König Remphis, oder das Labyrinth.

Oberhalb des Sees Möris, in der Landschaft Fejuma hatte sich Motherud ein Haus gebaut, welches fast zu schön war, in dieser wüsten Gegend zu stehen. Es waren die letzten Trümmern seines Glücks die er auf diesen Bau wandte. Anlage und Ausführung kosteten ihm, dem größten Architekten seiner Zeit, wenig oder nichts; so konnte ihm die Welt ja wohl verzeihen, daß er königlich wohnte, ob er gleich übrigens ein Bettler war.

Einen Bettler schalten ihn seine Nachbarn, ob er gleich seine Zuflucht noch nie zu der kalten Hand der Mildthätigkeit hatte nehmen dürfen. Seine Armuth war die Armuth des Weisen, welcher wenig bedarf,[4] und der selbst von diesem Wenigen immer noch etwas zu entbehren sucht. Ihm ward dieses leicht, aber seine Familie konnte die glücklichere Vergangenheit nie ganz vergessen, und verbarg man ihm die Thränen über das dürftige Heute, so flossen sie in der Stille desto heißer, desto reichlicher.

Mutter, sagte Thasus, der älteste von Motheruds Zwillingssöhnen in einer dieser thränenvollen Stunden, ich erinnere mich noch wohl der Zeit, da Sklaven uns bedienten, da köstlich besetzte Tafeln, wie durch Zauberwerk, auf jeder Stelle gedeckt standen, wo wir winkten, da dich köstlichen Wohlgeruch duftende Schleyer und uns königliche Gewänder von Gold und Seide umwehten. Jetzt wohnt in diesen Mauern mit uns der Hunger, und in diesem Gewande von groben blauen Linnen mag ich mich nicht mehr dem Spotte unsrer Nachbarn Preis geben. Als ich gestern ausging Wasser zu schöpfen, da nannten mich die Kinder eine nackende Schnecke, welche in einem bunten Marmorhause wohnte. Es war später Abend, doch war man mich [4] gewahr geworden. Ich glaube die dicksten Schatten der Mitternacht könnten mich nicht vor dem Schlangengezisch dieser Elenden schützen. O fänd ich einst am See meinen Tod unter den Zähnen eines der heiligen Thiere, und denn nebst ihm mein Grab unter den Gräbern der Könige, 1 rühmlich wär denn wenigstens mein Ende, da mein Leben so schimpflich ist.

Bruder, antwortete Thonis, der jüngste der Söhne des Baumeisters, verzage du nicht! Siehe, wir wachsen heran. Besseres Glück blüht in der Zukunft; mir ahndet, ich werde es genießen. Wüßte ich nur wo es zu suchen ist! – Mutter, du weißt mehr als wir, erzähle du uns wer wir sind, und was wir einst waren, damit ich sehe was wir wieder werden müssen, um glücklich zu seyn.

Butis hatte ähnliche Bitten ihrer Söhne zu oft unbefriedigt zurückgewiesen, sie [5] mußte zu sehr fürchten, daß diese Geheimnisse ihnen endlich von andern Lippen, zu ihrem Nachtheil möchten eröffnet werden, als daß sie nicht endlich des langen Weigerns hätte müde werden sollen.

Thasus und Thonis waren jetzt funfzehn Jahr, sie konnten, ihres Bedünkens, nun schon Anspruch auf die Kunde der geheimen Geschichte ihres Hauses machen, und dieselbe zu verschweigen wissen.

Schon war die Beantwortung der wichtigen Frage auf ihren Lippen, als Motherud, welcher das Gespräch belauscht hatte, herein trat.

Ich zürne nicht mit euch, sagte er, als er sahe wie alle vor ihm verstummten, ich zürne nicht, meine Söhne, über das, was ich aus eurem Munde vernahm. Eure Mutter möchte vielleicht eher meinen Unwillen verdienen, denn schon wollte sie sprechen, wo nur Schweigen ihr ziemt. Doch mir glückte es noch, ihrem Fehler zuvorzukommen. Was übrigens den Inhalt eurer Reden betrifft, so wisset: Zuweilen waltet ein geheimes Verhängniß über den Worten, [6] die uns in einer leidenschaftlichen Stunde entschlüpfen, und wir sprechen uns selbst unser Urtheil, so ists mit euch, und dem, was ihr sagtet. Der stolze und ungedultige Thasus wird leider sein Grab unter den Gräbern der Könige finden, die Götter wissen auf welche Weise. Der ruhige Thonis wird glücklichere Zeiten erwarten und genießen; daß ihn nur nicht die Liebe zu dem Bruder, den er so schön zu trösten wußte, in Fallstricke verlocke, aus welchen ihn nichts, als die äußerste Anstrengung seines schlauen Kopfes retten kann. Die schwatzhafte Butis hat gehandelt wie die Frau des Patriarchen, welche den Leuten von Sodom den Feuerregen verrieth, der morgen fallen sollte, und sie darüber zur Salzseule ward; die Götter verhüten ihr ein ähnliches Schicksal.

Die ertappten Dreye waren sehr bestürzt über die Strafrede des weisen Motherud, doch erholten sie sich, so wie seine Stirne die Zornfalten verlohr und heiterer ward, und vertraulich setzten sie sich um den Ausgesöhnten herum, als er Stillschweigen [7] winkte, und folgendermaßen anhub. Butis wollte sich entfernen, aber ihr ward zu bleiben geboten.


Meine Kinder, fing Motherud an, was eure Mutter euch von Dingen gesagt haben würde, welche zu wissen ihr nun wirklich alt genug seyd, das weiß ich nicht. Hört meine Geschichte, welche die Befriedigung eurer Neugier enthält, lieber aus meinem eigenen Munde, so könnt ihr wenigstens sicher seyn, daß man euch nichts verhelen, oder euch durch daraus gezogene falsche Lehren die Wahrheit vergiften wird.

Ich bin in den Gegenden von Elephantine geboren, und wenn ihr, meine Söhne, aus der Pracht, die uns ehemals umgab, überspannte Vorstellungen von eurer Herkunft schöpftet, so seyd ihr ganz irrig, denn wisset, euer Großvater war nichts als ein Baumeister von gemeinen Gaben, welcher mich zu der nämlichen Wissenschaft erziehen ließ, und den ich niemals an Glück und Talenten übertroffen haben würde, wenn nicht Unglück mich auf höhere Pfade geleitet hätte.

[8] Ich war in eurem Alter, als Zeiten über mein Vaterland kamen, von welchen noch die späte Nachwelt sagen wird. 2 Längst hatte Elephantine den Zorn des Himmels durch gehäufte Verschuldungen gereizt, und seine Strafen herbeygerufen, die nun endlich hereinbrachen. Hagel, Ueberschwemmung und Ungewitter hatten bereits unsere Gegenden zum Untergang vorbereitet. Die Mächte, welche die Luft und das Wasser beherrschen, sahen, daß sie alle Kräfte verschwendet hatten, uns aufzureiben, ohne daß wir noch ganz vernichtet waren, da boten sie ihre Brüder, die Geister der Erde und des Feuers auf, das Letzte an uns zu thun. Es bebete in ihren Innersten die Erde, und Flammen fuhren herauf zu verzehren was noch lebte. Man[9] würde heut zu Tage nicht mehr wissen, wo jene Gegenden lagen, hätte nicht die Macht, die alles regiert, dem Wüthen jener Dämonen Gränzen gesetzt.

Doch laßt mich von dem allgemeinen Schicksal auf mein besonderes zurückgehen, damit ich die Befriedigung eurer Neugier nicht zu lang verschiebe.

An einem Tage, da ich nebst zwanzig andern Jünglingen, die sich den bildenden Künsten gewidmet hatten, mit unserm Lehrer, nach einem der Tempel ging, wo wir gewohnt waren, unsere Lehrstunden zu halten, geschah das große Unglück davon ich euch oben gesagt habe. Die Erde verschlang auch uns, die Trümmern des stolzen Gebäudes, an welchen wir die Wunder der höhern Architektur lernen sollten, stürzten über uns zusammen, und bildeten uns ein Grab, welches nur von demjenigen, welches Thasus sich gewünscht hat, an Pracht und Größe übertroffen wird.

Ob einer von meinen Unglücksgefährten gerettet ward, weiß ich nicht; ich zweifle, [10] denn nie habe ich wieder etwas von ihnen vornommen. Mich schützte ein gestürzter Marmorbogen, welcher, wie absichtlich, ein Gewölbe über mir formirte, vor der Zerschmetterung und vorm Ersticken in der zusammengepreßten Luft. Nicht einmal das Bewußtseyn oder die Gegenwart des Geistes, verlohr ich bey dem jähen Sturz in die Tiefen der Erde, und, daß es mir auch nicht an Licht gebreche, mußte eine hangende Ampel sich, sonderbar genug, am Kranz einer Säule verwickelt haben, um ihre Flamme zu retten. Ich ließ es mein erstes seyn, Mittel zu suchen, wie ich sie erreichen, und, indem ich ihr eine bessere Stellung gab, und ihr mehr Nahrung aus dem Oelbehälter herauf pumpte, ihre verlöschende Flamme erhalten könnte. Es gelang mir sie zu retten, und meinem düstern Grabe in ihr einen tröstenden Schimmer zu sichern. Ich würde umgekommen seyn, hätte sich zu allen meinen Bedrängnissen auch noch Dunkelheit gesellt.

Diese Handlung, in welcher ich eigentlich nur mir selbst gedient hatte, sollte das [11] Mittel werden, mich höchst glücklich zu machen. Ich hatte lange, gewiß den Zeitraum von Morgen bis zu Mitternacht beym Schimmer meiner Gefährtin, der Lampe, auf einem eingestürzten Gesims gesessen, und mir mein ganzes Elend und die Nähe des schrecklichsten Todes, des Hungertodes gedacht, ohne ob diesen Gedanken ganz zu verzagen, als ein Licht, welches die Ampel zur Nacht machte, mich umleuchtete. Es ging von einer Strahlengestalt aus, welche ich nicht beschreiben kann, weil ich, so oft sie mir in der Folge erschien, doch stets die Augen vor ihrem blendenden Lichte niederschlagen mußte.

Ich danke dir, sagte sie, daß du mir in diesen düstern Regionen mein Reich erhieltest. Ich bin einer der Geister des Feuers. Mein Daseyn ist an jene heilige Flamme gebunden, mit ihr wäre es auf Jahrhunderte verloschen, und wer wüßte, ob alsdann noch eine wohlthätige Hand einen Funken aus der alten Nacht herausgeschlagen hätte, um mich wieder zu beleben. Du bist mein Retter, und ich will dir danken. [12] Fordre von mir, und es soll dir augenblicklich gewährt werden.

Herr, antwortete ich, ich würde dich bitten, mich aus dieser Gruft zum Anschauen der Sonne zurück zu bringen, wenn mir nicht mein inneres Gefühl sagte, ich könne höhere Wohlthaten von dir fordern. Unterweise du mich selbst, was ich bitten soll, und denn gewähre, wie du willst.

Das darf ich nicht, erwiederte der Geist, du mußt wählen; doch höre, was ich dir zur Wahl vorlege: Die Geister des Feuers sind die Mächte des Untergangs und der Zerstörung; willst du Gemeinschaft dieser Kräfte?

Hinweg mit diesen! Sie taugen nicht in die Hand eines Sterblichen!

Sie sind auch die Geister des Lebens und der Thätigkeit, willst du von diesem?

O ja! rege Thätigkeit ist die Seele des Lebens, gieb mir diese, und ich will dir danken.

So nimm sie mit allen ihr anhangenden Gebrechen! – Forderst du mehr, so wisse, [13] wir sind auch die Geister der Kunst und des Wissens; willst du von diesem?

O ja! ohne Kunst und Wissen ist Thätigkeit endloses Umherirren ohne Ziel.

Aber die Kanäle, durch welche Kunst und Wissen sich ergießen, sind zahllos, und kein menschlicher Geist kann sie alle fassen!

Gieb mir nur, was zu dem Endzweck dienet, den ich mir vorgesetzt habe, und ich bin zufrieden!

So nimm hin die Kunst und das Wissen, das du wähltest, mit seinem ganzen Gefolg von Leiden, die es nach sich zieht. Auch soll dir außer diesem nocheine Gabe gewährt seyn: Dreymahl in deinem Leben sollst du, wenn Stahl und Stein in deiner Hand sind, die Macht haben, die Funken, welche du daraus hervorrufst, – (jeder Funke, der dem Stein entspringt, ist ein Geist des Feuers, wie ich und meine Brüder) – sollst du Macht haben, sie zu deinen Dienern, zu Ausrichtern deiner Befehle zu machen.

Der Geist schied, um mich in den nächsten vier und zwanzig Stunden wieder zu [14] besuchen. Er that dies täglich, und sein Umgang weihte mich ein zu den tiefsten Geheimnissen meiner Kunst. Hier ward ich zu dem Manne gebildet, dessen Werke der Ewigkeit trotzen werden. Wenn die Nachwelt längst meinen Namen vergessen hat, so wird sie noch staunend bey meinen Pyramiden und Obelisken stehen, und fragen: ob dies Menschen oder Götterwerk sey?

Eine Frage, Vater, unterbrach Thasus hier den weisen Motherud; wie kam es, daß ihr unter allen Zweigen des Wissens keinen edlern wähltet? Warum eben die Baukunst? Als ein Weltweiser, als ein kriegserfahrner Held, hättet ihr die Hand nach Kronen ausstrecken können, da ihr nun euch höchstens bis zum Diener der Kronenträger habt aufschwingen können.

Vorwitziger! rief Motherud mit gefalteter Stirne. Deine Frage ist so kühn, wie die, mit welcher ich bald darauf meinen Lehrer aus der Geisterwelt auf ewig von mir entfernte; höre hievon die Geschichte, und lerne auch im Fragen bescheiden seyn.

[15] Des Geistes Herablassung machte mich vertraulich, und die Vermehrung meines Wissens kühn und stolz. Der Umfang aller Kenntnisse, Thasus, die mit der, von dir verachteten Kunst deines Vaters verwandt sind, ist nicht klein; ein Held und ein Weiser, besäß er sie, könnte stolz auf sie seyn, und sich vermittelst derselben, als der, der er ist, behaupten.

Geist, sagte ich eines Tages zu meinem Lehrer, mich dünkt, ich weiß nun alles worinne du mich unterweisen kannst, nur eins wird mir ein ewiges Räthsel bleiben, wenn du mir es nicht lösest. Vergönne mir einige Fragen: Waren die Geister deines Elements, warst auch du wider das unglückliche Elephantine mit im Bunde?

Ja! –

Seine Zerstörung, das Erdbeben, das Feuer, ist es auch dein Werk? –

Ja!

Warum nanntest du mich deinen Retter, warum wardst du mein Wohlthäter?

Weil du die Flamme erhieltst, an welcher mein Daseyn hing.

[16] Was wars, das diese Flamme zu zerstören drohte?

Der Einsturz dieses Gebäudes.

Wie? so stritten also himmlische Geister wider sich selbst, und die Wirkung ihrer Handlungen könnte Zerstörung ihres eigenen Wesens zur Folge haben? Welch ein Widerspruch! Ist Widerspruch Unvollkommenheit, wie kann er an Naturen haften, die du mir so weit über die Menschheit erhaben, so durchaus vollkommen geschildert hast?

Ich hatte noch nicht geendiget, ich war im Begriff, voll Stolz auf eigene Weisheit mich noch tiefer in Sophismen zu verirren, aber die zürnende Stimme des Geistes unterbrach mich.

Thörichter, donnerte sie, du unterwindest dich, deinen Lehrer mit Fragen zu verstricken? Die beste Antwort auf alles, was dir unbegreiflich ist, findest du in deiner eigenen Blindheit. Geh! geblendeter Maulwurf! tappe in den Tiefen der Erde nach dem Lichte, das du misbrauchtest, und das [17] dir nun in mir auf ewig verschwindet. Solltest du mich einst wieder sehen, so geschieht es in einer Stunde, da dein endliches Schicksal auf der Wage liegt, denke dann an heute, und hüte dich vor Vorwitz.

Ein Donnerschlag endete diese Rede. Ein Schlag, welcher das Gewölbe über mir zu zerreißen schien, ein Schlag ohne Blitz, denn dicke Dunkelheit umgab mich von diesem Augenblicke, das Gewölbe schien sich tiefer herabgesenkt zu haben, und benahm mir fast die Kraft zu athmen. Tausend Folgen meiner kläglichen Lage, die ich bisher gar nicht empfunden hatte, wurden mir mit jedem Augenblicke fühlbarer. Mit jedem Augenblicke trat mir der Tod in seiner fürchterlichsten Gestalt näher vor die Augen.

Gepeinigt vom Hunger und Durst, wovon ich im Umgange mit dem Geiste keine Spur wahrgenommen hatte, beängstigt von der Schwere der Luft, und von der dicken Nacht die mich umgab halb wahnsinnig gemacht, verlebte ich hier mehrere Tage. Ich rufte vergebens nach meinem elementarischen [18] Freunde. Vergebens bat ich um Verzeihung des Vergangenen. Vergebens machte ich die besten Apologien meiner unüberlegten Worte. Niemand hörte mich, niemand antwortete mir. Das Gewölbe senkte sich immer tiefer und tiefer. Der Tod umschwebte mich in tausendfachen Gestalten, ich starb unaufhörlich, ohne die Wohlthat des Nichtseyns zu gewinnen. Endlich riß ich mich in halber Verzweiflung empor.

Ist denn alles für mich verloren, weil ein Wesen aus der endlosen Wesenreihe mit mir zürnt? – schrie ich! Auf ihr Geister des Feuers, die ihr aus Stahl und Stein entspringt! auf wo ist euer Schutz, der mir versprochen ward, oder ward ich Unglücklicher auch hier von meinem treulosen Freunde getäuscht?

Die stählerne Schnalle meines Gürtels rief bey diesen Worten aus einem Steine, den der Zufall in meine tappenden Hände gespielt hatte, zwanzig Funken hervor, und zwanzig Lichtgestalten erfüllten den engen Raum, wo ich war, und drohten mich durch [19] ihr Feuer zu verzehren. Was willst du? umtönte mich ein vielfacher Donner.

Verschwindet, bis auf einen! rief ich mit geschloßnen Augen, die ich nicht eher wieder öffnete, bis eine einzelne Stimme mir sagte: meinem Befehle sey Folge geschehen.

Was forderst du von mir? donnerte die Stimme.

Ist das eine Frage? antwortete ich. – Rettung aus diesem Kerker!

Augenblicklich fuhr eine Flamme vor mir auf. Das Gewölbe spaltete sich. Ich sahe den Tag. Eine ungestüme Gewalt riß mich empor, und schleuderte mich so unsanft zu Boden, daß mir Leben und Besonnenheit entging, und ich gewiß eine Stunde auf völlige Erholung warten mußte.

Als ich zu mir selbst kam, sahe ich mich in der obern Luft, im Vorhofe des eingestürzten Tempels, auf einem Steine, der einen Abgrund bedeckte, aus welchem noch von Zeit zu Zeit Flammen hervorleckten.

[20] Ich sprang auf, und eilte in die mit Schutt und Trümmern bedeckten Straßen. Eine Menge Menschen – oder vielmehr Geistergestalten umringten mich. Wer ist der? – Woher kommt der? – krächzte ein Chor dumpfer kaum hörbarer Stimmen. Noch so munter, frisch und roth, hier wo Hunger und Elend alle Lebendige in Schatten verwandelt hat.

Ich sagte ihnen, ich sey von dem Erdbeben verschüttet worden, und habe mich eben jetzt erst wieder an den Tag heraufgefunden. –

O so haußtest du gewiß in einem unserer eingestürzten Vorrathshäuser, schrie einer der mich grimmig bey der Kehle packte. Gestehe es augenblicklich! Zeige uns augenblicklich den Ort wo du heraufstiegst, oder wir erwürgen dich!

Während die bleichen Grabgestalten auf meine Anweisung nach dem Steine eilten, auf welchem ich gelegen hatte, und sich quälten, ihn mit ohnmächtigen Händen von dem Abgrunde hinweg zu wälzen, den er bedeckte, zog mich ein Vorübergehender, [21] der mich kannte, den ich aber in seiner Leichengestalt nicht für einen meiner ehemaligen Freunde erkannt haben würde, auf die Seite.

Um der Götter willen, sagte er, verbirg dich! – So gestaltet wie du bist, wirst du den Abend nicht erleben.

Wie so? schrie ich voll Erstaunen.

Nicht so laut! antwortete er; selbst deine Stimme könnte deinen Tod beschleunigen. Wisse, hier wüthet der Hunger mit allen seinen Gräueln! – Zu den unnatürlichsten Speisen hat man schon seine Zuflucht neh men müssen. Wer bisher das Fleisch von Pferden und Hunden nicht verschmähte, der entschließt sich nun sehr leicht sich an den heiligen Thieren, selbst an den geweihten Katzen zu vergreifen, oder gar mit dem Fleisch seiner Brüder sein Leben zu fristen. – Doch welch eine Nahrung von diesen ekelhaften mit gelber Haut überzogenen Gerippen! Wer es vermag, der sucht bessere Kost! Junge Kinder vermißt man täglich in jedem Hause. Die mütterliche Sorgfalt, welche auch das Unmögliche möglich [22] zu machen weiß, nährt die armen Kleinen immer noch am besten, und so genährt sind sie dem Hunger ein leckerer Bissen. Ein frischer vollwangiger Jüngling, wie du, würde es noch mehr seyn. Eile, und rette dich in meinem Hause, dort hast du keine Gefahr!

Ob ich wirklich in dem Hause meines Freundes, der mich mit blinzenden Augen und lüsternen Blicken ansah, keine Gefahr gehabt haben würde, das weiß ich nicht. Mit andern verglichen sahe er noch immer zu wohlgenährt aus, als daß man ihn in dem Lande des Hungers ohne Verdacht hätte ansehn können. Ich war indessen schon im Begriff, vermittelst des Stahls und Steins Hülfe für mich und ihn, und die ganze unglückliche Stadt herbey zu holen, als wieder ein Trupp hohläugiger Gespenster vor uns vorüber kam und meinen Freund, ich konnte wohl denken, zu welchem Ende, mir von der Seite riß, ohne daß ich im Stande war ihn zu retten. Man wollte sich auch meiner bemächtigen, aber ich entkam, und suchte einen sichern Winkel, um ruhig Feuer schlagen, und meinen [23] Verfolgern mit Wohlthat lohnen zu können.

Ich schlug an mit aller Macht. Tausend Funken sprangen hervor, schon dachte ich, einem jeden von ihnen ein Geschäfte, zu Sättigung der Hungrigen, zu Erquickung der Verschmachtenden, zu Hebung der allgemeinen Noth zu geben; aber keiner ward zur Lichtgestalt, keine Stimme fragte: was willst du?

Ich besann mich, daß die Gabe, die Geister des Feuers hervor zu rufen, mir nur auf dreymal in meinem Leben bewilliget war, und daß vielleicht eine verborgene Macht über mir waltete, nicht zu verschwenderisch mit dieser Gabe zu seyn, wenn es nicht etwa dieses war, daß die elementarischen Wesen die Bürger von Elephantine zu sehr haßten, um ihnen eine übernatürliche Hülfe durch mich zu gönnen.

Dem sey wie ihm wolle, ich war hülflos in der Wohnung des Elends und blieb es; kein freundlicher Geist beliebte mich auf übernatürliche Art zu befreyen. Täglich [24] sahe ich Menschen vor meinen Augen vor Hunger umkommen, täglich andere, weniger bedenkliche, sich das Leben auf die schrecklichste Art fristen. Dem Morden der unschuldigen Kinder Einhalt zu thun, sahe ich zwey Bösewichter, welche von dieser Art Nahrung fett und stark geworden waren, zur Richtstatt schleppen. Sie wurden gehangen, aber nach zwey Stunden war keine Spur von ihren Leichnamen zu finden; der Pöbel hatte sich von ihnen ein fettes Mahl gemacht.

Für Geld ist alles zu haben, auf fast unbegreifliche Art hatten sich die Reichen noch eine Zeitlang, vermittelst ihres Goldes, mit natürlichen Speisen hingeholfen; nun war auch für sie kein Ausweg übrig, denn selbst diejenigen, welche niedrig genug dachten, irgend einen verhelten Vorrath, der ihr eignes Leben hätte erhalten können, um Geld hinzugeben, hatten nun nichts mehr zu verkaufen, als ihr eigenes ausgezehrtes Gerippe.

Der Fürst bot alle seine Schätze um eine einzige Mahlzeit. – Vergebens! – [25] Eine reiche Dame, eine der höchsten des Landes, bot vier Maas Edelgesteine für ein einziges Maas Gerste, das Leben des Kindes auf ihren Armen zu retten. – Niemand konnte ihr willfahren! Da warf sie die glänzenden Kostbarkeiten auf den Boden, und trat sie mit Füßen. Elende Kiesel! schrie sie – verdientet ihr die Mühe, mit der ihr gesammelt, die Sorgfalt, mit welcher ihr gehütet wurdet, da ihr mir keine Stunde verlängertes Daseyn für meinen Liebling erkaufen könnt?

Schon lange war ich unter den Verschmachtenden. Vor Ohnmacht, unter den Sterbenden, die die Straßen erfüllten, hingesunken, sah ich diese Scene. Sie brach mein Herz; meinem Auge entquollen die letzten Thränen. Ich sah die weinende Mutter noch einmal um Leben für ihren Liebling flehen; ich würde nach meinem Feuerzeuge gegriffen haben, um Funken für sie hervorzuschlagen, wenn ich diesen Versuch nicht zu oft vergebens gemacht hätte, um noch etwas von ihm zu hoffen, auch war ich jetzt so matt, daß ich keine Hand mehr zu regen [26] vermochte, und bald folgte völlige Bewußtlosigkeit. –

Was mich noch so lange erhalten hatte, was mich in der schrecklichen Epoche, die nun folgte, immer noch erhielt, das würde ich nicht wissen, wenn ich mich nicht jetzt erinnerte, daß unter den Gaben des Feuergeistes, die ich ihm abheischte, auch Leben undThätigkeit gewesen wäre. Der Nachdruck meiner Bitte ruhte damals nur auf der letzten Gabe, ich wußte nicht, wie bald mir eine stärkere Lebenskraft, als natürlicher Weise in mir wohnen mochte, nöthig seyn würde, um mich zu bessern Zeiten zu erhalten.

Ach diese bessern Zeiten waren noch fern. Dem Hunger folgte die Pest. Als ich mich aus meinem Schlummer, aus meinem langen Todesschlummer erholte, fand ich alles ausgestorben, alles um mich her mit modernden Leichen bedeckt und einige Leute beschäftigt, die Todten zu plündern. Es waren vorüberziehende Räuber, welche, hätten sie die Beschaffenheit der Sachen gewußt, sich in diesen vergifteten Gegenden nicht aufgehalten haben würden.

[27] Als die Reihe an mich kam, ihre Raubgier zu befriedigen, als sie menschenfreundlich genug, da sie Leben in mir spürten, sich des freuten, und mir einige Labung einflößten, da ließ ich es bey wiederkehrender Sprache mein erstes seyn, sie zu warnen.

Lasset alles unangerührt, sagte ich, der Hauch des Todes haftet an diesem Raube; aber unter dem Sande, am Auftritt jenes Pallasts werdet ihr Steine von unschätzbarem Werthe verstreut finden, die euch für das, was ihr zurücklasset, entschädigen können.

Sie suchten, und fanden die Kostbarkeiten, die ich von der Verzweifelnden ausstreuen sahe. Niemand hatte sie geachtet, niemand aufgelesen. Selbst der niedrigste Geizhals hatte in jenen Tagen Verachtung solcher Schätze lernen müssen. Die Räuber dankten mir für das was sie gefunden hatten, sie boten mir einige der kostbarsten Steine an, welche ich nicht ausschlug, und gingen in ihrer Dankbegier für Warnung und Wohlthat so weit, daß sie sich anboten, mich mit sich zu nehmen, und an jeden Ort zu bringen, den ich selbst wählen würde. [28] Ich nahm an, was sie mir anboten; ich wußte nicht, daß ich mich durch meine Einwilligung zu ihrem Sklaven verkaufte.

Räuber bleiben immer Räuber, und als bey diesen die Dankbegier verraucht war, und sie berechneten, daß sie ihre zu Elephantine erbeuteten Reichthümer, durch Verkauf meiner Person noch um ein ansehnliches vermehren könnten, so war der Entschluß, mir Fesseln anzulegen, unwiderruflich.

Ich war einfältig, oder ruhmredig genug gewesen, nichts von den Talenten, die ich aus der Schule des Feuergeistes mitgebracht hatte, zu verhelen, ob wohl ich die Art, wie ich zu denselben gekommen war, verschwieg. Ich glaubte meinen Werth, in den Augen dieser Leute, durch Kenntniß meiner Gaben zu erhöhen, und ich hatte Recht. Meine Person hatte in ihren Augen einen gar hohen Werth, und der Preis, den sie auf mich setzten, war unmäßig.

Ich ward in der nächsten großen Stadt zur Schau ausgestellt. Wer kauft, so [29] schrieen die Ausrufer in den Straßen, wer kauft einen Sklaven, der mit Jugend, Schönheit und Stärke verbindet. In der Meß- Bau-und Rechenkunst besteht seine vorzüglichste Geschicklichkeit. Er ist in den Regionen der Sterne so gut zu Hause, als in dem irdischen Naturreich. Er löst die verwickelsten Fragen der Philosophen, und alle Räthsel der heiligen Bilderschrift. Er versteht zu zeichnen und zu schreiben, er – –

Doch, meine Söhne, schenkt mir das Verzeichniß meiner Talente, das diese Leute so gut auswendig gelernt hatten, daß sie mein eigenes Gedächtniß übertrafen, und laßt mich zu den Folgen der lästigen Rolle übergehen, die ich hier spielen mußte, weil ich nicht klug genug gewesen war, in den Augen solcher Leute, die keinen Vorzug anders als nach Goldgewicht zu schätzen wußten, ein gemeiner Mensch bleiben zu wollen.

Die Summe, welche man für mich forderte, war zu groß; ich mußte täglich die Qual ausstehen, mich von Neugierigen begaffen und prüfen zu lassen, ohne daß einer mich kaufte, und mir dadurch wenigstens [30] Aenderung, wenn auch nicht Besserung meines Schicksals verschaffte.

Meine widerrechtlichen Herren mußten mich jeden Abend ohne Erfolg wieder in den Käfig schließen, den ich bewohnte, seit ich die Sklavenkette trug. Unwillig thaten sie es. Der gemeinste Bube, murreten sie, macht uns nicht so viel Mühe als dieser Taugenichts, den wir nicht an Mann bringen können, weil er mehr seyn will, als andre.

Ich gab meinen Räubern endlich den Einschlag, mich in der nächsten Stadt ohne Benennung meiner Talente, den Meistbietenden zu überlassen, und meine Schönheit und Jugend schloß in der That für sie einen bessern Kauf, als höhere Vollkommenheiten gekonnt hatten.

Sie schüttelten mir die Hand, als sie mich meinem neuen Herrn überließen, baten mich, ich möchte ihnen ihre Handlungsweise verzeihen, weil ich wohl wüßte, daß sie eben nur Räuber wären, und ließen mir meine Edelgesteine, vielleicht aus guten Willen, vielleicht aus Vergessenheit. Ich hatte [31] sie in meinen Gürtel vernäht, und baute auf sie die Hoffnung meiner Befreyung.

Da alles, was ein Leibeigener um und an sich hat, mit seiner Person, das Eigenthum seines Käufers wird, so hatte meine Loskaufung einige Schwierigkeiten. Ich mußte den Besitz meiner Diamanten verschweigen, ich mußte die Zeit abwarten bis ich in einer großen Stadt Gelegenheit fand, sie in Geld zu verwandeln, und Mittel ersann, meinen Herrn glauben zu machen, ich habe einen Freund gefunden, welcher gesonnen sey, das für mich zu thun, was ich selbst thun mußte.

Mittlerweile mußte ich mir gefallen lassen, meine Ketten fort zu tragen, und ich pries mich glücklich, daß es leichte Ketten waren. Mein Herr, ein junger, reicher und schöner Mann, den weder die Jahre, noch Unglücksfälle menschenfeindlich gemacht hatten, war allen seinen Sklaven ein Vater, und mich zeichnete er mit besonderer Liebe aus, weil er ein fühlendes Herz und Talente in mir fand. Ach ja, ich war abermals nicht klug genug, zu verbergen, [32] was in mir verborgen lag; sollte mich denn das Unglück nie witzigen?

Mein Herr hatte sich kürzlich mit einer jungen schönen Person verbunden, die er anbetete. Sie war in schönern Gegenden geboren, als die, in welche sie ihrem Gemahl folgen mußte; sie die Reize ihres Vaterlandes vergessen zu machen, wurde aller Zauber der Kunst aufgeboten, in einer Wüste ein Eden zu schaffen.

Anlagen zu Gärten und Palästen waren bereits gemacht, tausend Sklavenhände waren schon beschäftigt, mit zauberischer Geschwindigkeit auszuführen, was ein Baumeister, der kein Neuling in seiner Kunst seyn mochte, entworfen hatte. Mir ward die Aufsicht über den Bau aufgetragen; nur die Aufsicht; o daß ich hierbey geblieben wäre! auch dies würde mir schon, gut verwaltet, festere und daurendere Ketten angelegt haben, als ich wünschen konnte.

Ich weiß nicht, war es Liebe und Dankbarkeit gegen meinen guten Herrn, oder Trieb, meine noch ungebrauchte Kenntnisse [33] zu zeigen und Ruhmsucht, was mich bewog, alles, was ich von dem angefangenen Werke vorfand, als schlecht, gemein und untauglich, zum Untergange zu verdammen. Mein Herr, der mich bey allem, was er mich thun sahe, mit immer größerer Bewunderung beobachtete, war es zufrieden, daß ich alles schon gefertigte niederreißen und nach ganz neuen Planen umarbeiten ließ.

Es waren Wunder, die ich schuf, und da ich die arbeitenden Hände so wie ich wollte, aus den zahlreichen Sklaven meines Herrn vermehren konnte, so stand in kurzer Zeit ein Bau da, welcher alles übertraf, was man je in diesen Gegenden an Pracht und Schönheit gesehen hat.

Mein Herr und seine entzückte Gemahlin ließen sich herab, mir zu danken und mir eine freye Bitte zu erlauben. – Ich bat um meine Freyheit, und erhielt ein tiefes Stillschweigen zur Antwort.

Motherud, sagte mein Herr, vor einem Jahr möchte ich dir, was du bittest, sehr [34] leicht gewährt haben; noch kannte ich dich damals nicht wie ich dich jetzt kenne. Jetzt bist du mir um keinen Preis feil; doch soll dir die Aussicht auf Freyheit darum nicht verschlossen seyn. Hilf mir erst alle meine Paläste in dem Geschmack wie diesen verschönern. Laß meine Gärten bey Metelis nach neuen Planen umarbeiten. Der Kanal und die Wasserleitungen, die ich anlegen lasse, bedürfen gleichfalls deiner Aufsicht, und wenn du mir denn zuletzt, noch eine Begräbnißhöle, (ich fordere nichts außerordentliches, nur eine sechsseitige Pyramide von ganz gewöhnlicher Art,) gebaut hast, so sollst du unentgeldlich entlassen seyn, es müßte denn geschehen, daß dir in dieser Zeit das Haus deines Herrn lieb genug geworden wäre, um es nie verlassen zu wollen.

Es hätte geschehen können, was mein Herr sagte. Die Vollendung all dieser Werke erforderte mehr als ein halbes Menschenalter; nach so viel verflossenen Jahren möchte mir wohl die Lust zu wandern, und mein Glück anders wo zu suchen, ziemlich vergangen, möchte mir wohl Ruhe das [35] Liebste geworden seyn. Ich war in Verzweiflung über eine Zukunft wie diese. Ich arbeitete, und schuf Wunder, aber meine Fesseln drückten mich mit doppelter Schwere; ich dachte zu vergehen.

Ich lag meinem Herrn unablässig an, mir nur eine Summe zu nennen, welche ich ihm bieten dürfte; er machte mir endlich eine namhaft, und so groß die Forderung auch war, so dachte ich sie doch mit einem einzigen meiner Edelgesteine zu befriedigen. Meine Anstalten waren gemacht, wie dieses ohne Verdacht und Gefahr geschehen könnte, und ich eilte nach meinem, noch immer im Gürtel verwahrten Schatze, meinen Befreyer zu holen.

Ich fand den Kasten in welchen ich ihn verwahrte, unglaublich schwer, und den Gürtel, das Behältniß meiner Juwelen, angeschwollen und ausgedehnt, wie das Gewand eines Wassersüchtigen. Ich erstaunte und fing an, die Näthe aus einander zu trennen. Gleich die erste Oeffnung die ich gewann, machte mir mehr Kostbarkeiten entgegenstürzen, als ich je hier verwahrt [36] hatte. Die Edelsteine quollen unter meinen Händen, ich maß, als ich das ganze Behältniß geleert hatte, vier Maas, und sahe wohl, daß jetzt der ganze Schatz in meiner Gewalt war, den ich jene Verzweifelnde zu Elephantine hatte ausstreuen sehen.

Wie das zugehen konnte, wußte ich nicht. In der Bestürzung, in welcher ich war, in dem Entzücken, hier nicht allein die Möglichkeit meiner Freyheit, nein, auch einen königlichen Reichthum, mich in derselben fröhlich zu erhalten, vor mir zu sehen, ergriff ich drey der kostbarsten Juwelen, und eilte, sie meinem Herrn zu bringen. Es freute mich, ihm mehr geben zu können, als er gefordert hatte, und ihm in den Ueberschuß, noch ein Merkmal meiner Dankbarkeit, für Liebe und Schonung zu liefern.

O! rief er, als er meine Schätze in seinen Händen blinken sah, ich merke, der Freund, welcher um deine Freyheit wirbt, weiß deinen Werth zu schätzen, aber er soll nicht sagen, daß ich hinter ihm zurückstehe, [37] er biete mir noch einmal so viel, als er mir hier darlegt, und Motherud ist mir dafür nicht feil; ein Diener, wie du, sollte um Königreiche nicht hingegeben werden.

Ich weiß nicht, ob mein Herr aus Liebe, oder aus Spott also redete, weiß nicht, ob ihn Geiz, oder Begierde, sich nie von mir zu trennen, zu den unmäßigen Forderungen bewog, welche er so wie sie befriedigt wurden, allemal verdoppelte, bis daß ich endlich wirklich ihm alles hingab, und vier Maas Edelgesteine in seinen Schoos maß. Auch durch diese würde ich meine Fesseln noch nicht gebrochen haben, hätte ich nicht die Gerechtigkeit zu Hülfe genommen, und durch ganz besondere Vorkehrungen verhindert, daß er mich nicht abermals täuschen konnte.

So schied ich also aus dem Hause eines Herrn, der mir die Schätzung meines Werths auf eine so widrige Art bezeugte, und mich seine Liebe so theuer bezahlen ließ. Ich schied frey, aber ganz arm nach meinem Bedünken. Daß sich in einer Falte meines Gürtels, noch ein Edelgestein verkrochen [38] hatte, welcher allenfalls hinlänglich gewesen seyn möchte, mich zeitlebens vor Mangel zu schützen, dies ward ich erst zu einer Zeit gewahr, da es mir fast erging, wie der Dame zu Elephantine, da ich alle Schätze der Welt um einen einzigen Trunk Wasser hingegeben haben würde.

Ich war auf der Reise nach Nubien, wo ich Anverwandte hatte, auf deren Milde ich glaubte rechnen zu können. Mit einem einzigen Gefährten durchwanderte ich die wüsten Gebirge, welche dieses Land von Egypten trennen. Wir schmachteten vor Durst, und behalfen uns spärlich, von einem Tage zum andern, mit den wenigen Tropfen Wasser, die wir zuweilen in den Felsenritzen antrafen, und mit dem Saft der Balsammelonen, welche hier und da wild wuchsen. Hier war es, wo ich meinen Reichthum zuerst entdeckte, und ihn so herzlich verachtete, als seine erste Eigenthümerin. gethan hatte. Nein, sagte ich zu mir selbst, die vier Maas Juwelen, die ich in Isiphs Schoos schüttete, reuen mich nicht, wie könnte ich meine Freyheit um einen [39] Preis zu theuer erkauft haben, den ich in dieser Minute für das gemeinste Erdengut, das in glücklichen Gegenden keinem Sklaven fehlt, zahlen würde!

Mein Gefährte, ein gemeiner Araber, behielt bey unsern Bedrängnissen einen bessern Muth als ich, und hatte oftmals Launen, die er nach seiner Art lustig nannte.

Freund, sagte er eines Tags zu mir, als wir im Schatten eines Berges saßen und in die brennende Sandflächen hinausschaueten, welche wir noch bis zu Untergang der Sonne zu durchwandern hatten; Freund, mich dünkt, dir geht es nach Art der Kameele, welche sich bey ihren Wanderungen durch die Wüste in sich selbst einem Vorrath von Labsal sammeln, der sie und ihre Reisegefährten nicht verschmachten läßt, gieb mir von dem was du bey dir hast, damit auch ich mich erquicke!

Schon wollte ich fragen, wie er das verstehe, als sein Lachen und ein Blick auf die Binde die mich umschloß mir seine Meynung verrieth. Mit Erstaunen nahm ich wahr, daß meine sonst von Natur schlanke[40] Gestalt einen Umfang hatte, der seinen plumpen Einfall rechtfertigte. Fast errieth ich die Ursach meines wunderbaren Anschwellens. Ich riß die Binde ab, riß auf meine Kleider, schnallte den ledernen Gürtel ab, den ich verborgen trug, öffnete ihn, und der nehmliche Glanz strahlte mir in die Augen, den ich erblickte, als ich dem habsüchtigen Isiph mit dem Werth eines einzigen Edelsteins meiner Freyheit abkaufen wollte.

Das Glück, welches immer meiner mit seinen schimmernden Gaben spottete, hatte mich wirklich wieder zum Besitzer von einem Schatze gemacht, der vielleicht hinlänglich gewesen wäre, ein Königreich zu erkaufen, nur nicht den Tropfen Wasser, nach welchem unsere ausgetrockneten Lippen schmachteten.

Verwünschter Tand! schrie ich, indem ich den Gürtel unwillig von mir schleuderte, daß sein Inhalt weit im Sande umher verstreut lag. Ich bins müde länger durch dich gehöhnt zu werden; zu oft erfuhr ich die Ohnmacht des Reichthums, um hierüber noch eine Lehre zu bedürfen.

[41] Mein Gefährte erstaunte über den funkelnden Regen von Edelsteinen, den ich um mich her goß. Arm und habsüchtig wie er war, gab er sich einige Mühe, die Gegenstände meiner bittern Verachtung im Sande zusammen zu lesen. Bald aber warf auch er sie hin. Es sind aber nur Kiesel, sagte er, indem er die letzten mit traurig gesenktem Blick langsam aus der Hand fallen ließ. Sie erhalten ihren Werth nur von dem Wahne solcher Menschen, die nie gleich uns erfahren haben, was wahre Bedürfnisse sind.

Ach die dringendste Noth sollten wir nun erst erfahren; da bald darauf uns aller Vorrath von Wasser ausging, da drey Tage lang uns kein Tropfen Labsal in Felsenritzen, kein stärkender Saft der 3 Abdallawi, uns Lebensfristung brachte, so sahen [42] wir den Tod ganz nahe vor Augen. Mein munterer Gefährte, dem in den letzten Tagen alle Lustigkeit vergangen war, legte sich hinter einen großen schattenden Stein nieder, reichte mir noch einmal mit gebrochenem Blicke die Hand, und schloß seine Augen zu ewigem Schlummer.

Ich dachte mit ihm zu sterben, auch weiß ich nicht wie bald ich in völliger Bewußtlosigkeit an seine Seite gesunken bin, und wie lang ich daselbst dem Tode entgegengeschlummert habe. So viel ist gewiß, nichts als eine übernatürliche Kraft, wahrscheinlich noch eine Folge der Begabung des Feuergeistes, konnte tief in meinem Innern den Lebensfunken so lang erhalten bis Hülfe von außen kam.

Eine Karavane zog vorüber. Sie hielt auf der Stelle, wo der Leichnam meines unglücklichen Gefährten bereits moderte. Man fand ihn, man fand auch mich, und da man an mir noch einen leisen Herzensschlag merkte, so war man menschlich genug mich zum Leben zu wecken und zu laben.

[43] Wir waren dem Ausgange dieser schrecklichen Wüsten ganz nahe. Meine Retter ließen sich gefallen mich mit sich zu nehmen, und ich hieß sie zur Dankbarkeit das auflesen, was ich im Sande verstreuet hatte, einen Schatz, der sie alle reich und mich nicht arm machte. Sie waren Kaufleute und hatten mit ihren Juwelen, die sie an einen großen Herrn in Nubien verkauften, bald sehr glückliche Geschäfte gemacht, ich aber fand vermittelst eines einzigen der wunderbaren Steine der in meinem Gürtel zurückgeblieben war, sehr bald wieder den ganzen Schatz beysammen, wie ich ihn ausgegeben hatte, der mich in den Stand setzte, die Rolle eines reichen Mannes zu spielen. –

Doch diese Rolle war kurz. Nicht sobald hatte ich meinen letzten Juwel hinweggegeben, so ging mir es, wie es vor mir den nubischen Fürsten, der diesen Schatz von der Karavane gekauft hatte, gegangen seyn mochte, und zwanzigmal in meinem Leben mußte ich erfahren, daß mein wandernder Schatz, sich so unvermuthet von mir, als zu mir verstahl, ich mußte es wundersam [44] anfangen, wenn ich nur einigen Genuß von ihm haben wollte; oft ein einziger Stein, den ich von diesen bezauberten Juwelen hinweg gab, machte Fremde zu Eigenern des Ganzen, und meistens fand ich den andern Morgen, nach einer solchen Ausgabe meinen ganzen Kasten leer. Tausendmal dachte ich an die Worte der Elephantinischen Dame:Verwünschter Reichthum! mit Unruh gesammelt, mit Sorge gehütet, und ohne Nutzen in der Stunde dringender Noth! – O sie mochte wohl so gut wissen als ich nun es wußte, welch ein unzuverlässiges Gut sie von sich warf!

Ich ward dieser Ebbe und Fluth herzlich müde; was sollte ich mit Schätzen, die ich nicht brauchen, nur hüten durfte, wenn ich sie nicht verlieren wollte? – War es vielleicht eine Anlehrung zum Geiz, die mir ein böser Geist in dieser gefährlichen Gabe geben wollte? Sollte ich vielleicht lernen, gleich dem hagern Greif, bey für mich ungeniesbaren Schätzen zu wachen?

Mir war es hinfort einerley, ob jener wandernde Reichthum bey mir oder andern [45] Ruhetag hielt, oft wußte ich es kaum. Einen bessern Schatz besaß ich in meinen Talenten, und sie ermangelten nicht, mich reich und berühmt zu machen.

Es ist lang, meine Söhne, daß ich gelebt habe; ich zähle bereits viel Jahre. Euch alle Begebenheiten derselben mit der Umständlichkeit zu erzählen, wie ich begann, würde wider meinen Zweck seyn, laßt mich auf die letzte und wichtigste Epoche meines Lebens kommen.

Der Werke meiner Hand, der Tempel, der Prachtgebäude, der Obelisken, und der Begräbnißhölen, die durch mich entstanden, waren eine große Zahl. Sie waren aller Welt ein Wunder, sie waren es oft mir selbst; ich fühlte es wohl, daß es noch immer eine übernatürliche Kraft war, die durch mich wirkte.

Mein Ruf kam vor den damaligen König von Egypten, den großen Remphis; ich weiß eigentlich nicht, wodurch er den Beynamen Groß verdient; die Welt weiß nichts von seinen Thaten zu sagen, als daß er große Reichthümer sammelte, und sie [46] noch bis auf diesen Tag wohl zu bewahren weiß.

Seinen Götzen einen Tempel, seinen Schätzen eine Wohnung und sich und seinem Hause auf der nehmlichen Stelle, wo sein Alles ruhen sollte, ein Grab zu bauen, ließ König Remphis mich rufen. Die Bedingungen, die er mir machte, waren nicht glänzend, aber ich baute für den Ruhm, und seine Vorschläge wurden bewilligt. Als König Remphis fand, daß ich so leicht zu behandeln war, (o unglaublich ists zu sagen!) dingte er, und dingte wieder, bis es endlich gar dahin kam, daß ich nicht allein für Arbeit und Mühe nichts erhalten, sondern für die Ehre, das größte Wundergebäude meiner Zeit errichtet zu haben, ihm noch eine beliebige Summe zahlen sollte.

Ich verachtete den niedrigen Geizhals von ganzen Herzen, aber ich willigte in alle seine Bedingungen, und da ich eben damals zufälliger Weise meinen wandernden Schatz ganz beysammen hatte, so versprach ich ihm, um mir eine Lust mit ihm zu machen, vier Maas Edelgesteine zu geben, und bedingte [47] mir dabey nichts aus, als neben die Thür des Gebäudes einen Stein mit dem Namen Motherud setzen zu dürfen.

Alles ward bewilligt, nur wünschte der vorsichtige König, ehe der Contract rechtskräftig gemacht wurde, den Schatz, mit welchem ich die Ehre sein Diener zu seyn bezahlen wollte, um Betrug zu vermeiden, zu sehen.

Er sah, und erstaunte. – Er beugte sich tiefer vor mir, als ich mich je vor einem Könige, als ich mich selbst vor dem Geiste des Feuers gebeugt habe. Die Geizigen beten überall an, wo sie die Gegenwart ihres Götzen spüren.

Das ganze Land begann von dem wundersamen Contract zu reden, den König Remphis mit dem Baumeister Motherud geschlossen hatte, und mir machte dieses Freude. Um die Bewunderung, das Erstaunen, mit welchen man aus weiter Ferne kam mich zu sehen, auf den höchsten Gipfel zu bringen, beschloß ich etwas ganz außerordentliches zu leisten, und ich leistete, wovon noch die späte Nachwelt sagen wird; ich baute das Labyrinth.

[48] Kenntet ihr dieses Gebäude, meine Kinder; kenntet ihr es so von Innen; wie ihr es von außen gesehen habt, wüßtet ihr es mit dem Auge des Kunstkenners zu beurtheilen, ihr würdet sagen, was damals die ganze Welt sagte: Keine menschlichen, nein Geisterhände haben diesen übernatürlichen Bau 4 errichtet, und ich, der ich euch [49] nichts verhele, würde antworten: Ihr habt recht.

[50] Nein, meine Söhne, ein so großer Künstler euer Vater ist, bis an diese Vollkommenheit würde er ohne übernatürliche Hülfe nicht gereicht haben. Plan und Anlage ist mein Werk, aber die Ausführung, die blitzschnelle übervollkommene Ausführung? o ihr elementarischen Geister! wer eure Hand hier verkennen wollte, verblendet müßte er seyn, und unwerth der Ehre, von einer Seite so nahe an eure Wesen zu gränzen.

In einer Nacht, (und manche schlaflose Nächte kostete mich dieser Wunderpallast,) [51] in einer Nacht saß ich auf einem Stein mitten in dem begonnenen Werke. Ich dachte die Anlage, dachte die Ausführung, dachte die Zahl der Jahre, welche sie bedurfte und mein kurzes abnehmendes Leben, dachte mir den herznagenden Gram, bey meinem Tode, mein Lieblingswerk, den Tempel meines Ruhms, Händen überlassen zu müssen, die nicht zu endigen wußten, was ich angefangen hatte, und hingegen die Freude, heute oder morgen schon des vollendeten Werks in all seiner Vollkommenheit zu genießen. Mir vergingen die Gedanken ob den Vorstellungen, die sich in mir viel labyrinthischer durchkreuzten, als die Irrgänge, zu welchen ich die Anlage gemacht hatte, und an welchen man schon ein Jahr arbeitete, ohne daß der Fortgang merklich war. Nur ein Gedanke, nur eine Vorstellung blieb mir am Ende, nachdem alle andere durch ihre Menge und Mannichfaltigkeit einander vernichtet hatten, die Vorstellung: es sey möglich, heute oder morgen zu endigen, was man sonst vielleicht, nach einem halben Jahrhundert ungeendigt liegen lassen würde, möglich, durch Geisterhülfe!

[52] Schnell ward dieser Gedanke in mir zu Handlung und That.

Wenn mein Gesicht in dem verschütteten Tempel zu Elephantine kein Traum war, rief ich, indem ich mich feyerlich erhub, und mein Feuerzeug ergriff, wenn aus diesem Stahl, und aus diesem Steine wirklich einst lebendige Funken entsprangen, wenn ich heute glücklicher bin, als da ich in meiner Vaterstadt, vermittelst dieser Werkzeuge um Brod, in der Nubischen Wüste um Wasser bat, so erscheint, Geister des Feuers! erscheint! und hört die Aufträge eures Gebieters!

Der Wiederhall gab in dem aufgemauerten Grunde meine Stimme tausendfach zurück, der Stahl berührte den Stein, im Grunde pickte es nach, doch keine Funke entsprang. – Ich faßte Muth; noch einen Schlag, und, wie ein Bienenschwarm flogen die Funken um mich her, es leuchtete um mich von den aufsteigenden Sternen, doch noch heller wards, als jeder derselben sich in eine Lichtgestalt verwandelte, und ein flammender Kreis mich umringte, dessen [53] Glanz kein sterbliches Auge ertragen konnte. Ich schloß die Meinigen, und aus Furcht, das Donnernde: Was willst du? aus dem Munde meiner Diener, möchte auch meinem Gehör Gefahr drohen, kam ich der Frage zuvor.

Nicht ohne Ursach, rief ich euch! sprach ich, mit möglichster Festigkeit der Stimme. Vollendet diesen Bau, den ich nach Planen, welche ich von euch erlernte, angefangen habe! Vollendet ihn auf das vollkommenste, und mit einer Schnelligkeit, welche den Wirkungen eures Elements gleich ist!

Ich säumte nicht, mich nach dem was ich gesagt hatte, zu entfernen. Mir war nicht ganz wohl, in so glänzender Gesellschaft. Ich eilte nach einem Hause, das ich eine Viertelstunde von da, um dem Bau immer nahe zu seyn, bewohnte. Ich sah aus den Fenstern nach dem Orte, den ich eben verlassen hatte, und er schien im vollen Feuer zu stehen. Flammen wütheten, und durchkreuzten einander. Ich zitterte, meine Sklaven, die nicht ganz willig mir zu dienen schienen, möchten mich falsch [54] verstanden haben, oder aus Bosheit vernichten, was ich ihnen zu vollenden befahl. Von den Thürmen der benachbarten Stadt, hatte man das nehmliche Schauspiel. Man bedauerte mit heimlicher neidischer Schadenfreude, mein Werk so kläglich geendigt zu sehen, und König Remphis schwur, der Baumeister Motherud müßte ihm, außer den vier Maas Edelgesteinen, über welche man einig geworden sey, noch einmal so viel liefern, um ihm Schreck, vergebliche Hoffnung, verlorne Zeit, und Schaden und Baumaterialien zu ersetzen.

Gegen den Morgen verglommen die Gluten, ich sah aus meinen Fenster, das ich nicht verlassen hatte, Dinge, die mich entzückten, und flog, mich in der Nähe noch besser von meinem Glücke zu überzeugen.

O Himmel! ich sah meinen Bau vollendet, vollendet mit einer Vollkommenheit, die nie ein sterblicher Künstler hätte erreichen können! Von den Thürmen zu Meroe sahen sie nichts als einen röthlichen Schimmer, den sie für das letzte Verglimmen der [55] Glut hielten, der aber nichts war, als ein Wiederschein Aurorens, die sich in den vergoldeten Dächern meines Wunder-Pallastes spiegelte.

Berauscht von Entzücken durchdrang ich bereits das Innere des Geisterwerks, welches alles, welches sogar meine eigene Idee von demselben übertraf. Ich irrte von Sälen zu Sälen, von Tempeln zu Tempeln, und konnte kein Ende finden. Eine unsichtbare Hand leitete mich, wo jeder andere sich verirret haben würde, und ein Licht umleuchtete mich, dessen Ursprung ich nicht finden konnte, da die meisten der innern Säle und Gallerien ohne Fenster gebauet waren, und es auch, der wundervollen Anlage nach, die alles unter einem Dache vereinigte, nicht wohl anders seyn konnte.

Ob ich einen Tag, oder mehrere mit der ersten Durchwanderung meines Wunderbaues zubrachte, weiß ich nicht, genug die Leute von Meroe, nebst ihrem Könige, fanden mich noch daselbst. Ich befand mich oben, auf einem der obersten Dächer, [56] und sah sie kommen, sah ihr Erstaunen über das, was sie erblickten.

Freude hätte ich erwarten können, aber es äußerte sich nichts davon in ihren Geberden. Ich stieg hinab, das weitere zu vernehmen.

Baumeister Motherud, sagte der König, der mich mit kalter Höflichkeit empfing, und sich mit eben dieser steifen Kälte von mir durch alle die Wunder des Pallasts, den ich gebaut hatte, leiten ließ, Baumeister Motherud, ich bin mit dir zufrieden. Du hast alles geleistet, wie du versprochen hast, selbst dein Name aus dem Steine an der Thür durfte nicht fehlen. Du hast nun nichts weiter zu thun, als mir die vier Maas Edelgesteine auszuliefern, über die wir für die Ehre dieses Baues einig geworden sind.

Ich erstaunte ob diesen Worten, und konnte nicht aufhören zu erstaunen. Die Wunder meines Labyrinths hatten mich nicht so außer mich selbst versetzt, als die Wunder dieses verwahrlosten Herzens.

[57] Keine Freude, keinen Dank, kaum einen Zug der Bewunderung des größten aller Werke, nun auch noch Wiederholung einer Forderung, deren Niederträchtigkeit und Unsinn in einem Augenblicke, wie diesem in einem ganz besondern Lichte erschien.

König Remphis schien mein Schweigen anders auszulegen, als es gemeynt war, um ihm die schimpfliche Wiederholung seiner Worte zu ersparen, schnallte ich lächelnd meinen ledernen Gürtel ab, ließ mir ein Maas bringen, und maß, um allen Verdacht der Uebervortheilung zu vermeiden, meinem seltsamen Gläubiger das seinige zu, doch vergaß ich nicht, den Edelgestein, welcher sich so gern in den Falten meines Gürtels verbarg, zurück zu behalten; es hatte dieses seine besondern Ursachen.

Langsam strich Remphis ein, was ich geliefert hatte, und verwahrte es selbst in einer der eisernen Truhen, dergleichen ich, da ich die Bestimmung des Orts wußte, nicht ermangelt hatte, überall anbringen zu lassen.

[58] Bist du zufrieden mit der Ehre, fragte er, daß die Schuld, die du mir eben gezahlt hast, den Anfang der Schätze mache, die nun bald hier verwahrt werden sollen?

Ich legte die Hand an die Stirne; sie, wie es die Hofsitte mit sich gebracht hätte, zum Zeichen der frohen Bejahung, aufs Herz zu legen, hätte ich nicht vermocht.

Gut, sagte der König, der mir diesen Fehler übersah, so sind wir quitt, und all ihr Anwesenden, seyd des Zeugen. Wisse indessen, Motherud, ich bin dir für Vollendung dieses Werks noch einen Lohn schuldig, den Lohn, welchen alle Zauberer verdienen. Nicht anders als durch Zauberey, konntest du in einer Nacht fertigen, was die Hände von hunderttausend Sklaven in einem Menschenleben nicht hätten endigen können; so empfange denn, was deine Thaten werth sind, und ihr, ihr Diener meiner Gerechtigkeit, ergreift ihn, und stürzt ihn hinab von dem Giebel über der großen Pforte, damit sein Blut den Stein entsündige, der durch den Namen des Verbrechers entweiht ward.

[59] Mir vergingen die Gedanken ob diesen entsetzlichen Worten; war es möglich zu denken, daß die Undankbarkeit diesen Gipfel erreichen könne?

Man ergriff mich, man schleppte mich fort, nach dem höchsten Umgange des Vordergebäudes, ich war außer Stande mich zu wehren, und schon sah ich die ungeheure Tiefe unter mir, ehe ich noch wußte, wie mir geschehen sey. Mir schaute nach König Remphis und alle seine Großen, sie ergötzten sich an dem Spiel der Winde mit meinen Kleidern, und den seltsamen Wendungen meines halb entseelten Körpers im Herabsinken.

Jeder fallende Körper sinkt, so wie er sich der Erde nähert, mit verdoppelter Geschwindigkeit; bey mir zeigte sich das Gegentheil. Die erste Hälfte der Höhe mochte ich wohl nach den gewöhnlichen Gesetzen der Schwere zurückgelegt haben, bey der zweyten verminderte sich der jähe Sturz, von Augenblick zu Augenblick. Ich sank nicht mehr, ich ward von den Lüften getragen. Mir kam die Besonnenheit wieder, [60] ich sah verwundernd um mich her; unter mir war noch ein mäßiger Sprung von etwa zwanzig Ellen; ich fuhr gemachsam herab, kam auf meine Füße zu stehen, sahe auf nach den Zuschauern meiner Niederfahrt, machte ihnen eine höhnische Verbeugung, und ging ruhig von dannen.

Guter, wohlthätiger Geist des Feuers! rief ich, als ich in meinem Hause angelangt war, dir bin ich alles schuldig, Glück, Menschenkenntniß und Leben! Soll ich versuchen durch Stahl und Stein Dich hervorzurufen, damit ich dir persönlich danke? O wie dringt mich mein Herz, dieses zu thun!

Bedenke, rufte eine Stimme dicht neben mir, daß dir nur noch einmal erlaubt ist, die Geister des Feuers zu rufen, und sey sorgsam, daß dieses zu Geschäften geschehe, die ihrer und deiner würdig sind, solltest du hier fehlen, so hast du gefehlt auf immer.

Ein heller leuchtender Funken, schwebte mit dem letzten Laut dieser Worte über mir hin zum offenen Fenster hinaus. Ich folgte ihm mit den Augen so lang ich konnte, er [61] schien sich unter den Sternen zu verlieren, die eben einzeln am dämmernden Himmel heraufgingen.

Als ich wieder mit mir selbst allein war, so kamen, ich kann es nicht läugnen, Gedanken der Rache in meine Seele, doch ein besseres Selbst, daß ich in mir fühlte, verwies mich auf die Rache des Weisen, auf das edle Bestreben, einen Feind zur Erkenntniß seines Unrechts, zur Tugend zurück zu bringen.

Ich wollte keine Zeit versäumen, ein so großes Werk zu beginnen, ich machte mich auf gen Meroe, und der Abend fand mich unter König Remphis Gästen. Ich hatte mir nach meinen eigenen Gefühlen die Art gedacht, wie man mich empfangen würde, und die rührendsten Gegenreden auf das, was man mir sagen konnte, waren auf meiner Zunge.

Man erstaunte ein wenig, mich in diesem Kreise zu sehen, aber die Worte, die man mir gönnte, waren unter aller Erwiederung; was ließ sich auf Entschuldigungen [62] sagen, welche ohngefähr darauf hinaus kamen: ich möchte es nicht ungeneigt vermerken, daß man mich vom Giebel des Hauses gestürzt habe.

Ich fehlte von diesem Abend an selten an König Remphis Tafel und bey allen seinen Festen. Ich versuchte alles, ihn zum Gefühl der Tugend und seines Unrechts zu bringen, aber alle Wege zu den ganz versunkenen Herzen dieses Königs und seiner Diener waren verschlossen; es ließ sich kein Wort von Kraft und Nachdruck mit ihnen reden, ich kam endlich nicht mehr nach Hofe, und konnte mir in der Einsamkeit das Vergnügen nicht versagen, die einzige Rache an dem elendesten aller Könige zu üben, welche zu fühlen er fähig war.

Das Mittel dazu war in meinen Händen. Ich hatte meinen wandernden Edelgesteinen, die jetzt die Ehre hatten, den Grund von König Remphis großen Schatzbehälter auszumachen, endlich durch lange Uebung die Gesetze abgelernt, nach welchen sie kamen, und verschwanden, und ihr [63] werdet vielleicht errathen, auf was für Art ich dieses wunderbare Kommen und Verschwinden zur Quaal meines Feindes nützte.

Es war vielleicht eine Lust, die meiner unwürdig war, den Geizigen in beständiger Unruhe, wegen seiner liebsten Schätze zu erhalten, aber ich läugne nicht, daß ich eine unnennbare Genugthuung in derselben fand.

Jetzt ging er, seine Augen an den glänzenden Kleinodien zu weiden, und er fand alle Behälter geleert. Er wüthete, und mancher seiner Großen, denen eine Vergeltung des an mir verübten Unrechts wohl zu gönnen war, kam in Gefahr, in solchen Anfällen den Kopf oder die rechte Hand als Räuber des königlichen Schatzes zu verlieren. Ich war nicht boshaft genug, die verlornen Kostbarkeiten an Orten zum Vorschein kommen zu lassen, wo sie den Verdacht gegen einen Unschuldigen gemehrt hätten, mehr Vergnügen machte es mir, und mehr Quaal dem geizigen Schatzhüter, wenn er sie in den Gängen seines Labyrinths verstreut fand, und, da er keinem [64] Menschen traute als sich selbst, sie in der düstern Dunkelheit wieder zusammen suchen mußte.

Düster 5 waren die meisten der Gallerien jenes Zauberpalastes, seit man die Undankbarkeit gegen den Baumeister aufs höchste getrieben hatte. Der Geist des Feuers hatte mir ungebeten den Gefallen gethan, um mich wenigstens einigermaßen zu rächen, das wunderbare Licht, das zuvor jeden Winkel des Labyrinths, selbst den unterirrdischen Theil desselben durchleuchtete, zurück zu rufen, und alles in seiner eigenen Dunkelheit zu lassen.

Hatte König Remphis in der quälenden Bemühung nach seinen Edelgesteinen, die er bald alle nach Zahl und selbst gegebenen Namen kennen lernte, denn endlich einmal gesiegt, sahe er sie wieder alle beysammen, so verschwanden sie oft unter seinen Händen, und während er Wochenlang mit der Verzweiflung rang, sie von [65] neuen, sie vielleicht auf immer verloren zu haben, so kam nicht selten Post aus irgend einem entfernten Theil seines Königreichs, man habe sie dort aus Schutt und Steinen zusammen gelesen. Er reiste ab, sie selbst einzuholen, sah sie oft um ein Drittheil, um die Hälfte, gemindert, fand wieder, verlor von neuen, und besaß also wirklich in dem Schatze, den er so sehnlich gewünscht hatte, die Ursache der höchsten Quaal, die ein Herz, wie das seinige, fühlen kann.

Ich war gerächt, ich würde es vollkommen gewesen seyn, hätte ich vermocht, ihm das Peinigende eines solchen Besitzes, auch von der Seite fühlen zu lassen, wie ich selbst es empfunden hatte; allein es war unmöglich, ihn in ähnliche Verhältnisse zu setzen, als die meinigen zu gewissen Zeiten meines Lebens gewesen waren. Er hätte so arm, so verlassen, so hülflos werden müssen, als ich zu Elephantine, und in der Wüste von Nubien, beym vollen Besitz jener Kostbarkeiten war, um ihren Unwerth ganz zu fühlen, und sich seiner [66] Anhänglichkeit an dieses Puppenspiel zu schämen.

Die Tage, da König Remphis auf irgend einer Fahrt nach seinen Edelgesteinen war, waren für mich die glücklichsten meines Lebens. Dann genoß ich ganz und ungestört der Freude, meinen Wunderbau zu durchirren. Der Stein Motherud öffnete mir den Eingang in das wundervolle Schatzgewölbe, das Remphis mit seinen tausend Schlössern so wohl verwahrt glaubte; dieser Stein trug zwar jetzt meinen Namen nicht mehr, man hatte Sorge getragen, denselben gleich in den ersten Tagen auszutilgen, aber kenntlich war und blieb er mir immer; durch ihn trat ich in mein Paradies, das dann mit seinem alten Lichte leuchtete. Stille Funken, die Zeichen der Gegenwart meiner Freunde, der Elementargeister, umwehten mich. Mich umschwebte süßer Friede, und unbeschaut und ungemindert blieben wohl von meiner Hand die Schätze, die der Greif von Egypten hier aufhäufte; höhere Genüsse waren es, die hier mich labten.

[67] Gleichwohl beliebte es dem Könige, welcher sich bald Kunde von meinen Lustwanderungen zu verschaffen wußte, sich hierüber allerley sorgliche Gedanken zu machen, und den heimlichen Besucher seines Schatzhauses des niedrigsten Raubes zu zeihen.

Wie er es erfuhr, daß ich gern und oft dort verweilte, wie er dieses erfuhr? O Kinder! mein Herz wird mir brechen, wenn ich euch dieses erzähle. Sehet mich hier am Eingange all meines Unglücks, und höret den Ursprung der von euch so tief gefühlten Dürftigkeit. Du aber, o Butis, höre auf sie zu beklagen, du weißt sehr wohl, daß niemand als Du dem Mangel und dem Elend, das dich drückt, die Thür öffnete.

Butis, welche schon seit einiger Zeit mit den hervorquellenden Thränen gekämpft hatte, wußte sich hier nicht mehr zu fassen, sie verließ das Zimmer, der weise Motherud war mit seinen Söhnen allein, und endete seine Geschichte auf folgende Art:

[68] Als ich von König Remphis Hofe in die Stille floh, wählte ich mir eine Lebensgefährtin, die Freuden der Einsamkeit mit mir zu theilen. Eure Mutter, meine Söhne, war schön, wie sie es denn noch ist; auch gut war sie, tugendhaft und fühlendes Herzens. O daß bey so viel Vorzügen, fester männlicher Sinn und standhafter Muth gegen lockende Versuchungen gewohnt hätte, wie glücklich würde ich, wie glücklich würden wir alle gewesen seyn!

Als ich einst den König mit Aufsuchung seiner verlornen Edelsteine beschäftigt wußte, und mich indessen in Gesellschaft der Elementargeister in meinem Labyrinthe belustigte, schlich der Versucher zu meinem Weibe, und siegte, wie weiland der Urvater aller Verführer das erste Weib besiegte.

Die Großen des Königs hatten längst Verdacht, daß ich an den Wanderungen seiner Schätze Ursach sey, und so bequem ihnen die gelegentlichen Abwesenheiten ihres Herrn waren, um indessen ungestört allerley Unfug zu üben, so wollten sie doch [69] den Hohn, welcher königlicher Hoheit durch dieses Narrenspiel widerfuhr, an dem Urheber nicht ungerochen lassen, noch mehr wünschten sie ihn durch Drohungen und Versprechungen in ein heimliches Verständniß zu ziehen, das ihnen seine kleine Neckereyen nutzbarer machen könnte, als sie es ohne dasselbe waren.

Um zum Zweck zu gelangen, mußte man erst Gewißheit haben, daß ich der Thäter sey, und wie leicht war diese zu erlangen, da man die Schwächen des Weibes, das ich mir zugesellet hatte, und das um alle meine Schritte wissen mußte, bey Hofe sehr wohl kannte.

Ein Mann, der eine schöne junge Frau sich selbst überläßt, um mit überirrdischen Wesen zu conversiren, giebt sie allemal der Verführung Preis; ich hatte gefehlt, und dies ist die Ursach, warum ich das Vergehen der unglücklichen Butis, nie auf das strengste gerügt habe.

Butis war so tugendhaft, als schön, man wußte, daß man ihr durch die gewöhnlichen [70] Mittel, ein Weib zu verlocken, nicht beykommen konnte. Schmeicheleyen in dem Munde eines Mannes würde sie verachtet haben; eine Freundin konnte mehr über sie gewinnen. Butis hatte viele Freundinnen, sie wechselte gern mit ihren Bekanntschaften, und immer war die Anhänglichkeit an die Neugewählte die schwärmerischste, die feurigste von allen.

Eine alte Freundin führte einst eine neue bey ihr ein. Sie hatte alles an sich, was ein Herz, wie das Herz der arglosen Butis, bezaubern kann. Ein unnennbares Etwas fesselte sie stärker an sie, als an all ihre Gespielen. O des Wolfs in Schafskleidern! Butis neue Bekannte war der verkleidete Liebling des Königs. Ein Mann, wie dieser, der schönste und schlaueste seiner Zeit, konnte freylich meiner einfältigen Taube alles entlocken, was er zu wissen verlangte, und was sie zuvor nie einer Freundin offenbaret hatte, da, sie mochte ihren Vertrauten entdeckt haben was sie wollte, doch immer noch meine Geheimnisse ihr heilig gewesen waren.

[71] Unentdeckt und unbeargwohnt ging der verlarvte Verführer mit meinem ganzen Geheimnisse von dannen, um mich in dem Labyrinthe, in welchem ich mich eben befand, aufzusuchen. Der Eingang war ihm nicht verschlossen. Zwar half ihm nicht so wie mir der Stein Motherud in die verbotenen Mauern, aber alle Große des Königs hatten ihre heimlichen Schlüssel, und sprachen auf meine Rechnung fleißig den Schätzen zu, welche allda verwahrt wurden.

In heilige Betrachtungen verloren, in seliger Einsamkeit saß ich auf einem der Säle, deren Thüren sich nicht anders, als mit dem Ton des Donners öffneten. Es gehörte mit zu den Sonderbarkeiten dieses Baues, daß es unmöglich war, in demselben überrascht oder belauscht zu werden. Den leisesten Fußtritt vernahm man von fern, und demjenigen, welcher unvermerkt zu einer Thür eintreten wollte, brüllten Töne entgegen, welche nur die Gewohnheit dem Gehör erträglich machen konnte.

Mendes, der Liebling des Königs, der Verführer meines Weibes, war mit diesen [72] Wundern nicht unbekannt; er nahte sich, nachdem er seine Verkleidung in einem Winkel abgeworfen hatte, ohne sich durch etwas irre machen zu lassen, und ich, welcher von seinem ersten Eintritt an wußte, daß ich hier nicht mehr allein war, erwartete ihn mit Fassung.

Die Art, wie er mich anredete, die Art, wie ich ihn empfing, nebst den folgenden Gesprächen, die unter uns vorfielen, unterlasse ich zu schildern. Es sey euch genug, meine Söhne, daß ich die Kälte, mit welcher ich anfangs seine Vorwürfe und Drohungen, dann seine entehrenden Vorschläge zu einem heimlichen Einverständniß anhörte, nicht länger behaupten konnte, bis der Name meines Weibes sich mit in seinen Vortrag mischte.

Der Schändliche! er wußte wie sehr ich eure Mutter liebte, er wußte, wie eifersüchtig ich auf meine Ehre war, er wußte, daß er mich von diesen beyden Seiten auf das empfindlichste fassen konnte. Ich glaubte ihm alles, wessen er sich rühmte. Es lag ja am Tage, daß Butis mein Geheimniß [73] verrathen hatte, wie sollte die, welche auf einer Seite die Treue gegen mich verletzt hatte, nicht auf jede Art schuldig seyn?

Noch war ich hinlänglich bey mir selbst, die Wuth, welche mit jedem Worte, das der teuflische Verläumder sagte, stärker in meinem Innern entbrannte, unter dem Schein kalter Verachtung zu verhüllen. Wer die Mittel zu augenblicklicher Rache in Händen zu haben glaubt, wird immer hierin viel Gewalt über sich selbst zeigen.

Elender, sprach ich, indem ich mein Feuerzeug hervorzog. Deine Worte verdienen keine Antwort; wahr oder nicht wahr, der, welcher sie über seine Lippen gehen ließ, soll nicht leben; im nächsten Augenblicke verwehe der Wind seine Asche!

Ein einziger Schlag des Stahl an dem Steine rief mit diesen Worten einen einzigen mächtigen Funken hervor. Ein Gedanke, und der Geist, mit dem ich im Tempel zu Elephantine vertraut ward, stand stammender und schrecklicher vor mir, als ich ihn je gesehen hatte.

[74] Was willst du? brüllte er mit einer Stimme, vor welcher kaum ich mich aufrecht erhalten konnte, und die den zitternden Mendes sinnlos zu Boden stürzte.

Geist des Untergangs und der Zerstörung, antwortete ich auf seine Frage, was ich in diesem Augenblicke von dir fordere, ist Rache! Du hörtest was dieser Mann der Bosheit sagte, du weißt was er gethan hat. Vernichte ihn mit deinen verzehrendsten Flammen, vernichte diesen Bau, der mir statt der Freude nichts als Elend brachte! vernichte endlich auch mich! Den Verlust meines liebsten Gutes, meiner Ehre und der Treue meines Weibes, mag ich nicht überleben! Sie, die Verrätherin, schone, daß lange Gewissensquaal sie grausamer tödte, als deine Flammen vermöchten!

Wiederhole, was du forderst! sagte Geist, dessen Anblick immer fürchterlicher, dessen Stimme immer tobender ward. Wiederhole, damit ich gewiß werde, was du forderst.

Rache! Geist des Verderbens! schrie ich. Die tödtendste Rache, zu welcher dich [75] die Waffen deines Elements fähig machen! Rüste mich selbst mit ihnen aus, daß ich mit eigener Hand vollziehe, wonach meine Seele dürstet.

Elender! schrie er. Diese Waffen taugen nicht in die Hand eines Sterblichen! Klüger als jetzt, hast du ihnen selbst mit diesen Worten entsagt. Du nimmst dein damals geredetes Wort, und ich meine Gaben zurück. Unser Bund ist gebrochen, wir scheiden auf ewig!

Ein Donnerschlag, welcher das ganze Gebäude zu zerschmettern schien, verschlang den Rest seiner Rede, mir vergingen die Sinne. Mit einer Art von Selbstzufriedenheit, dachte ich im Hinschwinden derselben, auf den Trümmern meines Wunderbaues, und in der Gesellschaft meines Feindes zu vergehen; ein Triumph, der mir nicht werden sollte.

Ich erwachte zu neuem Gefühl meines Elendes, sah mich hundert Schritte weit, außerhalb den Mauern des Labyrinths hingeschleudert, sah es noch in seiner alten [76] Pracht mir gegen über stehen, und meinen Feind eben ruhig aus demselben herausgehen, und indem er die Pforte verschloß noch einen Blick voll höhnischer Schadenfreude auf mich werfen.

Ich werde der schönen Butis, sagte er im Vorübergehen, sogleich melden, wo sie ihren Gemahl finden kann, damit sie komme, und ihn labe.

Von eigenem ahndenden Gefühl herbeygetrieben, war diese Unglückliche wirklich der erste Gegenstand, der sich mir beym Erwachen aus einer neuen Bewußtlosigkeit zeigte. Ihr könnt denken, mit welchen Verwünschungen sie von mir empfangen ward. Schwach und kraftlos wie ich war, vermochte ich nicht die Rache zu vollenden die in jedem meiner Worte brannte, sonst wär mein Unglück durch den Mord eines Weibes vollendet worden, das ich in der Folge, das ich bald, das Verbrechen der Schwatzhaftigkeit ausgenommen, für unschuldig erkennen mußte.

Butis, welche mich, nach allem, was ich sagte und that, für wahnsinnig halten [77] mußte, rief die Sklaven, welche ihr gefolgt waren, herbey, mich nach unserm Hause zu bringen. Während einer langen Krankheit, zu welcher ich mich jetzt niederlegte, erfolgten Erklärungen zwischen uns, welche mir mein Unrecht, wenigstens von einer Seite, so klar an den Tag legten, daß ich es nicht verkennen konnte. Die Beweise, welche eure Mutter von ihrer Unschuld führte, waren mächtig. Ihr, meine Kinder, die ihr damals das vierte Jahr erreicht haben mochtet, und in allem Reiz kindischer Schönheit und Unschuld lächeltet, machtet unsern Frieden. Sie gebot euch, für eure Mutter zu bitten, welche durch nichts gesündiget habe, als durch einen Fehler, der, da ich sie nur meiner Liebe treu wußte, selbst mir in den Augenblicken der Versöhnung klein vorkam.

Ach, wenn er es auch wirklich Vergleichungsweise seyn mochte, waren darum seine schrecklichen Folgen gehoben? – Danken wir nicht ihm all unser Elend, all unsere Herabwürdigung? Ich habe durch die Grundsätze der Weisheit verschmerzt, [78] was ich durch die Schwatzhaftigkeit dieser schwachen Frau verlor; euch noch an den Folgen derselben leiden zu sehen, durchbohrt mein Herz, und sie, die Ursacherin unsers Elends, in Klagen, in Thränen zu finden über das was sie allein sich selbst dankt, o dies bringt mich oft zur Wuth, und Heldenstärke gehört dazu, mich in solchen Augenblicken nicht zu den gefährlichsten Ausbrüchen des Zorns hinreißen zu lassen.

Laßt mich meine Geschichte enden! –

Ich genas, aber nicht zu dem kraftvollen Leben, das bisher in meinen Adern gewallt hatte. O, meine Söhne! der, welcher zu Elephantine und in der nubischen Wüste, der, welcher in tausend Zufällen eines verhängnißvollen Lebens, die ich euch nicht alle mittheilen konnte, weil Zeit und Geduld mangelt, dem Tode trotzte, der, welcher durch die geheime Kraft mit welcher die Geister des Lebens seine Natur begabten, wahrscheinlich unsterblich gewesen wär, reift jetzt sichtlich dem Tode entgegen. Ihr werdet bald Waisen seyn, meine Kinder, [79] werdet bald nur noch eure Mutter übrig haben, sorget dann für sie, bitte ich euch, und laßt die Unglückliche nicht entgelten, was ich euch, von ihr gereizt, fast wider Willen entdecken mußte.

Noch ehe ich völlig zu diesem kläglichen Leben wiederhergestellt war, begann die Rache des Königs gegen mich über das was Mendes von mir ausgesagt hatte. Ich hatte ihm nichts entgegen zu setzen, als die gemeine Macht eines Sterblichen. Als ein Räuber durchächtet, beschimpft, und verfolgt, entkam ich dennoch mit dem Leben, und brachte euch, meine liebsten Schätze, glücklich davon.

Meine Begleiterinnen waren Armuth und Dürftigkeit. Das wenige, was ich noch besaß, verwandte ich auf Erbauung dieses Hauses. Ich baute es prächtig, theils, weil ich nichts anders zu bauen gewohnt war, theils, weil in mir noch eine Hoffnung auf bessere Zeiten lebte, welche aber leider unerfüllt blieb. Noch immer dachte ich, meinen Frieden mit den beleidigten Geistern des Feuers zu machen, noch [80] immer dachte ich, das gestörte Einverständniß mit ihnen wieder anzuspinnen. Als dieses mislang, so heftete sich all meine Erwartung auf Wiederbesuchung des Labyrinths. Konnte ich nur den Stein Motherud, welcher, wie ich bald gewahr ward, verrückt oder unkenntlich gemacht seyn mußte, wieder finden, so machte mich der Besitz eines einzigen meiner Edelsteine und der kluge Gebrauch desselben reich genug, euch ein anständiges Leben zu verschaffen.

Ja ich glaube, ich kann jene Juwelen noch mein nennen, die ich auf eine so widerrechtliche Weise der Habschaft jenes Geizhalses Preis gab, wenigstens den Edelstein, welcher sich so gern in den Falten meines Gürtels verbarg, und vermittelst dessen ich mit den andern machen konnte, was ich wollte; ach, mit der Gunst der Elementargeister habe ich auch ihn, habe ich die Kenntniß des Steins Motherud, habe ich alles, alles verloren, und nichts ist mir übrig, nichts als der Tod, zu welchem ich mich, ich fühle es, nun bald niederlegen werde.


[81] Von dem Eindrucke, welchen die Erzählung des Baumeisters auf seine Söhne gemacht hatte, schweige ich. Er war bey beyden stark, aber auch bey beyden nach ihrem Charakter verschieden.

Thasus ruhte nicht eher, bis der Vater eine Reise mit ihnen nach dem Labyrinth that, und ihm die Stelle bezeichnete, wo ehemals der Stein Motherud einen Eingang eröffnet hatte, und wo man auch jetzt ihn vergebens suchte. Thonis, die sanfteste weichgeschaffenste Seele, die es je gegeben hat, ließ sich jede in der Geschichte seines Vaters merkwürdige Stelle dieses Wunderwerks zeigen, er benetzte besonders die, von welcher Motherud, als er herabgestürzt wurde, unverletzt davon ging, und die, auf welche er, nicht so glücklich als damals, zuletzt grimmig geschleudert ward, mit den zärtlichsten Thränen. Aber Thasus schlich finster und in sich gekehrt umher, maß jeden Stein des Baues, so weit ihn seine Augen abreichen konnten, zählte jede Säule und folgte dann zögernd dem Vater und dem Bruder, die weit früher als er den Rückweg begonnen hatten.

[82] Es war die letzte Reise die Motherud in Gesellschaft seiner Söhne gethan hatte. Eine Krankheit befiel ihn, die in wenig Tagen seinem Leben ein Ende machte, und die unglückliche Butis nun erst die Folgen ihrer Unbedachtsamkeit in ihrem vollen Umfange fühlen ließ.

Ihr seyd mir nun alles, meine Kinder, sagte sie, indem sie die Jünglinge Thonis und Thasus an ihre Brust drückte. Hasset mich nicht, hasset eure Mutter nicht, weil sie euch unglücklich machte! Sie leidet zu viel, um durch eure Abneigung doppelt gestraft zu werden. Thonis beantwortete dieses wie es ihm sein sanftes Herz eingab. Thasus wand sich mürrisch aus den Armen der weinenden Butis, und versicherte, alles müßte erst gar viel anders werden, ehe er Liebkosungen wie diese erwiedern könne.

Es vergingen einige Jahre, und in dem Hause Motheruds änderte sich wenig. Die Mutter wollte keinen ihrer Söhne von sich lassen, ungeachtet sie nun alt genug waren, ein Gewerbe zu ergreifen, welches ihre Glücksumstände verbessern konnte; daher [83] ward der mürrische Thasus ein Müßiggänger, und Thonis mußte sich entschließen, sich bey den Umwohnern zu den niedrigsten Diensten zu vermiethen, die man ihm noch dazu nicht anders als mit Murren anvertraute.

Verkauft Euer Haus! schrieen die Hartherzigen, die übrigens hieran nicht gar großes Unrecht hatten, so ist Euch geholfen. Es steht Knechten übel an, wie Fürsten zu wohnen. – Aber Butis war, so sehr ihr auch ihr jüngerer Sohn zuredete, nicht zu bewegen, den letzten Beweis von der Kunst des Baumeister Motherud fremden Händen zu überlassen, und Thasus, welcher sonst selten mit ihr einer Meinung war, schlug sich hierin auf ihre Seite. –

So dauerte es in dem Hause des unglücklichen Motherud fort. Die Handarbeit der Mutter und des jüngern Sohns reichte spärlich hin zu beyder Unterhalt. Thasus, der ältere, war wenig zu Hause; er schweifte umher, man wußte nicht wo, er beschäfftigte sich, man wußte nicht mit was, und noch weniger ließ sich begreifen, [84] wie das Gewerbe das er wahrscheinlich trieb, das Gewerb des Müßiggangs ihn reicher machen konnte, als seiner arbeitsamen Verwandten ihr Fleiß.

Gleichwohl war dies so. Thasus war nicht mehr die nackende Schnecke im Marmorhause. Statt der groben blauen Leinwand, deren er sich ehedem so bitterlich schämte, bekleideten ihn jetzt anständigere Kleider, und er kam nie in das Haus seiner Mutter, ohne ihr Golds genug zurück zu lassen, um bis zum nächsten Besuche der mühseligen Arbeit überhoben zu seyn.

Stufenweis kehrte der alte Wohlstand, wenn auch nicht die alte Pracht, in die Wohnung der Verlassenen zurück. Butis erhielt von ihrem mürrischen Sohne, der es nun nicht mehr war, der ganz die düstre Miene abgelegt hatte, mit der er ehemals ihre Liebkosungen zurückwies, alles was nöthig war, das bequeme, wo nicht üppige Leben der andern Egyptierinnen zu führen. Gold, Sklaven, prächtiges Hausgeräth fehlten nicht, und Thonis, der Liebling seines reichen Bruders, ließ es sich sehr gern [85] gefallen, die Arbeit um kärgliches Tagelohn, mit der Schule der Weisen zu vertauschen und auf eine anständige Lebensart zu denken, welche ihm einst Ruhm und Reichthum bringen könnte.

Er wählte die Waffen, Geld erwarb ihm Vorspruch, und da seine schöne Gestalt, seine Geschicklichkeit zu allen kriegerischen Uebungen, ihn bald vor allen jungen Soldaten auszeichnete, so erhielt er gleich in den ersten Monaten, nachdem er das Schwerd führen lernte, eine Offizierstelle unter der Leibwache des Königs, welche ihm die Aussicht auf schnelles Steigen eröffnete.

Thasus liebte seinen Bruder, er gab tausend Beweise, daß er alles für ihn gethan, ihm alles aufgeopfert haben würde, daß sein Glück das seinige sey, aber er schien es ungern zu sehen, daß er bey Hofe angestellt war. Als er einst bey einem, jetzt sehr seltenen Besuche in dem mütterlichen Hause, Nachricht von dem Glück seines Bruders erhielt, gerieth er in ein Nachdenken, welches ihn bey einer Stunde lang [86] sprachlos erhielt, und aus welchem er sich endlich mit folgenden Worten empor riß:

Wenn es denn nun also seyn muß, daß der Sohn des unglücklichen Motherud sich in Gegenden wage, wo sein Vater den Untergang fand, so beobachte er nur folgende Regeln: Nie entschlüpfe seinen Lippen ein Wort von seiner Herkunft; doch kaum sollte ich erwähnen, was Euch schon selbst begreiflich seyn muß. Tod und Untergang, Ihr seht es ein, müssen das Loos der Abkömmlinge eines Mannes werden, der als ein Opfer der Hofkabale fiel. – Die zweyte Regel, die ich meinem Bruder zu empfehlen habe, ist sorgfältige Vermeidung alles Antheils an Dingen, die ihn nichts angehen; und die letzte, geschlossene Augen bey dem, was ihm etwan auf dem gefährlichen Grunde, den er betritt, vorkommen möchte. Nie sage er bey Gegenständen, die seinen Blicken neu seyn müssen, dies kenne ich, oder dies habe ich schon gesehen. Reden, wie diese, ziehen Nachforschung nach sich, und wie wenig wir und unser Zustand Nachforschung aushalten [87] können, dies darf ich nicht beweisen, ohne zu wiederholen, was ich bereits gesagt habe.

Man fand das, was Thasus sagte, sehr weise, und versprach es zu befolgen. Seine Mutter wunderte sich weniger über die Spuren von Weltkenntniß, die seine Reden trugen, als Thonis; immer hatte sie einen ganz guten Verstand an ihrem älteren Sohne gekannt, und da sie auf ihre Fragen, woher ihm sein gegenwärtiger Wohlstand komme, stets die Antwort erhalten hatte, er sey mit einigen auswärtigen Kaufleuten in Kompagnie getreten, welche ihm für die Dienste, die er ihnen leiste, gern Theil an ihrem Ueberfluß nehmen ließen, so glaubte sie, der Umgang mit diesen verständigen weltkundigen Leuten habe dem der schon von der Natur gut ausgestattet war, sehr leicht die Ausbildung geben können, welche sie jetzt an ihm wahrnahm.

Thonis, welcher kein Wort von dem, was ihm sein Bruder gesagt hatte, verlor, und der mit denselben noch manche Regel verband, die er selbst sich aus der Geschichte [88] seines Vaters abgezogen hatte, trat seine Stelle an, und bekleidete sie mit Ruhm, wenn sie ihm auch keinen großen Vortheil brachte. König Remphis war noch immer der alte, der er zu den Zeiten des Baumeister Motherud gewesen war. Fand sich jetzt niemand, der wie dieser reiche und großmüthige Mann, die Ehre, seiner egyptischen Majestät zu dienen, mit Gold und Edelgesteinen bezahlte, so wurden doch gewiß alle Hofbediente so kärglich besoldet, daß es fast so viel war, als dienten sie ihrem Herrn umsonst. Ein jeder wußte sich dann auf andre Art schadlos zu halten; aber Thonis, welchem von all diesen Künsten feines Betrugs nichts bewußt war, würde, ohne die heimlichen Unterstützungen seines Bruders, ein sehr elendes Leben geführt haben.

Durch das Gold, welches Thasus ihm nie mangeln ließ, befand er sich im entgegengesetzten Falle. Er konnte sich überall mit vielem Glanze zeigen, man hielt ihn für einen sehr reichen jungen Herrn, und König Remphis wußte, wie aus allen, [89] auch aus diesem Wahne seinen Vortheil zu ziehen.

Die Tochter des Königs, die junge Prinzessin Faöué stand im Begriff vermählt zu werden; die Sitte des Landes wollte es, in einer solchen Epoche ihr eine etwas glänzendere Hofstatt zu geben, als es bisher die Sparsamkeit ihres Vaters zugelassen hatte. Man wählte hierzu nicht allein die schönsten, sondern auch die reichsten jungen Leute des Königreichs; sie mußten den prächtigen Aufzug, den ihnen die Hofetikette vorschrieb, aus eigenen Mitteln besorgen, und keiner fand sich, der um einer so schönen Prinzessin willen, wie Faöué war, nicht alles, nicht oft mehr gethan hätte, als sein Vermögen zuließ.

Thonis stand auch hier, nicht allein durch körperliche Schönheit, sondern noch mehr durch den Aufwand den er machte, an der Spitze. Er hatte das Amt, der jungen Faöué bey ihren Spatziergängen den Arm zu bieten, und dieses gab ihm Gelegenheit, mit seiner Dame in Verhältnisse zu kommen, welche, wenn er nicht klug genug [90] gewesen wär, seinen Stand und den Stand der Prinzessin besser vor Augen zu behalten, als sie, schon längst seinem Herzen hätte gefährlich werden können.

Faöué war die unschuldigste, zwangloseste, naiveste Schönheit, die man nur in dem Alter zwischen vierzehn und funfzehn Jahren finden kann. Tausend kleine Unbesonnenheiten, die eine andere verächtlich und verdächtig gemacht haben würden, entschlüpften ihr ungestraft, theils, weil sie eine Prinzessin war, theils, weil man sie nur sehen durfte, um gewiß zu werden, daß noch vollkommene Kindereinfalt in ihrer Seele wohnte, und daß man Sünde gethan haben würde, sie mit andern Personen ihres Alters, die schon in den damaligen Zeiten viel klüger waren, in eine Klasse zu setzen.

Thonis, sagte sie eines Tages zu ihrem jungen Stallmeister, als sie an seinem Arme nach dem Tempel der Göttin Athor ging, du glaubst nicht, wie unglücklich mich der Name einer Verlobten macht, welcher [91] doch, wie alle meine Gespielinnen sagen, für andere so viel Reize haben soll.

Wie so, Prinzessin? antwortete der Sohn Motheruds: Ist der Glückliche, der eure Hand erhalten wird, nicht schön, nicht angenehm, nicht tugendhaft? oder liebt er euch nicht?

Wie kann ich das wissen, da ich ihn nicht kenne!

Das gemeine Schicksal großer Damen! ihr werdet wenig Prinzessinnen finden, welche den Gemahl kannten, den man für sie wählte, und doch sind viele sehr glücklich!

Für mich wählte? Thonis? man hat nicht gewählt; auf gut Glück hat man mich dem Meistbietenden verkauft. Könntest du glauben, daß König Remphis seine Tochter anders als um 6 Goldgewicht hingeben würde?

[92] Unglückliche Faöué!! – Doch das Land, welches euch künftig Fürstin nennen wird, vergütet euch vielleicht alles, was ihr jetzt leidet.

Mein künftiges Land? – Ich, eine Fürstin? – O Thonis, mein bestimmter Mann ist vielleicht einer der elendesten Sterblichen, vielleicht ein Räuber. König Remphis kümmert sich nicht, wer sein Eidam wird, wenn er nur die ungeheure Summe erhält, die er auf mich setzte, da er meine Hand – (welche Beschimpfung!) – als käuflich ausrufen ließ. – Thonis, lieber Thonis! wenn ich nun ja der Hoheit meines Standes entsagen mußte, warum geschahe es nicht um deinetwillen? – Thonis! du bist ja auch reich wie man sagt! – Kaufe du doch mich! überbiete doch den Verhaßten, den man morgen erwartet, [93] und den ich mir, seit ich dich kenne, als ein Ungeheuer vorstelle.

Man kann sich keine größere Verlegenheit denken, als die, in welcher sich Thonis bey diesem seltsamen Antrage befand. Längst war ihm Faöué nicht gleichgültig gewesen; nun zu hören, daß auch sie für ihn fühle, nun diesen Vorschlag, der ihm nicht ganz unmöglich dünkte, wenn er an den wachsenden Reichthum seines Bruders, und an das Versprechen dachte, das er ihm nur noch kürzlich gegeben hatte: nichts solle seiner Liebe für ihn zu theuer seyn, alles wolle er für ihn thun, unermeßliche Summen wolle er seinem Glück aufopfern, wenn er in einer großen Probe der Klugheit und Treue, die ihm nun ganz nahe bevorstehe, bewährt erfunden werde.

Mit glühenden Wangen und tief zur Erde gesenkten Blicken stand Thonis der schönen Faöué gegen über, die ihn mit strömenden Augen ansah und ihr Endurtheil von ihm zu erwarten schien. Noch einmal, man kann sich kein seltsameres Verhältniß denken, als das, welches in [94] dem damaligen Augenblick zwischen beyden Statt fand, und gut war es, daß man sich den Stufen des Tempels ganz nahe sahe, und daß also durch die Heiligkeit des Orts Thonis einer Antwort überhoben ward, die er in der Bestürzung, in welcher er war, auf keine Weise zu geben wußte.

Die Hofmeisterin der Prinzessin trat herzu, und erinnerte ihre Dame, es sey unanständig, auf freyem Wege in tiefsinnigen Unterredungen stehen zu bleiben. Man stieg denn die Stufen des Heiligthums vollends hinauf, und die beyden Liebenden hatten einen ganzen langen unruhvollen Tag, dem eine noch unruhvollere Nacht folgte, keine Gelegenheit, sich zum zweytenmal über Dinge zu sprechen, die vom Augenblick der Erklärung an ihre ganze Seele füllten.

Durch eine Sklavin ließ die naive Prinzessin ihrem jungen Stallmeister nur noch die Worte entbieten: Entschließe dich, die Sache hat Eil! – Und er ließ ihr zurück sagen: Morgen verläßt Thonis [95] den Hof, um zu versuchen, ob er sein Glück erkaufen kann, oder sich entschließen muß, ewig unglücklich zu seyn.

Die beyden Liebenden verstanden sich, ohne von andern verstanden zu werden, und die Prinzessin legte sich ruhig und voll Hoffnung zu Bette; aber Thonis durchwachte eine schreckliche unruhvolle Nacht, in welcher der Entschluß fest ward, die kühne Bitte an seinen Bruder zu wagen, deren Erfüllung seine einzige Aussicht war.

Mit der Morgenröthe erhub er sich, seinen Vorsatz auszuführen. Zwar wußte er nicht, wo Thasus zu finden war, denn den Ort seines Aufenthalts hatte er nie kund gemacht, aber Thonis war entschlossen, in dem Hause seiner Mutter den nächsten Mondswechsel zu erwarten, da der pflichtvolle Sohn, jetzt nicht mehr der mürrische Thasus, nie ermangelte, mit neuen Geschenken bey seiner Familie zu erscheinen, und in ihrem Schoose einige glückliche Tage zu verleben.

Schon war Thonis im Begriff in Begleitung eines einzigen Sklaven zu Pferde zu [96] steigen, als Botschaft von der Prinzessin kam. – Ein Lotusblatt, das Sinnbild der Verschwiegenheit, enthielt in verborgener Schrift, welche Faöué von Motheruds Sohne gelernt hatte, folgende Worte: »Beym Schleyer der Isis, beschwöre ich dich, nur heute verlaß mich noch nicht! Mein Verlobter wird heute erscheinen, um die Zahlung zu leisten. Du mußt gegenwärtig seyn, um durch ein höheres Gebot auf meine Person, seine Hoffnungen zu vernichten. Und ob du auch nicht zahlen könntest, was du versprichst, nur Aufschub, nur Aufschub, oder ich bin verlohren! O, vor ihm, vor jenem fürchterlichen Unbekannten zittert mein ganzes Wesen. Ich träumte diese Nacht, er kaufe mich nur darum, mich zu ermorden, mich einem Schatten zu opfern, den er den Geist seines Vaters nannte. Thonis! Thonis! was mögen diese Dinge zu bedeuten haben? Hilf deiner Faöué, oder sie wird ein Raub des Todes! Wie unglücklich wär ich, hättest du nur Muth mich zu lieben, nicht auch Muth, mich zu erringen!«

[97] Thonis hatte noch nicht zu Ende gelesen, so füllten sich schon die Straßen mit frohen Getümmel. Der Pöbel, welcher gewohnt ist, alles mit Jubelgeschrey zu feyern, was ihm neu ist, jauchzte dem Manne entgegen, welcher versprochen hatte, des Königs Tochter mit hundert tausend Talenten zu lösen, und ihm noch oben drein kund zu machen, wer der Verbrecher sey, der seit einiger Zeit, die Juwelen, welche, nach Motheruds entdecktem Frevel, stets ruhig im Innerstem des Labyrinths gelegen hatte, wieder in Bewegung setze.

Der letzte Umstand hatte seine Richtigkeit. König Remphis hatte, seit Mendes den unglücklichen Bundsgenossen der Geister des Feuers im Labyrinthe ertappte, und Ursach zum Bruche zwischen ihm und seinen elementarischen Freunden gab, seine Schätze ruhig genossen, und, indessen seine Diener ungestraft und unbemerkt aus den unerschöpflichen Goldquellen des großen Schatzhauses schöpften, seine Lieblinge, die Edelsteine Motheruds, zählen und betrachten können, ohne sie je vermindert zu finden, [98] ohne einen einzigen von ihnen in den düstern Gängen des Labyrinths, oder gar in entfernten Gegenden des Königreichs aufsuchen zu müssen; auch war er gutherzig genug, sich in Rücksicht auf all seine Reichthümer sicher zu halten, da er es in der Hauptsache war. Abgang an den übrigen Schätzen war nicht so leicht zu spüren, und diejenigen, welche sie mit ihm theilten, dachten nach ihrer laxen Moral, ihm könne es einerley seyn, ob er etwas weniger von ungebrauchten Schätzen hier verwahre, als er glaubte.

Seit einiger Zeit hatte sich indessen die lange Ruhe in dem großen Schatzbehälter in plötzliche Unruhe verwandelt. Motheruds Diamanten begannen auf ein mal wieder ihren alten Kreislauf, und auf eine schlimmere Art als zuvor je. Die fehlenden kamen nie wieder, man mochte gleich alle Winkel des Labyrinths durchsuchen, mochte gleich in alle Gegenden des Königreichs Botschaft senden, niemand wußte von den Emigranten etwas zu sagen, und König Remphis war ein zu Grunde gerichteter [99] Mann, weil er nicht genau so viel hatte, als er zu haben gewohnt war.

Kein Verlust schmerzte ihn so sehr, als der Verlust eines meergrünen Diamants, den er zu Motheruds Zeiten nie unter den andern gefunden hatte, und den er, seit er ihn nach der Entfernung dieses Unglücklichen kennen lernte, über all seine Brüder schätzte.

Als König Remphis seine Tochter feil bot, als sich der Unbekannte, der heute erwartet wurde, als einen Kauflustigen melden ließ, dingte seine Majestät, die das Steigern und Uebertheuern gewohnt war, geschwind noch, nicht allein die Entdeckung des Juwelenräubers, sondern auch noch besonders die Wiederbringung, wo nicht aller, doch der kostbarsten der wandernden Steine mit ein; und das Jubellied des Volks, das dem Bräutigam der schönen Faöué entgegen jauchzte, lautete also:

»Heil dem großmüthigen Unbekannten der unsere Prinzessin um hundet tausend [100] Talente kaufen, der den Räuber des königlichen Schatzes entdecken, der den meergrünen Diamanten wiederbringen wird!!«

Thonis erfuhr erst jetzt von diesen Dingen die nähern Umstände, aber er hatte weder Zeit, sie zu bewundern, noch zu beachten, denn es kamen neue Boten von der Prinzessin, welche ihn trieben, zu eilen. Schon hörte man von weiten den Jubel der Zinken und Trommeln, welche die Ankunft des Bräutigams verkündigten, und der vornehmste Diener der Braut durfte, das sahe jedermann ein, bey seinem Empfang nicht fehlen.

Thonis langte bey Hofe an, und stellte sich hinter dem Stuhl seiner Dame, welche schöner war, als jemals, und deren wehmüthige Blicke auf ihren ankommenden Retter, ihn entschlossen machten, lieber alles zu wagen, lieber sich zur Leistung des Unmöglichen zu erbieten, als sie einem andern zu überlassen. Thasus ist reich genug, sagte er zu sich selbst, auch liebt er mich, wie selten Brüder einander liebten; er würde, vermöchte er nicht, was hier noth seyn [101] wird, lieber borgen, betteln und stehlen, als mich im Stiche lassen. Einmal nach König Remphis Tode, ist denn doch das Königreich und das Labyrinth mit allen seinen Schätzen mein, hier läßt sich viel bezahlen, viel wieder gut machen, wozu man jetzt von dringender Noth getrieben wird.

Thonis raisonnirte hier vielleicht nicht allzu richtig, aber die Liebe hatte bey seinen heimlichen Berathschlagungen den Vorsitz, und zu gewissenhafter Uebersicht des Beschlossenen war keine Zeit, denn schon schallte das Freudengetümmel, das die Ankunft des Unbekannten verkündete, näher, schon betraten die ersten seiner Leute das Audienzzimmer, und zogen sich in zwey glänzenden Reihen zu beyden Seiten, bis an den Thron der Prinzessin, ihrem Herrn einen anständigen Weg zu bahnen.

Er trat ein, der gefürchtete Unbekannte trat ein, und Thonis, hinter dem Stuhl der schönen Faöué, ward, da er ihn erblickte, von einem Schauer befallen, der es ihm fast unmöglich machte, sich aufrecht zu erhalten.

[102] Er ist schön! sagte Faöué, indem sie einen festern Blick auf den Eintretenden warf, er ist schön, so hätte ich mir ihn nicht gedacht!

Er ist schön! wiederholte sie nochmals, und wandte sich nun nach ihrem Stallmeister, an den diese Worte gerichtet waren. Schön ist er, aber fürchte nichts, Thonis, du bist schöner!

Thonis war jetzt wirklich von seinen Gefühlen so übermeistert, daß ihm alle Kräfte entgingen. Seine Hände faßten die Lehne des Stuhls, sein Kopf war in halber Ohnmacht vorwärts gesunken, und er näherte sich der Prinzessin, welche ihm zuredete, sich zu fassen, und wenn er verabredetermaßen verfahren würde, ihrer Treue gewiß zu seyn.

Es war hier nicht Zeit zu langen Gesprächen. Der Bräutigam war nur noch wenige Schritte von dem Fußschemel der Prinzessin entfernt, vor welchem er sich niederwarf, und ihr mit einer zierlichen Anrede den meergrünen Diamanten überreichte. [103] Der Jubel des Volks begleitete den Anblick des unschätzbaren Steins, und König Remphis, der aus dem Vorhofe, wo er die Maulesel, welche den Kaufpreis seiner Tochter trugen, in Augenschein genommen hatte, zurück kam, drängte sich hinzu, um zu sehen, ob auch hier alles seine Richtigkeit habe.

Er ist es, sagte er, indem er den wiedergefundenen Juwel mit einer vergnügten Miene in den Busen steckte, und ihr habt nun nichts weiter zu thun, um mein Sohn zu heißen, als daß ihr mir den Bösewicht entdeckt, welcher noch immer nicht aufhört, die Ruhe meines Labyrinths zu stören; denn ich muß euch sagen, seit eurer letzten Botschaft hat sich die Zahl meiner Juwelen wieder merklich gemindert, und ich werde zum armen Manne, wenn ihr hier nicht durch schnelle Entdeckung Aendrung bringt.

Thonis! seufzte hier Faöué, ein wenig rückwärts gekehrt, wirst du nun nicht bald sprechen? Siehe, er ist im Begriff, nun auch die letzte Forderung zu erfüllen, und mich dir auf ewig zu entreißen!

[104] Thonis stand bleich und unbeweglich, wie ein Marmorbild, aber der Unbekannte sprach nach einigem Bedenken folgendermaßen:

Bey jedem Kontrakt ist die Erfüllung der Bedingungen wechselseitig. Ich habe das größere geleistet, und werde mit dem kleinern nicht zurückbleiben; aber zuvor fordere ich, daß Faöué mir als meine Gemahlin ausgeliefert werde. König Remphis muß bedenken, daß er bisher noch nichts, und ich alles that; man kennt in allen Landen, man kennt auch in dem meinigen seine Weise, und ich will es nicht auf die Gefahr wagen, mich, wenn nun von meiner Seite nichts mehr zu erfüllen übrig wär, von der seinigen betrogen zu sehen.

König Remphis ergrimmete sehr über das, was der Unbekannte sagte, vielleicht verdroß es ihn, Dinge gemuthmaßt zu sehen, die er wohl wirklich im Sinne hatte. Wie hätte der Fremde sein Recht an den König suchen wollen, hätte er es ihm vorenthalten? Die Prinzessin hätte sich sehr [105] leicht auf diese Art zum zweyten, zum drittenmale verkaufen lassen, ohne daß man sie darum hätte ausliefern dürfen, und daß Remphis einen so einträglichen Gewinn nicht aus den Händen würde gelassen haben, das wird man ihm zutrauen.

Während es zwischen dem Könige und seinem schlauen Gegner zum harten Wortwechsel kam, hatte die Prinzessin gute Muse, sich nach ihrem Stallmeister umzuwenden, und ihm tausend Vorwürfe über sein Betragen zu machen.

Treuloser! sagte sie: Wie grausam hast du mich in meiner höchsten Noth im Stiche gelassen! – Siehe, Statt deiner nimmt mich nun das Glück in seinen Schutz. Dieser Zwist wird meine Rettung seyn; aber, ob er es auch nicht wäre, so wisse, dir entsage ich auf ewig, und tausendmal lieber will ich mich diesem Unbekannten ergeben, der ja, außer was meinen Traum, und seine etwas wilde Miene angeht, noch leidlich ist, als dir, der mich so grausam hintergangen hat.

[106] Faöué erhub sich mit diesen Worten, und ging zornig davon. Der König, und der Fremde wurden, als sie noch eine Weile mit einander gezankt hatten, endlich so weit einig, daß der letzte zum Unterpfand der noch unerfüllten. Bedingung, noch eine große Summe Geldes erlegen, und dann die Prinzessin hinnehmen sollte. Beyde Gegner entfernten sich von verschiedenen Seiten, und, als bald darauf auch die andere Versammlung aus einander ging, so blieb nur Thonis hinter dem Stuhl der Prinzessin allein übrig, noch immer stumm, bleich und kalt, wie ein Marmorbild und erst jetzt fähig, einem Schmerz, der seines gleichen nicht hatte, Worte, seinen Empfindungen, Thränen zu geben.

Thasus! schrie er, in halber Verzweiflung. Thasus!du mein Mitbuhler? – Also alle Hoffnung auf dich ganz vergebens? – Armer Thonis, gehe nun hin, und stirb! Nachdem du Faöué verlohren hast, ist der Tod das einzige, was dir übrig bleibt!

[107] Thonis stürmte hinaus, und fand im Vorgemach seinen Bruder, welcher zurückgekommen war, ihn aufzusuchen, und ihm mit offenen Armen entgegeneilte.

Ach so ists dennoch wahr, weinte Thonis an seinem Halse, daß ich dich hier, hier treffen muß?

Ja, mein Bruder! rief Thasus, der ihn mit Entzücken an seine Brust drückte. Aber wozu dieser Kummer? diese Thränen? Ich habe für dich nichts als Freude und Dank, daß du die schwere Rolle des Nichtkennens, die ich dir ehemals empfahl, so wohl gespielt hast. Siehe, das ist die Probe die dir bevorstand! Rechne nun auf die glänzendste Vergeltung, und fordre nur, ich wüßte nichts, das ich dir in diesem Augenblicke nicht gewähren könnte.

Aber Thasus! schrie Thonis, dich so, so zu finden!

Warum?

Mußte sich unsre brüderliche Uebereinstimmung, unser Hinstreben nach Einem Zwecke auf diese Art bestätigen?

[108] Wie? wir hätten einen Zweck?

Der meinige ist Faöué!

O so komm mit verdoppelten Entzücken in meine Arme. Rache! gemeinschaftliche Rache wird den Schatten unsers Vaters völlig versöhnen.

Rache? Mich fesselt an Faöué die Liebe, und ach, du bist mein Nebenbuhler.

Dein Nebenbuhler? ich? – Und du liebst die Tochter des Henkers deines Vaters? – Remphis Tochter? Motheruds Sohn? – Fort Elender, fort aus meinen Augen, daß ich dich nie wieder erblicke!

Thasus riß sich aus den Armen seines Bruders, und dieser blieb in einer Bestürzung zurück, die sich mit nichts vergleichen läßt. Was für Worte hatte er aus dem Munde seines Bruders gehört! Wie sollte er sie deuten! Schreckliche Gedanken stiegen in seiner Seele auf! Die Welt hätte er drum gegeben, nur noch einmal mit Motheruds Rächer zu sprechen, die Welt, nun nur noch einmal mit der Prinzessin zu reden; [109] beydes war unmöglich, Thasus war verschwunden, und Faöué viel zu zornig, um dem unglücklichen Thonis, so sehr er bat, so sehr er sie bey ihrem Glück und ihrem letzten Traume beschwören ließ, Zutritt zu verstatten.

In der Bedürfniß, doch irgendwo Erleichterung zu suchen, machte sich Thonis auf nach dem Hause seiner Mutter, das er in unglaublicher Eil erreichte. Alle seine Handlungen waren jetzt getrieben. Er eilte einem unbekannten Etwas vorzukommen, und der Umstand, daß Thasus sich erst binnen Monatsfrist einstellen solle, um gegen Zahlung der Pfandsumme die Hand der Prinzessin zu erhalten, war ihm bey weitem nicht so beruhigend, als er es hätte seyn können.

Butis schien auf alles vorbereitet, was ihr ihr Sohn sagen konnte. Sie antwortete auf seine Klagen mit Thränen. Ists denn im Rath der Götter beschlossen, brach sie in heller Verzweiflung aus, daß das Haus des Königs von Egypten all meine Lieben ins Verderben stürzen muß? Thonis liebt [110] die Prinzessin Faöué, liebt sie ohne Hoffnung, denn sie ist des geizigen Remphis Tochter, und er der Sohn des armen Motherud. Ob Thasus sein Nebenbuhler ist, weiß ich nicht, aber gewiß ists, daß Faöué auf irgend eine Art. ebenfalls an seinem Schicksal Antheil hat. – Bey seinen Besuchen habe ich hiervon Winke bekommen, schreckliche Winke, nicht um Faöués willen die ich hasse, wie ihres Vaters ganzes Haus, nein, um seinetwillen, der durch sie sein Verderben finden wird. O Thonis! wie soll ich dir Dinge entdecken, von welchen ich schon längst Spuren hatte, Dinge, die ich nur darum verschwieg, weil ich besorgte unüberlegt zu reden, und dadurch neue Vorwürfe der Schwatzhaftigkeit auf mich zu laden. Zur Unzeit habe ich vielleicht geschwiegen, so wie ich ehedem zur Unzeit sprach; doch die Folgen unserer Handlungen sind in den Händen der Götter, und sie lenken sie, wie sie wollen.

Wisse, schon längst ist dein Bruder im Besitz der Kenntniß des Steins Motherud, der das Labyrinth öffnet, und diese Kunde [111] ist die einzige Quelle unsers bisherigen Wohlstandes. Thasus ruhte nicht eher, bis er den verborgenen Eingang in das Schatzgewölbe wiederfand, den dein Vater, durch das Misverständniß mit den Geistern des Feuers verlohren hatte. Ob es möglich war, sich dieses Geheimnisses, ohne Hülfe der elementarischen Hüter desselben, wieder zu bemächtigen, daran zweifle ich billig, und ganz außer Zweifel ist mirs, daß Thasus, ist er mit jenen verdächtigen Wesen einverstanden, sich in einem sehr gefährlichen Bunde befindet. Was es mit seinen Bewerbungen um Faöué auch für Bewandnisse haben mag, so ists gewiß, daß sie mit den Begebenheiten des Labyrinths auf mehr als eine Art zusammen hängen. O Thonis! könntest du dieses entdecken! könntest du deinen Bruder retten, und ob all unser Reichthum, der so gefährliche Quellen hat, verschwinden, und ob wir in unsere ehemalige Dürftigkeit schnell zurück kehren müßten, kein Preis sollte mir zu hoch seyn, Unfälle zu verhüten, die mir ein ahndendes Gefühl ganz in der Nähe zeigt.

[112] Woher Butis ihre deutungsvollen Winke nehmen mochte, ist mir unbekannt; sie machten auf ihren Sohn einen tiefen Eindruck, und da sich in Rücksicht auf die egyptische Prinzessin allerley Nebenideen damit verbanden, so ward gleich in der ersten schlaflosen Nacht, die Thonis in seinem väterlichen Hause zubrachte, der Entschluß reif, den er des andern Morgens seiner Mutter kund that.

Ich bin entschlossen, sagte er, meinen Bruder aufzusuchen, den ich, nach dem was ihr mir sagt, ziemlich richtig zu finden hoffe; ich muß mit ihm selbst über die Dinge sprechen, die uns sonst ein ewiges Geheimniß bleiben werden, und die gleichwohl aufgeklärt werden müssen, wenn schrecklichen Dingen, die ich noch von anderer Seite voraussehe, als ihr, vorgebeugt werden soll.

Gehe mein Sohn, antwortete Butis, mit fast von Thränen erstickter Stimme, gehe nach dem Orte, wohin du vermuthlich ganz richtig deine Schritte leiten wirst, du wirst den Unglücklichen treffen, aber hüte dich, daß du ohne Blut zurück kommst.

[113] Thonis reiste ab, und sein Weg lenkte sich nach dem Labyrinthe. Aus den Reden seiner Mutter, aus dem, was er sich selbst von der verborgenen Geschichte seines Bruders zusammenreimen konnte, ließ sich schließen, daß er den Gesuchten nirgend finden würde, als in dem großen Schatzgewölbe, besonders zu einer Zeit, da es auf neue Goldlieferungen an König Remphis ankam, die sich nirgend her, als aus seinen eigenen Vorräthen nehmen ließen. Es war ein Schicksal, das diesen Geizigen nicht selten betraf, mit seinen eigenen, selbst aufgehäuften Schätzen, die er längst nicht mehr zählen konnte, bezahlt, beschenkt und bestochen zu werden.

Die Hälfte des Monats, welcher dem Bräutigam der schönen Faöué zur Zahlung der Pfandsumme, für die Entdeckung eines Geheimnisses, das er nicht enthüllen konnte, ohne sich selbst zu verrathen, anberaumt worden war, war bereits verflossen, Thonis hatte Ursache ihn mit Erfüllung des Versprochenen beschäftigt zu glauben, und noch größere, sich zu wundern,[114] daß er hiemit so langsam zu Werke ging. Seit dem, was Thonis von seiner Mutter erfahren hatte, war er gewiß, daß Thasus alle Zeit, die er nicht seiner Familie schenkte, im Labyrinthe zubrachte; ach warum verweilte er diesmal so lang daselbst? Warum mußte man ihn in diesen fürchterlichen Mauern aufsuchen, da man so wichtige Dinge mit ihm zu verhandeln hatte?

Mit Zittern betrat Thonis den heiligen Bezirk, der einsam, öde und schauerlich vor ihm lag, wie ein Begräbnißplatz. Auf König Remphis Befehl wurde dieser Palast auch nicht anders genannt, als das Grab der Könige von Egypten, ungeachtet noch keine menschliche Asche hier ruhte, als die Asche des euch wohlbekannten Mendes, des königlichen Lieblings, den man vor einiger Zeit hier ermordet gefunden hatte, ohne den Thäter ausfindig machen zu können. König Remphis wollte entweder durch den feyerlichen Namen, den er seinem Schatzhause gab, seinen oftmaligen Wanderungen in dasselbe einen frommen Anstrich geben, oder der Welt symbolisch andeuten, das[115] Gold, welches hier begraben lag, sey ein Theil seines Wesens; – sein besseres Selbst hätte man es richtiger nennen können.

Als Thonis den ungeheuern Bau ganz nahe vor sich sahe, fiel ihm allererst die Unmöglichkeit ein, welche weder von ihm noch von seiner Mutter beherzigt worden war, ohne übernatürliche Hülfe in die verbotenen Mauern zu kommen. Wußte er, wie er dieselbe herbeyrufen sollte? oder konnte er, gewissenhaft, klug und vorsichtig, wie er war, nur wünschen, sich mit verdächtigen Wesen einzulassen?

Doch Thonis ging seinen Weg unter himmlischen Schutz; kein Unrecht war an seinen Händen, keine böse, oder nur zweydeutige Absicht war in seinem Herzen, unter Umständen, wie diesen, heben sich alle Schwierigkeiten von selbst, keine Hindernisse können Schritte hemmen, welche die Vorsicht lenkt.

Thonis hatte kaum das Labyrinth nahe genug vor Augen, um jeden kleinen Theil der Verzierungen, mit welchen vornehmlich [116] das Frontispiz desselben überladen war, unterscheiden zu können, so fielen seine Blicke auf einen verschleyerten Kopf, der mit den Flügeln, die hinter ihm hervorragten, eine Schrift beschattete, welche in versetzten Buchstaben den Namen Motherud ausmachte. Thonis konnte sich kaum des lauten Jubels über diese schnelle Entdeckung enthalten; doch die heilige Stille dieser schauervollen Gegend schreckte jedes Geräusch zurück, und stillschweigend und froh schwang sich der glückliche Finder auf ein niedres Gesims, von wo er den geheimnißvollen Stein erreichen konnte.

Er bewegte sich unter seinen Händen, er wich endlich gar; noch ein kühnen Sprung, und Thonis sah sich auf dem Rücken eines Sphinx, an einem ziemlich geräumigen Eingang, von welchem sich einige düstere Stufen in die Tiefe hinabzogen, an deren Ende aber doch eine kleine Dämmerung schimmerte.

Thonis zögerte weiter zu gehen, ihm war alles ängstlich und grauenvoll, was er vor sich sah. Ist das, sagte er zu sich selbst, [117] die Pforte zu dem berühmten Wunderbau, wo Motherud, wo auch wohl Thasus ihre schönsten Stunden verlebten? Doch alle verbotene Wege sind mit drohenden Nächten umschattet, den deinigen muß die gute Absicht erheitern, in welcher du ihn betratest.

So leicht dem Wanderer, der sich aus Furcht vor Entdeckung bald weiter hinein wagte, und den Eingang hinter sich zuschob, so leicht ihm die Entdeckung des Zugangs zu den Geheimnissen des Labyrinths geworden, so viel Schwierigkeiten fanden sich im Fortgehen. Wie sollte sich ein Unkundiger aus Irrgängen finden, welche bey jedem Schritte sich zweifelhafter durch einander wanden? Hier wär Hülfe übernatürlicher Führer noth gewesen. Thonis dachte an das Mittel, welches sein Vater so oft gebraucht hatte, die Geister des Feuers zu rufen, und augenblicklich, wie von seinen Gedanken hergewinkt, lagen Stahl und Stein vor ihm auf einem Säulenfuß, aber er hütete sich wohl sie anzurühren; er wollte lieber streben, durch eigene Kräfte, mühsam zu einem guten Zweck zu kommen, als sich [118] zu Erreichung desselben verdächtiger Mittel bedienen.

Drey Tage, so berichten die heiligen Geschichtsbücher Egyptens, drey Tage irrte Thonis auf diese Art in düstern Labyrinthen umher, welche nichts erhellte, als zu Zeiten einige aufsteigende Funken, von welchen eben der vorsichtige Wanderer, der ihre Deutung schon kannte, keine Notiz nahm. Große Schatzbehälter voll Gold und Edelsteine öffneten sich hier im falben Schimmer seinen Augen, dort schien ein Sphinx mit seinem Flügel heilige Wunder zu decken, hier lockte ein Anubis voll Hieroglyphen den Kenner verborgener Bilderschrift zu Befriedigung unschuldiger Neugier; Thonis hielt keinen Trieb für unschuldig, der ihn von seinem Endzweck, von der Aufsuchung seines Bruders ablockte, und so geschahe es, daß er doch endlich auf die Stelle kam, wo Entdeckungen seiner warteten, die er bey aller Ahndung von traurigen Dingen, welche mit jedem Augenblick seiner Wanderung stärker in ihm ward, sich so nicht gedacht hätte.

[119] Er trat jetzt in einen der Säle, die sich mit dem Ton des Donners öffneten; dieses Wunder war ihm nicht neu, Motherud hatte in seiner Geschichte etwas davon erwähnt, und das Schrecken des Eintretenden verglich sich also bey weitem nicht mit der Stärke einer ganz andern Empfindung, welche nun bald in seiner Seele rege werden sollte.

Als der letzte Laut des wiedertönenden Donners verhallt war, drängte sich zu dem Ohr des horchenden Thonis ein leises Seufzen, das aus der fernsten Tiefe des weiten Gewölbes herauf kam, und in welcher die Stimme des unglücklichen Thasus nicht zu verkennen war.

Kommst du, mein Bruder? stöhnte sie, kommst du endlich? – Ach wie lang erwartete ich dich! doch ich wußte, du würdest erscheinen, und die letzten Seufzer eines Elenden auffassen, der ohne Rettung verlohren ist.

Sprachlos vor Entsetzen stand jetzt Thonis der Stelle gegen über, wo die klagende [120] Stimme tönte. Jenseits eines ungeheuern goldenen Beckens, in welchem unglaubliche Schätze blinkten, erhob sich die gigantische Bildsäule eines Typhon, 7 der mit drohender Rechten über den großen Schatzbehälter zu wachen schien. Eine von den Schlangen, welche zur Zierde des Fußgestells dieser furchtbaren Gottheit zu dienen pflegen, hielt eine bleiche zitternde Menschengestalt umschlungen, die Thonis nur gar zu bald für seinen unglücklichen Bruder Thasus erkannte.

Nahe dich, Thonis! seufzte der Gefangene, der das Entsetzen sahe, welches seinen Bruder zu einem leblosen Marmorbilde zu machen schien, doch nahe dich nicht zu sehr, daß du nicht umkommest, wie ich. Meine Strafe ist gerecht! Höre meine letzten Geständnisse, und dann laß mich sterben! Ach, wie bewegt das Winden dieser gräßlichen Schlangen meine Brust! Hinweg Thonis! Hinweg! du kannst mir nicht helfen![121] auch soll sich meine Quaal endigen, so bald ich gesprochen habe.

Thasus suchte sich zwischen den Ringen des Ungeheuers, das ihn umwand, und das zu leben schien ob es wohl von Stein war, eine bequemere Lage zu geben, und begann dann folgendermaßen:

Keinen verbotenen Künsten danke ich die Kenntniß des Steins Motherud, er bot sich selbst meinen Augen dar, so wie er sich den deinigen dargeboten haben wird. Ich betrat diese schrecklichen Irrgänge, so schuldlos, als du sie betreten hast, hätte ich sie nur eben so schuldlos verlassen mögen! Ich betrat sie, um hier Hülfe für die Dürftigkeit meiner Familie zu suchen; auch war hierin vielleicht noch nichts sträfliches an mir. Mir war es vergönnt von den Juwelen, die ehemals Motheruds waren, und die König Remphis, so meynte ich, nur widerrechtlich sein Eigenthum nennen konnte, etwas zu nehmen, und dessen mäßig zu gebrauchen, so wie auch dir es vergönnt seyn würde. Aber schon hier blieb ich nicht ganz in den Schranken des Rechts, und [122] der Bescheidenheit; doch ich sollte noch tiefer fallen, denn meine Absicht war nicht rein. Nicht nur Trieb, den unglücklichen Nachkommen Motheruds aus dem Staube zu helfen, auch Rachsucht lockte mich hieher. Ich haßte die Feinde meines Vaters, ich rief durch Stahl und Stein die Geister des Feuers, und forderte von ihnen einen von jenen Verworfenen in meine Hände zu bringen. Sie lieferten mir den boshaften Mendes. Sein Blut floß auf der Stelle, wo du stehst, von meinen Händen. Ich war mit dieser Rache noch nicht vergnügt, ich wollte dem Schatten Motheruds ein noch süßeres Opfer bringen. Remphis sollte sterben, oder was ihm das Liebste war. Die Geister wollten oder konnten mir hierin nicht die Hand bieten. Ich warb um Faöué, du kannst rathen aus welcher Absicht, auch weißt du zum Theil, wie meine Bewerbung um sie abgelaufen ist. – O dies, dies stürzte mich in den Abgrund des Elends! – Nicht ganz bekannt mit den Gesetzen der wandernden Edelgesteine, war ich so unvorsichtig gewesen, in dem meergrünen Diamanten das Mittel aus [123] den Händen zu geben, sie alle in meiner Gewalt zu behalten. Da ichihn verlohren hatte, hatte ich alles verlohren, war ganz arm, nicht allein außer Stande, die Summe, welche König Remphis forderte, zu zahlen, und mich dadurch in den Besitz des Schlachtopfers meiner Rache zu setzen, sondern auch unfähig, dich und meine unglückliche Mutter länger in dem gewohnten Ueberfluß zu erhalten. Zum erstenmal betrat ich dieses Haus, meine Hand nach ganz fremden Gut auszustrecken; über Motheruds Edelgesteine hatte ich keine Gewalt mehr. Der erste diebische Griff nach den Schätzen, die hier vor dir liegen, ward auf der Stelle so schrecklich bestraft, wie du an mir siehst. Es kam ein Geist des Lebens in die steinernen Ungeheuer, welche die Füße dieses drohenden Rachgottes, dessen aufgehobener Rechte ich so lang gespottet hatte, umwinden. Mit höllischen Gezisch schossen sie herab, und ich war gefangen. Doch nun nicht länger! – Ich sterbe! – Nicht Rache, nur Verbergung meines Todes und unserer Schande, ist die letzte Bitte deines Bruders! –

[124] Ein gezückter Dolch endigte bey diesen Worten das Leben des elenden Thasus.

Die Empfindungen des unglücklichen Thonis beym ersten Anblick seines Bruders, seine Gefühle während seiner Rede und nun seine Verzweiflung bey seinem schrecklichen Tode zu schildern, würde Unmöglichkeit seyn. Von dem warmen Blute des Selbstmörders, das weit im Gewölbe umherspritzte, übergossen, stürzte sich Thonis auf die Stelle, wo er sein Leben aushauchte. Das schwache Winken des Sterbenden, und Thonis eigenes Gefühl von der Gefahr, gleich ihm, von jenen halb lebenden Ungeheuern festgehalten zu werden, hinderte ihn nicht, tausend Versuche zu seiner Rettung zu machen. –

Vergebens! lallte der schon halb Entseelte. Vergebens! – Doch Verbergung meiner Schande, o wär diese, wär diese möglich! Eure eigene Sicherheit hängt hiervon ab!!

Thonis fand das eine so unmöglich, als das andere. Der Körper des Unglücklichen, [125] der jetzt zum letzten mal athmete, war zu fest in tausend Ringen verschlungen, um davon gebracht zu werden. Ein Gedanke kam dem verzweifelnden Bruder, aber er war seinem fühlenden Herzen zu schrecklich, um ausgeführt zu werden.

Auf Gefahr ertappt zu werden, verweilte er lange an dem fürchterlichen Orte, und spät erst bewog ihn der Gedanke an Butis zur Rückkehr. – Hüte dich, daß du ohne Blut zurückkommst, hatte sie beym Abschied prophetisch warnend gesprochen, und ach das Blut seines Bruders war auf seinen Kleidern, als er zuerst vor die unglückliche Mutter trat! – Laßt mich hier eine Pause machen, und durch Schweigen alles sagen.

Nachdem der erste Schmerz ausgetobt hatte, nachdem Butis alles wußte, was Thonis aus dem Munde des Sterbenden erfuhr, kam es zu Rathschlägen über Befolgung seines letzten Willens. Entdeckung des Räubers der königlichen Schätze war vor der Thür, wenn man nicht schnelle Maasregeln nahm. Thasus konnte als [126] Motheruds Sohn, als Thonis Bruder erkannt werden, denn nicht allen waren die Abkömmlinge des Baumeisters unbekannt, und alsdann theilte sich die Strafe seines Verbrechens den Unschuldigen mit. Thonis zitterte für seine Mutter, Butis für ihren Sohn; nichts konnte hier Rettung bringen, als eine That, welche, der zärtliche Bruder mochte sie noch so oft unnatürlich, unmenschlich nennen, doch dieses für sich hatte, daß sie nothwendig war.

Thonis rüstete sich mit möglichster Standhaftigkeit zu einer zweyten Reise nach dem Labyrinthe, und kehrte mit dem Kopfe seines Bruders und seiner rechten Hand zurück, welche der Verlobungsring der schönen Faöué, der sich auf keine Weise von dem, wie zum Griff nach verbotenem Gut gekrümmten Finger ziehen ließ, hätte kenntlich machen können.

Thonis zeigte und sagte der trauernden Mutter bey seiner Rückkunft nichts von dem, was er brachte; aber man verstand sich, man wich einander absichtlich aus und [127] verlebte in stummen Gram einige Tage bis neue Leiden hereinbrachen.

Hat denn Thonis alles Mitleid für seine unglückliche Mutter, alles Gefühl für den armen Verstorbenen ausgezogen, sagte Butis, als sie nach einer halben Woche des gänzlichen Stillschweigens ihren Sohn auf der Stelle aufsuchte, wo er die geraubten Ueberbleibsel seines Bruders bewahrte, und wo er Tag und Nacht zu weinen pflegte. Soll denn Thasus Leichnam ungesalbt und unentsündiget an der Sonne modern, und sein Schatten ewig einsam diesseit der Fluthen des schwarzen Sees umherirren?

Was meynt meine Mutter? fragte Thonis, indem er ihre Knie umfaßte, ist noch etwas übrig, das treue Bruderliebe zu leisten vermag, so gebiete sie, und ich opfere mein Leben ihre Befehle zu erfüllen.

Ich kann nicht ruhen, antwortete Butis, so lang der verstümmelte Leichnam meines Sohnes an den Mauern des Labyrinths den Vorübergehenden zum Spott aufgehängt ist!

[128] Thonis opfre, muß es seyn, sein Leben, um die Gebeine seines Bruders dem Auge der Welt zu entziehen, und ihnen das königliche Grab zu geben, das der Unglückliche einst im prophetischen Geiste sich selbst wählte.

Butis, welche noch immer viel Freundinnen und Neuigkeitssagerinnen um sich hatte, und die also ganz genau wußte, was, nachdem man den Körper des ermordeten Thasus im Labyrinthe gefunden hatte, bey Hofe vorgegangen war, sagte die Wahrheit.

Man hatte den Leichnam dieses Unglücklichen wirklich an den Mauern des Labyrinths aufgehängt, doch dies nicht allein, um damit seine That zu bestrafen, und sein Andenken zu beschimpfen, sondern auch wegen einiger andern Ursachen, die Butis vielleicht nicht ganz durchschauete, sonst würde sie das Leben ihres einzigen übrigen Sohns nicht in so augenscheinliche Gefahr gewagt haben.

König Remphis sahe sich zwar an dem Räuber seiner Schätze gerochen, und die [129] Sicherheit des Labyrinths gewissermaßen hergestellt, aber doch nicht völlig. Der abgehauene Kopf machte die Kenntniß des Thäters unmöglich, und zeigte zugleich ganz deutlich, daß er noch mehrere sehr schlaue Mitverschworne hatte, welche sein Verbrechen gelegentlich wiederholen, und dem hagern Greif von Egypten täglich neue Unruhe bereiten konnten.

Um die Bundesgenossen des verstümmelten Räubers zu entdecken, fand seine Majestät kein besseres Mittel, als neben dem ausgehängten Leichnam genaue Wache halten zu lassen, was die Vorübergehenden bey diesem Anblick äußerten, und bey der kleinsten Spur von Kummer oder Mitleid, schnell denjenigen fest zu halten, der sich auf diese Art verdächtig machte. –

Zu Beobachtungen, wie diesen, gehört etwas mehr, als gemeiner Lohnwächtersinn, und wie sorgfältig König Remphis war, zur Huth bey dem Körper des unglücklichen Thasus nur die tüchtigsten Leute zu wählen, das werdet ihr aus der Folge sehen.

[130] Die Wache saß einst, gegen Untergang der Sonne auf der Stelle, welche die Nachbarschaft eines modernden Leichnams nicht zu der angenehmsten machte, da zog ein Eseltreiber mit seinen Thieren vorüber. Er grüßte kaltsinnig, und trieb gemach südwärts dem See zu.

Dies war nicht das Gesicht eines gemeinen Eseltreibers, sagte der eine der Hüter. Und sein absichtliches Vermeiden jenes Anblicks, erwiederte der andre, könnte ihn schon verdächtig machen. Laßt uns ihn rufen! – Freund!! der Tag ist heiß, ruhe hier ein wenig. –

Ach laßt mich!

Warum?

Eure Nachbarschaft gefällt mir nicht!

Kennst du sie?

Ja wohl, und gar viel hätte ich euch hierüber zu sagen!

Wie? – Weißt du auch, daß du dir mit dieser Kunde einen gnädigen König machen könntest?

[131] Gar wohl weiß ichs, und eben darum ziehe ich nach Hofe mit diesen Weinschläuchen. Bey König Remphis ist man auch mit der wichtigsten Nachricht ohne Geschenk nicht angenehm.

Laß uns ihn mit Gewalt festhalten, flüsterte hier einer der Hüter zum andern. Wein ist ein seltenes Getränk, und König Remphis ist uns einen Trunk schuldig!

Der Eigner des Weins war so leicht nicht zum Verweilen zu bringen, es kam vom Wortwechsel zu Thätlichkeiten, die Zapfen der Schläuche wurden los, der Wein begann gemachsam in den Sand zu fließen, da gesellte sich zu den beyden Hütern ein Dritter, der bisher an dem Hauptorte, zunächst bey dem Leichnam gewacht hatte.

Was ists, daß ihr rechtet mit diesem Manne?

Herr! sie sind Ursach, daß ich meinen Wein verliere! gebietet ihnen, daß sie Hand anlegen, damit das köstliche Naß gerettet werde!

[132] Ey, retten muß man ihn! war die allgemeine Stimme, und alsobald waren Krüge und Flaschen bereit, die sobald geleert als gefüllt wurden, und deren geringe Anzahl, bey der Geschwindigkeit, mit welcher dieses geschahe, nicht in Betrachtung kam. – Dies war die Meynung des Eigenthümers nicht gewesen. – Der Eseltreiber schrie, und rang die Hände, die Hüter tranken, doch keiner gieriger, als der zuletzt dazugekommen, bis endlich der Eigner des Nektars unwillig ward hier allein zu dursten, sich mit den wackern Trinkern in den Schatten setzte, und so redlich Bescheid that, daß die Trunkenheit ihn früher beschlich, als seine Gefährten, und er sehr leicht zu bereden war, noch einen Schlauch gutwillig aufzuthun, und ihn seinen Gesellen Preis zu geben.

Der Inhalt des neueröffneten mußte mächtiger seyn, als der zuerst genossene. Die Gesichter der Zecher glühten, ihr Mund stammelte. Freund, begann der eine, da du uns nun einmal den Wein, den du zum Könige führtest, überlassen hast, so erzähle [133] uns auch die ihm zugedachte Geschichte von dem Räuber seines Schatzes! –

Wie? schrie derjenige unter den Hütern, welcher zuletzt auftrat, dieser Wein für mich bestimmt, und so lüderlich vergeudet?

Laßt ihn doch stammelte ein anderer. Die Geschichte des Geheimnisses, nach welchen wir nun hier so lange vergeblich forschen, vergütet euch allen Schaden! – Erzähle, Freund, das wird König Remphis dir lohnen.

Der Eseltreiber, der eben im Einschlafen begriffen war, fuhr auf, und hatte wider die Forderung nichts einzuwenden, als daß die Gesellschaft nicht ganz nüchtern sey, und schon einer von derselben im tiefen Schlafe liege.

So haben wir die Geschichte allein, lallte der Letztgekommene; ein Gut allein zu genießen ist immer ein Vortheil.

Der aufgeforderte Erzähler nannte dies eine Anmerkung, welche würdig sey aus König Remphis Munde geflossen zu seyn, [134] und hatte auch hiergegen nichts einzuwenden. Darauf begann er nach einigem Zögern: Es war einmal ein König. – –

Doch erwartet nicht, meine Zuhörerinnen, daß ich Euch von dieser berühmten Geschichte ein mehreres sage.

Ob sie über diese Worte noch fortgesetzt wurde, ist mir unbekannt; die, welchen sie erzählt wurde, wußten, als sie mit Aufgange der Sonne von dem Schlafe, der sie jetzt allmächtig befiel, erwachten, wenigstens nichts von derselben, als den eben gemeldeten Anfang, und schon waren sie im Begriffe einander ihre Gedanken über das ganze Possenspiel, das ihnen wie ein Traum vorkam, jeder nach der guten oder schlechten Laune, mit welcher er sich den Schlaf aus den Augen wischte zu sagen, als ganz andere Dinge ihre Aufmerksamkeit an sich zogen, und diesem Possenspiel auf einmal eine ziemlich ernsthafte Wendung gaben.

Der Eseltreiber mit seinen Thieren war verschwunden, der Leichnam von der [135] Mauer gleichfalls, und ein halb kahlgeschorner Bart, welchen jeder der dreye an seinen beyden Gefährten wahrnahm, sagte ihnen, daß sie diese Nacht einem durchtriebenen Schlaukopf, wo nicht gar einem argen Zauberer zum Spielwerk gedient hatten.

Der Vornehmste der ansehnlichen Todtenwache verhüllte sich stillschweigend, und eilte, um noch im ersten Frühroth die Stadt zu erreichen, und die Schande seines beschimpften Bartes vor den Augen der Welt zu verbergen; die beyden andern, welche gleichfalls ihr beschämtes Angesicht der Sonne entzogen, sagten zu einander: Wohl uns, daß er unser Schicksal theilt, sonst möchte es uns das Leben gekostet haben.

Wer die Hüter des Leichnams waren, und wer der Räuber desselben, das wird nunmehr wohl niemand von Euch ein Geheimniß seyn. König Remphis und zwey seiner vornehmsten Hofbedienten, waren genöthigt, sich mehrere Wochen, wegen einer seltsamen Unpäßlichkeit, die alle dreye zugleich befallen hatte, eingezogen zu halten, [136] und Thonis brachte indessen seiner Mutter die frohe Botschaft, die Gebeine seines Bruders haben diese Nacht ein ehrliches Grab in einer der für König Remphis hohes Haus bestimmten Grüfte des Labyrinths erhalten.

Es war, als wenn Thonis, nachdem er seinem Bruder die letzte Pflicht geleistet hatte, ruhiger zu werden begönne, er hatte wieder Raum für andere Gedanken, und die schöne Faöué, welche bisher ganz vergessen worden war, behauptete von neuem ihre Rechte.

Sorgsame Nachforschungen brachten die Zeitung ein: die seltsame Krankheit ihres Herrn Vaters, noch mehr aber das Außenbleiben ihres Bräutigams, von dem man, seit seiner Audienz, bey welcher Thonis gegenwärtig war, nichts gehört hatte, habe sie so angegriffen, daß sie sich in den Tempel der Göttin Athor begeben habe, ihr ganzes Leben ihrem Dienste zu weihen.

Diese Post weckte die volle Leidenschaft in dem Herzen des zärtlichen Thonis wieder [137] auf. Er küßte seine Mutter, und eilte nach der Hauptstadt, die Dame seines Herzens nur noch einmal zu sehen; er wußte, daß die Priesterinnen der 8 himmlischen Athor, nur wenige Wochen nach ihrer Aufnahme, noch Erlaubniß hatten, Besuche von ihren Weltfreunden anzunehmen, aber ganz unbekannt war es ihm, daß auch die irdische Athor zu Meroe Feuer und Heerd hatte, und daß es ein Grundgesetz ihrer Priesterinnen war, niemand ihren Anblick zu entziehen.

Wie er dieses erfuhr, Himmel, wie er dieses erfuhr, und wie das Gerücht ihm betheuerte, nicht in dem erstern, sondern in dem letzten dieser so verschiedenen Tempel werde er die Geliebte seines Herzens finden, o wer schildert da seine Verzweiflung! – All seine Hoffnung beruhte noch auf der Unmöglichkeit, daß die schönste und unschuldigste Person von der Welt, daß die Tochter des reichsten und größten Königs seiner Zeit so herabgesunken seyn könne. Er mußte mit eigenem Auge sehen ehe [138] er glauben konnte, und sehr leicht war es ihm hierin Gewißheit zu erlangen.

Er ging in den Tempel der berufenen Göttin, wo niemand zurückgewiesen wurde, und verlangte die Prinzessin zu sprechen.

In der demüthigenden Kleidung ihres neuen Standes trat sie ein, doch verleugnete die sittsame niedergeschlagene Miene ganz das Gewerbe, zu welchem sie sich bekannte.

Thonis verhüllte sein Gesicht, theils um seinen Gram über die schreckliche Erniedrigung einer Person, die er wie eine Gottheit angebetet hatte, zu verbergen, theils um von ihr nicht erkannt zu werden. Doch ihre thränenschweren Augen waren viel zu tief zur Erde gesenkt, als daß er das letzte hätte befürchten dürfen.

Ists möglich, rief Thonis nach einem langen Schweigen, ists möglich, daß ich die schöne Faöué hier finde?

Was kann Unglück nicht möglich machen!

Und der Dienst dieser Göttin ist Eure eigene Wahl? – Doch nein! der goldgierige Remphis, dem alles feil ist, wars [139] ohne Zweifel, der endlich auch die Tugend seiner Tochter verkaufte.

Verzeihet, der Preis meiner Liebe ist kein Gold; niemand wird sie gewinnen, als der, welcher mir nach meinem eigenen Urtheil den listigsten Streich erzählen kann, den je ein Mensch dem andern gespielt hat. Ich bin eine besondere Liebhaberin solcher Dinge. Es ist dies so eine Weibergrille, so ein Einfall, der mir in den Sinn gekommen ist, kurz ich höre gern sinnreiche Geschichten, und ich – ich – –

Faöué, welche sich in Worten verwickelte, ohne vor Beschämung enden zu können, zwang sich hier zu lachen, aber ein Strom von Thränen, welcher aus ihren schönen Augen brach, verrieth ihrem Gesellschafter vollkommen die innere Quaal ihres Herzens, und ließ ihn das ganze Geheimniß errathen, das er vor sich hatte, so wie sich auch seinem geschwinden Verstande augenblicklich darbot, was er hierbey zu thun habe.

Das ist doch sonderbar! sagte er, und Ihr habt der Proben des Scharfsinns wohl schon viel gesammelt?

[140] Faöué, welche alle Fassung verließ, wußte ihre Verzweiflung über die Person, welche sie hier vorstellte, nicht mehr zu bergen. Sie sprang auf, rang die Hände, und weinte zum Himmel.

Ich glaube es Euch, fuhr Thonis fort ohne sich irren zu lassen, Ihr werdet es müde seyn, Euch nichts als alltägliche Räuberstreiche erzählen zu lassen, aber geduldet Euch. Wollt Ihr mir diesen Abend einen Besuch im Dunkeln verstatten, so sollt Ihr eine Geschichte hören, die Euch nebst dem, der Euch zum Werkzeuge seiner Absichten braucht, völlig befriedigen, und Euch für die Zukunft einer Rolle überheben soll, die Ihr so herzlich schlecht spielet.

Faöués Gedanken über das was man ihr sagte, gehören hieher nicht, vielleicht dachte sie vor Angst und Beschämung über ihre schreckliche Lage wenig oder gar nichts. Genug am Abend war sie genöthigt, den Besuch des Fremden anzunehmen, und was sie von ihm erfuhr, das werdet ihr alle errathen.

[141] Mit der größten Aufrichtigkeit und mit dem beißendesten Spott über den betrogenen König erzählte Thonis, jedoch ohne sich zu erkennen zu geben, die ganze Geschichte von dem gestohlnen Leichnam, den geleerten Weinschläuchen und den geschornen Bärten.

Ja, schrie die unvorsichtige Faöué in einem Ausbruch von Freude, die dem Entzücken einer Sklavin glich, welche die Fesseln von ihren Händen fallen siehet, ja, dies ists was ich verlange! Dies wird mich retten! Unglücklicher Fremder! daß ich euch euer treuherziges Geständniß so schlecht danken muß! Reicht mir eure Hand, und schreibt das übrige meinem Schicksal zu!

Die Prinzessin, welche ihrem guten Herzen freyen Lauf ließ, und nicht dachte, daß, so gewarnt, sich wohl niemand in ihre Gewalt geben würde, tappte nach der Rechten des Erzählers, und eine eiskalte Hand legte sich in die ihrige. Ein Stoß mit dem Fuß, und im Vorgemach erhub sich großes Geräusch. Das Zimmer ward auf einmal hell, Gewaffnete drangen herein [142] um den ertappten Verbrecher fest zu nehmen, aber dieser hatte König Remphis plumpe List das Verborgene zu entdecken, die von seiner arglosen Tochter so erbärmlich ausgeführt ward, längst errathen, und war entflohen. Faöué sahe Statt der seinigen in ihrer Rechten, eine abgehauene Todtenhand; sie stieß ein lautes Geschrey aus, und sank ohnmächtig zur Erde.

Thonis hatte in seinen Muthmaßungen vollkommen recht gehabt. Dies war nichts als ein neuer Versuch des Königs hinter die Geheimnisse der Räuber seines Labyrinths zu kommen. Die Ehre seiner Tochter war ihm nicht zu theuer gewesen sie hier aufs Spiel zu setzen, und da er um diesen gewagten Preis doch nun nichts hatte als abermalige Täuschung, und die abgehauene Hand des Räubers, so denke man sich seine Verzweiflung.

Faöué hatte geleistet, was ihr aufgebürdet worden war, sie hatte den Eyd des Königs, über dasselbe sollte sie zu nichts gezwungen werden; dieser Eyd durfte nicht gebrochen werden, und es war ihr also erlaubt,[143] in ihr stilles Wohnzimmer zurückzukehren, das sie auf Befehl eines unnatürlichen Vaters mit der gefahrvollen Wohnung des Lasters hatte vertauschen müssen.

Sie betrat diese geliebte Freystatt der Tugend mit einem so unschuldigen als tiefgekränkten Herzen; dessen war viel was an demselben nagte. Sie konnte den Gedanken nicht überwinden, die Gestalt und die Stimme des schlauen Räubers sey Gestalt und Stimme ihres Thonis gewesen, den sie vielleicht absichtlich entwischen ließ, – und den sie noch immer nicht vergessen konnte. Ach, und die abgehauene Hand die er in der ihrigen zurück ließ, war es nicht die Hand ihres ehemaligen Verlobten? das bezeugte ja der Ring an derselben, welchen Thonis, ich weiß nicht, ob gern oder ungern, abzuziehen versäumt hatte.

Himmlische Athor! seufzte das fromme Mädchen Tag und Nacht zum Himmel, gieb mir den Tod, denn nie ward die Unschuld tiefer gedemüthigt, als ich. Ich, deine Geweihte, mußte drey schreckliche Tage in dem Tempel deiner dir so unähnlichen [144] Schwester zubringen; ich, der edelsten Liebe würdig, mußte die Braut eines Räubers werden, muß noch mit ganzen Herzen an einem Menschen hängen, der nichts bessers seyn kann, als jener? Gieb mir, gieb mir den Tod! ich begehre nicht länger zu leben!

König Remphis fühlte sich eben so unglücklich, als seine Tochter, obgleich aus ganz verschiedenen Ursachen. Der Schimpf seines verstümmelten Bartes, den er allenfalls nur für den goldenen Bart des Arueris 9 würde hingegeben haben, die geglaubte Unsicherheit seines Schatzhauses, und die unausstehliche Beschämung, von einem Räuber in allen gehöhnt, in allen Wendungen der Schlauigkeit übertroffen zu werden, brachten ihn dem Tode nahe, schon [145] zitterte er vor der Fahrt über die Fluthen des schwarzen Sees, und die jenseit desselben richtenden Mächte, zu welchen er sich wenig Gutes versehen konnte, machten sein Blut zu Eis.

In dieser Gemüthsfassung war es, daß er folgenden Traum hatte. Er ließ des Morgens nach demselben, es war der Morgen seines Todestages, seine Tochter zu sich kommen, und erzählte sein Nachtgesicht auf diese Art.

Faöué, begann er: Mein Ende ist vor der Thür, höre, was ich dir noch diesseit des Grabes zu sagen habe. Mir träumte diese Nacht, ich fuhr zur Hölle, da kam mir unsere große Isis auf dem Wege in die grauenvolle Tiefe freundlich entgegen. Remphis, sagte sie, noch ist Rettung für dich aus dem Pfuhl, der dort unten brennt: Hier sind Würfel, laß uns spielen; wer gewinnt, soll von dem andern die Gewährung einer freyen Bitte zu fordern haben. Wir spielten, und Isis gewann; da forderte sie, was ich eingehen mußte, so schwer mir es auch ward, und was du zu [146] genauer Befolgung in einer darüber verfaßten Schrift aufgezeichnet finden wirst. Die große Einzige 10 lächelte vergnügt über meine Bereitwilligkeit. Sie verdient Lohn, sagte sie, laß uns zum zweytenmale spielen.

Wir spielten und ich gewann. Bitte nun auch du, sprach die Göttin, und dir soll nichts versagt werden. Mutter aller Wesen, rief ich, gieb mir den goldenen Schleyer der dein Haupt bedeckt.

Zu welchem Ende? fragte sie lächelnd.

Ich will, sagte ich, die Augen der Todtenrichter damit verhüllen, damit sie mir den Eingang in die Wohnungen der Seligen nicht versagen. Gold blendet und versöhnt auf Erden die Unerbittlichsten; sollte es hier anders seyn? –

König Remphis mußte hier aus Mattigkeit inne halten, und die Umstehenden [147] hatten indessen ihre Gedanken, wie ein Geiziger sich doch auch in seinen Träumen nicht verläugnen könne.

Faöué machte diese Anmerkung nicht; ihr gutes kindliches Herz kannte in diesem Augenblicke nichts als seinen Kummer um einen Vater, der ihr lieb war, ungeachtet sie die bittersten Kränkungen von ihm hatte erfahren müssen. Auch versprach sie alles was von ihr gefordert wurde.

Dem Könige gnügte dieses Versprechen nicht; ehe sich seine Augen auf ewig schlossen, nahm er noch einen Eyd, nicht allein von der weinenden Prinzessin, sondern auch von den nicht weinenden Großen des Landes, die er ihr, als künftiger Königin, zu Reichsräthen ernannt hatte, dem Inhalt der versiegelten Schrift, die er ihnen eigenhändig darreichte, schnell und unweigerlich nachzukommen. Er ließ sie schwören bey dem was ihm das heiligste war, bey den Schätzen des Labyrinths, bey den Diamanten Motheruds und bey dem meergrünen Edelsteine, der Krone derselben.

[148] Als er sie auf diese Art fest und unauflöslich gebunden glaubte, entfloh seine Seele in freudiger Hoffnung auf die blendenden Kräfte des goldenen Schleyers der großen Isis, deren er so gewiß war als der Erfüllung dessen, was ihm im Traume zur Bedingung seiner Begnadigung gemacht wurde.

In dem Hause der bekümmerten Butis, wußte man nichts von dem, was zu Meroe vorging. Thonis war nach seinem letzten Abendtheuer mit der Prinzessin, in die dasige Einsamkeit zurückgekehrt, mit dem festen Entschlusse, die Hauptstadt nicht wieder zu betreten. Faöué sollte und mußte vergessen werden, nicht als ob er aus der Wohnung des Lasters, in welcher er sie zuletzt sahe, einen Verdacht gegen ihre Unschuld mit sich genommen hätte; nein, diese lag in jedem Wort, jeder Handlung dieser guten truglosen Seele zu offen da, als daß sie von irgend jemand hätte bezweifelt werden können; aber eben so deutlich fühlte auch Thonis die Unmöglichkeit, sich ihr je mit Hoffnung nahen zu dürfen, und so ergriff [149] er denn die beste Parthie vom Glück verlaßner Liebenden, er entschloß sich, dem Schicksal seinen Willen zu lassen, und durch heldenmüthige Flucht eine Leidenschaft zu tödten, welche den Beyfall des Himmels nicht hatte.

Zu den Kümmernissen, welche Kämpfe dieser Art mit sich führen, gesellten sich bald auch andre. Mangel und Dürftigkeit begannen wieder die Hausgenossen der Familie des unglücklichen Baumeisters zu werden. Der Zufluß aus dem Schatzgewölbe der Könige von Egypten war gehemmt. Zwar hatte Thonis die Kenntniß des Steins Motherud nicht verlohren, aber er nützte sie nur, um alle Neumonden bey dem Grabe seines unglücklichen Bruders zu weinen, und die gebührlichen 11 Moals daselbst zu halten. Nie streckte sich seine Hand aus, um von den aufgehäuften Schätzen des Labyrinths, auch da, wo kein [150] Typhon über ihnen wachte, etwas zu Hebung der dringenden Bedürfnisse seines Hauses zu nehmen. Die wandernden Edelsteine, deren er sich vielleicht ohne Sünde unbemerkt und unbestraft hätte bedienen können, lockten ihn oft, oft lagen in den Augenblicken des schwersten Kampfs Stahl und Stein vor ihm, die Geister des Feuers zu rufen, oft umschwebten ihn zahllose Funken, durch ein Wort, einen Wunsch von ihm in so viel Helfer aus der Tiefe des Elends verwandelt zu werden; Thonis wußte, wie viel von diesen Dingen er schuldlos nutzen konnte, aber er wußte auch, aus Thasus und Motheruds Beyspiel, wie gefährlich der Weg jenseit des ersten Schritts zu bedenklichen Handlungen wird, und weislich zog er sich zurück.

Ob Butis ganz mit dem klugen Verhalten ihres Sohns zufrieden war, das weiß ich nicht. Sie fragte ihn oft bey seiner Rückkehr aus dem Labyrinth: Hast du heute nichts gethan, als bey Thasus Asche geweint? nichts gethan als Moals [151] gesungen? und wenn denn Thonis antwortete: Was sollte ich weiter thun, meine Mutter? – so stieß sie nicht selten mit heißen Seufzern den Wunsch aus: O daß ich Thonis wär! o daß ich Muth hätte, jene grauenvollen Gegenden selbst zu besuchen, wie bald sollte es mit uns anders werden!

Wundert Euch nicht, Ihr Lieben, über Butis, welche vielleicht ehemals anders dachte. Armuth und Dürftigkeit sind Dämonen, deren Verführungskünste Ihr nicht kennt, nur ein großes Herz kann sie so überwinden, wie Thonis sie überwand.

Nachdem alles dahin war, was dem Hause Motheruds Unterhalt geben konnte, schlug Thonis noch die letzte kleine Summe, die er aus dem Verkauf eines Ringes, des letzten Geschenks seines Bruders, gelöst hatte, zusammen, und legte sie in den Schoos der bekümmerten Butis. Meine Mutter, sagte er, es kann mit uns nicht so bleiben wie es ist. Ich muß fort, unser[152] Glück unter fremden Himmeln zu suchen, oder wir sind ganz verlohren. Die Reise nach Nubien wird mir vielleicht besser gelingen, als ehedem meinem unglücklichen Vater. Im Arm unsrer Verwandten finde ich vielleicht Hülfe für uns, oder in weitentlegenen Gegenden Möglichkeit meine Talente zu üben oder – den Tod. Es erfolge was da wolle, so trauet auf die Macht, die uns noch nie verließ, und die oft an den Augenblick der höchsten Noth die wunderbarste Hülfe kettete.

Die Trennung zwischen Mutter und Sohne, eine solche Trennung, Trennung vielleicht auf ewig, ist über alle Schilderung. Laßt uns die verzweifelnde Butis verlassen und ihrem Sohne folgen, welcher es ungern sah, daß die ersten Schritte seiner Reise ihn nach Meroe führten; es war unvermeidlich, daß er seinen Weg durch diese Stadt nehmen mußte, und man denke, mit was für Gefühlen er sie betrat, da Faöué und das Andenken ehemaliger stolzer Hoffnungen noch immer in seiner Seele lebte.

[153] Er fand die Stadt noch in tiefer Trauer, denn erst ein Monat war seit König Remphis Tode verflossen. Er hörte von der Königin Faöué und seufzte, sie noch weiter aus seinem Gesichtskreis gerückt zu sehen. – In den Straßen der Stadt gingen allerley Ausrufer umher, welche mit dem schläfrigen Tone, in welchem man eine dreyßigmal gesagte Sache wiederholt, etwas deklamirten, das niemand verstehen konnte. Thonis fragte. Ihr werdet den ganzen Sermon an allen Tempelthüren angeschlagen finden, antwortete man ihm, uns ist es zu lästig zu wiederholen, was wir aus Ueberdruß nicht mehr hören mögen.

Der Tempel der himmlischen Athor war der erste bey welchem Thonis vorüber kam, der Sohn Motheruds seufzte und stieg die Stufen hinauf, die er wohl ehe am Arm der unvergeßlichen Faöué betreten hatte. Was er las war folgendes:

»Bey dem goldenen Schleyer der großen Isis, bey König Remphis Traum, [154] bey dem Schatten der Unterwelt, beschwören wir dich, Schüler der Weisheit, wer du auch seyst, der du diese Worte hörest oder sie liesest; bey deinem eigenen Glück und dem Glück der Person die dir auf der Welt die liebste ist, beschwören wir dich: erscheine heute im Rath der Väter des Volks, gewisse Fragen zu beantworten, die man dir vorlegen wird. Wisse, auch wenn du den Sinn der Wahrheit nicht treffen solltest, wirst du unbeschenkt und unerfreut nicht von dannen ziehen.«

Und, fragte Thonis, indem er sich zu einem der neben ihm stehenden wandte, was ist die Folge hievon? Die Folge hievon ist, antwortete man, daß der hohe Reichsrath täglich einige wahre oder seynwollende Schüler der Weisen abzuhören, und wenn sie gehen, mit einem halben Talent abzulohnen hat.

Mit einem halben Talent? – und welches sind die Fragen?

[155] Geht hin und höret sie selbst, man ists müde, Dinge zu wiederholen, deren Grund und Ursach niemand begreifen kann, und die man, ob es gleich heißt, König Remphis habe sie im Testamente geboten, für nichts hält, als für müßige Einfälle einer jungen Königin, die nicht weiß, womit sie sich auf dem Throne beschäftigen soll, und wie die Schätze ihres Vaters geschwind genug zu verschwenden sind. Alle Tage so viel halbe Talente, das ist keine Kleinigkeit; ich denke, das Land wirds fühlen! –

Die letzten Geschichten des Königs Remphis mußten nicht vor das Ohr des Publikums gekommen seyn, sonst würde man so nicht geredet haben. Von dem Abendtheuer des abgeschorenen Königsbartes bis auf das der Göttin Isis im Traume gegebene Versprechen war alles so geheim gehalten worden, daß niemand etwas davon erfahren hatte, und von dem letzten habe ich auch sogar meinen Zuhörinnen noch nichts gesagt, es wird also nöthig seyn, diesen Fehler sogleich zu verbessern.

[156] König Remphis verlangte in seiner letzten Befehlsschrift an seine Tochter und ihre Räthe nichts als daß sie nach seinem Tode obgemeldete Aufforderung publiciren lassen, und so lang bis sich die richtige Auflösung einiger benannten Fragen finden würde, alles anhören sollten, was Weise und Thoren ihnen hierüber sagen könnten. Die verfehlte Wahrheit sollte jedem Antwortenden mit einem halben Talent bezahlt werden; aber der Preis des Gewinners in dem großen Räthselspiel – – Doch man überhebe mich der Mühe, ihn mit den Worten des Testators anzuzeigen.

Das brechende Herz des Königs von Egypten hatte schon genug bey dem Gedanken gelitten, seine Schätze nach seinem Tode täglich um so viel Talente gemindert zu sehen; das letzte, was ihm Isis zugemuthet hatte, und was er in Hoffnung auf die Kräfte ihres blendenden Schleyers hatte eingehen müssen, war so beschaffen gewesen, daß er sich nicht hatte [157] überwinden können, es in seinem letzten Willen anders als bildlich anzudeuten, auch im letzten Augenblick seines Lebens, da eine Ewigkeit auf dem Spiele stand, auch mit den Göttern konnte Remphis nicht ganz redlich handeln. Er hoffte, seine Erbin würde seine verdeckte Sprache wohl nicht verstehen, und also nicht erfüllen können, was er versprochen hatte, auch waren die Bilder, die er gewählt hatte, den Lohn des glücklichen Räthselauflösers anzudeuten, würklich so dunkel, daß Ihr sie nicht begreifen würdet, wenn ich sie Euch gleich vorlegen wollte; ob aber Faöué und ihre Räthe den Sinn derselben verfehlten, das wird die Folge lehren.

Die Räthe des Reichs waren es fast müde, sich täglich über einige einfältige Fragen von Thoren und Weisen das albernste Zeug sagen zu lassen; indessen, sie mußten aushalten, und ich finde es für gut, Euch einmal dieser Prüfungen gegenwärtig seyn zu lassen, damit Ihr selbst urtheilen könnt.

[158] Es war der letzte Tag des ersten Monats nach dem Tode des wunderlichen Königs; der Abend brach ein, viel halbe Talente waren schon verschleudert worden, die Richter dachten Feyerabend zu machen, aber noch ein Räthselauflöser ward gemeldet.

Ein junger, bleicher, schlechtgekleideter Mensch trat herein.

Richter, ists wahr, daß hier durch Unwissenheit Geld zu gewinnen ist?

Durch Weisheit noch vielmehr, mein Sohn. Verfehlst du den Sinn unserer Fragen, so erhältst du ein halbes Talent, triffst du sie, so –

Gnug! – Ich werde sie nicht treffen, aber eilet indessen, damit ich den Gewinn, der mir gewiß ist, bald erhalte.

Ey! ey! Golddurst ist ein schlechter Grund der Weisheit, du verdientest abgewiesen zu werden.

[159] Armuth und Sorge um ein Leben, das mir alles ist, und dem ich bey einer Reise in ein fernes Land, von welcher ich vielleicht nicht zurückkehre, gern hinlängliche Unterstützung hinterlassen möchte, entschuldigen mich. Doch, die Fragen?

Welches sind die Geheimnisse des Labyrinths? Wo liegt der Stein Motherud, und wer weiß ihn zu heben? – Wie? du stutzest? – Wisse, bey deinem höchsten Eyde bist du verbunden die Wahrheit zu sagen, so weit sie dir bekannt ist. Denke, was du schwören mußtest ehe du hereintratst, und belaste nicht mit der Götter Fluch deine Seele.

So muß ich also bekennen, rief der Jüngling, welcher an die Worte des Eydes dachte, die wirklich ein jeder schwören mußte, ehe er zu Beantwortung der Fragen gelassen wurde, so muß ich also bekennen und sterben! Grausamer Remphis! du hast gesiegt! – Ihr aber, ihr Richter, habt nur die Barmherzigkeit gegen mich, [160] da ich weiß, daß von dem, was ich sagen muß mein Leben abhängt; das wenige was ich hier mit meinem Blute erwerbe, nach meinem Tode dahin liefern zu lassen wohin ich gebieten werde; es wäre unmenschlich, den Meinen den traurigen Gewinn vorzuenthalten, den ich mit meinem Leben bezahlen mußte.

Rede! sagte der oberste Richter, der sehr gerührt war, und versiehe dich zu uns aller Gnade!

Die Geheimnisse des Labyrinths, sagte der Räthselauflöser mit gefaßter Stimme, wurden mit dem ersten Erbauer dieses Wunderpallasts, der mein Vater war, begraben. Den Stein Motherud kenne ich, und weiß ihn zu heben.

Beweise hievon hernach! sprachen die Richter, jetzt die zweyte unserer Fragen:

Wer war der Verschlagene, der einen König um die Hälfte seines Barts, die Gerechtigkeit um den Leichnam eines Missethäters, und eine Dame um die Hand betrog, [161] welche ein Liebender nach ihr auszustrecken schien?

Ein Liebender? – wiederholte Thonis, (den Ihr, meine Zuhörerinnen ja doch wohl schon erkannt habt) Ein Liebender? – O der Liebende war ich! Es sey mir vergönnt, mich am Rande des Grabes noch für den Sklaven der göttlichen Faöué zu bekennen. Der Liebende war ich! –

Setzt diesen Unsinn ein wenig auf die Seite, sagten die ernsten Richter, wir verlangen jetzt die Geschichte, über welche wir bisher so viel Abgeschmacktes hören mußten, ausführlich aus eurem Munde zu vernehmen, damit wir gewiß werden, ob ihr auch wirklich derjenige seyd, für den ihr euch ausgebet; wir wissen wohl, daß dieses Geheimniß außer uns nur Einem bekannt ist, und daß wir also hier nicht irren können.

Mein Leben ist einmal verwirkt! seufzte Thonis, so sey es denn; ich will aufrichtig bekennen.

[162] Er erzählte hierauf was Ihr alles wisset, und er that das bey einigen Stellen, wo der schönen Faöué besonders gedacht werden mußte, mit so viel Leidenschaft, daß alle Gegenwärtige bis zu Thränen gerührt wurden, so gar leblose Gegenstände schienen bewegt zu werden, und hinter ein Paar Marmorsäulen, welche ein grüner goldgestickter Teppich mit einander verband, ließ sich ein leises Schluchzen hören, welches den Erzähler dergestalt in Verwirrung setzte, daß er eine Weile einhalten mußte.

Nun ist noch die letzte Frage übrig, sagten die Richter, welche sich die Augen trockneten, und dann könnt ihr an euer Schicksal gehen. Diese Hand, weß ist sie?

O es ist die Hand meines Bruders! schrie Thonis, der die dargereichte Todtenhand zu sich zog und sie mit Küssen und Thränen bedeckte. O Hand! Hand! viel Unrecht haftete an dir, aber die Götter haben gerichtet, ich bin Bruder, ich kann dich nicht verdammen!

[163] Was verlangt ihr, fragte man weiter, daß mit dieser traurigen Reliquie angefangen werde?

Wenn ich nun todt bin, antwortete Thonis, so begrabe man sie zu den andern Ueberbleibseln des unglücklichen Thasus, die ich im Labyrinth beygesetzt habe, und die man aus ihrer Gruft (es ist meine letzte Bitte) nicht vertreiben wolle.

Ist das wirklich deine letzte Bitte?

Außer der Wiederholung des Gesuchs, daß man mein hier so traurig erworbenes Gold meiner Mutter ausliefern wolle, hätte ich wohl noch eins, wenn ich es nennen dürfte.

Rede getrost, dir soll nichts abgeschlagen werden!

O daß ich den Verlobungsring der schönen Faöué, den diese unglückliche Hand mit Unrecht trägt, rauben, und an die meinige stecken dürfte! Es würde mir Trost seyn, Trost im Tode, das Gold das mit ihrem[164] Namen prangt, vor Augen zu haben, bis mir der Othem entgeht! Dies ist ja doch alles was mir das Schicksal zum Lohn der edelsten Liebe gewähren kann.

Nein! rief eine sanfte Stimme hinter dem Vorhang, dies ist unmöglich, unmöglich länger auszuhalten! Thonis! Thonis! siehe hier deine Faöué in deinen Armen!

Aus einer Umarmung wie dieser kann man sich nicht anders mit Ehren wickeln als mit einer Ohnmacht. Daß beyden Liebenden die Sinne entgingen, als sie hier das Schicksal so wunderbar zusammen brachte, war wohl sehr natürlich.

Faöué, welche sich am ersten erholte, entfernte sich und trug ihren Räthen auf, dem geliebten Jüngling, den sie unter den Händen der Aerzte ließ, sein Schicksal zu eröffnen.

Und o zu welch einem Schicksal erwachte er! Kein Wunder wär es gewesen, er hätte die Nachricht von einer der wunderbarsten Wendungen des Glücks mit dem Leben bezahlt.

[165] König Remphis letzter Wille konnte, man mochte die Bilder, in welche er ihn gehüllt hatte, wenden wie man wolle, nichts anders sagen, als dies: Wenn man jenen Verschlagenen, den er im Leben nicht entdecken konnte, nach seinem Tode durch obbemeldete Fragen ausgespäht hätte, so sollte das Königreich und Faöué sein seyn. Dies war der Wille der großen Isis, dies die Vergütung, die dem Schatten des unglücklichen Motherud für alle sein erlittenes Unrecht werden sollte, und dies wars, was man dem erwachenden Thonis ankündigte, der, so bald er zu deutlicherm Bewußtseyn kam, in dem ganzen Umfang seines Glücks nichts lebhafter fühlte, als die Wonne, Faöué sein zu nennen, und einer unglücklichen Mutter die letzten Tage ihres Lebens noch mit Glanz und Größe zu bekrönen.

Wie glücklich fühlte sich Butis, als sie, von ihrem, wie sie meynte, auf ewig geschiedenen Sohne solche Nachricht erhielt, und wie gern söhnte sie sich mit der Tochter [166] ihres Feindes aus, da dieselbe die Schöpferin eines solchen Glücks war!

Auch Faöué segnete ihr Geschick. Das Testament des Königs hatte ihr tausend Thränen gekostet, sie hatte Tag und Nacht zum Himmel geschrieen, daß es sie unglücklich mache, indem es sie einem Räuber in die Arme liefere. Ach sie wußte nicht, daß das, wovor sie bebte, Mittel ihres Glücks werden sollte! Hätte sie auf andre Art ihres Thonis Eigenthum werden können? – So verkennen wir oft das, was die Vorsicht zu Erreichung unsers Glücks veranstaltete, und nennen es Strafe. Euch ihr Traurenden, ihr Zweifelnden, sey dieses zum Troste gesagt.

Fußnoten

1 Die Krokodille wurden, wie bekannt, nach ihrem Tode den Leichnamen der Pharaonen zugesellt.

2 Ein arabischer Schriftsteller des funfzehnten Jahrhunderts, Jemaleddin Togri Bardi, setzt diese und folgende Begebenheiten in weit spätere Zeiten; es kommt auf den Leser an, ob er ihm, oder der Almé, mehrern Glauben beymessen will.

3 Balsammelone, man macht eine Oeffnung in die äußere Schale, zerstößt das innere Fleisch mit einem Stäbchen, vermacht die Oeffnung, vergräbt die Frucht in den Sand, und findet nach einigen Stunden, einen labenden Saft.

4 Dem Leser, nehmlich dem, welcher mit den Wundern dieses Gebäudes unbekannt seyn sollte, wünschen wir eine kurze Uebersicht von dem zu geben, was die Alten und Neuern hierüber sagen: Man denke sich zwölf Göttertempel von ansehnlichen Umfange, nebst funfzehn Pyramiden, in Eine gemeinschaftliche Mauer, und unter einem gemeinschaftlichen Dache eingeschlossen, man denke sich eine zahllose Menge von Sälen, Gemächern und Gallerien, welche neunzig Stufen hoch über der Erde zusammenlaufen, und die eigentlichen Irrgänge bilden. Das Ganze ruhte auf gigantischen Säulen von Porphyr, und wimmelte von kolossalischen Götter- und Königsbildern, und Statuen mannichfacher Ungeheuer, wie sie nur die seltsame Phantasie der Völker am Nil aushecken konnte. Das Wundergebäude erstreckte sich so tief unter die Erde, als es sich über derselben erhub. Die untern Gemächer enthielten die meisten und verborgensten Wunder. Selbst Herodotus bekam sie nicht zu sehen; man fertigte ihn kurz mit der Antwort ab: Hier ruhten die Körper der Könige und der heiligen Krokodile. Nur von den obern Zimmern, deren Anzahl einige auf dreytausend angeben, ließ sich so viel sagen, daß sie an Kunst und Pracht alle menschliche Werke übertrafen. Die Ausgänge durch die Dächer, die mannichfachen verschlungenen Wege setzten in Erstaunen. Man kam aus einem Pallaste in die Gemächer des andern, aus diesen in Seiten-Gallerien, aus diesen wieder auf andere Dächer und in andere Palläste; die größte Kunst bestand darinn, daß die mannichfaltigen Ein-und Ausgänge, jeden Gegenstand in einem neuen Gesichtspunkte zeigten, und ihn also bis ins unendliche vervielfältigten. Staunend stand man jetzt vor einer Bildsäule, mitten in einem Saal, oder am Eingange einer Kolonnade, die man vor einer Stunde, als schon gesehen verlassen hatte, die sich aber in diesem Augenblick überraschend neu darstellte, weil man den Ort von einer andern Seite betrat. Durch Säulengänge von hell polirten weißen Marmor wand sich endlich der Weg allmählig abwärts, bis unter eine vierzig Klafter hohe, mit Hieroglyphen bedeckte Pyramide, wo neue Wunder begannen; Wunder, welche nie ein profanes Auge sah, und die also der Nachwelt unenthüllt geblieben sind. Ein Sphinx, ein geschleyerter geflügelter Kopf, ein Anubis voll Hieroglyphen, bezeichneten noch in neuern Zeiten die Stellen, wo die tiefsten Geheimnisse wohnten.

5 So haben sie wenigstens die neuern Beobachter gefunden.

6 Die Sitte, welche fast bey allen morgenländischen Volkern herrscht, sich eine Braut durch eine reiche Morgengabe von ihren Aeltern zu erhandeln, scheint, nach verschiedenen Stellen der griechischen Schriftsteller, in Egypten nicht üblich gewesen zu seyn.

7 Typhon, das Urwesen der Bösen, der Kakodämon.

8 Venus Urania.

9 Arueris. Apollo, der Vater des Gottes der Aerzte. Die Geschichte von seinem goldenen Barte, den ein großer König ihm abschnitt, unter dem Vorwande, es sey unanständig, daß der Sohn des unbärtigen Hyperions die Zierde des Alters trage, ist bekannt.

10 Eine der Benennungen der Isis. – Nach einer alten egyptischen Legende spielt sie mit dem Könige im Brete, auch ist diese seltsame Dichtung nicht in einen Traum eingekleidet.

11 Moals. Trauergesänge, eine Art von Todenamt.

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TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Märchen. Alme oder Egyptische Märchen. Zweyter Theil. König Remphis, oder das Labyrinth. König Remphis, oder das Labyrinth. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5E86-E