Die Arbeit

Sie ist im Stall geboren.
Der tierische Schrei der Not
schlug gell in ihre Ohren,
der Schrei nach Dach und Brot.
Sie trat aus enger Kammer
in eine sinkende Welt;
Sklavengestöhn und Jammer
waren ihr zugesellt.
[203]
Sie ging, die Menschheit zu retten,
voll brennendem Eifer durchs Land –
sie trug die klirrenden Ketten
in der schaffenden Hand.
Sie darbte in blutiger Frone,
zerrieb sich Herz und Hirn;
tief drückte die Dornenkrone
in die blasse Götterstirn.
Doch – unter den Geißelhieben
der höhnenden Söldnerschar,
ihr Mut ist stark geblieben,
ihr Auge sternenklar.
Sie sah in der Zeiten Grunde
der Freiheit keimende Saat,
sie sah aus der Kreuzesstunde
aufleuchten die Sonne der Tat!
Schwingend die Axt, die blanke,
grüßt sie den steigenden Tag –
jede hemmende Schranke
wirft ihr wuchtiger Schlag.
Wo nur ein Wille entglommen,
da hilft sie aus Knechtschaft und Not;
allen, die zu ihr kommen,
reicht sie das tägliche Brot.
Ueber den Abgrund der Sorgen,
über den Gipfel der Qual,
hoch in den flammenden Morgen
hebt sie der sonnige Strahl.
[204]
Zitternde Feinde zu Füßen,
schreitet sie glorreich dahin –
jauchzende Völker grüßen
die Welterlöserin.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Müller-Jahnke, Clara. Die Arbeit. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5423-F