Zehntes Lied

Erwacht war König Geltar auf seiner Lagerstatt kaum,
So wendet er hastig den Blick nach allen Seiten,
Ihn hatte gefoltert so eben ein unheilschwangrer Traum,
Sein zornerhizter Sinn zeigt ihm darin von Weiten
Ein scheußlich Drachenbild, deß Antlitz und deß Haar
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Rhin, dem Verwegenen, vollkommen ähnlich war.
Er kniete vor Luitberta, hätt' in die Harfe gesungen,
So lieblich, als sey gelandet er aus der Meerfrauenschaar.
In Geltars Busen hätt' er den tobenden Zorn schon bezwungen,
Doch auf einmal, bevor man noch gewahrt Gefahr,
Fast räubrisch sie der Drach, hält mit dem Schweif sie umschlungen
Vor seinen Augen zu entführen sie,
Indeß die Hände ringend, Luitberta um Beystand schrie.
Wie schnell nun er hingeeilt, mit dem Ungeheuer gerungen,
Dicht vor der Höhle, wohin es mit dem Raube sich wand,
Daß blutig der Schweiß ihm entfloß. – Doch ob sie zu erretten
Gelungen ihm sey im Traum, im Zweifel noch stand.
Ihm schien als halte fest ihn eine Riesenhand,
Gefesselt war seine Kraft mit unsichtbaren Ketten –
Da wird sein Auge wach, erblickt den Leichenthron – –
Er springt lautschreiend auf! – So eben war getreten
Auf das Geräusch nun näher der Oberkämmerer schon,
Den fasset er ergrimmt im Taumel seiner Sinnen;
Er hält ihn vor den Räuber. – »Verruchter Unheilssohn!
Halt ich dich endlich fest? Der Hölle bittersten Lohn
Magst du, rief knirschend er, für deine Unthat gewinnen.«
Der Kämmrer war verloren, eilt' auf sein Angstgeschrey
Nicht Böses ahnend, schnell die Dienerschaft herbey;
Doch mit dem Leben kaum, gelangs ihm zu entkommen.
Die Großen und Weisen des Hofs vereinten sich nun im Kreis
Um ihren kranken Herrn, beflissen zur Ruh ihn zu bringen;
Doch ward bey diesem Geschäft den wackern Männern heiß;
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Er achtete vor nichts ihren Zuspruch, ihren Fleiß
Ihn zu beruhigen; es wollte keinem gelingen.
»Verräther, die ihr mich umgebt, mit meinen Feinden vereinet,
Verweigernd mir die Tochter, mir schändlich sich verneinend,
Rief Geltar mit stärkerm Grimme, ich will euch bald bezwingen –
Saht ihr nicht selbst des Meuchlers falsche Schlingen?
Und hörtet von seiner Zunge den Unheil bringenden Schall?
Den Pfeil meiner Rache sollt ihr fühlen, all' ihr Elende!
Ein gleicher bittrer Tod soll euch ergreifen all',
Wenn meines Herzens Kleinod ihr nicht herbeyschaft behende.
Und müsste ich zu ihr hin durchbrechen von Speeren einen Wall,
Und müsst ich zu ihr reiten bis hin an der Welt Ende,
Ich wag es, bey meiner Krone! Zeigt an die Höhle mir gleich,
Wo sie der Räuber verwahrt. Mein ganzes Königreich
Setz ich daran. – Doch – seyd ihr feig,
Seyd ihr von Stein, daß alles hier um mich schweiget? –
Mein Leben, ich schwör' es hoch, setz ich sogleich daran,
Hier schlägt ein Vaterherz – – und laut schluchzt der gebeugte Mann –
Die Tochter gebt mir zurück, bevor ihr Rosenmund erbleichet,
Des Athems warmer Hauch der Lilienbrust entweichet.
Von Mitleid tief gerührt, winkt stumm der edle Kreis,
Das rechte Trosteswort weiß keiner schnell zu finden;
Auf mancher Stirn steht der schwersten Sorge Schweiß –
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Nur Harold Wallmuth wagts, ein frommer alter Greis,
Durch sanfter Rede Sinn des Königs Zorn zu binden.
Fromm mahnt er ihn, wie jede Schickung man zum Preis
Des Höchsten und zum Wohl der Menschen wenden müsse;
Denn zu durchschaun der Vorsicht Weisheitschlüsse
Sey Menschenaug' zu schwach; – auch ich war, fuhr er fort
Mit Seufzen, Vater einst; zwey edle, tapfre Söhne
Erfreuten meinen Blick – Verzeiht, wenn eine Thräne
Aus meinem Auge bricht bey diesem Schmerzenswort –
Verrath hat sie gefällt – nah bey dem Erlenbache,
Wie Euch und Welt bekannt. Die Thäter bargen sich
Ins Rheinthals dunkeln Wald. Den Aufenthalt wusst' ich;
Leicht wärs gewesen mir, zu sätt'gen meine Rache
An ihrem Blut. Doch nein! Ich überließ es Gott,
Dem höchsten Richter, ganz. Und ob mich gleich der Spott
Der Welt oft traf darum, hat dennoch nie erreget
Der Entschluß Reue mir. Ich hielt ihn fest. – Beweget
Fühlt bey des Greises Stimme der König tief die Brust,
Beklommen schreitet er, wohl selber unbewusst
Wohin? schnell durch des Schlosses weite Hallen,
Voll Sorge folget ihm das Häuflein von Vasallen,
Zum nahen Hügel hin. Hier steht von allem Troste baar
Der gramgebeugte Greis. Er schaut umher, da stellen
Eilf Jünglinge sich dar,
Gesammt all' wackre Streit- und muntre Jagd-Gesellen
Des bannbelegten Rhins; sie führen wohl mit sich
Des Königs Silberhorn, den Speer des Dieterich,
Des Kronmarschalls, des Kanzlers blankgeschliffnen Degen,
Sammt goldbeschlagnem Schild, die jüngst erbeutet Rhin,
Als man umrungen ihn. Die Waffen alle legen,
Gebeugt in stummen Leid, zu Geltars Füßen sie hin:
Den ihr geächtet, Herr, verfolgt auf jedem Tritte,
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Schickt dieß voll Demuth Euch, mit seiner lezten Bitte,
Daß ihr ihm verzeihet im Tode! Erblichen ist
Der Lebensmüde jezt. – »Sprecht ihr mit Hinterlist?«
Ruft Geltar laut, und bebt zurück zween Schritte
Bey dieser Trauerpost. Gesteht die Wahrheit ein!
Der Drache Rhin, den ich zerschlug mit schwerem Stein,
Der ist nicht mehr? Zeigt an das wilde Haupt, die Krallen,
Die scharfen Zähne! Zeigt an wie meuchelnd er gefallen.
Gern mag mans wissen doch.« – Herr, euer Zorn allein,
Und eures Kindes Tod gebahr'n ihm diesen Kummer;
Er aß und trank nicht mehr, bis er in Seelenpein
Und finsterm Gram verschied, am Fels im Birkenhain.
Sein lezter Seufzer war, zu fleh'n euch, daß im Schlummer
Des Todes ihr gewährt ein Wenig Erde ihm nur,
Zu decken seinen Leib – mit ihm zugleich die Spur
Von seinem Daseyn. Hört die Bitte! denn wir haben
Ihm heilig zugesagt, zu tragen euch sie vor.
Nicht unbarmherzig verschließt, Herr König, euer Ohr;
Vergönnt, daß in der Still, den Leichnam wir begraben,
Damit zerhacken ihn nicht die Schnäbel scheuer Raben.
»Begraben? Mich? ruft Geltar zornig aus,
Mich, der mit einem Schlage gelähmt ihm beyde Flügel,
Daß vor der Sonne, vor des Mondes trübem Spiegel,
An seiner Höhl er liegt, gestrecket hin mit Graus.
Frisch auf!« – Ins Silberhorn stößt er, daß fern vom Hügel
Es dreymal wiederhallt. Doch da er stets voraus
Mit Wahnsinnsjubeln dringt, gewahrt er, wie von Weitem
In langem weißen Zuge die Jungfraun herwärts schreiten,
Vom Leichenfest zurück, dem Hügel näher zu.
Entfernt lag weit der Ort, wo sie gebracht zur Ruh
Luitbertens holden Leib. Der Anblick schreckt ihn nieder,
Ein Todesschauer bebt durch alle seine Glieder,
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Sein heller Sinn erwacht, doch auch in gleichem Nu,
Der wilde Gram um den Verlust der Tochter wieder.
»Ich weiß, woher ihr kommt, ruft seufzend Geltar jezt
Dem Trauerzuge zu. Ich werde nicht mehr schauen
Die Lieblichste. Ihr habt – muß ich dem Anblick trauen,
Der Erde schon – gesteht's! – die Theure beygesezt.« –
Ja, armer Vater, ja! von Mitleidsthau benezt
Ruht eurer Tochter Leib; hoch in des Himmels Auen
Ergeht nun wonnevoll in lichter Englein Schaar
Sich ihre reine Seel', vor Gottes Augen klar.
Nun störet nicht, o Herr, durch euern Gram hienieden,
Den süßesten Genuß von ihrem Himmelsfrieden.
»Sie ruhe sanft, schluchzt hier, und starret vor sich hin,
Der greise Vater; Ach! für mich ist Alles nun entschieden
Auf immer!« – Zähren thaun auf sein bereiftes Kinn;
Bang blickt er um sich her, es schweben
Die Bilder der Vergangenheit um seinen trüben Sinn:
Wie glücklich einst, in frischem Jngendleben
Sein Busen schlug, als Vater, als Gemahl,
Vom Kreis der Kinder samt der Mutter froh umgeben –
Und jezt so ganz verwaist! – »Hätte ich doch können heben,
Seufzt er bey sich, so leicht Rhin in der Fürsten Zahl,
Mit einem Wort ihn retten, mir erhalten
Die Tochter, und durch sie noch einen tapfern Sohn
Gewinnen mögen. O daß ich in Thun und Schalten
So rasch noch immer bin! Jezt ernte ich zum Lohn
Der Feinde Spott.« – Voll Zorn schlägt er an seine Stirne und wendet
Zu Rhins Gefährten sich: »Hat einer von euch mir
Die Nachricht nicht gebracht, als habe Rhin geendet
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Den Lebenskampf?« – Ja, Herr, er starb nicht weit von hier,
Verzehrt von bitterm Gram, erwiedern diese, wir
Berichteten euch dieß. Nehmt, Herr! den Bann, den herben,
Im Tode von ihm ab, erlöst ihn aus der Acht!
Er hatte lebensmüd' in der vergangnen Nacht
Gefordert mit dem Horn, um sichrer zu erwerben
Verzeihung, dreymal euch, zur scharfen Rache-Schlacht;
Freywillig wollte er von euren Händen sterben.
Auf des Baches moosigem Fels sein schöner Leib jezt ruht,
Die gold'nen Locken küsst die vorübereilende Fluth.
Vergönnt, daß wir den Leichnam still begraben,
Damit zerhacken ihn nicht die Schnäbel scheuer Raben.
Gelehnet kummerschwach an des Kronmarschalls Speer,
Steht seufzend Geltar da; ein tiefes Schmerzen-Meer
Durchwoget seine Brust, allmählig steigt sein Zagen,
Kaum noch vermag die Zung' die Worte vorzutragen:
»Gebeuts das Schicksal selbst? Soll ich nicht grausam seyn?
Des Schwures schweres Gewicht, soll ich zurück es nehmen?
Todt ist er ja. – Soll ich mein Herz bezähmen?
Das Drachenhaupt – es grinst, es ruft wild schüttelnd: Nein!
O wehe, weh! wer lindert des Herzens schärfre Pein?
Wohin soll ich mich retten auf morscher Lebensbrücke?
Dahin ist sie, und Er – Mein Licht in Finsterniß verwandelt –
O thörigt, grausam hab' ich an mir selbst gehandelt.«
»So geht! bestattet den euch Theuern, zur Erde nur;
Genommen sey für heute und alle künftige Zeiten
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Von seinem Haupt der Bann; gelöst der Rache Schwur
Und aller Schuld er los. – Wer wird mich künftig leiten,
Mich Hoffnungslosen an die Gruft? – Ach, halte ein,
Luitberta, theures Kind! laß nicht den Vater allein! –
Nein! schwebe nur voran! bald werd' im Tod ich dich begleiten.«
Von Mitleid tief bewegt, gehn Rhins Gefährten von dannen,
Zurück zur Stelle, wo des Freundes Leichnam lag.
Und als der Morgenstern verkündet den nächsten Tag,
Verhüllten sie liebreich ihn in Leinwand, und begannen
Sogleich die Trauerfeyer; dem leisen Harfenschlag
Vermählend leisen Gesang. In frommen Zuge tragen
Durchs grüne Thal sie ihn, bis nahe zum Ufer am Rhein,
Dort an des Waldes Saum beym Thurm vom alten Hagen,
Wo Rhins Voreltern ruh'n, da senken unter Klagen
Und schweren Seufzern sie ins tiefe Grab ihn ein,
Und wälzen auf seinen Hügel einen schweren Felsenstein. –
Hier enden sich von Rhins und Luitbertas Liebe die Sagen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Gedichte. Nachlese. 24. Zehn Lieder von der Liebe Rhins. Zehntes Lied. Zehntes Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-517D-C