiget bin; ich zittre vor dem Unheil, das der Misbrauch derselben in die Welt führen wird, aber die Noth heischt was wir thun müssen; Euch sey ein Theil der künftigen Verfassung unsers Rechts zuerst kund gethan, damit ihr eure begangenen Vergehungen schätzen, und euch prüfen lernt, ob euch noch gelüstet länger in unserm Bund zu bleiben, in welchem ihr ohne dem jetzt nur eine der untersten Stellen behaupten könntet. [343] Wollt ihr euch gänzlich von uns trennen, wie ich euch wohl rathen möchte, so hütet euch vor den Römern, dauert eure Vertraulichkeit mit denselben fort, so wird euch die Rache, wie jeden andern, der nicht zu unserm Bunde gehört, zu treffen wissen. Ihr neues Gericht soll unserer Allwissenheit nachäffen, aber schützen kann es den nicht, welcher unser Misfallen auf sich lud.

Alf von Dülmens Geständnisse an die Nachwelt
Alf von Dülmens Geständnisse an die Nachwelt.
1210.

Ich ward gerettet, aber o Gott, zu welch einem Leben! – Ist das Leben im Kerker Leben zu nennen? – Lebe ich würklich? – Würde ich, wenn heute mir die Freyheit wieder geschenkt wär, anders unter den Lebendigen wandeln, als ein aus jener Welt zurückkehrender Schatten? – Die Sonne ist mir fremd geworden, meine Augen, Jahre lang – (ach ich mag sie nicht zählen!) an die Dunkelheit des Grabes gewöhnt, würden ihren Glanz nicht mehr ertragen können. – Die Welt ist mir fremd geworden, keiner meiner Lieben, keiner meiner Bekannten würde [344] mir dort oben begegnen, der da sagen könnte: das ist Alf von Dülmen! Den größten und besten Theil dessen, woran mein Herz hing, verlor ich, ehe man mich hier lebendig verscharrte, die wenigen Uebrigen werden längst auch abgetreten seyn von dem grossen Schauplatz des Elends; nur mir fristete die Vorsicht mein Leben zur längern Qual! Ich verdiente diese grausame Fristung, denn ich war ein Verbrecher! – Ja das war ich! ein grösserer Verbrecher, als zu meinen Zeiten die Erde einen tragen mochte! Heiliges Blut haftete an diesen Händen. Entschuldige dich nicht, gequältes Herz, du weißt die Lehren, welche die Nacht, und Einsamkeit diese halbe Ewigkeit hindurch predigten; Nacht und Einsamkeit, diese grossen Lehrerinnen, welche das Gewissen laut reden machen, und jedem Verbrechen seine Hülle nehmen! Hier gilt keine Entschuldigung! auf der Stelle, wo ich hin geschleudert wurde, ist der Standpunkt, wo man jedes Ding nach seinem wahren Werthe schätzt, jedes mit seinem rechten Namen benennt, Sclave der Ehrsucht, Sclave noch thörigterer Leidenschaften, der war ich! Dies war der Anfang einer glorreichen Laufbahn, die sich mit Kaiser- mit Freundesmord endigte! O Philipp und Kalatin! laßt ab von mir! eure rächenden Schatten, die mich unabläßig umschwebten, könnten [345] wohl mit meinen langen, langen Leiden befriedigt seyn!

O, daß die Fluthen der Donau nicht mein Grab wurden! Grausame Hülfe, die mich zu endloser Qual rettete! – Ja wohl endlos! Ich ward müde die Jahre zu zählen, die man mich hier schmachten ließ, und doch finde ich, da ich nun auf einer Art von Ruhepunkt stehe, und rückwärts blicke, auch sie sind wie ein Traum verschwunden! – Die erste Epoche meines Elends, da ich ganz unwissend war warum man mich hier einkerkerte, war kurz, ihr folgte eine andre, da ich heller sehen lernte, da man mir die Möglichkeit zeigte, Freyheit und Glück durch Treubrüchigkeit zu erkaufen; sie war schrecklich; die Kämpfe zwischen der Stimme der Menschheit und den Forderungen der Tugend waren nicht leicht; ich seufzte nach Ruhe, aber die Ruhe, welche ich endlich fand, war noch schrecklicher, sie hieß Vergessenheit. Meinen Verfolgern hatte entweder der Tod die Schlangengeissel aus den Händen gewunden, oder sie waren müde geworden, immer vergebens gegen einen Fels zu wüten, und ich blieb ungestört in langer, langer Nacht, deren grauenvolle Einförmigkeit mir nach und nach fast Empfindung und Bewußtseyn raubte, und mich mein Daseyn in einer Art von Schlummer hinbringen [346] ließ, dessen Ende, bey den allmählig sinkenden Kräften der Natur, wahrscheinlich der Tod seyn mußte.

Ein wohlthätiger Schlag erweckte mich zu einem neuen Leben! Wer mißt die Empfindungen eines Menschen, der schon mehr als halb dem Grabe anheimgefallen ist, wenn eine mächtige Erschütterung ihn gewaltsam empor reißt, und ihn fühlen läßt, daß er noch lebt? Wer mißt die Empfindung jener Nacht, da ich im Donner Gottes die letzte Posaune zu hören glaubte, die mich Toden zur Auferstehung rief, da die Fesseln von meinen Händen sprangen, und die einstürzenden Gewölbe um mich her die kaum erlangte Freyheit, von der ich keinen Gebrauch zu machen wußte, schnell zu endigen drohten? –

Frommer, mildherziger Ademar, du warst der erste Gegenstand, den ich nach meiner Betäubung erblick te; es war mir wohl zu verzeihen, daß ich dich für einen Engel, den schönen Ort, an den du mich gebracht hattest, für den Wohnplatz der Seeligen hielt! Einen Menschen der gelitten hat, wie ich, scheint jede kleine Besserung seines Schicksals überirrdisch, jeder lindernde Helfer eine Gottheit zu seyn.

Guter Ademar! dir danke ich Erleichterung meines Schicksals, du mußt dich nicht entschuldigen, [347] daß du mir dieselbe nicht ehr gabst; du warst Hüter meines Kerkers, du hattest geschworen meine Ketten nicht zu brechen, du kanntest deinen unglücklichen Gefangenen nicht einmal, ein Blitz vom Himmel mußte mich dir kenntlich machen, ein Blitz vom Himmel mußte dir zeigen, was du für mich thun solltest; wie konntest du ohne höhere Führung dich zu mir finden? Keiner deiner Vorgänger hatte ja in langen dreyßig Jahren daran gedacht, daß es Pflicht für ihn sey, zu mir in mein Grab hinabzusteigen, wie hätte dir, der mit ihnen nach einerley Grundsätzen zu handeln verpflichtet war, dieses einfallen sollen? Was würde dir der Anblick eines Elends geholfen haben, das du, durch Eid gebunden, nicht lindern durftest?

Jetzt, da der Himmel selbst dich zu mir führte, da der Himmel selbst meine Bande brach, jetzt hast du freyere Hand zu handeln. Niemand beeidigte dich mir neue Fesseln anzulegen, und diese wunden Hände, diese steifgewordenen Füsse bleiben also frey; mein altes Grab ist zusammen gestürzt, warum solltest du mir ein neues bauen? du gönnst mir ja gern diese hellere geräumigere und reinere Wohnung, und die Aussicht den Schloßberg hinab, die mir beym ersten Anblick so elisisch dünkte. Etwas bessere [348] Pflege kann vielleicht mir einen Theil der verlornen Kräfte wieder erstatten; dann und wann eine Stunde in deiner Gesellschaft wird mir das Leben zum Himmel machen, und die Beschäftigung mit Büchern, und mit der Feder, die du mir gönnst, vertreibt die ärgste Quälerin des Gefangenen, die Langeweile, mit allen Schrecknissen, die sie in ihrem Gefolge hat; nur zuweilen in meinen schwärzesten Stunden kehren jetzt jene Furien, die Gefärthinnen meiner Einsamkeit zurück. Nur zuweilen ist mirs, als läg ich noch in jener Nacht begraben; aber ein Blick von dir, ein Gedanke an dich, kann diese Phanthasien immer verjagen!

O Ademar! Ademar! Gott seegne dich, und erhalte dich mir! Sollte dich ein feindliches Geschick mir entreissen, was würde aus mir werden? Töde mich lieber, ehe du mich in fremde Hände kommen lässest; du weißt wohl, es war ein Theil deines Eides, den du jenen Unerbittlichen schwören mußtest, als sie dich zum Hüter dieses alten Steinhaufens und zu dem Meinigen machten, mich hinzurichten, wenn der Zufall mich und die Geheimnisse ihrer Grausamkeit, die in meinem Gedächtniß verwahrt sind, unter fremde Gewalt zu bringen drohte!

[349] Ademar, ich habe gedacht, wie ich dir deine Treue gegen mich Hülflosen belohnen wollte; und schnell fiel mir ein, da ich sonst nichts habe, dir ein treues Geständniß vergangener Dinge, so weit ich das darf, zu schenken; Du mußt dies Geschenk nicht gering schätzen, es hat gewiß seinen Werth, und wird mir hier und da viel schmerzhafte Aufopferung kosten. Zeit und Kräfte, die ich zum Niederschreiben meiner traurigen Geschichte brauche, bringe ich nicht in Rechnung; ich kann sie nicht besser anwenden als für dich und die Nachwelt, wenn du ihr die Mitwissenschaft dieser Dinge gönnen willst.

O mein Freund, du mußt hier auch auf den Nutzen rechnen, den du aus der Kenntniß dieser Dinge schöpfen kannst. Du bist gegen mich sechzigjährigen Alten – (Gott! ich war noch nicht dreyßig Jahr, als man mich in jene Tiefe hinabstieß) – du bist gegen mich alten Lehrling in der Unglücksschule noch ein Jüngling; manches in dem Leidenverzeichniß des armen Alf von Dülmen wird dir aufstossen, das dir zu Trost und Leitung für dein künftiges Leben dienen kann.

Doch nichts mehr von Vertheurung meiner Gabe, sondern nun ohne weitere Umschweife den Anfang meines Versprechens!

[350] Mein Vaterland ist Westphalen. Bis in mein zwanzigstes Jahr hielt ich mich für den Sohn eines gemeinen unbemittelten Edelmanns, ohne Rang und ohne Ansprüche, und war glücklich in diesem Wahn; o Gott, daß er mir ewig geblieben wär! –

An hohen Flügen schwärmender nach Ruhm und Grösse dürstender Phanthasie, fehlte es mir von meinen ersten Jünglingsjahren an, nicht; Trieb, mich in einer höhern Sphäre zu zeigen, mußte mir angebohren seyn; ich tödete ihn nicht, sondern ich hing ihm mit geheimer Wohllust nach. Die Bahn, auf welcher ich das zu erlangen glaubte, was ich wünschte, lag, wie ich meynte, offen vor mir; schon mancher gemeine unbemittelte Jüngling, das sagte mir die Geschichte, welche mein Lehrer, ein gelehrter Mönch aus dem benachbarten Kloster, fleißig mit mir traktirte, hatte sich durch sein Schwerdt und seine Tugend empor geschwungen. Ich hatte mir schon eine Reihe von Edelthaten vorgezeichnet, zu denen sich, wie ich meynte, nach meiner Vorschrift, die Gelegenheit ganz genau finden mußte, und die mich Zeit genug mit Ehre und Glück krönen mußten. O Schicksal, [351] warum verleidetest du mir diesen sichern und anmuthsvollen Weg zu Erreichung meiner Wünsche, indem du mir einen kürzern aber gefahrvollern zeigtest? Doch ich will nicht mit der Vorsicht rechten, sondern mich demüthigen, mich als den allein Schuldigen bekennen.

Voll Ungeduld sahe ich den Jahren entgegen, da mein Vater mir versprochen hatte, mich wehrhaft machen zu lassen, und an irgend einen Fürstenhof zu schicken; ich war geitzig nach jeder Gelegenheit mich in den Waffen zu üben; ich fand sie in der Gesellschaft eines guten Jünglings aus unserer Nachbarschaft, dessen Namen ich mir nie ohne Schmerzen denken kann. Ach auch an ihm habe ich gesündigt! – Sein Name war Evert von Remen!

Nimmer müde, Arbeit für Schwerdt und Wurfpfeil zu suchen, ward ich ein wilder Jäger. Tag und Nacht lag ich in den Wäldern. Meine Faust ward stark, mein Wuchs außerordentlich durch die unaufhörlichen Uebungen. Mein braver Vater, selbst in seinen Jünglingsjahren ein tapferer Krieger, hatte seine Freude an mir, und nannte mich oft gegen Konraden von Remen, Everts Vater, seinen jungen Helden. Lob und Beyfall feuerten mich noch mehr an; ich dürstete nach immer neuen Beweisen meiner Stärke, und [352] trauerte aufrichtig, daß es in den europäischen Gehölzen nicht Löwen und Tieger gebe, und daß Wölfe und Bären nur zuweilen in den unsrigen gefunden wurden. Hinfort kam ich nur selten in das Haus meines Vaters, um daselbst zu übernachten, und die Wälder wurden meine Heimath.

Ich hatte eine jüngere Schwester, ich zürnte mit ihr über die Schwäche ihres Geschlechts, die mich um ihre Begleitung bey meinem Herumschweifen brachte, zürnte mit ihrem und meinem Freunde, dem jungen Evert von Remen, der ganz an ihr hing, und der, da sich sein Gemüth mehr zu weiblicher Sanftmuth neigte, lieber bey ihr zu Hause blieb, als die Gefahren der Jagd mit mir theilte.

Ich war die mehresten mahle auf meinen Wanderungen ganz allein, und da mir die tausendmahl durchstreiften Gegenden in der Einsamkeit endlich lange Weile machten, so entfernte ich mich oft mehrere Tagereisen von meines Vaters Wohnung, um neue Unterhaltung für mich, neue Beute für meine Waffen zu finden.

Weit nach Norden am Ausfluß der Weser, zwischen einer Gruppe von kahlen Gebürgen, liegt ein enges Thal, von welchem in unsrer Gegend zur Zeit meiner Jugend viel seltsame Sagen gingen. [353] Die meisten machten es zu einem Eigenthum böser Geister, welche zu gewissen Zeiten daselbst ihre Zusammenkünfte halten sollten; man sprach viel von Personen, welche es betreten hätten, ohne wieder herauszukommen, von nächtlichem Getös, das sich daselbst hören ließ, von quellendem Blut und blaulichen Flammen, und andern ungeheuren Dingen, welche ich mir alle auf meine Art deutete. Ich glaubte nehmlich, gewisse weisse Bären, die sich zuweilen in unsern Waldungen spüren ließen, und davon ich einst einen erlegt hatte, hätten daselbst ihre Behausung und die Legende von übermenschlichen Wesen, welche dort regierten, diene der Furchtsamkeit nur zum Vorwand, sich nie dorthin zu wagen. – Ich kannte keine Furcht; die Vorstellung neuer Gefahren war mir ein Gedankenfest; daß ich überall durch meine Faust unverletzt hindurch kommen würde, war mir gewiß, und die Reise dorthin ward beschlossen. –

Man war in meines Vaters Hause gewohnt, mich mehrere Tage nach einander nicht zu sehen, und die Ausführung meines Plans, welcher in der That Zeit brauchte, hatte also keine Schwierigkeit.

Es war einst gegen den Abend, da ich nach einer würklich mühseligen Reise, das Ende meines Wegs vor mir sah; der letzte von mehrern großen [354] und kleinen Bergen, welche sich immer einer hinter dem andern erhuben, war erstiegen; ich sah ins Thal hinab, welches ich mir als eine schöne weite waldigte Gegend, die Wohnung zahlreichen Wilds, vorgestellt hatte, und das sich mir nun ganz als das Gegentheil zeigte. Hier, das sagte mir mein erfahrner Waidmanns Blick, hier möchten weder Wölfe noch Bären hausen. Vielleicht hatten in dem niedrigen Gestände einige Hasen ihr Lager, die ich aber in unsern Wäldern besser finden konnte, und deren Nachstellung überhaupt meine Sache nicht war, wenn ich mir nicht etwa zuweilen die Lust machte, einen in vollem Lauf mit der Hand zu ergreifen, und mir selbst dadurch einen Beweis meiner Schnelligkeit zu geben.

Misvergnügt, daß ich hier das so wenig fund, was ich suchte, wollte ich schon unverrichteter Sache zurückkehren, als ich ein Volk Rebhühner vor mir aufsteigen sah; ich schenkte ihnen einige Pfeile, hub mein gefälltes Wildpret auf und trat den Rückweg an, entschlossen, diese Gegend nie wieder zu betreten, die ich in der Folge noch so oft sehen sollte.

Ich entdeckte einen kürzern Weg als den, welcher mich zuerst hieher geführt hatte. Man fand zu Hause mein Wildpret köstlich; die Damen [355] vornehmlich wollten nie etwas ähnliches gekostet haben, und der Frau von Remen zu Liebe, verging keine Woche, da ich nicht ausging, in jenen Gegenden Beute zu machen.

Sie wurden jetzt genauer untersucht, ich stieg hinab, ich durchspähte alle Winkel, die sich zwischen den zerstreuten Gebürgen verbargen, und fand endlich eines Tages eine Stelle, die zwar dem Auge des Jägers nicht eben merkwürdig war, die aber doch auf andere Art meine Aufmerksamkeit reizte.

Ich hatte die alte Geschichte der Römer gut studirt, ich wußte viel Wahres und Unwahres, das mir mein Lehrer von Spuren ihrer Anwesenheit gesagt hatte, die sie in Deutschland zurückgelassen haben sollten, und glaubte hier sehr kenntliche Ueberbleibsel eines römischen Amphitheaters zu finden. Dies war etwas, das meiner Phanthasie schmeichelte, und ich beschloß, hier das Andenken der grauen Vorzeit oft zu feyern. In der Folge war allemahl ein Fragment aus der römischen Geschichte, dergleichen mir aus der Klosterbibliothek nicht versagt wurde, ein nothwendiges Stück meiner Jagdbagage. Halbe und ganze Tage wurden hier in Gesellschaft der Alten verträumt, Vergangenheit vergegenwärtigt, Zukunft herbeygerufen, Plane und Vergleichungen gemacht, und all der phantastische Unfug [356] getrieben, welchen eine junge Seele gemeiniglich in dem Gebiet des Wissens oder Empfindens zu treiben pflegt, das sie sich vor andern ausgesehen hat.

Die Gegend, auf eine halbe Meile umher, war ganz öde; ein heftiger Regen, der mich einst aus meinen Träumen aufschreckte, fand mich ganz ohne Obdach; alle Ueberbleibsel von Gemäuer, die man hier fand, waren gegen den Himmel zu offen, und meine Zuflucht war ein holer Baum, in welchem ich gemeiniglich meine mitgebrachten Geräthschaften zu bergen pflegte, es war eine ungeheure Weide, welche außer mir wohl noch eine Person hätte beherbergen können, und deren überhangende Zweige mich vollkommen schützten. Ich saß warm und reinlich; der Regen hielt an, sein monotonisches Rauschen schläferte mich ein; der weite Weg hatte mich ermüdet, und die hereinbrechende Nacht führte die Zeit des Schlummers herbey.

Nach Mitternacht, wie mir der Stand des Mondes sagte, der jetzt rein und voll am Himmel leuchtete, erwachte ich. Ich wußte nicht was mich erweckte; es war Geräusch, desgleichen ich in der ewigen Stille, die hier herrschte, nie vernommen hatte. Ich schlug die Augen auf und sah die Gegend rund umher von Menschen belebt. Ich schauderte in mich selbst zusammen, [357] und alle ehedem vernommene und für Märchen gehaltene Geistersagen kamen mir vor die Seele. – Mein innres Beben dauerte indessen nur kurze Zeit; gewohnt, mich vor nichts zu fürchten, erhub ich mich, verließ meine enge Wohnung und trat ohne besondere Vorsicht näher hinzu, um Dinge zu sehen und zu hören, zu deren genauer Schilderung mir Zunge und Feder gebunden ist. Euch sey genug, zu wissen, daß ich mich hier auf einmahl ohne es zu wissen zuerst in einer Versammlung befand, die man wohl mit recht unter die furchtbarsten und ehrwürdigsten rechnet, welche unsere Zeiten kennen, oder vielmehr, welche, von dem größern Theil der Menschen ungekannt, ihr zur Geissel und zum Seegen im Verborgenen bestehen.

Daß ich unter Menschen nicht unter Geistern war, das sagte mir mein gesunder Verstand, obgleich würklich hier alles das Gepräg des übermenschlichen, des außerordentlichen trug. Ich starrte in eine zahllose Versammlung hin, die durch einen gewissen traurigen Ernst, in der Kleidung so wohl als im Betragen, die Wichtigkeit der Dinge bezeichnete, warum sie hier zusammen gekommen war. Ich sah in der Mitte des großen Kreises einen Mann auf einer Art von Throne, welcher durch die Würde, die in seinem ganzen All herrschte, und durch [358] die Urtheile der Weisheit, welche aus seinem Munde gingen, Anspruch auf den Namen eines Richters des ganzen Menschengeschlechts zu haben schien. Auch war es, als wenn bey den Dingen, welche hier in Vortrag kamen, die ganze Menschheit interessirt wär. – Meine Aufmerksamkeit wuchs von Minute zu Minute, die Vorgänge wurden immer wichtiger. Ich Furchtloser schauerte mehr als einmahl zusammen; mir, dem Jüngling mit den gestählten Nerven, wandelte mehr als einmahl gänzliche Machtlosigkeit an. Was ich sah, was ich hörte, das ist Gott bekannt, auch wird es wohl durch keine Zeit aus meinem Gedächtniß verlöscht werden, aber euch mehr davon zu sagen, als ihr bereits vernommen habt, ist unmöglich.

Ganz im stummen Staunen verloren, kaum athmend vor Wißbegier, wie das alles enden würde, stand ich da. Ich nahm Partie bey allem was verhandelt wurde, und als jetzt der Richter vom Throne in einer Sache einen Ausspruch that, der nicht ganz zu meinen Einsichten paßte, so ward meine Befremdung durch einige Worte laut! – Ist hier der Thron der Unfehlbarkeit? schrie ich, oder darf man noch von diesem, an den Richtstuhl des Ewigen appelliren?

[359] Jedermann in dem großen Cirkel war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf mich geachtet zu haben. Ich stand noch überdem auf ein kleines Gemäuer gelehnt, hinter den andern in halber Dunkelheit, so daß ich wohl hätte verborgen bleiben können, wenn ich der Vorsichtigkeit getreu geblieben wäre.

Meine sehr laut gesprochenen Worte, und die mit dem Ausdruck des höchsten Affekts in die Höhe gehobene Rechte, zogen die Augen all meiner Nachbaren auf mich. Ein leises Murmeln begann, das sich immer weiter ausbreitete, immer mehr verstärkte, und endlich wie ein brüllender Donner ertönte; was ich verstehen konnte, waren die Worte: Es habe sich ein Fremder zu ihren Geheimnissen eingeschlichen, und Tod müsse sein Lohn seyn! – Die That schien hier unmittelbar den Worten folgen zu müssen, denn ich hatte kaum gehört, wußte kaum was ich gehört hatte, so bekam ich einen Schlag in den Nacken, der mich sinnlos zu Boden streckte.

Ob der Streich, den ich empfing, mich würklich tödten oder nur meines Bewußtseyns berauben sollte, weiß ich nicht; ich glaube das letzte; ich war in der Gewalt dieser Unbekannten, was hätte sie hindern sollen, da sich noch Leben in mir regte, mich vollends hinzurichten.

[360] Als ich mich wieder erholte, war alles viel dunkler um mich her als zuvor, all die Leuchten, welche zuvor den weiten Platz mit schwachem phosphorischen Licht erhellten, waren ausgethan, und nur ein Mondstrahl beglänzte die Stelle, wo ich lag; sie war zu den Füßen des Throns, den ich zuvor in der Ferne wahrgenommen hatte. Der Richter befahl mir, mich so gut ich konnte zu erheben, und zu versuchen, ob ich durch Beantwortung der Fragen, die man mir vorlegen würde, mein verwürktes Leben retten könnte.

Die erste derselben war: Wie ich an diesen geweihten Orte käme, ob Vorwitz oder Zufall mich hieher gebracht habe, und warum ich auf die Warnung, welche bey Hegung eines jeden dieser heimlichen Gerichte, an die Personen, welche sich eingeschlichen haben könnten, gleich anfangs zu ergehen pflegte, nicht augenblicks davon gegangen sey?

Ich konnte betheuren, von dieser Warnung, die ich vermuthlich in meiner Weide verschlafen hatte, nichts gehört zu haben; auch die übrigen Theile der vorgemeldeten Frage konnte ich ziemlich zu Befriedigung des Richters beantworten, und man ging zu andern Untersuchungen fort, welche die Dinge, die ich hier gesehen und gehört hatte, nebst meiner Meinung davon betrafen, [361] und die ich also hier mit Stillschweigen übergehen muß.

Und was, fuhr der Richter fort, der mir durch meine Antworten immer gewogner zu werden schien, was brachte euch zu der Kühnheit in jene Worte auszubrechen, welche uns eure Anwesenheit an diesem verbotenen Orte entdeckten?

Gefühl der Billigkeit!

Glaubt ihr nicht, daß hier der Stuhl der Unfehlbarkeit ist?

Ich denke, ich stehe vor einem menschlichen Gericht, welches Gott zum Oberrichter erkennen muß, dessen Urtheil allein nicht trügen kann.

Habt ihr Ursach zu zweifeln, daß wir in dem Fall, der euch aus eurer Fassung brachte, gerecht richteten?

Ich glaube sie zu haben.

Seyd ihr in der Sache des Verurtheilten interessirt?

Nein, ich habe bis diese Stunde nicht gewußt, daß ein solcher Mensch in der Welt ist.

Wünschtet ihr unser Urtheil aufgeschoben oder geändert zu sehen?

Sobald ich es für unrecht halte, muß ich dies wünschen!

Noch eine Frage! Kennt ihr das Mittel, euer gegenwärtiges Versehen oder Unglück, wie ihr es nennen wollt, euch in unserm verbotenen [362] Kreise befunden zu haben, ungeschehen zu machen?

Nein.

Es heißt; Eintritt in unsern Bund!

Ich nehme es ohne Bedenken an, nicht aus Todesfurcht, welche ich nicht kenne, sondern weil ich diese Nacht viel von eurem Bunde kennen lernte, das mir gefällt.

Ihr habt diese Nacht viel von unserm Bunde kennen gelernt, und wißt also die verschiedenen Geschäfte, welche unsern Mitgliedern obliegen?

Ja, ich weis, daß ihr, außer Richtern und Beysitzern auch Ausrichter des Urtheils und Kundschafter unter euch habt.

Welche Stelle, meynt ihr, wird die eurige seyn, wenn es uns gefällt euch zu begnadigen und aufzunehmen?

Doch wohl die unterste, die mir sonst nicht sonderlich behagende Stelle eines Kundschafters.

Womit wünschet ihr euer Probestück zu machen?

Mit genauerer Erkundigung jener Sache, über welche vorhin, und wie ich meynte, falsch gesprochen wurde.

Jüngling, eure Erklärungen sind freymüthig und zeugen von einem edeln und hohen Geiste. Wer seyd ihr?

[363] Ich nannte mich und – – doch das Uebrige zu melden wär zu weitläuftig, genug ich ward aufgenommen, meine Lippen wurden versiegelt, wie man hier die Beeidigung zur Theilnahme an den Geheimnissen der Gerechtigkeit nennt, und ich sahe mich auf einmahl das Mitglied eines großen Bundes, von dessen Existenz ich zuvor nie gehört hatte. Ich, der vorher in der größten Einsamkeit und Absonderung lebte, befand mich schnell in genauer Verbindung, wie ich meynte, mit dem halben Menschengeschlecht. Ich, der vorher niemand zu gehorchen hatte als einem Vater, bekam hier Oberherrn die ich zum Theil nicht einmahl kannte, und die so unumschränkt über mich herrschten, daß sie sich erkühnen durften, mich auf gewisse Art von der kindlichen Pflicht loszuzählen; wie ihr denn wohl denken könnt, daß mein Vater von den Vorgängen dieser Nacht und allem, was davon abhing, nichts erfahren durfte. Ich hing an diesem theuren Vater mit so gränzenloser Liebe und Vertrauen, daß ich glaubte, diese einige Klausul hätte mich von dem großen Bunde abwendig machen können, wenn ich sie vorher gewußt hätte. Nun waren die fürchterlichen Eide geschworen, und ich konnte nicht mehr zurück.

Der Herzog von Sachsen, Herzog Bernhards Vater, der damahliche Stuhlherr der heimlichen [364] Gerichte, eben der Richter, dessen Weisheit mich in jener Nacht zu so viel Bewunderung, sein herrliches Ansehen zu so viel Ehrfurcht hinriß, nahm es selbst über sich, mich in der Verlegenheit zu beruhigen in welcher er mich sahe. Mein Sohn, sagte er mit der herablassendsten Güte, der Gehorsam, den du deinem Vater schuldig bist, wird nie mit dem, welchen du mir geschworen hast, streiten. Erfülle deine Pflichten treu, und du wirst einen gnädigen Herrn an mir haben.

Den hatte ich auch an ihm, aber einen desto ungnädigern an dem Herzog von ***, der dem Herzog von Sachsen, hier der nächste in der Hoheit, und allezeit bedürfenden Falls sein Stellvertreter ist. Der Herzog von ***, hatte vom Anfang meiner Erscheinung im grossen Kreise einen sonderbaren Haß auf mich geworfen, der sich auf meine kühne Misbilligung jenes gesprochenen, von ihm eingeleiteten Urtheils, gründen mochte, und durch meine glückliche Durchsetzung der Sache unversöhnlich ward. Ich habe Ursach ihn für eins der vornehmsten Werkzeuge zu halten, welche mein ganzes unglückliches Leben hindurch, zu meinem Verderben, thätig waren.

Ich hatte, wie ich vorhin weitläuftig erzehlte, meinen ersten Eintritt in die geheimnißvolle [365] Verbindung durch kühnen Widerspruch eines gesprochenen Urtheils gemacht. Ein solcher Widerspruch, er mochte von geweihten oder ungeweihten Lippen kommen, durfte, wenn der Angeklagte sich nicht selbst schuldig gab, in den damahligen Zeiten nicht zurück gewiesen werden, und hätte das Richtschwerd schon über seinem Kopfe geschwebt; genauere Untersuchung folgte demselben, Untersuchung, bey welcher der, welcher den Einspruch that, allemal die Hauptrolle spielen mußte. Nachdem sie denn ausfiel, hatten entweder der Beklagte und der Vertheidiger ihr Leben gerettet, oder – beyde mußten sterben.

So hatte ich mich also, ohne es zu wissen, in einen gefährlichen Handel verstrickt; er betraf eine Person, die ich nicht kannte. Der Herzog *** wollte sie getödet haben, und hatte alle Wahrscheinlichkeit der Schuld wider sie zusammen zu bringen gewußt, nurich hatte eine Lücke in den geführten Beweisen entdeckt; hatte dawider geschrieen; alles war so gegangen, wie ich eben gemeldet habe, und nun sollte ich meines Klienten Unschuld beweisen oder sterben. Ich forderte von meinem Vater Urlaub auf einige Wochen zu einer Jagd, in entfernten Gegenden; ich that die erste Reise in Geschäften des Bundes; ich war glücklich [366] in meinen Ausspähungen; was ich erweisen wollte, war erwiesen, der Beklagte war gerettet, der Herzog von Sachsen lobte mich, und der Herzog von ** – schwur mir ewigen Haß.

Ich erhielt mehrere Aufträge, und ich konnte sicher seyn, daß, wo es von dem Herzog von ** abhing, allemal das schwerste auf meinen Antheil fiel. Da es mir nicht an Treue, Vorsicht und Muth fehlte, so war ich immer glücklich, ihm zum Trotz, und brachte beynahe die Unmöglichkeit zu Stande. Einst als es darauf ankam, gewisse lang verlorene Urkunden ausfündig zu machen, die sich noch von Karl des Grossen Zeiten herschrieben und an welchen sehr viel gelegen war, gelang mir die Sache so schnell, so vollkommen nach dem Willen meiner Obern, daß ich vom Herzog von Sachsen die Erlaubniß zu einer freyen Bitte erhielt, an deren Gewährung ihm, wie er sich ausdrückte, nichts als die Unmöglichkeit hindern sollte. Sorge dafür, Adolf, rufte mir der edle Fürst noch nach, als ich Bedenkzeit forderte, daß deine Forderung nicht klein sey, denn mich dünkt, wir sind dir viel schuldig.

Ich entfernte mich, und wußte wohl was ich bitten wollte. Ich war fast zwanzig Jahr, und das Versprechen meines Vaters, mich wehrhaft machen zu lassen, war wegen häuslicher [367] Umstände noch immer unerfüllt geblieben. Ich nahm mir vor, den Herzog von Sachsen um das Ritterschwerdt, und um Dienste bey seinem Heer zu bitten; eine Forderung, die mich mächtig groß dünkte, und die doch bald von einer andern verdrängt werden sollte, an deren Höhe damals alle meine Wünsche noch nicht reichten.

Meine öftere, und lange Abwesenheit aus dem Hause meines Vaters war niemand befremdend gewesen; man war dergleichen schon von meinen ersten Jünglingsjahren her gewohnt. Nur Konrad von Remen, der Vater meines Freundes des jungen Evert von Remen, schüttelte zuweilen den Kopf, und schien Gedanken zu haben, die er sich nicht zu entdecken getraute.

Da meiner Geschäfte in meinem verborgenen Amte immer mehr wurden, so weiß ich nicht wie ich länger das beschworne Geheimniß hätte behaupten wollen. Daß es mit mir eine ausserordentliche Bewandniß hatte, würde man endlich gemerkt haben; die, welche das Recht dazu hatten, hätten mich befragt, und ich hätte antworten müssen; ich sann schon auf tausend Ausflüchte, welche meinem an Aufrichtigkeit gewöhnten Herzen schwer zu behaupten gewesen [368] seyn würden, aber das Schicksal überhob mich der traurigen Nothwendigkeit meinen Vater täuschen zu müssen, indem es mir jenen Streich versetzte, welchen ich den Anfang aller meiner Leiden nennen muß.

Eine tödliche Krankheit warf meinen besten Freund, meinen theuren Vater darnieder; es kam bald dahin, daß er ohne Hoffnung lag, und ich, meine Schwester und unsere Freunde, die von Remen, trostlos an seinem Lager weinten. Wenig Stunden vor seinem Tode, verlangte er mit mir allein zu seyn, und wandte sich mit folgender Rede an mich, deren ich mich noch fast wörtlich erinnern werde.

»Mein Sohn, sagte er, ich kann und darf die Welt nicht verlassen, ohne ein Familiengeheimniß in deinem Busen niederzulegen, das auch mir mein Vater sterbend anvertraute. Mir ist es von keinem Nutzen gewesen, dagegen hat es meine Seele mit einem unruhigen Streben, nach einem unerreichbaren Gute erfüllt, welches mein Leben verbitterte, und vielleicht meinen Tod früher herbeyrief, als er sonst gekommen seyn würde. Wüßte ich, daß dieses auch dein Loos seyn würde, ich würde den Eid verwünschen, der mich nöthigt zu reden, wo ich gern schweigen möchte. Wisse, du bist nicht der [369] namen- und anspruchlose Jüngling, für den du dich hältst; du stammst aus dem Hause der Grafen von ***. Die Güter und Titel dieses Hauses, in welche sich jetzt die Bischöffe von Bremen und Münster nebst andern getheilt haben, sind dein; man entriß sie deinen Vätern, und brachte uns fast bis zur Niedrigkeit des bürgerlichen Standes herab. Mein Vater, der erste, auf welchen dieses traurige Loos ganz fiel, fand Sicherheit und Ruhe in der Verbergung seines grossen Namens, doch wollte er nicht eher sterben, bis er mir unsere Ansprüche und die Mittel sie geltend zu machen, entdeckt hatte. Er beschwur mich, mich dieser Mittel als der einigen würksamen, die er selbst nur aus Furchtsamkeit versäumt hatte, zu bedienen, oder sie wenigstens seinen Enkeln zu empfehlen, welche vielleicht besser Glück haben möchten als ihre Väter.«

Fast athemlos vor Erstaunen kniete ich an dem Bette meines Vaters; mein Herz, das von je her nach Grösse dürstete, fühlte ein Entzücken über diese Entdeckung, welches die traurigen Umstände, die dieselbe begleiteten, nicht ganz tilgen konnten. Wie? rief ich, wie mein Vater? ihr seyd Graf von ***, und dieses muß ich in diesen betrübten Augenblicken zuerst erfahren?

[370]

Unglücklicher Jüngling! erwiederte er, die Sucht nach Ehre muß dein ganzes Herz besessen haben; wie könntest du sonst jetzt auf die Entdeckung deiner Herkunft einen so hohen Werth legen! Jetzt, da die Nichtigkeit aller irdischen Dinge dir in meinem Bilde so lebhaft vor Augen liegt.

Ich erröthete über den Verweis, den ich so wohl verdient hatte, ich fühlte die Wahrheit in den Worten meines Vaters, und doch konnte ich mich nicht enthalten, begierig nach den Wegen zu fragen, auf welchen sich das verlorne wieder erlangen ließ.

»Die Wege, die ich gegangen hin, antwortete er, führten mich irre; ich suchte Gerechtigkeit an den Thronen der Fürsten, und fand sie nicht; es giebt noch einen Thron, vor welchem ich wie dein Großvater mir sagte, unausbleibliche Hülfe gefunden haben würde, aber er scheute sich, vor denselben zu treten, ich fühlte die nehmliche Abneigung und ich hoffe, du wirst mit deinen Vätern übereindenken, wenn du das Ganze übersehen kannst. Es giebt im deutschen Reiche eine heimliche Macht, welche dem Unrecht zu steuern, den Bedrückten zum Recht zu helfen weiß, wenn man ihre Hülfe gehörig sucht.«

[371] Und warum suchtet ihr sie nicht? rief ich mit Eil, indem mein ganzes Gesicht glühte, denn ich verstand vollkommen, welche Macht er meynte.

Sie sind furchtbar, jene Unbekannten, sagte mein Vater mit schwacher Stimme, ich kann dir nicht rathen, dich an sie zu wenden. Forsche, was das gemeine Gerücht von ihnen sagt, und glaube mir, daß es gefährlich ist, mit ihnen in Verbindung zu treten!

Gott! mein Vater! was habt ihr wider die heimlichen Richter? ist nicht der Herzog von Sachsen ihr Oberhaupt?

Der Herzog von Sachsen ist gut, aber was sagst du zu dem Herzog von **, seinem Stellvertreter? Dergleichen Männer gab es auch zu deines Großvaters Zeiten im heimlichen Gericht; sie müssen bey der fast gränzenlosen Macht zu schaden, der Unschuld, die an ihrem Throne fleht, immer fürchterlich seyn.

Ich wollte meinem Vater Einwürfe machen, welche mehr von meinen Geheimnissen verrathen haben würden, als ich wollte; aber es war hier keine Zeit zu weitläuftigen Erörterungen; das viele Sprechen hatte meinem Vater eine Ohnmacht zugezogen, aus welcher er sich nur erholte, mir gewisse Documente über unsere Ansprüche anzuweisen, und denn in meinen Armen zu sterben.

[372] Wer mißt meinen Schmerz, als ich denjenigen tod vor mir sah, welcher nun erst ein glückliches Leben hätte führen können? Warum erfuhr ich diese Dinge nicht eher! Mein Vater hatte sich lange traurige Jahre um eine Sache gequält, die ich ihm nun mit einem Worte hätte erlangen können. Ich wußte, daß ich sei nen Namen nun vor unserm Gericht nennen, seine Ansprüche nur beweisen durfte, so mußten alle Hindernisse, mit welchen er Zeitlebens gekämpft hatte, weichen. Denn ich, ein Einverleibter des großen Bundes, wußte die kürzesten und leichtesten Mittel, zum Zweck zu gelangen, ich vermochte vielleicht noch mehr, als irgend ein anderer, durch die Gewogenheit mit welcher mich der Herzog von Sachsen, und sein Sohn, der junge Bernhard, sein Nachfolgen in der höchsten Würde des heimlichen Gerichts beehrten, durch die treuen nicht unbeträchtlichen Dienste, welche ich bereits meinen Obern in einige Jahren geleistet, und durch die Vergunst zu einer freyen Bitte, welche ich zum Lohn für mein Wohlverhalten erlangt hatte.

Ich war außer mir! ich schlug mich vor die Stirn, und schrie tausendmal: warum wollte er, und warum durfte ich nicht reden? – O der unglücklichen Vorurtheile! – O zu spät, zu spät kommt alles Glück, da ich es nun nicht [373] mehr mit dem theilen kann, der mir auf der Welt der liebste war! O Vater! welch Entzücken, dich die letzten Jahre deines Lebens noch in dem Glanz und der Größe zubringen zu sehen, die dir zukam! das alles soll ich nun allein genießen? ach schämen, schämen werde ich mich des Ranges, der meiner wartet, da du in Dunkelheit und Armuth leben und sterben mußtest!

So wüthete ich fort, meine Freunde mußten aus meinem Bezeugen glauben, daß ich den Verstand verlohren hätte, und dieser Wahn bestättigte sich, da ich den Verstorbenen auf eine Art beerdigen ließ, die ganz seinem wahren, nicht seinem vermeynten Stande gemäß war; fast alles was ich besaß, wurde daran gewendet, seinem Leichnam eine Begräbnißstelle im benachbarten Kloster unter den Fürsten, die es gestiftet hatten, zu erkaufen.

Ich hatte in den nachgelassenen Schriften indessen noch einiges gefunden, welches mir Bedenklichkeiten erregte, ob mein Gesuch bey unsern Richtern so ganz gewiß glücken würde, als ich im ersten Feuer wähnte; der Haß des Herzogs von ** und seine große Macht schreckte mich, das Urtheil über ihn, und einige andere Mitglieder des geheimen Bundes, das ich in meines Vaters Schriften gelesen hatte, war richtig; [374] ich warf die Frage auf, die er aufgeworfen hatte. Warum werden solche Leute im Bunde der Heiligen geduldet, und fand das, was er von den Gefahren mit der Gesellschaft der Unbegreiflichen in Verbindung zu stehen, fast auf jedem Blatt äußerte, das er über diesen Gegenstand geschrieben hatte, so wichtig, daß mich ein heimlicher Schauer anwandelte; vielleicht Ahndung dessen, was mir in der Zukunft begegnen sollte.

Meine Reise zu dem sogenannten Thron der Unfehlbarkeit war indessen beschlossen; ich empfahl meine Schwester der Sorgfalt der Frau von Remen, nicht ganz gewiß, auf was für Art ich wiederkehren würde.

Wie ich meine Sache anbrachte, welche Verwunderung sie erregte, wie sie aufgenommen ward, welche Hindernisse mir in den Weg gelegt wurden, und auf was Art ich meinen Feinden zum Trotz dennoch siegte, dies sind Dinge, welche nicht hieher gehören, und die dem, der unsere Geheimnisse nicht kennt, größtentheils unverständlich seyn würden. Genug, der große Urtheilsspruch geschahe zu meinem Besten, und hatte die Folgen, die sich bey der großen Macht meiner Beschützer denken lassen. Es half den Besitzern meiner Güter nicht, daß sie Freunde und Verwandten in unserm Kreise [375] hatten, es half dem Erzbischof von Bremen nichts, daß er der Bruder des Herzogs von ** war, und ich kehrte als allgemein anerkannter Erbe der Grafen von ***, als rechtmäßiger, festbestättigter Eigner all ihrer Titel und Güter zu den Meinigen zurück. Man denke sich das Erstaunen, das diese Erscheinung bey einigen, und die Freude, die sie bey andern erregte!

Unter all meinen Freunden war keiner, der sich über meine erlangte Größe weniger freute, als Evert von Remen; meine Schwester Alverde ward ihm bereits in ihrer Kindheit zur Gemahlin versprochen. Diese Vermählung würde in ihrem ehemaligen Stande ein glänzendes Glück für sie gewesen seyn, und in ihrem gegenwärtigen mußte Evert nun zweifeln, ob er seine Augen zu ihr erheben dürfe. Ich liebte Evert von Remen, und suchte ihn bald hierüber zu beruhigen; er war ein edler Jüngling, nicht allein dem Charakter, sondern auch der Geburt nach, und ich war jetzt in einem Stande, der mir es möglich machte, ihn höher zu heben, und sein Glück ganz den Ansprüchen meiner Schwester gemäß zu machen.

Ein Unglück für ihn, – (ach sollte ich nicht sagen ein weit größeres für mich?) – war es, daß unsere Charaktere nicht ganz zusammen paßten; er war sanft, ich feurig, er [376] liebte, ungeachtet des unerschrockenen Muths und der tafern Faust, deren er sich rühmen konnte, die Ruhe; ich liebte kriegerische Thätigkeit, und hätte es gern gesehen, wenn der Urtheilsspruch der heimlichen Richter mir etwas mehr Arbeit für mein Schwerd übergelassen hätte. Evert hatte einen entschiedenen Abscheu vor allen Geheimnissen, und ich hatte nur gar zu viel, das ich vor ihm verbergen mußte. Er predigte mir täglich, daß unter Freunden, wie wir, keine Zurückhaltung statt haben dürfe. Er war klug genug, manches Verborgene bey mir zu ahnden. Er forschte, wo er nicht hätte forschen sollen, schlich mir nach, wo ich allein seyn wollte und mußte, verfocht Dinge gegen mich, die er nicht verstand, leugnete andere, die ich besser wußte, ohne ihn überführen zu dürfen, und so war die Fehde zwischen uns erklärt; tausendfache Zwistigkeiten entsponnen sich, und ob wir uns gleich immer wieder versöhnt in die Arme schlossen, ob wir uns gleich am Ende betheuerten, es sey Thorheit für solche Freunde, wie wir sich zu entzweyen, und uns zuschwuren, jede Ursach zu neuem Streit von beyden Seiten zu vermeiden, so war doch der Grund unserer Freundschaft schon insgeheim untergraben, und es brauchte nur Veranlassung von aussen, uns völlig zu trennen.

[377] Mein neuer Stand, und der Rang, den ich als Graf von *** im Reiche der Unsichtbaren behauptete, zog viel neue Verbindungen nach sich. Freunde und Feinde wurden theils, durch Geschäfte zu meinem genauern Umgang geführt, theils hielten sie es aus bösen und aus guten Absichten für dienlich, sich zu mir zu drängen; die, welche ich bereits als meine Feinde kannte, den Herzog von ** und seinen Anhang wußte ich zu meiden, in Ansehung der andern wurde ich freylich, wie meistens der Fall ist, durch Zufall und Vorurtheil geleitet. Ich wählte mir unter dem ganzen Haufen, der mich umgab, zwey Freunde, die in der Folge den größten Einfluß auf mein Schicksal hatten; der eine ließ sich von mir suchen, es war der edle Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, ein junger Mann, der erst seit kurzer Zeit in unsern Bund getreten war; der andre drängte sich mühsam zu meiner Freundschaft, und wußte sie durch seine ganz eigene Gabe zum Gefallen ganz an sich zu reißen; sein Name war Peter von Kalatin, der Unglückliche, welcher in der Folge von meinem Schwerde fallen mußte, ein Mann, von dem ich heute noch nicht genau weiß, ob seine Farbe schwarz oder weiß war, denn sobald tausend Wahrscheinlichkeiten aufstiegen, mir ihn als einen Verräther zu zeigen, so erhebt sich im [378] innersten meiner Seele eine Stimme: Er war dein Freund, und du hast ihn ermordet! Alle Bemühungen meines Herzens, ihn zum Verbrecher zu machen, sind Tücke, die nur zu Verminderung deiner eigenen Schuld abzielen! – O Gewissen, Gewissen wird deine Geißel nimmer ruhen? muß dein Geschrey jedes Mittel vernichten, das ich zu meiner Beruhigung ersann?

Laßt mich fortfahren. Laßt mich umständlicher von diesem Peter von Kalatin reden. Außer seinem einnehmenden Aeußerlichen, außer seiner wunderbaren Kunst sich gefällig zu machen, war noch etwas, das mich zu seinem Freunde machte, ich glaubte Großmuth in seinem Betragen gegen mich zu entdecken. Peter Kalatin stand schon auf einer sehr hohen Stufe im Rath der heimlichen Richter, da ich erst zu den untersten Graden eingeweiht wurde, schon damals hatte er mir keine Ursach zur Klage gegeben, so oft ich auch in Geschäften mit ihm zusammentraf; er war herablassender und gütiger gegen mich gewesen, als irgend einer von den Obern, und jetzt, da mich das Glück und mein entdeckter Stand emporhob, da es mich ihn und tausend andere überspringen machte, da ich auf einer Höhe stund, die er nie zu erreichen hoffen konnte, jetzt entdeckte ich dennoch nicht eine Spur, von der Mißgunst, von der [379] scheuen Zurückhaltung an ihm, die ich wohl an Höhern als er, die ich selbst an dem Herzog von ** wahrgenommen hatte. Er blieb gegen mich immer der nehmliche nur daß das, was zuvor Freundlichkeit gegen einen Geringen war, sich jetzt in Freundschaft verwandelte; diese Erscheinung, deren Seltenheit mich die Erfahrung beurtheilen lehrte, nahm mich für ihn ein, ich ward zuerst sein Freund, blos weil ich ihn weniger bös als andere fand, bis er sich mein Herz durch wahre oder erkünstelte Tugendproben noch mehr zu eigen machte.

Als Kalatin merkte, wie fest er in meinem Herzen saß, ließ er mich auch einen tiefern Blick in das seinige thun; er verheelte mir nicht, daß er meine Schwester liebte, und sich Hoffnung auf ihren Besitz machte; eine Entdeckung, die mir nicht allerdings behagte. Stolz war meine herrschende Leidenschaft; so werth mir auch Kalatin war, so dünkte mich doch sein Stand gegen den meinigen zu gering. Nur um eines Everts von Remen willen hätte ich meiner Schwester erlauben können, durch Heyrath eine Stufe herabzusteigen. Evert von Remen, mein alter Jugendfreund, hatte die Liebe meinen Schwester, hatte das Versprechen meines Vaters; Dinge, welche bey Kalatin hinwegfielen, und deren Mangel ihn eine abschlägliche Antwort [380] finden ließ, bey welcher mir doch des jungen von Remen frühere Ansprüche zum Vorwand dienen mußten.

Ich weiß nicht, ob Kalatin den Grund meiner Weigerung ganz durchschaute; er schien wenigstens damals Everten für die Haupthinderniß seines Glücks zu halten, und sparte keine Kunst, sie hinweg zu räumen. Sehr künstlich mußte er in seinen feindseligen Verfahren gegen seinen Nebenbuhler zu Werke gehen, da ich nicht gewahr wurde, daß er es war, welcher meinen alten Jugendfreund meinem Herzen nach und nach zu verleiden wußte, da ich erst lang hintennach Spuren seiner Machinationen zu unserer Entzweyung zu entdecken glaubte, und daher Zweifel in seine Redlichkeit schöpfte, welchen noch mehrere Umstände an die Seite traten.

Damals war ich noch ganz zu seinem Vortheil eingenommen; daß der Umgang Everts von Remen mir immer gleichgültiger, endlich gar lästig wurde, dieses schrieb ich weniger Kalatins witzigen Ausfällen auf ihn, als der Vergleichung zu, die ich zuweilen zwischen diesen meinen beyden Freunden in der Stille machte, und bey welcher Evert unglaublich im Schatten stand. Wie konnte sich dieser schlechte geradsinnige Deutsche mit dem glattzüngigen Hofmann, Kalatin, messen! wie fein und einschmeichelnd war jedes[381] Wort, jede Handlung des letzten, wie steif und störrig betrug sich der erste, besonders seit er es ahndete, daß mein Herz sich allmälig von ihm losriß! Wie zudringlich war Evert in seinem Nachforschen, wie entscheidend, oft beleidigend in seinen Urtheilen! Er hatte sich nach meinen Gedanken ganz geändert; er war sonst so sanft und nachgebend, wie war er auf einmal so eigenwillig geworden? Ich erstaunte über die Veränderung, an welcher eigentlich nur ich selbst schuld war, und bedachte nicht, daß Vernachlässigung diese Erscheinung bey den besten Seelen am ersten hervorbringen kann.

Meine Schwester führte über unsern alten Freund die nehmlichen Klagen; Kalatin affektirte seine Partie zu nehmen, aber er that dieses auf eine so feine Art, welche nur ihm selbst zum Besten, seinem seyn sollenden Klienten zum größten Nachtheil gereichte. Allgemach kamen verdeckte Anspielungen zum Vorschein, daß ich ja weder durch Eid noch Pflicht an den Herrn von Remen gebunden sey, und meiner Schwester leicht wo ein besseres Glück lachen könne, besonders wenn ich sie nach Hofe brächte, welches ohnedem jetzt, da sie mehr heranwüchse, unumgänglich geschehen müßte.

Ich weiß nicht, was Kalatin darunter suchen mußte, mich aus meinem Vaterlande zu [382] entfernen; er brachte die Nothwendigkeit einer solchen Reise unaufhörlich auf die Bahn, bald war es die Einführung meiner Schwester in die Welt, die seinem Vorgeben nach, dieselbe erforderte, bald wußte er andere Ursachen anzuführen. Ich gab ihm hierin wenig Gehör. Ihr wißt, Herr von Kalatin, sagte ich oft, daß ich nicht von mir selbst abhänge; von einer Reise aus meinen Landen, müßte der Herzog von Sachsen unausbleibliche Kundschaft haben, und ich zweifle, daß er sie billigen würde, da er weiß, daß meine Gegenwart hier nöthig ist, auch um meines eigenen Vortheils willen nöthig ist. Der Besitz einiger Jahre hat mich in meinen Rechten noch nicht so befestigt, daß nicht die ehemaligen eingedrungenen Eigner, daß nicht besonders der Erzbischof von Bremen mir Gefahr drohen sollte, wenn ich mich jetzt entfernte.

Kalatin wußte nichts auf meine Einwürfe zu sagen, und schwieg. Er ließ dem Anschein nach alles gehen, wie es ging, und lebte friedlich in meinem Hause, das ich ihn gebeten hatte als das seinige anzusehen. Ununterbrochener Umgang, der sonst oft den liebenswürdigsten Personen nachtheilig ist, gereichte ihm nur zu Erhöhung seines Werths in meinen Augen; seine mir mißfällige Leidenschaft für Alverden, schien er so ganz besiegt zu haben, daß er mit [383] mir oft von anderweitigen Verbindungen sprach, die er im Sinne habe, und in Summa, ich habe all diese Zeit über nichts verdächtiges an ihm entdeckt, als einen fleissigen Briefwechsel nach Rom und mit dem Herzog von **; Dinge, wegen welchen er sich sehr gut zu rechtfertigen wußte.

Als wir eines Tages von seinem Entschluß sprachen, sich eine Gemahlinn unter den Töchtern unsers Vaterlands zu wählen, und ich ihm scherzend verschiedene Damen vorschlug, fragte er mich mit einem scharfen Blick, ob ich nie geliebt habe?

Nie, Kalatin! mein Umgang mit den Frauen, war von je her gering, und deren, die ich meiner Wahl vollkommen würdig halten könnte, sah ich noch nie eine.

Und was für Vorzüge werden wohl bey einer künftigen Gräfinn von *** erfordert?

Außer denen, welche jeder Mann sich an einer Lebensgefärthin wünscht, noch Rang und hohe Geburt; ich wünsche bey meiner Wahl die Augen ehe über mich als zur Seite oder unter mich zu richten. Ich finde unter meinen Eltermüttern mehr Prinzessinnen als bloße Edelfräuleins; will ich den Glanz meines Hauses wieder herstellen, so muß ich wählen wie meine Ahnen wählten.

[384] Ihr habt recht, Herr Graf, aber wie wollt ihr solche Damen kennen lernen, die eurer Hand würdig sind, wenn ihr euer Land nie verlasset?

Ich bin noch nicht veraltet, Kalatin, erwiederte ich mit Lachen, was ich heute noch nicht sah, kann ich in zehn Jahren Zeit genug erblicken, indessen wird noch manche schöne Blume für mich lieblich heranblühen!

Und manche gebrochen werden oder welken, versetzte er, welche vielleicht der Himmel eben für euch bestimmte. Europa ist jetzt reich an schönen Fürstinnen, deren ihr auf diese Art nicht eine in voller Blüthe sehen würdet, wenn euer Diener Kalatin und ein freundlicher Maler eurer Bequemlichkeit nicht etwa zu Hülfe käm, und euch das vor Augen brächte, das euch aufzusuchen zu beschwerlich dünkt.

Wie Kalatin? ihr besitzt ein Bilderkabinet von allen jetzt lebenden fürstlichen Schönheiten?

Bey weiten nicht von allen, doch kann ich mich rühmen die treusten Kopien von fünf unsrer schönsten Prinzessinnen zu haben, die ich nur herüber bringen lassen darf, um sie euch zu zeigen.

Wer fühlt nicht Neugier, das größte Meisterstück der Schöpfung, ein schönes Weib zu sehen, sollte es auch nur im Bilde seyn! Ich [385] fand großes Behagen an dem Einfall meines Freundes, und dieses um so viel mehr, da sich doch der Gedanke in meinem Innersten zu regen begunnte, ob ich nicht unter den versprochenen Gemälden vielleicht diejenige finden könnte, die mich die Liebe kennen lehren sollte.

Der köstliche Transport ward mit Ungeduld erwartet, das Kistgen, welches die gewünschten Schätze enthielt, in ein einsames Gartenkabinet getragen, und so begierig eröfnet, als sich von einem jungen Manne, der sein fünf und zwanzigstes Jahr noch nicht geendigt hatte, und der jetzt den Gegenstand seiner Phantasien zu sehen hofte, und von seinem dienstfertigen Freunde erwarten ließ.

Macht euch gefaßt, sagte Kalatin, indem er die Hüllen der Kunstwerke des Malers nach und nach hinweg räumte, macht euch gefaßt, hier das schönste und erhabenste zu sehen, was unsere Zeiten an weiblichen Reitzen aufzuweisen haben; ich werde euren Augen die drey Töchter Kaiser Philipps, die man gemeiniglich nur die drey Heldinnen nennt, die Prinzessin Adila von Pohlen und die schöne Alix von Toulouse vorstellen, wählet nun, und bedenket, daß kein Fürst euch seine Tochter versagen wird.

Ich antwortete Kalatin nicht, denn ich war ganz im Anschauen dessen verloren, was [386] sich nun vor meinen Augen enthüllte. Ich sahe die blühende Adila, König Premislaus Tochter, ich sahe die majestätische Elise, die zauberische Kunigunde, welche mir wegen des verbuhlten Blickes, so schön sie auch war, unter allen am wenigsten gefiel, und die junge Beatrix, schön und im ersten Aufblühen, wie die Göttin der Jugend, und lachend wie die Göttinn der Freude; dieselbe sahe ich, aber wie soll ich den Sinn nennen, der mir das Bild der himmlischen Gräfinn von Toulouse vorstellte! Ich sahe ihre Reitze nicht, ich fühlte sie tief im Herzen. Alle Bewunderung, alles staunende Entzücken, das die andern Schönheiten in mir erregt hatten, verschwand bey den Gefühlen, die mir der Anblick dieser Ueberirdischen einflößte. – O Gott! wenn ich mir sie ins Gedächtniß zurück rufe, wie ich sie damahls im Bilde, wie viel herrlicher ich sie in der Folge, in Person sah, so ists als ob ein himmlisches Licht meinen Kerker durchstrahlte! – O Alix, Alix! auch um deinetwillen trage ich diese Ketten, wohin hat mich Liebe und Gram um dich geschleudert! Du bist bey Gott! lange konntest du nicht von deinem Vaterland, dem Himmel, getrennt bleiben! Die unschuldvolle Engelsmine, das unaussprechliche Lächeln einer vollendeten Seeligen, [387] der überirrdische Blick der himmlischen Augen, jeder Theil des ganzen Alls, das mich so bezauberte, hätte mir ja sagen sollen, daß ich in dir einen Gegenstand anbetete, der gar nicht für die Liebe eines Sterblichen bestimmt war. Ach daran dachte ich nicht, als ich deine Reitze zuerst erblickte! ich schaute und konnte deines Anblicks nicht satt werden, bis der Eindruck unaustilgbar ward, vor dessen Gefahren mich niemand warnte.

Ach wer hätte mich warnen sollen! vielleicht Kalatin! war ers nicht, der mich mit diesen Zauberbildern in irgend eine unglückliche Leidenschaft zu verstricken suchte? – Sonderbar war es mit alledem, erst lang nachher in der Zukunft habe ich mirs überdacht, und daraus neuen Verdacht wider Kalatins Redlichkeit geschöpft, sonderbar war es, daß er unter allen Prinzessinnen, deren es, wie er selbst sagte, damahls so viele von bewundernswürdiger Schönheit gab, keine einige Unversagte gewählt hatte, sie meinen Augen vorzustellen. Unter diesen fünfen hätte meine Wahl fallen mögen, auf welche sie gewollt hätte, so wär ich unglücklich gewesen. Adila liebte Herzog Bernharden von Sachsen, Elise war an Otto von Wittelsbach versprochen, Kunigunde an Graf Richarden von Segni schon vermählt, Beatrix dem Herzog von [388] Braunschweig bestimmt, und Alix, ach meine göttliche ewig unvergeßliche Alix, versprochene Königinn von Kastilien; Dinge, welche ihm, dem alleswissenden Hofmann, nicht unbekannt waren, wovon aber ich in meiner Einsamkeit freylich kein Wort gehört hatte. Briefe von dem Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach, die ich fleissig von Hofe erhielt, hätten mich wohl über diese Dinge benachrichtigen können; aber sie waren größtentheils in der romanischen Sprache geschrieben, die ich nicht sonderlich verstand, und bey welcher ich mich allemahl Kalatins Hülfe bedienen mußte; der mir ja, wenn er einmahl ein Verräther seyn wollte, verdeutschen konnte, was er selbst wollte, und was in seine Plane taugte.

O Kalatins Schatten! verzeihe, wenn ich dir unrecht thue, ich sehe freylich nicht ein, was dir es gefrommt haben würde, mich gutwillig in unmögliche Liebe zu verstricken, gleichwohl aber ist die Lage der Sachen so, daß ich diesen Verdacht fassen muß, den ich freylich damals nicht kannte. Einmahl ist so viel gewiß, daß du mich auf einen Pfad stelltest, wo ich unter fünf Wegen wählen konnte, welchen ich wollte, mit der Gewißheit, auf jedem, nur auf verschiedene Art, unglücklich zu werden.

[389] Aber mußte ich mich denn fangen lassen? Konnte ich nicht bey allen Reizen, die mir aufgestellt wurden, kalt und unempfindlich bleiben? – Doch, um mein Herz zu stählen, hätte ich Verrath ahnden müssen; auch hatte Kalatin Sorge getragen, mich all die Zeit über, da ich in Erwartung seiner Zauberbilder lebte, auf eine Art zu unterhalten, die mein junges unerfahrnes Herz jedem Eindruck der heftigsten Leidenschaft öfnen mußte.

Ihr seyd also gefangen, sagte Kalatin, als er mich im Anschauen meines geliebten Bilds ganz verloren sah, ihr seyd gefangen, und die schöne Alix von Toulouse hat die Ehre des Siegs. Viel Glück, Herr Graf! Nur bitte ich euch, nun nicht zu säumen, sondern euch eilig nach dem Orte aufzumachen, wo eure Göttinn lebt, denn ihr begreift wohl, daß Damen, wie sie, nicht lange für den Liebhaber aufgehoben werden möchten, und daß ihr schnell zugreifen müßt, wenn ihr euch ihres Besitzes bemächtigen wollt.

Ich fühlte die Nothwendigkeit dessen, was mir Kalatin anrieth, nur gar zu gut, die Reise nach Frankreich ward von nun an der Gegenstand all meiner Gespräche mit ihm; aber wie sie ohne Versäumniß nöthiger Pflichten möglich gemacht werden sollte, das blieb immer unentschieden, [390] bis ein Befehl von den Obern unsers Bundes, meine Lande zu verlassen und mich unter verstelltem Namen nach Pamiers zu begeben, alles entschied. Gelegner hätte mir wohl kein Auftrag kommen können, ich ergriff ihn mit beyden Händen, und bemerkte nicht, was ich mir wohl nachher bedachte, daß an Form und Art ihn zu erhalten, manches zu finden war, das mir ihn hätte verdächtig machen können. Genug, ich wußte, daß die Vornehmsten von den Unsern sich um verborgener Ursachen willen insgeheim zu der großen Versammlung der Bischöffe begeben würden, die damahls zu Pamiers gehalten wurde, und ich fand es nicht unwahrscheinlich, weil ich es nicht unwahrscheinlich finden wollte, daß auch ich dazu berufen ward; überdieses dachte ich Herzog Bernharden von Sachsen daselbst zu finden, und über alles, was mich hätte befremden können, von ihm Aufklärung zu erhalten. Ach ich wußte nicht, daß dieser edle Fürst damahls krank lag, und den feindseeligen Herzog von ** als seinen Stellvertreter hatte nach Frankreich abgeben lassen müssen.

Meine Anstalten zur Reise wurden ernstlich. Liebe und Pflicht riefen mich, wie hätte ich säumen sollen! Ich dachte zuerst einen Besuch bey dem Grafen von Toulouse zu machen, seine schöne Schwester zu sehen und um sie zu [391] werben, (alles Dinge, welche mir Kalatin, der es doch besser wissen mußte, ausnehmend leicht machte,) und dann hofte ich noch übrige Zeit zu haben, mich bey der Versammlung zu Pamiers einzufinden, da von der Zeit, in welcher ich meine Herzensangelegenheiten zu endigen meynte, bis auf den von meinen Obern bestimmten Tag noch ein ganzer Monat zu rechnen war.

Meine Absicht war, meinem Freund von Remen, den ich immer noch schätzte, ob ich ihn gleich nicht mehr lieben konnte, die Hut meines Landes, und seiner edeln Mutter meine Schwester anzuvertrauen, die ohnedem fast beständig in ihrem Hause lebte. Plane, welche wohl für uns alle die sichersten gewesen seyn würden, aber sie standen Kalatin nicht an, er misbilligte sie, und wußte sie zu hintertreiben.

Ein Gewebe von Umständen zeigte sich, die mir die Treue meines Freundes, und selbst die Redlichkeit seiner Mutter verdächtig machen mußten, ich würde sagen, sie wären von Kalatin herbeygeführt worden, wenn er nur den geringsten Antheil daran zu haben geschienen hätte, und doch weis ich wiederum nicht, welche andere Hand, als die seinige, hier gewürkt haben könnte, da mir des unglücklichen Everts von Remen Unschuld in der Folge fast ganz erwiesen [392] und sein Nebenbuhler, Kalatin, immer verdächtiger ward.

Damahls war ich verblendet gegen die Schuld und die Unschuld des einen und des andern, ich sah nichts als die Unwiderleglichkeit des Schlusses, welchen Kalatin aus den Entdeckungen zog, die ich eben von der vermeinten Treulosigkeit derer von Remen gemacht zu haben glaubte.

Eure Schwester, Herr Graf, sagte er, ist an keinem Orte unsicherer, als im Hause derer von Remen, ihr dürft sie nicht in demselben zuzücklassen; auch diesen Abend muß sie in das Eurige abgefordert werden; ihr könnt sie euch nach Frankreich folgen lassen, ich selbst will ihr Begleiter seyn. Ihre Unterhandlung kann euch bey der Gräfinn von Toulouse sehr nöthig werden, sie lebt zu Lion in einem Kloster, wir wollen Alverden in eben dasselbe bringen, die schöne Alix lerne durch die Schwester den Bruder kennen, damit ihr Herz für euch eingenommen werde, ehe sie den Befehl erhält die eurige zu werden, und ihr Besitz nicht die Frucht des Gehorsams gegen ihre Anverwandten, nein, freywillige Ergebung, eigene Wahl sey.

So redete Kalatin, und Gott weis, ob er eines dieser Worte im Ernst und ohne Nebenabsichten sprach; mich hatten Liebe und Vorurtheil [393] verblendet, und ich glaubte ihm. – – Ich bedachte weder die Ungewißheit, auf welcher noch das Glück meiner Liebe beruhte, noch die Undankbarkeit gegen die von Remen, indem ich Alverden aus dem Hause zurückforderte, in welchem sie fast erzogen worden war, noch die schwankenden Beweise, welche mir gegen die Treue meiner alten Freunde beygebracht wurden, noch die Unschicklichkeit, meine Schwester einem Menschen anzuvertrauen, welcher sie ehemahls geliebt hatte. Jede Erwegung wurde von dem Vertrauen auf Kalatin und von den Anschlägen auf den Besitz der schönen Gräfinn von Toulouse verschlungen.

Ich that meiner Schwester einige vorläufige Anträge, welche zu Ausführung unserer Plane leiten sollten, ich ließ ihr das Bild der Gräfinn von Toulouse sehen, sagte ihr von der Nothwendigkeit, das Haus der Frau von Remen zu verlassen und mir zu folgen; aber ich fand mehr Einwendung bey dem jungen Mädchen, als ich vermuthet hatte. Ihr Herz war frey von Leidenschaft, ihr Verstand nicht von den Täuschungen der Liebe umnebelt, sie sahe also freylich heller, und urtheilte richtiger als ich. Sie mußte indessen nachgeben; sie erfuhr von unserm ganzen Plan und seinen Bewegungsgründen nur so viel ihr zu wissen nöthig war; man empfahl ihr Geheimhaltung, und ihre Bedenklichkeiten, welche [394] doch noch etwa überblieben, wurden durch die fast kindliche Ehrfurcht, welche sie gegen mich, ihren Bruder, hegte, und durch die Ueberzeugung gehoben: sie thue recht, wenn sie mir gehorche.

Noch jetzt weis ich nicht, wie ich – (angenommen, daß Kalatin ein Verräther war) – mich so von ihm konnte verblenden lassen. Alle meine Verfügungen, auch in Ansehung meiner Lande, wurden blos so getroffen, wie er es für gut hielt. Erst lang nachher habe ich erfahren, daß alles schon damals verloren gewesen wäre, wenn der redliche Evert von Remen sich an meine Einrichtungen gekehrt, und mir nicht wider Willen gedient hätte. – Der Erzbischoff von Bremen, welcher kaum meine Entfernung abwarten konnte, um einen Einfall in meine Lande zu thun, wurde blos durch Everts Klugheit und Tapferkeit zurück getrieben, indessen ich mich von seinem Feinde verleiten ließ, verrätherisch an ihm zu handeln, ihm die Treue zu brechen, und ihm seine Geliebte entführen zu lassen.

Meine Entfernung aus meinem Lande schien – so hat mich erst spätes Nachdenken gelehrt, – eine Sache zu seyn, auf welche man viel gebaut hatte; darf ich meinen Muthmassungen trauen, so trieb man sie durch Kalatin, [395] auf den immer all mein Verdacht zurück kehrt, blos darum so emsig, daß man mich meiner Besitzungen berauben, und sich, Gott weiß zu welchen Entzwecken, meiner Person bemächtigen möchte.

Von heimlichen Nachstellungen hatte ich Spur, ehe ich noch fünf Meilen von meinem Residenzschlosse war, ich entging allen Fallstricken, welche mir auf meiner Reise gelegt wurden, bald durch Behutsamkeit, bald durch mein gutes Schwerdt immer glücklich, bis mich endlich an den Gränzen von ***, übel verstandene Gutherzigkeit in die Stricke von Feinden fallen ließ, welche ich nicht kannte, und spät genug kennen lernte.

Es war einst gegen den Abend, als ich auf einem Scheidewege anlangte; ich war einsam, und der Gegend unkundig. Ein alter Mann saß am Wege und sprach mich um eine Gabe an. Guter Vater, sagte ich, indem ich ihm reichlich mittheilte, welcher Weg führt mich zu der besten Herberge? –

Der Rückweg, gestrenger Ritter, war die Antwort.

Wie das? fragte ich.

Ihr werdet wissen, wo ihr diese Nacht geruht habt, und ob euch daselbst wohl war; wo ihr ruhen werdet, und ob euch da wohl seyn wird, wißt ihr nicht!

[396] Ihr habt recht, Alter, und eben darum frage icheuch.

Ich weiß nur so viel, daß der enge Pfad dort unten, euch in den Wald führt, welchen Räuber unsicher machen, und daß jener, der euch zwar noch vor Mitternacht in die Stadt bringen würde, wenigstens für euch unsicher seyn möchte.

Warum für mich?

Ihr müßt Feinde haben, junger Ritter, ich sahe Gewappnete im Busche lauschen, die euren Namen nennten, und von euch, als einer freyen Beute, sprachen.

Meinen Namen? Wie kann euch dieser bekannt seyn?

Als ob euer Gesicht das Haus, aus welchen ihr entsprossen seyd, verleugnen könnte! Auch sahe ich, als ihr mir eure mehr als fürstliche Gabe reichtet, den Ring mit dem Wappen eurer Voreltern an eurer Rechten. Dreyßig Jahr habe ich unter eurem Grosvater theils in des Kaisers Kriegen, theils in seinen eigenen mit dem Bischoff von Bremen gedient, so wird mir doch sein Enkel kenntlich seyn? – Graf Raimund von *** war in euren Jahren ein Herr wie ihr! ich würde glauben, in die Zeit meiner Jugend zurück versetzt zu seyn, und ihn lebend vor mir zu sehen, wenn mich[397] nicht die Hinfälligkeit meines Körpers, diese zusammengeschrumpfte Haut und dies zerlumpte Kleid eines andern belehrten.

Wie? schrie ich, ihr dientet unter der Fahne meines Hauses, und alles was ihr in seinen Diensten erwarbt, war der Bettelstab?

Macht mir mein elendes Gewerbe nicht zum Vorwurf, ich treibe es nicht für mich, sondern für meine nach Brod wimmernden Enkel, die in mir ihren einigen Versorger sehn.

Gott! Gott! schrie ich, und das sollte ich wissen und nicht helfen? Nein, Alter, ich verlasse diese Gegend nicht, bis ich die Schuld meiner Voreltern bey euch abgetragen habe. Ich bin euch überdem mit eigner Schuld verhaftet; ihr waret mein Warner vor Gefahr, die mir nicht unwahrscheinlich dünkt, da ich auf meiner Reise Spuren genug von heimlichen Nachstellungen hatte.

Und was wollt ihr machen, Graf Adolph?

Mit euch gehen will ich, in der Hütte der Armuth übernachten, und sie beym Abschied in ein bequemes Haus verwandeln. Eure Kinder sollen die Meinigen seyn, ich will euch genug zu eurer und ihrer Verpflegung hinterlassen.

Ich bedaure Euch, sagte der Alte, indem er sich ziemlich munter an seinen Krücken in [398] die Höhe richtete, euer Nachtlager unter meinem Dach wird schlecht seyn, es schützt kaum mich und die Meinen vor Wind und Regen; doch kommt mit mir, besser mögt ihr euch immer bey mir als da befinden, wohin ihr ohne meinen Rath, gekommen seyn möchtet.

Ich trat den Weg an, den mir mein Begleiter zeigte. Um seinen schwachen Füssen zu Hülfe zu kommen, stieg ich von meinem Roß ab, und leitete es langsam hinter mir her, so daß er gleichen Schritt mit mir halten konnte, welches ihm in der That leichter ward, als ich gedacht hätte.

Mit Erzehlungen aus der alten Geschichte meines Hauses, unterhielt er mich so lang und so angenehm, daß ich kaum gewahr ward, daß die Sonne gänzlich unter den Horizont hinunter war, und wir in immer wachsender Dämmerung gingen. Er schien meine schwache Seite zu kennen und nützte sie, er ward so wenig müde von den Thaten meiner Voreltern zu erzehlen, als ich, von denselben zu hören.

Mitten in einer seiner interessantesten Geschichten, begegnete uns ein wohlgekleideter Mann, der meinen Begleiter zu kennen schien, und ihn in romanischer Sprache anredete, von welcher ich, wie ich schon gesagt habe, nur wenig verstand, besonders wenn sie so geschwind, wie hier, gesprochen wurde.

[399] Schon wurde ich ungeduldig, über die etwas lang daurende Unterhaltung, als sich der Alte zu mir wandte. Dieser Mann, sagte er, ist ein Bedienter unsers gnädigen Herrn des Besitzers dieser Gegend, er fragt mich, wohin ich euch führe, er ahndet aus eurem Ansehen einen Gast, der für meine Bewirthung zu hoch ist, und wagte es, euch im Namen seines Gebieters auf das Schloß einzuladen, wo ihr euch besser befinden werdet, als in der Hütte eines Bettlers.

Der Fremde verbeugte sich sehr ehrerbietig vor mir, und versicherte mich in gebrochenem Teutsch, daß ich seinem Herrn zwar ein unbekannter und unvermutheter, aber sehr angenehmer Gast seyn würde, indem er keinen Fremden von Stande unbewirthet vor seiner Burg überziehen lasse, und allen seinen Leuten ungemessenen Befehl ertheilt habe, wen sie in seinen Bezirken fänden, der des Ansehens wär, sich an seinem Tisch zu zeigen, mit geziemender Achtung an denselben zu erbitten.

Das Ansehen des Redners gefiel mir so wenig, als seine Sprache, ich kannte weder ihn noch seinen Herrn; Erfahrung hatte mich Behutsamkeit gelehrt, und eine abschlägige Antwort war auf meiner Zunge; ich zog die Herberge [400] unter dem armseeligen Dache meines ehrlichen Kriegers, dem Schlosse jenes Unbekannten vor. Ich wandte mich nach ihm um – und sah mit Erstaunen seine Krücken zu meinen Füssen liegen und ihn, mein Pferd am Zügel davon führend, mit der Schnelligkeit eines Vogels über ein Stoppelfeld eilen.

Gnädiger Herr! stammelte mein undeutscher Unbekannter, ihr erstaunt über das, was ihr hier seht? Vermuthlich wisset ihr nicht, daß ihr euch in sehr bösen Händen befandet; dieser Mann ist der Anführer einer berufenen Räuberbande, dessen Geschäft es ist, unglückliche Reisende unter mancherley Verkleidung ins Netz zu locken; er scheut hier nichts als die Macht meines Herrn, der seiner Bosheit schon mehr Opfer entrückte; und ihr habt eurem Heiligen zu danken, der mich euch gerade zu eurer Rettung entgegen schickte.

Starr vor Erstaunen sah ich den Unbekannten an; daß jener Alte ein Betrüger war, dies fiel mir in die Augen; aber ob ich mir bey dem, der ihn vertrieben zu haben schien, und doch vielleicht ingeheim mit ihm einverstanden war, etwas besseres zu versehen hatte, das konnte ich nicht errathen.

Er schien die Meynung meines durchdringenden Blicks nicht zu verstehen, er ging vor [401] mir gelassen dahin, als wenn es die Nothwendigkeit erforderte, daß ich ihm folgen müsse, redete von der Nähe des Schlosses, von der Gesellschaft, die ich daselbst finden würde, und von einer Menge anderer Dinge, mit der größten Unbefangenheit; ich verstand ihn nur halb, weil er sehr schlecht sprach, und eine Menge fremde mir ganz unverständliche Worte einmischte.

Ich wußte nicht, was ich thun sollte, mir kam vor dem Orte, wohin er mich führen konnte, ein Grauen an, und gleichwohl sah ich mich hier in einer ganz fremden Gegend, wo ich nicht wußte, ob mir nicht vielleicht noch größeres Unglück drohen möchte.

Mein Führer wandte sich, als er mein Zögern merkte, nach einer Weile ganz gelassen nach mir um, und sahe, daß ich mein Schwerd gezogen hatte, und es blos in den Händen trug. Ich glaube, ihr fürchtet euch vor mir, sagte er mit einem widrigen Lachen, seht ihr nicht, daß ich unbewehrt bin? Gebt euch doch zufrieden!

Er schlug den Mantel zurück, und zeigte mir, daß er weder Schwerd im Wehrgehäng noch Dolch im Gürtel hatte. Ich schämte mich des Verdachts der Furchtsamkeit, und schlenderte mit etwas festerm Schritt an seiner Seite her. Wir schwiegen beyde, wie Leute, welche nicht ganz wissen, was sie von einander zu halten haben. Ich fragte nach dem Namen seines Herrn, und [402] bekam keine Antwort; zwischen den Zähnen murmelte er etwas in seiner Sprache, davon ich nur die Worte, Gehen oder Bleiben verstehen konnte; dies schien mir der Trotz eines redlichen Mannes zu seyn, der sich durch falschen Verdacht beleidiget fühlt, ich steckte mein Schwerd ein, und überredete mich, daß ich ohne Ursach bange gewesen sey.

Dort ist das Schloß, sagte er nach einer langen Weile, als wir hinter einem Hügel hervor, auf eine weite Ebene kamen; ihr könnt euch nun entschließen, ob ihr dort oder hier unter freyem Himmel übernachten wollt.

Ich gehe mit euch, erwiederte ich, und verzeiht, wenn ich, durch viel traurige Erfahrungen gewitzigt, euch Unrecht that.

Wir traten jetzt in einen großen Vorhof ein, wo verschiedene Bedienten mit Fackeln um uns her kamen. Ist die Gesellschaft heute groß? fragte mein Begleiter. Wir haben, war die Antwort, heute keinen Fremden, als den ihr uns bringet; er wird dem Herrn und seinen Freunden willkommen seyn.

Meine Furcht war jetzt ganz verschwunden; ich sah wohl, daß ich mich in keiner Räuberhöhle, wohin ich geführt zu werden besorgt hatte, sondern würklich in dem Pallast eines großen Herrn befand, wo alles Pracht und Reichthum athmete. [403] Man öffnete einen großen erleuchteten Speisesaal, wo ich eine sehr zahlreiche Gesellschaft bey gefüllten Bechern sitzen sah, welche mir noch besser und unverdächtiger geschienen haben würde, wenn mir nicht ihre Kleidung auf den ersten Blick gezeigt hätte, daß sie größtentheils Geistliche wären; ein Stand, bey welchem ich, wie ich wußte, in keiner sonderlichen Gunst stand, und vor welchem auch ich immer noch mehr Furcht als Ehrerbietung gehegt hatte, weil ich wußte, daß ich mächtige Feinde in demselben hatte.

Der Herr des Hauses, ein freundlicher fetter Mann, mit der Miene der Intrigue in den scharfblickenden Augen, trat mir entgegen, er trug ein elegantes geistliches Negligee, ohne Abzeichen einer hohen kirchlichen Würde, als das goldne Prälatenkreuz, das mir ihn als einen Bischof vorstellte. Ich ward bewillkommt, freundlich zur Tafel geladen, an eine der Oberstellen gesetzt, und durch Freundlichkeit, Trunk und zutrauliches Wesen, damit man mir von allen Seiten entgegen kam, bald völlig über meine Lage beruhiget.

Dem frohen Mahle, welches weit nach Mitternacht noch nicht zu Ende war, und das durch Witz und frohe Laune eins der unterhaltendsten ward, dabey ich mich je befunden habe, folgte eine sanfte Nacht auf weichem Lager, und dieser ein so freundlicher Morgengruß von meinem [404] gastfreyen Wirthe, und eine so dringende Bitte, noch diesen Tag sein Gast zu seyn, daß ich blieb – wo ich bleiben mußte, denn nach doppelter und dreyfacher Verlängerung meines Besuchs, ward mir es endlich klar, daß ich nicht scheiden konnte, wenn ich auch gewollt hätte; und daß mit dem ersten Eintritt auf das Schloß, vor welchem mich nicht ohne Ursach gegraut hatte, meine Freyheit verloren gegangen war.

Das, was ich mit allem meinen Nachdenken nicht begreifen konnte: was man hier eigentlich von mir wollte, ward mir auch nach und nach deutlich; ich sah, daß man mich kannte, und daß alles darauf hinauskam, durch List, welche zuweilen nahe an Gewalt gränzte, Dinge von mir zu erforschen, deren Kenntniß man bey mir vermuthete, und die ich, auch ungebunden durch fürchterliche Eide, diesen Fragern nie entdeckt haben würde. Gezwungen muß ich hier mich kurz fassen, man kann die Art, auf welche gewisse Dinge angefochten wurden, nicht genau bestimmen, ohne sie selbst zu verletzen. Es sey euch genug, daß man mich auf meinen schwächsten Seiten angrif, um mich straucheln zu machen. Frauenliebe und Sucht nach Größe suchte man zu meinem Verderben in mir rege zu machen. Man verkannte mich in Ansehung des ersten; mein Herz war jener [405] zärtern Gefühle im höchsten Grade empfänglich, aber es schlug allein für die schöne Gräfin von Toulouse; die reizende Verführerinnen, die man brauchte, um mich eidbrüchig zu machen, mußten also ihres Endzwecks verfehlen.

Dieses entdeckte man bald, und Alix von Toulouse sollte also der Preis meiner Verführung seyn; man sagte mir hier zuerst, was mich halb wahnsinnig machte, daß Alix für mich ein unerreichbares Gut, daß sie bereits an den Prinzen von Kastilien verlobt sey, und man riß mich aus der Tiefe der Verzweiflung durch das Versprechen empor, daß ich sie dennoch erlangen, daß keine menschliche Macht sie mir entreißen sollte, wenn ich mich zu dem bequemte, was man von mir forderte.

Die Versuchung war groß, aber ists nur noch eine Frage, ob ich siegte? Da ich hier überwunden hatte, so brauche ich wohl nicht erst zu erwähnen, daß die Lockspeisen, welche man meiner Ehrfurcht vorhielt, mir verächtlich waren; man zeigte mir den höchsten Rang im deutschen Reiche, oder die höchste Staffel am römischen Hofe von der einen, und den Verlust meiner Lande, Gefängniß und schimpflichen Tod von der andern Seite; ich lachte, und blieb der, welcher ich war, der Mann mit den versiegelten Lippen, der ächte Diener der unerforschlichen Geheimnisse.

[406] Mein Zustand verschlimmerte sich von einem Tage zum andern, ich verschloß mein Auge vor der Gefahr, oder vielmehr, ich lächelte ihr zu, denn was konnte man mehr thun, als mir das Leben rauben, und war dieses mir wohl noch wünschenswerth, da Alix für mich verlohren war? – Getrost wär ich in den Tod gegangen, unschuldiger und weit glücklicher hätte sein Pfeil mich getroffen, als jetzt, da ich mit Blutschuld behaftet, als ein Verbrecher ihn nun schon Jahrelang herbeywünsche. Ach wär ich damals gestorben! wie schuldlos wär ich in die lange Nacht hinabgestiegen! Vielleicht wär sie nun schon verträumt, und ich wär zu einem bessern Leben an der Seite meiner Geliebten erwacht!

Ich sollte nicht sterben, die Hand der Liebe rettete mich, die Hand einer zurückgewiesenen, verschmähten Liebe. Eine von den schönen Zauberinnen, die mir meine Geheimnisse aus dem Herzen locken sollten, dachte edler als ihre Mitschwestern, sie hatte sich das gränzenlose Zutrauen meiner Kerkermeister zu verschaffen gewußt, sie schmeichelte ihnen mit einem Erfolg, den sie mir zum Besten erdichtete. Die Thüren meiner verriegelten Zimmer standen ihr offen, sie kam zu mir um Mitternacht, nicht bey mir zu verweilen, sondern mich hinauszuführen, wo Freyheit und Mittel zu sicherer Flucht meiner warteten.

[407] Fliehe mit mir edles Mädchen, schrie ich, entreiß dich der Schande dieses Schlosses; du verdienst von den Stricken des Lasters befreyt zu werden. Sehr wohl! lachte sie, gewiß um eine Aufwärterin der schönen Alix, oder gar Nonne zu werden? Mit diesen Worten entfloh sie, und verschmähte den besten Dank, den ich ihr für meine Freyheit hätte geben können.

Ich hatte das Schloß kaum etliche Meilen hinter mir, als ich merkte, daß man meine Flucht zu zeitig wahrgenommen hatte, und daß meine Verfolger in meine Fußtapfen traten; die Finsterniß der Nacht kam mir noch eine kurze Zeit zu statten, aber der Morgen brach an, und entdeckte mich meinen Feinden, in meiner Verborgenheit, die ich in der Angst meines Herzens schlecht genug hinter einem dünnen, belaubten Busche gewählt hatte; es schien, man war nun gesonnen, alle Gelindigkeit bey Seite zu setzen, und mich ganz als einen Verbrecher zu behandeln; man belegte mich mit Fesseln und schleppte mich davon, ohne auf meine Appellation an Recht und Menschlichkeit zu hören.

Der Weg, den man nahm, war mein Glück. Es war ein schmaler, wenig besuchter Felspfad, den man vermuthlich gewählt hate, um sich seines Raubes desto besser zu versichern, weil man nicht wußte, ob ich Anhänger oder Schützer in dieser Gegend hatte, welche zu fürchten wären. Leider wußte ich nichts von solchen Helfern, aber der Himmel sandte mir [408] einen Retter entgegen, auf welchen ich nicht gerechnet hatte, auf welchen ich nicht rechnen konnte, da er mir ganz unbekannt war.

Wir hatten ohngefähr die Hälfte unsers schmalen Pfads zurückgelegt, als uns ein bequemer Reisewagen, in Begleitung einiger Bewaffneten begegnete; ein alter ehrwürdiger Mann saß darin, und schien sehr andächtig mit Lesen beschäftigt zu seyn. Der Weg war so, daß wir nicht ausweichen konnten, auch schienen meine Hüter es nicht für nöthig zu halten, da die Person, welche uns begegnete, ihnen wenig Furcht einflößte.

Mir flößte das Ansehen des ehrwürdigen MannesHoffnung ein, und mein Entschluß war kurz gefaßt. Unser kleiner Trupp mußte halten, um den Reisenden vorüber zu lassen; ich war ihm so nahe, daß die Räder seines Wagens meine Kleider berührten, er hub die Augen auf, und warf einen Blick auf mich, in welchem ich Mitleid zu entdecken glaubte. O Rettung! schrie ich, ehrwürdiger Herr, Rettung für einen Unglücklichen, welcher unschuldig die Fesseln trägt!

Wer seyd ihr, mein Sohn, fragte der Greis, indem er seinen Wagen halten ließ, mich genauer zu betrachten.

Mein Herr, antwortete der Anführer meiner Feinde, indem er mich hinwegdrängte, und an meiner Stelle die Antwort that, ich hoffe, ihr werdet euch nicht an die Lügen eines Böswichts [409] kehren, welcher zur längst verdienten Strafe geführt wird.

Ihr waret es nicht, welchen ich fragte, antwortete der Alte mit einem gebietenden Blick; ich verlange Antwort von dem jungen Menschen, welcher mir nicht ganz das Ansehen eines Verbrechers zu haben scheint. Noch einmal, mein Sohn, wie ist euer Name?

Herr! schrie mein Feind, hütet euch vor Ungelegenheit! Dieser Gefangene gehört dem Bischoff von ***, welcher gerechte Ansprüche auf ihn hat.

Dem Bischoff von ***? antwortete der Reisende. Ey so gehört die Sache ja gar unter meine Gerichtsbarkeit. Ich bin der Erzbischoff von Maynz, und verlange auf der Stelle nähere Erklärung von ihm oder von Euch.

Der Name des Erzbischoffs von Maynz, dessen man nach seiner Rückkehr aus Palästina, schon seit einigen Wochen in diesen Gegenden gewärtig war, verbreitete tödliches Schrecken unter dem ganzen Haufen, doch wußte sich der Anführer schnell zu helfen.

Gnädiger Herr, sagte er, wenn ihr die wahre Ursach von der Gefangenschaft dieses Menschen entdecken wollt, so urtheilt ihr sehr weislich, daß ihr die sicherste Auskunft über seine Verbrechen von uns nicht von ihm erfragen könnt.

[410] Und was für Verbrechen kann man mir aufbürden? rief ich, indem ich mich losriß und näher trat. Rede Böswicht, rede vor den Ohren dieses Heiligen, den Gott mir zum Retter schickte.

Wie? schrie mein Gegner, kannst du es leugnen, Verworfener, daß du in vergangener Nacht ein Mädchen aus dem Hause unsers Herrn entführen wolltest?

Also eine Mädchengeschichte? sagte der Erzbischoff mit spöttischem Lachen. – Unsere Brüder in Europa haben, wie es scheint, sehr wichtige Sachen auszugleichen, indessen wir andern der Andacht am heiligen Grabe pflegen.

Ich bitte, erwiederte mein Ankläger, ich bitte nur dieses, daß der Mensch zum Geständniß genöthig werde, ob mein Vorgeben falsch sey?

Nun so redet, mein Sohn! fuhr der ehrwürdige Greis noch immer lächelnd fort, das Verhör auf ofner Landstrasse hat zwar ein wunderliches Ansehen, aber wem Macht zu Handhabung der Gerechtigkeit verliehen ist, der übe sie, wo er Gelegenheit findet. Eben las ich in unsern heiligen Büchern die Stelle, daß die Obrigkeit ihren Scepter nicht umsonst, sondern zu schneller Entscheidung trage.

Auf die erste Anhörung der Anklage vom Mädchenraub, hatte Verneinung auf meiner Zunge geschwebt, jetzt während der Rede meines gnädigen Richters, besann ich mich erst, daß sie nicht [411] ganz ungegründet war; und daß ich würklich meiner Befreyerin Anlaß zur Flucht gegeben hatte, welches man erlauscht, oder aus ihrem eigenen Munde erpreßt haben mochte. – Ich hielt es für das Beste, die ganze Geschichte zu erzehlen, und ich that es auf so eine Art, daß der Erzbischoff ganz für mich gewonnen ward.

Hier ist offenbare Wahrheit, rief er mit Kopfschütteln, ich kenne die hiesigen Bischöffe ein wenig aus dem Gerücht, und werde die Sache näher untersuchen. Denn in der Ursach, warum man diesen Ritter zuerst als einen Gefangenen hielt, finden sich noch viel Verborgenheiten, die ich ergründen muß. Schließt den jungen Mann los, ich werde ihn mit mir nach Maynz führen, und sagt eurem Herrn, er möge dorthin zu mir kommen, und das weitere aus meinem Munde hören.

So war ich denn also frey, frey durch den Rechtsspruch eines Heiligen. Meine Feinde gingen beschämt davon, ich erhielt Befehl mich zu den Bedienten des Erzbischoffs zu gesellen, aber in der Betäubung, in welche mich die schnelle Wandelung meines Glücks gesetzt hatte, verstand ich nicht, was man mir sagte, vergaß, daß man mich hier nicht als den kannte, der ich war, und schwang mich getrost in den Reisewagen des Erzbischoffs, die leere Stelle an seiner Seite ein zunehmen.

Er hinderte mich nicht, machte mir so gar Platz, und begnügte sich, mich eine geraume Weile [412] mit unverwandten Augen anzusehen, indessen ich, halb froh über meine Rettung, halb voll innern Grimms über meine Beleidiger, vor mich hin saß, und schier des Danks vergaß.

Es scheint, junger Mensch, sagte der Erzbischoff nach einer Weile, ihr kennt den Platz sehr gut, wohin ihr gehört. Noch einmahl; faßt ein Zutrauen zu mir, und entdeckt euch mir ganz. –

Mein Herz war voll; die Einladung, es auszuschütten, schien aus dem Munde eines liebenden Vaters zu kommen. Ich antwortete, und antwortete so vollständig, als ich es kaum vor Eid und Gewissen verantworten kann. Der Erzbischoff sahe, daß ich auf einmal erröthete, und inne hielt – er schonte mich, und drang nicht in mich fortzufahren.

Es ist gut, Herr Graf, sagte er, ich kenne nun euch, kenne eure Verfolger, und eure Unschuld; die Ursach, warum sie euch nachstellten, und alles, was sie nicht aus eurem Munde erpressen konnten, verlange ich so genau nicht zu wissen, ihr müßtet denn in der Folge Bedürfniß fühlen, euch mir in der Beichte ganz zu entdecken, und Trost und Rath bey demjenigen zu suchen, der euch vielleicht beydes geben kann.

Das, wozu mir dieser verehrungswürdige Mann, dieser Erzbischoff Konrad von Maynz, dessen Andenken ich ewig verehren werde, damals Anleitung gab, das geschahe bald darauf würklich.

[413] Ich folgte ihm in seine Residenz. Seine ungeheuchelte Frömmigkeit, und besonders das Interesse, das er an mir nahm, machte ihm mein ganzes Herz zu eigen. Ich, der ich bisher zu keinem Geistlichen ein Vertrauen hatte fassen können, und daher sehr lange Zeit des geistlichen Trosts entbehren mußte, schüttete vor diesem Heiligen mein ganzes Herz an geweihter Stelle aus, und nimmer wird mich es gereuen, daß ich es gethan habe.

Von ihm erhielt ich Warnungen und Weisungen in Ansehung meiner Lage, deren Befolgung mein Glück gewesen seyn würde. Ich sollte mich von der Verbindung mit den furchtbaren Unbekannten, sollte mich von der Liebe zur verlobten Alix losmachen. Konnte ich das? und weis ein Heiliger wie Konrad auch, wie schwer es ist, irrdische Fesseln, die Fesseln der Ehre und der Liebe abzuschütteln?

Von Maynz begab ich mich nach Toulouse, ohne auf dem Wege den geringsten Anstoß zu haben, entweder scheute man meinen Beschützer, den Erzbischoff, oder man hatte meine Spur gänzlich verloren, und die Anschläge auf mich bey Seite gesetzt.

Mein Herz glühte von Leidenschaft gegen die schöne Alix, so gewiß ich auch war, daß sie nicht für mich lebte, und alles schien sich zu vereinigen, den Eindruck, den ihr Bild auf mich gemacht [414] hatte, zu vertiefen. Hier kam ich durch eine Landschaft, wo man Anstalt machte, sie auf dem Wege, da sie in kurzen ihrem glücklichen Bräutigam entgegen geführt werden sollte, mit Jubel einzuholen. Hier hatte sie einst einige Jahre ihres schönen Lebens zugebracht, und sich alle Herzen gewonnen. Die Bewillkommungen, die man für sie ersann, waren nicht gekünsteltes Ceremoniel, waren der Zoll einer Liebe, welche nahe an die Anbetung gränzte. Man führte mich in die benachbarte Klosterkirche. In diesem Hause hatte sie unter den Nonnen ihre erste Bildung erhalten; bey einer fürchterlichen Feuersbrunst, welche einst des Nachts hier ausbrach, hatte ihre Wachsamkeit das Kloster erhalten. Eine kranke Layenschwester, die man in ihrer Celle vergessen hatte, riß die junge Heldin selbst aus den Flammen, und denn kehrte sie in die Kirche zurück, dem wunderthätigen Marienbilde, zu welchem die fromme Seele eine sonderbare Andacht hatte, die nehmlichen Dienste zu thun. Sie kam zu spät, die tode Heilige war schon ein Raub der Flammen geworden, und sie, die lebende hätte beynahe den Tod auf dem Wege heiliger Schwärmerey gefunden.

Von Rauch halb erstickt, hatte man sie auf den Stufen des Altars gefunden; und sich gleich entschlossen, ihr zur Dankbarkeit für ihre Aufopferung sie möge leben oder sterben, eine sonderliche Ehre zu erzeigen. – Kennt ihr die Prinzeßinn [415] Alix? setzte der Erzähler hinzu, indem er auf das neue Altarbild deutete; nun wohl, ihr mögt sie kennen oder nicht, so seht ihr hier die völlige Aehnlichkeit ihres schönen Gesichts und ihrer reizenden Gestalt. Die heilige Jungfrau darf nicht zürnen, so geschildert worden zu seyn, himmlischer gestaltet als hier, kann sie nicht auf Erden gewandelt haben.

Der Mann, welcher mit mir sprach, war ein Schwärmer, und was war ich in diesen Augenblicken? – O Verzeihung! Verzeihung! für alle Verirrungen, zu welchen mich die Liebe leitete. Ich sah die nach dem Leben geschilderte Alix mit der himmlischen Glorie vor mir an heiliger Stätte, ich hörte Thaten eines Engels von ihr erzählen, war es zu verwundern, daß ich mich von dem Arm meines Führers losriß, um mich auf den Stufen des Altars zu Gebeten nieder zu werfen, welche ich unserer lieben Frau anrechnete, und die doch im Grunde nichts waren, als Anbetungen ihrer schönen Stellvertreterin.

Ich erhub mich in einem Zustande, welchen ich wohl mit Recht den ersten Grad der Verstandsverwirrung nennen kann, die mich in der Folge zum Schauspiel der Welt machte. In einer Art von Trunkenheit durchreiste ich die nächsten Gegenden, wo der Name Alix, den ich überall nennen hörte, meinen Zustand noch verschlimmerte. In einem Hospital, das sie von dem Verkauf ihrer [416] Juwelen gebaut haben sollte, verlangte ich als ein Kranker aufgenommen zu werden, und da man mir dieses unter dem Vorwand meiner guten körperlichen Gesundheit versagte, so ließ ich daselbst mein ganzes Vermögen, und kam als ein Bettler nach Toulouse.

Die kastilische Braut – (Gott! wie bebte ich, ihr überall diesen Namen geben zu hören,) – hatte sich, nachdem sie das Kloster verlassen hatte nur kurze Zeit hier am Hofe ihres Bruders aufgehalten, und war denn ihrem Schicksal entgegen gereist, ich fand sie nicht mehr. Der Zustand, in dem ich war, machte es unmöglich, mich, (wie ich es sehnlich wünschte, um nur etwas zu sehen, das Beziehung auf sie hätte) bey dem Grafen vorstellen zu lassen. Ich wär ohne Zweifel ein Raub des gräulichsten Mangels geworden, hätte ich nicht noch vor meiner Reise aus Westphalen an meine Bedürfnisse hier zu Toulouse, und auf die Zufälle gedacht, welche einen Pilger auf einer so weiten Reise aller Mittel berauben können.

Einer meiner ältesten und treuen Diener, Rudger Ahlden genannt, war schon längst mit ansehnlichen Summen voraus, mich hier zu erwarten, er hatte so lang und mit so viel gegründeten Besorgnissen nach mir ausgesehen, forschte so unablässig bey allen interessanten Reisenden [417] nach meiner Gestalt und mei nem erborgten Namen, daß er mich nicht verfehlen konnte.

Ich hatte seiner Unterstützung auf alle Art nöthig, er brachte mich endlich so weit, daß ich bey Hofe mit Anstand erscheinen und in dem Bruder meiner Alix einen Mann kennen lernen konnte, der den süßen Namen völlig verdiente, den ihm die Natur in Rücksicht auf sie gegönnt hatte.

Wenig Tage machten uns zu Freunden, er war der liebenswürdigste Fürst, den ich je gesehen habe, und ich trug so viel von der Liebe zu der Schwester auf den Bruder über, strebte so unablässig, mich ihm gefällig zu machen, daß wir wohl für einander eingenommen werden mußten.

Der Graf von Toulouse war öffentlicher Beschützer und heimlicher Anhänger einer gewissen Seckte, welche damals in Ruf zu kommen begunnte; er sagte mir, sobald wir ein wenig vertraut geworden waren, unaufhörlich von ihren Lehrsätzen vor, welche ich ihm zu Liebe billigte und himmelan erhub; auch mochten sie wohl ihre Vorzüge haben, die ich aber in meinem damaligen Zustande genau zu beurtheilen ganz unfähig war; ich gab ihnen nur darum Beyfall, weil der Bruder meiner Geliebten sie für richtig hielt, und als ich vollends erfuhr, daß Alix mit ihm hierin überein denke, daß sie, die ehemalige Bilderretterin, jetzt ganz an der Lehre der waldensischen Bilderhasser hänge, so war ich so vollkommen überzeugt, daß [418] Waldus in allen seinen Behauptungen recht habe, daß ich für dieselben des Märtyrertodes würde gestorben seyn.

Der Graf von Toulouse liebte mich sehr, und ich glaube, hätte er mich vor den kastilischen Heyrathsverträgen kennen gelernt, ich hätte es ohne Furcht vor Abschlag wagen dürfen, um die Hand seiner Schwester zu bitten; jetzt nur auf die entfernteste Art etwas von meiner Leidenschaft gegen ihn zu gedenken, würde Thorheit gewesen seyn, und ich war noch hinlänglich bey mir selbst, mich hierin nicht zu verrathen; ich dachte indessen doch darauf, seine Freundschaft zum Besten meiner Liebe zu nützen. Die weisen Rathschläge des Erzbischofs von Maynz wurden ganz vergessen, ungeachtet er sie oft in wahren Hirtenbriefen an mich wiederholte; ich bedachte nicht, daß Alix für mich ein unerreichbares Gut war und blieb, und daß jede Nahrung, die ich meiner Leidenschaft gab, nichts that, als mich dem Abgrund des Verderbens noch näher zu bringen. Bisher kannte ich Alix nur aus Bildern und Beschreibungen, persönlich kennen wollte ich sie, um ja unwiederbringlich elend zu werden. Ich erhielt mit leichter Mühe Briefe und Aufträge von dem Grafen an seine Schwester nach Pamiers, wo sie sich einige Zeitlang aufhalten sollte, die er keinem schlimmern Boten als mir hätte anvertrauen können; es waren Dinge, [419] welche der äußersten Geheimhaltung bedurften, Bücher mit neuen verbotenen Meynungen angefüllt, welche vor den rechtgläubigen Kastilianern verborgen gehalten werden mußten, aber so sehr mir auch dieses eingeschärft wurde, so ging es doch schnelle in meinem Gedächtniß verloren, und nichts blieb zurück, als der Gedanke, daß ich Alix sehen, mit ihr sprechen, und vielleicht auch einige gütige Worte aus ihrem Munde hören sollte.

Mein alter Diener, der getreue Rudger, der bey meinem gegenwärtigen Zustande mehr die Rolle meines Rathgebers und Aufsehers spielte, hatte noch keinen meiner ausschweifenden Einfälle so sehr gebilligt als den, nach Pamiers zu gehen. Die Reise nach der damaligen Versammlung, die in dieser Stadt von Geistlichen und Weltlichen gehalten wurde, war eigentlich die Hauptveranlassung der Entfernung aus meinem Vaterlande gewesen, oder vielmehr, sie hätte es nach dem Rufe, den ich von meinen Obern durch Kalatin erhalten hatte, seyn sollen. Aber über andere Dinge war dieses ganz vergessen worden, ich ging gegenwärtig nach Pamiers, um der schönen Alix, nicht um meiner geheimen Geschäfte willen, und Rudger, gleichfalls ein Einverleibter des heimlichen Gerichts, mußte mich erst daran erinnern, er, einer der Untersten dieses Bundes, mich den Beysitzer und Richter. O in was für Händen waren damals die wichtigsten[420] Angelegenheiten! ich erröthe, wenn ich mir es lebhaft vorstelle.

Ich erhielt um selbige Zeit verschiedene Briefe von dem Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach, welche ich nicht sonderlich beachtete, so wie mir alles gleichgültig war, was keine Beziehung auf die Hauptangelegenheiten meines Herzens hatte! Ottos Schreiben enthielt unter andern auch Einladungen, an den kaiserlichen Hof zu kommen, um daselbst mit einem gewissen Bischof von Sutri bekannt gemacht zu werden; ich hatte Bekanntschaft genug mit Bischöfen gehabt, um nichts mehr davon zu begehren.

Auch von Evert von Remen bekam ich ein Schreiben durch Wittelsbachs Vermittelung; es wurde noch unachtsamer auf die Seite geworfen als jene, wurde nicht einmal eröffnet; der nachtheilige Wahn, den Kalatin mir ehedem von dem Freunde meiner Jugend beybrachte, war noch nicht getilgt, und ich war damals zu sehr mit andern Dingen beschäftiget, um seine Rechtfertigung sonderlich zu wünschen, oder sie in diesem vernachlässigten Schreiben zu ahnden.

Alle meine Gedanken, all meine Wünsche erstreckten sich nach Pamiers, und es war in einem halben Rausche, daß ich daselbst anlangte. Ohne die mindeste Vorsicht, ohne alle Vorbereitung, die mir so nöthig gewesen wär, ward meine Audienz bey der kastilischen Braut eingeleitet, und ich [421] hätte an meiner Schwester eine so gute Führerin meiner Angelegenheiten haben können! Diese gute, liebevolle Seele war meinen Planen, um deren willen ich sie ehedem aus ihrem Vaterlande riß, so treu geblieben, daß sie nicht geruht hatte, bis die Geliebte meines Herzens von ihr gefunden war, und bis sie eine Stelle in ihrem Frauenzimmer erhalten hatte. Zwar meiner Liebe bey ihr zu dienen, da Alix schon so fest gebunden war, dazu hätte es Alverden gewiß so sehr an Willen als an Möglichkeit gefehlt, aber sie hätte mir doch rathen, hätte mich doch vor dem völligen Verderben warnen können, das meiner im Anschauen der Schönheit wartete, die mich schon in der Ferne verblendet hatte. –

Ich sahe sie, ich sahe Alix, sahe sie mit der Gewißheit, sie sey die Braut eines andern, sey für mich völlig verloren; und das wenige, was ich noch von Besonnenheit übrig hatte, war ganz hin. Ich erinnere mich keiner besondern Umstände von dieser merkwürdigen Audienz, die mein Unglück vollendete, erinnere mich nur des Ganzen. Ich sahe die göttliche Alix, und wär lieber anbetend zu ihren Füssen gesunken, sah Alverden, meine Schwester, die sich gern mit Entzücken in meine Arme gestürzt hätte, und mein Blick verbot ihr, mich Bruder zu nennen. Ich [422] weiß nicht, warum ich diese Entdeckung vermied, da der Name des Bruders der vornehmsten Hofdame der Prinzessin mir vielleicht ihren Anblick öfter hätte verschaffen können; aber all mein Betragen war damals widersprechend und unzusammenhängend, ich vermag nicht, Rechenschaft von demselben zu geben.

Meine Aufträge von dem Grafen von Toulouse waren mit der äußersten Unordnung und Unvorsichtigkeit ausgerichtet worden; ach ich zittre, wenn ich bedenke, daß die Fehler, welche ich damals beging, vielleicht das Signal zu dem Untergang meiner Geliebten gegeben haben können! Dies ist ein Punkt, über welchen ich nicht ohne Nachtheil für mein Gehirn nachdenken kann; er sey auf ewig bey Seite gesetzt!

Ich suchte des andern Tages zum zweytenmal vorgelassen zu werden, und – ward abgewiesen, der dritte und vierte Versuch verunglückten ebenfalls, ich nannte den Namen des Grafen von Toulouse, man sagte mir, die Prinzessin gehöre nun ganz dem kastilischen Hofe, und ihr Bruder habe nicht mehr das Recht, so oft, und durch wen er wolle, Botschaften an sie gelangen zu lassen.

Ich sah mich genöthigt, den Anblick der himmlischen Alix in Kirchen und auf Spaziergängen zu suchen; auch da ward ich durch die finstern Gesichter der Hofdamen und durch die [423] Leibwache zurück gescheucht. Selbst Alverde, meine Schwester, schien sich wider mein Glück verschworen zu haben, sie sagte mir einst auf öffentlichem Spaziergange einige empfindliche Worte, und drückte mir heimlich einen Brief in die Hand, welcher noch ernstlichere Weisungen enthielt. Ein heimlicher Briefwechsel, vermittelst eines holen Baums, in dem unsere beyderseitigen Schreiben niedergelegt werden sollten, ward zwischen mir und meiner Schwester verabredet; er gab mir sonderliches Vergnügen, weil er mir Gelegenheit verschafte, meinen Empfindungen Luft zu machen, auch ich ahndete nicht, daß auch hierin Gefahr für mich, und die, welche ich liebte verborgen lag.

Während ich mich mit diesen Kleinigkeiten beschäftigte, vergaß ich ganz, mich um Dinge zu bekümmern, welche mir besser geziemt hätten. Erst von Rudger erfuhr ich, daß wir die Ankunft Herzog Bernhards von Sachsen hier vergeblich erwarteten, welcher krank sey, und dessen Stelle der Herzog von ***, mein alter Feind, unter verdecktem Namen antreten würde. Von dieser Zeitung, die ich wohl mit recht für böse hielt, bekam ich in kurzer Zeit noch sprechendere Beweise. Der Herzog von *** schrieb an mich in bedraulichen Ton, und gab mir Verweise über das, worüber ich hier wohl nimmermehr zur Rede gesetzt zu werden gedacht hätte, [424] über meine Anwesenheit zu Pamiers, zu welcher ich mich doch, so wie zu Veränderung meines Namens, durch Befehl meiner Obern, berechtiget geglaubt hatte. Ich erstaunte, meine volle Ueberlegung kehrte zurück, Rudger half mir zu recht, wo sich mein geschwächter Verstand nicht helfen konnte, und aller Verdacht fiel auf Kalatin, welcher mich durch eine falsche Ladung getäuscht haben mußte. Ich antwortete dem Herzog trotzig, denn ich war gerade nicht auf der Laune, viel von irgend jemand zu vertragen; aber ach, sein Brief ließ scharfe Stacheln in meiner Seele zurück. Er berührte am Ende desselben eine Sache, von welcher ich bisher nur noch dunkle Nachrichten gehört hatte, und die er mir auf einer Seite vorstellte, welche ihren Eindruck noch empfindlicher machte. Ich sollte in diesen Augenblicken erfahren, daß die höchste leidenschaftlichste Liebe, mich doch nicht für die Regungen der Freundschaft und Dankbarkeit ganz gleichgültig gemacht hatte.

Ich hatte Nachricht vom kaiserlichen Hofe; mein Freund, mein Lehrer, mein geistlicher Vater, der trefliche Erzbischoff von Maynz, von welchem ich noch kürzlich warnende Briefe erhalten hatte, sey jähes Todes gestorben. Der Brief des Herzogs von ***, bestättigte diese Nachricht mit dem schrecklichen Zusatz, er sey vergiftet, von Kaiser Philipp vergiftet worden. [425] Einer von Wittelsbachs, nur hab gelesenen und betrachteten Briefen fiel mir diesen Tag wieder in die Hand, und ach! er enthielt das nehmliche.

Niemand mißt mein Entsetzen und meine Wuth. Jede Empfindung, welche jetzt in meiner Seele aufging, war Raserey; Rudger vermochte sie nicht zu bändigen, und da er unaufhörlich nach Beweisen von Dingen fragte, die ich nach der Leichtgläubigkeit, welche dem Wahnsinnigen eigen ist, für schon erwiesen annahm, und ich also wenig Nahrung für meine Phanthasien bey ihm fand, so eilte ich zu einem Bekannten, der sich während meines Aufenthalts zu Pamiers mir fast aufgedrungen hatte, und der durch tausendfache schlaue List, schon mehr als zu viel mein Vertrauter geworden war.

Er nannte sich Sutrino; und Rudger, welcher ihn haßte, und ihn ungern an meiner Seite sah, quälte sich täglich, mich zu überreden, er sey eine Kreatur eines gewissen Bischoffs von Sutri, dessen Wittelsbach oft in seinen Briefen gedachte, und der uns aus verschiedenen Umständen, als ein gefährlicher Mann bekannt war, ungeachtet Wittelsbach ganz das Gegentheil von ihm hielt.

Sutrino war allen Warnungen Rudgers zum Trotz, diesen Abend bis tief in die Nacht, mein Gesellschafter; er erfuhr den neuen Kummer [426] meines Herzens, die Vergiftung meines Freundes des Erzbischoffs von Maynz, erfuhr den angegebenen Thäter, und alles was mir die Rache gegen ihn in den Sinn gab. Beschuldigungen gegen Kaiser Philippen, schienen das Kapitel zu seyn, in welchem Sutrino unerschöpflich war; er erzehlte mir tausend schreckliche und unerweisliche Dinge von dem Oberhaupt des deutschen Reichs, mich in meinem Verdacht zu bestärken, und endigte mit dem Schrecklichsten, was er mir sagen konnte, um mich vollends ganz rasend zu machen.

Kaiser Philipp, sagte er, denkt auf nichts, als auf die Vergrösserung seines Hauses, und die Unterdrückung anderer. Was für Schmach die heilige Kirche schon von ihm erfahren hat, das gehört nicht hieher; den größten Schaden that er ihr gewiß, durch die Ermordung des frommen Erzbischoffs, welche ganz auf seine Rechnung fällt. Ach wo schläft die Rache, daß sie ihn nicht hinwegreißt, damit er seine Hände nicht auch nach den Engeln des Himmels ausstrecke, sie von ihren Thronen zu reissen, um seine angebeteten Kinder darauf zu setzen? – Wißt, Philipp neidet jedermann, der über die Seinen empor kömmt, er neidet auch der unschuldigen Gräfinn von Toulouse die kastilische Krone, und wünscht eine seiner Töchter damit zu zieren; und gebet acht, nicht lange, so werden [427] wir die göttliche Alix verstossen, oder im Grabe sehen, damit die Prinzeßin Elise ihre Stelle einnehmen könne.

Verstossen? schrie ich, Alix, verstossen oder im Grabe? – Ja, das erste wär wohl gut, aber das andere? – O Entsetzen! – – Redet, redet Sutrino! endeckt mir, welchen Grund euer Vorgeben hat. Verstossen immerhin, nur nicht getödet!

Das letzte wohl noch wahrscheinlicher als das erste! Philipp pflegt nichts halb zu thun.

Aber er in Teutschland, Alix in Frankreich?

O die Hände der Könige reichen weit, und die Streiche, welche sie in der Ferne führen, sind die sichersten und unverdächtigsten. Glaubt mir, Alf von Dülmen, wir können mit jedem Morgen auf die Nachricht vom Tode der kastilischen Braut rechnen.

Und will niemand, niemand die Unglückliche retten? Sprecht, Sutrino, was könnte man thun? was könnte ich thun? ich will mein Leben daran setzen.

Kühne Entführung freylich! aber wer wird diese wagen?

Wagen? ich wage alles! – O Entzücken! Alix wird frey, diese Nacht frey durch mich! ich führe sie in die Arme ihres Bruders, und mein Lohn – nun mein Lohn, der läßt sich errathen! [428] O Sutrino, Sutrino! ihr seyd der Schöpfer meines Glücks!

Sutrinos Einwendungen gegen meine ungeheuren Einfälle waren sehr schwach, meine Entschlüsse waren gefaßt und blieben unveränderlich. Ein doppelter Versuch, die Prinzessinn davon zu bringen, ward gemacht, und er verunglückte beydemahl, ach, wie ich glauben durch Alverdens grausame Vorsicht, welche es sich zum Gesetz gemacht zu haben schien, ihrem unglücklichen Bruder in allem entgegen zu handeln. Doch darf ich auch mit ihr zürnen, daß sie dieses that? Ach ich bin ja nicht mehr der damahlige Alf von Dülmen! Meine Leidenschaften sind jetzt abgekühlt und meine Urtheile berichtigt. Alverde handelte recht, daß sie meinen rasenden Einfällen entgegen arbeitete, mochten auch die Folgen für mich und die unglückliche Alix seyn, welche sie wollten.

Daß ich nach der letzten fehlgeschlagenen Unternehmung fest genommen und in die Verwahrung des Bischoffs von Kastilien gebracht wurde, war wohl so wenig Alverdens Absicht, als daß sie selbst um die Gesellschaft der himmlischen Alix kam. An dem Tage, da man mich ins Gefängniß brachte, erhielt sie ihre Entlassung, weil man unsern heimlichen Briefwechsel entdeckt hatte; und Alix blieb also den Angriffen ihrer Feinde, welche sie auch seyn mochten, ganz ohne Freund und Schützer blosgestellt. Es ist entsetzlich, unbegreiflich, [429] daß auch die Engel des Himmels Feinde haben, aber daß es der unglücklichen Gräfinn von Toulouse nicht an dergleichen fehlte, hat der Erfolg ausgewiesen.

So war ich also zum zweytenmahl der Gefangene eines Bischoffs, und das Verbrechen, welches mich in dieselbe gebracht hatte, Anschläge zu Entführung einer königlichen Braut, entschuldigte jedes strenge Verfahren, welches man sich gegen mich erlaubte. Ewiges Stillschweigen über die damahligen Scenen! man hat Sorge getragen meine Zange durch Eide zu binden, welche so unauflöslich sind, als die Beeidigungen des heimlichen Gerichts.

Die Absichten, welche man mit mir ausführen wollte, waren die nehmlichen. Man hatte den Herzog von ** durch die schlauen Künste eines Grafen von Segni über gewisse verborgene Dinge zum Sprechen gebracht, man hatte den arglosen Otto von Wittelsbach um einige unserer Geheimnisse betrogen, man hatte auch vielleicht Peter von Kalatin auf die Seite zu ziehen gewußt, und nun wollte man den Rest des Ganzen durch Qualen von mir erzwingen. Verbrechen, zu denen man mich vielleicht selbst erst durch teuflische Kunst verleitete, hatten mich des Todes schuldig gemacht; man schmeichelte mir mit Lebensfristung, wenn ich meinen Starrsinn, wie man es nannte, ablegen wollte. Mein Verstand hatte durch unglückliche [430] Liebe gelitten, zu welcher mich gleichfalls ein Verräther leitete, und man hofte mir in meinen unbewachten Stunden Dinge abzulauschen, die ich bey voller Besonnenheit nicht preis gegeben haben würde; sie hielten mein Gedächtniß für einen Schatz, den man ruhig plündern kann, weil der Hüter eingeschläfert ist; ja sie hatten Recht, mein Verstand schlummerte nur, und erwachte schnell, so bald es die Noth erforderte. Alf von Dülmen, stärker oder störriger als die andern, blieb stumm und reizte dadurch seinen Quäler nur noch mehr; sie wollten das Reich der heimlichen Gerechtigkeit, der Stellvertreterin des ewigen Richters, umkehren, und auf seinen Trümmern ein neues bauen, in welchem nicht die Gerechtigkeit, sondern sie regieren wollten. Wie wir Verbrechen und Unthat bestrafen und in Fesseln halten, daß sie nicht wüten können, wie sie wollen, so wünschten sie den freyen Geist des Menschen zu fesseln, und Abweichungen von ihrem Glauben zu todeswürdigen Verbrechen zu machen; sie wollten uns die Mittel der Allwissenheit und Unfehlbarkeit; wollten uns tausend andere Dinge ablernen, die ich hier nicht nennen darf, aber ihr Endzweck schlug ihnen wenigstens bey mir fehl. Es glücke ihnen oder es glücke ihnen nicht, wie ich denn nicht weis, was sie jetzt auf der Oberwelt beginnen, so ist Alf von Dülmen unschuldig an dem Unglück, welches sie stiften.

[431] Die Grausamkeit, mit welcher ich behandelt ward, rettete meinen Verstand, der durch wütende Leidenschaften fast entkräftet war; ich erwachte wie aus einem schrecklichen Traume, ich fühlte die Nothwendigkeit mich zu ermannen, und ich ermannte mich um ihnen allen gewachsen zu seyn.

Dies zog die Fülle ihres Zorns über mich, mein Tod war beschlossen, ich sollte fallen ohne zu wissen wer mich fällte. Von dem Thurm, in welchem ich gefangen lag, führt ein schmaler Gang in einen andern, welchen man den Thurm der Freyheit nennt, weil seine Gefangenen gelinder gehalten und eher begnadigt werden, als die Bürger des unseeligen Kerkers, in welchem ich bis dahin geschmachtet hatte. Man kündigte mir an, daß mir auf Vorbitte der Prinzessinn Alix die Thür zu demselben geöfnet werden sollte, und daß ich alles, was mir heute wiederfahren würde, als eine Folge ihrer Verwendung für mich ansehen möchte. Alles kam bey mir nun darauf an, einen Weg zu gehen – welchen nie einer der ihn einmahl betrat, zum zweytenmahl gegangen ist.

Natürlich wußte ich nichts von der schrecklichen Falle, die man mir legte; ich sahe nichts vor mir als Erreichung des Wunsches, den wohl ein jeder Gefangener fühlen wird. Der Gedanke, Alix habe für mich gebeten, die Hofnung auf Freyheit sey ein Geschenk von ihr, berauschte mich, [432] und ich würde blindlings dem Verderben in den Rachen gestürzt seyn, wenn mich nicht ein Zufall gerettet hätte, wie wir denn immer geneigt sind, das Zufall zu nennen, was die Vorsicht zu unserm Besten veranstaltet.

Ich hatte einen Hund von außerordentlicher Größe, welchen der Herzog von Braunschweig einst mit aus England gebracht, und dem Herzog von Sachsen geschenkt hatte, aus dessen Hand ich ihn erhielt. Dieses treue Thier, dessen Begleitung mir auf meiner einsamen gefahrvollen Reise so nöthig gewesen wär, da es jeden, der mich antasten wollte, mit Löwengrimm anzufallen pflegte, fand ich erst zu Pamiers, wohin Rudger es auf meinen Befehl mit sich genommen hatte. Am Tage meiner Gefangennehmung hatte man es, um mich desto sicherer zu fassen, von mir zu entfernen gewußt. Ich hatte es all die Zeit über, da ich im Kerker schmachtete, nicht gesehen; aber diesen Morgen brachte es derjenige, welcher mir die Verbesserung meines Zustandes ankündigte, mit ins Gefängniß. Ich ahndete so wenig, daß hinter dieser anscheinenden Gefälligkeit ein heimlicher Tück verborgen war, als meine Feinde ahnden mochten, daß sie mir das Mittel meiner Rettung gebracht hatten.

Die Schwachheit, welche ich beging, indem ich Freude über den Anblick meines treuen Hundes [433] äußerte, lockte dem Kerkermeister ein hämisches Lächeln ab. Ihr könnt ihn bey euch behalten, sagte er, und ihn mit hinüber in eure neue Wohnung nehmen, zu welcher euch die Thür bald geöfnet werden wird, bis ihr die völlige Freyheit erlangt.

Er hatte sich in der That kaum entfernt, so flog eine Seitenthür meines Behältnisses auf, und zeigte mir eine Aussicht über einen langen und schmalen Gang in ein helles und geräumiges Gemach, welches hohe weit geöfnete unvergitterte Fenster in eine freye Gegend hatte. Welch ein Anblick für denjenigen, welcher so lang der Luft und Sonne entbehren mußte! Ich faltete die Hände gen Himmel, um ihm für das zu danken, was ich für das Unterpfand völliger Befreyung hielt. Mittlerweile sprang mein Hund, der zu meinen Füßen lag, und dem die bängliche Luft in meinem dumpfen Kerker schon ein angstvolles Winseln abgenöthigt hatte, schnell empor und schnaubte der freyen Luft entgegen; er trat in die offene Thür, und begann nun in vollem Laufen hinüber nach dem Orte zu setzen, welcher ihm so lockend als mir selbst dünken mochte; aber kaum hatte er die ersten Sprünge auf der Gallerie gethan, als sich die Thür, aus welcher ich jetzt ebenfalls hinaustreten wollte, krachend zwischen ihm und mir verschloß, und über und unter mir ein betäubendes Knarren, wie von zwanzig in Gang kommenden [434] Triebrädern erhub, unter welchem ich nur schwach die kreischende Stimme meines Hundes unterscheiden konnte. Ich weis nicht, was ich in diesem Augenblick dachte, mir ists, als hätte ich eine dunkle Vorstellung von der Wahrheit gehabt. Ich hatte in meiner Kindheit schon die Geschichte von dem unglücklichen Marggraf Egbert von Sachsen oft erzählen gehört, welcher im Jahr 1090 durch die meuchelmördrische Bosheit eines 13 Weibes in die Schwerdmühle zu Eisenbüttel fiel. Dergleichen von der Hölle erfundenen Maschinen, wo durch einen Fußtritt, oder anderweitige Berührung einer verborgenen Feder bewaffnete Arme oder andere Werkzeuge des Todes aus dem Boden und der Mauer hervorkommen, und den, welcher durchhingeht im Augenblicke zerfleischen, sind nichts neues, und es wär kein Wunder gewesen, wenn mir etwas dieser Art in den Sinn gekommen wär; doch weis ich nicht genau, was ich damahls dachte oder ahndete, nur dies erinnere ich mich, daß ich den Namen meines Hundes rief und mich bemühte, die Thür zu öfnen, welche sich nach ihm geschlossen hatte. Maschinenmäßige Bewegung! denn was hätte ich thun wollen?

Das abscheuliche Schnarren des Räderwerks um mich her ließ endlich nach; die Stimme des armen Geschöpfs, das für mich zum Opfer geworden [435] war, hörte ich schon lang nicht mehr; jetzt konnte ich die Thür aufreissen, und was ich erblickte rechtfertigte alle Muthmaßungen, die ich hätte haben können. In der Mitte der Gallerie, welche jetzt sehr dunkel war, da sich die gegenüberliegende lockende Aussicht geschlossen hatte, erblickte ich den Leichnam des armen Geschöpfs noch zuckend, und wie es schien aus tausend Wunden blutend. Man wird mir glauben, daß ich keine Lust hatte die Sache näher zu betrachten, da ich nicht wußte, wie lange die Würkung der teuflischen Maschiene daure. Ich warf die Thür zu, verdeckte mein Gesicht mit beyden Händen, und überließ mich einem Schmerz oder einem Grauen, welches mancher vielleicht unmännlich nennen würde; doch in meine damahlige Lage kann sich nicht so leicht einer hineindenken, und mich zu beurtheilen würde wohl also den meisten schwer fallen. Nach mehreren Stunden erholte ich mich erst völlig aus einer schrecklichen Betäubung; ich saß auf der Erde dicht an der entgegengesetzten Thür, welche den gewöhnlichen Eingang zu meinem Kerker ausmachte. Trieb der Natur zur Flucht mußte mich dahin gezogen haben, ich weis nicht wie ich dahin gekommen war.

Ich öfnete die bisher geschlossenen Augen, athmete aus tiefer Brust herauf und begann meine Rettung lebhaft zu fühlen; aber Gott! welch eine Rettung! War ich nicht noch immer in den [436] Händen meiner Henker, die ja, wenn ich ihrem Schwerd auf eine Art entkommen war, noch tausend andere Mittel hatten mich aufzureiben! – Mein nächster Gedanke flog, wie man denken kann, zu Alix. Wie? rief ich, dieser höllische Streich sollte von dir kommen, du Heilige? alles was mir heute wiederfahren würde, sollte ich dir zuschreiben? Thoren, die mein Herz mit solchem Wahn vergiften wollten! Was hätte ich wider dich gesündigt? daß ich dich liebe? das weißt du ja wohl nicht einmahl? – Alverde hat mich ja mehrmahl in ihren Briefen versichert, daß du mit ihrem Willen dies nie erfahren solltest! – Aber du hast für mich gebeten? – Ja, ja, das glaube ich; deine himmlische Seele findet jedes leidende Geschöpf ihrer Verwendung würdig! Vielleicht hast du nicht blos bey Menschen, auch bey Gott für mich gefleht, und deiner Vorbitte habe ich meine Rettung zu danken; sie ist würklich der Grund dessen, was mir heute begegnete. So phantasirte ich fort, und vertiefte mich immer von neuem in Gedanken, welche Alix zum Gegenstand hatten. Mir war es erwiesen, daß die Heilige für mich gebetet haben müsse, und daß ich blos durch ihre Verwendung für mich am himmlischen Throne noch lebe. Mein Herz war voll Dank gegen sie; ich musterte jedes Wort, welches bey meinen zahlreichen Verhören aus meinem Munde [437] gegangen war, ob auch in der halben Abwesenheit des Verstandes, die sich oft bey mir fand, mir etwas entschlüpft sey, das ihr hätte nachtheilig werden können. Man hatte mich sehr oft auch über Alix, über meine Liebe zu ihr, und über ihre Anhänglichkeit an die waldensischen Lehren gefragt, aber ich schmeichle mir, daß ich nie etwas geantwortet habe, welches ihr neue Verfolgungen hätte zuziehen können.

Ich war viel zu sehr in meinen Betrachtungen versunken, als daß ich mich sobald hätte erheben sollen. Ein Geräusch von außen war es endlich, was mich störte. Ich vernahm die klirrenden Schlüssel des Kerkermeisters auf der äußern Gallerie, und hörte ihn bald darauf nebst noch einigen Personen näher kommen.

Ich schaudere, gnädiger Herr, sagte der Diener der Bosheit, euch diese Thür zu öffnen, ihr werdet einen Anblick haben, den ihr euch wohl kaum so schrecklich denken könnt. Ich selbst hatte ihn noch nicht, aber mein Knecht, welcher dem Gefangenen den ihr befreyen wollt, vor einer Stunde sein Frühstück brachte, kam bebend zurück, meldete mir den fürchterlichen Vorgang, und ich ging sogleich, ihn höhern Orts anzusagen. Das Ungeheuer war ihm mit blutigen Rachen entgegen gesprungen, er hatte die ganze Schreckensscene nur mit einem Blick übersehen, und sich dann mit Mühe retten können.

[438] Aber, sagte eine Stimme wie die Stimme des Herzogs von ***, welche Raserey, den Hund zu ihm zu lassen, dessen wütige Art man kennt, und welcher vermuthlich schlecht gefüttert worden seyn muß; denn nichts als wütender Hunger konnte ihn reizen, seinen Herrn anzufallen.

Es sind hier freylich viel Versehen vorgegangen, antwortete der Kerkermeister, die aber mir nicht zu Schulden kommen dürfen. Ich habe es gewiß allezeit gut mit dem Gefangenen gemeint, und fühlte eine wahre Freude, da ich ihm diesen Morgen schon, auf die Vorbitte der Prinzessin Alix, ein leidlicheres Gefängniß anzeigen konnte; da nun noch die eurige dazu kam, wer hätte an seinem Glück zweifeln sollen? Aber der Himmel ist wunderbar in seinen Schickungen, seine Rache muß diesen Menschen außerordentlich verfolgt haben, und mir wird es immer denkwürdig bleiben, daß er auf dem Wege nach dem schönen Orte, den wir den Thurm der Freyheit nennen, sein Leben auf eine so schreckliche Art einbüßen mußte, ehe er das erreichen konnte, was seine Augen sahen.

Der Herzog sagte hier etwas, das Ausdruck des Kummers seyn sollte, das aber, wie mir es schien, denselben nicht sonderlich bezeichnete. Der Kerkermeister fing indessen an, an den Schlössern zu drehen, sagte nochmahls, daß [439] man mich, von meinem Hunde zerfleischt, auf der Mitte einer Gallerie finden würde, weil sich noch niemand hieher gewagt habe mich in andere Lage zu bringen, auch ermahnte er die Anwesenden, ihre Degen zu ziehen, und den wütenden Hund, so wie er ihnen nach Oefnung der Thür entgegen springen würde, gleich niederzustossen.

Der Elende! wie ganz anders sollte er es finden, als er erwartet hatte! Die Thür ging auf, und ich fiel ihnen lebend in die Augen. Ich leugne nicht, daß mein erster Gedanke war, dem nächsten, den ich erreichen könnte, den bloßen Degen aus der Hand zu reissen, und ihn dem meuchelmörderischen Kerkermeister ins Herz zu stossen; doch er war nichts als das elende Werkzeug höllischer Bosheit, und der Abscheu vor seinem unreinen Blut riß mich noch von einer niedrigen That zurück. Ich hatte mich erhoben, und stand mit in einander geschlagenen Armen mitten in meinem Gefängniß, als sie mit lächerlicher Scheu vor einer Gefahr, welche hier nicht existirte, hereintraten. Ihr Starren, ihr Staunen, ihre verwirrten Reden, als sie mich jetzt gewahr wurden, zu beschreiben, wär ich nicht im Stande. Meine Augen waren vornehmlich auf den Herzog gerichtet, weil ich zweifelhaft war, ob er an den entsetzlichen Dingen, die man wider mich geschmiedet hatte, Theil gehabt habe. Ich muß gestehen, daß ich zwar [440] eben keine sonderliche Freude mich lebend zu sehen, aber doch auch nichts in seinen Augen entdeckte, das mir das geringste Einverständniß bey jener teuflischen Bosheit hätte andeuten können; er schien die Legende von dem treuen Hunde, der seinen Herrn zerfleischt haben sollte, würklich geglaubt zu haben.

Ich ließ mich nicht auf umständliche Beantwortung seiner verwunderungsvollen Fragen ein, führte ihn zu der Thür nach jener mörderischen Gallerie, riß sie auf, sagte ihm mit wenig Worten, was mir begegnet war, warf einen verächtlichen Blick auf den Kerkermeister, der in einem Winkel, wie vom Donner gerührt, da stand, ließ mir von einem seiner Knechte die leichte Kette losschliessen, die man mir diesen Morgen, da man mich von den übrigen entlastet, noch gelassen hatte, ging dann langsam zur geöfneten Thür heraus, und überließ es den Andern, mir zu folgen.

Graf Adolf, sagte der Herzog, der mich auf der Treppe ereilte, ich hoffe, ihr habt mich nicht im Verdacht eines Antheils an diesen entsetzlichen Dingen! Hätte ich diesen, erwiederte ich, indem ich ein Schwerdt, das ich im Gehen zu mir genommen hatte, über die Hälfte aus der Scheide zog, hätte ich diesen, so solltet ihr jetzt nicht lebendig an meiner Seite gehen.

[441] Der Herzog biß sich auf die Lippen ohne meiner Rede zu beantworten. Wir stiegen zusammen in den an der Treppe wartenden Wagen, und ich erfuhr hier weitläuftig aus dem Munde meines Gefärthen, daß Briefe von unsern Obern ihm Befehl gebracht hätten, meine Befreyung auf das schnellste und dringendste zu suchen. – (Das wußte ich zuvor, daß ich ihm hiebey unmittelbar nichts zu danken hatte.)

Bey meinen Verfolgern hatte er, wie er mich im Fortfahren berichtete, meine Freyheit sehr leicht erhalten. Der Kerkermeister war gerufen worden, man hatte gesagt, er warte bereits im Vorzimmer und habe entsetzliche Dinge zu melden. – Hier die so greuliche als unwahrscheinliche Legende, daß mich mein Hund erwürgt habe, welche ja die geringste Untersuchung, welche ja die Beschaffenheit meiner Wunden hätte widerlegen müssen, wenn ich würklich gefallen wär; doch einer solchen Untersuchung war man vielleicht bey dem schwachen leicht zu blendenden Herzog, dem noch überdem wenig an mir gelegen war, gar nicht gewärtig.

Die Stadt war voll von meinem entsetzlichen Tode, und man sahe mich mit Erstaunen lebendig. Ueber der Tafel sagte der Herzog, der seine hämische Bosheit nicht zu bergen wußte, mit höhnischer Miene, ich sey sehr glücklich, daß das schöne Geschlecht so viele Notiz von [442] mir nehme; in dem Cölestiner Kloster, welches zu dieser Stadt gehöre, habe eine fremde Dame öffentliche Danksagungen für meine Befreyung angestellt, und die Prinzessinn Alix sollte, als sie meine Rettung erfahren habe, überlaut zu ihren Damen gesagt haben, Gottlob! Gottlob! daß er geborgen ist!

Der Feindselige! er wußte nicht, wie sehr er mich durch diese Dinge, welche mich beschämen sollten, entzückte! Ich antwortete nichts, sondern sehnte mich, mit Rudger hierüber zu sprechen; die Freude, mich nach so großer Gefahr wieder zu sehen, hatte ihn halb wahnsinnig gemacht, und ich erfuhr erst spät, daß ich ihm hier eigentlich alles zu danken habe. Sein erstes Geschäft nach meiner Gefangennehmung war gewesen, unserm großen Oberhaupt dem Herzog von Sachsen auf die gewöhnliche Art mein Unglück wissen zu lassen; aber als er bey näherer Erkundigung erfahren hatte, in was für Händen ich sey, und wie dringend meine Gefahr werden könne, so war er geflogen meine Schwester von meiner Lage zu benachrichtigen und mit ihr schleunigere Hülfe zu verabreden. Alverde war an dem nehmlichen Tage aus dem Dienst der Prinzessinn entlassen worden; er fand sie nicht, und die Angst trieb ihn, bey Alix für mich zu flehen; daher ihre großmüthigen Verwendungen für mich, welche ich freylich lieber [443] eigenem Antrieb, nicht fremder Vorbitte, freylich lieber der Liebe, als dem bloßen Mitleiden zu danken gehabt haben möchte.

Alverdens Aufenthalt hatte er endlich auch ausgekundschaftet; denn bey Hofe wußte man ihn nicht, sondern glaubte, sie habe dem erhaltenen Befehl zu folge, Pamiers gänzlich verlassen. Sie war die Dame im Cölestinerkloster, welcher ich das Te deum für meine Rettung zu danken hatte; eine Schwachheit des guten Mädchens, ihre Freude um mich so öffentlich zu äußern, welche ihr hätte gefährlich werden können, und welche wohl blos der höchste Grad inniger Schwesterliebe entschuldigen konnte. Und diese gute Seele sollte in der Folge so verleitet werden, daß sie die Schöpferinn meines Verderbens werden mußte? und ich, der ich ihr Herz kannte, war so verblendet, sie würklich für meine Feindinn zu halten? – Doch ich kann dem Gang meiner Geschichte nicht vorgreifen, ohne undeutlich zu werden; ich fahre fort.

Da es mir nicht vergönnt war, zu den Füßen der himmlischen Alix meine Danksagungen auszuschütten, so hatte die treue Schwester den nächsten Anspruch auf mich; ich flog zu ihr in das Cölestinerkloster, und fand sie krank vor Freude. Durch Briefe von Alix hatte sie meinen Tod und meine Rettung kurz hinter einander vernommen, ein Wechsel von den gewaltsamsten [444] Gefühlen, welcher die zärtlichste Seele, die je mit einem eben so feingebildeten Körper verbunden war, wohl zu Boden drücken mußte. Schon einmal war ich ihr durch einen Brief von der Prinzeßin tod gesagt worden; aber die Sache hatte keinen Glauben bey ihr gefunden, weil sie durch ihre Kundschafter besser belehrt war. Auch sie hatte sich zu meiner Rettung an die Mitglieder des grossen Bundes gewandt. Briefe von ihr an den Pfalzgrafen Otto waren längst abgegangen, und wahrscheinlich hatte sich der Herzog von Sachsen, auch durch ihn belehrt und aufgemahnt, so ernstlich für mich verwendet.

Himmel, wie viel edle Personen sorgten um mich! Konnte ich, konnte ich sinken, da diese für mich wachten? – Wie glücklich war ich damals! wie stolz fühlte ich mich, in der Achtung der besten Menschen! Alix, Alverde, Bernhard und Otto liebten mich! – – und jetzt? – O schon das Bewustseyn, in der ganzen Welt, von keiner Seele geliebt zu seyn, leben und sterben zu können, ohne daß eine Thräne um mich fliessen würde, schon dieses könnte mich in den Abgrund der Verzweiflung hinabreissen; ich war damals so reich, und jetzt habe ich nicht einmal einen treuen Rudger, mit dessen Liebe ich mich trösten könnte; doch ich [445] bin ungerecht! Ademar! ich habe ja dich, an den ich diese Blätter richte!

Ich weiß nicht, ob ich mir damals nicht zu viel schmeichelte, wenn ich glaubte, Alix fühle etwas mehr als Mitleid für mich, wenigstens habe ich nachher nie eine Spur gehabt, daß sie mich noch kenne oder für mich fühle. Alverde mußte dieses am besten wissen, aber sie sah meinen verzweifelten Zustand, und schmeichelte mir mit allem was ich wünschen konnte, um mich nur zu beruhigen und zu entfernen. – Sie zeigte mir tausenderley Hoffnungen in meiner Liebe, und wies mich doch auch an den kaiserlichen Hof, wo ich mein Glück vielleicht noch besser als durch Alix machen könnte; die Angst entschuldige ihr widersprechendes Betragen, die Angst mich noch in der Stadt zu sehen, wo meine Feinde lebten. Sie drang darauf, daß ich Pamiers verlassen sollte, aber sie würde vielleicht durch nichts gesiegt haben, als durch die Vorstellung, daß Alix um meiner Gegenwart willen leiden müsse, und daß sie, wegen meiner bekannten Leidenschaft für sie, strenger in meiner Anwesenheit gehalten würde, als nach meiner Entfernung nöthig sey.

Ich ließ mich überreden, und begehrte nur noch einige Tage Frist, ich mußte diesen Aufschub begehren, da der Tag nahe war, um dessen willen sich alle Mitglieder unsers heimlichen [446] Bundes eigentlich hier versammelt hatten, der Tag eines grossen Gerichts, bey welchem, wie mir der Herzog von ***, der leidige Stellvertreter unsers obersten Stuhlherrn sagte, sehr wichtige Dinge verhandelt werden sollten. Es war sehr viel Widersprechendes in dem Betragen dieses Mannes, er bestand darauf, daß ich bey der grossen Gerichtssitzung nicht fehlen dürfe, und doch machte er mir meine Anwesenheit zum Verbrechen, und gab Winke, daß ich wegen derselben würde strenge Rechenschaft ablegen müssen.

Was er zu verstehen gab, das geschah. In dem Gerichte, da ich gewohnt war, eine ganz andere Stelle einzunehmen, wurde ich als Beklagter aufgefordert! eigenmächtiges Verfahren ohne Wissen meiner Obern, und Mangel an Verschwiegenheit waren die Hauptbeschuldigungen die man wider mich aufbrachte. Man setzte mir hart zu. Weniger erfahren in allen Mitteln unsers Rechts, hätte ich der Bosheit meiner heimtückischen Verfolger unterliegen müssen, aber ich siegte. Wider die erste der schändlichen Anklagen, schützte mich der Beweis, daß ich auf Kalatins Ladung mein Land verlassen habe, und alle Schuld fiel auf ihn. Was den Punkt wegen der Verschwiegenheit anbelangte, so hätten mich die Leiden rechtfertigen können, die ich für die Geheimnisse des Ordens erduldet [447] hatte, aber man ließ es gar nicht zu diesem mir so rühmlichen Beweis kommen. Der Herzog, welcher mir einst seine Vertraulichkeiten gegen den Grafen von Segni gebeichtet hatte, furchte, ich möchte hier seine Beichte wiederholen, und lenkte ein.

Ich nahm meinen Platz als ein Schuldlos befundener, nun wieder unter den Richtern, und sah mit Erstaunen, daß auch Kalatin sich entschuldigen konnte; ich ließ alle diese Dinge an ihrem Ort gestellt seyn, und behielt mir vor, einst vor dem Stuhle des Herzogs von Sachsen hierüber zu sprechen, weil hier mir alles verdächtig war.

Die Prüfungen jener schrecklichen Nacht, waren für mich noch nicht geendet; ach die gefährlichsten, sie, die meine Hasser nicht sinnreicher zu meinem Verderben hätten erfinden können, folgten noch. Mir sind diese Dinge noch immer ein unauflösliches Geheimniß, auch hier muß ich glauben, daß der Herzog würklich getäuscht war; gutwillig hätte er, dem die unverletzliche Majestät unserer geheimnißvollen Rechte, und die schwere Strafe, welche auf den mindesten Vergehen, wider dieselben haftete, bekannt war, gutwillig hätte er nicht fehlen, gutwillig hätte er nicht Erdichtung der fürchterlichsten [448] Anklagen, und muthwillige Verleumdung eines gekrönten Unschuldigen begünstigen können.

Aber, unschuldig? Philipp unschuldig? Gott gebe, daß er es nicht war! Sollte würklich das, was mich damals selbst so ganz verblendete, erdichtet gewesen seyn, wo wollte ich Entschuldigung, wo Mittel finden, meine verbrecherischen Hände von vergossenem Blute rein zu waschen!

Die Hälfte der unsern Geheimnissen geweihte Zeit war vorüber. Der Mond ging unter, und alles verkündigte die Annäherung des Morgens. Da erhub sich das Panier des Blutbanns noch einmal und der Herold verkündigte noch einmal Aufmerksamkeit und Stille. Kläger standen auf, und Zeugen zeugten wider Philipp von Schwaben, den unwürdigen Besitzer des Kaiserstuhls; sie nannten ihn Erzbischof Konrads Mörder, und riefen das Wehe über ihn herab. Diese schreckliche Beschuldigung Kaiser Philipps war mir nicht neu, der Herzog von ** hatte schon darüber mit mir geredet und an mich geschrieben, aber sie faßte mich jetzt mit allen Schrecken der Neuheit, ich hielt sie damals für ganz unerweislich, jetzt sahe ich sie mit den täuschendsten Gründen erwiesen.

Armer, armer Alf von Dülmen! wie war dir, als dir die Post, dein Freund, dein Vater, [449] Erzbischof Konrad von Maynz sey nicht mehr, gleichsam von neuem verkündigt ward, als du seine Vergiftung beweisen, und die Stimme seines racheschreyenden Bluts ertönen hörtest? War Wuth und Rachsucht wider den vermeyntlich überwiesenen Mörder dir zu verdenken? War dirs zu verdenken, daß du mit Ungeduld lauertest, wem die Gerechtigkeit das Schwerd wider ihn in die Hand geben würde?

Der Stab ward über Philipp gebrochen; seine Schuld war zu groß, er sollte ungewarnt sterben; man warf das Loos über die Bluträcher; kein gemeines Schwerd durfte den gekrönten Verbrecher fällen, Richter standen auf aus dem Gericht, die Diener der Rache zu werden, und das Loos ward geworfen; es fiel auf mich; und der abwesende Otto von Wittelsbach ward mir zum Gefärthen gegeben.

Mich überfiel ein Zittern, als gelte es hier das Blut der Unschuld; Rache und Grimm gegen Konrads sogenannten Mörder waren wie weggehaucht aus meinem Herzen, mir wars als stünde der Schatten des verblichenen Heiligen an meiner Seite, und hindere mich, das Schwerd zu ziehen, das ich dem Herkommen gemäß zum Zeichen der Einwilligung blößen mußte.

Was zögert Graf Adolf? fragte der Herzog von **, versagt er der Gerechtigkeit seinen [450] Arm, oder zweifelt er an dem, was so eben erwiesen ward?

Keins von beyden, sagte ich mit dumpfer Stimme, aber ich protestire wider einen der sogenannten Ausrichter des Urtheils.

Doch nicht wider euch?

Das darf ich nicht, wo würde ich Vorwand finden? aber was hat Otto von Wittelsbach gethan, der Mörder seines Vaters werden zu sollen?

Wer weis, ob Philipp je Ottos Vater wird, doch dem sey also, hebt nicht die Gerechtigkeit jede Bande auf?

Ich protestire nochmals wider die Schuld, die man auf Ottos Gewissen laden will!

So nehmt ihr sie allein auf das eurige! Philipp falle nur; durch wen unter den ernannten Rächern er falle, das ist für die urtheilssprechende Macht gleichgültig; aber wehe denen, welchen sie das Schwerd vertraute, wenn Erzbischof Konrads racheschreyendes Blut nicht bald befriedigt wird! der dritte Mondswechsel darf Philipp nicht mehr unter den Lebendigen finden.

Es war hier, als wenn noch einige unter den Edelsten unsers Bundes auftreten, und etwas gegen das Urtheil einwenden wollten, aber die Nacht gränzte dicht an den Morgen, dessen [451] Strahlen die Geheimnisse des Blutgerichts 14 nicht entweihen dürfen; es war unmöglich, noch einen Einspruch zu thun; die Versammlung zerfloß wie Wolken zerfließen, und das Urtheil blieb gesprochen.

Keine Sprache schildert meinen Zustand in der Zeit, welche auf das Gericht folgte, das mir jenen greulichen Auftrag gegeben hatte. Schuld und Unschuld desjenigen, welchen ich richten sollte, wogte unaufhörlich in meiner Phantasie auf und nieder, jetzt glühte ich von Rache gegen Erzbischof Konrads Mörder, jetzt bebte ich vor Angst, mein Schwerd möchte bestimmt seyn, einen Unschuldigen zu fällen, nur eins blieb fest und gewiß in meiner Seele, der Entschluß, Otto von Wittelsbach sollte des Antheils an diesen grauenvollen Dingen überhoben bleiben; ich liebte ihn zu sehr, um hier nicht seine Hände rein erhalten zu wünschen; lieber wollte ich allein thun, was ich thun mußte, als ihn durch Theilnehmung unglücklich machen; und that ich hierin etwas sonderliches? Wir opfern uns für das Glück, für die Ehre, für das Wohlseyn unsers Freundes [452] auf, sollten wir nicht das nehmliche für sein Gewissen thun? Niemand hatte ich, mit dem ich über diese Dinge sprechen konnte; diejenigen unter den Mitgliedern unsers Bundes, welche ich genau genug kannte, um ihnen mein Herz zu öffnen, waren des andern Tages nach dieser schrecklichen Nacht schon nicht mehr zu Pamiers, der Herzog von ** hatte mein volles Mißtrauen, und Rudger, der so wohl als ich in jener Nacht gegenwärtig war, durfte Pflicht wegen seine Meynung über Dinge, welche in den höhern Regionen unsers Reichs vorgingen, weder sagen, noch von mir dazu aufgefordert werden. Profane aber zu Vertrauten zu machen, wär Thorheit und Eidbruch gewesen.

Sutrino, der Freund, dessen ich schon mehr gedacht habe, war keiner der Unsern, und also auch gegen ihn mußte ich schweigen; aber sonderbar war es, daß er, so oft wir zusammen kamen, mich mit Dingen unterhielt, welche ganz zu meinem herrschenden Gedanken paßten, und mich überall, wo ich noch wankte, fest zu machen abzielten. Erzbischof Konrads Tod und Philipps Schuld waren unablässig der Gegenstand seines Gesprächs, und kam ich von ihm, so konnte ich gewiß nie in dem, was mir zu thun oblag, zweifelhaft seyn.

[453] Mich trieb meine Pflicht zur schnellen Abreise aus Pamiers, Alverde that das nehmliche, wenn gleich aus andern Gründen. Sie redete mir unaufhörlich vom kaiserlichen Hofe und den Prinzessinnen vor, und drang in mich, zu eilen; ach sie wußte nicht, daß sie dem Hause ihrer Freundinnen in meiner Person das Unglück zusandte. – Auch Pfalzgraf Otto schrieb, und drang in meine schnelle Ueberkunft, damit ich ja von allen Seiten bestürmt würde.

Die Trennung von dem Orte, wo Alix lebte, war mir schwer; ich strebte darnach sie nur noch ein einigesmal zu sehen; man verbarg sie vor meinen Augen; auf der andern Seite forderte der Herzog von **, ich sollte mich vor dem Abschied aus Pamiers noch denen zeigen, welche meine Kerkermeister gewesen wären, dem Bischof von Kastilien und seinen Räthen, die mir gern den grausamsten Tod gegönnt hätten; die Höflichkeit, sagte er, erforderte solches, man müsse auch seinen Feinden zuweilen freundliche Mienen machen, und überdieses sey es ja so erwiesen noch nicht, daß jene meuchelmörderischen Absichten, deren ich sie anklagte, auf ihre Rechnung, nicht vielmehr auf die Rechnung ihrer Diener gehörten. – Verdammte Politik, die eines Mannes, wie der Herzog von **, würdig war!

[454] Ich beantwortete seine Anmuthungen mit verächtlichem Stillschweigen, und schied ohne Verzug aus Pamiers! – Gefangenschaft und Elend hatten mein Blut genugsam abgekühlt, um mich die Nothwendigkeit dieses Scheidens lebhaft fühlen zu lassen, mein Verstand war jetzt nur selten abwesend, war die meiste Zeit über hell genug, um die Armseligkeit der Hoffnungen einzusehen, mit welchen die gutherzige Alverde mir zu schmeicheln suchte, mein Kopf war frey, aber mein Herz litt unbeschreiblich, wenn ich bedachte, in was für Absichten ich eigentlich den kaiserlichen Hof suchte, an welchen mich meine Freunde zu Verbesserung meines Glücks lockten. Sie machten tausend Plane im Stillen für mich, von welchen nicht einer glücken konnte, da sie nur wenig von meiner wahren Lage wußten.

Otto und Alverde, mich allmälig von Alix loszureißen, suchten Bande zwischen mir und der Prinzessin Beatrix zu knüpfen, welche zwischen der Tochter und dem bestimmten Mörder ihres Vaters ja gar nicht statt haben konnten.

Als ich diese Dame sah, die schönste, welche ich je nach Alix erblickte, das lebende Bild der Unschuld und des Frohsinns, als ich die holdselige Elise sahe, welche durch die sanfteste Herablassung mich ganz zu fesseln wußte, als ich die [455] edle Irene, die Mutter der unvergleichlichen, ganz nach ihr gebildeten Schwestern, und den Kaiser sah, in all der Majestät und Milde, welche wahrhaftig keinen Mörder und Giftmischer bezeichneten, da sank mein Herz, und ich betrachtete mich mit Abscheu, daß ich Unglück in diese Familie bringen sollte. Ich kämpfte innerlich die schrecklichsten Kämpfe, unstät wie der erste Mörder irrte ich umher, und floh meine besten Freunde, floh selbst den Pfalzgrafen Otto, der meinen geheimen Kummer sah, und mir überall, wo er mich festhalten konnte, zusetzte, mein Herz vor ihm auszuschütten, oder mich mit Trost aufzurichten suchte, welcher kaum halb auf meinen Zustand paßte.

Ich sollte glauben, in dem Zustande, in welchem ich mich damals befand, müsse auch mein Aeußerliches den widrigsten Eindruck gemacht haben; ich glaubte ihn in manchen Augen zu lesen. Die Kaiserin schien ein innerliches vielleicht ahndendes Beben vor mir zu fühlen, Elise zwang sich nur, um Wittelsbachs willen mich liebenswürdig zu finden, Beatrix liebte mich zwar, aber sie fragte sich, wie es schien, immer insgeheim, woher doch das Etwas komme, welches mit ihrer Zuneigung eine Art von Furcht und Mißfallen verbinde. –

[456] Mir war dies schreckliche Etwas wohl bekannt, das mich mir selbst zum Abscheu machte, und das ich jetzt mehr als jemals abzuschütteln suchte. Ich konnte, ich konnte den zu Pamiers erhaltenen Auftrag nicht ausführen, konnte nicht der Verderber dieses Fürstenhauses und der Mörder dieses Kaisers werden, an welchem ich so viel Vortreflichkeiten entdeckte. Um mich von meiner grausamen Pflicht loszumachen, strebte ich nach Gründen, Philipp schuldlos und das Gericht, wo er verdammt wurde, verdächtig zu finden; endlich kam es zwischen mir und Rudger über diese Dinge zur Sprache. Seine Zweifel waren die meinigen, und er schlug mir vor, er wolle eine Reise nach dem Herzog von Sachsen thun, um von ihm Aufklärung jener Dunkelheiten zu holen, ein Einfall, der mir wie vom Himmel zu kommen schien.

Dem Herzog von Sachsen Botschaft zu thun, schien mir auch noch aus einem Grunde nöthig: Kalatin, zu welchem ich nach den letzten Vorgängen nun einmal kein Herz mehr haben konnte, war, wie ich wußte, zu ihm abgereist, er konnte vielleicht Böses wider mich im Sinne haben, welches Rudgers Gegenwart hindern konnte. Kalatin war mir bey meiner Ankunft am kaiserlichen Hofe nur wie ein Gespenst erschienen, um mich noch einmal um Alverdens Hand[457] anzusprechen. Ich schlug sie ihm ab, und er wandte mir den Rücken; bald darauf verschwand er gar, ich erfuhr, er sey nach Sachsen gereist, und dieses denke ich, war genug, mir Besorgnisse seiner Absichten wegen einzuflößen. Rudger sollte ihnen entgegen arbeiten, sollte mir schnelle Aufklärung meiner Zweifel bringen; wahrhaftig wichtige und nothwendige Geschäfte, wenn nicht das noch nothwendiger gewesen wär, bey mir zu bleiben, und meinen schwankenden Schritten zum Leiter zu dienen.

Ach der ehrliche Alte, unter dessen Augen ich aufgewachsen war, und der durch geprüfte Treue das Recht erlangt hatte, ehe mein Freund als mein Diener zu heißen; da er mich verlassen hatte, gesellten sich Verführer zu mir, die mich zu Thaten vorbereiteten, welche in halber Raserey begangen, mit endloser Reue gebüßt, und umsonst durch die Vorstellung entschuldigt wurden, ich sey verpflichtet gewesen, sie zu begehen, Kaiser Philipp sey ungeachtet seiner schönen Außenseite dennoch ein Mörder, und ihn habe in meinem Schwerd nichts als die Hand gerechter Rache getroffen.

In der Hoffnung, mich durch einen Ausspruch des Herzogs von Sachsen von meinem grauenvollen Auftrag entledigt zu sehen, fing ich [458] nun schon an, mich mit noch weitern Aussichten zu belustigen. Der Gedanke, Alix werde nicht Königin von Kastilien werden, kam mir nicht aus dem Sinn, Alverde hatte mir versprochen, zu Pamiers für sie zu wachen, und mich bey dem geringsten Anschein, daß man die Heyrathstraktaten aufheben, und sie ihrem Bruder zurück schicken wollte, herbeyzurufen. Ich wollte denn ihr Begleiter nach Toulouse werden, wollte ihrem Bruder meinen Arm gegen seine Feinde leihen, wollte siegen, und sie sollte der Lohn meiner Tapferkeit werden.

Mitten in diesen Projekten, die mir Frohsinn und Selbstzufriedenheit wieder zu geben begunnten, erhielt ich Briefe von Sutrino aus Pamiers. Rechtfertigung wegen der Beschuldigung, die ich ihm auf Rudgers Angabe gemacht hatte, er sey eine Kreatur des Bischofs von Sutri, war ihr Inhalt. Um seine Unschuld hierin scheinbar zu machen, warnte er mich selbst vor diesem Bischoffe, den ich haßte, und der sich vergebens bemühte, sich in meine Vertraulichkeit einzuschleichen. Er rieth mir zugleich, auch Otten von Wittelsbach zu warnen, und streute eine Menge Winke ein, daß man gesonnen sey, ihm seine Elise zu rauben; und daß es der Kaiser so ehrlich mit ihm als mit irgend einem Menschen meyne; mehrere Auskunft über diese [459] Dinge zu erlangen, verwies er mich an den Ueberbringer seines Briefs, welcher von der nehmlichen Schlangenart wie er, sich künstlich in mein Herz zu schlingen, und es mit all seinem Gifte zu erfüllen wußte; er erregte in mir die schrecklichsten Ahndungen von den Absichten des Kaisers auf den kastilischen Thron, von Erhebung seiner Tochter und Verdrängung einer andern, und verließ mich nicht ehr, bis er sein Werk ganz gethan zu haben meynte.

Ich nahm mir vor, endlich einmahl ausführlich mit Wittelsbach zu reden, dessen Umgang, aus Furcht ihm meine schrecklichen Geheimnisse zu verrathen, ich bisher immer geflohen hatte. Ein Brief warnte ihn vorläufig vor Sutri und vor dem Kaiser; bessere Erläuterung sollte nachkommen, aber sie erfolgte nicht. Dringende Geschäfte riefen den Pfalzgrafen eilig nach Pohlen, und ich erhielt von ihm nur schriftlichen Dank, und die Einladung, während seiner Abwesenheit in seinem Pallaste zu wohnen, um daselbst in der Nähe für Elisen wachen zu können, die er jetzt verlassen müsse.

Welch ein Auftrag für den, welcher vom Schicksal bestimmt war, das Herz dieser edeln Prinzessin auf das tiefste zu verwunden! – Ich nahm ihn an, weil ich nicht anders konnte, [460] und betrat Wittelsbachs Pallast, um in demselben den fürchterlichsten Auftritten meines Lebens entgegen zu sehen.

Ich stand am Tage meines Einzugs auf dem Balkon des Hauses, welcher das Frontispitz des Gebäudes ausmachte, und die Aussicht auf den Pallast der Prinzessinnen hatte. Ich sah einen Reisewagen von einem einigen Bedienten begleitet ankommen, er öfnete sich, und eine Dame stieg heraus; ich fuhr voll Erstaunen zurück; dies war die vollkommene Gestalt meiner Schwester. Meine Leute wurden beordert; Erkundigung einzuziehen, und sie brachten Bestättigung zu rück: Die Dame nenne sich Alverde von Merode und komme aus Pamiers mit wichtigen Nachrichten an den kaiserlichen Hof.

An den Hof? sagte ich zu mir selbst, warum nicht zu ihrem Bruder? was sie zu melden hat, sind doch wohl nichts anders als Nachrichten von Alix. – Gott, wenn die Erreichung meiner Wünsche so nahe wär! wenn sie käme, mich aufzufordern, der verflossenen Gräfinn von Toulouse meinen Arm zu reichen, und sie in ihr Vaterland zurückzuführen! – Aber warum mußte Alverde selbst kommen? Wie konnte sie ihre Freundinn in einer Lage, welche auf alle Art bedenklich seyn muß, allein lassen? – Ach sollte [461] hierin vielleicht noch mehr, als ich zu hoffen wage, verborgen liegen? – O gewiß, gewiß! – Die Umstände sind dringender geworden, man hat vielleicht böse Anschläge auf Alix gehabt, mich zu Hülfe zu rufen, war zu weitläuftig, die beyden Freundinnen haben sich selbst helfen müssen, sie sind geflohen, Alix hat Alverden voraus geschickt, ihr Zuflucht an Philipps Hofe zu erbitten, und wird ihr diese gewährt, so ist dies ein neues Band, mich an den zu fesseln, den ich verderben soll. Nein, Philipp! ich schwöre dir, giebst du meiner Geliebten Schutz vor ihren Feinden, so soll mich nichts bewegen, dein Leben anzutasten, und wärst du all der Unthaten schuldig, deren man dich zeihet, und gäb mir Herzog Bernhard selbst das Schwerd in die Hand, die Befehle der Gerechtigkeit an dir zu vollziehen.

Ich wartete diesen Tag, ich wartete den ganzen Abend vergebens auf Nachricht von meiner Schwester, ich bewachte die Strasse, wo ich glaubte, daß Alix, meinen Phantasien zufolge, herkommen müsse; niemand erschien, ich sah Alverden drüben im Pallaste der Prinzessinnen weinend am Fenster stehen, ich sah auch Beatrix und Elise weinen! Himmel, was mochte das zu bedeuten haben! Mein Blut ward zu Eis, und ich hatte kaum so viel Kraft, Befehl zu geben, [462] man möge der neuangekommenen Dame Nachricht geben, ihr Bruder wohne im benachbarten Hause und wünsche sie zu sprechen; die Antwort kam zurück: die fremde Dame befinde sich sehr übel, und könne weder Bruder noch Freund sehen und sprechen. Himmel, welch eine Antwort! entweder falsch ausgerichtet oder falsch verstanden, oder in einer Verwirrung gegeben, welche sich bey Alverdens damahliger Gemüthsfassung wohl entschuldigen ließ.

Ich war außer mir, Ahndung von, ich weis nicht, welchem Unglück durchströmte mein Innres. Ich schleppte mich mit Mühe an das Fenster, weil ich Geräusch auf der Gasse hörte, und die lächerliche Hoffnung auf Alix Zukunft noch immer meine Phantasie beschäftigte. Ich sah einen prächtigen Zug die Strasse herauf nach dem kaiserlichen Pallaste kommen. Ich erkannte in den beyden Hauptfiguren des beweglichen Gemäldes, den Bischoff von Kastilien und den Grafen von Kastelmoro.

Was ist das? rief ich, indem mir kalter Angstschweiß über die Stirne lief. – Es sind die kastilischen Gesandten, erwiederte einer meiner Leute, der hinter mir stand, man hat sie diesen ganzen Tag erwartet, aber sie haben sich auf einem benachbarten Lustschloß verweilt, um [463] sich zur Audienz zu schicken, zu welcher sie, weil man sich angenehme Werbung von ihnen versieht, augenblicklich geführt werden.

Eine Frage schwebte auf meinen Lippen, welche mir hier wohl schwerlich hätte beantwortet werden können; sie wurde gehemmt und alle weitere Betrachtungen über das, was ich sah und hörte, wurden gestört, denn man trat ein, mir die Ankunft eines reitenden Boten zu melden, welcher mich selbst zu sprechen verlange. Der Zusatz, er komme mit der Gesandschaft aus Pamiers von Sutrino, verschafte ihm augenblicklichen Zutritt. Ich riß ihm den Brief aus der Hand, ich öfnete, ich las, und wenn der, für welchen ich schreibe, ihn ebenfalls gelesen haben wird, so wird der große Zwischenraum, den ich zwischen diesem schrecklichen Schreiben und der Fortsetzung meiner Geschichte machen muß, von ihm sehr leicht ausgefüllt werden können.

[464]
Sutrino an Alf von Dülmen.

Alix ist tod, und der Vater der künftigen Königin von Kastilien, der Prinzessin Elise, ist ihr Mörder. O des heillosen Vergifters jenes Heiligen und dieses Engels! Alf von Dülmen, wo schläft die Rache? könnt ihr euch von dem, der euch den Freund entriß, so kaltblütig auch die Geliebte aus den Armen reissen lassen? – Mir erstarrt die Hand an der Feder, möge die Eurige nicht am Schwerdt erstarren! – Umständlichere Erzehlung der grauenvollsten Dinge erhaltet ihr von dem Ueberbringer. Hütet euch vor allen euren sogenannten Freunden, hütet euch selbst vor eurer Schwester Alverde, die an dem Schicksal der unglücklichen Alix nicht außer Schuld ist; vertrauet in diesen Dingen nur der Aussage des Mannes, den ich euch sende, und der euch all die schrecklichen Geheimnisse aufklären wird.


Und ich erhielt sie diese Aufklärung um mich in volle Verzweiflung zu stürzen, erlasset mir ihre Wiederholung, damit nicht mein Verstand zum zweitenmahl scheitere. Alix war gestorben, an Gift gestorben; nach dem Bericht, welchen ich erhielt, ließ sich die Hand nicht verkennen, welche sie aus dem Wege räumte, um Elisen auf dem ihr bestimmten [465] Throne Platz zu machen. Die kastilische Gesandschaft bestättigte Philipps Schuld, und von diesem Augenblicke an war er in meinen Augen ein dem Tode geweihter Verbrecher, ich glaubte ihn vor mir zu sehen, und langte nach meinem Schwerdt, das Blut der unglücklichen Alix zu rächen, meine Hand sank zurück, und ich fiel in gänzliche Bewustlosigkeit.

Was von diesem Augenblick an bis auf den fürchterlichsten Zeitpunkt meines Lebens mit mir vorgegangen ist, schwebet mir nur wie Traum vor den Augen. Schmerzen, Hitze, tödliche Entkräftung besinne ich mich gefühlt zu haben! – Alverdens Namen hörte ich verschiedenemahl nennen, und er war allemahl ein Zauber, mich auf einige Augenblicke zur Besonnenheit zu bringen.

Was will sie bey mir? schrie ich mit knirschenden Zähnen.

Gnädiger Herr, euch sehen, euch in eurer Krankheit pflegen, ungeachtet sie selbst krank ist.

Hinweg mit der Mörderinn! schrie ich; durch Bosheit oder wenigstens Vernachläßigung lieferte sie Alix in Philipps Hände.

Fürchterliche Rasereyen folgten hierauf, meine Reden wider den Kaiser waren so, daß man sich scheute sie einem Fremden hören zu lassen, daher ward mein Zimmer vor jedermann verschlossen. Meine natürliche Stärke, welche durch die Krankheit[466] verdoppelt ward, nöthigte meine Leute mich zu binden, weil ich auf keine andere Art zu bändigen war, und ich mit der größten Schlauhigkeit Gewehr oder andere Werkzeuge zum Schaden an mich zu bringen wußte, die mir denn schwer zu entreissen waren.

Man versuchte tausend Mittel mich zu besänftigen. In meinen sanftern Stunden, pflegte ich oft Herzog Bernhards Namen zu nennen, und über Otto und Rudgers langes Ausbleiben wie ein Kind zu weinen; man sagte mir, der letzte werde nur noch wenige Meilen von der Stadt von den Folgen eines Sturzes vom Pferde, bettlägrig gehalten, und den Pfalzgrafen erwarte man in wenig Tagen von seiner Reise aus Pohlen zurück, Umstände, aus welchen sich die Dauer meiner Krankheit errathen läßt.

Von Herzog Bernhard gab man mir einen Brief; er machte die Idee von Sutrinos Briefe wieder in mir rege, und statt ihn zu lesen, zerpflückte ich ihn in kleine Stücken.

Raserey und Wehmuth wechselten lang bey mir ab; bis endlich die letzte die Oberhand behielt und man mich gelinder behandeln konnte, man band und bewachte mich nicht mehr so scharf, nur die Mittel, mein Zimmer zu verlassen, benahm man mir, indem man mir Kleider und Rüstung aus dem [467] Wege räumte. Alverde ließ sich wieder bey mir melden, aber mein Widerwille vor ihr blieb entschieden, ich ließ ihr sagen, ich wolle sie nicht sehen, und legte damit einen Beweis ab, wie viel noch an der völligen Wiederherstellung meines Verstandes fehlte. Sie sandte mir einen Brief, mit Bitte ihn, da er offen war, zu lesen, und denn zu bestellen; ich warf ihn verächtlich auf die Seite. Ich erhielt einen anderen von Kalatin, und er würde um des Schreibens willen, ein noch schlimmeres Schicksal gehabt haben, wenn ich ihn nicht verloren hätte. So veranlaßte mich meine unglückliche Gemüthsfassung alles hinweg zu werfen, was mich hätte retten können, und blind in mein Unglück zu rennen.

O daß ich mich mit meinem halben Wahnsinn schützen, o daß ich behaupten könnte, ich habe völlig als ein Trunkener gehandelt, als ich die That beging, die ich, ich zögre auch noch so lang, doch endlich bekennen muß; aber hinweg mit der Schminke eine That zu beschönigen, die doch allemahl ihren greulichen Namen, Kaisermord, behalten wird, da ich mich jedes Umstandes bey derselben zu deutlich erinnere, um mich hinter Bewußtlosigkeit verbergen zu dürfen.

Mein Gesundheitszustand war leidlich, meine Hüter fingen an nachläßig zu werden, und meiner Besserung zu viel zu trauen. Sutrinos Brief war mir wieder in die Hände gefallen, und hatte meine [468] Wuth gegen Philipp erneuert, ich zwang sie ein, um mir Freiheit zu handeln zu erhalten. Nach einer von Alix Blut und Rache durchträumten Nacht, erhub ich mich um aufzustehen, ich sah mich noch schlechter als bisher bewacht, und wünschte mir Glück die Stunde gekommen zu sehen, die ich schon lang erwartet hatte. Ich fühlte die Unschicklichkeit und Gefahr im Nachtrock auszugehen, und suchte nach meinen Waffen und Kleidern; sie waren verschlossen.

Der Weg zu Wittelsbachs Rüstkammer war mir nicht unbekannt. Ich sah in den Hof hinab, der zu dem Theil des Pallasts führte, wohin ich wollte. – Der Hof war leer. Ich eilte ungesehen hinüber, warf mein Nachtgewand unterwegens ab, flog in die Waffenhalle, welche offen stand, schlüpfte in die erste beste Rüstung, die mir in die Hand fiel, behelmte mich und schloß das Visier, nahm Wittelsbachs Kriegsschwerdt und seinen Schild, und eilte auf die Strasse hinaus, gerüstet wie zur Schlacht, um einen einzelnen Mann zu erwürgen.

Ohne Anstoß erreichte ich den kaiserlichen Pallast; man ließ mich ein, worüber ich mich wunderte, weil mirs war, als müßte jedermann mir meinen Mordanschlag ansehen, und ich nicht soviel Besonnenheit hatte zu denken, daß in Wittelsbachs Waffen mich bey der Gleichheit unserer Statur, die niemand anders hier mit uns gemein [469] hatte, mich jedermann für Wittelsbach halten müste, für Wittelsbach, dessen Ankunft, wie ich hernachmahls erfuhr, man heute erwartete, und der als des Kaisers Schwiegersohn nicht allein immer den freysten Zutritt hatte, sondern heute noch besonders zu einer geheimen Audienz berufen worden war.

Von allen diesen Dingen wußte ich nichts, ich konnte weder Ursach noch Folgen dessen, was ich vor mir hatte, beherzigen, sondern lebte und webte nur in dem Gedanken, die Rache zu vollführen, welche schon so lange in meinem Innersten kochte, und zu welcher ich mich, wenn mir die Aufträge zu Pamiers in mein zerrüttetes Gehirn kamen, noch oben drein verpflichtet glaubte.

Als ich auf die große Stiege kam, begegnete mir der Bischof von Kastilien, welcher eben beym Kaiser zur Audienz gewesen war; ich trat auf die Seite ihn vorüber zu lassen, mein Schwerdt zuckte in der Scheide, auch an ihm den Tod der Gräfin von Toulouse zu rächen, aber der Gedanke, ich möchte über das kleinere Opfer meiner Rache, das größere verfehlen, rettete sein Leben, ich blieb stehen und sah ihm nach. Unten an der Treppe begegnete ihm die Prinzeßin Elise, welche auch nach Hofe berufen und eben aus ihrem Wagen gestiegen war; er demüthigte sich sehr vor ihr, und bat sie, mit ihm in eine untere Halle zu treten, weil [470] er Dinge von Wichtigkeit mit ihr zu bereden habe. Ha, sagte ich knirschend zu mir selbst, die künftige Königin von Kastilien; welcher die arme Alix zum Opfer geschlachtet wurde! des Wittelsbachers treulose Braut! der heillose Mönch will sie vermuthlich von ihren Schwüren absolvieren, die sie an meinem Freunde brach, und die ihr gottloser Vater sie brechen lehrte. O Otto, Otto! auch zu deiner Rache soll Philipps Blut fliessen! Hier hätte es keinen Auftrags der heimlichen Richter bedurft, ein jeder adlicher Mann ist schon von selbst befugt, solche Gräuel mit dem Schwerdt zu rächen.

In solchen Gedanken, welche zu ziemlich laut gemurmelten Worten wurden, legte ich den Weg nach des Kaisers Gemach vollends zurück. Wie ein Rasender stürmte ich in das Vorzimmer hinein, ich war ganz verblendet; ein der Thür gegen über stehendes Bild des Kaisers hielt ich für ihn selbst, und riß das Schwerdt aus der Scheide es zu durchbohren; Ein gegenüber stehender Spiegel warf Philipps Aehnlichkeit täuschend zurück, und ließ mich den zweyten Stoß eben so vergeblich anbringen, so taumelte ich mit entblößtem Stahl von einem zu den andern, bis jetzt die innere Kabinetsthüre aufging, und mir den wahren Gegenstand meiner Wuth zeigte, ich stürmte hinein und versetzte dem Kaiser, der mir entgegen trat und einige Worte zu mir sagte, die ich nicht verstand,[471] einen Streich, der ihn augenblicklich zu Boden stürzte. Erst jetzt merkte ich aus dem Geschrey verschiedener Personen, daß ich das Opfer meiner Rache nicht allein gefunden hatte, und daß es ein halbes Wunder war, daß mir mein Streich so wohl gelang.

Noch war ich verblendet genug über meine That zu jauchzen; der Anblick des Gefällten pflegt sonst oft den Mörder zu entwafnen, mir flößte er Durst nach mehrern Blut in die Seele. Ich flog aus dem Zimmer, wo die Bestürzung und das Bestreben den Kaiser zu retten keinen Gedanken aufkommen ließ mich fest zu halten, ich eilte die Stiegen hinunter, um wo möglich den Bischoff von Kastilien noch zu finden und ihn dem Schatten der unglücklichen Alix ebenfalls zum Opfer zu schlachten, aber ich sah seinen Wagen eben abfahren, und die Prinzeßin Elise, von dem Gespräch mit ihm, die Treppe herauf kommen.

Ihr Anblick verursachte mir eine sonderbare Empfindung, sie ging so ruhig in der Unschuld und Majestät eines Engels daher, was sollte ich von ihr halten? und welchen Schrecknissen ging sie entgegen! Schon machte der wachsende Lerm in den obern Zimmern und die hin und hereilenden Bedienten sie stutzen, sie eilte vorwärts, ich strich unbemerkt bey ihr vorbey, auf die Strasse. Auch diesmahl ließ mich die äußere Wache ruhig passiren, [472] ich hatte in des Wittelsbachers Waffen, ohne es zu wissen, einen guten Freybrief, der auch wohl die volle Geberde eines fliehenden Mörders, die ich hatte, unverdächtig machen konnte.

Nach Elisens Anblick wars, als wenn sich ganz andere Empfindungen meiner Seele bemächtigten; nur Empfindungen, keine Gedanken, keine lebhaften Vorstellungen; der schreckliche Zustand in welchem ich war, machte mich derselben ganz unfähig. Ich war wie im ersten Erwachen aus einem Rausche. Ich wußte damahls weder ganz genau was ich gethan hatte, noch was ich thun wollte, ein unnennbares Gefühl belastete meine Seele; fliehen, fliehen war mein einiges Bestreben, nicht vor einer Gefahr, von welcher ich keine Vorstellung hatte, sondern vor einem Etwas das in mir war, das ich mir selbst nicht bestimmen konnte.

So flohe ich denn über die Strassen, durch die Thore, ins Freye, über Feld und Wiese, und rastete nicht ehe, bis mir der Athem gebrach und ich auf einem Stein ohne Bewußtseyn niederfiel. Es war fast Nacht als ich mich wieder erholte, das Rütteln eines Mannes, den ich in der Dämmerung nicht erkennen konnte, erweckte mich endlich. Ach Gott! schrie eine bekannte Stimme, ist denn alles vergebens? Lieber, lieber Herr! war es so, daß ich euch wiederfinden sollte?

[473] Rudger! rief ich, indem ich mich aufrichtete, mit einer Art von Freudengefühl, Rudger, bist du es? Ach warum bist du nicht ehe gekommen?

Gnädiger Herr, meine Krankheit! Aber Gott! was ist euch begegnet?

Mir? nichts! zwar laß mich doch nachdenken! – Mir träumete gestern, ich habe Kayser Philippen erschlagen und muste nun fliehen.

Gottlob, daß dieser schreckliche Traum nicht Wahrheit ist! O mein Herr wie gut! daß ihr mich zum Herzoge von Sachsen schicktet! ihr habt ihn doch erhalten, seinen Brief?

Warum? was enthielt er? ich habe ihn nicht gelesen! Ich war sehr krank, Rudger, und in der Krankheit, glaube ich, habe ich ihn zerrissen.

Armer Herr! krank seyd ihr wohl noch! Gott sey dank, daß ich hier bin Euer zu pflegen. Beruhigt Euch nun, alles wird gut werden, was Euch kränkt. Der Herzog von Sachsen enthebt Euch jeder schrecklichen Verbindlichkeit; das konnte ich wohl denken, daß es mit jenem Gericht zu Pamiers seine eigenen Bewandnisse gehabt haben würde; schwer wird der Herzog von ** seine Bosheit oder seine Unvorsichtigkeit büßen müssen!

Ach Rudger, rief ich, indem ich seine Rede unterbrach, welche ich weder verstand noch beachtet hatte. Alles möchte gut seyn, wenn nur Alix lebte, und Philipp nicht ihr Mörder gewesen wär!

[474] Alix tod? Der Kayser ihr Mörder? Das ist unmöglich!

Sehr möglich, sage ich dir! auch ist die That schon gerochen; siehst du Philippen? siehst du ihn bluten? – Nein, nein! es war kein Traum, ich habe den Mörder Konrads und der Nonnen Alix wirklich erschlagen!

Rudger mochte in diesen Worten, so wenig ich auch übrigens bey mir selbst zu seyn schien, Wahrheit ahnden, denn er fuhr voll Entsetzen auf, und sprach das Wort: Kaysermord? mit einem Tone aus, der mein Innerstes zerriß. Ich that einen lauten Schrey und fiel in Ohnmacht.

Ich kann meinen damahligen Zustand mit nichts besser vergleichen, als mit dem Zustand eines Mannes, welcher von Feuer zu träumen glaubt, indessen würklich die Flammen nahe bey seinem Lager wüthen, er ermuntert sich von Augenblick zu Augenblick ein wenig, aber der Schlaf behauptet seine Rechte, er sinkt zurück und träumt den vermeinten Traum fort, bis ein heftiger Schlag ihn auf einmal ganz erweckt, damit der Anblick der würklichen Gefahr, der er nun nicht mehr entfliehen kann, ihn ganz zu Boden stürze.

Das Wort, Kaysermord, aus Rudgers Munde, war der gewaltsame Schlag, der mich traf, ich sah auf einen Augenblick hell, um nun Wochenlang nichts mehr zu sehen, und ganz wieder in den Zustand [475] zurück zu sinken, in welchem ich die lezte Zeit nach der Nachricht von dem Tode meines Geliebten zugebracht hatte.

Rudgers Gegenwart war meine einige Rettung; er schleppte mich mit Hülfe eines vorübergehenden Bauern in seine Herberge, und brachte mich auf ein Bette, von welchem ich lang nicht wieder aufstehen sollte. Meine Krankheit war diesesmahl nicht mit den vormahligen Paroxismen von Wuth verbunden, hierzu waren die Kräfte meiner Natur zu erschöpft, ich lag fast die meiste Zeit ohne alle Besinnung, und nur Rudgers treue Liebe konnte ihn mit Hofnung zu meiner Wiederherstellung begeistern.

Ja wohl Rudgers traute Liebe! Liebe gegen einen Menschen, den er im Grunde verabscheuen mußte! Was hatte ich gethan! Wo war die Entschuldigung meiner That! Das kleinste Nachdenken über dieselbe mußte mich in Verzweiflung stürzen, und eben darum suchte es Rudger zu vertheidigen. Er sprach nie mit mir über diese Dinge. Die Umstände von des Kaysers Ermordung hatte er indessen durch das Gerücht erfahren, er hatte also nicht nöthig, hievon noch etwas bey mir zu erfragen; einen Punkt, der seinem redlichen Herzen den peinlichsten Kummer machte, den, daß man den unschuldigen Otto von Wittelsbach für den Thäter hielt, weil man seine Gestalt für die meinige genommen hatte, [476] verschwieg er mir; vornehmlich er konnte urtheilen, was diese Entdeckung, auf welche ich, so natürlich sie war, nicht von selbst fiel, für einen Eindruck auf meine ohnehin zerrüttete Seele machen müsse.

Ottos Unschuld wäre von meiner Seite nicht anders zu retten gewesen, als wenn ich mich selbst als den Schuldigen bekannt hätte, ich würde es unausbleiblich gethan haben, und dieses wollte Rudger verhüten; nicht gestraft, nein gerettet wollte er mich sehen. Das erste Mittel hiezu war Flucht, aber wie sollte er dieselbe bey mir in Vorschlag bringen? schon dieses Wort würde mein Gewissen geweckt haben, das er, weil er sein fürchterliches Erwachen besorgte, gern noch im Schlummer erhalten wollte. Sobald meine Gesundheit Entfernung von dem Orte, wo ich bisher gelebt hatte, erlaubte, schlug er eine Reise nach meinen Landen vor, wo man meine Abwesenheit, meine zu diesem Endzweck künstlich genug veranstaltete Abwesenheit wohl genutzt und alles unter und übergekehrt hatte. Meine meisten Besitzungen waren wieder in den Händen des Bischofs von Bremen und Münster; und wenige meiner Unterthanen hielten noch treulich an ihrem Herren, und ihre Hülfe war es allein, auf welche Rudger die Wiedererlangung meines Eigenthums baute. Um mein Nachdenken ganz auf eine andre Seite zu lenken, sprach er mir [477] unabläßig von diesen Dingen, und es gelang ihm, daß er meine ohnedem schwache Seele dahin brachte, die lezten Vorgänge gleichsam zu vergessen, und nur bey den Epochen früherer Zeiten zu verweilen.

Der Gedanke an das Land, wo ich meine erste unschuldsvolle Jugendzeit verlebt hatte, da ich noch weder Liebe, Ehrsucht, noch falsche Freundschaft kannte, da Alix, Philipp und Kalatin, und alle Personen mir noch unbekannt waren, mit welchen mich mein Schicksal in der Folge in so unselige Verbindungen sezte, die Rückerinnerung damahliger ungetrübter nun auf ewig entflohnen Freuden brachte mir natürlich auch Evert von Remen wieder in den Sinn. Ich fragte nach ihm, als nach einem lang vermißten Freunde, die Verleumdungen Kalatins, die ehemals mein Herz von ihm losrissen, waren gänzlich vergessen, und das, was mir Rudger von der Treue und Tapferkeit sagte, mit welcher er sich meinen Feinden in meiner Abwesenheit entgegengesetzt hatte, stärkte meine wiederaufkeimende Freundschaft und meine Sehnsucht nach ihm. Ich freute mich, ihn in jenen Gegenden wieder zu sehen, und Rudger widersprach mir nicht, weil ihm wirklich Everts lang ausgeführter Entschluß nach dem heiligen Lande zu gehen, so unbekannt war als mir; auch ich hätte denselben wissen und vorbeugen können! Evert hatte mir [478] ihn in einem längst vergessenen Briefe mitgetheilt, der so, wie viele andre, ungelesen geblieben war. Der Taumel mannichfaltiger Leidenschaften, in welchem ich die lezt verstrichenen Jahre über gelebt hatte, die mancherley Vorurtheile, von denen ich mich beherrschen ließ, und meine eben so mannichfaltigen Schicksale, hatten ja gemacht, daß ich mich immer bloß mit mir selbst, und dem, was gerade vor mir lag, beschäftigte, und alles auf die Seite warf, was mir von einer andern Gegend zukam.

Rudger, der meine Fragen um Evert von Remen nicht befriedigend genug beantworten konnte, versprach mir, wenn ich fortführe, ihm durch meine gute Fassung Freude zu machen, mir ein kleines Kästgen mit Briefen zur Unterhaltung zu geben, welche ich ehedem, so wie ich sie erhielt, gelesen oder ungelesen zusammen warf, und die er, nebst andern Habseligkeiten von mir, aus der kayserlichen Residenz hatte herüberbringen lassen. Einige Briefe von Wittelsbach, von Evert von Remen, und andre dem treuen Rudger unverdächtigen Personen, machten die obersten Lage dieser Schriften aus, und er glaubte, nicht allein mir sie ohne Gefahr übergeben zu können, sondern auch großen Vortheil zu mehrerer Beruhigung für mich daraus zu ziehen.

Ach wie sehr irrte er sich! Unter einem grossen Gewühl gleichgültiger, wirklich ehr zerstreuender [479] als beunruhigender Blätter fand ich auch manches, das alles was Rudger so mühsam herangearbeitet hatte, schnell zu zerstören drohte. Etliche alte nur halb gelesene Schreiben von Evert und Wittelsbach machten mich schon wieder aufmerksam auf Dinge, in deren Vergessenheit jezt meine einzige Rettung bestand. Die Fragmente jenes Briefes vom Herzog von Sachsen, den ich in meiner Krankheit zerriß, und die hier, Gott weis durch welchen Zufall sich gleichfalls fanden, brachten mir die That, welche mich auf Lebenszeit unglücklich machte, und vor welcher er mich so treulich warnte, lebendig vor Augen, und einige Zettel von Alverden und Kalatin vollendeten das Ganze. Es waren die zulezt erhaltenen, deren ich aber gedacht habe, und ich rücke sie hier ein, weil sie kurz genug sind, um mir in den Gedanken geblieben zu seyn, und weil man aus ihnen am besten sehen kann, welches meine Gefühle nach ihrer Vorlesung seyn mußten.

Alverde an ihren Bruder.

»Was habe ich dir gethan, Adolf! daß du mich von deiner Schwelle zurückstössest; ach der Verlust [480] der unglücklichen Alix zerrüttet deine Seele, sonst könntest du so nicht handeln! Könnte ich doch dein Gemüth von den gewaltsamen Empfindungen zu sanfter Wehmuth herabstimmen, vielleicht möchte dir denn doch geholfen werden. Möchtest du doch Alix beweinen lernen, anstatt daß du durch Rasereyen, davon wir täglich hören, dich und sie beschimpfest! Nimm hier diesen Brief, von ihrer Hand geschrieben die mir so oft die Wohlthat tröstender Thränen gewährte, vielleicht hat er auf dich die nehmliche Wirkung. Behalte ihn, er ist an ihren Bruder, den Grafen von Toulouse; sie empfiehlt mir ihre Bestellung am Tage vor ihrem Tode; vielleicht, daß du hierzu ehe Gelegenheit haben möchtest, als die unglückliche selbst dem Grabe nahe Alverde.«


Ein Brief von Alix Hand! o Ademar, welche Erschütterung! Ja, Alverde hatte recht, er schmelzte mein Herz zu Thränen, er lehrte mich ihre Todesart in mancher Betrachtung wichtiger beurtheilen, aber heilender Balsam war er mir darum nicht. Alverde schien die Freundinn der armen Alix bis in den Tod gewesen zu seyn; Kayser Philipps Antheil an den Schreckensscenen zu Pamiers ward mir zweifelhaft, aber konnte dies mich trösten, da das, was ich gethan hatte, nun nicht ungeschehen gemacht werden konnte?

[481] Kalatins Brief vermehrte diese gefährlichen Eindrücke; so lautete er:

Kalatin an Graf Adolf von ***

»Ihr seyd mein Feind, Graf Adolf; die Hartnäckigkeit, mit welcher ihr mir noch zuletzt die Hand Eurer Schwester abschlugt, beweißt es mir. Wie ich gegen Euch gesinnt bin, das gehört nicht hieher, nur einen Freundesdienst muß ich Euch beweisen, wozu mich doch wahrlich weniger die Neigung für Euch, als Sorge um die Ehre unsers heiligen Bruders anreizt. Höret und merket wohl auf: Setzet ein Mistrauen in die gerichtlichen Handlungen von Pamiers, hütet euch blutige Auftritte zu vollführen, die ihr da erhalten haben mögt, und wartet auf Herzog Bernhards Entscheidung, welche bald erfolgen muß!

Kalatin.«


O warum mußte ich diesen Brief, als ich ihn erhielt, unachtsam und voll Groll auf den Schreiber, bey Seit werfen, und ich bekam ihn den Tag vorher, ehe ich meine Hand mit Philipps Blut befleckte, damals wäre es noch Zeit gewesen, der That vorzubeugen; doch würde ich mich auch haben weisen lassen? fiel Philipp darum durch meine Hand, weil mir der Herzog von ** zu Pamiers das Schwerdt [482] wider ihn gegeben hatte, oder nicht vielmehr, weil ich ihn für Alix Mörder hielt? war es die Rache der Gerechtigkeit oder eigene Rache, was ich hier verübte?

Meine Gedanken verwirrten sich über diese Betrachtungen, ich wußte nicht mehr, was ich denken oder thun sollte, wußte nicht, ob Philipp schuldig oder unschuldig gefallen war, nur dieses wußte ich, daß ich ein Elender war, der kein dringenders Geschäft hatte, als den Tod zu suchen. Der Gedanke, nach meinem Lande zu reisen, verschwand ganz, ich wußte aus einem gefundenen Briefe von Evert von Remen, daß ich ihn, den einigen, der mir diese Gegenden hätte lieb machen können, dort nicht mehr finden würde. Gram um mich und Alverden hatte ihn nach Palästina getrieben, wo er vielleicht längst seinen Tod gefunden haben konnte.

Ich faßte den Entschluß, Rudgers Hut heimlich zu entwischen, und meinem Schicksal auf einem Wege, den ich selbst noch nicht wußte, entgegen zu gehen. Meine Flucht gelang, und auf dem wilden regellosen Wege, den mich die Verzweiflung führte, fand ich bald Veranlassung zu dem, was mir zu thun oblag. Ueberall kam mir das Gerücht entgegen: Pfalzgraf Otto habe Kayser Philippen [483] ermordet und werde nun als ein Durchächteter überall verfolgt; hier erfuhr ich zuerst den ganzen Umfang, die vollen schrecklichen Folgen meiner That. Ich hatte nicht auf meine Rechnung, hatte auf die Rechnung eines andern gesündigt, der nun für mein Verbrechen büßen sollte. Hier scheiterte mein oftmahls schon dicht an die Ausführung gränzender Entschluß, mein Leben durch eigene Hand zu enden. Nein, schrie ich, ich darf nicht ehe sterben, bis Otto gerettet und gerechtfertigt ist! schon zu viel Schuld haftet auf meiner Seele, ich darf sie nicht durch das Blut eines Freundes vermehren, der um meinetwillen leidet! Hin will ich, vor jenes große Gericht, und überlaut rufen: Otto von Wittelsbach ist unschuldig und ich bin der Mörder, hier bin ich, strafetmich, daß er gerettet werde!

Der Stuhl der heimlichen Gerechtigkeit ist für den Wissenden bald zu finden, denn er ist überall; auch war mir die Zeit günstig, daß ich nicht lang auf das warten durfte, wonach meine Seele schmachtete: Rechtfertigung für meinen Freund, und Urtheil des Todes für mich.

Der Tag erschien, dessen Nacht mich in die geweihte Versammlung führen sollte; langsam und traurig trat ich in den großen Kreis, wo ich so oft auf meiner erhabenen Stelle, wie ein König gethront hatte. Rings um wich die Menge vor [484] mir. Das ist Graf Adolf! flüsterte man sich zu, den wir so lange nicht sahen; Platz für ihn! er wird unserm Oberhaupte willkommen seyn.

Herzog Bernhard war selbst gegenwärtig, wir konnten, weil die Handlung begann, wenig Worte wechseln, und ich nahm, weil einige der Richter fehlten, die über mir saßen, meinen Platz ihm zunächst. Ein schöner Rang für den Verbrecher, den die Gerechtigkeit, so bald er sich ihr kenntlich machte, in die unterste Tiefe hinabstürzen mußte!!

Halb ausser mir hörte ich nichts von alle dem, was diese Nacht vorgebracht wurde, und spielte ganz die Rolle eines Abwesenden; noch wußte ich nicht, wie ich das Geständniß meines Verbrechens, das ich mir vorgenommen hatte, einleiten sollte. Der größte Verbrecher, der gerechteste Selbsthasser bleibt ein Mensch, und bebt vor dem Urtheil, wenn er sich dem selben nahe glaubt, zurück. Ich kannte die Rechte unserer Gerechtigkeit zu gut, um bey dem Gedanken, mich in ihre Hände zu liefern, nicht ein heimliches Grauen zu fühlen. Doch das Schicksal wollte meiner Schwäche und Unentschlossenheit zu Hülfe kommen.

Am Ende der Sitzung warf sich eine Jungfrau vor den Stufen des Throns nieder, und stammelte [485] das 15 Geschrey um Rache, wie man es sie gelehrt hatte.

Und welche blutige That, fragte der Oberrichter, ists, über die ihr Rache fordert?

Kayser Philipps Ermordung!

Seyd ihr eine seiner Töchter?

Nein, aber ich rede in ihrem Namen und auf ihren Befehl!

Ueber wen klagt ihr?

Ueber keinen! aber ich fordre das Auge des Richters auf, den Thäter zu finden!

Er ist gefunden! Es ist Pfalzgraf Otto von Wittelsbach!

Nein, er ists nicht! schrie ich mit schrecklicher Stimme, indem ich aufsprang, und die Hand zum Zeichen des Widerspruchs in die Höhe hob.

Nein, er ists nicht! schrie die Jungfrau, sehet und höret hier meine Beweise.

Pfalzgraf Otto ward entschuldigt, so bündig entschuldigt, als es bey der Gerechtigkeit seiner Sache unausbleiblich war, und man hieß die Klägerin sich erheben und gegen alle vier Winde Rache gegen den unbekannten Mörder rufen! sie schlug den Schleyer zurück, und that mit zitternder Stimme, wie man ihr gebot.

[486] Ihr Gesicht, ihre Sprache machte sie mir auf einmal kenntlich, und mein ganzes Wesen durchlebte ein unwillkührlicher Schauer. Alverde! rief ich, indem ich von meinem Stuhl herabstieg, Alverde, meine Schwester! Du schreyst Rache über deinen Bruder? Ich, ich bin Kayser Philipps Mörder! Hier bin ich, tödtet mich! Pfalzgraf Otto ist unschuldig!

Alverde wurde ohnmächtig und ward hinweggeschaft, man nahm meine Worte auf; das Gericht ergieng über mich; ich ward verurtheilt.

Da erhub sich ein Mann aus der untern Klasse, mich zu vertheidigen, es war Rudger, der mich, den Verlornen, mit Erstaunen hier wiederfand. Seine Worte konnten kein Gewicht haben, denn die mächtige Wahrheit und mein eignes Zeugniß waren wider mich. Man hieß ihn schweigen, und in heimlichen Banden, als ein Gefangner, bleiben, bis der Kaysermörder seinen Lohn empfangen hätte; darauf brach man den Stab über mich, und stieß mich hinaus, ruhlos in der Welt umherzustreichen, bis mich der Bluträcher finde und mich tödte.

Ich eilte davon, damit man Raum hätte, das Loos über diejenigen zu werfen, welchen man das Rachschwerdt wider mich vertrauen wollte. Ach ich dachte nicht, daß es auf denjenigen fallen würde, den ich seit einiger Zeit für einen nur verkannten [487] Freund zu halten begunnte, auf Kalatin, der durch seine Warnung vor der greulichen That, die mich jetzt ins Verderben stürzte, wieder viel in meiner Achtung gewonnen hatte.

Meinen Zustand zu beschreiben, ist unmöglich! niemand als ein selbst Durchächteter weiß, was es heißt, von der ganzen menschlichen Gesellschaft, als ein verdorbenes Glied, abgeschnitten zu seyn, und den heimlichen Rächer immer im Nacken zu haben. Selbst den Lebensmüden, wie ich es war, ist diese Verfassung schrecklich, ist ihm ärger als der Tod.

Eins beruhigte mich; vor meinem Tode, den ich in jeder Stunde erwarten konnte, noch eine Handlung der Gerechtigkeit gethan, und meinem Freunde, Pfalzgraf Otten, dem man des Ansehens wegen, meine That aufgebürdet hatte, Ruhe, Unschuld und Ehre, wieder gegeben zu haben. Ich erwartete nun von der Wiedereinsetzung in alle seine Rechte, von seiner Vermählung mit der Prinzessinn Elise, von der Zurückberufung seiner verbannten Freunde zu hören, aber – ich wartete vergebens! Der Gerechtigkeit waren zwey Opfer lieber wie eins, was die heimliche nicht forderte, das heischte die öffentliche. Ottos Unschuld war durch meine Schuld nicht erwiesen, ich war durch mein Bekenntniß nur zu seinen Mitverbrecher gemacht worden. Ich hörte, die Prinzeßinn Beatrix habe [488] selbst wider ihn beym neuen Kayser geklagt, seine Braut, die Prinzeßinn Elise sey dem Kastilier gegeben worden, und Otto irre in der Welt umher, unstät und heimlos, wie ich, bis sein Henker ihn finde, und sein unschuldiges Blut vergösse, wie mein verbrecherisches nächstens fliessen sollte.

Konnte mich etwas in einen noch tiefern Abgrund der Verzweiflung stürzen, so war es dieses; doch nein, es drückte mich nicht zu Boden, es ward das Mittel, mich auf gewisse Art vor dem letzten Scheiden noch einmal empor zu richten. Ich wollte und durfte nicht mit Ottos unschuldigem Blut belastet in die Grube sinken, ich wollte und mußte ihn retten, mochte es seyn auf wessen Kosten es wolle.

Durch Kenntniß der innersten Geheimnisse unsers Bundes im schlauen Herrschen geübt, entdeckte ich den verlassenen Aufenthalt, wo Otto lebte, ehr als seine bestimmten Henker. Wie hätte das Auge der Freundschaft nicht schärfer sehen sollen, als das Auge der Rache! – Ich fand meinen unglücklichen, unschuldigen Freund, in einem wilden Walde, am Ufer der Donau; eine Höle war seine Herberge, Wurzeln seine Nahrung, und Verzweiflung die Gefährtin seiner Einsamkeit. Verzweiflung, nein, die Unschuld kann nicht verzweifeln, ein leichter Anschein von gebessertem Schicksal, ein kleiner Hofnungsstrahl richtet sie auf. Mich, [489] den Verbrecher, konnte nichts beruhigen, und wär selbst Alix, um deren willen ich zum Verbrecher wurde, aus dem Grabe aufgestiegen, mich zu trösten, sie hätte es nicht vermocht. Den unschuldigen Otto tröstete ein Nichts, tröstete der Zuspruch eines solchen Elenden, wie ich war.

Wie? schrie er, als ich ihn auffand und mich mit der Erklärung in seine Arme warf, ich wolle der Gefärthe seines Elends seyn, wie? Otto hat noch einen Freund? einen Freund, der ihn unaufgefordert in seiner Verbannung ausspäht, der, da alles ihn zum Verbrecher macht, allein an seine Unschuld glaubt? – O meine Verfolger, nun kann ich Euch Trotz bieten! Freunde, Anverwandte und Geliebte! nun kann ich eure Treulosigkeit vergessen, denn ich habe Alf von Dülmen, der mit mir leben und sterben will!

O wie wenig verdiente meine That das Entzücken, mit welchem sie aufgenommen ward, wie gern hätte ich mich zu den Füßen meines unglücklichen Freunds geworfen, und mich ihm als den Schöpfer seines Elends, als den Verbrecher, der ich war, bekannt! aber konnte, durfte ich dieses, ohne meinen ganzen Plan, seine Rettung zu zernichten? Einen schuldlosen Freund nahm der redliche Otto gern zu seinem Leidensgefärthen an; aber einen Kaisermörder würde er keinen Augenblick um sich geduldet haben. Hätte er nicht fürchten müssen, [490] der Blitz des Himmels müste ihn um meinetwillen in seiner Verborgenheit treffen, wenn ihn das Rachschwerdt verfehlen sollte? – Dieses fürchtete ich nicht, darum gesellte ich mich zu ihm; ich hofte, der Himmel würde das letzte Gebet eines Elenden erhören, und ihm Kraft geben, den Freund zu retten, den seine Verbrechen an den Rand des Verderbens gebracht hatten. Mein Schwerdt sollte Otto schützen, mein Auge für ihn wachen, meine Hand für ihn arbeiten, und mein Mund ihm Tröstungen ins Herz strömen, die meinem eigenen fremd waren. Ich machte muthig den Anfang, und es glückte. Doch mein Gemüth war nicht allemal gleich fähig zu meinen Geschäften. Abwesenheit des Verstandes waren bey mir zur Gewohnheit geworden; ich suchte sie vor Otto zu verbergen, oder meine Zerrüttung auf die Rechnung der verstorbenen Alix zu ziehen. Mein geradsinniger Freund glaubte alles, und versuchte mich oft zu trösten, wie ich ihn tröstete; ach seine Worte waren voll Kraft und Nachdruck, aber sie trafen die Stelle nicht, wo ich am meisten Trostes bedurfte, er kannte sie nicht, die heimliche Wunde, die mir den Tod bringen mußte.

Meinen Freund vor jeder Gefahr zu decken, duldete ich nicht, daß er sich außer den Stunden der Nacht aus seiner Verborgenheit wagte. Ich nahm es auf mich, umher zu gehen und uns [491] die Bedürfnisse des Lebens zu suchen. Mein Leben war mir feil, war mir nur um seinetwillen einiger Betrachtung würdig, ich wagte es oft ziemlich kühn, und hatte auf meinen Wanderungen Gelegenheit genug, zu erfahren, wie es in der Welt ergienge.

Das Gerücht sagte, Wittelsbachs Leben sey der Mahlschatz, mit welchem sich der neue Kaiser das Herz der Prinzessinn Beatrix erkaufen wolle; ich entdeckte ihm hievon so viel, als er wissen mußte, um seine gefahrvolle Lage und die Nothwendigkeit der Vorsicht zu kennen. Es kam zu ernstlichen Berathschlagungen zwischen uns, wie man sich am besten vor den wachsenden Verfolgungen sicher stellen könne, und wir wurden einig, daß gänzliche Flucht aus dem treulosen Vaterlande das Beste sey. Otto sollte Mittel suchen nach Palästina unter den Schutz der Fahne des Kreuzes zu kommen; ich versprach ihn zu begleiten, nicht um mein eignes Leben, sondern das seinige zu retten, und dann zu sterben. Entsündigung am heiligen Grabe, und der rühmliche Tod, durch das Schwerdt der Sarazenen war das, was ichmir dabey wünschte. Bey dem vollen unaustilgbaren Gefühl meines Verbrechens, empfand ich doch die Verpflichtung immer schwächer, mich dem Schwerdt des nächsten Mörders preis zu geben; Tod für das Wohl der Christenheit war meines Bedünkens besser und verdienstlicher, [492] obgleich freilich für mich Elenden zu schön.

Noch hatte ich es nicht gewagt, Otto um Erzehlung seines Ergehens binnen der Zeit zu bitten, da er von des Kaisers Hofe schied, um nach Pohlen zu gehen; jetzt an einem vertraulichen Abende kam dieselbe ungesucht zum Vorschein.

»Wohl wenig, so begann mein unglücklicher Freund, wohl wenig dachte ich am Tage jenes Scheidens von Freund und Geliebten, daß ich die letzte nie, den andern so wiedersehen würde. Ach Adolf, die nothwendigen Zurüstungen zu unserer orientalischen Reise, machen auch ein Scheiden nöthig, wie wird es beym Wiedersehen stehen?

Ich letzte mich mit meiner Verlobten, die nun durch die kastilische Heyrath auf ewig für mich verloren ist. Mir ahndete ewige Trennung, ich that alles, mir ihre Beständigkeit zu sichern und vergaß doch das einige, was Mißverständnisse hätte verhüten und unsere Bande troz dem Schicksal unauflöslich machen können; ich sagte ihr nichts von dem eigentlichen Endzweck meiner pohlnischen Reise, nicht aus Mißtrauen, das weiß mein Herz; ich habe ihr wohl andere Dinge vertraut, welche ich ihr vielleicht hätte verschweigen sollen; nein, theils weil ich glaubte, Herzog Bernhards Angelegenheiten, die mich nach Pohlen trieben, würden sie nicht sehr interessiren, theils weil schon so viel von [493] denselben in dem Munde des gemeinen Gerüchts war, daß ich gar nicht glauben konnte, daß ich ihr etwas neues entdeckte, wenn ich mit ihr von der Liebe meines Freundes zu der schönen Adila von Pohlen und seiner nunmehrigen Werbung um sie, spräche. Die Liebe des Herzogs von Sachsen zu der pohlnischen Prinzessin war alt, war mit tausend seltsamen Schicksalen durchflochten gewesen, die meines Erachtens weltkundig waren. Adilas Jugend und andere Hindernisse hatten den glücklichen Zeitpunkt ewiger Verbindung mit ihrem Erwählten lang verzögert; nun war er endlich erschienen, und Herzog Bernhard ersuchte mich schriftlich, die Heyrathswerbung für ihn zu unternehmen, welches ich ihm längst versprochen hatte. Auf Seiten des Herzogs von Pohlen, des Oheims der schönen Adila, gab es noch einige Bedenklichkeiten, die aber nicht besser, als durch meine Vermittlung, und durch das Vorwort des Kaysers, der sich immer für das Haus der Prinzessin interessirt hatte, gehoben werden konnten.

Ich hatte gern in die Forderung meines Freunds gewilligt, hatte bey dem Kayser gesucht, was ich bey ihm suchen mußte, hatte Schreiben von ihm an den Herzog von Pohlen erhalten, die er mir selbst vorlas, und die alles das enthielten, was ich und Herzog Bernhard zu Erreichung unsers Endzwecks nur wünschen konnten: dieses waren alles [494] Dinge, davon, wie ich meynte, Elisen das hauptsächlichste bekannt seyn mußte, und davon es nicht der Mühe lohnte, mit ihr zu reden, am wenigsten, bey so einem Abschied, wie der unsrige, da jede Minute uns kostbar war, jede Minute so ganz mit unserer Liebe ausgefüllt ward, daß wir keinen Raum behielten, an fremde zu denken. Gleichwohl ward dieses zufällige Stillschweigen über eine dem Ansehen nach ganz gleichgültige Sache, der Grund meines ganzen unübersehbaren Unglücks. O! wer kannte die feinen Fäden, welche das zarte Gewebe unsers Schicksals ausmachen, hinlänglich, um nicht hier unvorsetzlich zu zerreissen, dort zu verwirren, was die schrecklichsten Folgen zur Vernichtung des Ganzen nach sich ziehen kann! Nichts kann uns bey den Gefahren, welche oft hinter dem kleinsten Umstand lauschen, beruhigen, als die Ueberzeugung, daß jene Macht, welche es zuläßt, daß wir oft ohne unser Wissen, wider unser eignes Glück fehlen, selbst aus der Verwirrung, Ordnung, selbst aus unsrem anscheinenden Unglück, unsere Wohlfarth hervorbringen wird; – wie und wo dieser mein fester Glaube anmir gerechtfertigt werden wird, weiß ich nicht. Vielleicht in einer andern Welt, denn für die gegenwärtige möchte wohl nicht viel mehr für mich zu hoffen seyn.

Ich trat meine pohlnische Reise an, ziemlich befriedigt durch Elisens Versprechen, daß ich von [495] der kastilischen Heyrath, welche ein laufendes ihr ganz unwahrscheinliches Gerücht, damals zum Hauptgegenstand meiner Sorgen machte, nichts zu fürchten habe, daß sie mir treu bleiben wolle, so wahr ich ihr treu bliebe.

Konnte ihre Treue wohl einen festern Grund haben, als die Meinige? konnte ich wohl durch irgend etwas mehr beruhigt werden, als durch die Ueberzeugung, ich bewahre ihr Herz, indem ich das meinige bewahre? Mit gutem Muthe richtete ich mein Gewerbe am Hofe des Herzogs von Pohlen aus, und merkte nichts, bis sich einst das Gesicht des Herzogs bey Verlesung der kayserlichen Schreiben auf eine seltsame Art veränderte, und sein Blick mit einer Art von Mitleiden an mir hängen blieb.

Herr Pfalzgraf, sagte er, nach einer langen Pause, meine Nichte ist dem Herzog von Sachsen unversagt, ob ich Euch gleich gestehen muß, daß ich Euch noch ungleich lieber zum Anverwandten gehabt hätte, als ihn; ich weiß, daß Freundespflicht und frühere Verlobung die Erfüllung dieses Wunsches auf Eurer Seite unmöglich machen, aber was das letzte, was Eure Verlobung mit der Prinzeßinn Elise anbelangt, so wünsche ich nur herzlich, daß Eure Treue diejenige, welche man Euch zu halten gesonnen ist, nicht weit übertreffe.

[496] Ich weiß, was ich an meiner Verlobten habe! antwortete ich mit einigem Unwillen.

Wißt ihr das nehmliche von Eurem gehoften Schwiegervater?

Ihr spielt vielleicht auf die kastilische Heyrath an, mit welcher sich jetzt das müßige Gerücht trägt, und mit welcher ich selbst von einigen meiner Freunde geschreckt worden bin.

Ich spiele auf nichts an, ich weiß von all diesen Gerüchten nichts, ich urtheile nur nach dem, was ich vor Augen sehe. Leset diesen Brief, den mir der Kayser durch Eure Hand schickt, und der doch wohl ein Empfehlungsschreiben seyn soll, und sagt mir dann, was ihr von dem Schreiber desselben haltet, ob ihr nicht glaubt, von so einem Mann alles zu fürchten zu haben.

Ich nahm den Brief, ich las, las ganz andre Dinge als die, welche ich aus Philipps Munde gehört hatte, las unter einer Menge von geschraubten Worten mit Entsetzen folgendes: »Politisch betrachtet, sey nach den vorhergehenden Berichtigungen an der Werbung, welche durch Pfalzgraf Otten geschähe, nichts auszusetzen, und ein Herzog von Sachsen sey einer pohlnischen Prinzessinn wohl würdig; aber Herzog Bernhard und sein Freund und Freywerber der Wittelsbacher, seyen im Grunde gefährliche Leute, unruhige Köpfe und Unglücksfackeln für jedes Land, in welches [497] sie kämen; man liebe den Herzog von Pohlen und seine schöne Nichte zu sehr; um zu einer solchen Verbindung, als ein Freund rathen zu können, und man glaube, das beste für ihn würde seyn, Zeit zu gewinnen, und den Herzog von Sachsen in seinen Bewerbungen um die Prinzeßinn Adila dergestalt hinzuhalten, wie man es am kayserlichen Hofe mit dem Wittelsbacher mache, den man für zu mächtig hielt, um ihm geradezu eine Tochter abzuschlagen, dem man vielmehr alles verspräche, und die Erfüllung der Zeit überließe.

Und das schrieb Philipp? schrie ich, indem ich den Brief knirschend vor Wuth auf den Boden warf, und ihn mit Füßen trat. Hin an den Hof des Verräthers, um ihn zur Rede zu stellen, um augenblickliche, um blutige Erklärung dieser Schlangenworte, um schnelle Erfüllung seines Worts von ihm zu fordern. Zwar Philipps Tochter ist nichts in meinen Augen, und ich würde meine Verlobte von selbst verächtlich von mir stoßen, wäre sie nichts als das! Aber Elise! Elise,dich verlieren? dich, deinem heimtückischen Vater so ganz unähnlich, daß ich dich kaum für sein Kind halten kann? Nein, dies ist unmöglich; ich fliege, dich zu meinem Eigenthum zu machen, und mich dann zu rächen, an dem, welcher dich mir rauben will.

Der Herzog von Pohlen bestärkte mich in meinem Entschluß, that allen möglichen Vorschub [498] zur Beschleunigung meiner Reise, und gab mir die vortheilhaftesten Versprechungen für den Herzog von Sachsen mit auf den Weg.

Noch ehe ich die Residenz erreichte, kam mir das Gerücht von den kastilischen Gesandten, und ihrer Werbung um die Prinzeßinn Elise entgegen, die allgemeine Meynung war, sie würden nicht abgewiesen werden; die Heyrath sey vortheilhafter, als die Verbindung mit dem Wittelsbacher, der ja darum auch nicht zu kurz kommen würde, da der Kayser noch zwey Töchter habe!

Hölle und Teufel! wer waren diese beyden Töchter? die schon an einen andern Verlobte, schon für einen andern glühende Beatrix, deren Charakter so schlecht zu dem meinigen paßte? die kleine Agnes, ein Kind, über dessen Heranwachsen ich zum Greise werden müßte? und diese elenden Hofnungen sollte ich um die Gewißheit, den Engel Elise zu besitzen, eintauschen? Nein, mein Entschluß war gefaßt, und das allgemeine Zutrauen, das man bezeigte, der gutherzige Wittelsbacher würde es sich schon gefallen lassen, abermahl zurückgesetzt zu werden, dies brachte vollends alles zur Reife, was in meinem Herzen tobte, welches aber doch bey Gott nicht den entferntesten Zug von den Mordanschlägen hatte, deren Ausführung man mir jetzt beymißt.

[499] Ich schrieb an Elisen, so viel ich mich erinnere, einen bedrohlichen Brief; – ich weiß beym Himmel nicht genau, was ich eigentlich geschrieben habe, mein Blut kochte, mein Verstand verwirrte sich, denn in dem nehmlichen Augenblicke, da ich schrieb, erhielt ich Post vom Kayser: Er habe gehört, ich sey von meiner Reise nach Pohlen glücklich wieder angelangt, und er bäte mich, meine Ueberkunft nach der Residenz zu beschleunigen, und mich auf einen bestimmten Tag und Stunde zuverläßig bey ihm einzufinden, weil er sehr wichtige Dinge mit mir abzuthun habe.

Diese Bothschaft vollendete meinen Grimm, und überzeugte mich von allem, woran ich noch hätte zweifeln können. Als man mich ehemals von Kunigunden trennte, ward ich gerade auf ähnliche Art vorbeschieden, ich wußte also ganz genau, was man mir zu sagen habe: den Antrag des kastilischen Prinzen, mit der möglichen Bitte an mich verbunden, ich möchte doch so gefällig seyn, meine Braut abermahls abzutreten, es wäre ja besser und glorreicher für sie, eine Königinn, als eine Gräfinn von Wittelsbach zu werden.

Ich lachte höhnisch, ließ Philippen sagen, ich würde eher, würde auf eine Art kommen, als er dachte und setzte mich, meinen Brief an Elisen zu vollführen; er gerieth ganz so, wie meine damahlige Laune es mit sich brachte, ermahnte [500] sie auf, mit mir davon zu gehen, und drohte ihr mit Gewalt, wenn sie sich weigerte.

Hätte ich mich dann erst ihrer Hand bemächtigt, so war mein Entschluß gefaßt, mit Hülfe des eben sowohl, als ich, beleidigten Herzogs von Sachsen, und meiner zahlreichen Waffenfreunde, dem heimtückischen Kayser ein Heer auf den Hals zu führen, das ihn wohl zur Erkenntniß seiner Falschheit gebracht, und seinen Stuhl ziemlich erschüttert haben sollte. Dies war mein ritterlicher Entschluß; Meuchelmord ist mir nie in den Sinn gekommen.

Ehe dieses ausgeführt wurde, mußte Elise erst die Meinige seyn; ich wußte vorher, daß sie nach einmahl verübten Feindseeligkeiten wieder ihren Vater, glauben würde, Gewissenswegen mit mir brechen zu müssen, und meine Pflicht war, die fromme Seele auf alle Art zu schonen; war ich erst ihr Gemahl, so konnte sie von nichts Rechenschaft geben, was ich that, sie blieb mir dann, ungeachtet des Zwists mit ihrem Vater, als Gattin treu, so wie ich von ihr überzeugt war, sie würde mir als Liebhaberinn treu bleiben, so lang ich nichts that, ihre Treue zu verwirken.

O wie sehr hatte ich mich geirrt! ein Brief von ihr, die Antwort auf den meinigen, sagte mir ab auf ewig, sie beschuldigte mich der Treulosigkeit, versagte mir das, was ich von ihr forderte, und [501] spottete meiner Drohungen. Jetzt entbrannte meine Wuth auch wider sie; ich würde zu den verzweifeltsten Handlungen geschritten seyn, wenn mich nicht ein Gedanke an die Kayserinn Irene zur Besonnenheit gebracht hätte; sie war immer meine Freundinn gewesen, sie hatte ich immer treu erfunden, wenn alle andre mir Tücke bewiesen, sollte ich diese durch irgend einen übereilten Schritt beleidigen? –

Ich schrieb ihr alle meine Klagen, und erhielt den Bescheid zurück, sie sey zu schwach, mir schriftlich zu antworten, ich solle selbst kommen und die Aufklärung meiner Zweifel aus ihrem Munde hören. Aber ich sollte eilen, weil Eile noth wäre!

Ich flog auf das benachbarte Lustschloß, wo sie ihre Niederkunft in äußerster Schwäche erwartete, um aus deren Munde, die mich nie betrog, die Wahrheit zu vernehmen, um bey dem Krankenbette derjenigen zu weinen, die mir immer mehr als Mutter war.

Als sie mich erblickte, streckte sie die Hände nach mir aus, voll Freude mich zu sehen. Seyd ihr gekommen, mein Sohn? sagte sie, ach Eure Zukunft entzückt mich doppelt, ich wünschte sie nicht allein um Euret, wünschte sie auch um meinetwillen. Verzeihet den Phantasien einer Kranken! mein immer schwaches Geschlecht wird doppelt schwach in den Augenblicken, in welchen ich mich [502] befinde. Dinge, welche uns sonst nie schreckten, selbst Träume werden uns in denselben furchtbar. Denket was mir begegnete. Als ich gestern euren klagenden Brief erhielt, hatte mich eben ein leichter Schlummer überfallen, mir kam es vor, so deutlich, als ob ich wachte, es träte Einer an mein Bette und spräch: Irene, Wittelsbach hält sich vom Kayser tödlich beleidigt, verhüte die Folgen! Drauf war mirs, als wäre gerade der heutige Tag, und die Stunde, in welcher ich Euch jetzt vor mir sehe; ich befand mich im kayserlichen Kabinet, da trat einer herein, den ich den Waffen nach für Euch selbst halten mußte, und durchbohrte den Kayser; urtheilet, was nach einem solchen Traum, euer verzweiflungsvoller Brief, der einen Theil meines Gesichts zur Wahrheit machte, für eine Würkung haben mußte, und verzeihet, daß ich so eifrig darauf drang, euch bey mir zu sehen, damit nicht eine unglückliche Uebereilung mein Trauerbild ganz in Würklichkeit verwandle.

Wie? rief ich, kann Irene mich irgend einer schändlichen That, die mich noch oben drein auf ewig von Elisen trennen würde, fähig halten?

Noch einmahl, mein Sohn, verzeiht einer schwachen kranken Frau, setzet euch, und sagt mir alle eure Beschwerden, damit ihr dann auch meinen Trost vernehmen könnet.

[503] Hier begann ich mein ganzes Herz in den Busen der treuen Mutter auszuschütten, und wahrhaftig, der Trost, den sie mir gab, that Wunder auf meine bekümmerte Seele. Diese Frau vermochte alles über mich. Ich, der ich Philipps verrätherischen Brief an den Herzog von Pohlen mit eignen Augen gelesen, die Gerüchte von der kastilischen Heyrath, mit eigenen Ohren gehört hatte, und die Bestätigung aller dieser für mich so schrecklichen Dinge, in der Bothschaft des Kaysers an mich, und in Elisens Weigerung, mir zu folgen, vor mir zu haben vermeinte, ich horchte voll Zutrauen auf die Widersprüche, die Irene in diesen Vorgängen fand, und auf die ganz andere Deutung, welche sie ihnen beylegte. – Sie merkte meine Rührung und endete folgender Gestalt: »Gewährt mir nur dieses eine, mein Sohn, zürnet nicht mit Elisen, und brechet nicht mit dem Kayser, bis ihr beyde gesprochen habt. Eurer Verlobten war wahrscheinlich Herzog Bernhards Liebe zu der pohlnischen Prinzeßinn so unbekannt, als sie mir bis diese Stunde gewesen ist, ihr verschwiegt ihr dieselbe aus Versehen oder Zufall, ihr schriebt ihr in eurem Briefe ziemlich voreilig und unbestimmt von Eurer Werbung um Adila; sie deutete diese Worte, wie eifersüchtige Liebe sie deuten mußte, und daher ihre kränkende Erklärung gegen Euch. Was den Kayser anbelangt, so wißt ihr ja längst, [504] daß man ihm Eure Freundschaft nicht gönnte. Jener Brief ist sicher wieder ein Tück heimlicher Unheilstifter, und ihr müßt seine mündliche Erklärung darüber hören, vielleicht hat er schon – denn ihr pflegt immer nicht sehr geheim mit Euren Empfindungen zu seyn – etwas von Eurem Unwillen vernommen, und er ließ vielleicht Euch eben zu sich fordern, um sich mit Euch zu verständigen. Wegen der kastilischen Heyrath laßt Euch übrigens nur nicht bange seyn; der Kayser ist zu nichts weniger geneigt, als sie einzugehen; Elise bleibt die Eure, und sollte ich hierinn irren, sehet, so gebe ich Euch Erlaubniß, Elisen in meinem Namen zur Flucht anzumahnen, und sie so weit hinwegzuführen, als ihr selbst wollt. Die Schwüre, welche Euch beyde binden, sind unwiderruflich, nichts kann sie lösen, als unverzeihliches Vergehen des Einen oder des Andern; droht eine andere Hand Eure Bande zu zerschneiden, und wäre es die Hand eines Vaters, so entbindet Euch Furcht vor dem, welcher jeden Meineyd rächt, von sonst unauflöslichen Pflichten. Elise flieht mit Euch, sie wird Eure Gemahlinn, und hat wenigstens meinen Seegen, wenn ihr auch der Seegen Philipps fehlen sollte; doch dies sind Dinge, welche, meines Erachtens, nie würklich werden können; um Eurer Beruhigung mußte ich Euch sagen, was ihr auf jedem Fall zu thun habt; Jetzt [505] verlaßt mich, mein Sohn, das viele Sprechen greift mich an; Euer nächster Weg geht zum Kayser, wohin ihr beschieden seyd, dann auf einige Augenblicke zu Elisen, und nun in voller Eil nach Sachsen, zu Herzog Bernharden, von welchem ihr, wie ihr mir gleich anfangs sagtet, dringende Briefe habt.«

Die Kayserinn hatte recht; auf dem Wege zu ihr empfing ich einen Brief vom Herzog zu Sachsen, der meine schleunige Ueberkunft forderte; in der Bewegung, in welcher er mich fand, war er nur halb gelesen und halb verstanden worden, auch jetzt, da ich die Kayserinn auf ihren Befehl eilig verließ, und ihn, ehe ich zu Pferde stieg, noch einmahl las, konnte ich nur wenig Verstand daraus ziehen, indem er sich auf Vorgänge zu Pamiers bezog, die mir ganz unbekannt waren; das einzige sahe ich deutlich, daß er schon lang geschrieben war, schon längst in meinen Händen hätte seyn sollen, und, vermuthlich durch Unvorsichtigkeit des Boten oder Unfall, liegen geblieben seyn mußte, ihr, Graf Adolf, der, wie Herzog Bernhard schrieb, zur nehmlichen Zeit einen ähnlichen erhieltet, könntet mir vielleicht hierüber Auskunft eben; doch hiervon ein andermahl. Jetzt zur Fortsetzung meiner Geschichte.

Aber wie soll ich dieselben beginnen, da sich hier die Schrecknisse meines Schicksals so sehr häufen,[506] daß mir bey der Wiederholung jener Vorgänge die Gedanken fast so gänzlich vergehen, als wie damahls, da ich diese Dinge wirklich belebte.

Noch dünkt mich es ein Traum zu seyn, so wie mich es damahls dünkte, daß ich, mit neuen Hoffnungen aus dem Munde einer Heiligen belebt dem Unglück entgegen eilte, daß nun erst, da ich glaubte, Elisens Besitz sey mir durch die Rathschläge ihrer Mutter, auf ewig gesichert, sie für mich verlohren gehen mußte, daß nun erst, da mein Herz fast gänzlich mit Philipp ausgesöhnt, und mit besserm Zutrauen auf seine Treue erfüllt war, man mich zu seinem Feinde, ach zu seinem Mörder machen wollte.

Wie und in welcher Ordnung all dieses geschah, weiß ich fast selbst nicht mehr, die Streiche des Unglücks stürmten Schlag auf Schlag zu mir ein, wie kann ich genau sagen, welcher mich zuerst, welcher zuletzt traf.

Ehe ich noch die Residenz erreichte, kam mir das Gerücht entgegen, der Kayser sey ermordet, Himmel, sey von mir ermordet! von mir, der ich mit reinen Händen und ausgesöhntem Herzen kam, mir den Nahmen seines Sohns, aus seinem Munde bestättigen zu lassen. Kaum hatte ich das Schreckliche und Unbegreifliche, das in dieser Zeitung vereinigt war, ganz überschaut, so waren auch schon die Schwerdter derer mir in dem Nacken, [507] die, wie sie mir zubrüllten, gesandt waren, Wittelsbach, den Kaysermörder, zu fahen, welcher ihrer Rache nicht entfliehen solle.

Ich ein Kaysermörder? schrie ich, indem ich meinen Helm vom Haupte riß, und ihnen mein entblößtes Angesicht zeigte, sind dies die Züge eines Verbrechers? – und mein Weg, ist er der Weg eines Flüchtigen? mich dünkt doch, ein solcher würde nicht eben gerade Euch entgegen geflohen seyn!

Alles teuflische Verstellung! schrien sie. Wir kennen den Wittelsbacher wohl ohne sein Gesicht zu sehen, wir kennen ihn wohl, auch wenn er Waffen und Kleider verändert hat! Er ist der Mörder unsers Kaysers, und er mag uns auf dem Wege von oder zu der Stelle begegnen, wo er das heilige Blut vergoß, so soll er uns nicht entgehen.

Ich habe es schon mehrmahl in meinem Leben erfahren, daß Wuth und Verzweiflung unsere Kräfte bis zum Unglaublichen erhöht; ich erfuhr es auch hier: Ich war ganz allein, ich hatte meine Begleiter schon des vorigen Tages in eine Gegend nahe bey der Residenz beschieden, wo ich ihrer benöthigt zu seyn glaubte, und mußte mich also allein gegen eine Anzahl vertheidigen, die ich nicht nenne, weil das Unwahrscheinliche, das in der Angabe liegen würde, mich erröthen macht; es mochten [508] ihrer indessen viel oder wenig seyn, die Otten von Wittelsbach als einen Kaysermörder gefangen nehmen wollten, genug die Unschuld siegte, und ich entkam, zwar am linken Arm und an der rechten Schulter schwerlich verwundet, aber doch noch fähig, mich den nachkommenden Verfolgern zu entziehen, die den ganzen Tag bis tief in die Nacht vor dem Orte, wo ich mich verbarg, truppweis vorüber zogen, Fluch und Verderben, über Wittelsbach den Kaysermörder ausriefen! und ihm die schimpflichste Behandlung drohten, wenn er in ihre Hände fallen sollte.

Zehenmahl war ich im Begriffe mich meinen Fängern zu ergeben, ich war unschuldig, und Flucht und Verbergung schien mir ein gehässiges Licht über meine Ehre zu verbreiten; der Tod war es nicht was ich scheute, aber mich den Mißhandlungen unwürdiger Troßbuben auszusetzen, davor bebte mein Herz; ich wollte eine bessere Gelegenheit abwarten, meine Freyheit in die Hände der Gerechtigkeit zu übergeben, denn zu fragen, was sie auf mich zu sprechen habe, und sie durch den Beweis meiner Unschuld zu beschämen.

Es war etwas in mir, das mir sagte, dies sey heute bey Tage nicht der Weg sich zu rechtfertigen; die Worte eines freyen Mannes seyen von mehrer Nachdruck, als die eines Gefangenen, und Flucht würde hier, wo jedermann von einer ganz unerweißlichen[509] Sache völlig überzeugt war, für mich das beste seyn. Allein das Wort Flucht, war und blieb mir verhaßt, ich wollte wenigstens mein Unglück und den wahren Grund desselben noch erst genauer wissen, ehe ich demselben auswiche.

Es war Nacht, meine Verfolger mußten sich in eine andere Gegend gelenkt haben, der Weg war sicher, und nachdem ich mir meine Wunden elend genug verbunden, und mich mit einem Trunk aus einer nahen Quelle gelabt hatte, wagte ich mich hervor, und eilte gerade auf die Residenz zu, deren Thore ich, ungeachtet der späten Nachtzeit noch alle offen, und die Strassen mit Menschen gefüllt antraf. Es war eine allgemeine Verwirrung, alles schrie über Philipp und seinen Mörder. Das vielzüngige Geschrey das sonst bey jeder Kleinigkeit so widersprechend ist, kam hier völlig darinn überein, den Namen Wittelsbach und Kaysermörder zusammen zu setzen; ich war kühn genug, indem ich mich dicht in meinen Mantel hüllte, nach Umständen zu fragen, und man berichtete mir solche, welche mein Blut erstarren, und mich fast zweifeln machten, ob ich auch schuldig oder unschuldig sey. – Gott weiß, ob Mensch oder Teufel sich meiner Gestalt bediente, jene That zu vollführen, die mir ewig ein Räthsel bleiben wird, und die auch dadurch mit Wahrscheinlichkeit auf mich fiel, weil man mich würklich, vom Kayser beleidigt glaubte, [510] und weil ich im Unwillen, manches verdächtige wider ihn redete und schrieb.

In meiner Verhüllung schlich ich mich in die Hallen des kayserlichen Pallasts, wo man die Leiche des Ermordeten ausgestellt hatte, um die Rache des Volks zu reitzen, die doch ohnedem so stark flammte, daß man ihr kaum Einhalt thun konnte. Ich sah auf einem Sessel, neben dem entseelten Körper, einen Handschuh und eine Feldbinde liegen, die der Mörder im Fliehen, verlohren haben sollte, und erkannte beydes, bey genauerer Besichtigung für das Meinige.

Ein unnennbares Grauen befiel mich, ob den täuschenden Anzeichen meiner Schuld; mir wars, als müßte ich vor Gott, und mir selbst hier ein feierliches Zeugniß ablegen, daß ich kein Theil habe an der blutigen That. Ohne mich an die drückende Menge zu kehren, die sich an den Schranken häufte, welche man zur Sicherheit der Leiche und ihrer Hüter gezogen hatte, schwang ich mich hinüber, und trat zu der Todtentruhe, bey welcher nur einige Mönche mit ihren Weihwedeln und andern heiligen Geräthschaften beschäftigt waren. Armer Philipp! sagte ich, nachdem ich den so schnell hingeraften Kayser, eine Weile betrachtet hatte, mit halblauter Stimme zu mir selbst. Armer Philipp! wie bist du gefallen! – Dein Freund soll dein Mörder seyn? – Siehe, ich lege meine Hand auf deine [511] Stirn. Oeffene deinen Mund, laß dein Blut von neuem fliessen, wenn es diese Hände waren, die dich verletzten! – Fluch, Fluch über den, der dich tödtete, und einen Unschuldigen mit seiner Schande brandmarkte!

Die Mönche, die mich nicht kannten, aber meine That bemerkten, und wohl etliches von meinen Worten verstanden haben mochten, sahen mich staunend an, das Volk, durch welches ich mich jetzt, indem ich mich langsam entfernte, wieder hindurch drängte, wich mir von allen Seiten aus. – Er ist, hörte ich einige flüstern, der Herzog von Braunschweig, der sein Gewissen reinigen, und seine Unschuld vor uns, durch diese Handlung retten wollte. O dies bedurfte er nicht, wir wissen es zu gut, daß der Wittelsbacher die höllische That verübte.

Ich erfuhr in der Folge, daß würklich einige unruhige Köpfe, Herzog Otten von Braunschweig, Philipps Gegner bey seinen Leben, als Theilhaber dieser That hatten vorstellen wollen; aber diese Sage machte so wenig Eindruck daß er, wie bekannt, den Kaysernahmen, den er jetzt führt, ohne Widerrede erhalten hat; auch ich selbst kann mich nicht überwinden, hier einen Verdacht auf ihn zu werfen.

Da ich hier mein Leben so tollkühn, auf die Gefahr, erkannt und von dem Pöbel zerrissen [512] zu werden, gewagt hatte, so kostete es mich noch weniger Ueberwindung auch an andern Orten zu lauschen, und überall Bestättigung eines Verbrechens zu hören, das ich nicht begangen hatte. Zuletzt ging ich nach meinem eigenen Pallaste welcher stark bewacht ward, weil der Pöbel verschiedene mahl Miene gemacht hatte, ihn zu schleifen. Mir war ein verborgener Seitenweg bekannt, der durch einen verfallenen Keller in den Garten, und durch diesen auf ein Lusthaus führte, welches an die Seite des benachbarten Pallasts gelehnt, den die Prinzessinn Elise bewohnte, mir oft Gelegenheit gegeben hatte, sie in der Einsamkeit zu belauschen, da ihr Kabinet dicht an die Mauer gränzte, durch welche mir ein ausgehobener gut verdeckter Stein die freye Einsicht verstattete.

In verschiedenen Beschäftigungen, hatte ich hier diesen Engel oft beobachtet; schlafend, betend, weinend, mit ihren Jungfrauen scherzend, oder mit ihnen von mir sprechend, hatte ich sie hier gesehen und gehört; aber so noch nie, als wie in diesem schrecklichen Augenblicke, sie sprach von mir, aber in welchem Tone! Sie weinte, aber über mich, sie betete, aber wie ich glaube, um Rache, über den unschuldigen Wittelsbach; Alverde war ihre Gefärthinn; ich weis nicht genau, was sie eigentlich sagten, nur dies weis ich, daß hier meine Verzweiflung [513] den höchsten Gipfel erreichte, und den Entschluß fest machte, Elisen gewaltsam zu entführen, wenn sie mir nicht gutwillig folgen wolle, wär es auch nur, um sie von meiner Unschuld zu überzeugen, und dann vor ihren Augen zu sterben.

Ich riß mich los von dem grauenvollen Schauspiele, eine Heilige, über mich zum Himmel hinauf weinen zu sehen, ich verließ das Haus und die Stadt, und eilte zu meinen Leuten, denen ich ihr Ablager in einem gewissen Dorfe angewiesen hatte.

Ich bin Wittelsbach, sagte ich, indem ich unter sie trat, haltet auch ihr mich für Kayser Philipps Mörder? – Sie erhuben ein großes Freudengeschrey über meinen Anblick, und einige schwuren, daß sie nie etwas Böses von mir glauben könnten, andere, daß sie, ob ich auch der wär, für den mich das Gerücht ausgäb, dennoch bey mir leben und sterben wollten!

Die Treue dieser Leute, welche jetzt meine einigen Freunde waren, rührte mich, ich redete mit ihnen offenherzig, von meiner Lage; und forderte als den ersten Beweis dessen, was sie geschworen hatten, daß sich einer von ihnen aufmachen sollte, Elisen ein Schreiben von mir zu bringen, indessen die andern sich rüsteten, die ihr in demselben verkündete That stracks zu vollführen. Ich selbst wollte bey der Entführung seyn, aber meine Leute, welche [514] meine Verwundung entdeckt hatten, wehrten mir, drangen darauf, daß ich mich der Hand des Wundarztes untergeben müßte, und gaben mir den Handschlag, daß sie alles ohne mich so gut vollführen wollten, als ob ich selbst gegenwärtig wär.

Es war die höchste Zeit, daß zu meinen Wunden Rath geschaft wurde, welche durch Vernachläßigung, und durch die ruhelosen heimlichen Wanderungen der vergangenen Nacht sich schon sehr entzündet hatten. Ich ward ohnmächtig unter dem Verbinden, und fiel darauf in ein hitziges Fieber, daß mir auf geraume Zeit, alle Besonnenheit raubte.

Als ich weit genug in meiner Genesung gegangen war, um auf das, was mich umgab, wieder einen Blick zu werfen, erstaunte ich, mich an einem ganz fremden Orte zu sehen; es war ein kleines dunkles Zimmer, von einer traurigen Lampe sparsam erleuchtet; ein altes Weib saß an meinem Bette, welches über die wenigen Worte, die ich ihr sagte, einiges Wohlgefallen spüren ließ, und ohne sie zu beantworten, aufstand, um, wie sie sagte, ihrem Herrn Nachricht, von meiner Besserung zu geben.

Und wo ist dieser Herr? stammelte ich.

Meister Paul von Eisenberg, der Wundarzt [515] antwortete sie, in dessen Hause ihr Euch schon seit drey Wochen befindet.

Meister Paul erschien, und ich kannte würklich an ihm das gutherzige Gesicht des Mannes, der bey den Schmerzen, die mir neulich seine Behandlung meiner Wunden machte, so viel Mitleid zu fühlen schien. Freude glänzte jetzt auf seinem Gesicht, mich so weit gebracht zu haben, aber auf all meine Fragen, erhielt ich keine befriedigende Antwort von ihm, sondern nur die Weisung, ruhig zu seyn, und für meine Genesung zu sorgen, da sich alles schon geben würde.

Ach Gott! was für Entdeckungen standen mir, bey meiner Wiederherstellung bevor, die endlich doch erfolgte. Ich hatte genug schlimmes geahndet, aber doch nicht so viel, als ich nun vernahm, und als mir der gutherzige Paul, der meine Lage noch nicht ganz kannte, doch nicht ganz wußte, was meine Seele am meisten erschüttern mußte, mitunter unvorsichtig genug hinplauderte.

Sagt mir um Gotteswillen, sprach ich eines Tages zu ihm, wo ich mich eigentlich befinde?

In guter Sicherheit; in meinem Hause!

Kennt ihr mich?

Ihr seyd der Wittelsbacher, den man in sehr bösem Verdacht hat, den aber ich für unschuldig halte.

[516] Ist der wahre Kaysermörder entdeckt?

Nein, aber man verfolgt ihn in Eurer Person mit Acht und Bann.

Wo ist die Prinzessinn Elise?

Vor acht Tagen ging sie mit den Gesandten nach Kastilien ab!

Meine Leute?

Die besten – bey einer Expedition, deren Endzweck ich nicht genau weis, erschlagen, die andern – von Euch gewichen, da euch jedermann als einen Durchächteten verließ.

Ach, es war nur gar zu wahr. Elise war mir geraubt, war aus den Händen meiner Leute, durch den Grafen von Kastelmoro gerissen worden; die tapfersten hatten ihr Leben beym Gefecht zugesetzt, die andern waren dem Glück gefolgt und geflohen, ich wär ganz verloren gewesen, hätte nicht der redliche Paul sich meiner erbarmt, und mich verborgen, geschützt, und geheilt, da die ganze Welt nach meinem Blute dürstete.

Ich hatte nichts ihn zu lohnen, da ich sein Haus verließ, als einen köstlichen Ring, den er mit Unmuth von mir annahm, weil er meynte, ich würde ihn wohl in meiner Lage selbst brauchen können; ich stellte ihn hierüber zufrieden, und konnte mit Mühe mich seiner erwehren, daß er mir nicht folgte, mein Unglück mit mir zu theilen, so lieb hatte er mich gewonnen; ich siegte [517] nur durch die Versicherung, über seine gutherzige Zudringlichkeit, daß die Sicherheit meiner Flucht, auf der Einsamkeit beruhe.

Ich ging bey Nacht, aus Meister Pauls Hause, und hatte nun die weite Welt vor mir, um einen Zufluchtsort zu wählen; dies machte mir keine sonderliche Sorge, ich kannte das ganze Elend meiner Lage noch nicht; denn die Worte Acht und Bann hatte ich nicht in dem ganzen Umfange genommen, wie sie hier genommen werden mußten. Mein erster Gedanke war, zu meiner Freundinn, der Kayserinn Irene, zu eilen, von deren Treue ich mir Trost und Entschuldigung versprach, wenn alle Welt mich verließ und verdammte. Ach ich wußte noch nicht, daß sie den Tod ihres Gemahls nicht überlebet, daß kurz nach der Schreckenspost, eine frühzeitige Niederkunft ihr Leben geendet hatte.

Meine Brüder, der Bischof von Bamberg und Heinrich von Andechs, sollten meine nächste Zuflucht werden, aber ach, sie hatte Acht und Bann getroffen, wie mich; heimlos und vom Schwerdte verfolgt irrten auch sie umher, wie sollten sie mir, dem Heimlosen und Verfolgten Schutz geben.

Da dachte ich an Herzog Bernharden; allein wie ward mir, da ich merkte, daß auch zu ihm der Weg mir verschlossen war; die Kläger hatten auch vor seinem großen furchtbaren Gericht [518] geklagt, der Richter hatte den Freund richten müssen, nicht genug, daß die Hand der öffentlichen Gerechtigkeit wider mich gerüstet war, auch der heimliche Bann verfolgte mich, ich war während meiner Krankheit zu dreyenmahlen vor das Tribunal geladen worden, wo auch ich einst als ein Richter thronte; ich hatte nichts von der Ladung gewußt; ich war nicht erschienen, hatte nicht erscheinen können, nun war ich verfehmt, wer sollte mich retten? In jedem meiner Schlößer, das ich heimlich und zitternd besuchte, fand ich, daß die Schöpfen da gewesen waren mich zu laden. Sie hatten Späne aus meinen Pfosten, und Steine aus meiner Thürschwelle mit sich genommen, und dadurch das Signal gegeben, was dem Kaysermörder, dem Durchächteten, Verfehmten gebühre.

Die Wuth des Pöbels war wider mich entbrannt; ich sollte das Verderben des Kaysers seyn, aus dem man nun erst, da er nicht mehr war, einen Abgott machte. Meine Burgen waren theils geschleift, theils rauchende Aschenhaufen, theils verödet. Wie ein gescheuchter Vogel irrte ich von einem zum andern, ohne eine Ruhestätte zu finden; doch brachte ich in der Stille der Nacht, wie ein Dieb, hie und da von dem Meinigen, wo es die Habsucht nicht hatte ausspüren können, einen kleinen Schatz zusammen, den ich, als ich durch Regenspurg zog, in einem alten Gemäuer barg, weil [519] ich hier mehr, als an irgend einem Orte merkte, daß meine Henker mir im Nacken waren, und daß ich ihnen in die Hände fallen mußte, wenn ich durch irgend was meine Flucht erschwerte.

Endlich fand ich Sicherheit in diesem wilden Walde, eine klägliche Sicherheit, bey welcher ich mir nicht das Leben hätte wünschen wollen, wenn mir es nicht die Freundschaft von neuem theuer gemacht hätte; ich fand dich, mein Alf von Dülmen, oder vielmehr, du fandst mich, du suchtest mich auf, da alles mich verließ, vor Mangel wär ich längst verschmachtet, aus Verzweiflung wär ich längst umgekommen, wärst du nicht mein Engel gewesen.

O Adolf, Adolf! wie verdiente ich das um dich! Unsere Freundschaft, es ist wahr, war fest und herzlich, aber manche drängten sich, zur Zeit des Glücks, näher zu meinem Herzen, als du; sie haben mich verlassen, nur du stehst noch fest, wie ein Fels. Gott lohne dir die Treue, die du einem Durchächteten erzeigst; ich kann dir sie nicht lohnen, kann auf nichts denken, als dir noch neue Lasten aufzulegen, die du für mich übernehmen sollst. Noch drey Bitten an dich habe ich auf meinem Herzen; du darfst, du kannst sie mir nicht abschlagen, du, der mir schon so viel aufgeopfert hat.

[520] Unsre Reise nach dem heiligen Lande ist nun beschlossen; auch den Hofnungsstrahl, der mir auf dieser Gegend leuchtet, danke ich deinen Rathschlägen; aber wie sollen wir die Kosten der Reise bestreiten, da du so arm bist, als ich, du sowohl deiner Lande beraubt lebst, als ich? Ziehe hin, dies ist meine erste Bitte, ziehe hin nach Regenspurg, und hebe an dem Orte, den ich dir bezeichnen werde, den Schatz, den ich vergrub; nimm dann zweytens diesen Brief, an Kayser Philipps Töchter; sie sind grausam genug gewesen, wider mich, den Unschuldigen, zu klagen, wider mich ohnedem Verfolgten, das Schwerdt der Rache noch mehr aufzureitzen; dieses Schreiben soll ihnen ein wenig das Gewissen schärfen, soll ihnen das Elend schildern, das ich bisher erduldete, und das sie noch zu vermehren suchen. Gehen sie in sich, schenken sie dem unglücklichen Otto eine reuende Thräne, so bin ich befriedigt, aber auf dem höchsten Gipfel der Glückseligkeit werde ich erhoben seyn, wenn Alf von Dülmen mir auch meine dritte Bitte gewährt. O Adolf! Adolf! ich beschwöre dich bey unserer Freundschaft, bey den Geheimnissen des furchtbaren Gerichts, welches mich verfolgt, bey meiner und deiner Unschuld, in der wir beyde leiden, beschwöre ich dich, spähe den wahren Mörder Kayser Philipps aus, spähe ihn aus, den Teufel, der auf meine Rechnung die schwarze That beging, [521] und mich dadurch in den Abgrund des Elends stürzte, schleppe ihn vor meine verblendeten Richter, daß er gestraft und ich gerechtfertiget werde! – O könnte dies doch vor unserer Reise nach Palästina ausgerichtet werden, die Anerkennung meiner Unschuld sollte dieselbe nicht hindern; mein treuloses Vaterland habe ich in jedem Fall, auf bestimmte Zeit, verschworen; aber welch ein Triumph würde es für mich seyn, nicht als ein Flüchtling, nein, als ein freywilliger Diener des Kreuzes, die heiligen Orte zu begrüßen! O Adolf! ist dir Leben und Ruhe deines Otto noch theuer, so gelobe mir alle meine Bitten, gelobe mir besonders die letzte zu erfüllen.«

So endete der unglückliche Pfalzgraf seine Geschichte; sie hatte meine Seele bereits in allen ihren Tiefen erschüttert, aber der Schluß überwog alles Schreckliche, das ich gehört hatte; es fehlte wenig, daß ich bey der fürchterlichen Forderung, die er an mich richtete, sinnlos zu seinen Füßen stürzte. Ach, dieser Mörder, dieser Teufel, über welchen er Fluch und Rache herabrief, wider den er meine eigene Faust bewafnen wollte, war ich selbst! Das grauenvolle Bekenntniß schwebte auf meiner Zunge, aber ich vermochte es nicht auszusprechen. Ich riß mich von ihm los, um im Freyen meiner Verzweiflung Luft zu ma chen; mein Leben hieng an einem Haar, mehr als einmal [522] stand ich im Begrif, es auf eine gewaltsame Art zu enden, nur Sorge um ihn, den ich ins Verderben gestürzt hatte, nur Sorge um den, der, ohne es zu wissen, nach meinem Blute dürstete, bewog mich, die That zu verschieben; was hätte aus Otto werden sollen, hätte ich jetzt schon meine Schande und mein Verbrechen in die ewige Nacht begraben, und ihn allein in der Gewalt seiner heimlichen und öffentlichen Verfolger gelassen?

Am Abend kehrte ich in unsere Höle zurück, Otto, rief ich, indem ich seine Rechte mit meiner Rechten ergrif, und die Linke ans Schwerdt legte, deine Forderungen sollen erfüllt werden; auch die letzte, die schwerste unter allen, soll mich nicht schrecken; Kayser Philipps Mörder soll sterben, sterben durch diese Hand, doch nicht eher, bis du in voller Sicherheit bist. Verliert sich einst der unglückliche Alf von Dülmen, du weißt nicht wie, von deiner Seite, so denke an die Rache, die du ihm auftrugst, und beruhige dich!

Wittelsbach sahe mich mit starren Augen an, er konnte nicht begreifen, warum ich ihm die Gewährung seiner Bitte, die, wie er meynte, weder viel Bedenkzeit, noch solche Umstände erforderte, auf so außerordentliche Art kund that. Er fing an zu grübeln, und da er schon in wenig Stunden auf die Vermuthung kam, ich müsse denjenigen kennen, an dem er gerächt zu seyn wünschte, müsse [523] ihm irgend mit besonderer Liebe zugethan seyn, so fing ich an, mich vor seinem weitern Forschen zu fürchten; er brauchte ja nur noch wenig Schritte zu thun, so war das grauenvolle Geheimniß meinem Herzen entrissen, und ich stand als der gehaßte, mit seinem Fluch belegte Verbrecher, vor seinen Augen; dieses zu vermeiden, trat ich noch in der nehmlichen Nacht meine Regenspurgische Reise an, in der Hofnung, daß wenn diese geendet wäre, uns die Anstalten zu unserer Wallfahrt nach Palästina genugsam beschäftigen würden, um keine Zeit zu Untersuchungen über gefährliche Dinge übrig zu lassen.

Sie sollten ihm ewig verborgen bleiben, dies war mein Wunsch, auch meinen Tod, den ich ihm gelobt hatte, sollte er nie erfahren, ich wollte Sorge tragen, mein unglückliches Leben weit genug von ihm zu enden, damit seine Tage, vom Kummer ungetrübt, mein Andenken ihm heilig bliebe, und er den ganzen Umfang meines kläglichen Verhängnisses nicht eher entdeckte, als in einer Welt, wo andre Urtheile, andre Empfindungen über Menschenhandlungen und Menschenschicksale statt haben werden, als in der gegenwärtigen möglich ist.

Nicht, als glaubte ich, die Ewigkeit könne die That, die ich beging, und die, zu welcher ich mich damals entschloß, entschuldigen; nein, nur dieses hofte ich, daß kein Gram, kein Mitleid dort die Freuden [524] der Seeligen so trüben könne, als Ottos irdisches Leben getrübt worden wäre, hätte er die Lage des elenden Alf von Dülmen diesseit des Grabes erfahren.

Ich zwang mich, meinen Gefühlen beym Abschied nicht freyen Lauf zu lassen, und mich durch das Uebermaaß derselben vielleicht abermahl verdächtig zu machen. Ich verwies den zagenden Otto auf die Hofnung des Wiedersehens, von welchem ich selbst überzeugt war, und verabredete mit ihm einen Briefwechsel, in einer holen Weide am Ufer der Donau. Die Vertraute unserer geheimen Korrespondenz war halben Wegs, zwischen unserer Höle und Regenspurg gelegen, so daß es uns beyden gleich bequem und gefahrlos war, zu den Stunden, wie sie uns die Gelegenheit darbot, und die wir einander nicht voraus bestimmen konnten, einander Nachricht von unserm Zustande zu geben, oder dieselben zu finden.

Ich erreichte Regenspurg ohne Anstoß, da mich die Kenntniß der Heimlichkeiten des verborgenen Gerichts geschickt machte, den Pfaden, welche die Rächer zu nehmen pflegen, die auch hinter mir her waren, immer glücklich auszuweichen. Ich fand den vergrabenen Schatz des Pfalzgrafen ohne Mühe, und brachte ihn, auf die verabredete Art, in Sicherheit, seinen Brief an die Prinzessinnen bestellte ich mit eigner Hand. Beatrix, von [525] welcher man sagte, der nunmehrige Kayser habe sich ihre Liebe durch das Todesurtheil über den Wittelsbacher erkauft, befand sich damals eben zu Regenspurg, und ihre Heimholung zu ihrem Bräutigam war vor der Thür. Ich sahe sie nicht, aber ich sahe Alverden, sahe die Schwester, welcher die Rache das Schwerdt, wider ihren eigenen Bruder, in die Hand gegeben hatte. Ich weiß, sie war unwissend zu meinem Verderben thätig, aber doch wars, als wenn mein Herz sich wider sie heimlich empörte; ich glaubte ihr, besonders in meiner Geschichte mit Alix, viel vorwerfen zu können, damit sie gern oder ungern, billig oder unbillig mein Schicksal verwirrte. Doch ich bin ungerecht! Ewig, ewig schweige jede Klage, als die, über meine eigene Vergehungen!

Alverde sahe mich, aber sie kannte mich nicht! ob sie mich vielleicht nicht kennen wollte? flüsterte mein empörtes Herz mir zu; doch nein, Alverde liebte mich immer, sie war nie boshaft, und das Elend macht ja jeden Menschen, auch seinen besten Freunden, unkenntlich! Wie konnte Alverde in einem bleichen abgezehrten Gerippe, unter einer Verkleidung von Lumpen, die ich zu meiner Sicherheit angelegt hatte, ihren Bruder ahnden, den blühenden Jüngling, den Prinzeßinnen bewunderten, den stolzen Fürsten, den seine Feinde glücklich genug fanden, um ihn zu neiden, und seinen Untergang zu suchen.

[526] Noch verschiedene Umstände hielten mich in Regenspurg auf; was ich zu unserer orientalischen Reise zu besorgen hatte, das mußte mit der äussersten Behutsamkeit besorgt werden, und dieses erforderte Zeit. Die prachtvolle Heimholung der kayserlichen Braut ging vor sich, ich sah die von jedermann hochgepriesene, von jedermann beneidete Prinzeßinn, wie sie in ihrem Pomp daher zog, aber tiefer Gram saß auf ihrer Stirne, die strahlenden Augen und der holde Mund konnten ihn nicht hinweg lächeln. Alverde, ihre Gespielin, barg ein bleiches abgezehrtes Gesicht, unter einem köstlichen Schleyer, man sagte mir, sie sey kürzlich von einer tödtlichen Krankheit aufgestanden; da wallte mein Herz vor Mitleid gegen beyde, und ich dachte, ob sie auch so schuldig seyn möchten, als ich und Otto sie wähnten; Dinge, über welche ich nie volle Aufklärung erhalten habe, denn auch der Augenblick war nahe, der mit mir und meinem Freunde schnell und auf ewig enden sollte.

Wie werde ich die Vorgänge schildern, die nur noch wie Traumbilder vor mir über schweben? Vorgänge, das Werk weniger Minuten, bestimmt das einst nicht unrühmliche Leben zweyer unglücklichen Freunde, in Dunkelheit zu enden, Vorgänge, von einem Zufall herangeführt, welcher leicht durch andre Zufälle, vielleicht durch einen zeitiger oder später gethanen Schritt, oder ein [527] ähnliches Nichts hätte verhindert werden können! doch hinweg mit dem traurigen Wort, Zufall! wehe dem, welcher an diesen blinden Götzen der Thoren glaubt, nichts vermag ihn zu trösten!

Mein Briefwechsel mit dem Pfalzgrafen, vermittelst der holen Weide, hatte ununterbrochen fortgedauert, er wußte durch denselben, alles was mir begegnet war, wußte auch die Zeit meiner Wiederkunft. Von der Gefahr seines und meines Zustandes immer deutlicher überzeugt, je mehr ich von den Verfolgern, die in unsere Fußstapfen traten, hier und da erlauscht hatte, schloß ich keinen meiner Briefe, ohne ernstliche Anmahnung zur Behutsamkeit; seine Wanderungen aus der Höle hatte ich gänzlich auf die Stunden der Mitternacht eingeschränkt, weil diese Zeit, von je her, im heimlichen Gericht, mehr zur Ablegung der Rechenschaft von bereits geübter, mehr zu Planen noch zu übender Rache, als zu der That selbst, bestimmt zu seyn pflegte. Diese, meines Erachtens, gefahrloseste Stunde, sollte auch die Stunde des Wiedersehens, zwischen mir und Otto, seyn; bey der holen Weide wollten wir uns treffen, und dann unverzüglich den Weg antreten, der uns dem Arm der rächenden Gerechtigkeit am sichersten entreissen konnte; o Himmel, eben dies sollte die Stelle, dies die Stunde seyn, wo das Schicksal [528] auf einmal über uns beyde unwiderruflich entschied.

Ich kam in der Hülle der Nacht, wie ich meinem Freunde geschrieben hatte. Schon sah ich im Mondschein von weitem die Stelle, wo ich ihn treffen wollte; aber der trügerische Strahl entdeckte mir ganz etwas anders, als ich zu sehen erwartete. Ich erblickte nicht eine männliche, sondern zwo weibliche Gestalten. Ich glaubte getäuscht zu seyn, und eilte näher zu kommen; da sahe ich noch deutlicher zwey Händeringende Frauen, über einen auf dem Boden ausgestreckten Leichnam gebeugt, da vernahm ich die Stimme ihrer Klagen, mir nicht unbekannter, mein Herz zerreissender Töne. Eine von ihnen sah mich kommen, sprang auf und flog mir entgegen.

Hülfe! schrie sie, Hülfe für einen tödlich Verwundeten!

Wo ist er? erwiederte ich, was ich vermag, das will ich ihm leisten!

Ach nein! ach nein! schrie sie, ihr seyd ein Ritter, was werdet ihr vermögen? nur Wundärzte! Wundärzte! sonst ist er verloren; meine Hofstaat ist nicht weit, dort unten im Thal, unter den Zelten! Ihr seyd zu Pferde! eilet! eilet!

In diesem Augenblick zeigte mir der helle Mondschein, daß ich mit Beatrix sprach. Ich [529] erschrack, ich weis selbst nicht warum, doch wollte ich, ohne zu antworten, mein Pferd herumwerfen und ihr Verlangen erfüllen, als die Andere, die ich im Augenblick für meine Schwester erkannte, herbeystürzte und schrie: zu spät! zu spät! der unglückliche Wittelsbach ist nicht mehr!

Wittelsbach? wiederholte ich, indem ich vom Pferde sprang und zu dem Verwundeten eilte. Die Frauen folgten mir, und warfen sich, so wie ich, an Ottos Seite nieder, der auf den Ton von meiner Stimme, die Augen noch einmal aufschlug, und schwächlich meine Hand drückte! Ich sterbe, Adolf! lallte er. Und durch wen? schrie ich, durch Kalatin, stammelte er, und schloß die Augen.

Wird nun Kayser Philipps Tochter bald befriedigt seyn? rief ich, indem ich mich von dem Sterbenden zu der weinenden Beatrix wandre. Kalatin, der Führer Eures Brautzugs, vollbrachte doch wohl diesen Mord, auf Eurem Befehl.

Schone, schone ihrer, Adolf! schrie Alverde, die mich erkannte, und ihre Arme um meinen Hals schlang.

Hinweg Schlange! hinweg Brudermörderinn! rief ich, indem ich sie von mit schleuderte, mich wieder auf mein Roß schwang und davon sprengte, um Wittelsbachs Mörder aufzusuchen.

Ich ereilte ihn nicht weit von der Mordstelle, im Thal, er kannte mich so schnell, als ich ihn, [530] er sagte Worte zu mir, die ich so wenig verstand, als er die meinigen. Wir zogen, ich drängte ihn. Er floh, ich war hinter ihm an. Mein Schwerdt verletzte ihn nicht, ich wollte ihn auf dem Leichnam meines Freundes schlachten.

Jetzt waren wir wieder im Angesicht der Frauen; Beatrix stürzte sich zwischen uns. Ganz von Wuth verblendet, hätte ich mich nicht gescheut, selbst sie zu verwunden, wenn nicht Kalatin seinen Schild vorgeworfen hätte; er blutete schon aus einer tödtlichen Wunde, die ich ihm in die Seite versetzt hatte. Ich faßte den Zügel seines Pferdes, den er sinken ließ; dorthin! schrie ich; dein Leben auf dem Unschuldigen auszubluten, den du schlachtetest.

Ich fällte ihn gezwungen, stammelte er; er fiel im Namen der Rächer, die mir das Schwerdt wider ihn gaben!

Stoff zu neuer Verzweiflung lag für mich in diesen Worten. Ich ließ ab von dem sterbenden Kalatin, um mich von neuem auf Ottos Leichnam zu werfen, ob noch ein Leben in ihm wäre; er war bereits erkaltet. Voll Entsetzen fuhr ich auf. Gestorben? murmelte ich, indem ich über ihm hing, für mich gestorben? und der, an den ich die Rache zu nehmen schwur, Philipps Mörder, nun auch Kalatins Mörder und der Deinige, lebt noch?

[531] Beatrix, welche dicht neben mir war, mußte etwas von den schwarzen Gedanken, über denen ich brütete, errathen. Sie umschlang mich fest und beschwur mich, meiner zu schonen; ich aber entriß mich ihren Armen, erreichte mit einem Sprunge das hohe Ufer, und stürzte mich hinab, in die Fluthen der Donau, wo ich das Ende meines Elends zu finden hofte.


Ich fand es nicht, nur eine neue Epoche, ach eine lange endlose Epoche! Meine Leiden sollten beginnen

Wahnsinn, die Frucht von einem Gedräng an die Verzweiflung gränzender Gefühle, hatte mich in den Abgrund gestürzt, in welchem ich zu vergehen hofte. Noch erinnere ich mich, daß die Empfindung von der Kälte des Stroms, der mich davon führte, mich wie lindernde Kühlung nach der Hitze deuchtete, daß der Gedanke von der Annäherung des Todes, sich lieblich mit der Vorstellung von endloser Rube nach langer Ermattung verband; nun aber auch weder Gedanke noch Empfindung mehr, sondern ein gänzliches Stillstehn aller Kräfte, ein gänzliches Nichtseyn, dessen ewige Dauer für einen Elenden, wie mich, Wohlthat gewesen seyn würde.

[532] Ach, ich sollte wieder aus demselben erweckt, zu neuen Qualen erweckt werden; eine Hand hatte mich gerettet, welcher ich nicht dankte, da ich zu verblendet war, um den Werth zu erkennen, welchen auch das elendeste Leben hat; auch möchte, wenn Absicht den Gehalt der That bestimmt, meine Lebensrettung wohl wenig Dank verdienen.

Den Leuten des Bischofs von Sutri dankte ich meine Erhaltung. Ich war nur darum mit äusserster Lebensgefahr meiner Retter, den Fluthen des wütenden Stroms entrissen worden, wurde nur darum mit der übertriebensten Sorgfalt gepflegt, damit durch meinen Tod nicht Geheimnisse verloren giengen, welche man bey mir vermuthete, und die man der sorgfältigsten Erhaltung werth hielt.

Ich habe schon im Anfang meiner Geschichte gesagt, daß mein Mund und meine Feder, durch fürchterliche Eyde gebunden, sich nie deutlich über gewisse Vorgänge meines Lebens erklären werden; es sind hauptsächlich diejenigen, auf welche ich nun stoße.

Sobald ich vermochte das zu überlegen, was um mich her vorgieng, so mußte mir schon mein Schicksal ahnden. Ich sahe mich fast in den nehmlichen Händen, in welchen ich mich schon einmal befunden hatte, da ich Gefangener des Bischofs von *** war, aus dessen Händen mich der Erzbischof von Maynz errettete.

[533] Von den Muthmaßungen kam es endlich zur Gewißheit; die nehmlichen Anmuthungen, die nehmlichen Fragen wurden an mich gethan, welche vordem an mich ergiengen; die nehmlichen Mittel wurden gebraucht, Dinge aus mir heraus zu schmeicheln und zu foltern, die man zum Theil schon recht gut wußte, und von mir nur noch besser erfahren wollte.

Es war in allen so ganz das nehmliche Spiel, daß mein ohnedem genug zerrütteter Verstand oft ganz irre wurde, jene und diese Epoche für ein Ganzes, und das dazwischen liegende für Traum hielt, ach ein langer schrecklicher Traum! Wollte Gott, ich hätte ihn nie geträumt; schuldloser als jetzt könnte ich dann der so lang, so sehnlich erwarteten Nacht der Ruhe entgegen sehen! – –

Meine Feinde wurden endlich müde, mich zu fragen, nicht mich zu quälen. –

Ademar, ich habe dir die Zahl der Jahre genannt, in welchen ich unter ihrer Folter lag. Zwanzigmal dem Tode nahe, mußte ich dennoch leben, leben zu meiner, vielleicht auch zu ihrer Qual; indessen ihnen immer einer nach dem andern abtrat, vom Menschenwürger schnell oder langsam dahin gerafft, bis ich endlich lauter neue Gesichter um mich sahe; einen Kreis von Menschen, die meine Richter seyn wollten, die zu gesetzten Zeiten mich vernahmen und entließen, mir drohten und [534] schmeichelten, ohne genau zu wissen, warum, blos weil sie es von ihren Vorgängern so gesehen, blos weil sie von ihnen gehört hatten, ich sey eine wichtige Person, von welcher sich große Dinge erforschen ließen.

Was dieses für große Dinge seyn sollten, mochte wohl endlich keiner mehr ganz genau wissen, und es kam dahin, daß ich ernstlich und unter harter Bedrohung gefragt wurde: warum ich auf diesem Schloß gefangen säß; die seltsamste unbeantwortlichste Frage unter allen, die ich noch von meinen Peinigern gehört hatte; es war die nehmliche, die ich in dem ersten Viertheil meiner elenden Gefangenschaft tausendmahl an meine damaligen Richter that, ohne Befriedigung zu finden. Die einige passende Antwort, die mir mein Gewissen gab, und die ich von denen, welche ich jenesmal fragte, mit Recht erwarten konnte, erhielt ich nicht; es war offenbar, daß ich hier nicht so lange Jahre die Fesseln getragen hatte, weil Kayserblut an meinen Händen haftete, sondern aus andern Ursachen, die mir unbekannt waren, und die ich also, da man jetzo mich fragte, nicht angeben konnte.

Man hielt jetzt, da man diese Frage an mich richtete, meine vorgeschützte Unwissenheit für hartnäckigen Starrsinn, gab Befehl für mich, zu neuen Foltern, und wandte mir den Rücken, um vielleicht [535] bey irgend einem frohen Gelag den Verdruß über meine Verstockung zu vertrinken.

Beym nächsten Verhör erzählte ich, zu meiner Rechtfertigung, so viel von meiner Geschichte, als davon erzählbar war, und verschlimmerte damit meine Lage noch mehr. Gott weiß, aus welchem Umstand in derselben man mich für einen Anhänger der waldensischen Lehren hielt, Leute, welche damals unter der grausamsten Verfolgung schmachteten.

Unter diesem Namen duldete ich noch einige Jahre fort; keine Befriedigung, die ich meinen Henkern gab, konnte mir helfen; denn die Sorge von geheimnißvollen verborgenen Bewandnissen, die es mit mir habe, erwachte von neuem, und machte meine Ketten unauflöslich. Ich ward unschuldiger Weise in alle räthselhafte Begebenheiten der Oberwelt verflochten gehalten, über alle unerklärliche Dinge verlangte man vonmir Aufschluß, und stieß mich, wenn ich ihn nicht geben konnte, noch einige Stufen tiefer ins Elend hinab.

Niemand wußte endlich mehr, was er aus mir machen sollte, und dieses vermehrte die Wichtigkeit meiner Person; es ward nach zwanzig Jahren, die ich nun schon in diesem Kerker geschmachtet hatte, Sitte, den Hüter dieses Schlosses, den man seit meinem Hierseyn zehnmal verändert hatte, meinetwegen allemal beym Antritt seines Amtes [536] besonders zu verpflichten. Man wollte mich schlechterdings nicht missen, ungeachtet man nicht wußte, was man mit mir anfangen sollte; wollte mir keine Linderung meines Elends gestatten, obgleich niemand mein Verbrechen kannte; war entschlossen, mich ehr zu tödten, als mir die Freyheit zu gönnen, die doch niemand schaden konnte.

O Freyheit! Freyheit! unschätzbarstes aller Güter, was hätte ich auch jetzt mit dir anfangen sollen, nach dem ich dich nun so lange Jahre vermißt hatte? Als ein Bettler, als ein kranker, muthloser, von Gram und Gewissensbissen abgezehrter Greis, hätte ich eine Welt betreten, die mir nun ganz fremd worden war, wo niemand mich mehr kannte. O Freyheit! selbst dich zu wünschen, hatte ich längstens aufgehört.

Ich brachte die letzte Epoche meiner Einkerkerung, bis mein Schutzengel Ademar mir erschien, in einer fast thierischen Unempfindlichkeit zu. Alle meine Gefühle, alle meine Seelenkräfte waren abgestumpft; wahnsinnig war ich nicht; zu irgend einer Ueberspannung gebrach es meinem Verstande an Kraft; nein, ich befand mich in einer Art von schwerem Schlummer, aus welchem mich nichts als ein gewaltsamer Schlag erretten konnte.

Du weißt den Vorgang, Ademar, der dieses bewürkte. Ich lebte nun dreyßig Jahre in dieser Höle. Du hattest dein Amt eilf Monate, als Hüter [537] dieses Schlosses, über mich verwaltet, ohne deinen Gefangenen nur einmal zu sehen. Man hatte dir meinetwegen, weil es Herkommens war, so fürchterliche Eyde aufgelegt, dir von mir so grauenvolle Vorstellungen gemacht, daß dir diese Vernachläßigung nicht zuzurechnen ist; ungeachtet derselben ermangelte ich doch nicht, in meiner Tiefe zu fühlen, so gut ich damals etwas zu fühlen vermochte, daß über mir ein milderes Wesen regiere, als vordem. Deine Knechte, denen die Sorge für mich aufgetragen war, waren unter deiner Herrschaft glücklicher, und also auch milder gegen mich Elenden; ich bemerkte einigen Grad von Reinlichkeit und Ordnung in dem, was mich umgab, und wär ich nicht ganz für jedes Gefühl erstorben gewesen, so würde sich bald auch die Hofnung, auf noch bessern Zustand, bey mir eingefunden haben. Der kleinste Lichtstrahl, der in einen dumpfen Kerker dringt, pflegt dieser holden Trösterin sonst einen Zugang zu eröfnen, und sie macht dem, zu welchem sie sich gesellt, immer schnell das kleinste Gute zum Unterpfand eines noch größern. Ich war zu tief gesunken, um diese süße Ahndung zu fühlen, und die merkliche Besserung meines Schicksals, die mir in der Folge durch dich zu Theil ward, fand mich ganz unbereitet; aber eben diese Ueberraschung war es, was mich aus dem Zustand meines Nichtseyns weckte.

[538] Ademar, du weißt es, wie du mich fandest als dir der Blitz in meinen Kerker den Weg zeigte, du weißt auch, was ich nachher unter deiner Pflege ward. Du erhieltst Nachricht, das Ungewitter, welches im überirdischen Theil des Schlosses zweymahl gezündet hatte, habe auch in den unterirdischen Gewölben Schaden gethan, einen Theil derselben eingestürzt, die Fesseln von den Händen des alten Unbekannten geschmolzen; und ihn wahrscheinlich getödtet. – Hier bewegte sich dein Herz gegen den Elenden den du noch nie gesehen hattest, du stiegst selbst zu mir herab, um mich ins Leben zurück zu bringen, wenn dieses möglich wär. Mein Anblick erschütterte dich, du fandest, wie du mich bereden willst, noch Spuren dessen an mir, was ich ehemahls war; deine Sorge um mich ward eifriger, ich erholte mich unter deinen helfenden Händen; durch deine Bemühungen um mich, ward ich dir lieb, du konntest, du mochtest mich nicht wieder in meine Tiefe hinabstossen, du thatest zu meiner Erleichterung das, was du ohne Verletzung deines Eides thun durftest; und ich – bin zufrieden; höheres Glück würde ich ja vielleicht nicht ertragen können!

Dank dir, Ademar, für jede Erleichterung, die du mir schaftest, für jeden Trost, den du mir gabst. Von der Kraft zum Danken, die du wieder in mir zu wecken wußtest, bis auf den sanften [539] Schimmer des Lichts, bey welchem ich dieses schreibe, nachdem ich dreyßig Jahre lang, in fast ununterbrochener Nacht, schier erblindet war, das Größte und das Kleinste das mich erfreuet, alles alles danke ich dir und der Vorsicht, die dich zu ihrem Werkzeuge brauchte. Ach könnte ich dir doch auch die Vergessenheit vergangener Leiden danken! aber leider findet sich hier das Gegentheil. Um deinetwillen regte ich die Qualen der Vorzeit fürchterlich in meiner Seele auf, dir zu Liebe schrieb ich sie nieder, und vergegenwärtigte mir von neuem das lang Ueberstandene! O Ademar! Ademar! was ich hier für dich that, das überstieg fast meine Kräfte, laß mich die Feder niederlegen, um zu ruhen!

Evert von Remen, zum Beschluß

Nachwelt, du kennst nun den Mann, den ich deinem Urtheil unterwarf, kennst ihn nach seinen eigenen Geständnissen, und nach den entschuldigenden Umständen, die für ihn in dem Verhalten anderer lagen; Umstände, davon ihm selbst wenig bekannt geworden ist, die ich erst nach seinem Tode, mit Mühe und Lebensgefahr, mit Verlust eigener Sicherheit und Ruhe, aus den Winkeln, in welchen [540] sie verborgen lagen, zusammen brachte, um sein Andenken bey der Welt zu rechtfertigen.

O! Adolf! Adolf! Du mußtest fallen, weil man wollte, daß du fallen solltest. Deine Ehrsucht nicht so wohl als ein Schicksal, das ich unmöglich günstig nennen kann, erhub dich auf eine Stufe, von welcher dich der Neid, gar bald wieder herabzustürzen strebte. Man lockte dich aus deinem Eigenthum, dich desselben desto sicherer berauben zu können; du hattest Privatfeinde, die dich, um ihre Absichten zu erreichen, unvermerkt in die Schicksale der Großen verwickelten, bis du dermaßen verstrickt warst, daß du nebst allen, die man nebst dir und durch dich stürzen wollte, fallen mußtest. Man hatte so viel durch dich ausgerichtet, daß man dich noch ferner zu brauchen hofte. Dies glückte nicht, und man warf dich als ein nutzloses Werkzeug auf die Seite; du wurdest in den Staub getreten, wurdest vergessen, bis beynahe nach Verfluß eines halben Jahrhunderts die Freundschaft dich fand, und mit besserm Willen als Vermögen sich vermaß, dir alles wieder zu geben, was du verloren hattest. – Du lächeltest ob dem Versprechen, das aus meinem Munde ging. Evert von Remen, sagtest du, das dürftest du wohl nicht vermögen; alles was du mir noch geben kannst, ist ein ruhiges Grab und eine Thräne; denke darauf, ich werde es bald brauchen.

Was Adolf gesagt hatte, das geschah. Er, der dreißig Jahr unter den unerhörtesten Leiden einer harten Gefangenschaft nicht erlag, er, den der wohlthätige Ademar in den zehn folgenden Jahren durch milde Behandlung, so weit er vermochte, [541] sein Leben wieder lieben, seine Leiden vergessen lehrte, er konnte höhern Wachsthum des Glücks nicht ertragen. Der Freund seiner Jugend, sein treuer Evert von Remen, ward ihm wieder geschenkt, alle Vortheile, welche ihm sorgsame Liebe mit einiger Macht verbunden, nur gewähren konnten winkten ihm; aber – es war zu spät. – Er starb des achten Tages nach unserm Wiedersehen in meinen Armen.

Oft bin ich auf die Vermuthung gekommen, ob vielleicht eben unsre Wiedervereinigung, an welche sich das lebhafte Andenken der Vergangenheit so fest ketten mußte, seinen Tod beschleunigte. Einige seiner letzten Worte bleiben mir immer nachdenklich. O Freund Freund, rief er einst nach einer der süssesten Stunden, die wir nach seiner Wiederfindung zusammen verlebt hatten, du irrst, wenn du meine Freude über dich für so rein hältst, als die deinige seyn mag. Dein Anblick ist mir ein quälender Vorwurf; was thatest du, was littest du, für mich, und wie habe ich dir gelohnt? Ich verkannte, verließ, vergaß dich! Wie ganz anders würde der Weg meines Lebens gewesen seyn, wär ich ihn an deiner Hand fortgegangen! Der erste Schritt von dir führte mich dem Unglück entgegen! aus dem nun du mich retten mußt!

Ich fühlte die Wahrheit dieser Bemerkung wohl, aber ich bestrebte mich sie zu bekämpfen. Er stellte sich, mir zu gefallen, als ob er diesen schwermüthigen Betrachtungen keinen Raum mehr gäbe; aber wer weis, ob sie nicht in der Einsamkeit doch zurück kehrten, und seinen dünnen Lebensfaden vollends abnagten.

Fußnoten

1 1408 veranstaltete Kaiser Ruprecht die ersten Untersuchungen zu Reformation der Freygerichte.

2 Der Herzog von Sachsen war oberster Stuhlherr aller Freygerichte.

3 Registr. Innocent III.

4 S. Decret. Greg. IX.

5 Registr. Innocent III.

6 Die Entstehung der Inquisition so wohl als die Stiftung des Dominikaner- und Franziskanerordens fällt in diese Zeiten.

7 Welches aber erst mehrere Jahre nachher 1215. geschahe, da Innozens III. wider den unglücklichen Grafen von Toulouse das Kreuz predigen ließ, wie gegen Türken und Ungläubige, und alle christliche Fürsten wider ihn aufregte.

8 In jenen Zeiten begann man dem Golde alle Wunderkräfte zum Besten der Menschen zuzuschreiben, der Leser verzeihe dem Pfalzgrafen sein unrichtiges Gleichniß, einer Dame zu schmeicheln, läßt auch wohl ein Liebhaber des achtzehenden Jahrhunderts sich etwas ähnliches zu schulden kommen.

9 Die rothe Erde war der Name, welcher Westphalen als dem Vaterland der Vehmgerichte in der geheimnißvollen Sprache der Wissenden gegeben wurde.

10 Beatrix soll ihrem Gemahl außer andern Schätzen 150 Schlösser zugebracht haben, die ihr durch Erbschaften zugefallen waren.

11 Sie ward in der Folge an den Herzog von Brabant vermählt!

12 Nicht in verschlossenen Sälen, am liebsten unter freyem Himmel auf grünender Erde, sollen die heimlichen Richter ihre Sitzungen gehalten haben.

13 Adelheit, einer Aebtissinn von Quedlinburg.

14 Die Fabulisten der grauen Vorzeit, denen wir die umständlichsten (obgleich eben nicht die wahrscheinlichsten) Relationen von diesen geheimnißvollen Dingen schuldig sind, behaupten: Karl der Große habe den heimlichen Richtern den Blutbann mit der Bedingung verliehen, daß nur die Nacht ihre Vertraute seyn, die Morgenröthe nie ihre Versammlungen erblicken solle.

15 Name der Formel, wie sie zu dieser Absicht in den damahlichen Gerichten üblich gewesen seyn soll.

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TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Romane. Alf von Dülmen. Alf von Dülmen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5E97-8