Wach auf! Soziale Lieder

[201][203]

Wach' auf!

Wach auf, mein Meer, und brause!
Grell blitzt der letzte Abendschein –
ich geh im weichen Sande.
Es kommt die Nacht, die Nacht bricht ein,
und Dunkel deckt die Lande.
Wach auf, mein Meer, und treibe
die Wogen über das dunkle Land!
fahl steht der Sturm am Himmelsrand,
grün blinkt des Vollmonds Scheibe.
Ein herzblutroter Streif im Nord
wie Völkerzorn, wie Haß und Mord,
wie letzte Lebensröte –
Dumpf gärt und grollt's im Flutenschoß;
ein Schrei der Qual, der Lust bricht los;
nun brause, Meer, und – töte!

Die Arbeit

Sie ist im Stall geboren.
Der tierische Schrei der Not
schlug gell in ihre Ohren,
der Schrei nach Dach und Brot.
Sie trat aus enger Kammer
in eine sinkende Welt;
Sklavengestöhn und Jammer
waren ihr zugesellt.
[203]
Sie ging, die Menschheit zu retten,
voll brennendem Eifer durchs Land –
sie trug die klirrenden Ketten
in der schaffenden Hand.
Sie darbte in blutiger Frone,
zerrieb sich Herz und Hirn;
tief drückte die Dornenkrone
in die blasse Götterstirn.
Doch – unter den Geißelhieben
der höhnenden Söldnerschar,
ihr Mut ist stark geblieben,
ihr Auge sternenklar.
Sie sah in der Zeiten Grunde
der Freiheit keimende Saat,
sie sah aus der Kreuzesstunde
aufleuchten die Sonne der Tat!
Schwingend die Axt, die blanke,
grüßt sie den steigenden Tag –
jede hemmende Schranke
wirft ihr wuchtiger Schlag.
Wo nur ein Wille entglommen,
da hilft sie aus Knechtschaft und Not;
allen, die zu ihr kommen,
reicht sie das tägliche Brot.
Ueber den Abgrund der Sorgen,
über den Gipfel der Qual,
hoch in den flammenden Morgen
hebt sie der sonnige Strahl.
[204]
Zitternde Feinde zu Füßen,
schreitet sie glorreich dahin –
jauchzende Völker grüßen
die Welterlöserin.

Der Tag der Tat

Aus schweren schwarzen Träumen taucht ein Tag.
Sein Herold ist das rote Morgenleuchten,
sein Lächeln überflutet Haus und Hag.
Er trägt den Hammer in der starken Hand.
Und hell aufjauchzend greift er in die Lohe –
und dröhnend schlägt er an des Himmels Wand.
Das ist der Tag. Der erste Tag der Tat! –
Es geht ein Sämann durch die deutschen Lande,
und weit ausstreuend wirft er seine Saat.
Es steigt ein Rufer auf den Berg der Qual, –
und von den Höhen klingt ein Echo nieder,
und aus den Tiefen schallt es hundertmal.
Wo nur ein Führer hoch im Kampfesmut
die Fahne hebt, da jauchzen Millionen
und stehn geschart um dieses Banners Glut.
Das ist der große Maientag der Tat,
da den Gehetzten, den im Joch Gebornen,
der Sturmwind sich der Freiheit brausend naht.
[205]
Und eine Flamme schlägt aus ihrer Schmach,
und durch des Frühlings sehnsuchtdumpfe Schwüle
der Blitzstrahl der Erkenntnis zündend brach.
In die Fabriken schreit der Flammenschein
und in den schwarzen Bauch der Kohlenschächte:
»Ihr werdet frei, ihr werdet Menschen sein!«
Die »Ewigblinden« sollen endlich sehn.
Ihr werdet mannhaft kämpfen im Gefechte
und werdet siegen und im Rate stehn
– und selbst bestimmen eure Menschenrechte! –

Zur Arbeit

Aus Morgennebeln leuchtet
der frühe rote Tag;
da treibt mich auf vom Lager
ein dumpfer Glockenschlag.
Der ruft aus süßem Traume
zum trauten Heim hinaus
mich in die Flammenschwüle
ins dunstige Kesselhaus
zur Arbeit.
Ich schreite gleich dem Krieger
in eisenstarrer Wehr,
mit Hammer, Beil und Zange
zum Daseinskampf einher.
Und wo die Bälge sausen,
wo hell das Feuer sprüht,
[206]
singt mir die rote Flamme
ein heißes Morgenlied
zur Arbeit.
Des Schweißes schwerer Tropfen,
der von der Stirn mir läuft,
ist Tau, der auf die Saaten
der Zukunft niederträuft.
Kein Mordgewaffen schmiedet
die schwielenharte Hand;
sie dehnt und schweißt und hämmert
ein ehern Friedensband
der Arbeit.
Schlaf ruhig du, mein Knabe,
in treuer Mutterhut;
auch dich ruft einst die Frühe,
auch dich ruft einst die Glut.
Dann wirst in blaue Weiten
auf fernster Brüder Ruf
du die Maschine leiten,
die einst dein Vater schuf,
zur Arbeit.
Zur Arbeit ruft ihr Sausen,
zur Arbeit, nicht zur Fron!
Dann wird die Sonne scheinen
hell auf dein Werk, mein Sohn.
In freier Männer Kreise
klingt dann in Nord und Süd
jauchzend wie Siegesweise
ein frohes Morgenlied.

[207] Der heilige Lenz

Durch Alltagslärm und Fabrikenstaub
leuchtet ein Tag voll Licht und Laub.
Leuchtet ein einziger Tag im Jahr:
rote Rosen im blonden Haar.
In Wanderschuhen, im Festgewand
schreitet der leuchtende Tag durchs Land.
Und wo er wandert durch Feld und Dorn,
da blühen die Schlehen und treibt das Korn.
Und wo er rührt an des Armen Haus,
lockt er lachende Menschen hinaus.
Viel jubelnde Kindlein laufen mit –
hart auf der Erde dröhnt sein Schritt:
Bis in die Tiefen der ewigen Nacht,
zu den schwarzen Gesellen im Kohlenschacht.
Da sinkt der Hammer zum letzten Schlag –
und sie steigen empor und grüßen den Tag.
Und grüßen das Licht und das blauende Meer . . .
Ueber die Wogen rollt es daher.
Heim ziehen die Schiffe in freudiger Hast –
der rote Wimpel fliegt am Mast.
Und über der Menschheit, erlöst und frei,
leuchtet der große, der heilige Mai!
[208]
O Mai der Menschheit, du Traum voll Glück!
– Eine Träne feuchtet den Mannesblick . . .
O Tag der Zukunft, voll Glanz und Grün,
wann wird deine strahlende Sonne glühn?
O Fest der Freiheit, du blühender Mai,
kein Sinnen und Träumen sehnt dich herbei.
Dich hegt das Dunkel, dich schirmt die Macht –
und wir müssen hindurch durch den Kampf und die Nacht!
Die weichliche Träne versiegt und erstarrt,
und es ruft deine Zukunft: »Mein Volk, werde hart!
Werde hart und sei wach, du, und schlage den Schlag,
dein harrt ein fruchtschwangerer Sommertag!
Und wählst du gut, wie das Los dir fällt,
so ist dein die Macht und die blühende Welt –
Und über Woge und Flur und Tor
dämmert der heilige Lenz empor!«

Die Straßenkehrer

Aus Norden bläst der eisige Wind,
die Flocken wirbeln auf allen Wegen –
nimm Schippe und Besen und komm geschwind,
komm mit, wir wollen die Straße fegen.
Wie ein Tanzboden, blank und rein,
muß heute abend die Straße sein.
[209]
Sie geben im Schloß den Fastnachtsball;
da dürfen wir unten am Fenster stehen
und dürfen lauschen der Geigen Schall
und all die glänzenden Kutschen sehen,
fege, du, fege die Straße rein!
Der Pfaff hat recht, wenn der Winter droht:
Arbeit, Alte, die wärmt die Glieder!
Wir haben kein Holz, wir haben kein Brot . . .
ihr himmlischen Flocken nur tanzt hernieder.
Sollt ihr die Helfer der Armen sein? –
Fege, du, fege die Straße rein!

Die frommen Jesuiten

Alle Lust der Welt ist eitel,
sündig ist ihr Glanz zu schaun –
tuet in den Klingelbeutel
eure Scherflein, fromme Fraun!
Könnt ihr auch das Brot nicht zahlen,
schüttelt euch der Kälte Pein:
eure Tränen, eure Qualen
werft sie alle mit hinein!
Klingelingling!
Ach, wie gingen wir in Sorgen
um der Armen Wohl gebückt,
bis am heil'gen Sonntagmorgen
den Tarif wir durchgedrückt!
Da entschwanden unsre Plagen,
denn nun wußten wir aufs best:
überladen tut den Magen
ihr euch nicht am Weihnachtsfest!
Klingelingling!
[210]
Ja, wir sorgten treu und weise,
wie's von alters bei uns Brauch:
Fasten ist 'ne Himmelsspeise
und ein Satansknecht der Bauch.
Wer verhungert fromm und bieder,
kommt ins himmlische Revier;
selig lacht er dann hernieder –
für die Witwen sorgen wir!
Klingelingling!

In Scherben

Die letzte Blume im Gartenbeet,
am Baume das letzte Laub verweht,
des Weines Neige ward trüb und schal –
ein kühner Griff – und es klirrt der Pokal
in Scherben.
Im Herzen die letzte Freude tot,
von Abgrundtiefen der Weg umdroht,
kein Liebesband und kein Freundesblick –
und all mein Sehnen und all mein Glück
in Scherben, in Scherben!
Und Tränen und Sorgen frommen nicht,
wenn der letzte Stab in der Hand zerbricht;
die Lippe glüht und der Quell versiegt –
ein kühner Druck – und das Leben liegt
in Scherben, in Scherben.

[211] Dies ist der Tag, den Gott gemacht

Und wieder ist's zur Weihnachtszeit.
Durch meine Seele schleicht ein Traum
von wundersamer Herrlichkeit,
vom goldumstrahlten Lichterbaum.
Der Kindheit Zauber spinnt mich ein,
mit seiner Töne süßer Pracht
umflutet mich das Jubellied:
»Dies ist der Tag, den Gott gemacht!«
»Den Gott gemacht« –: ein Glockenton
durchirrt die Lüfte weich und lieb –
»Den Gott gemacht« –: ein Sturmwind pfeift
durch Winternacht wie Schwerterhieb.
»Den Gott gemacht« –: ein Lachen gellt
durch all die Lust und schluchzt und weint . . .
aus einer Hütte komm ich her,
in die kein Strahl der Gnade scheint.
Eisblumen blühn am Fensterglas,
die Wände glitzernd, feucht, berußt;
auf dürftigem Stroh ein sieches Weib,
das Kind an abgezehrter Brust;
der Mann auf harter Ofenbank
mit stierem Blick, mit dumpfen Sinn . . .
die Liebe, die sie einst verband,
im Elend starb sie längst dahin.
Im Elend starb sie, wie das Paar
von Menschenknospen, jung und frisch,
das Mädel, braun und tannenschlank,
der Knabe, blond und träumerisch,
wie jauchzten sie zur Sommerzeit!
Wie senkten sie die Köpflein müd,
als in des Winters harter Not
ihr Lebensflämmchen matt verglüht . . .
[212]
Und gestern trug man sie hinaus
im schwarzen Sarg aufs weiße Feld;
kein Strahl der Liebe leuchtet mehr
in dieses Jammers enge Welt.
– Und drüben blitzt im Herrenschloß
das Lichtmeer auf, die Weihnachtspracht,
und brausend klingt das Jubellied:
»Dies ist der Tag, den Gott gemacht!«
Zwei Rosenknospen welkten hin
und starben in des Winters Bann,
die dritte seufzt nach Lust und Licht,
daß sie zum Lenz erblühen kann.
Der neue Heiland geht und weint
und findet keiner Krippe Raum . . .
Wann graust du, Tag, den Gott gemacht?
Wann wirst du, Wahrheit, Weihnachtstraum?

Dem Proletariat zum neuen Jahre!

Noch breitet ihre dunklen Schwingen
die Nacht auf alle Gassen aus;
des Jahres erste Glocken klingen,
ein Grüßen geht von Haus zu Haus!
versinken soll, was schwach und trübe,
gesunden soll, was elend war –
viel fromme Wünsche bringt die Liebe,
viel frischen Mut die Hoffnung dar.
Doch alles Wünschen, alles Hoffen
ist machtlos wider eure Not;
der Zukunft Tore stehen offen:
sie deckt den Tisch euch ohne Brot.
[213]
Sie füllt mit Wermut euch den Becher
und höhnt der Armut bittres Leid,
das nach dem Rechte, nach dem Rächer,
dem neuen Jahr entgegenschreit!
Das neue Jahr bringt keine Wende, –
wenn ihr nicht selbst die Helfer seid:
in euren Fäusten schläft das Ende,
in eurem Hirn die neue Zeit!
Erwacht aus dumpfen Sehnsuchtsträumen,
euch ruft der Tag, euch ruft die Tat –
schon schwillt der Lenztrieb an den Bäumen,
und unter Schneelast grünt die Saat!
Das neue Jahr bringt keine Wende,
kein Ruf erreicht ein gnädig Ohr:
auf Bruderrecht und Segenspende
vertraut der hoffnungsfrohe Tor.
Nur wer sich regt, dem wird es glücken,
die Freiheit hat, wer sie sich schafft –
erhebt das Haupt: auf eurem Rücken
tragt ihr die Welt! Ihr seid die Kraft!

Port Arthur

»Pour le mérite« der Menschheit ging's:
sie fielen rechts und sie stürzten links.
Durch berstende Mauern, von Flammen umloht,
durch Bäche von Blut schritt der grinsende Tod;
und er schwang seine Sense zu sausendem Schnitt –
Pour le mérite!
[214]
Und sie würgten wie Bestien sich, knirschend vor Wut,
das Messer des Schlächters ertrank in Blut.
In Salvengeknatter erstickt das Ach,
die pfeifende Bombe durchschlug das Dach.
Und die Kranken, die Wunden mußten mit –
Pour le mérite.
Rotfunkelnden Aug's schlich der Hunger herum. –
Der brüllende Bär ward endlich stumm.
Ueber stürzende Türme, den sinkenden Wall
stieg empor der blutige Sonnenball.
Und der blutige Ball steht im Zenit –
Pour le mérite!
Nun schmückt die Beiden, die pflichtbewußt
das Herz ermordet in ihrer Brust,
der funkelnde Stern. Doch wie brandender Gischt,
aus Winseln und Stöhnen und Fluchen gemischt,
umdröhnt ihre Häupter ein anderes Lied:
Pour le mérite?
Ja, ein anderes Lied, von dem besseren Ruhm!
In den Festen wankt das Zäsarentum.
Aus den rauchenden Trümmern Port Arthurs gellt
ein Schrei, und ihn hört die erschauernde Welt:
wo bleibt der Held, der die Freiheit erstritt,
Pour le mérite?!

[215] Der 22. Januar

... Und aufwärts schlug aus Schnee und Eis
der Riesenbrand zum Himmelsdom,
und niederwärts rann rot und heiß
das Herzblut in den starren Strom
und ward wie Tau. Und Schuß auf Schuß
verkrachte in den Flockentanz:
das war der warme Liebesgruß
vom Väterchen des Vaterlands.
Sie stiegen aus des Elends Schooß
wie Nachtgetier aus düstrem Grund.
»Ein wenig Sonne unsrem Los!« –
Noch baten sie mit blassem Mund.
Noch trugen sie des Heilands Holz,
des Zaren Bild in erster Reih' –
da: von der Sehne flog der Bolz
und schlug das bleiche Bild entzwei!
Nun war's geschehn. Das war der Krieg.
Das erste Opfer lag im Schnee –
und über Kreuz und Krone stieg
die rote Fahne in die Höh'.
Ein Brausen klang wie Frühlingsflut,
ein Echo dröhnte dumpf und hohl . . .
Wie heißer Volkszorn wuchs die Glut
in Moskwa und Sewastopol.
Das Reich zerbricht. Die Zwingburg birst.
Des Volkes tiefste Kraft wird wach.
Ihm hilft kein Gott, ihm hilft kein Fürst
aus seiner tausendjährigen Schmach.
Sein eigner Retter soll es sein –
hell klingt sein Ruf wie hallend Erz –
und aufrecht steht's in blutiger Pein
und hebt die Toten sonnenwärts.
[216]
Und den dies Land einst Vater hieß,
wo weilt er heut am Tag der Not?
Ein Feigling, der sein Volk verließ!
Und seinem Volke ist er tot . . .
Nun stürze, was im Innern kracht,
und lodre, was da gärt und glüht,
und leuchte auf aus tiefster Nacht
der Tag, wo rot die Freiheit blüht!

Der Friedensbote

(Ein Silvestermärchen.)


Die letzte Nacht des alten Jahres sank
vom Winterhimmel blauschwarz in die Tiefen
und durch die Weiten, die im Dämmer schliefen,
und durch die Gassen, drin das Leben schäumte,
durch düstre Winkel, wo das Elend träumte,
ging still und ernst zu allen, die ihn riefen,
ein Friedensbote seinen Segensgang.
Das war kein schöner, weißlackierter Engel
mit goldnen Flügeln aus Papiermaché,
im Blondgelock der Reinheit Lilienstengel –
das war ein Mann, der längst der Menschheit Weh
und alle Not erschöpft bis auf den Grund.
Ein reifes Lächeln um den strengen Mund,
ging er dahin. Und an des Jammers Stätte
und in der Freude Hallen klang sein Schritt;
mild schenkend stand er an des Kranken Bette
und bracht den letzten, großen Frieden mit.
Und wo ein Herz, vergessen und allein,
in Aengsten rang, da trat er tröstend ein.
[217]
Und ganz zuletzt, als schon die Mitternacht
auf leisen Schuhen in die Gasse bog,
war noch ein Haus. Drei gute Stockwerk hoch,
in zwei Etagen helle Lichterpracht.
Der Laden dunkel. Hinter Fenstergittern
nur nach dem Hof zu schwaches Flämmchenzittern . . .
Der Lichtkreis trifft am Tisch den fahlen Greis,
der einsam hier vor seinem Zahlenbuch
die Nacht verbringt und Jahresabschluß hält.
Durch seine Finger rollt das blanke Geld
sein Geierauge bohrt sich in das Gold,
der Armut Schweiß und Blut, des Reichtums Sold,
und seine schmalen Lippen zittern leis:
– »Noch nicht genug, noch immer nicht genug!
Wird dies Jahr die Million mir und den Frieden bringen?« –
Da fällt ein Schatten in den hellen Kreis,
aus tiefer Oede trifft ein hauchend Klingen
das Ohr des Wucherers: »Den Frieden? – Bald!«
Ein Schauer überläuft des Alten Rücken.
Er zuckt empor mit wild verstörten Blicken
– und auf der Stiege fern ein Schritt verhallt.
Ein Stockwerk höher. Helles Gläserklingen,
Silvesternacht mit Scherzen, Spiel und Singen
nach altem Brauch. Die Wallnußschälchen schwimmen
auf klarem Wasser. Ihre Lichter glimmen,
beschriebne Wimpel flattern vom Gerüst;
des jungen Volkes heller Jubel grüßt
den glückverheißenden Zusammenstoß.
Doch mählich schwindet Lust und Lachen hin. –
[218]
Zwei Schiffchen noch! Das eine trägt ja bloß
den Namenszug der jungen Lehrerin.
Wer fragt nach der – Sie steht am Tisch allein,
aus ihren Augen loht der Sehnsucht Pein,
die heiße Unruh sprengt ihr fast die Brust . . .
Und drüben lehnt, das Punschglas schon zur Hand,
des Hauses Sohn. Sein eigner Name bannt
auch ihn. – Und eines festen Ziels bewußt
zu ihr hinüber flackern seine Flammen.
Da geht ein seltsam Rauschen durch den Raum
– ein Knistern scheint's im bunten Weihnachtsbaum –
und führt die Schicksalsschiffchen leicht zusammen.
Und wieder steigt die plüschbelegten Stufen
der fremde Gast empor. Gedämpftes Rufen
und heis'res Lachen mischt sich mit dem Klirren
der Gläser hier. Aus grünem Tische rollt
aus zitternden Händen das begehrte Gold,
häuft sich und schwindet. Heiße Blicke irren
dem Flieh'nden nach. Dem blassen Jüngling träuft
von blasser Stirn der Schweiß. Er stöhnt und greift
zur leeren Börse. Da: – »Nimm hin, nimm hin!
In solcher Stunde bringt solch Geld Gewinn!«
Der falsche Freund, der ihn hierher gelockt,
schiebt ihm ein Goldstück zu. Sein Atem stockt,
schon will er nach dem Sündengeld sich bücken –
– knarrt die verschlossne Tür nicht ihm im Rücken?
Umweht's ihn nicht wie Atem einer Braut
und kost wie einer Mutter Flüsterlaut
und hallt wie längst vergessne Jugendschwüre? –
[219]
– »Nimm hin, nimm hin, es bringt dir sicher Glück,
schon schwingt der erste Schlag der Neujahrsstunde!« –
– Er aber schiebt das Goldstück rauh zurück,
hochatmend grüßt er die erstaunte Runde
und schreitet langsam durch die offne Türe.
Die letzte Stiege nun, die aufwärts führt:
ein schwaches Flackerflämmchen weht im Wind,
die karge Mahlzeit steht noch unberührt
am eisigen Fenster lehnt ein Mann und sinnt.
Der Gassenlärm dringt nicht hinauf zu ihm –
sein Auge träumt in unentdeckten Fernen
und pflückt den schönsten sich von allen Sternen,
und lodernd schießt sein Blut und ungestüm
vom heißen Herzen ihm ins heiße Hirn.
Gleich einem Sturmwind beugt ihn die Gewalt
des Werdenden . . . Ein fernes Läuten hallt
in seinen Kampf. Und kühl auf seine Stirn
legt sich des Friedensboten Hand. Da ebbt
der rote Strom. Aus Urweltnebeln hebt
sich klar die Form. Und das Geschaute bleibt.
Durch Wetterwolken blitzt die Frühlingspracht . . .
Er atmet tief – und rückt das Licht – und schreibt
das Meisterwerk, das ihn unsterblich macht.
... Und Mitternacht. Ein seltsam Surren singt
in allen Ecken. Von den Pfeilern klingt
ein äffend Echo. Stille nun. Vollendet
erscheint des Friedensboten Werk. Er wendet
den Fuß zur Schwelle. Da: ein blasses Licht,
ein dumpfes Stöhnen und ein scharfer Schrei –
[220]
die Kellerwohnung! – Und er ging vorbei? –
O nein, der Menschheit Jammer schreckt ihn nicht!
Er drückt die Klinke, – und er steht – geblendet:
zerwühlt die Decken rings. Den jungen Leib
in Schmerz verkrampft, ein totes junges Weib . . .
Blicklose Augen grüßen in der Hast
des Scheidens noch den fremden Friedensgast.
und ihr zu Füßen kniet, das Haupt vergraben,
ihr Gatte. Schwelend fällt der Lampe Schein
auf ihren nackten neugebornen Knaben –
der volle Schlag des Neujahrs dröhnt herein.
Da hebt der Mann den Kopf und starrt und sieht,
was niemand sah in dieses Hauses Wänden:
den Himmelsboten. Seine Starrheit flieht.
»Was willst du?« grollt er hart. »Dein Schicksal wenden
und Frieden bringen.« »Frieden?« – Hohnvoll schrill
klingt sein Gelächter. »Ob ich Frieden will,
solltest du fragen. Frieden will ich nicht!
Faul ist der Frieden, und ich will das Licht!
Ich will den Kampf. Den Kampf für Recht und Brot! –
Mein Weib starb hin in Hunger, Nacht und Not –
doch kannst du geben, gib mir frische Kraft,
die Ketten sprengt und neue Himmel schafft,
die Kraft zum Kampf!« –
Der Himmelsbote senkt
die klare Stirn und seine Seele denkt
kommender Zeiten; seine Hand berührt
des Kindes Stirn.
»Rühr meinen Sohn nicht an!«
– Hoch aufgerichtet steht der bleiche Mann –
»Dies Kind ist mein! Sein Erbe ist der Krieg
und seiner Nächte Lohn das Morgengrauen.
[221]
Nach heißen Kämpfen soll sein Auge schauen,
was mir nicht mehr zu schaun vergönnt, den Sieg.
Der Sieg des Lichts sei meinem Sohn beschieden!«
– Der Schlag verdröhnt. Ein Flimmern füllt den Raum,
und eine ferne Stimme – wie im Traum –
sprach noch das Wort:
»Und mit dem Sieg – der Frieden . . .«

Nach Sibirien

Flockengetriebe und Wolkenflug –
durch trostlose Steppen ein trostloser Zug.
Zerfurchte Gesichter in düsterer Reih',
verfolgt von der hungrigen Geier Geschrei.
Sie kommen aus Knechtschaft und marternder Not,
sie gehen in Knechtschaft und grinsenden Tod;
sie wandern seit Wochen mit wankendem Schritt,
klirrende Ketten schleppen sie mit.
Durch schneidenden Sturm, über eisige Flur –
das blendende Weiß deckt die blutige Spur.
Und über dem Haupt der Verfallenen saust
geißelbewehrt die Kosakenfaust.
»Hoh, Brüderchen, hollah! Da liegt sich's bequem –
solch sammetnes Lager, das wär dir genehm! –
Und die Knute, sie tanzt dir im silbernen Glanz
zu Väterchens Ehre den lustigen Tanz!
[222]
Hoh, Brüderchen, hollah – und tanzt du nicht mit,
dann: vorwärts, ihr andern, den zögernden Schritt!!
Da drüben, ein schimmerndes Wunderreich,
erwarten die Lustgärten Väterchens euch!« –
– Und die Knute saust, und die Peitsche knallt –
ein banges Stöhnen im Wind verhallt.
Vorüber, vorüber der traurige Zug,
– rufende Geier und Wolkenflug . . .
Und der schimmernde Schnee hüllt kalt und rein
tausendjährige Schmerzen ein.

Rangierertod

Der Goldstrom fließt in Wogen.
Durch seine flimmernde Fläche ist
eine blutige Spur gezogen.
Tiefschwarz die Nacht. Ein Pfeifen schrillt.
Glühwürmchen hüpfen auf dunkler Bahn.
Aus gähnendem Düster taucht und schwillt
es empor wie ein formloses Götzenbild –
und es faucht und zischt und es braust heran,
die Luft erschüttert ein Beben . . .
und horch: auch von drüben Gestöhn und Geschnauf,
ein höllisches Auge funkelt auf.
Nur ein Ruck – und die Räder zerschmettern dich
– unseliger Mann, nun wahre dich!
Duck dich und lauf –
lauf zu: es gilt das Leben!
[223]
Tiefschwarz die Nacht. Und ein Angstschrei gellt
und hallt in die düstersten Ecken.
Der Schein der Blendlaterne fällt
auf das grausige Bild der Schrecken
und spiegelt sich rot in dem rinnenden Blut,
in des brechenden Auges Fieberglut.
Und die andern alle, sie sind's gewohnt;
sie haben sich stumm in die Nacht gewandt,
nur einer, ein junger, blondbärtiger Fant
starrt flackernden Blicks in das flackernde Licht
und seine zuckende Lippe spricht:
»Der Fünfte, der Fünfte in diesem Mond!«
Die Zähne gepreßt und die Faust geballt!
Ein neues Pfeifen die Nacht durchhallt –
Und keine Ehre und kein Gewinnst,
keine Stunde Ruhe im Todesdienst,
kein freundliches Licht, das die Nacht erhellt,
keine rettende Hand – das kostet Geld! –
– Und der Goldstrom geht in Wogen.
Durch seine flimmernde Fläche ist
eine blutige Spur gezogen.

Landfriedensbruch

Die Zeit ist hart und schwer die Not:
sie kämpften um den Bissen Brot,
sie hielten treu zusammen.
Die Krone schmückt das neue Haus,
doch ihnen blies der Nordwind aus
im Herd die letzten Flammen.
[224]
Hohl heult der Sturm, bang braust das Meer.
Von Süden trieb der Satan her
schwarzhaarige Kollegen . . .
Gell scholl der Pfiff der Eisenbahn,
die andern standen, knirschten, sahn
dem fremden Troß entgegen.
Der blonde Führer strich den Bart.
»Kollege,« sprach er heiß und hart,
»hier ruhen Stab und Kelle.
Die Arbeit ruht. In Stundenfrist
fahr heim, daher du kommen bist.«
Da lachte der Geselle.
Er höhnte: »Kerls, ihr seid wohl toll!«
Wie da das Blut zum Hirne schwoll
in jäh aufflackerndem Brande!
»Zurück!« – »Wir müßten Narren sein!«
Da sauste durch die Luft der Stein
vom deutschen Klippenstrande.
Und brüllend wie die Meerflut drang
ein Aufschrei rings. Schwer ging und bang
das Atmen der Sekunde . . .
Der Hunger schrie in schrillem Ton:
»Um Weib und Kind! Um Brot und Lohn!
Die Peitsche für die Hunde!«
Ein Schuß aus ihren Reihen fiel:
zu blutigem Ernste ward das Spiel,
und sie sind doch entkommen!
Nun höhnen sie von First und Schlot,
die letzte Mark, das letzte Brot,
sie haben es uns genommen!
[225]
Und als die Luft voll Christnachtsruch,
da standen wegen Friedensbruch
die Treuen vor den Schranken.
Da traf sie hart der Richterspruch,
da trugen sie in Nacht und Fluch
die tobenden Gedanken . . .
»Um Friedensbruch?! O, Weib und Kind,
euch ward als schlimmes Angebind'
das Hungertuch beschieden!
Die Ader schwillt, die Kette klirrt,
ein Glockenton die Luft durchirrt . . .
schlaft heut, nur heut in Frieden!«

Die Gipfel glühen

Und aufwärts geht es Schritt vor Schritt,
bei Hunderttausend schreiten mit;
in qualendunkle Seelen bricht
der Höhe klares Sonnenlicht:
die Freude am Leben.
Wir lagen tief in Not und Schmach,
bis unsres Wesens Siegel brach,
bis über uns der Schutt zerstob
unter der Faust, die sich erhob,
uns zu zerschmettern.
Da reckt empor aus dunkler Haft
ihr blondes Haupt die Volkeskraft;
da fühlten wir an Schlag und Stoß,
am Strom, der heiß zum Herzen schoß,
Blut in den Adern.
[226]
Da lebten wir die schwere Zeit.
Ein harter Lehrherr war das Leid:
es lehrte uns zusammenstehn,
in klirrenden Ketten vorwärtsgehn,
uns bäumen und wehren!
Und rasch verrauschte Jahr um Jahr,
verklungen ist, was damals war.
Wo Wundgepeitschte stöhnten, gellt
ein Tubaton durch blaches Feld,
eine Siegesfanfare.
Heut stehn wir da: in stolzer Wehr,
ein kriegsbereit Millionenheer –
Statt Speer und Büchse Pflug und Beil,
der Zukunft Trost, der Menschheit Heil
in starken Händen!
Das Heer der Arbeit! Sein die Macht! –
Wie anders kam's, als ihr gedacht:
Das Schicksal sprach sein Donnerwort,
und über eure Köpfe fort
grollt seine Stimme.
Sein ist der Blitz, der züngelnd brennt;
er schlägt in euer Parlament,
er frißt, was faul und modrig war, –
durch Rauch und Dünste ringt sich klar
die ewige Sonne.
Und vorwärts geht's mit hartem Schritt,
und Millionen schreiten mit.
aus heißen Kehlen bricht ein Schrei:
das Ziel so nah – so licht – so frei!
Die Gipfel glühen!

[227] Das Lied vom Mai

O du glühende blühende Maienzeit!
Der Himmel so blau und das Herz so weit,
vergessen die Schmerzen und Sorgen –
und was im Finstern begraben lag,
das hebt die Augen und grüßt den Tag
und lacht in den strahlenden Morgen!
Und aus den Toren der Städte zieht
eine festliche Schar, und ein jubelndes Lied
steigt hoch in die schimmernde Wolke,
ein Lied von der Zeiten wechselnder Flucht,
von den Tagen der Blüte, den Monden der Frucht,
einem freien glücklichen Volke.
Das Lied der Zukunft! Es tönt und klingt;
auf silberschimmernden Flügeln schwingt
es sich in die dunkelste Kammer
und strömt wie liebliche Maienluft
und haucht wie schwellender Rosen Duft
in des Elends erstickenden Jammer.
Das Lied der Zukunft! Es rauscht und braust;
auf feuermähnigem Rosse saust
es wie die Walküre der Sage
durch die zitternde Schwüle, die dräuenden Reihn –
und der Kampf ist sein, und der Sieg ist sein,
und es jauchzt dem vernichtenden Schlage!
[228]
Das Lied der Zukunft, das Lied vom Mai –
aus den Banden des Alltags macht es euch frei:
heut seid ihr des Frühlings Gäste.
Und mit euch segnen auf weitem Rund
die Völker der Erde den heiligen Bund
und feiern das Fest der Feste!

Vom alten und vom neuen Baum

Einst haben wir den Weihnachtsbaum
mit blanker Axt gefällt,
als Kinder ihn in Hauses Raum
andächtig aufgestellt.
Mit bunten Lichtern haben wir
die Zweige ihm geschmückt,
mit Zuckerwerk und Glanzpapier
ihm Trieb und Saft erstickt.
Heut ziehn wir aus dem dumpfen Raum
ins grüne Feld hinaus:
hell über unsern Weihtagsbaum
streut Gold die Sonne aus.
Sie färbt der Blätter zartes Rund
und küßt ihn frei und stark –
und strömend aus der Erde Grund
schießt ihm die Kraft ins Mark.

Das ist der Geist

Das ist der Geist, der um die Höhen kreist
und der die Tiefen füllt: der heilige Geist.
Kein hohles Ding, kein wesenloser Schein:
lebendig Feuer und unendlich Sein.
[229]
Dein Auge sieht, dein Ohr vernimmt ihn nicht;
ihn fühlt dein Geist, der Licht von seinem Licht!
Er ist es, der im Lied des Dichters webt,
der in des Denkers Stirn zum Höchsten strebt.
Er ist es, der den starren Stoff bezwingt,
mit Formenreiz und Farbenglut durchdringt.
Wer eine Welt voll kühner Schöpferkraft,
wie sie ein Gott erfunden, nachgeschafft, –
Wer in der Forschung Tiefen sich versenkt
und die Gedanken ewiger Liebe denkt, –
und wer der Menschheit lichte Pfade weist
aus Elends Nacht, ist Geist von seinem Geist.
Sein Odem weht, wo laut das Kampfhorn klingt,
wo heiß das Volk nach Recht und Freiheit ringt;
Sein Sturmwind braust und seine Flamme loht,
wen er berührt, den rührt nicht Not und Tod.
Und ob er spräch in fremder Zunge Bann,
verständlich wird sein Wort für jedermann.
Vieltausend Flämmchen fuhren erdenwärts:
in roter Lohe steht des Volkes Herz.
Der Zukunft Himmel ist ihm aufgetan,
vom Sturm verstäubt der graue Lügenwahn.
[230]
Die letzte Kette schmilzt im Wetterschlag –
und Pfingsten kommt, der Völkerfeiertag.
Und über der erlösten Menschheit kreist
auf Taubenschwingen licht, der Weltengeist.

Auferstehung

Durch die prunkenden Hollen der Dome klingt
ein rauschendes Festgeläut –
und ein Chor von jauchzenden Stimmen singt
dem Auferstandenen heut.
Der Ostern lieblicher Veilchenduft
verkündet des Schöpfers Lob,
der von des Erlösers Grabeskluft
den steinernen Riegel hob.
Die Zeit der Wunder ist lang vorbei;
heut dringt aus eisiger Nacht
kein zitternder Erlösungsschrei
empor zu des Himmels Pracht.
Heut gilt als ehernes Gebot,
was, einst ein blutiger Spott,
die Schwachen verhöhnt und der Aermsten Not:
hilf dir selbst, so hilft dir Gott!
Hilf dir selbst, mein Volk, das in Ketten schlief,
schau dich um: die Welt ist dein!
Sie sargten unter die Felsen tief
deine heilige Freiheit ein.
Heut pulst ihr Blut, und die Zeit ist um:
»Erlöserin du lebst!«
Zum Licht wird blühen, was starr und stumm,
wenn du den Riegel hebst!
[231]
Schau dich um, mein Volk, im deutschen Land
flackert der Frührotschein –
der selige Traum vom Wunder schwand,
doch Wille und Kraft sind dein!
Der Wahltag werde dein Ostertag –
und du machst deinen Feind zum Spott,
und es dröhnt dein wuchtiger Hammerschlag:
hilf dir selbst, so hilft dir Gott!

Den Frauen

Den Frauen einen Frühlingsgruß!
Euch allen, die in Fron und Mühen
ihr dornenreiche Pfade geht,
euch sollen Maienrosen blühen!
Greift lachend in die rote Pracht:
ein Morgen glüht, den keine Wolke
in schwarze Schatten hüllen wird,
ein Festtagsmorgen allem Volke!
Den Frauen einen Maiengruß!
ihr tragt die Zukunft unterm Herzen,
ihr säugt die Freiheit an der Brust, –
das ist ein heilig Recht der Schmerzen:
das ist ein göttlich Frauenrecht,
das haltet fest mit starkem Wollen . . .
und eure rote Blume blüht,
wenn rings umher die Wetter grollen.
[232]
Und ob ihr wohnt am Seinestrand,
an Skandinaviens Felsentoren,
ob Londons Nebel euch umspinnt,
ob Rußlands Steppe euch geboren,
ob euch Italiens Sonne scheint,
ob euch Germaniens Eichenstärke
die Muskeln spannt: ich rufe euch
zu einem großen Maienwerke!
Den Haß, der die Nationen trennt,
soll eure Liebe überwinden,
wenn schwesterlich die Hände sich
zum letzten, großen Kampfe finden.
Des Sturmjahrhunderts Morgenschein
soll eurer Rechte Sieg verklären:
erst müßt ihr freie Menschen sein,
um freie Menschen zu gebären!
Aus märchenblauen Zeiten klingt
ein Segenswort: den Fluch des Bösen,
der auf das Haupt der Menschheit fiel,
wird einst die Hand des Weibes lösen.
Aus Lügenschlamm und Gassenstaub
wird sie den Schatz der Wahrheit heben
und segnend ihn als Hort des Rechts
den kommenden Geschlechtern geben.
Den Frauen einen Segensgruß!
Aus alter Kindermärchen Klarheit
lacht hell in all den Sonnenglanz
das heilige Angesicht der Wahrheit.
[233]
Kein Traumglück mehr, kein Sehnsuchtslaut:
es gilt den Kampf! Auch euch, den Frauen,
und eure Kinder werden einst
der Freiheit Maitag feiernd schauen!

Den Ausgesperrten

– Und hundert Tage und noch vielmehr . . .
Der Herd ist kalt und die Lade leer.
Am Fest der Liebe kein Jubelton –
und die Friedensbotschaft ward Hohn, ward Hohn!
Schwer hängt der Himmel, wie Schiefer grau,
über den Dächern von Crimmitschau.
Und Tausende harren, trotzig und stumm,
– Feinde oben und Feinde ringsum! –
Und weint ein zitterndes Kind nach Brot,
so leiden sie dreifach des Krieges Not.
Mit eherner Stirne, wie Mann so Frau,
stehen die Helden von Crimmitschau.
Sie kämpfen nicht mordend mit Pulver und Stahl:
sie geben ihr Herzblut in Hunger und Qual;
sie tragen die Fahne im heiligsten Krieg –
und die Ehre der Menschheit bedeutet ihr Sieg!
Der wandelt in blühende Frühlingsau
die feiernden Säle in Crimmitschau.
Wir aber, ihr Braven, wie grimm das Gesicht
der Zukunft euch drohe, wir lassen euch nicht!
Wir stützen die Hand euch im harten Gefecht –
laut pochen die Pulse für Freiheit und Recht.
Millionen mit euch! – Und wie die Sonne im Blau
leuchtet die Weihnacht von Crimmitschau!

[234] Das Fest der Blüte

Durch Frühlingsstürme und Wolkenflor
bricht das ewige Licht hervor,
aus Blut erblühen die Rosen;
es kommt nach tausendjährigem Leid
ein Tag voll Maienseligkeit
den Fried- und Freudelosen.
Mit klirrendem Eise ging der Strom,
schwarz schattend unter dem Himmelsdom
lag die brütende Wolke;
doch Keime sproßten, des Lebens voll,
und ein Ahnen wuchs, und ein Sehnen schwoll
tief in dem fronenden Volke.
Und die Schollen trieben ins offene Meer,
die Donner rollten, wie Schicksal schwer;
grell sprühten die blauen Flammen;
ein Hammer fiel, und ein Eisen sprang:
ein tiefer, tönender Glockenklang
ruft die Freien zum Fest zusammen.
Zum Fest der Blüte, zum heiligen Mai!
Wer die Freiheit sucht und sie fühlt, ist frei,
und nährten ihn Disteln und Treber.
Er feiert mit uns. Und Sibiriens Eis
wird wie Dufthauch Italiens. Und lockend und leis
geht der Maiwind über die Gräber . . .
[235]
Kein Saatkorn ist tot. Und umsonst kein Blut
für die Freiheit vergossen. Wachsende Glut
wird die Aehren füllen und streifen.
Und feiern wir heute das Blütenfest:
die Sonne der Menschheit steigt, und läßt
unsern Enkeln die Früchte reifen.

Wir Frauen

Das ist der Mond, der Blüte bringt
und in der Blüte tief die Frucht –
das ist der Mond, der Sonne trinkt
und Lieder jauchzt und Klarheit sucht.
Sie nannten ihn den Wonnemond,
und Kirschenblüten hat's geschneit . . .
wir aber feiern klaren Blicks
den Sonnentag des Völkerglücks,
den Blütenmond der neuen Zeit.
Wir feiern. Die wir rechtelos
– ein tiefgeknechtetes Geschlecht –
hindämmern in der Heimat Schoß,
wir feiern unser Bürgerrecht.
Wir hegen in der Mutterhut
der Zukunft lichten Maientrost;
wir halten in der Frauenhand
der Völkerfreiheit Unterpfand . . .
und rauschend geht der Wind aus Ost.
Wir feiern diesen Maientag:
denn laut an unserm Herzen klingt
des Mannesherzens Widerschlag,
der um das Heil der Menschheit ringt.
[236]
Wir feiern dieses Frühlingsfest:
wenn tief in unserm Schoße sprießt
die Hoffnung, die den Sieg empfängt,
die Sehnsucht, die zum Lichte drängt,
die Saat, die hoch in Halme schießt.
So feiern wir den ersten Mai,
der blütenstrotzend zieht ins Land:
wir stehn dem Mann im Kampfe bei,
gehn lachend mit ihm Hand in Hand.
Wir nahmen längst das stolze Recht,
das stumpfe Blindheit uns versagt . . .
der Lenz ist da! Die Zeit der Not
versinkt. Wir kämpfen – heiß und rot
der Freiheit Maienmorgen tagt.

Deutsche Ostern

1895


Wieder weht ein Frühlingshauch
rings aus Busch und Bäumen,
und die wintermüde Welt
liegt in Osterträumen;
doch kein Auferstehungslied
will die Mär uns deuten –
durch die dumpfen Lüfte zieht
Sterbeglockenläuten.
Lastend wie Karfreitagsweh
hängt die Wetterwolke
tränenreich und blitzeschwer
über unserm Volke.
Was da sproßt im Sonnenschein,
will ihr Zorn begraben –
durch die deutsche Frühlingsflur
flattern schwarze Raben.
[237]
Sprengt kein Gott des Grabes Tor,
uns vor Schmach zu retten?
Deutschen Geistes Herrlichkeit
schlagen sie in Ketten;
Kerkermauern bauen sie
uns zur Frühlingsfeier,
und der Schönheit reines Bild
decken Nonnenschleier.
Mörder des lebendgen Worts,
Pharisäerscharen,
richten sie den freien Geist,
wie vor tausend Jahren.
Wieder soll der Scheite Qualm
lichtumdüsternd steigen,
und das Kreuz von Golgatha
grüßt in ernstem Schweigen.
Mörder des lebendgen Worts,
wie vor tausend Jahren
wird es doch aus Grabeskluft
siegreich aufwärts fahren?
Nimmer hat Gewalt und Tod
noch das Wort bezwungen,
das vom Geist empfangen ist
und aus Gott entsprungen.
Laß, mein Volk, die Finsternis
deinen Fuß nicht irren:
einmal muß des Lichtes Pfeil
durch die Wolke schwirren –
und ein Auferstehungslied
sollst du freudig singen,
wenn im freien deutschen Land
Osterglocken klingen!

[238] Pfingsten

O du sonnige, wonnige Pfingstenzeit!
Der Himmel ist blau und das Herz so weit,
in der Brust ein freudiges Glühen –
und die Knospe springt und die Hülle fällt;
der Odem des Frühlings durchweht die Welt,
und die Rosen wollen blühen.
Vom ragenden Dome der Glockenschall,
im knospenden Flieder die Nachtigall,
auf der Lippe ein Lied entglommen,
das dich, du bräutliche Erde preist,
und dich, der Pfingsten heiligen Geist,
der über die Welt gekommen!
Und was auch die Seelen in Bande schlug,
der Dogmen Zwang und der Formeln Fluch,
zerschmilzt in lodernden Flammen:
vom ragenden Dome der Glockenklang,
im blühenden Laube der Vogelsang, –
wie stimmt das so köstlich zusammen!
Der Lenzwind braust; doch woher er weht,
ihr wißt es nicht, noch wohin er geht.
Frei stürmt er daher und von dannen –
und ihn, der jegliche Fessel reißt,
den starken, freien, den heiligen Geist,
ihn wolltet ihr halten und bannen?!
[239]
Verlorene Müh! Er ist frei, ist frei! –
Den Harten und Stolzen geht er vorbei,
die lieblos, was schwach ist, verdammen;
unsterbliches Leben entlockt er der Gruft, –
und wo ihn ein Herz in Demut ruft,
da füllt er's mit heiligen Flammen.
Die duftenden Birken tragt herbei,
daß bräutlich geschmückt eure Wohnung sei
und in Liebe das Herz entglommen, –
die Tür macht auf und die Tore weit:
du trostvoll heilige Pfingstenzeit,
sei aller Welt willkommen!
[240]

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TextGrid Repository (2012). Müller-Jahnke, Clara. Wach auf! Soziale Lieder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5414-2