Friedrich (Maler) Müller
Golo und Genovefa
Ein Schauspiel in fünf Aufzügen

Personen

[5] Personen.

    • Siegfried, Pfalzgraf.

    • Schmerzenreich, dessen Sohn.

    • Golo, Ritter von Drachenfels.

    • Adolf, Ritter von der Linde, Schloßhauptmann in Pfälzel.

    • Wallrod, Graf von Sponheim.

    • Bernhard,
    • Ulrich,
    • Carl, , Brüder, Rheingrafen.

    • Dragones, Hofdiener zu Pfälzel.

    • Adam, Hofgärtner daselbst.

    • Brandfuchs, Gärtnerjunge.

    • Heinrich, Chirurgus.

    • Erwin, Baumeister.

    • Christoph, Siegfrieds Knappe.

    • Steffen, Reitknecht der Gräfin Mathilde.

    • Ein Herold.

    • Ein Arzt.

    • Ein Mönch.

    • Zwey Mörder.

    • Genovefa, des Herzogs von Brabant Tochter, Siegfrieds Gemahlin.

    • Mathilde, Wittwe des Grafen von Rosenau, Adolfs Schwester.

    • Julie, Adolfs Tochter,
    • Anna von Trauteneck, , Gesellschaftsfräulein der Genovefa.

    • Margrethe, Adams Frau.

    • Christine, Mathildens Kämmrerin.

    • Kammerfrau der Genovefa.

    • Ritter, Knappen, Wächter, Jäger, Bediente, Frauen, Volk.

    • [5][7]

1. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Mitternacht. Schloß Birkel.
Graf Bernhard, Knechte und Soldaten draussen vor dem Thor.

BERNHARD.
Stärker! Schlafen drinnen wie die Ratzen.
KNECHT.
He da, drinnen! Wacht auf! He, Thorwächter!
WÄCHTER
von innen.
Wer klopft draus?
BERNHARD.
Geh' hin, du, sag' ihm, wer ich bin, und frage, ob sein Herr wach ist.
[7]
SOLDAT.

Graf Bernhard ist da mit seiner Mannschaft, reiten alleweil nach Pfälzel 'nüber zu Graf Siegfried, mit dem wir gen Frankreich wider die Mohren ziehn, wollten's im Vorbeyreiten euerm Herrn zu wissen thun, daß er aufbreche, und mit seiner Mannschaft uns sogleich nachkomme.

WÄCHTER.

Schön Dank, ihr Herrn. Reitet in Gottes Namen voran, will's meinem Herrn Ulrich zu wissen thun, sobald er am Tag' erwacht; hat sich vor einer halben Stunde erst nieder gelegt, waren heunt draussen auf der Wolfsjagd.

ULRICH
oben am Fenster.
Was gibt's da drunten?
BERNHARD.
Ulrich, auf! Es ist dir hohe Zeit.
ULRICH.

Du, Bruder Bernhard? Dacht', wir zögen erst nach Tages Anbruch. Willt du drunten ein wenig anhalten? Bin dir dann gleich mit den Meinen fertig. Carl! Ist Carl da?

BERNHARD.
Der ist schon eine halbe Stunde voraus gejagt.
[8]
ULRICH.

Nun ja, bey lieb Julchen recht gemächlich Abschied zu nehmen. Die liegt unserm Bruder nun schwer am Herzen.

BERNHARD.

Jagte ihn dießmahl selbst voran, Alles drüben in Pfälzel aufzustöbern, damit wir nicht zu lang halten dürfen, wenn wir dort ankommen.

ULRICH.

Es war nicht noth; Siegfried hält heunt noch Landrath, ist Alles rege und munter. Was Neues, Bruder! Golo reitet nicht mit im Zuge.

BERNHARD.
Warum nicht?
ULRICH.
Kann dir's wahrlich nicht sagen, schützt Unpäßlichkeit vor.
BERNHARD.
Ist das ganz gewiß, daß er nicht mit reitet?
ULRICH.
Kann dich's versichern, Bruder.
BERNHARD.

Der Herzog von Schwaben hat ihn erst zum Hauptmann bey seinem Trupp ernannt; wie ist das? Mathilde hat ihm die Stelle ausgewirkt.

[9]
ULRICH.

Bruder, es schien mir auch unbegreiflich, als ich's gestern erfuhr, aber es ist dir nichts gewisser, er bleibt in Pfälzel zurück. Vetter Siegfried überträgt ihm während seiner Abwesenheit alle Landesgeschäfte daheim zu regiren und zu führen.

BERNHARD.

Vetter Siegfried hebt den Jungen immer hoch. Solch einem Gelb-Schnabel die Verwaltung seines Landes! Wußt' er denn keinen Bessern zu finden? Wünsche, daß es ihn nie gereue. – Hurtig, Bruder, damit wir nicht wie die Trenntler kommen. Angeschickt! Frisch! Laß aufblasen! Vor'm Thor vor Pfälzel erwart' ich dich, unten im Wiesenthal stößt der ganze Zug zusammen.

ULRICH.
Will euch bald dort einhohlen, zieht immer voran.
BERNHARD.
Adjes ein Weilchen. Ab mit seinen Leuten.
2. Szene
[10] Zweyte Scene.
Pfälzel. Nach Mitternacht. Zimmer im Schloß.
Julie auf dem Stuhl schlummernd, Anne die Laute spielend.

ANNE.

Ob's gewiß ist, daß Golo bleibt? singt und spielt.

Stille dich an sanften Klagen,

Herz, das ewig Kummer drückt!

Was dir könnt' die Schmerzen lindern,

Was dir könnt' dein Leid vermindern,

Hat das Schicksal dir entrückt.

Willt du dich vergebens plagen?

Sich an schroffe Felsen wagen,

Hofnung suchen, die uns flieht,

Heißt sich an die Fessel schlagen,

Die uns in's Verderben zieht.

Ist Zeit, daß ich jetzt Julchen wecke. Thut mir leid, ihren süßen Schlummer zu stören. Sie kann ja ein andermahl mehr schlafen. – Auf, Bäschen, auf, Julchen! – Wie fest! Glückliches Mädchen, einen Geliebten hast du, und kannst doch so gesund und ruhig schlafen. He! Auf!

JULIE.
Wer weckt mich?
[11]
ANNE.
Schlafmützchen! Bäschen, auf, geschwind! Genovefa hat schon nach dir gefragt.
JULIE.
Ey wie, die Gräfin ist ja erst nieder gelegen.
ANNE.

Du träumst. Die Gräfin, wie soll die? Merkst du denn nicht, sie ist ja so unruhig über ihres Gemahls Abschied, möchte gern ihren Eheherrn mit in diesem Zug begleiten.

JULIE.
Da weiß doch der Graf nichts von?
ANNE.

Sie fürchtet sich, es ihm zu offenbaren, fürchtet Siegfrieds abschlägige Antwort, das kümmert sie eben. Die arme Dame, ich kann's ihr nicht verdenken. An ihrer Stelle, einen lieben jungen Gemahl in fernen Krieg hinein, o Himmel, ich würde vergehn! Julchen, sieh, dein Vater kommt schon da, und Carl, Abschied bey dir zu nehmen; hätt' ich's zugelassen, sie hätten dich schlafend gefunden, und dir nachher Stichelreden gegeben.


[12] Adolf, Carl.
ADOLF.

Guten Morgen, lieben Kinder. Julchen, bringe dir da Carl'n, macht's klug, gebt jetzt einander die Hände, und somit Adjes, das lange Wimmern hilft doch zu nichts Weiterm. Carl muß nun einmahl in den Mohrenkrieg hinaus mit Siegfried, seinem Lehnsherrn, in einer Stunde geht's fort, sie warten nur noch auf Siegfried drinnen. – Was gibts denn da drunten wieder? Geht an's Fenster. Komme gleich! – Muß jetzt überall nachsehn, damit's beym Aufbrechen nicht irgendwo fehlt. Hurtig, Carl! – Guten Morgen, Bäschen Lautenspielerin.

ANNE.
Oheim, sind Carls Brüder, Bernhard und Ulrich, schon ankommen?
ADOLF.
Mit all' ihren Leuten drunten an der Wiese; die sind nie die letzten.
ANNE.
Wackre Ritter in der That. Ritter Golo ist auch schon aufbrochen?
ADOLF.
Der sitzt beym Landrath drinn, bleibt hier in Pfälzel zurück.
[13]
ANNE.
O nein, es ist nicht möglich!
ADOLF.
Hm, werde doch wissen, was ich sage. Ab.
ANNE
vor sich, auf und ab.
Hoffe, Anne, hoffe! O Liebe! O Glück! Was wollt ihr mit mir?
JULIE.
Das Alles, Carl, was du mir jetzt noch zu sagen hast?
CARL.

Alles für diesen Moment, das Uebrige weißt du doch von selbst; Adjes denn mitsammen, liebe Liebchen, auf baldiges glückliches Wiedersehn! Bäschen Anne, ich hoffe, ihr werdet während meiner Abwesenheit etwas von eurer Sprödigkeit nachlassen, und euch wie andre gute Mädchen auch auf's Baldigste dafür zur Liebe bequemen; es ist besser, als immer so still und in sich selbst verschlossen seyn, fragt 'mahl Julchen.

ANNE.
Bin ich denn eine Männerfeindin, daß ihr mir dergleichen Lehren gebt?
[14]
CARL.

Pfui Bäschen, affektirter Ernst paßt zu eurem Gesichtchen nicht. Fein artig beym Abschiednehmen, und nicht gleich schnippisch, Fräulein Langnäschen.

ANNE.
O wie artig, galant!
CARL.
Und doch Alles liebe simple Natur.
ANNE.

Wär's möglich? Solche Natürlichkeit bringt euch Rittern Ehre. Die Herren haben zwar jetzt den Gebrauch, gewisser feinen Ungeschliffenheiten auf's Nachlässigste sich gegen Damen zu bedienen, was sie Alles so mit dem leichten Nahmen einer unromanesken Natürlichkeit schminken, oder vielmehr eine edle Nonschalanz zu taufen belieben; Vernünftige sehn darüber weg, weil's doch einmahl so Mode geworden.

JULIE.
Pfui! Jetzt zu sticheln!
CARL.

Sie gefällt mir, wenn sie ein wenig eifrig wird. Bravo! Könntet Ritter Golo'n künftig im Gouvernement [15] hier beystehn. – Adjes, Julchen, Annchen, empfehl' euch einander, und mich in die Mitte eures lieben Andenkens. Nicht weiter böse!

ANNE
lächelnd.
O nein! Giebt die Hand. Hier!
CARL.
Adjes, liebe Dicke.
JULIE.
Kein Wörtchen weiter, lieber Carl?
CARL.

Julchen, dein Vater schmählt, wenn er wieder zurück kommt, und uns noch beysammen hier antrifft. Weine nicht, Julchen, liebes Herz, geh' ja nicht aus der Welt hinaus, gehören einander zu. Laß mich munter reisen, weil ich doch reisen muß. Siehst du, beym schönen Nachbar dort über uns, der jetzt so lieblich zum Fenster herein zu uns herschimmert, er weiß Alles, er hat uns schon manchmal so beysammen ertappt, es bleibt dabey, bey Allem, was ich dir so vielmahl beschworen.

JULIE.
Ach! daß ich dich so lange Zeit nicht sehn soll!
[16]
CARL.
Was thut's? Die Zeit läuft vorbey, Liebchen, nachher ist's wie 'ne Minute.
JULIE.
Ja, wenn's vorbey ist.
CARL.
Adjes.
JULIE.
Wart' doch noch ein Augenblickchen, bis ich dir Lebewohl gesagt.
CARL.
Geschwind, Julchen, ich muß eilen.
JULIE.
Eil' nicht so, ich bitte dich, es ist ja noch Zeit, mein Vater wird schon rufen.
CARL.
Wolltest du mich nicht selbst fortjagen, wenn ich etwa länger verweilte?
JULIE.
Gewiß nicht.
[17]
CARL.
Ist nicht heroisch, Julchen.
JULIE.
Ich denke daran nicht.
CARL.
Gib mir einen Abschiedskuß, Liebchen.
JULIE.
Wie soll ich? Ich weiß nicht, wie man küßt.
CARL.
Die Liebe wird dich's lehren, – so – Küßt sie.
JULIE.

Unsre Base dort, gemach! O Lieber! Du Lieber, bis ich dich wieder sehe, wird kein Trost dieß Auge erheitern.

CARL.

Nicht immer getrauert! Wie gesagt, denk' an meine baldige Zurückkunft, so wird dir der Abschied leichter. Trompetenstoß. Zum Aufbruch! Adjes, adjes, muß zu meinen Leuten hin. Sie laufen zusammen und küssen sich. Adjes! Ab.

[18]
JULIE.
Carl, lebe wohl! Lieber Carl! – O Maria, Jungfrau rein, halte ihn in deinem Schirm!
3. Szene
Dritte Scene.
Schloß-Saal.
Genovefa, auf einem Stuhl sitzend, Mädchen bringen Siegfrieds Waffen.

MÄDCHEN.

Seht, wie schön hell eures Gemahls Waffen jetzt glitzern, die Augen vergehn einem drüber weg, wir haben's mit allem Fleiß polirt.

GENOVEFA.
Recht schön. Habt ihr auch Alles so um's Weißzeug besorgt, wie ich's euch befohlen?
MÄDCHEN.
Alles so, gnädige Frau.
GENOVEFA.

Erinnert mich, wo etwas mangeln sollte am Reisegeräthe. Seht ihr selbst nach, mir steht der Kopf so [19] schief, daß ich kaum Geringste zu denken vermag. Macht jetzt, damit Alles bald fertig ist in guter Ordnung, die Aufbruchstunde rückt heran. Tragt diese Waffen in's Schlafgemach hinüber, legt sie auf mein Bett. Ihr wißt, das Kästchen mit Balsam und stärkenden Wassern, die ich jüngst verfertigt; bringt's auch dorthin.

MÄDCHEN.
Nach euerem Befehl. Ab.
GENOVEFA.

Er wird mir's nicht erlauben, und mein süßester Trost wär' es doch, mit ihm zu ziehen. Aber ich darf ihm doch wenigstens mein Verlangen sagen, ich such' ihn ja nicht von diesem Feldzug abzuhalten, nein, ich möchte nur mit ihm seyn, und das ist doch eines guten Weibes Recht, auch am wenigsten da ihren Gemahl zu verlassen, wo Gefahr und Tod ihm drohen. Wenn er verwundet aus der Arbeit der Schlacht kehret, wer soll ihn pflegen? Es ist doch meine Pflicht, das zu thun, ich will meine Kleinodien nicht fremden Händen anvertrauen, daß Andre für seine Ruh' und Bequemlichkeit sorgen sollen, oder gar seinen edeln Leib berühren. Ach nein! Und wer sorgt auch treuer als eine liebe Gemahlin? Wer kann's für ihn thun, wie ich es thue?


[20] Adolf mit Knechten, die Sattel und Zeug und Gewehr tragen.
ADOLF.
Links hinauf!
GENOVEFA.
Die Stunde so nahe! Mir wird's ganz unruhig, eng. Steht auf. Adolf.
ADOLF.

Nu, rennt doch nicht mit den Lanzen an die Mauer! Gebt doch Achtung! Macht, daß Alles beym letzten Zusammenblasen fertig ist; auf mich kommt die Schande, wenn's wo fehlt, mein Treu, will mich dafür wieder an euch erhohlen. Voran! – Wie, gnädige Frau? Man sieht nicht recht, es geht jetzt Alles so drüber und drunter, ist man nicht rechts und links dran, zieht alles auf der Schneckenpost. He voran!


Andre Knechte mit Waffen.
GENOVEFA.

Ich bedaure euch, ihr habt recht viele Müh, ihr nehmt's euch zu eifrig an für euer Alter. Der Landrath dauert so lange drinnen, die Aufbruchstunde ist so nahe. Lieber Adolf, wenn's so währt, werd' ich kaum meinem Gemahl Adieu sagen können.

[21]
ADOLF.

Ich ging drinnen weg, als euer Gemahl eben Golon die Regirung seines Landes übertrug. – Gebt Acht auf die Riemen an den Sätteln, nichts verschleudert! Frisch! Munter! Du Bärenhäuter, kannst mehr nicht als eine Lanze auf einmahl nehmen? Fort! – Gnädige Frau, Siegfried euer Gemahl kommt, der Landrath ist zu Ende. Ab.


Siegfried, Golo, Gericht und Räthe.
GENOVEFA
vor sich.
Daß ich's ihm nur recht an's Herz sagen könnte!
SIEGFRIED
nimmt Golo bey der Hand.
Denk', du seyst mein Bruder, so ist Alles in Ordnung, wie du denn auch in der That mein Bruder bist.
GOLO
hängt an seinem Halse.
SIEGFRIED.

Du hast Niemand anders Rechenschaft zu geben, als mir allein, wie du es machst, will ich es gemacht wissen. Kraft dessen übergebe ich dir hiemit Ring und Siegel.

[22]
GOLO.

Ich weiß dir nicht zu danken, es stockt mir hier am Herzen, es kann nicht herauf. Zu viel Vertrauen, lieber Siegfried, ich bin zu geringe.

SIEGFRIED.

Still! Wir wollen nicht heut anfangen, einander durch Complimente fremd zu werden. Gib Acht auf deine Gesundheitsumstände, das ist das Einzige, was ich dir befehle: was mein Interesse anbelangt, das wirst du von selbst auf's Beste besorgen.

GENOVEFA.
Mein Gemahl!
SIEGFRIED.
Liebe Genovefa! – Nun, ist's Frühstück fertig?
GENOVEFA.
Nach deinem Befehl.
SIEGFRIED.
So laßt uns hin, Freunde. – Was willt du, Genovefa? Was begehrst du, mein Liebe? Was fehlt dir?
[23]
GENOVEFA.
Laß mich mit dir ziehen, Siegfried, ich bitte dich drum.
SIEGFRIED.

Wie? In den Mohrenkrieg mit? Wie dürft' ich so was wagen? Schatz, nein, das geht nicht, darf nicht seyn.

GENOVEFA.
Ey warum denn? Meyne doch, es dürfte gar wohl.
SIEGFRIED
bey Seite.
Meinen Schweisfuchs parat! Sollen zum Aufsitzen blasen! Knecht ab.
GENOVEFA.

Ich denke vielmehr, es wäre ja meine Pflicht so. Siegfried, ich kann's dir nicht Alles sagen, aber ich meyne doch, es wäre sehr gut, könnt' ich bey dir seyn.

SIEGFRIED.
Schone mein Herz. Liebe, es kann nicht seyn.
GENOVEFA.
Kann nicht?
[24]
SIEGFRIED.
Nein, Liebe.
GENOVEFA.
Gar nicht?
SIEGFRIED.
Wie ich sage.
GENOVEFA.
So will ich mich hier gedulten. Zieht in Gottes Namen hin.
SIEGFRIED
küßt sie.
Kommt, Freunde, zum Frühstück. Komm, Liebe.

Alle ab.
GOLO.

Was hab' ich gehört? Sie mit in's Feld? Ha daß ihr's doch Siegfried gewährte! –Wie wäre mir? – Ich glaube, mir wäre dann auf einmahl wieder wohl, gesund und stark, und zöge ihr bald nach. Dort könnt' ich mich zeigen! O Sonne! Was für ein Leben! Wenn Kampfrosse an Kampfrossen stöhnten im Getümmel der Schlacht, wie in Oceans Stürmen ich mich vor ihr verlöhre, vor ihren Augen den Preis zu erlangen! [25] Der Ruhm liegt zu ihren Füßen und sie schreitet stolz wie eine Göttin darüber hin. O ginge sie doch mit dahin! Ich flög' ihr bald nach wie ein Adler des Himmels, nach über Berg und Thal!

4. Szene
Vierte Scene.
Wiesenthal von Pfälzel.
Bernhard, Ulrich, Knechte, Soldaten.

ULRICH.

Das Morgenroth bricht dort schön am Mühlberg herauf. Walt's Gott, wir bekommen heute schön Wetter zur Reise.

BERNHARD.

Das Wetter wäre gut genug, wenn die droben auf dem Schlosse nicht so lange trentelten. Was Teufel, hält die noch? Dumm, einfältig Harren hier, thut unsern Pferden nicht gut so lang im Wiesendampf. Ist schon Vier passirt.

[26]
ULRICH.
Bruder, es geht stark auf Fünf.
BERNHARD.

Werden unser vorgesetzt Nachtlager heut nicht erreichen. Es wär' gut, wir jagten einen Knecht hinauf, der sie herausgrunzte. Es ist mir, als wenn ich hier auf glühenden Kohlen säße.

ULRICH.

Sie werden jetzt nicht mehr lange säumen, der Tag bricht schon hell an. Sieh, da kommt ja schon Heinrich von Rüdesheim, den der Bischof von Trier Siegfrieden verliehen, uns als Feldarzt im Zuge zu begleiten.

BERNHARD.
Ein Schwätzer, wie Keiner zwischen Mosel und Rhein.
ULRICH.
Ein hübscher ansehnlicher Mann, groß und wohlgewachsen.
BERNHARD.
Schlingels genug.
[27]
ULRICH.

Hat vielerley seltne Schriften durchstudirt, auch Manches auf Reisen erfahren, von dem All er mit vielem Anstand spricht. Er wird uns durch seine angenehme Unterhaltung die Zeit den langen Weg über kurz machen.

BERNHARD.

Kurz und dick, wie ein alt Spinnweib ihren Hanf um den Rocken legt, damit wir's fein Fädenweis hernach wieder abrupfen. Bey dir ist nun einer gleich ein Gewaltskerl, wenn er nur die Hälfte was ist; der Kerl weiß dir Alles, nur das Rechte nie, was man just braucht.

ULRICH.

Mir zu Liebe, Bruder, schnarr' ihn nicht an. Heinrich tritt auf. Guten Morgen, Arzt, schon aus den Federn? Ihr beschämt manchen Rittersmann. Wie steht's droben? Wird der Graf bald aufbrechen?

HEINRICH
zuckt die Achseln.

Hm! Wollen's hoffen. Denke doch, es sollte jetzt wohl Zeit seyn. Unter uns gesagt, Siegfried ist ein junger, rüstiger Ritter, seine Gemahlin eine junge [28] Dame, in der schönsten Blüthe ihrer Jahre, kaum sechs Monatchen zusammen verheirathet! Es ist leicht zu begreifen, daß da das Scheiden ein wenig langsam geht. Nun, das wollen wir ihnen auch auf alle Fälle gelten lassen. Was übrigens das frühe Aufstehn anlangt, wovon eure Herrlichkeit zu sprechen beliebt, so sauer mich's in der Erst' auch ankommt, aber wenn ich mir einmahl ein Ding im Kopf recht festsetze, muß es nachher auch durch, koste es auch, was es wolle. Seit drey Stunden vor Mitternacht arbeite ich nun contitinuell in Siegfrieds Angelegenheiten hinter einander fort, es ist manchmahl auch eine Last, eine gute Faust zu schreiben, doch, es geht endlich noch so mit. Was wollt' ich doch sagen? Apropos! Es sind gestern Abend sehr spät wichtige Nachrichten von der christlichen Armee hier eingelaufen; habt ihr auch schon davon gehört?

ULRICH.
Nein. Was denn?
HEINRICH.
Will's euch gleich erzählen. Hm!Schneutzt sich.
BERNHARD
vor sich.
Wie wohl ihm ist, wenn er so ein recht Stück Plauderns vor sich hat.
[29]
HEINRICH.

Für's Erste sind allhier Nachrichten von Spanien und England eingelaufen, – doch, das sind Sachen, die nicht hieher gehören und meistens Familienangelegenheiten betreffen; auch noch ein andres aus Achen, das aber auch von keiner allzugroßen Erheblichkeit ist.

BERNHARD
geht auf und ab.
Narrenhaus!
HEINRICH.

Leeres Geschwätz, gründet sich etwa auf unsichre Vermuthungen, nämlich Folgendes: es soll eine Mohrenflotte an der nördlichen Küste von Frankreich zu landen suchen, um hernach von oben 'rein auf Paris einzudringen und so auf einen Streich diesem König reiche den Garaus zu machen.

ULRICH.
Das glaub' ich nicht.
HEINRICH.

Natürlich! Hm! Scheint die Aftergeburt irgend eines müßigen halbwitzigen Kopfes zu seyn, damit das Publicum zu amusiren. Da läßt man drum manchmahl [30] schon so einen Vogel am Schnürchen herumflattern. Wer nur ein bischen Geographie im Hirn hat und sich die Lage von Frankreich imaginiren kann, sieht gleich durch, daß dieß Project mehr Schwierigkeit zu überwinden in sich knüpft, als daß sich so leicht einer daran wagen sollte. Erstlich müssen sie, nämlich die Sarazenen, ganz Portugall und Spanien umsegeln, und dann riskirte der Mohr mehr noch von Klippen und Sturm, als von unserm gegenseitigen Widerstreite. Das ist aber nicht zu vermuthen, daß der Mahomedaner ein so unsicher Spiel wagen sollte; also wenig Wahrscheinlichkeit hier. Das Andre aber ist unbezweifelt viel wichtiger.

ULRICH.
So?
HEINRICH.

Kommt auch von zuverlässigerer Hand. Es sollen, laut eines Schreibens aus Paris, die Mohren von Spanien her bereits schon bis Montpellier vorgedrungen und überhaupt genommen der Zahl nach in die neunmahl hunderttausend Mann stark seyn.

ULRICH.
Neunmahl hunderttausend!
[31]
HEINRICH.

Neunmahl hunderttausend. Des Königs von Frankreich Macht hingegen soll sehr heruntergeschmolzen seyn und sich im gegenwärtigen Stand kaum in die vierzigtausend belaufen.

ULRICH.
Das wär' arg.
HEINRICH.

Ganz verflucht. Das ist auch die Ursach und der eigentliche Inhalt des letzten Schreibens des Königs Dagobert, an alle christlichen Mächte gesandt, mit eingefügter Bitte, ihm auf's Schleunigste mit allmöglichster Hülfe zuzueilen. – Auch hat der heilige Stuhl zu Rom jedem, der freywillig und aus christlicher Liebe sich zum Französischen Heere begibt, mildigst auf hundert Jahre Ablaß ertheilet, insofern er glücklich zurück kommt; und wer im Gefecht bleibt, dessen Seele fährt ohnehin von Mund auf in Himmel. Ueberall regt sich's nun hervor, des großen Gnaden-Schatzes theilhaftig zu werden, Muth und Tapferkeit florirt jetzt unter den Rittern, der Kern Deutschlands stößt nun zusammen, aus allen Städten, Schlössern, sieht man Ritterzüge, beharnischte Reisige, und auch wir Uebrigen vereinigen uns mit, es denen Bluthunden zu erschweren, deren ernstliche Absicht ist ...

[32]
ULRICH.
Gut, das wissen wir.
HEINRICH
schneller.

Absicht ist, die ganze Christenheit wegzutilgen. Der barbarische Riesenkönig, laut eines Schreibens, das ich jüngst von einem Capuzinerbruder aus Mayland empfing, und das gewiß höchst neu ist, der barbarische Riesenkönig also, der um des Sultans einzige Tochter freyt, hat seine Riesenehre zum Pfande gesetzt, allein in die Christliche Armee hinüber zu reiten, König Dagoberten mit eigner Hand den Kopf abzuhauen und den auf des Säbels Spitze als Brautgeschenk seiner Geliebten zu präsentiren; welcher grimmige Schwur die guten Franzosen mächtig erschreckt.

ULRICH.
Wieder was von diesem Riesenkönig! Wie groß ist der wohl? Weiß man seine Länge nicht?
HEINRICH.

Nicht eigentlich, es steht nichts genau im Briefe angegeben. Doch vermuth' ich, daß es wohl so ein Bursch von ohngefähr sechszehn, siebenzehn Französischen Schuhen sey; wie ich ihn mir vorstelle, mag er wohl so viel haben, vielleicht auch was mehr oder weniger, je nachdem ....

[33]
ULRICH.

Siebenzehn Schuh! Goliath im alten Testament hatte doch nur sechs Ellen und war doch so berühmt darum.

HEINRICH.

Hm, der war auch nur ein Philister. Philistäa liegt am gelobten Lande, hingegen die Barbarey der Zona torrida viel näher, um sehr vieles näher; wenn also einer Gabe zum Wachsthum hat und von Natur groß werden soll, so ist's leicht begreiflich, daß der Einfluß der nähern Sonne die fleischigen Theile, Musculi, – eine Muskel oder Fleischlappen theilt sich in drey Parthieen, Anfang und Ende heißen gemeiniglich Hornwächse oder Flechse, der mittlere Theil oder vielmehr Bauch, ist die eigentliche wahre Muskel, die in der Bewegung sich hebt und fällt, – vielmehr sag' ich, aufschwillt und die Knochen aus einander treibt, wie man dieß häufig an den Gewächsen und Thieren dasigen Landes beobachtet, die alle größrer Natur und von stärkerem Vermögen als irgend sonst wo anzutreffen sind.

BERNHARD
vor sich.
Wieder eins abgeladen.
HEINRICH.

Es muß curios aussehn, wie ich mir den Kerl so vorstelle, blank von Fuß bis zum Kopf in hellem polirten [34] Stahl, sein Schild wie zwey Thorflügel, wenn er so vor der Mohrenarmee hergeht, mit breitem Schwert und langem Schatten nach. Da mag nun Manchem bey solchem Anblick gewaltig die Courage unter die Beine fallen. Ey Teufel!

ULRICH.
Er mag ein tüchtig Schwert führen.
HEINRICH.

Wie ich mir's vorstelle, und anders kann's auch nicht wohl seyn, muß der Griff davon unumgänglich aus einem doppelten Elephantenzahn bestehn, vielleicht auch wohl aus eines Greifen Klaue, oder er mag auch wohl von gediegen gewachsnem Silber oder auch wohl von Kupfer oder Erz seyn. Hier käm's auf Dauer, Gewicht und Stärke der Materie eigentlich allein an. Doch glaub' ich immer, von Elephantenzahn, am meisten, weilenprimo der Elephant als das größte Erdthier am meisten Analogie mit einem Riesen hat, und pro secundo, weilen in des Sultans Lande, dessen Tochter er freyt, diese Thiere hauptsächlich in größerer Anzahl sich befinden. Die Klinge des Säbels aber mag nun aus gutem DamaseenerStahl bestehn, denn daß sie aus einem einzigen Demant geschliffen seyn sollte, wie man's in alten Ritterbüchern liest, daß es sonst Riesen gemeiniglich geführt, ist nicht wahrscheinlich; Pfiff, unmöglich, Wind, bloßer Dunst.

[35]
BERNHARD
vor sich.
Bruder, wirst trucken balbirt.
HEINRICH.
Weilen die Natur des Demants an und für sich selbst dem ganz widerspricht.
BERNHARD
vor sich.
Du guter Bruder!
HEINRICH.
Der Diamant wächst eigentlich in einer Schale, wie eine Nuß.
BERNHARD.
Jag' ihn zum Teufel!
HEINRICH.

Ohngefähr in dieser Dicke, und dicker nicht. Den dicksten und größten, der je gefunden worden, besitzt der Herr in Cathay, oder, wie man ihn gemeiniglich nennt, Priester Johannes; der ist oval rundlich geschliffen wie ein Schild, so groß ohngefähr, wie ein Straußeney.

[36]
ULRICH.

Schlimm ist's mit den Christen; viel der Bluthunde gegen uns, aber wär' auch ihre Zahl noch so groß ...

HEINRICH.

Was soll's? Mögen uns doch nie überwinden, noch weniger vertilgen, ja wären auch ihrer so viel wie Wellen und Sand am Meer.

BERNHARD
vor sich.
Schnappt dem wieder das Wort aus dem Maule, wie eine Schwalbe die Mücke aus der Ritze.
HEINRICH.

Hm! Gegen die Christenheit sollen und müssen sie doch noch verlieren. Gottes Recht ist's, für das wir Andre streiten; mit dem Gloriewappen, dem heiligen Kreuze, bezeichnet da fürchten wir nichts, fassen vielmehr ein stärkeres Vertrauen.

ULRICH.
Haben's auch.
HEINRICH.

Und wie! Laßt sie nur ankommen, sie sollen zurück prellen, zerschellen wie die Wellen am Fels. Hm! hm!

[37]
BERNHARD.

Wenn er nicht mehr spricht, greift er mit der Hand vor, immer noch den Discurs fest am Schopf zu halten. – Nun, da läßt sich doch einmahl ein Christenmensch sehn.


Adolf, Carl.
BERNHARD.
Ey Wetter! Wo bleibt ihr so lange? Was treibt Siegfried? Wir warten uns hier fast zu Narren.
CARL.

Bruder, Siegfried ist schon ein Weilchen in's Thal hinunter mit all' seinen Leuten, er ritt die hintre Pfort' hinab und empfängt drunten noch Freunde, die mit ihren Reisigen zu uns stoßen.

BERNHARD.
Wer?
CARL.

Brave Ritter aus der Pfalz und Schwaben. Unter ihnen zieht ein Gemmingen, Dalberg, Hacke und Berlichingen; Ehrenmänner und wackre Rittersleute.

[38]
BERNHARD.
Sollen mir lieb seyn. Brave Ritter sind überall willkommen.
CARL.
Sonst schlimme Nachricht, im Christlichen Lager soll's nicht zum Besten drein sehn.
BERNHARD.
Kommen wir dort an, werden wir sehn, wie's steht. Frisch! Ab.
CARL.
Ha! Ich freue mich recht auf diesen Zug!
ULRICH.

Ich nicht. Ich wollte, die Mohrenhunde wären alle, wo der Pfeffer wächst, mich schmerzt jedes Tröpfchen Christenblut, das ihretwegen vergossen werden soll. – Kommt, Arzt.

HEINRICH.

Reisen jetzt im März, hoffen ohngefähr so im Herbst wieder zurück zu kehren: also, April, May, Juni, Juli, August, September, Oktober, so in der [39] Mitte Novembris, – hm, acht volle Monathe. Nun, laßt uns voran. Aber wart, noch einmahl zu guter Letzt zurück sehn: Pfälzel, die grauen Thürme, dem dunkeln Thal über. Mir ist's leid, daß ich nicht eher daran gedacht, hätte sonst so was probirt, etwa so ein Abschiedchen in Versen; in meiner Jugend ist mir dergleichen manchmahl geflossen.

ULRICH.

Es ist auch so gut. Adjes, schön Pfälzel, Gott erhalte dich mit Allen, die in dir wohnen, gesund bis zu unsrer Wiederkunft. Adolf, lebt wohl, wir werden unterwegs brav Wasser antreffen, der Schnee liegt noch auf den Bergen. Ab mit Heinrich.

ADOLF.
Lebt wohl, lieber Ulrich. – Carl, hier ist da Letzte.
CARL.
Habt ihr mir noch was Weiteres zu sagen, so macht es jetzt kurz.
ADOLF.

Lieber Junge, du reitest jetzt zum erstenmahl hinaus, wirst menschlichem Ansehn nach mein Tochtermann [40] werden, wenn du anders auf zwey lebendigen Beinen wieder nach Hause kommst. Carl, sey jetzt brav, beweise deinen Stamm, mein Mädel ist dein mit Allem, was ich bin und habe. Was wollt' ich doch sagen? – Wie wird mir doch die Zeit so lang werden, wenn ihr jetzt 'mahl alle fort seyd.

CARL.
Golo wird schon sorgen und euch die Zeit vertreiben helfen, er liebt auch das Jagen, wie ihr.
ADOLF.
Der wär' der Rechte! Wird alle Tage unumgänglicher; weg, melancholische Leute sind mir zuwider.
CARL.

Hört ihr sie schon drunten ziehn? Jetzt jenseits hinauf. Lebt wohl, grüßt mein Julchen noch tausendmahl.

ADOLF.

Bey der wird's ein schön Geheul absetzen, ist mir bang auf die ersten acht Tage. Leb' wohl dann! Küßt ihn. Wenn ich dich in diesem Leben nur wieder seh'! Leb' herzlich wohl! – Ach, noch eins: daß du [41] mir Abends in der Herberge immer fein selbst nach deinem Rappen siehst, hab' dir ihn drum geschenkt, daß du ihn auch wohl hältst; Knechte sind oft saumselig beym Futtern oder gar tückisch, vertragen's dem einen und werfen's dem andern überflüssig zu, solch ein arm Vieh hat kein Maul zu begehren, wenn's am Abend zu kurz kommt und mit hungrigem Magen vor leerer Krippe steht; der Herr fordert am Tag' über doch streng die Arbeit. So was ist höchst gottlos.

CARL.

Sorgt nicht, daß ich meinen guten Rappen je einem Andern anvertraue; da dank' ich, fressen soll er aus meiner eignen Hand.

ADOLF.

Recht so, es bringt auch Freude und Liebe des Thiers zu seinem Herrn. – Apropos, so du eine gute Säbelklinge erwischen magst, nicht allzuschwer, so auf die Wolfsjagd, von gutem Damascener Stahl .... Sapperment! Wär' ich ein junger Kerl, zöge jetzt so mit aus gegen die Unglaubigen, da trachtet' ich nach des Sultans Kopf oder den Säbel müßt' ich erbeuten! Von so was spricht nachher die ganze Welt.

CARL.
Wer weiß, was 'mahl geschieht.
[42]
ADOLF.
Hilf Gott, Carl.
CARL.
Erbeut' ich den Säbel, soll ihn Niemand tragen, als ihr.
ADOLF.
Seelenjunge! – Reit' hin in Gottes Namen!
5. Szene
Fünfte Scene.
Genovefas Vorzimmer.

GOLO.

Fort ist nun Siegfried, jetzt bin ich allein hier in Pfälzel. Was ist's nun? Nichts. Vermögen, Ehre, Alles mir anvertraut, seinen Schatz, sein Glück, seine Ruhe. Golo, die Hand auf's Herz: was willst du? Könntest du je dich vergehn ... nein! Viel lieber Alles dulten und leiden, viel tausendmahl lieber jetzt gleich Pfälzel verlassen, weit von ihr am Ende der [43] Welt irren! – Mein Busen ist ganz rein. Lieb' ich sie denn? Und wär's auch: rein. – Kniet nieder. Das schwör' ich vor den Augen des Himmels. Kein andrer Gedanke beflecke jemals meine Seele. Daß ich ihr wohl will, von ganzem Herzen, daß mich so verlangt nach ihrer Gegenwart, daß ich Wehe trage, wenn ich mich von ihr entferne, daß ich mich erquicke an ihren Spuren: das sey es auch Alles, reine Anbethung, wie die Liebe zum schönsten Gestirn, dem man für seine Schönheit dankt. Still und verschwiegen soll's auf diesem Herzen kleben, bis der kalte Tod mir das Leben raubt; so sey mein Weben stiller Wunsch, Gebeth zu ihr. Wo schweif' ich? In Genovefa's Vorzimmer? Was für ein Irrgeist treibt mich herum?


Kammerfrau tritt herein.
KAMMERFRAU.
Wer da? Hm, Ritter Golo. Wollt gewiß zu unsrer Gräfin?
GOLO.
Ja wohl. Nein ... Könnt' ich jetzt vorkommen?
KAMMERFRAU.

Hm! Warum nicht vorkommen? Sie verließ eben ihr Zimmer, ging auf den Altan hinaus, etliche Briefe [44] zu lesen. Will euch anmelden; sie ist heut recht wohl aufgeräumt.

GOLO.
Nein, will sie denn jetzt nicht stören, warte lieber ein andermahl auf.
KAMMERFRAU.

Stören! hm! Stören! Das werdet ihr wohl nicht. Junge Dame, junger Ritter stören einander nie. – Mir gilt's gleich, was Andre thun und treiben, will gehn, euch anmelden, werde sonst wieder ausgefilzt, wenn ich euch ungemeldet von dannen ließe. Hinkt hinein.

GOLO.

Alter Brummtopf! – Aber was will ich jetzt hier? Was soll ich jetzt mit ihr sprechen? Laß, schau' sie wenigstens doch wieder einmahl. – Die Gebeine beben mir; es wäre doch besser, ich ginge gleich wieder. O daß ich sie so gern seh' und mich doch fürchte und sie doch nicht vermeiden kann.Will ab, Genovefa, Julie, Anne begegnen ihm.

GENOVEFA.

Sieh da, Herr Ritter, auch einmahl wieder in der Welt? Was ist's, das euch seit einiger Zeit noch [45] einsamer macht? Wär's meines Gemahls Abschied, so tröstet euch mit mir; seht, ich bin munter und habe doch so gut einen Freund an ihm verloren als ihr. Kommt, ich will euch etwas zeigen, ein Geschenk, das mir eben mein Oheim, Bischof von Würzburg, übermachen ließ. Ihr wißt es, was für ein großer Freund er von Künstlern ist und wie er hauptsächlich Mahler und Bildhauer liebt; die reisen auch beständig an seinen Hof, halten sich eine Zeitlang dort auf und das nicht ohne Gewinn und Freude. Denn überdem, daß mein Oheim sehr freygebig ist, hat er, wie mich's brave Meister versichert, selbst noch die trefflichsten Kenntnisse und ein sehr richtiges Gefühl in der Kunst, gibt auch öfters Künstlern die herrlichsten Gedanken an. Ein Mahler, der nun eben von Rom zurück reiste und bey ihm eingekehrt, hat ihm diese drey unvergleichlichen Stücke verkauft, die er mir alsbald hieher zum Geschenk überschickt. Macht eine Kapsel auf. Seht hier die Bildnisse dreyer Heiligen: Cäcilia, Catharina, Margaretha.

GOLO.
Gratulire von Herzen.
GENOVEFA.

Mich freut's über die Maßen. Wie glückselig die Hand ist, die so etwas hinzaubern kann! Seht [46] doch diese sanften, dem Himmel zugewandten Augen, diesen Mund, wie er in brünstiger Andacht schmilzt! Hört man die nicht laut und entzückt bethen? Und hier Sanct Margaretha! Nein, das ist doch gar zu himmlisch! Ich hab' es gar oft sagen gehört, Italien sey die Amme edler großen Künste und Rom vorzüglich die Brust, an der all' ihre Lieblinge gesogen; jetzt überzeug' ich mich ganz davon. Von dort her, däucht mich, läßt sich's über das Wahre in der Kunst erst richtig urtheilen. – Es wird doch immer schöner, jemehr man daran schaut.

GOLO
vor sich.

So nah ihr! O Gott! Ihre süße Stimme, ihr Blick. Glückliches Bild, das sie in Händen hält und ihr Aug' erfreut! Wär' ich's doch!

GENOVEFA.
Ihr betrachtet es wenig, Golo.
GOLO.
Bethe an.
GENOVEFA.
Ihr sagt es mir nur zu Gefallen, ihr würdet es eifriger besehn, wär's euch rechter Ernst.
[47]
GOLO.
Wie? – Ha ha ha!
GENOVEFA.
Pfui doch! Wer auch lachen mag bey so etwas.
JULIE.
Der Ritter lacht, weil er's vielleicht selbst besser kann, er ist auch Mahler.
ANNE.
Und Musicant; hat alle Talente.
GOLO.
Ihr scherzet zu arg mit mir, Fräulein.
GENOVEFA.

Das Talent kannt' ich nicht einmahl an euch, Ritter; ihr müßt uns von eurer Arbeit zeigen! Ich stümper' auch so etwas.

JULIE.
Recht, recht! Hat er gelacht, soll er's zahlen! Jetzt aufgezeigt, Ritter!
[48]
ANNE.
Wir wollen euch loben, wenn unser Lob euch werth ist.
GOLO.
Werther als Gold; ich hab' aber jetzt gar nichts zu zeigen, meine Kunst ist verrostet.
JULIE.
Ausflüchte! Wir nehmen das nicht an.
ANNE.
Brave Meister lassen sich gerne erst lange bitten.
GOLO.
Ist hier nicht der Fall.
JULIE.
Darüber wollen wir urtheilen.
GENOVEFA.
Halt' an, Julie, laß nicht nach.
[49]
JULIE.
Ihr müßt.
ANNE.
Wir bitten auf's Schönste.
GOLO.

Nun, wenn ihr mich denn mit Gewalt zum Mahler haben wollt, so nehmt mich hin. Aber was soll ich euch denn mahlen?

JULIE.
Gesichter, wie diese hier, Frauenzimmer, recht schöne.
GOLO.
Muß es denn gleich geschehn?
JULIE.
Gleich, das wollen wir.
GOLO.
Wenn sie aber schöner ausfallen, als diese hier?
[50]
JULIE.
Desto schönern Dank.
GOLO.
Gut, will mahlen. Ab.
GENOVEFA.
Wohin?
JULIE.
Er wird etwas von seiner Arbeit hohlen.
ANNE.
Schon wieder da? Er bringt etwas unter'm Arm.
GOLO
hält plötzlich einen Spiegel vor, Genovefa und die Fräulein schauen hinein.
Kann ich jetzt schöner mahlen? Vor sich. Sie schaut hinein! Mein Herz dein Spiegel, Engel!
GENOVEFA.
Da habt ihr's! Julie, bedankt euch jetzt brav.
[51]
JULIE.
Spötter!
ANNE.
Der Ritter weiß selbst wohl, wie wenig er Recht hat.
GENOVEFA.
Pfui, Ritter, ich dachte nicht, daß ihr so arglistig mit uns scherzen wolltet.
GOLO.
Scherzen? Scherz war sonst meine Kunst nicht.
GENOVEFA.

So macht ihr jetzt wirklich Progressen. Aber ein ander Wort. Lieber Ritter, habt ihr schon die Briefe an eure Beschützerin, die verständige Gräfin Mathildis, bestellt? Ich bitte euch, wendet alle Mühe an, daß sie diesen Frühling zu uns herüber kommt und mich in meinem Wittwenstande ein Weilchen besucht. Die ganze Gegend ist voll Lob von den erhabnen Talenten dieser Dame, und ich habe sie doch nur ein einziges Mahl sprechen können, seit ich in Pfälzel bin. Seyd doch darauf bedacht.

[52]
GOLO.

Wenn Wünschen Wirklichkeit wäre, in dieser Minute sollte sie schon vor euch stehn und euch aufwarten; ich habe gestern Abend Dragones nach Rautenburg auf ihr Schloß hinüber gejagt und fertige den Augenblick einen andern Bothen ab, mit Briefen, die sie gewiß herüber ziehen sollen. Ab.

GENOVEFA.
Recht so! – Heut ist doch der Ritter wieder einmahl genießlich. Was lachst du?
JULIE.
Wer die Eine nur ist, von der er vorhin seufzte?
GENOVEFA.
Golo?
JULIE.
Leise sprach er: ein Engel! Mein Herz ihr Spiegel! Er meynte jemand damit.
ANNE.
Julchen, ich bin's gewiß nicht.
[53]
JULIE.
O ich noch weniger.
GENOVEFA.

Ha ha! Wer denn? Annchen, wolltest du nicht das Sträußchen aufheben, das der Ritter hier fallen ließ?

ANNE.
Wie käm' ich dazu?
GENOVEFA.

Nicht unrecht, Schatz; Golo ist doch wohl ein Ritter von guten Qualitäten, das Bischen Melancholie, das ihn oft peinigt und unstät macht, wird er, glaub' ich, in der Gesellschaft einer angenehmen Gemahlin verlieren. Annchen, ich meyne, das wäre gar keine üble Sache.

ANNE
vor sich.
Wollte Gott, daß es wäre! Alle ab.
GOLO
kommt zurück.

Hier stand sie, auf dieser Stelle! Sinkt nieder, ihr Thränen, küßt diese Stelle! Hier! Ha! Wenn [54] sie doch all' mein Leiden wüßte, all', all' mein Verlangen, Qual zu ihr hin! – Wär's jemahls möglich, guter Himmel, was wäre noch in dieser Welt übrig, das nachher mich reitzen könnte? – Thorheit! Wo gerath' ich hin? Was will ich? – Wuth! Fort! Will nicht mehr dran denken! Darf nicht! Fort! Fort! Ab.

6. Szene
Sechste Scene.
Schloß Rautenburg, Mathildens Cabinet.

MATHILDE
am Schreibtische, Briefe lesend.

Der vom Veldenz, dieser vom Schwarzenburg, ha ha ha! Das Chor der Liebhaber, die unter Mathildens Fahne geschworen. Legt weg, bricht einen andern auf. Der von Rauteneck! Ey, will schlimm seyn, der, mir den Wind abfangen; meine Schlösser möchte er gerne erheyrathen, drum macht er mir den Hof. Aber schlecht müßt' es kommen, wenn ich ihn nebst allen Uebrigen nicht noch eine Weile an der Nase herumziehe, bis ich meine Projecte ausgeführt; der Herzog von Schwaben ist mein stolzeres Ziel. Der vom Hidulf von Trier, da stinkt die Hypochondrie heraus. – Was gibt's Neues?


[55] Christine kommt.
CHRISTINE.
Ein Reiter aus Pfälzel, dieß Paquet an eure Gnaden.
MATHILDE.

Her damit; Rauchwerk nach dieser Pest. Laß mich allein. Christine ab. Werde nun näher dahinter kommen, was es mit Golo ist. Der Streich! Gar zu schändlich, so zurück zu bleiben, daheim auf fauler Haut zu liegen, indeß brave Ritter sich draußen herum tummeln. Und die schöne Obersten-Stelle, die ich ihm erst im Schwäbischen Dienst ausgemacht! Golo, ich kenne dich nicht mehr. Reißt das Paquet auf. Die Liebe allein, anders nichts konnte solch eine Umänderung hervorbringen. Liest. Krank? Ausflüchte, Staub in die Augen. Ha ha ha! Getroffen den Nagel auf den Kopf! Verliebt bis über die Ohren! Dacht' ich's doch gleich. Der arme Schelm will nichts merken lassen, und gesteht doch immer drauf los, mehr, als man mit der Folter kaum hätte suchen können. – Närrischer Junge, alleweil taugt's nichts; ich muß dich wieder zurecht bringen, muß gleich selbst hinüber auf Pfälzel. – Klingelt, Christine kommt. Der Bothe, der das Paquet brachte.

[56]
CHRISTINE.
Soll er herauf kommen?
MATHILDE.
Ist's Dragones?
CHRISTINE.
Der nämliche, der jüngst in Ritter Golo's Angelegenheiten hier war.
MATHILDE.
Laßt ihn herauf kommen, will ihm mündlich Antwort geben, bin jetzt nicht zum Schreiben gestimmt.
CHRISTINE.
Gleich.
MATHILDE.

Wer drunten nachfragt: bin nicht zu Hause, für Niemand. Christine ab. Lächerlich in der That vom schwachherzigen Ritter. Der Magnet, der ihn dort hält, ist gewiß Niemand anders, als Genovefa selbst. Gefährlich! Sein schwärmerischer Sinn ... Genovefa artig, vernünftig: aber dem Ritter soll sie mir [57] jetzt nicht den Kopf umdrehn. Wenn das feste Wurzel schlägt, hernach ist es aus. Ich muß gleich hinüber und alles in's Reine bringen. Du bist mir Ehrerbiethung und Dank schuldig, Ritter, mehr mag ich dir nicht zumuthen und das sey auch für diesmahl genug, meinen Rath bey dir geltend zu machen. Du möchtest zur andern Zeit meinetwegen herumdahlen, die güldnen Jugendstunden an die Liebe verwürfeln: nur jetzt auf diesem Punct die kostbare Gelegenheit zu deiner Erhöhung aus den Händen zu lassen, das brillanteste Glück zu den Füßen eines Weibes verträumen ... ich muß dich stählen, Weichling. Stahl muß das Werkzeug seyn, mit dem ich gründen und bauen kann in die Zukunft.

DRAGONES
kommt.
MATHILDE.

Willkommen, Vogelsteller. Ihr entwischtet mir jüngst schnell, Dragones, ich wollte euch was Kleines noch auftragen, da wart ihr schon davon über alle Berge. Wie geht's Leben, Dragones?

DRAGONES.
So sachte, gnäd'ge Frau.
[58]
MATHILDE.

Freylich, es kriecht wie eine Schnecke durch all kleinen Minuten fort. Eure Gebietherin läßt mich durch Golo's Schreiben auf Pfälzel hinüber invitiren; ich komme, vielleicht reise ich heunt oder morgen Nacht ab: wenn sie drüben nicht früh Tag machen, werd' ich sie sauber aus dem Schlaf rumoren. Sagt's euern Damen, bringt meinen Empfehl. Apropos, wie steht's um meinen Bruder Adolf und Nichte Julie?

DRAGONES.
So viel ich weiß, befinden sich Beyde ganz wohl.
MATHILDE.

Wäre der alte Armbrust etwas galanter, so hätt' er wohl selbst herüber rücken und mich etwa abhohlen können, aber dafür stellt er lieber Dächse. Dem armen kranken Golo könnt' ich freylich so etwas nicht zumuthen.

DRAGONES.
Ist der Ritter krank?
MATHILDE.

Wißt ihr das nicht? Seht, wie ich eure Neuigkeiten hier besser weiß; sehr gefährlich krank, laut [59] seines Schreibens. Doch, es soll sich schon mit ihm bessern, wenn ich einmahl drüben in Pfälzel bey ihm bin. Sagt ihm, ich habe seinen Krankheits-Zustand schon durchschaut, er soll sich zum Schneiden und Brennen gefaßt halten.

DRAGONES.
Hm, das wäre übel.
MATHILDE.
Nachdem man's nimmt.
DRAGONES.
Natürlich, aber hinten und vorn genommen däucht mich das nicht sehr angenehm, ha ha!
MATHILDE.
So ist's vielleicht desto heilsamer.
DRAGONES.

Verzeiht, ich werd's ihm so gradweg notifiziren, daß er das Glück haben wird, Gnaden in wenig Tagen drüben in Pfälzel zu sehn.

[60]
MATHILDE.
Sicher.
DRAGONES.
Gnaden, habt weiter nichts zu Befehl?
MATHILDE.

Wohin? Wartet noch ein wenig, Dragones, ihr eilt immer schnell von mir weg. Was wollt' ich doch fragen? – Hat eure Gräfin keine Nachricht von ihrem Herrn seit seiner Abreise?

DRAGONES.

O ja, sie find schon Metz passirt und hoffen in weniger Zeit frisch und gesund bey der Französischen Armee einzutreffen, wo sie vermuthlich jetzt auch angelangt.

MATHILDE
vor sich.

Warmes, frisches Blut, unverdorben und fest. – Dragones, ihr scheint mir nicht mit Golo zu incliniren, ihr scheint mir von lustigem, aufgewecktem Humor.

DRAGONES.
So, so.
[61]
MATHILDE.

Solltest, däucht mich, leicht den Unterschied zwischen ein paar blauen oder Katzenaugen zu treffen wissen. Was liebst du am meisten, Tanz, Lied oder ein gut Glas Wein?

DRAGONES.
Gut Ding eins um's andre, wem's fruchtet.
MATHILDE.
Sollen dir werden, lustiger Bruder. Allegro immer.
DRAGONES.
Immer? Das kann man nicht.
MATHILDE.
Man muß wollen.
DRAGONES.
Es zwingt sich nicht.
MATHILDE.
Warum nicht?
[62]
DRAGONES.
Ja, weil sich's nicht zwingt, es bleibt einem manchmahl zu viel auf der Leber sitzen.
MATHILDE.
Herr Vogelsteller, ihr pfeift euern Verdruß weg. Golo hat mir von euern Stückchen erzählt.
DRAGONES.

Es ist wahr, wäre das nicht, das Vogelfangen, ich wär' schon längst hin. Ich bin oft etwas schwermüthig von Natur, dann greift mich Alles an, der Himmel ist nicht immer hell, morgen trübt sich's, so geht's mit uns Menschen auch; mich verdrießen manchmahl Dinge, worüber Andre lachen, es geht so.

MATHILDE.
Was verdrießt euch denn?
DRAGONES.
Allerhand, so und so, manchmal eben, daß das Schwarze nicht grün ist und das Grüne nicht blau.
MATHILDE.
Und der Wind über's Thal herunter bläst; da seyd ihr ja selbst Schuld an Allem.
[63]
DRAGONES.

Ich weiß wohl, es ist aber 'mahl mein Temperament so. Es stößt mir oft dick auf, wenn ich so hin in die Welt schaue und betrachte, wie da Alles unter einander hergeht, ober sich und unter sich, wie oft manch hautehrlicher Kerl auf schmahlem ungemächlichem Tritt steht und wider Willen manchmahl zum Hund werden muß, und mancher Lauskerl, (mit Verlaub zu reden) einen breiten Stuhl hat, worin er sich lümmelt. O dann steigt mir's Faustdick vor Augen, daß ich nicht mehr mag. Aber ich lasse mir drum doch nicht das Blut zu schwarz werden: was du nicht heben kannst, magst du auch nicht tragen, und so in den grünen Wald hinaus.

MATHILDE.
Remedium am Vogelheerd.
DRAGONES.
Ha ha ha! Wahrhaftig, da fang' ich mir einen Vogel nach dem andern und vergess' es darüber.
MATHILDE.
Tödtet ihr die Vögel, die ihr fangt?
[64]
DRAGONES.

Wie's kommt; die meisten ätz' ich auf meiner Kammer, und wenn ich eine Zeitlang meine Freude dran gehabt, lass' ich die Narren wieder frey. Sie sind meine Wintergesellschaft, da lass' ich sie unter einander herum flattern und stelle manchmahl so meine eignen Betrachtungen drüber an. So mancherley die Vögel und bunt an Farb' und Federn, so mancherley, so bunt ist Menschensinn und Gedanke. Ich lehr' sie auch gar Lieder, wenn sie's lernen wollen.

MATHILDE.
Ihr bringt eure Zeit vergnügt zu, seyd auf die Weise ein wahrer Vogelkönig.
DRAGONES.

Wenn ich's Futter bringe, sie fressen und heucheln und lügen mir nicht drum, wie Fürsten-Höflinge; das freut mich, jeder macht's grad hin, wie ihm der Schnabel steht. Im Frühjahr lass' ich allemahl die Gefangnen wieder frey.

MATHILDE.
Der ganze Wald dort herum muß euch kennen.
[65]
DRAGONES.

Gewiß, was nicht dießjährige Brut ist. Mir geschah manchmahl der Spaß, daß ich recht vor mich lachen mußte, wenn ich so auf einmahl mitten in der Wildniß drinn von einer Buche herunter eine Amsel das Salve regina singen hörte; ich kannt' ihn nun gleich daran, daß er mein Vogel war und mich wieder gekannt und mir dankbar pfiff. – Das steckt in den Thieren drinn, daß sie ihre Wohlthäter kennen, das hat so die Natur mit ihnen.

MATHILDE.
Ganz gewiß. Halber Wundermann, versteht über die Weil' gar der Vögel Sprache.
DRAGONES.
Das eben nicht, aber jeden Pfiff.
MATHILDE
vor sich.
Derber Kerl, recht gebacken, einer Nonne den Psalter zu verleiden.
DRAGONES.
Bitte höchlich um Vergebung, daß die Dame so lange mit meinem schlechten Geplauder beschwert.
[66]
MATHILDE.
Es hat mir gefallen. Ihr müßt was zu euch nehmen, eh' ihr zurück geht. Sitzt her.
DRAGONES.
Wird nicht geschehn, gnäd'ge Frau, bitte sehr. Habt ihr was Weiters zu Befehl?
MATHILDE.
Für dießmahl nichts. Ihr eilt ja sehr, Dragones. Ist's was Bestelltes zu Hause, das so euch treibt?
DRAGONES.
Um Vergebung.
MATHILDE.
So roth, Schelm? Hab's getroffen!
DRAGONES.
Gnaden ...
MATHILDE.
Will schon hinter deine Schliche kommen. Ihr nehmt ja den Rückritt durch Trier?
[67]
DRAGONES.

Wenn die Dame was zu befehlen hat, das ich dort auszurichten im Stande bin, reite sonst näher durch den Wald.

MATHILDE.

Reit' dießmahl über Trier. Dies Paquet da überbring' in meinem Namen an Bischof Hidulf, gib's ihm in eigne Hände. Wenn du schnell reitest, bist du vor Sonnen-Untergang dort, mußt aber gleich aufsitzen.

DRAGONES.
Sogleich.
MATHILDE.

Denn heunt Nacht reiset der Bischof noch ab, er begleitet auf einige Tage den Herzog von Schwaben im Zuge.

DRAGONES.

Darf ich bey der Gelegenheit auch Gnaden gratuliren? Die Rede geht im ganzen Lande, der Herzog hab' sich eure Gnaden zur Gemahlin erkieset und nach dem Feldzuge solle das Beylager in Trier gehalten werden.

[68]
MATHILDE.
Das Volk spricht mancherley, das Wenigste ist oft wahr.
DRAGONES.
Wünschte, daß es hier wahr gesprochen, wenn's anders Gnaden nicht zuwider wäre.
MATHILDE.
Höflich! Gibt ihm einen Beutel. Trinkt eins auf meine Gesundheit.
DRAGONES.
Das thu' ich nicht, gnädige Frau.
MATHILDE.
Auf meine Gesundheit, verstehst du? Ohne Umstände. Nun, mußt mir Vögel dafür fangen.
DRAGONES.
Gnaden, verkauf' meine Gefangnen nie.
MATHILDE.
Gut, so schenken wir einander, du mir ... den Finger auf den Mund. Kannst doch schweigen?
[69]
DRAGONES.
Wo's Noth thut.
MATHILDE.

Wollen bekannter mit einander werden. Wenn du das Paquet im Bischofshofe abgegeben, erwarte mich in meinem Quartier in Trier, werde bald dorthin nachkommen. Nun adjes. Hält ihm die Hand hin.

DRAGONES.
Wie wird mir's? Küßt ihre Hand. Gnaden verzeihn! Ab.
MATHILDE.

Soll mir werden bald! Ein hell, männlich Auge, krause Locken, glaube gar, er ist noch Noviz in der Liebe. Gebehrden, Verwirrung gaben's zu verstehn. Gut, soll ihm die Prob' abnehmen; doch Nebenspielwerke, zum Lückenausfüllen. Geschäfte und Hauptsachen gehn vor.


Christine kommt.
CHRISTINE.
Gnäd'ge Frau, der Eremit.
[70]
MATHILDE.
Soll jetzt zum Teufel, will ihn nicht!
CHRISTINE.

War heut schon dreymahl da. Als ich ihn vorhin abwieß, stand er ganz betrübt und sprachlos, schaute nieder und ging tiefsinnig davon, aber jetzt tobt und flucht er laut, will mit aller Gewalt vor euch, kaum konnt' ich ihn noch zurück halten.

MATHILDE.

Er soll nicht. Bin ich nicht Herr in meinem eignen Hause? Geh hinunter, sag's ihm, ich wolle ihn jetzt nicht sehn; er soll sich gedulten für ein ander Mahl. Nein, sag's ihm grad', wolle ihn nicht, er soll sich trollen über meine Schwelle fort, sofern ihm noch irgend was an meiner Freundschaft gelegen.

CHRISTINE.
Wie ihr befehlt.
MATHILDE.

Will meine Schritte nicht belauert wissen! Was ich thu', thu' ich nach eignem Gefallen. Hörst du? Pack' hernach Alles in Koffer, alle meine Reisenothwendigkeiten; [71] muß heunt noch fort, Pfälzel zu. Laß mir gleich den Falk satteln und an die Hinter- Gartenthüre führen, will bis Trier eins voran stechen. Christine ab. Der verwünschte Wallrod! So geht's; wenn man 'mahl einem Narren was nachgibt, soll man sich nachher auch immer sacrifiziren. Schwacher Tropf! Warum hat er's nicht mehr Gewalt, einen länger fest zu halten? Die Zeit ist hin, wo der Name Wallrod meinen Ohren gefiel, ich bin ihn nun so satt und ekel, daß ich ausspeye, sobald ich ihn nur nennen höre. Ab.

7. Szene
Siebente Scene.
Hausgang in Mathildens Schloß.
Christine packt die Koffer, Wallrod in Eremitenkleidung herein.

CHRISTINE.
Schon wieder da?
WALLROD.

Werde nur nicht böse, mein liebes Kind, ich habe dich vorhin erschreckt, es thut mir leid, ich komme drum zurück, dich um Vergebung zu bitten.

[72]
CHRISTINE.

War nicht vonnöthen. Es ist mir nur leid, daß ich euch so was Unangenehmes von meiner Gräfin überbringen mußte, das euch so in Bewegung gesetzt.

WALLROD.

Es ist natürliche Schwachheit von mir, daß mein Blut so schnell aufsteigt und über mich Meister wird. Doch wir alle sind ja gebrechlich, wir wollen also einander nachsehn und verzeihn. Ey, mein Kind, wie fleißig du bist! Du räumst ja Alles so sorgfältig ein, als wär's dein Eigenthum.

CHRISTINE.
Was muß man nicht?
WALLROD.
Doch nicht Anstalt zu einer Reise?
CHRISTINE.
Nach Pfälzel hinüber.
WALLROD.
Die Gräfin geht vermutlich auch dahin?
[73]
CHRISTINE.
Ist wirklich schon voran fort.
WALLROD.

Schon fort? Sie hat gehen können? O mein Kind, du siehst, wie ich an meinem bösen Zustand leide, habe einen sehr bösen Zustand. Hat denn die Gräfin gar nichts an mich zurück gelassen? Gar nichts?

CHRISTINE.
Weiß von nichts.
WALLROD.

Die Zeit ist vorbey, wo du mehr für mich wußtest. Wie oft brachtest du mir Briefe von ihr, wie oft mußtest du Stundenlang in die Nacht warten, bis ich zur Hinter-Gartenthüre kam, mich ungesehn einzulassen. Jetzt ist's vorbey, jetzt stößt sie mich von ihrer Schwelle!

CHRISTINE.
Ich bin unschuldig, weiß von Allem nichts.
[74]
WALLROD.

O ich weiß und weiß Alles! Unglück auf den, der auf Weiber baut! Adjes, sollst bald von mir hören. Ab.

CHRISTINE.

Muß nur verriegeln, damit er nicht nochmahl zurück kommt und mich in der Arbeit stört. Was nur meine Gräfin mit ihm hat? Besser, ich hätte nichts von der Reise gesagt. Wie blaß er aussah! Er hat mir 'nen Vorwurf gemacht, der recht am Herzen nagt. Schon drey Uhr! Ich muß eilen, daß ich fertig werde. Steffen!


Steffen streckt sich zur Thür herein.
STEFFEN.
Uh uh ah! Nun, ist der Waldbruder abmarschirt?
CHRISTINE.
Endlich. Was hat sie nur mit ihm?
STEFFEN.

Spaß. Bist du dann so blitzhagel dumm, daß du's nicht merkst? Das ist nun der Dritte, den sie [75] so laufen läßt, seit ich in Dienst bin. Schöner Waldbruder! Alle Wetter, wollte dir morgen auch noch so einer werden! Es ärgert mich, daß die Gräfin mir nicht die Commission auftrug, den Kerl abzufertigen; wollt' ihn die Stieg' hinunter transportirt haben, daß er Hals und Bein drüber gebrochen. Heut wär' mir's 'mahl recht um so was zu thun. Schwerenoth! – Wie viel Uhr ist's am Tage?

CHRISTINE.
Bestie, schläfst dich noch toll und taub. Her da, mir zur Seite, lang' ein wenig zu.
STEFFEN.
Zulangen kann ich schon.
CHRISTINE.
Weg, Flegel!
STEFFEN.
Ein Gefallen ist doch den andern werth, verstehst?
CHRISTINE.
Eselskopf, ja. Mach nur fort, hilf, daß ich fertig werde.
[76]
STEFFEN.
Wohin dann wieder?
CHRISTINE.
Hinüber nach Pfälzel.
STEFFEN.
Das wär'! Bleibt die Gräfin lang dort?
CHRISTINE.
Vermuthlich.
STEFFEN.

Juheya! Da muß ich ja auch mit. Dort gibt dir's brav zu Fressen und Saufen; die Pfälzer sind dir keine Schmahlhänse und Hungerleider.

2. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Schloßgarten zu Pfälzel. Ein Springbrunnen im Hintergrunde.

GOLO
mit der Laute, spielt und singt.

Mein Grab sey unter Weiden

Am stillen dunkeln Bach!

Wenn Leib und Seele scheiden,

Läßt Herz und Kummer nach.

Vollend' bald meine Leiden,

Mein Grab sey unter Weiden

Am stillen dunkeln Bach.

Wirft die Laute weg. Wer sie nur einmahl recht anfassen, nur ein einzigs Mahl satt an's Herz drücken dürfte, der wär's! Ha für dich ist's leicht sagen, Mathilde: Ritter, entweich' von hier; aber so wie ich .... der Hirsch lechzt nach frischem Trank, muß sterben; zieh' mich weg und ich bin todt. Kann nicht, mag nicht daran gedenken. Nein! nein!

[78] Mein Grab sey unter Weiden

Am stillen dunkeln Bach!


Brandfuchs der Gärtnerjunge.
BRANDFUCHS.

Husch, husch! Wieder einen Schmetterling, dazu einen recht schönen. Glückt heut allwegs. Steckt ihn mit einer Nadel auf den Hut. Wird wieder eine Freude für Meister Adam seyn, brav hinter'm Glas in seiner Sammlung floriren.

GOLO.
Der lustige, freundliche Junge! Hat ihn gekriegt, seinen Schmetterling, hat ihn, ist zufrieden.
BRANDFUCHS.
Ha! Auch da? Freundlichen Gruß, Herr Ritter. Gibt ihm die Hand.
GOLO.
Wie geht's, Brandfuchs? Wie steht's um die Arie, die ich dir jüngst gab? Hast sie bald auswendig?
BRANDFUCHS.
Kann nur so an Feyerabendstunden dran lernen, Tags über treibt mich der Meister zur Arbeit.
[79]
GOLO.
Meister Adam ist sonst ein Freund vom Singen.
BRANDFUCHS.
Das wohl, aber Arbeit, sagt er, geht doch voran.
GOLO.

Schon recht. Mach', daß du die Arie bald lernst, kriegst was von mir. Hast lange nicht vor Genovefa gesungen?

BRANDFUCHS.
Gestern Abend, grade als ihr der Bothe aus der Armee die Briefe gebracht.
GOLO.
Ist ein Bothe von Siegfried ankommen?
BRANDFUCHS.

Wißt ihr denn das nicht? Der schwarze Jacob; gnädiger Herr, kennt doch den schwarzen Jacob? Ja, das war auch eine Nachricht, die er mitbrachte! Jetzt geht Alles gut, die Mohren sind jetzt schon so gut wie niedergehauen, all', all' miteinander.

[80]
GOLO.
Das wäre!
BRANDFUCHS.

Glaubt's! Mein Bruder ist glücklich bey der Armee ankommen, mein Bruder und Graf Siegfried mit all' seinen Leuten frisch und Eichelganz. Mein Bruder hat mich grüßen lassen und Ritter Carl hat dem alten Adolf einen Türkensäbel zugeschickt, den er am ersten Tage gleich einem schwarzen Mohrenprinzen abgenommen. Der alte Herr drinnen hat eine absonderliche Freude drüber, will den Säbel gar nicht mehr aus den Händen legen.

GOLO.
Hm!
BRANDFUCHS.

Daß ihr nur dabey gewesen, anzuhören, was er all' erzählt, ... mein lieber Bruder Christoph – schütz ihn Gott – der gute schwarze Jacob, der mir seinen Gruß überbracht, ich sah ihn zuerst die Brücke 'rein trotten, hab' seinen Schimmel vor Freuden geküßt.

[81]
GOLO.
Für wen brichst du die Sträuße?
BRANDFUCHS.

Einen für unsre liebe Gräfin, den andern für die schöne Fremde, die jetzt hier ist, Gräfin ... wie heißt sie doch? Ueber ihr selbst vergess' ich's immer.

GOLO.
Mathilde.
BRANDFUCHS.
Recht, eine wunderschöne Dame, so prachtvoll und erstaunlich.
GOLO.
Gefällt sie dir?
BRANDFUCHS.

Für mein Leben. Verkriech' mich in die Hecke und schau ihr zu halben Stunden nach, wenn sie so stolz im Garten Morgens auf und ab spatziren geht. Der Meister hat mich jüngst 'mahl drum gewammst.

[82]
GOLO.
Weil du gucktest?
BRANDFUCHS.
Nein, weil ich zu lang blieb.
GOLO.
Wirst es jetzt satt haben.
BRANDFUCHS.
Ein wenig Schläge, was thut's? Guck' wieder, wenn's seyn kann und bin wohl.
GOLO.

Wähl' hübsch, schöne große Nelken voll Thau, Genovefa liebt's so. Würdest es schöner machen, Junge, wenn du zur Arbeit eins sängst.

BRANDFUCHS.
Wenn ihr meynt, meinetwegen; Gräfin Genovefens Leibstück. Singt und pflückt hie und da Blumen.
An Berg und Hügel hin
Klimm' ich, mein müder Sinn
Schickt seufzend einen Blick
[83] In jenes Thal zurück;
Ach jenes süsse frohe Thal!
Die Lüfte ziehen,
Alle Blumen blühen
Erquickend im Thal.
GOLO.
Arzney für ein liebekrankes Herz. Wohin, Junge?
BRANDFUCHS.
Hui! Bleib da nicht, die hübsche Dame, dort kommt sie, seht!

Kriecht in die Hecke davon.
Mathilde.
GOLO.
Mathilde!
MATHILDE.

Guten Morgen, Ritter, seyd aufgeräumt, hörte euch schon ein Weilchen am Brunnen zu singen und spielen. Wie steht's, lieber Golo? Es sind Neuigkeiten aus dem Lager ankommen; weißt es schon? Siegfried hat einen Knecht zurück geschickt, seine glückliche Ankunft bey der Armee anzukündigen.

[84]
GOLO.
Hab's gehört.
MATHILDE.
Carl hat sich schon so brav beym Anfang gehalten; weißt du?
GOLO.
Eben darum ritt er mit.
MATHILDE.

Meines Bruders Freude hat mich neidig gemacht. Carl, den ersten Tag einen Sarazenen- Obersten im Angesicht des Feindes zu schlagen, Waffen und Fähnlein in's christliche Lager herüber zu bringen! Niemand hab' ich noch so beneidet, als ich meinen Bruder beneidete, da er dieß von seinem Carl gerühmt.

GOLO.
Laßt's, meinetwegen.
MATHILDE.
Hätt' ihm so gern jemand entgegen setzen mögen, schämte mich ...
[85]
GOLO.
Hölle! Kommt ihr wieder daher?
MATHILDE.

O Golo, du zerreissest mir das Herz, machst mich zum schwachen gemeinen Weibe vor der Welt; bitte dich, mein Lieber, denke einen Augenblick zurück, ist's möglich? Du hier? Jetzt? Zwischen diesen rostigen Mauern? Ein Carl soll dir draussen die Ehre wegreißen, die dir allein gebührt? Was soll ich – – Ich habe dir jüngst alles Mögliche schon gesagt, kann nichts als hier wiederhohlen. Golo, du weißt, was ich bisher für dich gethan. Wohlthaten einem vorrücken heißt sich doppelt bezahlen lassen; ich thu's, um dir noch größre zu erweisen. Laß dich erbitten! Du siehst mein Leiden, Golo, ich beschwör' dich, ja bey Allem, was du mir schuldig bist: tritt in die Ehrenbahn zurück, verlass' diese schimpfliche Unthätigkeit, in die du versunken, fass' auf dein Glück am Zügel, die Trompete bläst, in's Feld, Golo, in's Feld! Golo will ab. Nein, hier vom Fleck nicht so geschwind!

GOLO.
Was wollt ihr mit mir? Laßt mich einmahl zufrieden, ich bitt' euch darum.
[86]
MATHILDE.
Golo!
GOLO.
Wuth und Tod!
MATHILDE.
Golo!
GOLO.

Bin ich euch schuldig, laßt mich abzahlen, wo ich kann, verkauft mir Ruh und schlagt an, so hoch ihr's wollt.

MATHILDE.

Du bist mir nichts schuldig, Golo, du bist mir Alles schuldig! Ich mag nicht mit dir rechnen; ich habe dir eine Stelle bey der Armee ausgemacht, dachte: meinen Golo muß das freuen; wie ich dich damahls noch kannte, glaubt' ich's gewiß. Dir gefiel's aber nicht. Tausend Andre hätten freylich zugegriffen, gerne aufgefangen, was du so nachlässig von dir warfst; es gefiel dir nun nicht, du lässest es. Ich seh', daß eine gefährliche Leidenschaft hier deine Kraft anfrißt, ich eile herbey, dich zu retten, biethe dir an, was dem [87] Herzen eines stolzen Ritters schmeicheln kann; willst du nicht in den Krieg hin, (ob es gleich eine Schande ist, Nein zu sagen) wohlan, ich rüste dich standesmäßig aus mit Roß und Knecht, mit Rüstung und kostbarer Kleidung, zieh' hin durch die Welt, versuch's herum, durch Italien, mach deinen Namen an manchem auswärtigen Hofe bekannt; nur hier Pfälzel verlass' mir, Pfälzel, das Grab, worin all' deine Kräfte modern.

GOLO.
Hebt Berge weg! Unmöglich.
MATHILDE.
Denk', es muß seyn und reiß' dich los.
GOLO.

Habe Siegfried mein Ehrenwort gegeben, hier zu bleiben und während seiner Abwesenheit alle Landesgeschäfte zu treiben.

MATHILDE.

Schau' mir einmahl recht in die Augen, Golo! Wie? Müßt' es Siegfrieden nicht im Grunde sehr lieb seyn, wenn du so bald als möglich gingest? Ha! Meynst du, ich bin blind, habe nicht durchgesehn, um welche Zeit es bey dir ist?

[88]
GOLO.
Seht, was ihr wollt, ich bleibe.
MATHILDE.
Wirklich?
GOLO.
Ja wirklich. Spannt eine Kette von Teufeln herum, sollen mich alle nicht aus der Stelle bringen.
MATHILDE.
Wäre Rath, noch ohne einen Teufel in's Spiel zu ziehn, lohnte es nur der Müh'.
GOLO.
Was quält ihr mich denn ewig, wo mir wohl ist? Wer bekümmert sich um euch?
MATHILDE.
Nun bleib', bleib'.
GOLO.
Gewiß, das will ich auch und Niemand soll mir's wehren.
[89]
MATHILDE.

Leicht wär' es, keine Sylbe weiter über all' das zu verlieren; bleib' denn, Elender, zehre dich auf, verschmachte, lächle immer dem Feuer zu, das deine besten Kräfte wegschmilzt; was liegt mir von nun an an dir? Zu was hab' ich dich erzogen? Ist's nun mein Dank, meine Hoffnung .... weh mir! – Aber sollst mir doch nicht zu deinem Zweck gelangen; nein, will dich hier so lange schütteln und rütteln, bis du aus dieser Ohnmacht wieder zu dir selbst zu Sinnen kommst; Genovefa soll gleich heut noch fort in's Kloster.

GOLO.
Wag's! Greift an's Schwert.
MATHILDE.
Und Siegfrieden – ich selbst benachrichtige ihn von deiner Liebe.
GOLO.
Hölle! Zieht das Schwert halb hervor und stößt es wieder zurück.
MATHILDE.

Her mit der Spitze, meine Brust hier ist frey, verzeihen will ich's dir noch lieber, als diese niederträchtige Aufführung.

[90]
GOLO.

Du trotzest auf Manches und ich muß dir's erlauben. Aber ah! Wag's, Genovefen nur mit einem Finger zu berühren, und wir sind dann auseinander, ganz!

MATHILDE.
Ha!
GOLO.
Will Alles vergessen, was ich dir schuldig bin, will ....
MATHILDE.

Verachte dich nun schon zu tief. O daß du so in der Blüthe, im Flug stolz auffahrender Jugendhoffnungen immer noch unter meinem Plane schwebst! Was wollt' ich nicht aus dir bilden! Aber dahin! Ich muß scheitern, wenn die, um derentwillen ich Schweis vergieße, mir selbst das Ruder aus den Händen schlagen und schreyn: wir wollen nun mit Gewalt zu Boden! Hinzuliegen in der Zeit, eines Weibes Gunstbezeugung zu erbetteln, zu der du im Grunde nicht einmahl Hoffnung hast, daß sie dir je auch nur Gott helf sage.

[91]
GOLO
stampft und knirscht.
Wer fragt um Hoffnung! Teufel! Hoffe und verlange nichts!
MATHILDE.

Desto übler verliegst du deine Zeit hier. Aber nein, gesetzt auch, im glücklichsten Fall, du überlistest sie, dringst auch endlich in ihrer Gunst durch; was ist's nun, daß du so lange Kraft und Leben, was Tauglicheres durchzusetzen, verschwendet? Monate, Jahre durch das Aeffchen eines Weibes zu machen, nach ihren Launen und Grillen, (so krüpplicht und schief die oft sind) deine Männlichkeit zu winden und zu drehen? Wärst du nicht so tief verliebt, daß man in deine Leidenschaft hinein wie in einen Ziehbrunnen schauen könnte, ohne irgend wo Grund zu finden, wär's nur erkrankte Begierde, Hunger nach ihr: ich selbst wollte Hand anschlagen, schauen, wo dir zu helfen wäre. Aber so, wo du hinsinkst, immer mehr und mehr in dir selbst erschlaffend, bis keine Kraft von aussen dich mehr zu spannen vermag: dann sey auch aus meinem Herzen, glatt aus meinem Gedächtnisse weggewischt. Du hast keine Aeltern, Geschwister, Verwandte; ich bin's, die dich von Jugend auf erziehen ließ, mich deiner Verlassenheit annahm, ich, die den Ritter Golo aus dir gemacht. Mit meinem zunehmenden Glück wuchs immer das deine, ich war's [92] und bin's noch, die immer für dein Wohl sorgt. Was für Plane entwarf ich, dich auf eine Höhe hinauf zu bringen, von da herab du auf all' deine Feinde spotten könntest! Herzog Conrad von Schwaben buhlt um meine Neigung, Hidulf von Trier regirt ihn ganz und ich den Bischof nach meinem Willen; deinetwegen spann ich's an, der Herzog ist alt, ohne Erben, du Golo warst es, bist es, auf dessen Haupt ich den Herzoghut setzen will.

GOLO.
Schweig'! Bitte dich, schweig' doch!
MATHILDE.

In den Krieg hinein mit ihm, wo ihn sein Feuer adelt! Der Herzog soll da im Voraus meinen Golo kennen lernen, sich in ihm und seinem Wesen verlieren.

GOLO.
Willst du mich ermorden? Hör' auf!
MATHILDE.

Deinetwegen ging ich eine Heurath ein, die mein Herz verabscheut. Golo läuft davon. Er rennt davon, [93] der Tolle. Aber was hilft's? Er steckt jetzt einmahl zu tief, werde ihn schwerlich so herausreißen, viel eher ihn ganz ... Wie denn?Stampft. Wie helf' ich denn? Wenn er nur nicht so schwärmerisch, so unsinnig zwecklos in Tag hinein ... Ich muß suchen, wie ich es anders drehe, dem Ding hier ein Ende zu machen; will ihn hier nicht so ganz verloren aufgeben; Alles lieber gewagt, koste es auch, was es will. Ab.

2. Szene
Zweyte Scene.
Golo's Zimmer.
Dragones, Golo's Knappe, der im Hintergrunde einpackt.

DRAGONES.
Hört ihr's, Knappe, vergeßt den Mantel nicht. Warum denn auf einmahl so fort?
KNAPPE.
Was weiß ich's! Mein Ritter befahl einzupacken nichts weiter.
[94]
DRAGONES.

Es ist ihm was zugestoßen, er stürmte in den Stall hinein, befahl zu satteln, das ganze Schloß ist rege, Genovefa selbst weiß nicht, wie sie's nehmen soll. Da kommt der Ritter selbst, hat rothe, verweinte Augen.

GOLO
vor sich.

Wohlan! Soll und muß ich denn hier fort, mag's auch noch so laut hier schreyn! Ich will! Muß! O Himmel! Ach! – Warum lass' ich mich denn wegtreiben von ihr? Wer hat sein Gewalt? – Nein, ich muß! Muß! Verdammte Welt, darin ein ehrlicher Kerl sich so herumschinden soll, verläugnen, was man nicht kann, nicht Gewalt hat! Dank und Rücksicht und Treue und Alles am Ende gegen unser Herz! Kein Winkelchen in dem einer sich allein selig verkriechen und verbergen könnte! Bin ich Siegfrieds Feind drum, daß ich sie werth schätze? Und ach! wie viel tausendmahl werther als mein Leben! Siegfried! O wie mir's durch alle Glieder fährt! Er hat sie, der Glückliche, der soll sie besitzen, darf sie lieben ... er allein ... ich nicht ... er ganz allein. Was für ein Abgrund vor meiner Seele! Genovefa, ach Alles, Alles um dich und mehr und zu viel! Warum starren meine Nerven so? Jugendfreund nicht mehr mein Freund. Siegfried, dein Andenken wird mir so bitter. Nein, nein, ich will fort! Zu Grunde gehn! Ich muß von [95] hier. Wohin? Das gilt mir gleich, nur weit, weit! Das Beste, ja, ein Einsiedler! Eine Wallfahrt hin in's gelobte Land zum heiligen Grabe; auch dort will ich dein gedenken, unter Stein und Ruinen dein Bild getreu in meinem Busen durch fremde Länder tragen, herrliches, edles Geschöpf! Du bist es und bleibst es allein, bis endlich 'mahl hinstiebt dieser morsche Bau, erkaltet mein Herz, mein warmes Herz zu dir. O Qual! O bittre Qual! Daß doch die Welt gleich unter mir in Stücke zerspränge! – Ihr dort, ist Alles fertig und bereit für heut Nacht?

DRAGONES.
Auf den Wink, wie ihr's befohlen, die Pferde fressen gesattelt.
GOLO.

So muß ich denn! – Geht nur. – Diese trägen Seelen fühlen und fassen an nichts Antheil. Diese Nacht, diese Nacht noch. – Adjes denn, ihr holden lieblichen Auen um Pfälzel, ihr Thürme und Gräben! Nicht lange mehr ... Fällt auf das Bett hin. Wehe! Weh! Zu viel!

MATHILDE
tritt auf.
GOLO.
Weg! O weg! Henkerin! Verdammte!
[96]
MATHILDE
winkt die Diener fort, sitzt zu Golo auf das Bett, küßt ihn an die Stirn, streichelt ihn.

Begegnest du mir so, Golo? Lieber, du weißt nicht, wie lieb du mir bist. Herzensjunge, jetzt 'mahl völlig der störrische Golo wieder und du gefällst mir drum nicht schlechter. Dieser schwermüthige Zug deiner dunkeln Augbrauen bringt mir wieder ganz deines Vaters Bild in Sinn, der vollkommen so aussah, und gewiß war er einer der stattlichsten Ritter seiner Zeit. Behalt' mich lieb, Golo, schenk' mir dein Vertrauen wieder. Verzeih, ich setzte dich vorhin zu stark auf die Probe; wärst du stark genug, dieser Neigung zu entsagen, dieser Neigung, die so sehr dein Glück zu Boden drückt, sieh, ich hätte meine Arme um dich geflochten, hätte dich an's Herz gezogen, hätte vor Freuden über dir gejauchzt! Aber du bist einnmahl nun übermannt; in der verzweifelten Lage, worin du dich jetzt befindest, bleibt nichts übrig, als das Uebel zu lindern, das sich einmahl nicht ganz heilen läßt.

GOLO.

Was suchst du beständig bey mir? Laß mich allein leiden, was ich muß und kann. Will ja gehn von hier.

[97]
MATHILDE.
Komme dich zu trösten jetzt her. Deine Hand, Trauter, Lieber! Sollst mich erst ganz kennen.
GOLO.
Schon zu viel. Weg!
MATHILDE.
Hast es doch nicht fest in dir beschlossen, von hier zu gehn?
GOLO.
Fest.
MATHILDE.
Wo gedenkst du hin?
GOLO.
Euch all' eins. Wo mich Niemand mehr sieht.
MATHILDE.

Betrübe mich nicht so sehr! Du weißt ja nicht, was ich um dich leide. Gewiß, du kannst nicht reisen, darfst nicht weg.

[98]
GOLO.
Wer will mich hindern?
MATHILDE.
Ich. Ich habe deine Pferde schon wieder absatteln lassen, Alles gegen deine Abreise befohlen.
GOLO.
Warum das wieder?
MATHILDE.

Darum, weil mein Plan mit dir geändert ist. Sollst jetzt hier in Pfälzel bleiben. Streichelt ihn. Nur ruhig. Was seyn kann, soll seyn, was ich kann, soll dir werden. Du weißt, ich thu' Alles für dich.

GOLO.
Ach!
MATHILDE.
Was meynst du? Solltest du so verliebt seyn und nicht bald merken wollen, was.
GOLO.
Mathilde! Gott!
[99]
MATHILDE.

Was hielt' noch den Himmel, die Erd' und das Meer,

Wenn Hoffnung durch's Leben und Liebe nicht wär'?

Ihr Leute stellt Alles so in's Weite, Unmögliche, Ewige, von euch weg; staunt über ein Alltagsgesichtchen, als wenn's ein Superlativus wäre. Hoffnung ist die Krücke, daran Verliebte hinken.

GOLO.
Was soll ich, kann ich?
MATHILDE.
Das Maul zu, Kind, sollst Zuckerbrödchen haben. Aber verschwiegen, stille!
GOLO
wirft sein Haupt in ihren Schoos.
Weib! Was machst du mit mir?

Dragones.
DRAGONES.
Frau Gräfin, wenn's beliebt, zur Tafel. Herr Ritter ....
[100]
MATHILDE.
Erscheinen gleich. Nun aufgeräumt, lieber Ritter. Kann dich nicht so niedergeschlagen sehn.
GOLO.
Alles, was ich von Freundlichkeit in der Tasche habe, soll baar heraus.
MATHILDE.

Wirst gefallen bey der Gelegenheit. Golo, ich empfehle dir diesen Ehrenmann, befördre mir ihn im Dienste, sobald es seyn kann, er ist es werth.

GOLO.
Soll von dieser Minute an Haushofmeister seyn.
MATHILDE.
Dank, Lieber. Hängt an Golo's Arm. Komm zur Tafel. Adjes, Herr Haushofmeister. Ab.
DRAGONES
verbeugt sich.

Haushofmeister! Hm! Spaß oder Ernst, mich freut's nicht. Sehr schlecht, was ich gethan, sehr, sehr. Ab.

3. Szene
[101] Dritte Scene.
Wiesenthal vor Pfälzel.
Balken, woran oben das Bildniß eines Ritters gemahlt ist, Wallrod als Eremit davor, Adolf, Julie, Anne.

JULIE.
Ritter Golo bleibt ja wieder hier, Vater.
ADOLF.

Mit all' den Narretheyen! Bleiben, fort wollen, wieder bleiben, was soll's nur endlich? Mag meinetwegen gehn, wenn's ihm nicht länger hier ansteht, denkt vielleicht, wir grämen uns viel drum; dergleichen Dinge faßt' er nun in Kopf, weil Siegfried ihn überall so vorzieht. Unser einer ist ihm gar nichts mehr, grüßt einen kaum. Hab' ihn als eine kleine Rotznase gekannt, so hoch, selbigmahl war er schon ein vorwitziger Junge. Was der Esel nur will, daß er jetzt so närrisch thut, weiß der Teufel, wo's bey ihm steckt.

ANNE
vor sich.
Ich weiß es nur zu wohl, ach! Habe auch schon meinen Entschluß gefaßt.
[102]
ADOLF.

Doch was liegt mir dran? Treib' er's, wie er will und bleib er mir nur aus'm Wege. Mich freut nichts, als da mein Säbel, den mir Carl, der Herzensjunge, überschickt. Es ist eine ganz andre Art, der.

JULIE.

Gelt, Vater, der hält schön Wort? Hat's versprochen, er wollte euch einen Säbel erbeuten, hat's auch gethan. O du Lieber! Wirst mir auch Alles so treu halten? Alles?

ADOLF.

Kinder, denke jetzt, wir wollen ein Bischen dort am Hügel hinauf, frische Luft schöpfen; wir kommen dann just so mit der Dämmerung an die hintre Gartenpforte. Meine Schwester bringt heimlich Genovefen diesen Abend Serenate, Adam hat mir's gesteckt. Ein stiller ordentlicher Mann, dieser Adam, ein guter Musicant, so von Natur; der Gärtnerjunge, Annchen, dessen Stimme dir so wohl gefällt, wird eine Arie singen, die Golo auf der Laute accompagnirt. Golo schlägt das Instrument trefflich; muß in allen Dingen die Wahrheit sagen.

[103]
JULIE.
O ich freue mich drauf. Musik ist mein Leben, sie macht nur zu Zeiten so ein wenig stürmisch.
ANNE.
Und mich melancholisch; aber sehr vergnügt.
ADOLF.

Was will der Waldbruder dort? Guten Abend, Freund! Däucht mich, ihr beschaut das Bildniß da oben am Balken?

WALLROD.

Ja, Herr, das thu' ich, meyne, hab' schon einmahl in der Welt solchen Rittersmann gesehn, grade die Rüstung und Wappen; der Regen hat die Schrift verlöscht, kann's nicht lesen.

ADOLF.

Es ist Graf Wallrods von Sponheim Bildniß; seine lieben Aeltern trauern, weil sie ihn, den einzigen Sohn, verloren. Er wurde auf einmahl unsichtbar aus dieser Gegend, sie haben sich überall schon mit Müh und Fleiß nach ihm erkundigt, fern und nah, [104] aller Orten sein Bildniß so mit Inschrift unten dran hingeschickt, ob sie ihn etwa lebendig oder todt auskundschaften möchten. Man weiß bis diese Stunde nicht, wo er geblieben.

WALLROD.
Habe auch schon so was davon gehört. Danke schön für die Nachricht und eure Höflichkeit.
ADOLF.

Es ist spät am Abend, Bruder; kehrt ihr wieder in Wald zu eurer Zelle heim oder gedenkt ihr heunt in Pfälzel zu bleiben? So tretet bey mir ein. Geistlichkeit ist mir ehrenwerth.

WALLROD.

Sehr großen Dank; doch ich kann's nicht annehmen, bin anderswo schon versprochen, hatte im Vorbeygehn einen Gruß zu überbringen, in Pfälzel; ein gewisser Dragones ...

ADOLF.

Kenne ihn gut, es ist ein wackrer Mann, ihr werdet ihn gewiß jetzt im Schloßgarten treffen, wenn ihr ihn etwa sucht.

[105]
WALLROD.
Er bestellte mich eben dorthin.
ADOLF.

Kinder, kommt, die Sonne neigt schon unter, laßt uns schneller gehn, sonst verlieren wir den Anfang der Musik. Lebt wohl, Bruder.

WALLROD.
Gleichfalls von Herzen.
JULIE.
So jung und zart und so ein strenges Leben.
ANNE.
Gefiel dir solch ein Kleid, Julchen?
JULIE.
Nein, gewiß nicht.
ANNE.
Mir sehr. Alle ab.
[106]
WALLROD.

Meine lieben Aeltern trauern um mich. Wer findet in diesem härnen Kleide hier den Glanz jenes stolzgebildeten Ritters, wer sucht Wallrod von Sponheim, den einzigen Zweig, die Hoffnung einer der größten Familien, unter den Lappen eines schmutzigen Bettlermantels? Dieß rührt meine Wuth an. Undankbare, die mich verräth! Ich will mich dafür an dir letzen. Die Sinne vergehn mir fast ganz, wenn ich nachdenke, was ich ihr All' aufgeopfert. Aber ruhig, mein Muth, bis zum Augenblick der Rache; habe nun mein Wild auf der Spur, Mathilde, dich mit Netz und Garn umzogen. Dragones hat's mir schon zur Hälfte gebeichtet; ein guter Bengel, völlig so unverhohlen, wie man ihn mir geschildert. Ich habe ihn gerührt, mit allerley bedenklichen Worten und Sprüchen, die ich so hingestreut, sein Gewissen in Unruhe gestört; ich hoffe diese Nacht völlig meinen Zweck zu erreichen. Ha was gibt's dort im Garten? Lauter Musik und Fröhlichkeit, lauter Hüpfen und Wohlleben! Will bald auch musiziren, aber aus einem andern Ton. Auch hab' ich noch was anders bemerkt; wer still im Winkel sitzt, beobachtet besser, als die im Getümmel mit fortrennen; entweder, Genovefa, du hältst auch nicht mehr Farbe, als Andre, oder bist du rein, so schleicht irgend eine andre verrätherische Absicht hinter dir her und sucht dich zu fangen, und so soll alle [107] Mühe von mir angewandt werden, dich vor den Klauen des Habichts zu bewahren, der über dir herfleucht. Gleich diese Briefe hier sollen dich im Voraus ein Weilchen warnen und dadurch mir deutlicher deine Gesinnungen zeigen. Bin nur aus Verzweiflung ein Schützer der Tugend, weil mich das Laster von sich weg gestoßen, und das sey meine Freude. Denn gewiß hat Golo hier mit Mathildens Steinen und Mörtel den Grund dazu gelegt. O so wie ein Hirt mit dem Stab einen Ameishaufen untereinander rührt, will ich all' eure Projekte, die ihr zusammen aufmauert, einreißen und verstören und an Allem, was euch mißlingt, mich erlaben. Niedriges, verrätherisches Pack! Undankbare Viper Mathilde! O daß ich dich bald in eigner Schlinge fange, dir's bald mit den nämlichen Waffen lohne, mit denen du mir Wunden geschlagen verfluchte, höllische Furie! – Ab.

4. Szene
[108] Vierte Scene.
Schloßgarten zu Pfälzel, ein Theil des Schlosses mit einem Altan im Grunde.
Adam, Brandfuchs, Dragones.

ADAM.

Drunten in der Laube wartet schon der Ritter mit den übrigen Musicanten all', haben eben zusammen gestoppelt, wo wir was funden. Steht neben mir, Dragones, helft im Chor ausfüllen, ihr wißt ja den alten bekannten Chorgesang, brennender Herzen Nachtfeyer genannt.

DRAGONES.
Hab' ihn schon oft mit geholfen.
ADAM.

Er ist auch ein lieblich Ding, es bleibt mein Leibstück immer; so alt es ist, meyn' ich doch, wenn ich's so unter'm klaren Sternenhimmel Nachts aufführen höre, es wär' mir immer was Neues; ein traurig verliebt Herz hat es hervorbracht. Es freut mich, daß es Golo gewählt; der Jüngling gefällt mir, der unter seine Belustigungen auch so was mit hinein mischen kann.

[109]
DRAGONES.
Es ist eigentlich der Bruder vom Liebesthron.
ADAM.

Recht; wer jenen nicht in Gedanken hat, kann dieß kaum recht empfinden; man sollt' immer eine Nacht vorher jenen geben, eh man dieß aufführte. Die Solostimmen drin wird Golo und mein Jung' hier handthieren; natürlich weggesungen, Dragones, nicht so kraus, denkt, daß ihr in der Kirche säßet und nichts weiteres, ohne die Schneckenstiegen von unnöthigen Trillern hinauf und hinunter zu setzen, daß dem Zuhörer darüber schwindelt. Dergleichen Seiltänzereyen kann ich gar nicht ausstehn; so ein Strich von Baß, wie mit Kohlen an die Mauer hingerissen, hie und da drein.

DRAGONES.
Habt mir's jüngst schon 'mahl erklärt, werd's so machen.
ADAM.

Müßt jetzt hier warten und Acht haben, wenn unsre Gräfin mit Mathilde an den Altan oben heraus ritt, frische Luft zu schöpfen; sobald ihr sie nun gewahr werdet, gebt ihr ein merkbar Zeichen.

[110]
DRAGONES.
Was für eins, Meister?
ADAM.
Wie ihr wollt, pfeift, oder schnalzt, oder schreyt wie ein Specht.
DRAGONES.
Das will ich schon.
ADAM.
Oder schlagt wie eine Wachtel, aber vornehmlich laut.
DRAGONES
schlägt an's Kinn.
Wick wi Wick!
ADAM.
Eigentlich: Schlägt an's Kinn. Pack we Wack! Ist aber all' eins, wie ihr's macht.
DRAGONES.
Meister, das versteh' ich gut, hab' manche gefangen.
[111]
ADAM.

's ist auch wahr. Macht's also; sobald wir euch vernehmen, schleichen wir durch's Gebüsch hervor und fangen an.

DRAGONES.
Es muß die Gräfin freuen, Gesang, und so unvermuthet.
ADAM.

Gewiß; es kommt einem auch lieber so von Ohngefähr und vielleicht doch eben für den rechten Moment; es ist auch so 'ne liebe Frau, unsre Gräfin; halte drauf, lieben Leuten was zu Gefallen zu thun.

DRAGONES.
Braver Meister, habt's Lob überall.
ADAM.

Adjes. – Hätt's fast wieder vergessen, mein Weib plagt mich schon drey Tage drum, meinen Sonntagsrock anzuziehn, euch wegen, ihr wißt schon, zu gratuliren; jetzt trift's sich eben, hab auch meinen Festrock an; nu Glück zur Hofmeisterey,Schüttelt ihm die Hand. hat mich recht gefreut, auch mein Weib, da wir's vernommen.

[112]
DRAGONES.
Verschont, bitte, mich.
ADAM.

Nein, es ist ein gut Plätzchen, worauf ein ehrlicher Mann warm sitzt; wollte euch schon ein andermahl besuchen, man hat die Woch' über viel zu thun, Sonntags, nach dem Gottesdienst, ja da posselt man so was Kleines für sich selbst zurecht. Meine Schmetterlingssammlung wächst nun auch täglich mehr an.

DRAGONES.

Hab' davon rühmen gehört, soll auserlesen sevn, werde nächsten Sonntag 'mahl bey euch zusprechen und sie betrachten, wenn ihr's erlaubt.

ADAM.
Warum denn nicht? Kommt, Haushofmeister, sollt mir lieb seyn. Ab mit Brandfuchs.
DRAGONES.

Haushofmeister! Das Blut fließt mir in's Gesicht, so oft ich mich so nennen höre. Wie bin ich zu dem Platz kommen? Trier! Trier! Verwünschte Nacht! Dort war's das erstemahl – ein Brand an meinem [113] Herzen seitdem. Bethören ließ ich mich; der Wein, Weiberzunge, glätter noch als Wein ... Die Nacht kommt mir nie aus dem Sinn. Trier! Trier! Wollte, wäre nicht Haushofmeister und wäre noch Dragones.


In Gedanken, Wallrod kömmt, schlägt ihm auf die Schulter.
WALLROD.

Guten Abend, Freund, und wie's, mein Kleid rechtfertigt, auch Sohn! Wieder in tiefen Gedanken? Uneinigkeit mit sich selbst fließt oft aus Bewußtseyn eigner Schuld und das zeugt irrige Gedanken. Sohn, nimm dich vor Weiberfallen in Acht. Seit Eva, der ersten Mutter, sind sie alle Schlangen, die mit giftiger Zunge den armen Mann beständig zu Sünden reizen und in tiefes Verderben zischen.

DRAGONES.

Dachte eben daran, ihr kommt wie gerufen hieher. Wollt ihr im Garten ein wenig verweilen, bis die Musik vorbey ist, führ' ich euch nachher in mein Quartier heim, wo ich euch Sachen entdecken muß, die mir recht das Herz zerdrücken.

WALLROD.

Mein Beruf heißt mich bereit seyn. Drunten bey den zwey großen Linden sollt ihr mich nachher treffen. Ab.

[114]
DRAGONES.

Berge liegen über mir, das Leben freut mich so lange nicht, bis ich's wieder los bin. Doch still, das Altanfenster geht auf, da sind sie! Gibt das Zeichen.


Genovefa, Mathilde, oben auf der Altan.
MATHILDE.
Hurra, wie frisch lieblich!
GENOVEFA.

Schade, daß es Nacht ist, die schöne freundliche Aussicht ist ganz dadurch gehemmt, der grüne Hang schließt sich so traulich an jenes Tannenwäldchen. Siegfried's Großvater legte es an.

MATHILDE.
Die Luft buhlt recht mit einem.
GENOVEFA.

Ihr solltet diese Gegend 'mahl so um die Heuärndte sehn, wie schön es dann ist. Da waten die Mähmänner mit ihren Sensen durch's hohe Gras einher, dort zetteln es Mädchen zum Dörren aus einander und singen dabey Aerndtelieder, andre häufen's auf, [115] dann wimmelt's recht mit Menschen, Alles ist fröhlich dort im Schatten halten dann die Wagen mit starken vorangespannten Ochsen, das trockne Heu von aufgethürmten Haufen nach Hause zu führen; ein Anblick, der recht das Herz anlacht und erheitert.

MATHILDE.

Ihr mahlt nach der Natur. Schade, daß unser armer kranker Ritter nicht ein Bischen von euerm Gefühl an dergleichen ländlichen Scenen hat, das müßte ihn bald curiren.

GENOVEFA.
Was ihm nur anliegt! Er bleibt doch ganz gewiß wieder?
MATHILDE.

Wenn's seine Laune zuläßt, die ihn ganz zusammen drückt. Der Mensch ist wie umgekehrt, ich kenne ihn nicht mehr.

GENOVEFA.
Woher's nur kömmt?
[116]
MATHILDE.

Aus dem Herzen; dort, wett ich, steckt ihm der Pfeil. Wie's nun in seinen jungen Jahren zu gehn pflegt.

GENOVEFA.
Glaubt ihr, er hab' einer Dame ein Gelübde gethan?
MATHILDE.
Ganz gewiß. Der arme Narr, wie sehr er mich jammert. Schade, daß er sich so verzehren soll.
GENOVEFA.
Die Dame muß sehr grausam seyn.
MATHILDE.

Was find wir nicht, wo uns die Laune ankömmt? Harpyen, Drachen, Vipern dem Einen, und schwache girrende Täubchen dem Andern. Einen Trojanischen Brand könnte oft ein kluges Weib durch eine nachsichtsvolle Minute löschen. Und was ist's denn auch im Grunde, warum wir die guten Männer oft an langsamem Feuer braten? Seifenblase, die sich vor unserm Hirne aufdunset und, wenn sie nur Leidenschaft ein Bischen anrührt, gleich in ein Nichts zerplatzt.

[117]
GENOVEFA.
Wie meynt ihr?
MATHILDE.

Liebe, Liebe ist doch Alles, was unter Sonn' und Mond sich regt.

Was hüpft und geht,

Trägt Amor's Liverey,

Was athmet und weht,

Singt Amor's Melodey!

Warum nicht auch wir? Hört einmahl die Nachtigallen aus den zwey hohen schwarzen Linden drunten, wie lieblich! Hab' eine Dame gekannt, die der zärtlichste Ritter bedienet, sie war immer spröde, er immer unglücklich, der stolze schöne Ritter, manches Fräulein beneidete die Dame um ihn. Einmahl so der süße Schlag einer Nachtigall durch die Dämmerung her traf ihr Herz, der Ritter ward gesund von selbem Augenblick. Gräfin, warum so nachdenkend?

GENOVEFA.

Dachte an ihn, meinen Gemahl, wo unter'm weiten Sternenhimmel der jetzt ruht. Küßt ihre Hand, winkt vorwärts. Flieg' hin zu ihm,

Borg' Flügel vom Wind,

Den schön Lieben bald find!

[118]
MATHILDE.
Ha ha ha!
GENOVEFA.
Warum ...
MATHILDE.

Das arme Küßchen dauert mich; solltet ihm ein Mäntelchen mitgeben, damit's nicht so weiten Weg's durch die Nacht hin friert und am Catarrh oder Schnupfen wie halb flücke Vögelchen zu Grunde geht.

GENOVEFA.
Wäre mir doch leid drum.
MATHILDE.
Mir auch. So einem verschmähten Küßchen thut's wehe, wenn's vielleicht wärmern dort weichen muß.
GENOVEFA.
Wie versteht ihr das?
MATHILDE.

Wäre denn das so was Ungeheures, Unerhörtes? Wer kennt der Männer Puppenspiel ganz mit uns [119] armen Weibern? Auf Sand gebaut, wer Männern traut, ist kluger Weiber Denkspruch, darin sie den Trauring binden und unter'm Gürtel fest am Fischbein tragen, bis ein oder der andre pfiffige Ritter das Räthsel versteht, ihn da weg zu practiziren. Dann ist es aus und das Sprüchwort trillt um.

GENOVEFA.
Was regt sich durch's Gebüsch drunten?
MATHILDE.
Der Wind.
GENOVEFA.
Die Sterne, wie klar!
MATHILDE.
Stimmen nun All' auf einen Lobgesang für ihre schöne Genovefa.

Golo, Adam, Brandfuchs, Dragones und Andre unten.
GOLO.
Greift euch jetzt an! Daß keiner fehlt!
[120]
CHOR.
Klarer Liebesstern,
Du leuchtest fern und fern
Am blauen Himmelsbogen;
Dich rufen wir heut Alle an,
Wir sind der Liebe zugethan,
Die hat uns ganz und gar zu sich gezogen.
ZWEY STIMMEN.
Still und hehr die Nacht,
Des Himmels Augenpracht
Hat nun den Reihn begangen.
Schweb' hoch hinauf wie Glockenklang,
Der Liebe sanfter Nachtgesang,
Klopft an des Himmels Pfort' voll brünstigem Verlangen.
EINE STIMME.
Die ihr dort oben brennt
Und keusche Flammen kennt,
Ihr Heiligen mit reinen Zungen,
Ach benedeyet unser Herz,
Wir dulten, dulten bittern Schmerz,
Wir haben schwer gerungen.
[121]
ZWEY STIMMEN.
Klopft sanft mit beyden Flügeln an,
Klopft sanft und ihm wird aufgethan.
EINE STIMME.
Die ihr die lange Nacht
Dort unten schwer durchwacht,
Ihr Seelen treuer Liebe:
Behaltet eure Flammen rein,
Der Liebesgott wird euch gnädig seyn,
Er wägt schon eure Triebe.
CHOR.
Wie Auferstehung klang das Wort,
Klang hoch herab von Himmels Pfort',
Drang tief hinein durch Mark und Bein.
Ach hoffet All', ach hoffet All',
Hienieden tief im Thränenthal!
Behaltet Herz und Flammen rein,
Der Liebesgott will euch gnädig seyn,
Er wägt nun eure Triebe.
DREY STIMMEN.
Wie Strahlen durch die Lüfte gehn,
Wie Wetter hoch in Wolken stehn,
[122] Wie Summen von der Kirchuhr schwer,
(Herz, schauerst still und hehr!)
Die Liebeswag' am Himmel sinkt,
Die Hoffnung sich zum Erdball schwingt.
EINE STIMME.
Die ihr die lange Nacht
Dort unten schwer durchwacht,
Ihr Seelen treuer Liebe:
Behaltet Herz und Flammen rein,
Der Liebesgott will euch gnädig seyn,
Gewägt sind eure Triebe.
ZWEY STIMMEN.
Was ward uns für ein Trost zu Theil?
Wo liegt der Hoffnungshafen?
ZWEY STIMMEN.
Euch ward sehr hoher Trost zu Theil,
Fragt, die da drunten schlafen.
DREY STIMMEN.
Da regt sich's um die Gräber laut
Wie Wogenschall im Windeswehn,
Wie's Morgens über Wiesen graut
Wenn Nacht und Tag am Scheiden stehn.
[123] Es heben sich tausend Zungen.
Wir haben gedultet die lange Nacht,
Haben sie mit Schmerzen durchwacht,
Haben's schwer errungen.
CHOR.
Nun fühlen wir auch der Liebe Genuß
Jauchzen und freun uns am Ueberfluß,
Nun zählen wir all' die Thränen.
Eine jede verweint ein Perlenschatz klar,
Der uns in Ruh bescheret war,
Ein Kuß ein jedes Stöhnen.
Im Regenbogen unser Gewand
Geschmückt von treuer Liebe Hand.
DREY STIMMEN.
Die ihr auf dieser Welt das Leid
Getrennter Lieb' und Zärtlichkeit
Auch dultet treu und rein:
Brecht süße Blüth' und Blumen ab
Und streut's herum an unser Grab
Und auf den Leichenstein.
Denn selig ruhet hier ein Paar,
Das auf der Erde auch geschieden,
Ach ohne Ruhe, ohne Frieden
In stiller Liebe Schmerzen immerdar
Ihr jung frisch Leben hingeweint,
[124] Bis sie ein süßer Tod allhier vereint.
Laßt sachte rinnen eure Zähren,
Gedenkt an uns bey eurer Qual,
Auch eure Ruhestunde kommt einmahl,
Nicht ewig können Menschenleiden währen.
CHOR.
Wir hoffen, ach wir hoffen All'
Zur letzten Nacht im Todtenthal!
ZWEY STIMMEN.
Am Firmament
Hat's nun vollendt,
Dahin ist bald der Sternlein süßes Prangen.
Die Nacht beschließt nun ihren Lauf,
Die Morgenröth' zieht schon die Flügel auf
Und streicht sich froh die Thränen von den Wangen.
CHOR.
Ach Hoffnung, ach verlass' uns nicht
Wenn sterbend unser Aug' nun bricht,
Halt' du uns fest umfangen.
Wir hoffen, ach wir hoffen All'
In's Mogenroth im Todtenthal,
Schon trocknen unsre Wangen.
[125]
GENOVEFA.
Dank, tausend Dank Allen, herzlichen Dank. Gute Nacht! Geht hinein.
GOLO.
Da Capo.
MATHILDE.
Golo!
ADAM.
Die Gräfin ist schon auf und hinein.
BRANDFUCHS.
Droben ruft's eure Gnaden.
GOLO.
Schade, Genovefa schon fort.
BRANDFUCHS.
Habt ihr's gehört? Dort oben!
GOLO.
Bis morgen Mehreres, werd' euch meine Erkenntlichkeit beweisen. Brandfuchs, hast es brav gemacht.
[126]
BRANDFUCHS.
So gut ich's gekonnt. Gute Nacht, Herr Ritter.
GOLO.
Gute Nacht, Freunde. Es ging excellent.
ADAM.
Man muß zu geschehenen Dingen immer das Beste reden.
GOLO.
Meister, es ist unvergleichlich gegangen. Gewiß.
ADAM.
Gute Nacht, Herr Ritter. Alle ab.
MATHILDE.
Bist du allein, Golo? Es ist dunkel.
GOLO.

Und trüb' und traurig dazu, der schönste Stern verschwunden, der diese Nacht erhellt; jetzt spürt man nichts Erfreulichs mehr.

[127]
MATHILDE.
Sauber Compliment für mich.
GOLO.
Wie ist's? Bringt ihr dem Gefangnen Futter?
MATHILDE.
Kuchen und Biscuit. Sey morgen in aller Frühe bey mir.
GOLO.
Will bis dahin nicht schlafen.
MATHILDE.
Wäre ungesund.
GOLO.
Alles eins, gesund oder nicht, so an der Mauer klebend, an der Seite hier, wo der Engel saß.
MATHILDE.
Nichts weiter! Ich sorge, man belauscht uns.
[128]
GOLO.
Das Einzige nur: wie hat sie die Musik aufgenommen? Hat's ihr gefallen?
MATHILDE.
Ich höre jemand drinnen. Adjes, Ritter. Hoffe das Beste!
GOLO.
Hoffen! O hoffen! Darf ich?
MATHILDE.
Hoffen ist wenig. Gute Nacht. Ab.
GOLO.

Hoffen – Alles! Der Vorhof des Himmels; was hielte länger Welt und Himmel aneinander, wenn Hoffnung und Liebe nicht wär'? Es zerstiebte ja Alles; müßtet dann auch scheiden, holdselige Lichter da oben am blauen Firmament! Brennt fort, küßt noch ein Teilchen euch mit euern lieblichen Strahlen!

Die ihr dort oben brennt

Und keusche Flammen kennt ...

Keusch! Reiner Genuß ist auch keusch. O Wesen aller Wesen, o Geist, der alles umfaßt, beseelt und trägt, [129] Zuck' auf und schwing' mich dahin! Sie ... ich soll hoffen. Ha, es könnte doch wohl noch möglich werden. Möglich? Daran wagt' ich Alles, Alles, Alles, was hier unter Sonne und Mond, Alles, was der zärtlichste Anbether vermag, Alles. Ob sie auch je an mich gedacht? Vielleicht weiß Mathilde mehr noch.. ah.. hier will ich auf und ab die süße Luft einschlürfen, die ihre schöne Wange gekühlt, darein sie ihren balsamischen Athem ergoß; begrabt mich hier, wenn ich einst sterbe, mein Leib wird nicht in Staub zerfallen, alle meine erstorbnen Adern werden in ein neues Leben zurück dringen und wie Blumen durch die Erde zu dieser Luft empor schießen. Du Engel, holder süßer Engel! Wo sie jetzt ruht? Das Küssen, das ihre Wange drückt, die Kammer, die sie verschließt ... Ob sie jetzt schon die Augen geschlossen? Die Augen, die eine Welt von Seligkeit umfangen. Wer doch der Schlummer seyn könnte, auf solch einem Paar Wimpern zu ruhn. Ewiger, reicher Himmel! Ist es bald, eh' ich verschmachte? Dein Aug' wird mich noch leiten in's Grab, in's finstre Grab, feins Liebchen, thu nicht scheiden. Kalter Tod, warmes Leben, Alles um sie, die Welt, das Universum, um einen einzigen Druck.

Schlaf wohl und süß, Liebchen zart,

Auf deinem Mund meine Himmelfahrt!


Ab.
5. Szene
[130] Fünfte Scene.
Dragones Zimmer.
Wallrod, Dragones.

WALLROD.

Haben's nun lange genug mit einander überlegt, die Uhr hat bereits mit träger Zunge Mitternacht ausgesprochen, laßt hören, wie euch meine Gründe einleuchten.

DRAGONES.

Wohl gesagt ist Alles, ein ruhig Gewissen ist feiner als Gold, ich fühl's nun ganz und gar in mir selbst, werde euern Vermahnungen folgen, der Bekanntschaft von nun an müßig gehn, bereun, was ich der Zeit gethan, von Herzen, will die von euch mir aufgelegte Pönitenz treulich verrichten. Aber euch statt meiner jetzt um die bestimmte Stunde unsrer heimlichen Zusammenkunft in Mathildens Zimmer zu führen, däucht mich zu gefährlich, es ließe sich vielleicht besser einrichten, überlegt's einmahl.

WALLROD.

Siehst du, das ist wieder Sündenschwachheit an dir. Vorhin willigtest du ein, warst stark, jetzt reut's dich wieder. Was kann man von solcher Buße hoffen?

[131]
DRAGONES.
Seyd nicht zu strenge.
WALLROD.

Was strenge! Müßtest du Vater und Mutter verläugnen, wär's hier um Weib oder Kind zu thun, dann wollt' ich's gelten lassen, daß du zurückscheutest: aber hier ist es Schande, um so etwas auch nur einen Augenblick anzustehn. Es muß dir wenig an der Ruhe deiner Seele liegen, daß du auch so etwas nicht einmahl darüber wagen magst.

DRAGONES.

Ihr wißt es besser; wenn ihr also sehr darauf besteht, hinzugehn, und einen Beweis meines Abscheus daraus ziehen wollt, bin ich zu Allem bereit. Eben jetzt ist's die rechte Stunde.

WALLROD.
Eine Stunde des Heils, laß uns die nicht versäumen.
DRAGONES.

Einen Augenblick Gedult, ich will voran, die Leiter erst anstellen, wahrnehmen, ob's auch überall [132] sicher ist, mich dünkt, ich höre draussen Hund' anschlagen. Ab.

WALLROD.

Der größre Sünder legt geringerm Pönitenz auf, läßt Andre für seine eignen Verbrechen mit büßen. Es ist der Dinge Gang, der das Gerade oft unter's Krumme hinschleift, wie leichte Strohhalme durch einander. Ha Mathilde, du raubst mir auch noch die Hoffnung zur Seligkeit einst, ich bin deinetwegen schon Alles geworden, hast mich mit Lastern verwandt, zu denen nie vor Neigung in meinem Herzen lag. Rache! Rache! Bald nun über dich so, geleitet selbst von der Hand ... von ihm – ah! Stähle dich, Herz! Ohr, sey fest in dieser Stunde, laß das Gift ihrer schlüpfrigen Zunge nicht in dich hinein! Augen, vermeidet ihren Zauber, Schlangenstichen ähnlich, ähnlich dem Sirenengesang, der das Herz entmannt. Ich will sie hinterrücks anfallen, eh' die Medusa mit ihren Blicken mich versteint. – Mein Führer winkt. Ab.

6. Szene
[133] Sechste Scene.
Mathildens Zimmer.

MATHILDE
beym Licht.

Ich bin neugierig, wie sich's endlich erklärt. Genovefa will nichts riechen nach so mancherley Versuchen, bleibt immer kalt und in gleicher Fassung. Verstellung ist's wohl nicht; sie hat zu wenig Weltwitz, so fein hinter'm Berge zu halten. Was denn? Unschuld? Glaub's fast eher. Gewiß, ihre Auferziehung war ganz darnach. Unschuld! Es ist so, wie eine Wölfin ein Lamm fängt, fein lebendig zur Höhle heim trägt, daran ihr Junges im Würgen zu üben: so möcht' ich sie meinem Golo gern ... Dumme Rolle! – Und doch, was ist's? Manche Menschen, scheint's, als wären sie wirklich von der Natur für die Zähne des Andern bestimmt. Der arme Junge verzehrt sich so ganz, seine frische Farbe, Leben, Munterkeit, Alles weg, versengt wie ein Baum über der Flamme; ich kann's nicht länger mehr ansehn, ich muß Rath schaffen. Da liegt ja wohl ein Billet von ihrer Kammerfrau, wir werden vielleicht gut's Neues hören. Liest. Was Wetter! Verflucht! Von wem das kommen mag! Briefe werden in Genovefa's Fenster geworfen, die sie vor meiner und Golo's Verrätherey warnen. Wer Teufel hat hier wieder Hand im Spiel? – Christine kömmt. Mensch, warum bist du noch nicht schlafen?

[134]
CHRISTINE.

Wollt's Gnaden nur sagen, daß in der Nacht noch spät ein Billet kam, das Gnaden vor Schlafengehn lesen müßten, vergaß es vorhin.

MATHILDE.
Hab's schon gelesen.
CHRISTINE.
Sonst nichts mehr zu Befehl?
MATHILDE.

Zu Bett, es ist schon spät. – Christine ab. Was es nur bedeuten soll? Faßt sie Argwohn? Sie will Golo nach Brabant an ihres Vaters Hof senden, so schreibt mir ihre Kammerfrau. Muß denn endlich doch gerochen haben! Wäre mir im Grunde lieb, sie weiß dann, woran sie ist. Abgekürzt! Sonst läuft es dem Romanenschlender zu, die lange langsam Liebescaravane. Schwärmerey, Narrheit! Sie sind beyde gemacht, hundert Jahr' einander zu quälen, wenn nicht irgend ein gescheites Paar Hände sie zusammen faßt und an einander hinstößt; der Deus ex machina will ich seyn, meinen Jungen mir wieder curiren, kost' es auch, was es wolle: eine, zwey, drey Nächte, auch [135] meinetwegen zehn, was ist's weiter? Nach dem Haben verliert sich das Wollen, unsre angesteckte Phantasie zaubert sich oft im Verlangen Paradiese, um die uns Genuß wieder bestiehlt. Dahin muß ich's nun wenden, aus dem verkehrten Menschen wieder was Gescheites zu bringen. Was Genovefa anlangt, mit der will ich nachher schon fertig werden; Spötteley über ein Paar erröthende Wangen und dergleichen. Sey's so. – Wie, Mitternacht vorbey? Wo steckt denn der Schneckenliebhaber noch? Dragones, lahmer, langsamer Bengel, wo er wieder bleibt! Es regt sich die Treppe herauf; nein ... Teufel! Wo nur das Vieh wieder so lange ... ich will ihm nächster Tag einen Laufzettel anhängen, er ennuyirt mich immer mit seinen geziemlichen Frau-Basenbedenklichkeiten. Es knarrt an der Thür, die Fenster zittern, herein! Wieder nicht! Ist mir ganz eng, heiß, verdammt verzehrend Warten! Christine mit Licht.

CHRISTINE.
O, gnäd'ge Frau! O!
MATHILDE.
Was Teufels hast du, daß du heut nicht zu Bette willst?
[136]
CHRISTINE.

Verzeiht, liebe gnäd'ge Frau, bin nicht schuld ... es ist was passirt in meinem Zimmer ... seht, wie ich zittre! Auf der Treppe drunten – bethete eben das Nachtgebeth, wollte mich niederlegen, hatte die Thür noch nicht verriegelt, da fuhr euch auf einmahl, wie erschrak ich! 's graust mir noch! der Waldbruder mit bloßem Dolch zur Thür 'rein, rennt ausgehohlt auf mich los, ich that einen heftigen Schrey, da starrt er mich an vom Kopf bis zu Fuß, schüttelt knirschend und sprang wieder zurück zur Thür hinaus; unten an der Stieg' hört' ich drauf zu zweyt pispern, mich däucht, so leise es war, Dragones Stimme.

MATHILDE.

Ich weiß jetzt ... o Teufel! Teufel Verrätherpack, was habt ihr mit einander? – Hast nichts vernommen, was sie sprachen?

CHRISTINE.
Konnte nichts deutlich verstehn.
MATHILDE.
Klar, klar. Wallrod! Dragones! Verfluchter Wallrod! Unverschämter Dragones!
[137]
CHRISTINE.
Gnäd'ge Frau, es schleicht wieder was die Treppe 'rauf. Soll ich verriegeln?
MATHILDE.

Laß auf! – Soll herein kommen, wer's ist, will ihn empfangen. O Wuth! – Die Brust auf, schneide los, den Spiegel her, hier vor mich hin, will mir die Haare auskämmen, abgesteckt, losgeflochten, soll nur kommen, der Tropf! Als müßt' er nicht seyn, was ich will? Zum lachen, ha ha ha!

WALLROD
mit bloßem Dolch unter dem Arm zur Thür herein.
MATHILDE.
Guten Abend, Wallrod! Grüß' euch so spät. Seit wann habt ihr's vor, Leute zu erschrecken? Ha ha ha!
WALLROD.
Hab' ein paar Worte mit euch allein zu sprechen.
MATHILDE.
Zwanzig Paar. Sitzt her. Zieht einen Stuhl herbey.
[138]
WALLROD
vor sich.

Stoß' ich gleich zu? Nein, will ihr zuvor noch Alles in's Gesicht sagen, Alles, was ich auf dem Herzen halte, mich erst recht sättigen und dann ...

MATHILDE.
Nun, sitzt her zu mir.
WALLROD.
Kann hier stehend warten.
MATHILDE.
Da neben mich. Thut ihr doch so fremde!
WALLROD
sitzt, das Gesicht abwärts gedreht.
Hätt's nicht thun sollen. Muß Herz halten!
MATHILDE.

Wollt' eben einen Aufsatz probiren, sah einen Frauenkopf auf einem geschnittenen Steine, der Haaraufsatz gefiel mir, ihr sollt mein Meister seyn, ihr habt Geschmack im Putzen. Seht, wie geht's so?

[139]
WALLROD
vor sich.
Nein, sie soll mich nicht fangen mit all' ihrer List und Gewalt, es ist vorbey!
MATHILDE.
Seht doch.
WALLROD.
Auf's Bitterste mich rächen für alle Schmach! – Was begehrt ihr?
MATHILDE.

Ihr liebt Perlen in den Haaren, das weiß ich noch von Altem. Perlen her! Geschwind! – Wallrod, ihr machtet mich oft lächeln, wenn ihr stundenlang auf Aehnlichkeiten sannet, mit denen ihr dann meine Haare vergleichen wolltet, unter einer Million euch am Ende keine gut genug war. Bald waren sie euch Ketten von Indischem Golde, bald Ordensbänder der Helden der Liebe, bald Strahlen des Ocean's, wenn der leuchtende Titan sich eintaucht, bald Sennen am Bogen Cupido's, jedes Perlchen, einer eurer süßesten Wünsche dran geknüpft. – Wie sind die Zeiten verrostet. Wer doch verliebten Schwüren trauen wollte! Hahaha!

WALLROD.
Das sagt sie mir.
[140]
MATHILDE.
So durchflochten, oben auf dem Wirbel im stolzen Knopf zusammen gedreht, wie Königin Semiramis trug.
WALLROD
steht auf.
So nannt' ich die Zauberin oft im Taumel.
MATHILDE.
Oder so über dem Rücken schlagend, wie Cleopatra am Cydnus?
WALLROD.
Auch so. Dann war ich ihr Antonius.
MATHILDE.
Wiegt einmahl, Wallrod, mein Haar ist seit kurzem gewachsen und schwerer.
WALLROD.
Bindest den Simson, Delila! Nein! nein!
MATHILDE.
Ha ha ha, thust ja, als wär's giftig.
[141]
WALLROD
faßt es.
Vorbey! Durch alle Gebeine! O! Höllisch Feuer!
MATHILDE
zieht ihn an, schlägt ihn mit der Perlenschnur.
Bleibst doch heunt hier?
WALLROD.
Wer mag's? Gewalt! Sie hält mich!
MATHILDE
winkt, Christine ab.
WALLROD.
Wie Alles sich hin nach ihr streckt und dehnt! Umsonst! er wirft das Schwert hin.
MATHILDE
spannt die Arme auseinander.
Herein!
WALLROD
fliegt hinein.
Giftige unwiderstehliche Schlange! Die mich tausend und tausendfach knüpft!
[142]
MATHILDE
küßt ihn.
So warm!
WALLROD.
Mathilde!
MATHILDE
küßt.
Da hast du eins, Wilder, Unersättlicher, da!
WALLROD.
Hör' auf, oh! Dich zu ermorden kam ich her ... ermorden! – Will's noch.
MATHILDE.
Hattest du so was im Sinn?
WALLROD.

Soll ich nicht? Ha! Nein, ich leid's nie, leid's nie, daß je ein Andrer dich besitze, lieber dich todt vor mir, lieber dich tief in die Erde! Du und ich, wir Beyde müssen eh zu Grund!

MATHILDE.
Still jetzt.
[143]
WALLROD.

O hab ich nicht recht? Hab' ich nicht Alles für dich gethan? Du! Du hast mein Leben weggeschwelgt, meine Jugendblüthe, Stand, Hoffnung, Ehre, was ich vermochte, brachte dir meine Liebe dar. Du nahmst es, schlucktest mich ganz ein, wie eine hungrige Weihe. Alles, Religion, Gewissen! Ich bin das Wachs, worin du deine Schandthaten gedrückt. In dieser erbärmlichen Gestalt, ein Ritter gebohren, ein Graf! Ich möchte mich fast selbst beweinen. Dieß Haupt, seiner Jugendlocken um deinetwillen beraubt, gewöhnt des ehrenvollen Helmes! Es ist kein Theil an mir, das nicht über Aufopferung deinetwegen schreyt! Und nun bin ich dir ein räudiges, ausgedientes Windspiel, das der Herr aus seiner Gesellschaft jagt, ich soll nur so von ferne nachsehn, o Unglück!

MATHILDE.
So eins auf dein Schelmenmaul! Kein Wörtchen weiter!
WALLROD.

Mit einem Bengel, wie dieser, der dich nicht achtet, mit einem gemeinen Kerl, der's nicht einmahl fühlt.

[144]
MATHILDE.

Soll ich dir's versiegeln? Küßt ihn. Hinein! Zu Bette! Will mein Mädchen schlafen schicken, dann komm' ich nach.

WALLROD
hängt an ihr.
Erquicken! Wieder einmahl nach langem Schmerz.
MATHILDE.
Gehst?
WALLROD.
Zauberin! Gingest du voran, ich folgte dir nach in die Hölle. Ab.
MATHILDE.

Sperling. – Dragones, hast mich verrathen, die Stunde wird bald schlagen, daß Mathilde dich zur Rechenschaft fodert. –

3. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Grüner Platz im Garten zu Pfälzel.
Golo ein Buch in der Hand, Mathilde.

GOLO.
Der Baum sonst fühlen Schatten gab,
Hängt nun herab,
Seine Blätter im Wind zerwehen.
Der Sonnen Gluth die Lilg' verzehrt,
Nichts bleibt und währt ....
Hm, diese Stelle, daß ich gar nicht hier los kann.Liest.
MATHILDE.
Laß einmahl hören.
GOLO
liest.

»Das Beste in der menschlichen Natur ist es, daß wir es abschütteln können, wennn uns etwa die Last [146] zu schwer drückt, das kürzere Ziel ergreifen, wenn uns das weitere zu lang däucht. Er, der uns mitten im Wirbel von Cirkeln und dunkeln Labyrinthen dieses Lebens in Irre gelassen, wo wir oft geblendet, von höherer Hand fortgestoßen, unserm Verderben manchmahl wider Willen entgegen eilen, wo wir oft gedrückt durch enge Wölbungen auf dem Bauch fortkriechend, mit Lasten von Elend beschwert, athemlos nach Luft schnappen, durch wollen und nie Auskunft sehn: er hat uns zum Stab und Freund das herrliche Gefühl von Vermögen mitgegeben, abzuschütteln, wenn wir es müde sind, und uns aus diesem Knäul von zusammen gewickelten Drangsalen und Leiden durch eine große Thüre herrlich und frey wieder loszuwinden.« – Vortrefflich!

MATHILDE
reißt ihm das Buch weg.

Quacksalberey, die den Kranken noch elender macht, Hirnwulst. Willt du auch noch so ein denkender Narr werden, jetzt, da der Hundsstern ohnehin am Himmel steht? Denken und Denkeln, was kömmt dabey heraus? Dummheit! Eine Maus sucht das erste beste Loch, sich drein zu retten, wenn hinter ihr her die Katz' ist. Der simple Mensch sieht immer zehn Auswege, einem Beschwerniß zu entkommen, wo ein Denker oft stockt und stottert; warm? Er thürmt sich nicht selbst ausgeheckte Erschwernisse [147] hin, seine Phantasie bekleistert ihm nicht die Augen, er schaut auf's Wirkliche, Wahre umher, staunt nicht am eigen hingedachten Unwahren beständig hinauf, wie ihr Andern. Und wenn ihr denn endlich durch euch selbst caput werdet und wie die Hunde darüber zur Welt hinaus marschirt, wollt ihr's noch Wort haben, daß es groß Mannsstück heissen soll. Leiden und überwältigen lassen war nie meine Sache; auf Andre wirken nach unserm Willen, die Peitsche hochgeschwungen und tüchtig drüber hinein gehauen, wenn die Schindmähren Convention und Menschenumgang es einem zu warm machen; Projekte auf Projekte hingethürmt, eins über's andre hinauf, Fuß auf Fuß, fest, bis es durch ist, was wir wollen. Der Unermüdende, Unermattende ist mein Idealheld. Was wäre diese schmutzige ungewaschne Welt dir gleich wieder, wenn Genovefa auf deine Lippen hin dir einen Kuß drückte?

GOLO
schlägt zusammen.
Himmel!
MATHILDE.

Also voran! Mit Stillhocken erjagt man nichts. Ihr seyd wie die Kinder in euern Projekten, die sich wohlwollen und doch beständig einander die Rücken zudrehen. Was ist's, warum das Kind schreyt? Mama will ihm den Apfel nicht reichen. Hätt's ihn genommen [148] und wie ein braver Junge ihn verzehrt und weiter's Maul gehalten!

GOLO.
O wäre so was möglich!
MATHILDE.

Möglich, möglich. Manche hätte sich längst gern ein Messer an den Hals gewünscht, nur es meynen zu dürfen, man hab' sie gezwungen. Klagt doch nicht über uns gute Weiber, ein Seufzer kostet einen Athemzug, mehr nicht ein gut Wörtchen, und das hilft zur gelegnen Stunde mehr als all euer Kreuzigen und Casteyen. Eine Nuß im Bauer aufgehenkt, darnach fliegen alle Vögel gerne: Anbethung, Verzweiflung, Schönheit, Himmel und Seligkeit, wenn wir davon hören, sind wir weg. Glückliche und Unglückliche zu machen, die Göttin über den Mann zu spielen, war von jeher des Weibes süßester Stolz; manche versagt sich's selbst, martert sich ab mit angenommener Strenge, nur die Verzweiflung ihres Anbethers, die ihr so sehr schmeichelt, immer kräftig zu erhalten, und eine Andre läßt von der bescheidensten Tugend nach, weniger oft aus Wollust, als weil es ihr süß ist, ein Geschöpf, das so ganz von ihr erliegt, durch ihre Huld so überschwenglich glücklich zu machen. Wer uns einmahl von [149] der Seite weg hat, treibt uns nachher wie er will in's Garn. Also Courage!


Steffen.
STEFFEN.
Gnädige Frau, der Gräfin Kämmerin läßt sich empfehlen und schickt hier das Bewußte.
MATHILDE.
Gut, Rückgruß, werde nachher selbst mit ihr sprechen. Adjes. Steffen ab.
GOLO.
Was gibt's da?
MATHILDE.

Meynst du, daß ich müßig sitze, wenn ich nicht mit den Händen hin und her greife, oder mit Seufzern an's Sternenchor hinauf appellire? – Siehst?

GOLO.
Ein Schlüssel.
MATHILDE.
Wo meynst du, daß er hinführt?
[150]
GOLO.
Ach! Mir ahndet's. Kommt er von ihr selbst? Oh! Wie?
MATHILDE.
Was fragst du darnach?
GOLO.
Es ist nicht möglich! Nein! Ist's möglich? Ist's wahr?
MATHILDE.
Es ist. Fein stille. Nun, getraust du ihn zu nehmen?
GOLO.
Um Alles, um Tod und Leben.
MATHILDE.

Mußt mir jetzt auch einmahl ein braver Ritter seyn. Nun steht Alles auf dir selbst, so weit hab' ich's getrieben; wie du jetzt fertig wirst, ist deine ...

GOLO.

Ich verstumme. Mathilde! Herrliches, treffliches Weib! Thust es für mich, hast es gethan! Himmel! [151] Nun bricht wieder Sonne in mir hervor. O Wonne! Kann, weiß, will, mag Alles wieder, bin wieder ein Mensch, wieder ein Mann, auf einmahl! Neue Welt, neues Leben!

MATHILDE.

Muß dir erst Anweisung geben, wie du ihn heut Nacht brauchen darfst, es schleichen neugierige Ohren hierum im Grünen auf und ab, Genovefa's Fräulein. – Nun siehst es, wenn ich es auch immer so gemacht, die Hände so über einander geschlagen, das Maul voll Ach und Weh ....

GOLO.
Du bist eine Juno.
MATHILDE.
Sagst du immer noch, ich liebe dich nicht, thu' nichts für dich?
GOLO
küßt ihr die Hand.
Mehr, mehr, als ich zu sagen, zu denken vermag. Ab.
2. Szene
[152] Zweyte Scene.
Andre Seite des Gartens. Grüne dunkle Laube.

GENOVEFA
einen Brief in der Hand.

Wieder eine Zuschrift, die mich laut vor Golo warnt. Woher die Briefe alle kommen? Ich soll mich vor Golo hüten, ihn von Pfälzel entfernen. Es könnte wohl Mathilde seyn, die mir's schreibt, vielleicht denkt sie, daß eine Reise seine Schwermuth ... doch nein, auch sie nicht, sie liebt den Ritter zu viel, als so etwas von ihm zu schreiben, so von Golo! Es ist ja nicht möglich, schändlicher .... pfui! Liest laut. Will mich euch bey Gelegenheit entdecken, sollt diesen Abend im Garten mich am Brunnen finden, mich, der ich dieß schreibe, daran erkennen, wenn ich mit der Hand mir Wasser schöpfe und eins trinke. Laßt's euch noch einmahl sagen, entfernt Golo sobald als möglich von Pfälzel, oder ihr seyd in Gefahr von der Schlange umflochten zu werden, die jetzt schon mit ihrem Gifte nach euch zueilt. Zerreißt das Blatt. Verwese, Schlechtes, o nicht länger sollt du mich grämen. Selbst Schlange, die du mich mit Verläumdungsgift begeifern möchtest! Man liest es wohl in Büchern, daß falsche Teufel unter der Maske von Engeln gespielt und betrogen, aber Menschen gibt's so keine, gewiß nicht – Dragones kommt. Wie ist's? Gefällt dem Ritter die Lustreise, die ich ihm vorschlug?

[153]
DRAGONES.
Er will sich darüber bedenken und dann Antwort geben.
GENOVEFA.

Laßt sogleich anspannen, ich will vor Abend noch ein wenig ausfahren und draussen über die Wiese hin frische Luft schöpfen. Dragones ab. Die Thränen kommen mir in die Augen. Abscheuliche Menschen! Ich sollte fast den guten Ritter um Vergebung bitten, daß ich solche Verläumdung gegen seine Ehre nur angeblickt. – Meine Fräulein.


Julie, Anne, mit Blumensträußen.
JULIE.
Das präsentiren wir.
ANNE.
Arm, aber gut gemeynt; Sommerblümchen, aus dem Schatten gepflückt, wie sie die Hitze übrig ließ.
GENOVEFA.
Schönen Dank. Beliebt's, mir Gesellschaft zu leisten über die Wiese? Habe anspannen lassen.
[154]
ANNE.
Mit vielem Vergnügen.
GENOVEFA.
Ihr saßet ja am Brunnen, ist Niemand zu euch hinkommen?
JULIE.

Ein hübscher junger Waldbruder, fein von Gesicht, nicht wahr, Annchen? Er grüßte uns höflich, schöpfte mit der Hand Wasser aus dem Brunnen und trank eins.

GENOVEFA.
Waldbruder?
JULIE.
Gewiß. Was hat er uns doch für einen Spruch gesagt, daran wir fleißig denken sollten?
ANNE.
Wer sich warnen läßt zur rechten Zeit,
Selten den groß Unglück trift;
Manchen hat's zu spät gereut.
[155] Unverfälscht blinkt oft im Glas der Wein,
Aber schlingt man ihn hinein,
Spürt man erst das Gift.
GENOVEFA.

Der hat euch das gesagt? Behüt' einen Gott vor dergleichen Erfahrungen! Gift und Wein beyeinander in einem Glase. Kommt, der Abend ist heute so freundlich, wir wollen unterwegs einander erzählen.

3. Szene
Dritte Scene.
Adolfs Zimmer.
Adolf, Adam.

ADOLF.

Mir ist der Säbel lieber als fünf Morgen Weinberg. Betrachtet den Griff, Meister, das Klingenwerk; solche Arbeit macht man hierum im Lande nicht. Die Schwertfeger von Strasburg sind bekannt, aber so wie das gearbeitet – bey Leibe! Ich will euch gleich eine Ofenschraube herunter hauen, ohne daß es der [156] Kling' eine Scharte läßt. Man muß es den Türken lassen, in der Sach' zu arbeiten verstehn sie sich gut. Aber weiter in eurer Erzählung; ihr sagt mir, drey Nächte hinter einander steigt jemand über die Schloßmauer? Um Mitternacht, sagt ihr? An der Thurmseite, da wo meine Schwester logirt?

ADAM.
So haben mir's die Leute notifizirt.
ADOLF.

Haben doch nichts von Mauserey seitdem gehört. Ihr seyd dessen doch gewiß, was ihr da erzählt, Meister?

ADAM.

So gewiß man eben eines Dings auf andrer Leute Zeugniß seyn kann. Meine Knechte erzählen's so, hielt's für meine Schuldigkeit, es euch gleich zu notifiziren.

ADOLF.

War recht, wie denn vernünftige Leute gleich von selbst wissen, was sich in einer Sache schickt und an wen man sich zu wenden hat. Manch' Andre wollen wohldienen, gehn unser einen vorbey, denken gleich, [157] Golo müsse der Mann allein seyn, um den sich einer zu bekümmern labe. Es freut mich recht an euch, Meister, daß ihr hierin wie ein Biedermann denkt. Müssen auch ein Gläschen zusammen stoßen. He! Bediente! Bediente kommen. Langt ein Fläschchen, wißt schon, von welchem. Meister, von der ganzen Sache laßt Niemand weiters wissen. Wann's dunkel wird, komm' ich in Garten zu euch hin, wollen uns dann an einen sichern Ort zusammen hin stellen und sehn, was hinter dem Ding ist.

ADAM.

Es ist das Beste so. Bedienter bringt Wein, schenkt einem jeden ein Glas ein. Auf gut Wohlseyn! – Ah, trefflich!

ADOLF.
Schmeckt er?
ADAM.
Vor solchem muß man die Kappe abziehn.
ADOLF.
Ha ha ha! Ihr macht meinem Wein ein Compliment.
[158]
ADAM.
Nicht dem Wein, aber dem, der ihn hat wachsen lässen.
ADOLF.
Da bin ich auch dabey. Sie trinken.
ADAM.
Sollt' ich etwa noch ein paar Kerls zur Hand halten im Fall?
ADOLF.
Nicht nöthig, sind ja zu zwey.
ADAM.
Ist wahr.
ADOLF.

Ihr wißt ja den Platz genau. Nun gut, steigt er hinüber, so zieht ihr ihm die Leiter weg und er ist drüben in der Falle, ich lauf' dann geschwind als möglich voran in's Schloß, lass' überall besetzen und durchvisitiren, wollen's dann bald sehn, wo und was der Vogel ist.

[159]
ADAM.
Adjes. Kommt denn bald nach, wenn's euch beliebt. Ab.
ADOLF.

Gleich – An der Thurmseite, wo meine Schwester logirt? Mir ahndet nichts Guts. Schwester, kenne deinen unruhigen verwegenen Sinn. Ab.

4. Szene
Vierte Scene.
Nacht. Schloßgarten. Das Schloß mit dem Altan im Hintergrunde.

DRAGONES.

Hier her hat mich der Waldbruder bestellt. »Dragones, sitz' auf, reit' diese Nacht noch von Pfälzel, dein Untergang ist sonst gewiß,« so schreibt er mir, ermahnt mich, eiligst von hier zu entfliehn, schickt mir ein Pferd sammt einem schweren versiegelten Beutel. Und bald drauf wieder mündlich hieher bestellt, mit Bedeutung, er habe mir vor noch was Nothwendiges [160] zu sagen; gewiß all' das Mathildens wegen. Ich dacht's vorher, es geht so. Meinetwegen. Fortgehn, da mach' ich mir nichts draus, ein ehrlich Blut findet's überall daheim, die Welt ist groß, lieber draussen herum, als noch länger hier so fort. Wenn er doch nur bald käme! – Ich ginge noch heute Nacht weiter. Ich will dort unter den Bäumen auf und ab schleichen und passen, bis er kommt. Der Mond verkriecht sich hinter der Wolke. Ab.


Golo mit einer Leiter, Mathilde.
MATHILDE.

Hier hinauf, das Altanfenster ist auf. So ist die Losung, um Eins nach Mitternacht, hörst du? Habe Alles eingerichtet, daß du allein bist, mach's jetzt still und klug. Hörst du, um Eins nach Mitternacht.

GOLO.
O wäre nur die Stunde schon da!
MATHILDE.
Gedult nur.
GOLO.
O wer die auch haben kann!
[161]
MATHILDE.
Eins nach Mitternacht, eher ja nicht! Adjes.– Ab.
GOLO.

Wie auf der Feuerprobe. Haltet mich doch, Nerven, bis dahin, daß ich nicht vor der Zeit versinke, eh die Stunde ... eh ich mich an ihren himmlischen Busen gelegt. Wie wird mir? Mir schwindelt. Wer hätt's geglaubt, gehofft? O Leben! Leben! Verbirg mich noch ein Weilchen hier, Grotte, bis sie ruft, die süße Stunde, die süße Stunde des Himmels. Geht in die Grotte.


Adolf, Adam, kommen leise.
ADOLF.

Will meinen Säbel probiren, wenn's jetzt dazu Gelegenheit gibt. – Meister, wir steyn hier eben nicht sehr gut, können's nicht genug übersehn.

ADAM.
Der Mond steht jetzt noch tief.
ADOLF.
Laß uns derweil auf und ab schlendern, bis es heller wird.
[162]
ADAM.

Ist's wahr? Es soll ja kürzlich zwischen den Christen und Mohren zu einer heftigen blutigen Schlacht kommen seyn.

ADOLF.

Man spricht davon, Zuverlässiges weiß man aber nichts; hoffe in wenigen Tagen, wenn anders Gott die Unsrigen glücklich erhalten, genauere Nachricht zu hören. Beyde ab.

GOLO
hervor.

Wie unruhig die Nacht! Hat mich der schönste Stern hervor gezischt? Oder war sie es selbst, die jetzt eben so liebeunruhig im Grünen irret, wie ein angeschossen Reh, meiner heißen Sehnsucht zu begegnen? Wie entglommen mein Herz! O Mathilde, du sagtest mir nicht Alles, ich bin wohl glücklicher, als ich es selbst gewußt.

Ach, süßes Glück der Liebe,

Wer dich nicht kostet,

Des Lebens Freude kennt er nicht,

Des Lebens besten Schatz.

Still! Was hör' ich droben am Fenster? Sie selbst, o Himmel! Zieht sich in die Grotte.

[163]
GENOVEFA
oben auf dem Altan.

Die du Alles bedeckst, Nacht, bedecke auch meinen Gram, süße, liebe, heitre Nacht. – Ich bin schon wieder froh. Was traure ich denn auch? Was hat mein Herz verbrochen? Singt.

Viel lieber wollt' nicht leben

Als mich dem Gram ergeben,

Der Gram das Leben frißt. –

Was nur der Waldbruder meynte? – Sollte es möglich seyn, großer Gott, möglich? Golo ein Verräther, an mir, an Siegfried, der ihn so brüderlich liebt? Und warum sollt' er's seyn, warum? Singt.

Auf's sichre Nest kein Vogel geht,

Auch Sturm es manchmahl rüttelt,

Kein Baum im freyen Walde weht,

Den Winters Gewalt nicht schüttelt.

Was auf der Erde lebt und steht,

Wechselt immer Schmerz und Wonne,

Der Winter wohl nach Sommer geht,

Nach Regen lacht die Sonne.

Also packt euch, ihr Grillen, wohin ihr wollt, ich mag nicht länger mit euch zu schaffen haben. – Wie angenehm der falbe Mondglanz zwischen den Bäumen dort unten! Ich will auch hinunter, mich noch ein Weilchen erlaben, jetzt, da ich allein bin.Ab.

[164]
GOLO.

Kommt sie herunter? – Sie fliegt herunter, meinen Armen zu. – O Stunde, bist du da? Ich hör', ich hör' sie schon, da ist sie, da bin ich, wie über Wolken zu dir auf, himmlisches Wesen.

GENOVEFA.
Wer hält mich? Wer ist das? Himmel! Bin ich nicht allein?
GOLO.

Ach, kannst du noch fragen? Ich bin's, Genovefa, ich, der dich schon so lange anbethet, nach dir lechzt, wie der Hirsch nach frischem Trank, nach dir! Genovefa, Genovefa, du, selig machst du mich, selig! Er kniet vor ihr und hält sie.

GENOVEFA.
Edler Ritter, laßt ab, ich bitt' euch, haltet ein, ihr irrt.
GOLO.
O Leben! Nimm mir das Leben! Theure, ich liebe euch, liebe euch.
[165]
GENOVEFA.
Ihr liebt mich, Ritter? Wie? Ihr? Was sagt ihr?
GOLO.
Ach hier, wo sich mein Herz verlor
In süßen Jugendtagen,
Ihr Stauden, hänget noch betrübt
Von meinen schweren Klagen!
O schau' hinauf in's Sternenchor,
Sie werden's all' dir sagen,
Wie treu und rein der Ritter liebt,
Der dir so ist ergeben.
So rein ihr Schein,
Steht hoffnungsfroh nach dir allein
Mein Streben und mein Leben.
Erlös mich, schönstes Herz, eine arme Seele aus Flammen zu dir! Erbarme dich!
GENOVEFA
zitternd.

Was wollt ihr? Golo, Golo, was sprecht ihr? Gedenkt doch ... O nein, nein, es darf ja nicht ... schweigt doch, der Himmel hört uns Beyde. – Schaut um euch, junger Ritter, in der Welt werdet ihr noch eine schöne Gemahlin finden, die euch trösten darf; sprecht nicht so zu mir, ich vermag's ja nicht.

[166]
GOLO.

O bey den Lichtern, die dort oben brennen, keine unter dem Himmel und auf Erden als du allein! Eh soll sich dieß Herz so in Gluth verzehren! Du allein, süßes seliges Wesen, dein Abdruck, rein bis in den Tod.

GENOVEFA.
O laßt mich, laßt mich, laßt mich doch, Ritter! Kann euch nicht länger anhören, O Himmel!
GOLO.

Flieh' nicht, Genovefchen, reißest mir die Seele mit weg. Ermorde mich, Grausame, gib mir den Tod, sage, du wollest mich nicht trösten, dein Zorn macht mich zur Leiche.

GENOVEFA.
Golo! Ritter, bedenkt doch um's Himmels willen!
GOLO.
Es ist vorbey, ich kann nicht. Küßt ihre Hand.
[167]
GENOVEFA.
Halt!
GOLO.
Engel, süßer Engel!
GENOVEFA.
Falscher, was treibt ihr? Unsinniger!
GOLO.
Umsonst! Umsonst! Umfaßt sie und trägt sie der Höhle zu.
GENOVEFA.
Ungeheuer! Nicht edler Ritter! – Ihr droben, erbarmt euch mein! Hilfe! Hilfe!

Dragones der Grotte zu.
DRAGONES.
Was gibts hier? Steht! Wer ist's? – Eure Stimme, Gräfin? Ehrenräuber! Wer du auch bist, halt! Halt!
[168]
GOLO
läßt Genovefen los, schlägt den Mantel vor.
Hölle! O Alles! Da, nimm's, ungebethner Hund!
DRAGONES.
Weh mir! Bin verwundet! Hilfe! Oh Hilfe!
GOLO.

Was soll ich nun? Genovefa! – Was fang' ich nun an? Verflucht! Dort kommen mehr Leute. Ich muß flüchten, bin verrathen, verloren! Ab.


Adolf, Adam.
ADAM.
Von dortherwärts.
ADOLF.
Vermutlich der Mauerklettrer.
ADAM.
Es war, däucht mich, eine Weibsstimme drunter.
ADOLF.
Meynst du? Wer ist hier? He Fackeln! Lichter! Wache!
[169]
ADAM.
Fackeln! Leute! Wache!
DRAGONES
angelehnt.
Weh mir, ich verblute.
ADOLF.
Wer bist? Gib Antwort oder ich hau' dich in Fetzen!
GENOVEFA
auf der Erde.
O Himmel! Ohnmächtig.
ADOLF.
Wo nur die Wache bleibt? Ruf' laut, Adam! Schrey'! Schrey'!
ADAM.

He! Leute! He! Wache! Herbey! Hieher! Herbey! Mit Licht, mit Gewehr! Da kommen sie.Wächter mit Fackeln. Wie? Ihr, Dragones, da?

DRAGONES.
Ja, liebe Leute. Was hab' ich gethan, daß ihr mich so blutig geschlagen?
[170]
ADOLF.
Wie kommt ihr hieher? Wer liegt da? – O ho! sie! Was hast mit ihr gemacht?
DRAGONES.
Ich? – Herr, Herr, ihr müßt Alles besser wissen, als ich.

Mathilde, mit Knechten und Steffen.
MATHILDE.

Was für ein Lärmen, stärker als bey Feuer und Wassersnoth, stört die Ruhe auf? Was gibts hier? Beysammen, Genovefa, Dragones? Was soll der Auftritt, Bruder?

ADAM.

Die Gräfin liegt ohnmächtig an der Erde, man muß sie ein wenig anspritzen, daß sie wieder zu sich kömmt.

ADOLF.
Spitzbub'! Was habt ihr mit ihr gemacht?
[171]
DRAGONES.

Was fragt ihr, Hauptmann. Kam ja selbst erst auf der Gräfin Geschrey herbey, da habt ihr mich Unschuldigen geschlagen.

MATHILDE.

Was soll das? Was läßt sich hievon schließen, denken? Genovefa allein hier mit diesem Kerl, zu der Zeit und Stunde? Hm! Leise. Bruder, laß uns hier nicht so genau untersuchen, Siegfried's Ehre wegen, es wäre ein gräulicher Spektakel. Daß doch eben jetzt Golo krank seyn muß! An ihm läg's, so was zu untersuchen; er kommt den ganzen Tag nicht aus, ihn peinigt ein heftig Fieber.

ADOLF.
Wie meynt ihr?
MATHILDE.
Mein Rath wäre, den dort so lange am sichern Ort fest zu halten, bis der Verlauf klar genug.
ADOLF.
Es ist hier mein Recht; beleidigter Burgfrieden.
[172]
MATHILDE.

Wird sich hernach Alles finden. – He! Ihr, führt den da weg, haltet ihn sicher verwahrt, bis morgen sollt ihr das Weitere vernehmen.

DRAGONES.
Was hab' ich verschuldet, daß man mich so bindet?
ADOLF.
Herr Spitzbub', Gaudieb, wer liegt hier? Wollt ihr noch fragen?
MATHILDE.
Fort mit ihm! Aus meinen Augen!
DRAGONES.
Da hab' ich's, was ich bisher gefürchtet! Mein Unglück schwebt über mir.

Sie führen ihn ab.
MATHILDE.

Ihr tragt die Gräfin hinauf in ihr Zimmer. Steffen, sey dabey. Winkt ihm. Verstehst? Daß Niemand zu ihr kann, bis ich nachkomme.

[173]
ADOLF.
Achtung, Sorge zur Gräfin, will selbst dabey seyn.
MATHILDE.

Bleib' nur, ich geh ja mit, will schon sorgen. Vor sich. Jetzt in einander geknüpft oder es reißt Alles! Ab.

ADOLF.
Was denkt ihr von dem Vorfall, Adam?
ADAM.
Hm, muß erst morgen hören, die Gräfin wird's am Besten wissen, wie's ist, was die sagt, ist gewiß.
ADOLF.

Natürlich, ist eine liebe reine Seele. Wollen uns denn bis dahin gedulten. – Sieh doch 'mahl, ist Blut an meinem Säbel, muß ihm doch in der Hitze eins gegeben haben.

ADAM.
Gewiß habt ihr ihn verwund't, der Mann wird sich wohl nicht selbst eine Wunde geben.
[174]
ADOLF.
So bin ich. Der arme Schlingel! Doch vielleicht hat er's verdient. – Komm schlafen.
ADAM.
Das wird wohl jetzt das Beste seyn. Ab.
5. Szene
Fünfte Scene.
Mathildens Zimmer.
Golo, Mathilde.

GOLO.
Genovefen im Zimmer bewachen?
MATHILDE.

So lange nur, bis wir Maßregeln genommen, was in der Sache weiter zu wenden. Dragones sitzt schon auf dem Thurm droben, er soll dort bekennen, was wir wollen und brauchen. Daß du doch so unüberlegt, übereilt ... warnte dich vorher, mir ahndet' es, [175] drum war ich auch so gleich bey der Hand. Gut noch, daß es nicht schlimmer abgelaufen. So wie jetzt die Sache steht, läßt sich Alles wenden und drehen. Genovefa muß sich jetzt kurz entschließen.

GOLO.
Was hab' ich angefangen? Was hast du aus mir gemacht? Wohin mich gebracht? Oh!
MATHILDE.
Schnaufe ein wenig aus, daß du erst zu Sinnen kommst.
GOLO.
Dacht' ich doch, du wärst Genovefa's Gesinnung gewisser.
MATHILDE.

Dachte! Immer denkst du nach deiner Manier und willst, daß Alle drein passen; hättest du den rechten Augenblick abgewartet, es wäre auch gedacht gewesen und stünde vielleicht jetzt besser. Geh in dein Zimmer, zu Bett, der heftige Jast hat deine Lebensgeister zu stark aufgeregt, bis du den Taumel verschläfst; morgen früh soll schon die Sache anders stehen.

[176]
GOLO.

O sänk' ich doch nur gleich tief bis in den Mittelpunkt der Erde hinunter, mir selbst und Allen auf ewig vergessen! Ab.

MATHILDE.

Alberner Narr! Deine Unüberlegtheit, was macht mich die schwitzen! Und was mich noch am meisten peinigt: er geht nicht immer den rechten Weg, verdorbnem Handel wieder aufzuhelfen. Alles umher eh' zertrümmern, als sich selbst zertreten lassen! Das ist's, was ihm fehlt; Entschlossenheit, kühler Blut. Da fackelt der Kopf gleich hinauf, hinunter, sieht tausenderley um sich her, nur das Eine nicht, worauf er hauptsächlich merken soll. Wär's jetzt glücklich ausgeschlagen, dann wär' auch Alles gut; aber so, da nun der Kahn auf dem Grunde fest sitzt, eh du Andre, die dir's erschweren, vor dir in die Wellen hinaus schmeissest, dich mit geringrer Last selbst zu retten, bleibst du lieber hocken und verhungerst gar. Narr! Narr! Doch will dich jetzt schon am Schopf festhalten, durch sollst du mir jetzt grade, ohne drüber zu empfindeln. Wie du's eingebrockt, iß auch mit. Thorheit, jetzt länger Maske zu spielen, sie weiß zur Genüge, woran's hängt. Will sie nach unserm Sinn, gut dann für sie selbst und auch uns; wo nicht, weg mit ihr ohne weiteres Bedenken! [177] Mit ihr selbst in die Schlinge hinein, die ihre Anklage uns bereitet! Klingelt. Es läßt sich schon was draus schmieden, es soll gehn.


Christine.
CHRISTINE.
Was zu Befehl?
MATHILDE.

Hinauf! Sage der Gräfin, ich werde sie vor dem Schlafengehn noch sprechen. Nimm diesen Ring, zeig' ihn Steffen, damit er dich die Stiege hinauf läßt. Christine ab. Leute hab' ich, wenn ich will. Es wird ohnehin überall jetzt von diesem Vorfall gesprochen werden, es waren der Zeugen zu viel. Mein Ansehn, Credit, Golo's Ehre, Glück, Alles liegt hier in der Wage. – Ja, das muß gleich ... heut Nacht noch. Wallrod soll mir ein Protocoll schmieden, im Fall Genovefa jetzt weigert, morgen gleich gegen sie anzurücken; das Prävenire hier, sonst ist's vorbey. Ich habe ja Leute genug zur Hand, die bezeugen müssen, was ich will, der Dragones hat's nachher im Kerker so gestanden. Vielleicht jag' ich ihr einen Schreck ein und die Sache vermittelt sich desto eher. Klopft. Wallrod! Mach' auf! Wallrod! Ich bin's! – Dragones muß [178] bald weg aus dem Spiel. Was thut's? Ein gejagter Löwe zertritt oft kleine Heerden auf seiner Flucht. – Hörst du, Wallrod!


Wallrod in Ritterkleidung.
WALLROD.

O meine Wonne! Hängt ihr am Halse. Ich dachte, du kämst heute nicht zu Hause, so sehr lang ward mir die Zeit nach dir.

MATHILDE.
Wallrod, hast du mich lieb?
WALLROD.

Machtweib, das mich durchlebt vom Wirbel bis in die Zehe hinunter, mit meinem Seyn wie mit einem Ball spielt!

MATHILDE.
Wallrod, bin in Aengsten, es steht gefährlich um deine Mathilde.
WALLROD.
Wer stellt dir nach, Liebe? Was ist's? Sage mir's.
[179]
MATHILDE.
Ach!
WALLROD.
Seufze nicht, du machst mich verzweifeln, machst mich wüthen.
MATHILDE.
Will's jetzt erkennen, ob du mich wahr liebst.
WALLROD.
Sag's doch. Liebchen, hinein, unter der Decke drin erzähle mir umständlich deinen Gram.
MATHILDE.

Lieber, wir müssen vor noch ein Weilchen wachen und arbeiten, eh wir zusammen –Küßt ihn. Hab' ein Geschäft, wobey du mit helfen mußt. Willst du?

WALLROD.
Für dich! Um dich! – Beyde ab.
6. Szene
[180] Sechste Scene.
Annen's Zimmer.

ANNE.

Gar nicht mehr schlafen. Die Sterne sehn mich die lange Nacht über wachen, am Tage schlummre ich mit offnen Augen und habe des doch keinen Genuß. Zeit ist's, daß ich für meine Gesundheit und Ruhe sorge. Kloster Disibodenberg, du sollst mich bald aufnehmen in deine liebliche Stille, werde vielleicht dort genesen, wenn ich dann gar nichts weiters von Pfälzel höre. Zerschlagnes Herz, ergib dich einmahl.


Christine von aussen.
CHRISTINE.
Fräulein Anne!
ANNE.
Wer ruft draus? So früh? Geht an's Fenster.
CHRISTINE
am Fenster.
Schon auf, Fräulein? Herr Jesu! Wißt ihr's auch schon, was sich heut Nacht zugetragen?
[181]
ANNE.
Was ist's?
CHRISTINE.

Dacht' ich's doch, daß ihr's nicht wißt. Was ein Geweine die Stiege hinauf und hinunter, hört 'mahl; hört ihr's jetzt?

ANNE.
Gott, wer weint?
CHRISTINE.
Die arme, hochbetrübte, schwangre Frau, Gräfin Genovefa, die sitzt in ihrem Zimmer jetzt verwacht.
ANNE.
Himmel, warum?
CHRISTINE.

Du lieber Gott! Gestern Nacht im Garten soll sich was zugetragen haben ... ich weiß nicht ... Dragones sitzt gar gefänglich auf dem Thurm droben, der gute Mann für den wollt' ich nun sicher schwören, gewiß und wahrhaftig. Thut doch Alles Adolf gleich [182] zu wissen, Fräulein, daß der Hand anschlägt. Ah, da läuft schon Fräulein Julie in's Schloß hinauf, muß vermuthlich schon davon wissen; der Tag bricht hell an. Adjes, daß mich Niemand erblickt, bin nur auf'n Augenblickchen weggeloffen, konnt's länger nicht mehr über'm Herzen behalten. Kein Auge heunt geschlossen, immer herum. Weiß Gott, was meine Gräfin Nachts treibt. Wenn ich nur 'mahl des Dienstes los wäre. Adjes. Ab.

ANNE.
Genovefa verwacht! Gott, was soll's bedeuten?
7. Szene
Siebente Scene.
Genovefa's Zimmer.

GENOVEFA.

Nein, da will ich doch auch keine Thräne mehr drum vergießen. Aber doch thut's weh, so sehr sich an Menschen zu irren. Das Weib von tausend Talenten, Mathilde, deren Verstand und Geist die ganze Gegend weit und breit erfüllt: o ist's möglich? Großer [183] Gott! Das übersteigt doch allen Glauben! Solche Vorschläge, mir, so zu drohn, in meinem jetzigen erbarmungswürdigen Stande! Wenn das Geist ist, so sey's Gott im Himmel gedankt, daß ich so wenig besitze, mag auch keinen, verlange keinen. Sie hält mich doch gar zu geringe. Das hab' ich gewiß, Mathilde: Standhaftigkeit und Muth, dich und deines Gleichen zu verachten. Hattest Recht, guter Waldbruder, zu unbedachtsam begriff ich deine treue Warnung nicht; ich weiß jetzt auch, daß Trug und Falsch und tückische Arglist Menschenantlitze tragen. O gestern Nacht ... Golo, wenn du bethest, an Siegfried denkst! ... Du edler Mann, konntest auch du so tief hinunter sinken? – Wen hör' ich draussen?


Julie von aussen.
JULIE.
Laßt mich hinein, zur Gräfin, hinein!
GENOVEFA.
Das liebe Julchen. Ob sie sie hereinlassen zu mir?
WÄCHTER
von aussen.
Fräulein, weg! Dörfen's nicht! Ist uns scharf verbothen.
[184]
JULIE.
Auch mich nicht?
WÄCHTER.
Keines Menschen Seele.
ADOLF
von aussen.
Ihr Hundsfütter! Schurken! Laßt sie gleich ein, auf mein Ehrenwort, will's über mich nehmen.
WÄCHTER.
Wollt ihr's, Herr Hauptmann?
ADOLF.
Bey meiner Seele. Will hier aussen so lange bey euch stehn, als sie drin ist.
WÄCHTER.
Geht hinein, Fräulein. – Julie tritt auf.
GENOVEFA.
Hast dich tapfer zu mir durchgeschlagen, Liebchen. Siehst, ich bin verwacht; was meynst du davon?
[185]
JULIE.
O Theure, Beste!
GENOVEFA.

Lache nur! Die mich verwahren lassen, haben Angst, die Armen müssen ihre Angesichter nieder zur Erde hängen, ich schaue frey zum Himmel ohne Erröthen. Wie bist du durchgekommen? Ach Julchen, was hab' ich in weniger Zeit erfahren! Du weißt es doch, was seit gestern vorging?

JULIE.

Was für eine Geschichte! O wäret ihr doch weit von hier, liebe Gräfin, das Herz im Leibe wird mir kalt.

GENOVEFA.
Warum denn, Liebchen?
JULIE.
Darf's euch nicht sagen.
GENOVEFA.
Warum?
[186]
JULIE.
Fürchte, euch das Herz zu durchbohren. Ihr seyd angeklagt.
GENOVEFA.
Warum, mein Kind?
JULIE.
Dragones im Kerker ...
GENOVEFA.
Nun?
JULIE.
Soll Vieles wider euch und eure Ehre gestanden haben.
GENOVEFA.
Wie kann's der Mann? Unmöglich.
JULIE.

Was ist nicht möglich, Liebe, Theure, wem Bosheit will. Wir kennen All' euern Sinn, Gräfin,[187] wissen's, wie fern ihr von dem seyd, was sie euch beschuldigen, ihr braucht euch nicht zu vertheidigen, aber sie haben's Gewalt.

GENOVEFA.

Was für Gewalt haben sie denn? Greifen sie etwa mit der Hand in den Himmel hinauf? Was vermögen sie denn?

JULIE.

Mathilde wollte diesen Morgen schon ein Gericht wider euch aufstellen, mein Vater stand dagegen, da drohten sie auch ihn gefangen zu nehmen.

GENOVEFA.

Laßt sie doch ein Gericht wider mich aufstellen, werden bald selbst zu Schanden werden, sich selbst schuldiger finden als mich, die sie richten wollen. Was können sie mich beschuldigen?

JULIE.
Eure Kammerfrau ist sogar untreu, das alte Gespenst steht auch gegen euch, auf Mathildens Seite.
[188]
GENOVEFA.

Was suchen denn die Leute all'? Hat sie Mathilde alle wider mich aufgereitzt, weil ich ihrer Schändlichkeit nicht Gehör gab?

JULIE.
All', all'.
GENOVEFA.
Was wollen sie denn?
JULIE.
Sie rauben euch die Ehre, machen euch zur ...
GENOVEFA.
Mich?
JULIE.
Kann's nicht sagen.
GENOVEFA.
Sag's! Ist ja gut, wenn ich's doch nicht bin.
[189]
JULIE.
Zur ...
GENOVEFA.
Nun?
JULIE.
Ehebrecherin.
GENOVEFA.
Gott im Himmel, was sind das böse Menschen! Weint.
JULIE.
Falsch und untreu wie Höllennacht.
GENOVEFA.
Wenn das mein Gemahl wüßte! Wenn er Alles wüßte, was ich nicht sagen mag. O schändliche Menschen!
JULIE.
Meine Tante ist so erbittert auf euch, was habt ihr der gethan?
[190]
GENOVEFA.

Ihre Heuchelmaske ist jetzt herunter, Julchen, ich habe ihr scheußlich verwildert Gesicht gesehn. Sie hat mir Vorschläge gethan, hier, Julchen, heut, o Gott!


Wächter.
WÄCHTER.
Fräulein, müßt jetzt fort, die Gräfin soll sogleich zum Verhör abgehohlt werden.
GENOVEFA.
Du hörst, was geschieht.
JULIE.

Mir schlottern die Kniee. Ist's möglich? Dürfen sie's wagen? O meine Theure! Hängen einander um den Hals.

GENOVEFA.

Betrübe dich nicht; was kann denn im Grunde draus werden? Doch, sollte ihre Bosheit höher steigen, denn nun glaub' und fürcht' ich Alles, sollten sie mir künftig vielleicht alle Gelegenheit abschneiden, [191] jemand zu sprechen und zu sehn, so glaub' immer, du und dein rechtschaffener Vater, von mir das Beste, daß ich wahrhaft rein und unschuldig an Allem bin; sollt' ich auch jetzt zum Tode hingehn. Noch dieß. Küßt sie und sagt ihr etwas in's Ohr.

JULIE.
Ja, Theuerste, gewiß, pünktlich, euerm Gemahl soll alles richtig zu Ohren kommen, bald.
WÄCHTER.
Hurtig, fort.
GENOVEFA.
Adjes denn Kind, behalte Muth.
JULIE.
Wenig, so lange ich euch so weiß. Ab.
WÄCHTER.
Seyd ihr parat? Das Verhör wartet.
GENOVEFA.

Wo ein räubrischer Wolf als Richter sitzt, das unschuldige Lamm zu verdammen. Wenn ich nun nicht gehn wollte?

[192]
WÄCHTER.
Haben dann Ordre euch zu schleppen.
GENOVEFA.

Ich dachte, ich wäre eure Herrschaft, Siegfrieds, eures Herrn, rechtmäßige Gemahlin; lieben Leute, bin ich's denn nicht?

WÄCHTER.
Mit Verlaub, nein, ihr seyd jetzt Arrestantin, drum wollen wir euch verhören.
GENOVEFA.
Ich muß wohl gehn.
WÄCHTER.
Thut's, es ist das Beste. Ab.
8. Szene
[193] Achte Scene.
Wachstube.
Adolf zwischen zwey Wächtern.

ADOLF.

Mir den Säbel aus der Hand zu reißen! Meinen Türkensäbel! Hieher mich auf's Wachthaus zu ziehn? Das soll euch Schurken gereu'n! Solche Satisfaction nehmen, daß ihr noch All' drüber zum Teufel fahren sollt! Bärenhäuter! Büffel! Auerochsen!

ERSTER WÄCHTER.
Schwernoth, Herr, wir sind keine Büffel.
ADOLF.
Ja, Esel, Esel!
ZWEYTER WÄCHTER.

Mit Verlaub, nein, Siegfried hat keine Esel im Sold; sieht er, Herr, haben unsre gesunde Nasen, mit Verlaub, und Ohren wie Andre auch, und Fäuste zur Noth, und wenn's zu arg kommt, Herr ...

[194]
ADOLF.
Bärenhäuter!
ZWEYTER WÄCHTER.
Nicht schimpft hier! Mußten's also thun, Herr, hatten absolute Ordre dazu, Herr.
ADOLF.

Herr, Herr! Bin ich ein Schneidermeister, daß ihr Bengel so ohne Umstände thut? Wer hat euch Ordre gegeben? Dreyßig Jahre hier Schloßhauptmann ...

ERSTER WÄCHTER.
Wissen's wohl, aber der Ritter drin ist jetzt unser Herr, dem müßt ihr so gut als wir aufhorchen.
ADOLF.
Mistgesicht! Mengst du mich auch unter's Stroh?
ZWEYTER WÄCHTER.

Herr, pfeifen eben, wie man's uns gelehrt. Eure Schwester hat's uns Alles erklärt drin, mit baarer Münze, auf'n letzten Heller. Versteht ihr's?

[195]
ADOLF.

O ihr Hundezeug, das zuschwänzelt dem, der sie lockt! Ihr fertigen, schuhleckerischen Gaudiebe, die Ehr' und Scham der Schande verkaufen! Hohl euch All' ... Vom Leib mir mit eueren Schindershänden! Was ich euch Kerls noch will zusammen wichsen lassen! 'nen ganzen Haselwald. Die gute Gräfin dorthin zu schleppen, mich hieher auf solch eines Milchbarts Befehl! Ihr Passionsflegel!

ZWEYTER WÄCHTER.
Gescheit gesprochen, Herr! Und, mit Verlaub, sie muß doch 'mahl verhört werden!
ADOLF.

Verhört? Hansdampf will auch den Doctor machen, wurmstichige Erbse! Ha, daß ich nicht hin soll, nicht dabey seyn soll dort im Verhör! Verhör einer Gräfin, eines Herzogen Tochter von Brabant! Nein, so weit hätt's Golo nicht 'mahl gewagt, er hätt's nicht gewagt, wenn sie meine Schwester nicht ...! Helf' mir Gott, werde noch rasend!

ZWEYTER WÄCHTER.
Was gibt's dort für'n Auflauf?
[196]
DRITTER WÄCHTER.
Was Neues, Genovefa wird in den Thurm geführt. Hereintretend.
ZWEYTER WÄCHTER.
Also schuldig erkannt.
DRITTER WÄCHTER.

Freylich, konnt' auch nit 'mahl 'n Wort vorbringen als Ne, stund lange still, zur Erd' vor sich nieder und fing endlich hell zu flennen an. All' riefen's drauf, daß sie schuldig wär'.

ERSTER WÄCHTER.
Hört ihr's jetzt, was für'n Stück eure Gräfin ist?
ADOLF.

O Luft! – Reißt das Wamms auf. Ihr Spitzbuben, lügt's All' dem Teufel hinein! Wer hat die Gräfin verurtheilt? Wer? Wer?

DRITTER WÄCHTER.
Eure Schwester und 's übrige Verhör.
[197]
ADOLF.
Daß ihr die Raben die Augen aushackten! Daß Allen die Zungen verlähmten! Durch! Laßt mich durch!
ERSTER WÄCHTER.
Weg! Steh' euch im Weg.
ADOLF.

Durch, oder ich stoß' euch Allen die Hirnkasten entzwey! Das zu thun, zu wagen in meinem Angesicht! Wo sind meine Degen und Lanzen? – All die Pest, wo ihr mich nicht gleich davon laßt!Kriegt den ersten am Halse. So, so!

ERSTER WÄCHTER.
Himmel tausend Schwerenoth, laßt eure Hand mir vom Kragen, Herr Hauptmann!
ADOLF.

So görgeln, daß du all' dein Bischen Baß und Discant drüber verlieren sollst! Ist's erhört, Menschen in Thurm ... sie ...

ZWEYTER WÄCHTER.

Einen Augenblick Gedult, Herr. – Camraden, die Gräfin ist jetzt im Turm drin, können jetzt wohl [198] den Ehrenmann hier durchlassen; man muß politisch seyn, versteht ihr's? Unsre Ordre lautet: fest halten, so lang 's Verhör dauert. Jetzt ist's vorbey.

ERSTER WÄCHTER.
Scheert euch in's Teufels Namen 'nauf!
ZWEYTER WÄCHTER.
Politisch. Herr, wir halten euch nicht länger, könnt jetzt gehen, wenn's euch beliebt.
ADOLF.

Freylich beliebt mir's. In Thurm hinein! Meine Schwester! Bestie, wart, Canaille! Will dich selbst noch sicher bringen. Geht man so mit Freunden um? Der Gast mit dem Wirth? Hölle, Teufel! – Golo! Hier steckt was, riech's so halb und halb. Heraus soll mir's, läg's auch Haustief begraben. Schnell meine Knechte all' auf, hier, dort, überall hin, Alles was laufen und reiten kann, eine ritterliche Gerichtsversammlung hieher! Will euch's Feuer unter die Fersen bringen. Leib und Leben ... die Unschuld der rechtschaffenen Frau ... euch selbst das Verläumdungsgift in eure falschen Augäpfel spritzen, Rabenbrut! Geyer! Ab.

9. Szene
[199] Neunte Scene.
Mathildens Zimmer.
Golo, Mathilde.

MATHILDE.
Was ich that, that ich aus Noth, aus Liebe zu dir. Bestraf' mich drum.
GOLO.

O Mathilde! Warum kamst du hieher? Ließest mich nicht in der Dämmrung mit mir selbst irre? Ich hätte mich wieder gefunden da, wo ich mich verlor, meine Leidenschaft würde wieder versiegt seyn da, wo sie entsprang, eingeschlossen in meinem Busen. Du rissest mir's vom Herzen, gabst dem Stummen eine Zunge, zeugtest aus meinem heimlichen ungebohrnen Weh eine triefende Beule. Nun bin ich's!

MATHILDE.

O wärst du nur gebohren, wohin dein Sinn steht, ein ehrlicher Landmann oder ein Hirt hinter der Heerde! Du taugst zu einem Ritter nicht, hättest nie dich so hoch, in eines Grafen Weib verlieben sollen. Warst du nicht damahls schon Verräther, als du deiner Neigung zum erstenmal Gehör gabst? So kühn und schwach, stolz und gemein in einem Klumpen!


[200] Steffen.
STEFFEN.
Holla, Gräfin, der Teufel reitet!
MATHILDE.
Was gibt's?
STEFFEN.

Euer Bruder, all' seine Knechte zu Pferde davon, schickt, was laufen und rennen kann, nach, bescheidet Ritterversammlung auf gewissen Tag und Stunde hieher auf Pfälzel.

MATHILDE.
Untersteht er sich' s?
STEFFEN.

Auf euch ist's vornehmlich gemünzt, er will nicht eh feyern, bis er euch auf Lebenslang zwischen vier Wände gepackt, geht drauf aus, euch heut noch fest zu nehmen.

MATHILDE.
Der arme Schlucker! Auf, heut zum Reiten parat, Steffen, in einer Stunde bey mir!
[201]
STEFFEN.
Werde aufwarten. Ab.
MATHILDE.

Siehst du, wohin es geht, wenn wir die Hände länger ruhig in den Schoos legen? Ein Fehler ist eine Null, aber die Null wieder zum Treffer zu machen, heißt auch was. Wir haben schön Zeit zu sentimentalisiren, wenn wir nachher wie gejagte Katzen im Sack sitzen und die uns oben zubinden.

GOLO.
That ich bisher nicht Alles, was du gewollt? Du ziehst mich immer an der Kehle.
MATHILDE.

Zur Höhe, stolzer Adler! Dir winken Fürstenhüte und Kronen; du verschmähst sie wie das eigensinnige Kind ein Sonntagskleid, weil es das Zuckerkörnchen verloren. Bald seh' ich dich im Herzogsmantel vor mir, weggeschüttelt die armselige Aengstlichkeit, die zu solch einem Anzuge nicht steht. Läg' nicht zu viel in der Schaale, ich wollte dich heut noch von hier fliehen heissen und Alles allein übernehmen, aber deine Gegenwart ist zu nothwendig.

[202]
GOLO.

Schweig', es ist nun einmahl so weit, ha! Hättest du mich gleich zurück gelassen, vor Genovefa's Füße nieder hätt' ich sie um Verzeihung gefleht und wäre dann auf ewig davon! Du warst klüger, jetzt find wir hier.

MATHILDE.

Und wollen weiter Golo, und kommen weiter, und treten eh Alles unter die Füße, was uns im Wege steht! Deine Worte sind falsche Ueberläufer, dein Herz denkt mannhafter als du sprichst.

GOLO.
Ha! Nein! Ich werd's nie thun! Nie!
MATHILDE.

Du solltest so viel gewagt haben, einen Vogel zu fangen, Leib und Leben, so viel, Tag und Nacht bey Regen und Wind draussen hinter'm Heerd, und doch geläng' es dir nicht: brächte dir aber ein Zufall den Vogel in den Bauer, verschmähtest du ihn doch nicht zu haben, weil du ihn nicht selbst fingest?

GOLO.
Schweig', o schweig doch.
[203]
MATHILDE.

Oder wolltest jetzt hinknieen, demüthig wie ein gebundner Landsknecht, vor Genovefa's Fuß, zum Spott und Gelächter des Gesindels, das in Küch' und Ställen schwätzt und am Brunnen ein ander erzählt? Daß man dich wie ein Gassenhauerchen auf allen Bänken sänge, und mein Bruder Philister mit seinen Lumpengesellen über dich Urtheil spräche. Eben so leicht wär's ja, noch viel leichter, mit Gewalt sich das zu eigen machen was man mit der besten Güte doch nicht erwerben konnte.

GOLO.
Weh mir! Oh! Ja, ich will's!
MATHILDE.

Liebesgewalt verzeiht sich gar bald, kein Mädchen hat noch je das Todesurtheil über ihren Räuber ausgesprochen. Eine süße Macht, die bestochene Natur, drückt die Augen zu, die Erinnerung wird wonnig, als wenn Genovefa im Lachen Corallen schlägt wie perlender Champagner.

GOLO.
Oh! Und sollt' ich auch im bittersten Tod ihren Genuß ... und sollt' ich auch ... Alles!
[204]
MATHILDE.
Soll werden, folge nur.
GOLO.

Was du willst, Alles! Ja, stünde auch jetzt gleich hier der Ritterrath um mich herum, klagte mich auch alle Welt jetzt an, läugnete auch Dragones ...

MATHILDE.
Vor dem sey nicht bange, du weißt nicht, warum ich erst Wallrod in den Thurm geschickt, zu ihm hin.
GOLO.

Alles! Nur sie! Umringten mich jetzt auch gleich tausend Qualen, stünd' auch die Hölle vor mir auf, hab' ich sie nur genossen, mir ist's Uebrige gleichviel. Alles würgen und zerreissen, was mir im Wege steht!

MATHILDE.
Gleich jetzt zu ihr hin!
GOLO.
Wohin? In den Kerker? Im Kerker? Es gefällt mir nicht. Dort im Kerker ...
[205]
MATHILDE
zuckt die Achsel.
Dann auch ihre nahe Niederkunft.
GOLO.
Niederkunft? Hölle! War sie denn schwanger?
MATHILDE.
Wo hast du deine Augen?
GOLO.
Schwanger!
MATHILDE.

Knirschest, frissest dir die Nägel, erstaunst, daß deine Göttin auch gebähren soll, wie andre Weiber. – Sieh, da wett' ich, kommt eben eine Gevatterpost! Narre!


Margrethe die Gärtnerin.
MARGRETHE.

Guten Morgen, gnäd'ge Herrschaft. Ja, wie man im Sprichwort zu sagen pflegt, gut Ding will Weil und Heyrathen macht Kinder, ha ha ha, – verzeih' [206] mir's die Dame, daß sie so früh beunruhige, doch Noth bricht Eisen, 'ne Hand muß 'mahl aus'm Sack hervor. Doch Scherz bey Seite, Gräfin Genovefa ist heut Nacht im Thurm ... nun, rathet 'mahl.

MATHILDE.
Riechen eure Neuigkeit schon in der Ferne. Die Gräfin, wollt ihr sagen, ist niederkommen.
MARGRETHE.

Getroffen, ha ha! Golo schnell ab. Dazu mit einem schönen, großen, gesunden, starken Knaben, der seinem Vater ganz und gar perfect ähnlich sieht bis in's Näschen.

MATHILDE.

Wo habt ihr die Niederkunft erfahren?Vor sich. Verdammt! Ueberall gesorgt und dennoch nicht genug! Hm!

MARGRETHE.

Die Wächter oben hörten sie klagen und riefen mir in der Frühe, ich sprach hernach mit ihr selbst durch's Gitter, sie bath um ein Tröpfchen Brühe, das wollten mich die Wächter nicht reichen lassen. Wollte doch die [207] Dame gar schön gebethen haben, daß ich in den Thurm hinein dürfte, der armen Gräfin beyzustehn. Das arme Kind muß auch getauft werden, das Närrchen muß doch 'nen Namen haben.

MATHILDE.

Wollen sehn, was wir können. Mein Bruder bescheidet eine Ritterversammlung hieher auf Pfälzel, da wird's entschieden, ihr müßt euch dahin wenden.

MARGRETHE.

O je, meine hohe Dame, bis dahin kann ja die Gräfin im Thurm drey hundertmahl verschmachten. Die Wächter lassen nichts zu ihr durch, als trucken Brod und hell dünn Wasser; wie soll's die Frau damit aushalten, sich und ihr Würmchen zu erlaben?

MATHILDE.

Es soll zugesehen werden, daß es ihr an nichts fehlt. Kommt nachher wieder, sollt Aufwärterin bey der Gräfin werden, wenn ihr euch zu schicken wißt.

MARGRETHE.
Ey warum nicht? Thu' Alles, was man will. Ab.
[208]
MATHILDE.

Unzuverlässige Klätsche, traue dir wie einem Skorpion in meiner Hand. So weit endlich! Ich muß arbeiten, wenn Freund Golo schläft. Vor ihm bin ich jetzt sicher, er ist einmahl so weit mit durch. Er fühlt wohl richtig, eh ihm aber seine Scham erlaubt, jemand in Noth zu verlassen, lieber hülf' er das größte Unrecht durchstreiten. Schlimm wird's Genovefen ergehn, ihre Halsstarrigkeit ... meinetwegen! Besser sie als wir in die Grube. Die Sache ist jetzt einmahl zu allgemein public, als daß sich's auf anderm Wege entriren ließe. Anne ist fern von hier nach Difibodenberg und meine Christine heimlich mit durch, Leute ausfindig zu machen, die mit Schreiben von Julie in's Lager zu Siegfried gingen. Wollen sehn, wie's abläuft, hab' ihr schon ein paar nachgeschickt, sie aufzufangen. Steffen soll heut noch fort, ins Lager zu Siegfried. Verhör, Zeugschaft, Alles auf's Klarste in schönster Ordnung hingeschickt. Ich muß jetzt schon solche Maßregeln nehmen, die, im Fall es auf's Aeusserste kommt, unsre kühnste Handlung rechtfertigen. Steffen! Bist du da?


Steffen.
STEFFEN.
Gestiefelt und fix. Die Commission und auf's Pferd frisch mit dem Sporn wie der Wind.
[209]
MATHILDE.

Schnell seyn ist gut, Aufmerksamkeit besser und Verstand am Besten. Es gibt gut Bothenbrod, Steffen, wenn du Antwort bringst, wie man sie gern hört und braucht. Verstehst?

STEFFEN.
So halb und halb.
MATHILDE.
Braver Diener, der einen versteht. Herein. Ab.
10. Szene
Zehnte Scene.
Aussenseite des Thurms.
Adam, Brandfuchs.

BRANDFUCHS.
Es saust und braust, ist Sturm, Meister.
ADAM.
Es kommt gut so.
[210]
BRANDFUCHS.

Wie der Wind dort oben die Fahnen jagt und rund um in den Thurmlöchern heult, es wittert Kalch und Ziegel herunter von den Dächern.

ADAM.

Soll denn die Sonne auch scheinen jetzt? Möchte auch nicht scheinen, wenn ich Sonne wäre, herunter auf diesen jämmerlichen Erdball. Gib den Weinkrug her, will ihn fest anknüpfen, steigst am Gitter auf und lässest ihn wieder hinunter.

BRANDFUCHS.

Bin gleich droben, Meister, wollte, daß ich den ganzen Tag hinunter zu lassen hätte, zu ihr, der lieben Frau. Gelt, Meister, ihr fürchtet, sie geben der Gräfin was im Brod, drum bringt ihr so heimlich. Wollen's nun mit Gewalt der armen Frau so übel machen, hab' schon vielerley davon reden gehört; glaubt ihr, Meister, daß es übler mit ihr geht?

ADAM.

Wenn's Gott zuläßt. Ach, jetzt fällt mir wieder der Muth, jetzt möcht' ich weinen wie ein Kind, und auf und fort und fort in's Lager hin zu Siegfried.

[211]
BRANDFUCHS.
Da lauf' ich mit.
ADAM.

Aber ich soll's doch nicht, soll hier bleiben; mich hält's wie eine unsichtbare Hand, daß ich bleiben soll.

BRANDFUCHS.

Bindet das abgekochte Huhn auch gleich dran, es geht in einem hin, Meister, wir bringen's gut am Gitter durch.

ADAM.

Hast Recht. Her, gib Achtung, daß uns nur Niemand gewahr wird; mir ist's weniger um mein selbst, als daß wir hernach der armen Frau nichts mehr zustecken können, darnach ist's aus.

BRANDFUCHS.

Euer Weib steht droben auf der Wache, ich lasse rechts und links beständig meine Augen gehn. Die Gräfin Mathilde, so stolz und edel, und so grausam feindlicher Muth in ihr: ach Schade! Wer soll das denken?

[212]
ADAM.

Schlangen sind auch schön und doch falsch. Steig' auf! Brandfuchs an's Gitter hinauf, Adam langt, er läßt hinein. Ist's drin?

BRANDFUCHS.
Ja, Meister; hat's was Weitres?
ADAM.
Steig' ab.
BRANDFUCHS.
Soll ich's hinunter rufen, wer's schickt?
ADAM.
Nicht nöthig, sie weiß es.
BRANDFUCHS
herab.
Geheul auf dem Thurm oben, Lärm. Sind verrathen!
ADAM.
Still einmahl!
[213]
BRANDFUCHS.
Droben im Thurmgewölb! Hört ihr's nicht deutlich im Wind?
ADAM.
Wo Dragones sitzt.
BRANDFUCHS.
Seine Stimme. Gott sey bey uns, wie fürchterlich im Wind! Was fangen sie droben mit ihm an?
ADAM.
Steh' hieher.
BRANDFUCHS.

Wind schlägt, klirrt, Kettengerassel, Menschengeschrey, Sturmgeheul! Herr Jesu, entsetzlich! Was ist's?

ADAM.
Was soll's? Mir grauset's in allen Gebeinen.
BRANDFUCHS.
Ihr Höllenhunde droben! Mörder! Was fangt ihr an?
[214]
DRAGONES
oben am Loch.
Gift! Gift! Wallrod! Mathilde!
BRANDFUCHS.
O Meister, Meister, habt ihr's gehört? Gift. Wie ist zu helfen? Zu retten? Gift!
DRAGONES.
Wehe! Unschuldig! Niemand hört's! Unschuldig! Gott! Unschuldig!
BRANDFUCHS.
Will's hinauf rufen, daß wir's gehört haben, Meister, daß wir's wissen, damit er ruhig stirbt.
ADAM.

Was willt du, Menschenohr und Menschenmund? Es geht die Stimme hoch über uns weg in den Himmel! Die Stimme des Bluts; der sie hört, bedarf keines Zeugen. O Pfälzel! Pfälzel! Was für ein Teufel hält über dir die Flügel gespannt, daß auf einmahl der liebe Friede geflohn und wir Menschen weinen?

[215]
BRANDFUCHS.
Kommt, Meister, der Lärm zieht schon Leute herbey. Dort, eure Frau winkt, fort!Zieht ihn ab.
11. Szene
Eilfte Scene.
Inwendig Thurmgewölb.
Dragones wälzt sich in Ketten auf der Erde, Wallrod als Eremit.

WALLROD.

Ich bracht' ihm die Speise, war trunken, sie hat mich geschickt. O verfluchte Mathilde! Was für ein neu Ungeheuer du wieder aus mir gemacht!


Mathilde mit Wache.
WALLROD.
Schaue, Scheußliche, dein Werk!
[216]
MATHILDE.

Ha Dragones! War dieß dein letzter Ausweg? Wußtest du nirgend durch? Wache, seht, der Mann da hat sich aus Verzweiflung selbst hingerichtet, bewußt seiner Schuld, der Strafe bang. Zeigt es sogleich Golo an und macht es überall public. Wache ab.

WALLROD.

Warum gabst du mir die Speise? Hast mich wieder zu solchem Bubenstück verleitet! Er hatte sein Herz mir vertraut, ich war ihm Dank schuldig. Meine That liege schwer auf deiner Seele.

MATHILDE.

Schau, Wallrod, Exempel lehren und warnen; schweig' also. Der Flegel hätte auch an seiner Wunde sterben können, so wär's nicht nöthig gewesen; was rechnest du, wie lange er noch hätte leben mögen? Morgen und morgen und morgen? Mir blieb kein ander Mittel, mich selbst aus der Schlinge zu ziehn als dieß.

WALLROD.

O du Abscheuliche! Ich will mich sogleich vor die Richter stellen, mich selbst angeben und auch dich!

[217]
MATHILDE
faßt ihn.

Kerlchen, bist bey dir? Schau um, was du thust. Ein Weg nur bleibt dir offen, der ist an meiner Seite. Ich häng' an der Grube, stoß' an, fall' und schwenke dich mit mir hinunter in den Abgrund.

4. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Französisches Lager. Vor Siegfrieds Zelt.

STEFFEN.

Glücklich endlich hier im Lager angelangt und, was noch glücklicher, auch sogleich Siegfrieds Zelt gefunden. Ich muß doch zuvor noch 'mahl meine Instruction übersinnen, die schöne Summe habhaft zu werden, die mir am Ende meiner glücklich ausgerichteten Commission seyn soll. – Erstlich ist meine Botschaft für Siegfried nicht sehr erbaulich, ihm ein Diplom einzuhändigen, das ihn mit allem Respect so in den großen Hahnrey-Orden rectifizirt. Das Präsent, das da zu erschnappen, gönn' ich jedem Andern gern, also weg damit. – Gesetzt, ich wollte auch das heroische Abentheuer bestehn, mich zur unterdrückten Unschuld seines Weibes schlagen – wäre sie nicht unschuldig, nicht nöthig hätte man dergleichen Sprünge zu machen, das merk' ich schon – was käme aber Guts für mich dabey heraus? –Mühe, Schweis, Verdruß, am Ende etwa gar noch, [219] daß bey so schöner Gelegenheit von Untersuchen meine alten Stückchen genauer aufgerüttelt und fein kostbar am Tag revidirt würden; dann wären nachher vielleicht Staupbesen und glühend Eisen auf'n Rücken die herrlichen Regalien, deren ich mich zu erfreuen hätte. Nichts, Steffen! Weislich bey der andern Parthey geblieben, das schützt besser. – Laß sehn, was ich jetzt in Acht zu nehmen habe. Gibt der Graf gleich schriftliche Antwort zurück, gut; gibt er keine, was dann, Steffen? Spann' an jetzt. – Hm. – Ja, recht so! – Wenn der Graf bey Lesung des Schreibens in Verwirrung ausschlägt und schreyt: sterb' die Metze! oder: den Tod verdient! Sie soll nicht mehr leben! Das Tageslicht nicht mehr schauen! – wie denn dergleichen erbauliche Ausdrücke mehr lauten, die einem bey der Gelegenheit so leicht über's Maul herwachsen – dann herbey, Steffen! Hinzu, fingre ihm hurtig das fertige Todesurtheil in die Hand, das Bley dazu und, dictum factum, eingeschoben und warm zurück getragen; dann ist der dicke, schwere gewonnen. – Da kommt eben einer aus dem Zelt heraus, muß sehn, ob ich ihn kenne. – Guter Freund, das ist ja Graf Siegfrieds von Pfälzel Zelt?


Christoph.
CHRISTOPH.
Ey, grüß dich Gott, Steffen! – Wo reit't dich böse Wetter her?
[220]
STEFFEN.

Christoph! Tausend Schwerenoth, kenne dich jetzt erst! Wie schlägt's zu im Mohrenkrieg? Brav Beute gemacht, Halunke?

CHRISTOPH.
Ziemlich. Herein in's Marketenderzelt dort, müssen vor eins zusammen saufen, eh wir weiter reden.
STEFFEN.

Hohl's der Teufel! Wenn man bey solch einer Vettel dient, wie ich, da liegt man daheim immer wie 'ne Sau am Troge.

CHRISTOPH.
Habt dafür auch Gedeihn an Speck und Schlaf. Allons!
STEFFEN.
Hab' dir eine Bestellung an den Grafen zu machen. Ist er daheim im Zelt?
CHRISTOPH.

Wider seinen Willen. Ist mit 'nem giftigen Pfeil im Schenkel verwundet, kann dir kaum schnappen; [221] läuft dir nicht weg, wenn du schon ein halb Stündchen später kommst. Allons, eins Brandwein gesoffen, dann fragt sich's nachher besser, wie's der Zeit in Pfälzel ergangen.

STEFFEN.
Kann dir Hund nichts abschlagen. Ab.

Siegfried hinkt am Speer vor das Zelt, Carl führt ihn, sie sitzen auf der Bank vor dem Zelte nieder.
CARL.

Im Schatten hier aussen ist es angenehm; es thut gut, wenn ihr manchmahl frische Luft schöpft. Munter, aufgeweckt, lieber Vetter!

SIEGFRIED.

Carl, mich kann nichts recht aufmuntern, es steckt in mir. Habe lange schon keine Bothschaft von daheim her, wenn nur da nichts derzeit passirt.

CARL.

Ach nein! Sie schreiben eben nicht, weil sie unsre baldige Rückkunft jetzt hoffen. Das Stillliegen an eurer Wunde macht euch verdrießlich, das ist's allein; [222] sobald sich eure Umstände bessern, reisen wir. Der Friede ist nun sicher geschlossen, hab's heut Morgen in des Königs Zelt erfahren. Die Mohren gehn Alles ein, was ihnen Frankreich oder die ganze Christenheit überhaupt jetzt vorschreibt; die letzte Bataille hat Alles zu unserm Vortheil entschieden. Gott die Ehre, der uns so herrlichen Sieg verliehn!

SIEGFRIED.

Wahr ist's, ihr habt euch zusammen Alle wacker halten, ihr Brüder! Carl, habe viel Freude an dir erlebt.

CARL.

Spaß! Meine Tapferkeit war ein Auflesen hinter euch her, wie das Aerndtemädchen hinter des Meyers Sense; ihr wart immer voran.

SIEGFRIED.

Nein, daß du den Riesen im Zweykampf erlegt und all' seine Rüstung erbeutet, samt dem Elephant, der sein Waffenträger war – der König hat's hoch aufgenommen und die ganze deutsch Ritterschaft ehrt dich drum.

[223]
CARL.

Hätte doch jedem Andern Gott auch das Glück verleihen können. Was geschehn ist, ist geschehn. Wie wär's, wenn wir so in Pfälzel eingezogen, was sie da sollten für Augen gemacht haben, absonderlich Adolf, wenn er den Elephanten gesehn.

SIEGFRIED.

Der König, hör' ich, behält deine Beute, du aber führst von nun an in deinem Wappen einen Elephanten, der Riesenwaffen trägt.

CARL.

Ist mir auch lieber so als in Natura; todt schlagen möcht' ich die arme Bestie nicht gern, und sie ernähren ... er fräß mir ja mein Bischen Einkommen auf, das knapp genug ist.

SIEGFRIED.

Es soll dir schon gedeihn. – Meine Wunde brennt. Fürchte, daß ich über Winter nicht heim nach Hause komme.

CARL.

Ihr habt ja die beste Versicherung von Heinrich; was thut's denn auch, ein paar Monate früher oder [224] später? Meine Brüder und ich verlassen euch nicht, so lange es währt; kommen wir, so kommen wir hernach auch mit desto mehr Freude. Denkt daran.

SIEGFRIED.
Carl, ich wollte dich um was gebethen haben.
CARL.
Was in der Welt nur ist, das euch zufrieden macht und ich thun kann.
SIEGFRIED.

Reit' ohne Umstände und ohne jemand was zu sagen jetzt gleich voran Pfälzel zu; sieh, wie's zu Hause steht und was meine Genovefa macht; hab' auf dich mein Vertraun. Schick' mir nachher Antwort entgegen, oder komme selbst wieder bis Strasburg zurück, wohin ich mich langsam bringen und völlig auscuriren lassen werde.

CARL.

Herzlich gern. Vetter, ich lieb' euch aus voller Seele, ihr müßt's wissen, bliebe gern um euch hier, es sollte mich gewiß kein Warten verdrießen, wär's auch noch so lange; aber, gestehn muß ich doch, ihr [225] habt mir's recht aus dem Herzen gehohlt, da ihr mir diesen Auftrag macht. Ich geh mit aller Lust meinem lieben Pfälzel zu, in einem Viertelstündchen bin ich schon dahin unterwegs.

SIEGFRIED.
Wähle dir zwey Knechte zum Geleite, welche du willst.
CARL.
Wollt ihr mir etwa Briefe an eure Gemahlin mitgeben?
SIEGFRIED.

Diesmahl nicht. Reite nur so, grüß Alle mündlich, vornehmlich meine Genovefa und Golo; deine umständliche Erzählung von diesem Feldzug wird sie schon doppelt schadlos halten. Verbirg Genovefen meine Wunde, oder wenn du ja davon erzählst, so setz' auch gleich dazu, daß ich aus aller Gefahr sey. Grüß' Adolf vielmahl.

CARL.

Alles, lieber Vetter, und auf's Genaueste. Jetzt geht mir das Herz auf, wie eine Blume im Morgenthau; sehe jetzt so frohe glückliche Aussichten in die Zukunft. Wie wollen wir dann noch vergnügt zusammen [226] leben, wenn wir 'mahl alle daheim ankommen. Gott hat mir eure Liebe zugewandt, ich ehre euch wie meinen andern Vater; ihr habt's jetzt vor Augen gehabt, mein Ritterwesen, wie ich bin. – Adolfs liebes süßes Julchen ist jetzt mein.

SIEGFRIED.

So du sie erheyrathest, übertrag' ich dir Adolfs Stelle nach seinem Tode; Schloßhauptmann, samt allen Belehnungen.

CARL.
Lohn's Gott, kann dafür nicht gleich danken. Adjes, grüßt mir Ulrich und Bernhard.
SIEGFRIED.

Soll geschehn. Reise glücklich und laß mich bald wieder von dir hören. Sie küssen sich, Carl ab. Einbildung nennen sie mein Schwermuth; mag's, mir wird's doch leichter um's Herz, da ich nun den Jungen auf dem Wege hinwärts weiß.


Steffen, Christoph.
SIEGFRIED.

Wer kommt mit meinem Knecht? Mir ahndet's Bothschaft von Pfälzel. Steffen dorkelt einen Kratzfuß. Bringst guts Neues für mich?

[227]
STEFFEN.
Paket an eure Gnaden mit Verlaub.
SIEGFRIED.
Von Pfälzel?
STEFFEN.
Wenn's euer Gnaden Respect nicht entgegen.
SIEGFRIED.
Herein mit. Deinen Arm, Christoph.Hinkt hinein. Wie steht's in Pfälzel? Was macht meine Genovefa?
STEFFEN
hinter drein.

Steck' nur die Nas' in Brief, wirst's schon schmecken. Will für mein Theil mich nah zur Thür halten, im Fall es zu arg kommt. Ist das Sicherste. Alle ab.

2. Szene
[228] Zweyte Scene.
Bernhards Zelt inwendig.
Bernhard sitzt, Heinrich zieht das Scheermesser ab.

HEINRICH.

Ich für mein Theil bin nicht ganz für, nicht ganz wider das Aderlassen; Beydes hat sein Gutes und Schlimmes, ob man gleich Alles nicht so authentisch von Galen's und Hippokrates Bärten herunter demonstriren kann.

BERNHARD.

Scheert mich nicht weiter als einen Daumen breit aus dem Gesichte, damit der Nebenbackenbart mit dem Schnauzbart bleibt.

HEINRICH
winkt.

Gut. – Daß es zu gewissen Zeiten nützlich, ja höchst nothwendig, etwas von der Blutmasse zu verringern und abzulassen, läßt sich ganz leicht aus der natürlichen Geschichte erweisen. Wir müssen die Thiere zum Exempel nehmen, die gleichsam mit eignem theologisch-politisch-moralisch-medicinisch-, ja, wollt' ich fast sagen, poetischen Instinct gebohren sind. Fängt an einzuseifen. Manche Thiere loben Gott sichtbar früh [229] und spät, wie der Kranich; andre sind gesellschaftlich und gastfrey, andre moralisch, wie der Storch, der Vater und Mutter ehrt, andre Mediciner; der Hippopotamus oder Nilpferd hat die Eigenschaft, daß, wann er zu blutreich ist, so daß ihm die Adern zu stark strotzen, er im Sumpf an einem Rohrsplitter sich dieselben öffnet und sich so wieder zurecht hilft.

BERNHARD.
Wann ist mein Bruder Carl fort?
HEINRICH.
Etwa vor einer kleinen halben Stunde.
BERNHARD.

Jagte gestern auch einen Knecht nach Dahlheim. Mein Weib lag in den Wochen, hat mich abermahl mit einem gesunden starken Jungen erfreut.

HEINRICH.

Bey euch regnet's Glück; ihr habt ihr vermuthlich doch was von euern vielen erbeuteten Schätzen übersandt.

BERNHARD.

Komm' ich, kommt Alles; dann hat sie's an einem Stück; schickte ihr doch so der Perlen etliche zwanzig, die ich so von todtgemachten Mohrenohren zog.


[230] Heinrich will eben anfangen zu balbiren, Ulrich hastig herein.
ULRICH.
Hm, üble Bothschaft, Bruder! Siegfried liegt im Zelt in Höllenschmerzen.
BERNHARD
fährt auf.
Warum? Was?
HEINRICH.
Ist was Uebles ihm in die Wunde geschlagen?
ULRICH.
Nachricht von Pfälzel. Lies die verwünschte Nachricht! Genovefa soll eine Ehebrecherin seyn.
BERNHARD.
Häng' sie über Flammen, wenn so was wahr ist. Her! Liest.
HEINRICH.

Wie? Was ist das? Ey, das ist ja was ganz Enormes! Wie? Ehebruch, Genovefa, mit wem? [231] Seit wann ist diese fatale Nachricht hier eingelaufen? Ich war diesen Morgen erst beym Grafen droben, sah nach seiner Wunde, da wußte er nichts.

ULRICH.
Den Augenblick. Möchte weinen wie ein Kind über Siegfried. Das ganze Land ist voll davon.
HEINRICH
zuckt die Achseln.
Hm!
ULRICH.
Wie so was nur möglich ist.
HEINRICH.

Möglichkeit ist da; was das anlangt, die Gräfin ist ja eine junge schöne Dame. Aber wie's möglich ward – das ist der Henker – ob etwa – oder –doch nein –

ULRICH.
Die Zierde aller Frauen, das Muster weiblicher Zucht, die bescheidene Unschuld selbst.
[232]
HEINRICH.

Ganz gewiß. Da komme mir einer und sage was dawider. Es scheint mir deswegen auch noch etwas verdächtig, ob es sich so verhält. Wie? Genovefa, der Tugendspiegel sollte sich so vergessen? Die Zierde – ah, das mache man einem Andern weiß, eher müßte wohl Schnee schwarz, Feuer kühl und der hellleuchtende Tag über uns gleich zur Nacht werden, eher – Ja, der einzige Fall, wie's möglich seyn könnte, wenn anders die Sache unbezweifelt wahr ist, wäre, wenn etwa die Gräfin, so ohne davon zu wissen, wie oder wann, so von ungefähr selbst, oder auch vielleicht aus Wahrlosigkeit ihrer Bedienten, oder weil sie nun gar nicht daran dachte, ihre Kammerthür aufgelassen und einer dann von ungefähr, oder auch vielleicht vorsätzlicher Weise hinein geschlichen ... Das kann sehr wohl seyn, wir wissen ja, wie's in dergleichen Fällen geht, in dürr' Stroh fallen wenig Funken vergebens. Zuckt mit den Achseln. Gedult!

ULRICH.
Schlechte Salbe auf Siegfrieds Wunde.
BERNHARD.

Schön Zeug! Teufel, wir streiten hier um Blut und Leben und daheim unsre Weiber –Schmeißt den Brief hin. Wo ist der Bothe?

[233]
ULRICH.

Gleich wieder fort zurück. Bruder, ich dachte schon hin und her drüber, wenn Siegfried ihm nur nicht gleich ein übereilt Schreiben mit gegeben. Er ist ein guter Mann, aber auf dem Punct verflucht hitzig.

BERNHARD.

Recht hat er, wenn er ihr gleich den Kopf vor die Füße legen läßt. Ich wollte eine Metze selbst mit dem Eisen durchrennen, die mir solchen Schimpf angethan. – Mit einem Küchenmeister, dem Dragones, alle Schwerenoth! Ab.

HEINRICH.
He! he! st! Balbiren ...!
ULRICH.

Der rennt im Eifer. Muß nach, ihn noch ein wenig zurück halten, seine Hitze könnte den ohne hin schwachen Grafen auf's Neue alteriren. Ab. Kommt nach!

HEINRICH.

Sogleich. – Packt Alles zusammen. Läuft mit eingeseiftem Bart davon, soll ihn vielleicht auch im Sprung [234] balbiren, wie jener den Hafen. Blitzding mit der Gräfin! Muß doch gleich noch dem Grafen was Niederschlagendes geben, könnte einen schädlichen Effect auf seine Wunde machen. – Es wär' mir doch sehr lieb zu wissen, wie's mit der Gräfin zusammenhängt, – ob, oder ... Natürlich, sie wird vielleicht auch die Zeit ein wenig lang gefunden haben während ihres Gemahls Abwesenheit. Gleich den Kopf abhauen deswegen, hm ... Da liegt ja der Brief! Ey Blitz! Da muß ich geschwind sehn. Keine gar zu lobenswerthe Hand hat dich eben geschrieben, wer auch ist – was ...Schaut überall um. Fast mich herrlich wieder vergaloppirt! Gut, daß ich so allein bin. Meiner Patronin Mathildens Handschrift und Siegel! Der Teufel auch, wie man sich leicht vergaloppiren könnte! – Hm, hm, wie? Was? Das Zeugenverhör klar ... Aller Aufsagen ... Dragones eignes Geständnis ...Schlenkert mit der Hand. O weh! Mathildens Glauben an die Sache gar – das ist zu viel! Da muß man wohl die Finger weg lassen, sonst brennt man sich. Dauert ich; wer kann helfen? – Hm, hm, hm!Zuckt die Achseln und ab.

3. Szene
[235] Dritte Scene.
Dunkler Wald. Nacht.
Carl allein im Finstern.

CARL.
Hopp! Hopp!
IM WALD.
Hopp!
CARL.
Hast noch nichts, Feuer oder Licht, erblickt?
IM WALD.
Kann nirgend durch, ist abscheulich dunkel.
CARL.

Steige einen Baum hinauf, sieh, ob du nirgend was, nah oder fern, erblickst. Schrecklich dichte Finsterniß! Sind weit ab irr geritten; sollten gen Mitternacht und zogen tief gen Morgen. – Was raschelt im Genist? Da! Sa sa! Muß immer gefaßt auf Bär und Wolf – hui! – Es stöhnt um mich herum, stöhnt wie ein Mensch, Arm, Gesicht, warm ... am Baum hangend. Wer bist? Ha! Lebst? Kannst noch reden?


[236] Christine am Baum gebunden.
CHRISTINE.

O wenn du ein Christ bist und kein Mörder – bethest du Gott an, erbarme dich mein, hilf zum Leben, schneid' los.

CARL.
Wie kann ich? Sag, 's ist dunkel, wie bist gebunden am Baum?
CHRISTINE.
An Händ' und Haaren. Hier!
CARL
schneidet los.
Fall' nicht.
CHRISTINE.
Hilf mir Schwachen.
CARL.
Stütz' her, so so, auf meine Schulter. Deine Sprache ist Pfälzisch; bist eine Pfälzerin?
[237]
CHRISTINE.
Bin von Kreuznach an der Noh bürtig.
CARL.
Deine Stimme dünkt mir bekannt.
CHRISTINE.
O Gott, ihr seyd der junge Graf Carl, seyd ihr's nicht?
CARL.
Bin's; wo kennst mich? Wer bist du?
CHRISTINE.
Mathildens Dienerin.
CARL.
Und wie kommst du hieher?
CHRISTINE.

Mörder überfielen mich, als ich von Disibodenberg nach meiner Heimath wollte, schleppten mich weit durch den Sohnwald her, ließen mich endlich nach aller [238] Beraubung und Gewalt so am Baum gebunden, damit ich vor Hunger sterben, oder von wilden Thieren gefressen werden sollte.

CARL.

Arme, du dauerst mich, sitz' derweile auf einen Strunk nieder; ich habe meine Knechte herum geschickt, ob sie irgendwo Auskunft aus diesem wilden Walde fänden. – Du sollst wohl kürzlich in Pfälzel gewesen seyn, Mathilde hält sich dort auf.

CHRISTINE.
Ja wohl. Aber, ach Gott, wie sieht's jetzt dort aus!
CARL.
Warum seufzest du so, da du von Pfälzel sprichst?
CHRISTINE.

Habt ihr denn noch nichts von dem vernommen, was jetzt so landkundig ist? Was der Zeit von Siegfrieds Abreise mit dessen frommen tugendsamen Gemahlin sich zugetragen?

CARL.
Nichts. Was ist's?
[239]
CHRISTINE.
Die arme Dame sitzt trübselig im Kerker gefangen. Wer weiß, ob sie jetzt noch lebt.
CARL.
Genovefa gefangen? Warum?
CHRISTINE.

Sie wird von Golo als eine Ehebrecherin verlästert, von Golo und Mathilde, die suchen Beyde jetzt mit Gewalt ihren Untergang.

IM WALD.

Feuer! Feuer! Hieher, Ritter Carl! Gut Feuer und trocknes bequemes Mooslager zum Ausruhn, Hirten oder Jäger haben's wohl zubereitet.

CARL.
Führ' die Pferde hin.
IM WALD.
Sind schon da.
[240]
CARL.

Stütz' dich auf meinen Arm, das Herz schlägt dir gewaltig im Busen von wegen, was du mir erzählt; lass' mich's drin beym Feuer doch aushören.

CHRISTINE.
Wird euch gewiß Thränen haufenweis über eure Wangen jagen. Ab.
4. Szene
Vierte Scene.
Pfälzel.
Adolf, Julie.

ADOLF.

Laßt Alle urtheilen, was sie wollen, beschuldigen Zeugen bestechen, verdammen, hängen, brennen; Wahrheit bleibt Wahrheit und Unschuld Unschuld, es soll der Hölle selbst nicht möglich seyn, beyde auf immer zu verschwärzen. Ich muß jetzt nur zu all' den Grimassen lachen, die mir die droben zuschneiden; der [241] Tag ist da, der Ritterrath hier fast beyeinander, von allen Seiten reiten sie auf Pfälzel an. Nur unverzagt, Tochter, es soll dir bald anders gehn.

JULIE.

Woll's Gott, daß es so gut ausfiele, als ihr's hofft. Vater, mir ist aber angst; Steffen war so lange ausgeritten, der kam gestern spät in die Nacht zurück, brachte Neuigkeit, drüber die droben frohlockten. Mir hat's ein treuer Bedienter gesteckt, als sey er im Lager gewesen, habe Genovefa vor Siegfried verklagt, der ihm auch gleich ein sehr streng Urtheil gegen die arme Gräfin ausgefertigt.

ADOLF.

Ha ha ha! Glaubst du so was? Lügen, pur Lügen, boshafte, von meiner Schwester ausgeheckte Lügen. Siegfried ein Urtheil gegen seine fromme tugendreiche Gemahlin! Und wär's auch, so ist's falsch, ungültig. Der Ritterrath hier soll's bald klar thun, wirst sehn, ob nicht Alles nach unserm Wunsch ausschlägt.

JULIE.
Gott geb's.
[242]
ADOLF.

Und wär's nicht, wie's nun aber gewiß nicht anders kommen kann, – aber gesetzt, wär' auch der Ritter Ausspruch uns entgegen: das Herz hab' ich dir drum doch noch nicht verloren; so alt ich bin, fodre stehenden Fußes gleich Golo in die Schranken vor, Genovefens Ehre gesetzmäßig gegen sein Leben zu behaupten; Gott wird mir helfen.

JULIE.
Daß es doch nie so weit komme!
ADOLF.

Thu's, so wahr ich lebe. Tochter, habe dir doch eine gute Nase, habe dir Dinge gerochen gleich vom Anfang und nun weiß ich's gewiß. O du Nichtswürdiger! Nichtswürdiger! Dich lüstet nach solch einem Bissen; deines Freundes, deines Herren Eheweib. – Ha, da traben schon wieder ein Paar die Brücke herüber! Wie's denen droben dabey zu Muthe werden muß! Ich muß in den Saal, Kind; schau, daß jeder empfangen und bedient wird, habe noch was Nothwendiges zu thun, laß Wein auftragen, sey achtsam.

JULIE.
Adam ist droben zur Hand, er versieht das All mit Brandfuchs.
[243]
ADOLF.

Auch wahr. Adjes. – Siehst, wenn die gute Gräfin wollte, noch heut könnte sie dir frey seyn; wenn sie nur mit Golo ... Da liegt's. Verstehst?

JULIE.
Nein, Vater.
ADOLF.

Desto besser. Pfui! Garstig, wie ein faul Ey. Kind, denk' nicht weiter dran. – Da kommen schon wieder ein paar Andre angestochen, müssen jetzt gewiß All' droben beysammen seyn. Hinauf, Kind, in dein Kämmerlein, hinter dir zugeriegelt, nieder gekniet zu Gott, daß jetzt Alles gut geht.

JULIE.
Eine schwere Stunde. Gott reinige Aller Herzen zum Gericht der Unschuld. Ab.
ADOLF.

Da will ich nun reden vor dieser Ritterschaft! Es wird mir entsetzlich heiß, will das Maul weit aufreißen, das die mir so lang schon verpicht; Alles auf einmal 'raus, was ich seitdem niedergeschluckt.


[244] Carls Reitknecht.
ADOLF.
Wen suchst?
REITKNECHT.
Euch selbst, Herr Hauptmann.
ADOLF
vor sich.
Schöner Hauptmann, habe nichts mehr zu befehlen.
REITKNECHT.

Ritter Carl läßt euch tausendmahl grüßen und durch mich voran bedeuten, daß er in ein paar Stunden ganz gewiß hier in Pfälzel eintrift.

ADOLF.

Ist's möglich? Carl! O wo führt dich der liebe Gott so zur rechten Stunde her? Hilfe! Hilfe vom Himmel! Jetzt bin ich auf einmahl curirt. – Kommen die Andern auch etwa bald? Weß Weges kommt er her?

[245]
REITKNECHT.

Er ist für sich allein, samt uns zwey Knechten, die er sich zum Geleit gewählt. Graf Siegfried schickt ihn voran hieher, seine baldige Rückkunft anzukündigen. Ritter Carl reitet über Schönfeld 'rüber und schickte mich gerades Wegs voran.

ADOLF.

O Herzensjunge, seh' ich dich vor meinem Ende wieder? Ging' nur nicht gleich der Ritterrath droben an, wo ich nothwendig dabey seyn muß: gleich auf's Pferd und schnell ihm entgegen! Wieder 'mahl ein Labsal! Herein, Freund, eßt und trinkt eins.

REITKNECHT.
Das schlag' ich nicht aus, haben lange schon gefaltet. Ab.
ADOLF.
Getrost, Genovefa, deine Hülfe ist jetzt nah! Ab.
5. Szene
[246] Fünfte Scene.
Mathildens Zimmer.
Golo, Mathilde, Steffen.

MATHILDE.
Droben schon bey einander der Ritterrath?
STEFFEN.
Bitten um euer Gnaden Gegenwart.
MATHILDE.
Kommen. Steffen ab. – Nun Golo?
GOLO.
Soll ich mit hin?
MATHILDE.
Kannst du fragen?
GOLO.

Ich hasse alles Läugnen; schändlicher nichts, als eine Memme, die ängstlich um's Leben lügt, Krummes [247] und Grades unter einander hinschwätzt. Wenn die droben mich zu tief fragen wollen, fodre ich Einen um den Andern hinaus in die Schranken.

MATHILDE.

Da haben wir ihn wieder! Bleib' meinetwegen lieber hier, ich will's dort allein übernehmen, dich schon auf eine gute Art entschuldigen. Das Eine thu' nur: in Thurm zu Genovefa hin noch einmahl, bitte, beschwöre sie, falle vor ihr auf die Knie. Wenn sie nur heut noch mit dir entflöhe ...

GOLO.
Nein, zu ihr geh' ich nicht mehr; zu schimpflich, zu schimpflich mich weggewiesen!
MATHILDE.

Thust du's nicht aus Neigung für sie, thu's aus Liebe zu uns, aus Noth. Nimm dieß Schmuckkästchen Holt ein Kästchen aus dem Schrank. hier alle meine Kleinodien und Genovefens dazu, zeig' ihr, hintergeh' sie mit der falschen Nachricht von Siegfrieds Tode; Steffen soll dir helfen, er hat Alles dazu in Bereitschaft; sieh, wie du sie und uns rettest. Es ist ja eine Nothlüge. Thu's, thu's.

[248]
GOLO.
Daß ich ihr so abscheulich bin! So ganz abscheulich!
MATHILDE.

Und hätten wir auch Siegfrieds Unterschrift nicht, sie ist verloren, wenn sie's jetzt länger dir weigert. Jetzt auf diesem Punct ist kein Säumens mehr, die Zeit ist verflossen.

GOLO.

Ich will noch einmahl zu ihr hin; gewiß, es ist das letztemahl. Herz, versteinre dich, unempfindlich wie sie selbst! Mir wird's ganz blutig vor den Augen, wie ein angeschoßnes Thier, nah dem Tode jetzt – her mit! Nimmt das Kästchen. Mach' deine Sachen gut. Ab.

MATHILDE.

Mach' nur die deinen so. Hätt' ich's bis jetzt drauf ankommen lassen, es stünde vielleicht nun übel genug. Die meisten des Ritterraths sind schon im Voraus so von mir instruirt, wie ich's will und verlange.


[249] Steffen hastig.
STEFFEN.
Neuigkeit, willkommen wie ein Daumen im Auge: Ritter Carl den Augenblick aus dem Lager hier.
MATHILDE.

Was? Hölle und Flammen! Aus dem Lager hier angelangt? Allein oder mehr? – Wenn's so anfängt, geht alles zum ... Ab.

6. Szene
Sechste Scene.
Inwendiges des Thurms.
Genovefa auf dem Stroh, ihr Kind in den Armen.

GENOVEFA.

Schmerzensohn sollst heissen; Schmerzenreich. Ich habe dich getragen mit viel Schmerzen, gebohren mit Schmerzen, viel ward mir um dein und deines Vaters willen zu Theil. Lieber, süßer Kleiner, du weißt [250] nichts davon. Wi wi wi! Schlummre, süß Kindlein, so süß! Wollen sie den Vater dir rauben? Unschuld, dürfen's doch nicht! Wi wi wi! Es ist Einer, der in Wolken hoch thront und süßer Kindlein Erretter ist. Lächelst im Schlummer mich an; dein Lächeln weckt mir Thränen, ach!

Schlummre, schlummre immer zu,

Engelein dich decken

Mit Flügelein zur Ruh!

Wollt' dich auch wecken

Höllenmacht:

Ueber dir wacht

Des Starken Kraft

Läßt dich nicht schrecken.

Schlaf' wohl!

Hoffnungslicht

Schon durchbricht

Kerkernacht.

Schlaf' und schlummre friedevoll,

Schatz, dich Niemand stören soll.

Popeyo!


Wiegt es in den Armen und küßt es.
GOLO
schließt auf, kommt herein, das Schmuckkästchen im Arm.
GENOVEFA.
Ha, welch ein Teufel kommt wieder, mir meine Seligkeit zu rauben? Dreht sich.
[251]
GOLO.

Genovefa, hörst du? Ich komme nicht wieder, dir von Neuem vorzuwimmern; es ist vorbey das. Oh! – Das Letzte zu deiner Rettung kündige ich dir an. Du bist verloren, hin, dein Todesurtheil ist gesprochen und unterschrieben; wie und auf was Art, ist die Frage nicht. Jetzt ist's noch Zeit; den Augenblick, jetzt noch! Bald ist's zu spät; dann treffe dein Vorwurf mich nicht. Komm', rette dich, rette mich, rette uns Alle! Wir wollen dein Blut nicht. Ja, bey allem dem Elend, das mein Herz zerdrückt, bey all' deiner Grausamkeit, ich wollte doch lieber tausendmahl das meine dahin sprützen: flieh' mit mir! Ich will ehrlich an dir thun, will dich nur entfernen an einen sichern Ort, in ein Kloster, ohne Berührung deiner Ehre, so wahr mir Gott helfe. Diese Schätze alle für dich in Bereitschaft.

GENOVEFA.
Fliehn mit Golo? Nein, nein, Verräther, fern mit deinen Blicken!
GOLO.

Unerbittliche, hier knie' ich vor dir. Kniet. Bruge, beuge diesen Felsensinn, der uns Alle zu Grunde richtet.

[252]
GENOVEFA.
Nimmermehr!
GOLO.

O! Närrin! Was begehrst du noch weiter? Was kann Golo noch thun? Ich war bisher nur ein armer, hungriger Bettler, der nach übergebliebenen Brosamen schnappte, und du verweigertest sie, und es freute dich, sagen zu dürfen: hungre dich zu Tode! Ewig den Gecken spielen, immer betteln, wo mir belieben darf! Du bist keiner zärtlichen Ehrerbiethung werth. O mein Herz! Es wendet sich um und weint in mir; ach! – Doch laß ... Möcht' ich doch gleich hier versinken in Schmerz zu deinen Füßen! Du könntest dann deinen stolzen Triumph enden, könntest über mir stehen, über der Leiche und frohlocken, daß du mich erlegt. Ha Genovefa, wenn das Tugend ist, so weine der Himmel, daß es Tugend giebt, die den Unglücklichen verstößt. In der letzten Stunde wirst du ohne Trost bleiben, werden Golo's Leiden schwer vor dir stehn. Ach! Ach! Doch, es sey so. – Höre, dein Gemahl Siegfried ist in der Schlacht geblieben; Bellamir, der stolze Sultan, hat ihn im Zweykampf erlegt; seine Waffen überbrachte man mir heute, mir, der ich nun Erbe aller seiner Güter, Erbe deiner selbst bin. – Ihr draus! Bringt herein! Steffen bringt blutige Waffen, legt sie vor Genovefen nieder und ab. Sieh, Schwert [253] und Helm, die ganze stolze Rüstung, die er sonst trug! Sein dran klebend Blut bezeugt die Wahrheit.

GENOVEFA.

Ach gib mir das Schwert, woran sein theures Blut klebt, laß mich's in meine Hände fassen; reich' mir's her! Golo gibt ihr das Schwert, sie dreht es um an die Erde, die Spitze an der Brust, hinein zu fallen. O Betrüger! Sollst mich nicht fangen! Ich kenne meines Gemahls Waffen; diese sind sie nicht; hineinfallen gleich in dieß Schwert will ich, mich durchstechen, wo du nicht gleich diesen Kerker verlässest. Die Wächter sollen's dir nachschreyn, wenn du von hinnen gehst: Golo hat Genovefen ermordet!

GOLO
reißt das Kind vom Stroh auf in die Luft, das Kind schreyt.
Zerschmettern soll, hier schwing ich ihn
Am Beine hoch, du siehst ihn zappeln,
Ohn' Mitleid, ohn Bedauern
Die Brut hier an die Mauern!
GENOVEFA
stößt das Schwert weg, fällt vor Golo's Füße.
Was willst? Allmächt'ger Gott, halt' ein!
[254]
GOLO.
Vergebens all', alle Gewalt!
GENOVEFA.
Golo halt'!
O wenn du den Himmel hoffst, halt' ein;
Sieh meinen Jammer!
GOLO.
Vergebens flehst jetzt meiner Wuth,
Färben soll sein unschuldig Blut
Rosinroth diese Kammer.
GENOVEFA.
O nein! Ach nein! Oh sieh auf mich!
Erbarme dich! Erbarme dich!
GOLO.
Was fällst mir in die Arme?
Was netzest so mit Thränen mich?
Liebe bringt dir kein Erbarmen,
Nur Grausamkeit durchdringet dich.
Weh dem Mann, der Rettung begehrt
Vom Weib, er ist verloren!
[255] Eh fänd' er sie vor des Drängers Schwert,
Im Pantherrachen und bey wilden Mohren.
GENOVEFA
umfaßt seine Kniee.
Lass' dich nicht, lass' dich nicht,
Verwende nicht dein Angesicht!
GOLO.
Nimm ihn aus des ergrimmten Löwen Zähnen!
Ich lehre dich Barmherzigkeit.
Versag's mir nicht, warum ich bitt',
Ein Augenblick umspannt dein Ziel,
Und wenn ich drum in die Höll' hinunter fiel',
Er stirbt vor deinen Augen hier: dein Kuß ...
GENOVEFA.
Ich muß, ich muß!
Der Teufel selbst hat's dir gesagt,
Daß Alles eine Mutter wagt!
Um Sohn oder Kind ging' sie schnell
Hinunter in die tiefste Höll'!
O Teufel haben's dir gesagt,
Daß Alles eine Mutter wagt.
Nimm hin! Was zauderst lang?
Sing' hoch der Hölle Jubelsang!
Ha ha sa sa! Da sind sie ja,
[256] Rund um dich, Golo, die Teufel da,
Sie singen dir Victoria!

Golo graust, läßt das Kind auf das Stroh los, ab, Genovefa faßt es auf.

Lebst noch, Herz? – Lebest, ach ja!
Du lebest, o Halleluja!
Wer hat dich errettet, wer dich beschützet?
Der aus den Wolken auf Verräther blitzet!
Halleluja!
Wer ruft draußen am Gitter? Adam, seyd ihr's?

Adam am Gitter aussen.
ADAM.

Hoffnung gefaßt, liebe Frau! Eure Sachen gehn, will's Gott, besser. Ritter Carl ist in Pfälzel angekommen, steht schon vor der Ritterversammlung droben für eure Sache! Golo'n hat er dort auf öffentlichen Zweykampf vorgefodert, Eure Ehre gegen sein Leben behaupten.

GENOVEFA.

Schütz' ihn Gott mit seinem besten Segen und alle treue Herzen, die mir zugethan sind in dieser Noth.

[257]
ADAM.

So ihr was ferner zu bestellen habt, was es auch ist, auf euerm Herzen, sagt mir's kurz; darf mich nicht lang am Gitter aufhalten.

GENOVEFA.

Schaff' mir doch etwas Dinte und Feder zum Schreiben. Sie wollen sagen, mein Gemahl sey in der Schlacht geblieben; hast du nichts davon gehört?

ADAM.

Carl, der ihn erst kürzlich verließ, sagt, er sey frisch und gesund und komme bald in weniger Zeit nach.

GENOVEFA.

Habe tausend Dank dafür. Sieh zu, daß du mir bald bringst, warum ich dich gebethen; grüß' Adolf und Julchen, sag' ihr, daß ich gar sehnlich verlange, heut Nacht ein paar Wörtchen mit ihr zu sprechen, wenn's seyn kann.

ADAM.
Will's ausrichten. Gott behüt' euch. Ab.
GENOVEFA.
Dank, treuer Mann.
7. Szene
[258] Siebente Scene.
Rittersaal im Schloß.
Golo, Mathilde.

GOLO
auf und ab.
Der Ritterrath vorbey. Carl hat mich also zum Zweykampf herausgefodert?
MATHILDE.
Verdammt!
GOLO.
Genovefa schuldig erkannt, verurtheilt, hm!
MATHILDE
vor sich.

Ich muß ihn immer zurecht lenken, sonst bricht er mir alle Augenblicke durch; diese Auftritte spannen seine Imagination zu sehr, in solch einem Moment von Aussersichseyn möcht' er uns beyde gar leicht zu Grunde richten. – Holla, Ritter, warum so sinnend? Haben wir etwa fallirt, daß ihr so bankrutt da steht und den Verlust über euer Vermögen zu zahlen berechnet? Haben noch Baares und auch Credit. Pfui! Hinter seinem abgesteckten Plane kleben ist Schwachheit; [259] besser ein Ding nie angefangen, als nachher schlecht geendet.

GOLO.
Für was das All'? Thu' ich ohnehin nicht schon, was ich kann und soll?
MATHILDE.

Was du kannst, vielleicht, aber lange nicht was du sollst. Ha, mit euern Phantasieen schwebt ihr Leutchen immer hoch droben, im Auffassen seyd ihr sehr kühn, man möchte euch Anfangs gern Zaum und Gebiß anlegen und immer zu schreyn: haltet ein, nicht zu hoch hinauf gesteckt: das Ziel! Da ist nichts unmöglich, nichts zu schwer, was euer guter Wille nicht gleich thunlich fände; von jeder Hecke pflückt ihr Gelegenheit und Mittel. Aber, sieh da, wenn nun das Eisen warm ist und es zum Schmieden geht, erseufzt man über die Arbeit und Last. Für was nun all' die Unruh, die du durch Mienen und Gebehrden beständig von dir gibst? Alle diese magern, stundenlangen Seufzer? Sind wir jetzt einmal im Wasser so weit hinein, durchgewatet frisch, oder von den Wellen sich niederreißen gelassen und auch keine weitre Nachfrage mehr! Aber immer so zwischen Wollen und Nichtwollen, Verlangen und Furcht sich wie ein Dieb durch die Nacht hinbergend ... [260] Haben wir nicht Alles jetzt? Und noch Brief und Siegel oben drauf, die sie einstimmig zum Tode verdammen?

GOLO.
Wer hat die?
MATHILDE.
Träumst du? Was brachte Steffen von Siegfried aus dem Lager mit?
GOLO.
Er selbst hat ihr Todesurtheil unterschrieben? Er selbst? Oh, ist's möglich?
MATHILDE.
Ja, er selbst.
GOLO.
Grausam doch; ach Himmel! So sollst du denn sinken? Sollst dahin?
MATHILDE.

Sie will nun mit Gewalt zu Boden: wer kann's eihalten? Haben wir nicht alles Mögliche zu ihrer [261] Rettung angewandt? Dennoch trotzt sie fest. Was hast du selbst nicht schon gethan? Golo trocknet sich die Stirn. Jetzt stärkt Carls Ankunft ihren Eigensinn auf's Neue; und im Grunde ist's auch all' Eins für dich, lebendig oder todt; kommt Siegfried zurück, bleibt sie auch leben, so wie sie dich verabscheut ...

GOLO.

Gräme mich ja nicht weiters um sie; weg denn! Heraus aus diesem Herzen, Ungeheuer, du sollst mich nicht länger ... will dich nicht länger hier dulten! Laßt sie verhungern, ich frage nicht weiter, ich! Müßt' ich selbst darüber weg, verlösche auch mein Stern in des Todes Nacht ... so grausam, wie sie ist, so unempfindlich, so unbarmherzig!

MATHILDE.

Wärst du so ein elender ritterlicher Schmachtlappen, so ein gemeiner alltäglicher Strohjunker, ein Lumpencavalier, wie's deren nun Viele giebt, sollt' es mich nicht von ihr verdrießen.

GOLO.

Nicht weiter! O laß! Was liegt mir dran an Allem, was sie so himmlich schätzenswerth gemacht? Und hätte sie mich auch nicht lieben können? Und ach, [262] was hätte sie's gekostet, mich vom Tode zu erlösen? Nichts! Nur niederträcht'ger Stolz, nur Labung an meiner Qual, nur Freude, mich elend zu sehn! Um eine Grille eines Menschen Leben zerstört. Giftige, verfluchte Schönheit! O tausendmahl die Stunde verflucht, da ich dich zum erstenmahl sah! Wo bist du, Tod? Komm, brech' über mich herein, entreiß' mich ihren falschen Klauen! Oh! Oh! Wo will ich ... Verzweifle sie denn auch in der letzten bittersten Minute, zerknirsche sie einst auch ohne Gnade so ängstlich, wie mich's hier spannt! Meint.

MATHILDE
vor sich.
Wie er mich jammert! Es zerschneidet mein Inwendiges. – Armer Golo!
GOLO.

Nein, nein, es ist nun vorbey; bedaure mich nicht länger. Wo bin ich hingesunken? Wo ist nun der herrliche Mann, der Ritter Krone, der Stolz des Turniers? Eine Thräne auf seine Bahre! Ich seh' mich fallen und sinken, seh' wie ein Bogenschütz über mein Ziel! Hier war das Letzte. Ach Schicksal! Schicksal! – Voran jetzt in neuen Weg! Inwendig Trompetenstoß.

[263]
MATHILDE.
Das Signal! Die Stunde zum Zweykampfe da, die Ritter schon herauf. Golo, wie ist dir? Golo!
GOLO.
Mein Grab sey unter Weiden
Am stillen dunkeln Bach!
Dort will ich liegen unter einem Weidenbusch. Hörst du's?
MATHILDE.

Ich halt's nicht aus. – Golo, ermanne dich! Ich will den Kampf aufheben, auf ein ander mahl. Da sind die Ritter schon.


Ritter treten ein.
GOLO.

Gut. Ihr Herrn kommt, dem Kampf beyzuwohnen; ihr seyd mir willkommen. Füllt die Gläser! Ihr dort, laßt noch eins herumgehn, bevor sich Alle versammelt.


[264] Andre Ritter, Adolf, Carl bewaffnet.
GOLO
vor sich.

Da kommt er. Sonst mein Jugendgefährte, jetzt stehn wir gegen einander um's Leben, und warum? Ach Genovefa!

CARL.

Golo, Gerechtigkeit und Wahrheit wohnen im Himmel; droben schwingen sich beyde herab hoch über Pfälzel zum Ziel. Noch steht's bey dir, Menschenblut zu schonen, bekenne die Wahrheit frey, wasche durch ein rein Geständniß deine Schuld ab.

GOLO.
Was sagst du? Ha!
CARL.

Bekenn's, daß du ein falscher niederträchtiger Bube, ein Meineidiger, ein doppelter, ja zehnfach doppelter Verräther bist, der Gott und seinen Freund verräth, den ritterlichen Orden schändet, in dessen Verbindung er steht; erkläre dich selbst hier öffentlich vor dieser edeln Gesellschaft als Lügner, Ehrenschänder und falschen Ankläger, unwürdig dieses Ehrenrocks und Wappens, nur mit dem Eisen deiner Mutter, der Schande, gebrandmarkt [265] zu werden verdienend, und fleh' um Gnade, so wollen wir dir etwa verzeihen.

GOLO.

Kennst du den Golo nicht mehr, prahlender Laffe? Und wär' auch das, was ich behaupte, nicht wahr und falsch wie Höllennacht, und wäre was du vertheidigst wahr und rein wie der Himmel: sollst du mich doch nicht ertrotzen; beuge meinen Nacken keinem, der mich anfährt, zehnmahl trotz' ich dem, der einmahl mir trotzt! Herbey meine Waffen! Knechte bringen Waffen, Golo waffnet sich im Hintergrunde.

CARL.

Ich schmachte bis zum Kampf. Was ich hier unternehme und sprach, geschieht nicht aus eitelm Vertrauen auf meine Waffen, sondern nach reiner Gewißheit meines Herzens, so wie mir Gott die Wahrheit zeigt. Ich halte die Gräfin, meine theure Base, des beschuldigten Verbrechens dreymahl unschuldig; das behaupt' ich mit Blut und Leben, ob ihr sie gleich alle verurtheilt, edle Ritter. Ihr richtet nach Menschenbeweisen und Schwüren, Gott aber schaut in's Innre und richtet das Herz.

ALLE RITTER.
Wir haben's gerichtet, wie wir's wissen; Gott schaut in's Verborgne, Menschen schauen's nicht.
[266]
CARL.

Der Ausschlag meines Kampfes soll's beweisen. Kniet. Herr, rechtfertige die Unschuld, laß fallen, wer sie unterdrückt!

ALLE RITTER
knien.
Amen! Amen! Laß fallen, wer Unschuld unterdrückt.
CARL.
Bin freudig, wie ein junger Adler, der zur Sonne schaut. Steht auf.
ALLE RITTER.

Wir richten nach Zeugen und Verhör, wir richten, wie Menschen richten; Herr, hilf der Wahrheit, das Gesetz verurtheilt die Gräfin, keine Blutschuld komme über uns! Stehn auf.

GOLO
bewaffnet.
Heraus!
CARL.
Hinaus, in den Kampf, in's Freye!
[267]
GOLO.

Carl! Carl! Ich bin dir nicht feind im Herzen, ich verzeihe dir's hier, wenn du mein Blut vergießest. Warum mußtest du mich schmähen zu diesem Kampf? Und fällst du unter meiner Klinge – ha! Fort! Laßt anblasen, uns kämpfen, sterben! Hinaus! Ab mit den Rittern.

CARL.

Bleibt hier zurück, Vater Adolf; begleitet mich nicht mit hinunter in die Schranken, besänftigt Julchen, sie kam mir von Weitem nach, als ich vorhin über den Schloßplatz herwärts schritt. Da kommt sie. Adjes. Ab.


Julie.
JULIE.
Wo mein Carl, Vater, wohin? Ist er schon fort, hinunter in die Schranken? Fort zum Kampf? Wo? Wo?
ADOLF.

Bleib', Tochter; dein Bräutigam ist brav, hast Ehre von solchem Bräutigam. Komm mit nach Hause, ich muß dir was Nothwendiges erzählen.

[268]
JULIE.

Ach Vater, gebt Antwort, ach, sagt mir's doch, wohin er ist? Ist er schon hinunter? Kann ich ihn zuvor nicht noch einmahl sehn, noch einmahl, ehe er in die Schranken reitet? Ach Gott! Ach Gott! Vater!

ADOLF.
Kind, verzweifle nicht.
JULIE.
Nur noch ein einzig Mahl, ein einzig Mahl!
ADOLF.
Sollst ihn bald, nach dem Kampf wieder sehn.
JULIE.
Aber wie, Vater, wie wird ihn Julchen sehn?
ADOLF.

Vertrau'! Wie kannst du nur Angst haben? Es muß Alles gut gehn, Gott schützt reine Herzen.Trompetenstoß.

JULIE.
Hin, Vater! Hört ihr – ach! Hin!
[269]
ADOLF.
Tochter! Tochter! Ab.
MATHILDE
unruhig herum.

Jetzt preßt mich's von allen Seiten zusammen, Golo zu wehrlos, zu scheu für seinen Vortheil; er wird's verlieren. Carl ein stattlicher Junge. Daß ich's zugegeben, ihn hingelassen! Oh! Doch den Kopf jetzt nicht verloren, geschwind alle meine Pferde gesattelt, Alles fertig zur Reise: schlägt's unrecht aus, dann auf die erste widrige Nachricht aus Pfälzel davon. Ab.

8. Szene
Achte Scene.
Platz vor Pfälzel.
Auf der einen Seite stehn viel Menschen, auf der andern sieht man einen Theil der Schranken. Golo, Carl, Ritter hinein. Der Herold hervor, stößt in die Trompete.

HEROLD.

Kund und zu wissen jedermann: Ritter Golo von Sandthal und Carl bey Rhein stehn gegen einander [270] in den Schranken mit Speer und Schwert, wie edel Rittern gebührt; sie behaupten mit ihrem Blut Wahrheit, obgleich sie zweyerley Meynung sind. Beym dritten Trompetenstoß eröffnet die Schranken! Gott verleihe Sieg dem Recht!

ALLES VOLK.

Gott verleihe Sieg dem Recht! Zweyter Trompetenstoß. Gott verleihe Sieg dem Recht!Dritter Trompetenstoß, die Schranken auf. Man hört inwendig starken Tumult, Waffengeklirr, Pferdeschlagen, das Volk läuft überall zu. Hinzu! Laßt sehn, wer Recht hat, wer siegt oder fällt!

EIN WEIB.

Woll's Gott, der gute junge Ritter! Die arme gefangne Gräfin! Woll's Gott daß es Carl gewinnt! – Menschen auf der Mauer umher, einander auf den Schultern.


Adam, Margrethe.
ADAM.

Was willst du nur jetzt hier? Warum bist du nicht lieber bey mir zu Hause geblieben? Wir hätten schon den Ausgang erfahren.

[271]
MARGRETHE.

Nein! Sollt' ich nicht dabey seyn, wenn der schwarze Verräther fällt? Nicht Stab auf sein Aas werfen und hoch frohlocken? Hinauf, ich muß sehn!

ADAM.

Steh' auf dieß Stück Mauer. Gott behüt' dich, Weib, ich muß fort, ich kann's nicht mehr ... will fort in eine Ecke und eins bethen.

MARGRETHE.

Bleib', Adam! Wie sie auf einander rennen! Hörst? Hu! Sehe nur ihre Federn oben wehen! Adam! Adam! Gott! Herunter.

ADAM.
Was ist, Weib?
MARGRETHE.
Stürzte ein Pferd, Adam! Hörst, drin!
VOLK.

Beyde Pferde darnieder! Sa sa! Wie's jetzt geht! Zu Fuß! Volk läuft, rennt, springt herab unter einander.

[272]
MARGRETHE.

Adam! – Adam ist im Gedränge mit fort. O weh! Da kommt gar der alte Herr mit seiner jungen Tochter. Großer Gott, wie's der jetzt zu Muth seyn muß um ihres lieben Bräutigams jung frisch Leben. Wo ist nur der Mann hin? Mann, wo bist du? Ab.


Adolf, Julie.
ADOLF.
Was ist geschehn? Wie ist's? Ha, ihr! Wer ist gefallen? Ist einer gefallen? Sagt!
EIN MANN
vorbey.
Der liebe Ritter! Gott woll' ihm helfen!
EIN ANDRER
vorbey.
Golo, Golo ist zu stark, zu gewaltig!
JULIE.
Vater, ach Vater!
ADOLF.
Weh mir! Weh! Gibt denn Keiner Bescheid, wie's drin steht? Was ist?
[273]
EIN ANDRER
herab.
Wie sie sich herum treiben zu Fuß! Laßt uns hinzu, näher herbey!
JULIE
zu Boden ohnmächtig.
Ich kann nicht mehr.
ADOLF.
Gott! Gott!
9. Szene
Neunte Scene.
Innrer Theil der Schranken.
Golo, Carl fechtend.

GOLO
im Rücksprung.

Zurück, Knabe! Will dir's Leben nicht nehmen. Weich', o weich', mein Zorn könnte leicht entlodern, dann wär's vorbey.

[274]
CARL.

Ich verachte deine Gnade, Verräther! Stirb' an meiner Klinge, Falscher! Dein Leib den Raben, deine Seele der Hölle!

GOLO.
Zurück noch einmahl, Thörichter!
CARL
auf ihn eindringend.
Zu Boden!
GOLO.
Nimm's! Stößt ihn darnieder.
CARL
sinkt.
Hast gesiegt, Golo, Falscher! Die Hölle hat dir beygestanden. Genovefa! – Weh! Gott!Stirbt.

Jubelgeschrey des Volks aus allen Scenen, Trompetenstoß, Steffen herbey, zieht Carln den Helm ab, und nimmt ihm das Schwert.
GOLO
mit blutigem Schwert umher.

Hab' ihn ermordet! Ha! Hab' ihn ermordet! Dort liegt er ... sein Blut an meinem Schwert ... [275] verflucht das Schwert, das die Wunde schlug! Wirft das Schwert weg. Unselig Schicksal! O Carl! Carl! Läg' ich an deiner Stelle! Ab.

STEFFEN
ihm nach mit der Beute.
VOLK.
Hin, hin zum Schloß jetzt! Wollen sehn, was es weiter gibt, was der Herold verkündigt!
10. Szene
Zehnte Scene.
Schloßhof.
Mathilde, die Ritter, Herold.

MATHILDE.
Edle Ritter, was ist nun euer Ausspruch über diesen Kampf und Golo's Ehre?
RITTER.

Golo hat mit Blut und Leben behauptet seine Ehre, Carl hat vor Gott gefrevelt und seinen Frevel bezahlt.

[276]
MATHILDE.
Laut gesagt, damit's der Herold dem Volk verkündige!
HEROLD
bläst.
MATHILDE.
Da kommt mein Falke, über und über voll Beute.

Golo schmeißt Carls Waffen nieder.
GOLO.

Tragt sie weit davon, werft sie weg ... nein, hängt sie über die Thore, damit Andre Abscheu tragen, mich herauszufodern! Ich will keinen mehr umbringen, habe schon zu viel gethan.

MATHILDE.
Die ganze edle Ritterschaft hier empfängt dich mit aller dir gebührenden Ehre.
RITTER
neigen sich.
GOLO.
Gilt mir gleich.
[277]
MATHILDE.

Meine Herrn, der Auftritt hier ist zu traurig, Golo noch zu sehr mit Blut besudelt, als daß er jetzt den freundlichen Hauswirth machen und euch gleich hinein zum aufgedeckten Mahl begleiten könnte; tretet also lieber von selbst hinein, ohne weitre Ceremonien. Erlaubt uns, daß wir in wenigen Augenblicken euch folgen.

RITTER.
Wir ehren euern Befehl, nehmen eure Höflichkeit mit Dank an. Treten hinein.
MATHILDE.
Kein Befehl, freundliche Bitte, Güte von eurer Seite.
GOLO.
Recht so, ohne Ceremonien.
MATHILDE.

Sind wir allein? Daß ich mich nicht satt an dir schaue! Das beste Juwel werf' ich heut vor Freude in die Mosel. Du hast mich noch nicht bewillkommt, Golo, einen Kuß! Eine Mutter darf wohl stolz seyn, so einen Sohn zur Welt gebracht zu haben, wie du.

[278]
GOLO.
Mathilde! Bin so blutig! Siehst du?
MATHILDE.
Einen Kuß her! Bin eine Löwin, die ihr Junges herzt, das ihre Beute heimbringt.
GOLO.

Ha! Dort tragen sie ihn hin! Der Alte mit seiner Tochter nach, Alles still jetzt; – ihn weckt nicht mehr der Jägerruf in Bergen.

MATHILDE.
Komm' herein.
GOLO.
Geh' nur.
MATHILDE.
Warum willst du nicht gleich mit? Was seufzest, knirschest, weinst?
GOLO
schlägt auf's Herz.

Ach hier! Hier! Wie ein Hammer und es wird noch immer gewaltiger. Noch knirscht's in meinen [279] Ohren, das Schwert durch seinen Busen, seine blauen hilfebittenden Augen rollten in ... oh! Wie bin ich der Schlange Genovefa immer mehr wild! Könnt' ich sie nur ganz aus meinem Andenken vertilgen, dann würde mir wohl! Die Mörderin! Sie zwang mich zu morden, sie ist mein Unstern, der mich von einem Jammer zum andern treibt. Ich wollt', sie läge tief begraben, wollte den küssen, der mir die Bothschaft brächte, sie wär' nicht mehr!

MATHILDE.
Her mit, will's verdienen.
GOLO.
Ist's schon mit ihr gethan?
MATHILDE.

Was nicht ist, soll bald seyn, wir dürfen ohnehin länger nicht mehr säumen. Siegfried ist schon aufgebrochen, hat seiner Wunde ungeachtet sich herwärts auf den Weg gemacht; Heinrich berichtet mir's, mit dem Anhang in des Grafen Namen, das gegen Genovefa ausgefertigte Urtheil zurück zu halten, sie selbst aber bis zu seiner Ankunft auf freyen Fuß zu stellen.

[280]
GOLO.
Was hilft's denn nun All'? Jetzt hab' ich umsonst gemordet. Wir sind jetzt in eigner Falle gefangen.
MATHILDE.

Pah! Nur schnell jetzt das Urtheil an ihr vollstreckt, wir sagen nachher, wir haben vom Widerruf nichts gesehn. Den Bothen, der diese Nach richt brachte, schickt' ich gleich, ohne daß ihn hier jemand bemerkt, auf meine Burg hinüber, wo man ihn so lange fest hält, als wir's in der Sache für gut finden.

GOLO.

Zu all' den Dingen hast du mehr Verstand und Geschick als ich. Wo's auf Fechten ankommt, oder irgend sonst eine männliche Arbeit zu thun ist, da laß mich voran; treibe alles Uebrige nach deinem Gutdünken.

MATHILDE.
Sie sollte nach dem Urtheil und Gesetz öffentlich am hellen Tage gerichtet werden.
GOLO.
Hm, wie ist's?
[281]
MATHILDE.

Hinaus in den freyen Wald geführt, sie samt ihrem Kind durchstochen, zusammen in eine Grube geschmissen.

GOLO.

Nichts weiter! Sage mir nichts weiter davon. Oh! Eine einzige Leidenschaft hat mich zu Grunde gerichtet, eine arme geringe Neigung. Was ist's um all' meinen Stolz, Hoffnung, die fröhliche Aussicht in die Zukunft? Traum am Erwachen. Es läuft doch Alles in einen Tod, Leben, Liebe, Jammer und Elend und auch der Tod; das Glück ruht mit der Scheibe länger oft an niedriger strohgedeckten Hütte und läuft stolzen Pallästen vorbey. Was war ich nicht? In dieser Jugend! Wer kann hoffen, wenn in des Frühlings Knospe schon ein Wurm gräbt? – Wohlan, sey auch gerecht, du droben! Laß Schuld tragen, wer schuldig ist; ich war lange schon ein verstümmelt Werkzeug, zu richtigem Gebrauch verdorben. Begrabt sie doch tief! Fort mit ihr! Fort! Verbrennt sie mit Feuer! Ihre Augen, die mich irre geleitet, ihren verführerischen Schlangenleib, der aussen gleißt und inwendig von schwarzem Gift erfüllt ist.

MATHILDE.

Du geräthst ausser dich. Golo, achtsam, damit du dich nicht vor Bedienten vergissest! Ueberall folgen [282] Spuren unsrer Fährte. Ich muß jetzt gleich nur zusehn, daß ich ein paar Kerle auftreibe, die diese Nacht die That übernehmen. Ich hab mich anders besonnen; es ist doch besser, es geschieht bey Nacht. Wenn ich nur gleich ein paar rechte Kerls wüßte. Steffen vertrau' ich's nicht allein. Weißt du keine?

GOLO.

Da fällt mir was ein. Ich ritt am Morgen jüngst dem Walde zu, drunten an der Thalmühle vorbey; ich saß so in Gedanken immerhin, auf einmahl stiegen aus dem Graben neben meinem Rappen zwey Bettler herauf, wild und rauh starrten Haar und Bart, ihr Anblick scheußlich wie die Grimasse eines Gefolterten; Mord saß in den düstern Winkeln ihrer borstigen Augbrauen, sie glichen zween Geistern aus der Catilinarischen Verschwörung. Mein Rappe scheute, ich griff an's Schwert vor ihrem Anblick; damahls dacht' ich bey mir selbst: hätte einer schrecklichen Vatermord im Sinn, es wären Kerls darnach, so was auszuführen. Ich hörte nachher, daß es Galgenentronnene Straßenräuber wären, die sich dort herum genistet.

MATHILDE.

An der Thalmühle? Du erinnerst mich, es sind die nämlichen Kerls, die mir Steffen jüngst ausgemacht, [283] meinem Mädel nachzusetzen; sie haben's gut ausgerichtet, ich muß mich gleich nach ihnen erkundigen. – Heut Nacht diese Arbeit noch, dann ist's vorbey, und hernach können wir ruhn.

GOLO.
Glaubst du?
MATHILDE.
Sicher.
GOLO.
Weh! Was für ein Leben! Ab.
MATHILDE.

Was man für Mühe hat. Ja, das muß nicht vergessen werden, gleich Anstalt machen, daß es so geschwind als möglich ... daß heut noch Carls Leichnam unter die Erde kommt, damit's des Laufens und Forschens drüber desto eher ein Ende hat.Ab.

11. Szene
[284] Eilfte Scene.
Julien's Zimmer.
Julie, Christine.

JULIE.

Warum sie so mit ihm eilen? Warum er noch heut unter die Erde soll? Warum sie mich nicht zu ihm hinlassen? Ach! Ach! Ach!

CHRISTINE.
Tröstet euch.
JULIE.

Hinweg, will mich nicht trösten, nein, nein, will mit ihm in's Grab, will mit ihm unter die Erde. Ach! Ach!

CHRISTINE.
Wie schmerzlich! Weint.
JULIE.
Laß mich allein weinen, o laß mich allein weinen! Er war mein, ach!
[285]
CHRISTINE.
Liebe Seele!
JULIE.

Ich will mit zur Leiche. Wo ist mein schwarz Kleid? Das können sie mir doch nicht verbieten, daß ich mit ihm zur Leiche gehe.

CHRISTINE
kniet vor ihr, küßt ihre Hand.
Ich darf euch nicht lassen, holdes Fräulein, habt Barmherzigkeit! Darf ja nicht.
JULIE.
Hättest du mich lieb, o wüßtest du, wie's hier, hier, hier!
CHRISTINE.
Weiß es gar zu wohl.
JULIE.
Führe mich nur, daß ich von Weitem seinen Zug sehe; nur das.
[286]
CHRISTINE.

Euer Vater hat's verbothen; wollt ihr denn mein Unglück, Fräulein? Lieber Engel, Ritter Carl hat mich heimlich zu euch hergebracht, erführe Mathilde mein Hierseyn, sie ließe mich ja auf's Schmählichste hinrichten.

JULIE.

O Gott! O Gott! Auch Niemand, der sich mein erbarmt! Er hatte Mitleid mit dir, und du hast keins, mich hinzuführen an seine Leiche.

CHRISTINE.
Mir bricht das Herz.
JULIE
auf und ab, für sich.

Was acht' ich den Tod? Was ist mir das Leben? Der Tod ist sanft, das Leben schwer. – Still! Es fängt an – der Himmel kracht, die Welt versinkt. – Hörst? Hörst?

CHRISTINE.
Die Glocken gehn schon. – Fräulein, bald ist's vorbey.
[287]
JULIE.
Sie rufen mir: Julie! Komm! Komm! O gute Nacht! Reißt das Fenster auf und springt hinab.
CHRISTINE.
Hilf Himmel, was für ein neues Unglück! – Fräulein! Wehe! Helft! Helft! Ab.
12. Szene
Zwölfte Scene.
Vor dem Schloßgarten. Nacht.
Adam, Brandfuchs.

BRANDFUCHS.

Mir ist's die Zeit her so schwer im Herzen, Meister, so weh um mancherley; ich möchte die Welt verlassen und ein Klosterbruder werden.

ADAM.
Hilf Gott! Bethe einen Psalm still in dir verschlossen und guck' zu den Sternen auf.
[288]
BRANDFUCHS.

Mit Freude kehrt' ich hier in Pfälzel ein, mit Trauer werd' ich's verlassen. So muß denn Alles scheiden? Meister, ihr waret ja bey Carls Beerdigung zugegen; ist es wahr, daß Julie in's Grab hinein sprang, als sie den Leichnam verscharren wollten?

ADAM.

Es giebt so Augenblicke und Stunden, Junge, wo einem anders ist als gewöhnlich; heut geht's in mir ganz hoch. Laß mich die Hand dir auflegen jetzt: heut ist mein Segen wahr. Wer weiß, wie nahe mir mein Ende, hin geht die Zeit, her kommt der Tod; sey redlich, wie du mich vor Gott und Menschen wandeln gesehn, und der Friede wird auf dir ruhn. Jetzt sey still und laß gehn, wie Gott es will: ihm hab' ich's überlassen und heim gestellt, er ist der Ew'ge, Starke, Allmächtige. Was will ich Kind in Windeln, du Hüter der Menschen, vor dir? Des Wurms Ohnmacht hinan zu deiner Allmacht. Wie du es führst und Licht durch die Dämmrung bringst nach deinem Rath ... ah verzeihe, wenn wir dich nicht ganz fassen und weinen; uns Menschen hier unten im Thal sind unsre Dränen lieb. Ich murre nicht, so sehr es auch schmerzt; der edle liebe Jüngling mußte bluten, Golo soll triumphiren, er soll, Adolf liegt draussen auf dem Grabe [289] und zerrauft sich die weißen Haare, seine Tochter ganz von Sinnen, dahin, Dragones im Kerker vergiftet, die arme Gräfin in Ketten und Ehren beraubt: Gott, tröste du alle betrübten Herzen bis zur Erlösungsstunde. Wenn nun Siegfried wieder zurück kehrt, diese Verwüstung hier schaut, sein vor so friedliches Pfälzel!

BRANDFUCHS.

Halt' an und geht nicht, bis ihr mich zweyfach gesegnet. Mir ist's, als wär't ihr im Uebergang, mir schon nicht mehr nah, als ginge euer Weg zu den Sternen.

ADAM.

Bin noch Waller im Thal und trag' den schweren Stab, bis ich gerufen werde, komm' es wann es wolle. Spät ist's jetzt schon in der Nacht, mein Weib schleicht noch drin im Schloß herum, nachzuspähn, was es da gibt, was sie über die arme Gefangene ferners beschlossen. Steffen ließ heute ein verdächtig Wort springen, das uns All' in Unruh und Schrecken gesetzt. Wollte, das Weib wäre schon da, wenn ihr nur nicht drin auch ein Unglück zugestoßen.

BRANDFUCHS.

Will dort 'rum hinschleichen, Meister, so an der Mauer weg, ob ich sie nicht antreffe und gleich zu euch herführe.

[290]
ADAM.
Probir' einmahl, aber sacht, daß dich Niemand bemerkt; sie sind argwöhnisch wie die Hölle.
BRANDFUCHS.
Laßt mich nur machen. Ab.
ADAM.

Die Uhr schlägt: Mitternacht! Wende dich und bringe einen frohen Morgen. Mich friert. Stark Hahnengekräh unten im Dorf; bekommen ander Wetter.


Margrethe im Dunkeln.
MARGRETHE.
Adam, bist du's?
ADAM.
Weib, ja. Wo bliebst du so lange? Ist dir der Jung' nicht begegnet?
MARGRETHE.
O Gott Adam! Wie klopft mir das Herz.
[291]
ADAM.
Ist was passirt? Du keuchst so gewaltig.
MARGRETHE.
Man kann dir's nicht vor Angst sagen! Die arme Gräfin ....
ADAM.
Hast was erfahren? – Weib!
MARGRETHE.
Ist hin! – Adam! Wird jetzt gleich umgebracht.
ADAM.
Weib! Wo? Wie?
MARGRETHE.
Siehst du, siehst du die Fackeln dort oben?
ADAM.
Was sollen ...
MARGRETHE.
Gehn hin in den Thurm, worin sie sitzt.
[292]
ADAM.
Geschwind – 'raus!
MARGRETHE.
Hohlen sie dort ab, jetzt! Hörst du aufschließen? Die Mörder? Mörder!
ADAM.
Heil'ger Gott! Was ist das?
MARGRETHE.
Ach Adam, führen sie jetzt in freyen Wald hinaus, ermorden sie dort samt ihrem Kind!
ADAM
greift in alle Taschen.
Auch gar nichts bey mir, nicht 'mahl meine Hippe. Weib, ist's Alles gewiß so?
MARGRETHE.

Nur zu gewiß, Adam; hab's mit meinen eignen Ohren gehört, im Camin stack ich, da Mathilde mit den Mördern drum handelte.

[293]
ADAM.
Gott leite mich! Wie viel sind ihrer?
MARGRETHE.
Zwey sind's.
ADAM.

War so muthlos bisher, jetzt kommt auf einmahl mein Kraft wieder. Weiß jetzt, warum ich hier bleiben mußte; zu dem hatte mich Gott ersehen.

MARGRETHE.
Was hast du im Sinn, sollen sie dich auch erschlagen ohne Barmherzigkeit?
ADAM.
Schau 'mahl über dich, Weib.
MARGRETHE.
Was ist's, Adam?
ADAM.

Siehst du die dort oben flimmern? Sie alle sind gezählt, keins der wird verlohren gehn, und wir sind noch mehr.

[294]
MARGRETHE.
Ach je, hörst du? Sie kommen schon mit ihr 'raus.
ADAM.

Still. Wenn sie dem Wald zu wollen, müssen sie hier vorbey; im Busch mausestill, bis ich dir das Zeichen gebe. Wollen sie von hinten überfallen.

MARGRETHE.
Herr Jesu, daß ich den Hunden nur gleich die Augen ausreissen dürfte! Verkriechen sich.

Die zwey Mörder mit Fackel und Laterne, in der Mitte Genovefa, den Mund mit einem Tuch verbunden, sie trägt ihr Kind auf den Armen.
ERSTER MÖRDER.
Brur, soll ich de Fackel auslösch? Hon an de Latern genung.
ZWEYTER MÖRDER.
Wart, bis mer drauß sin.
[295]
ERSTER MÖRDER.
Wo führe mer se hin? An Sandfels oder in Wald zu de drey Weihr?
ZWEYTER MÖRDER.

Um vier thut's schun tage; drey Weihr lige ze weit ab im Wald, müsse jo vor Tags Anbruch drunne seyn im Thal, der Vogt bekummt Gäst, die müsse mer tüchtig roppe. Wo host die Hack, daß mer di gleich begrabe?

ERSTER MÖRDER.
Schwernoth, hon der di vergeß im Thorn, an de Mauer; laf zurück un hohls.
ZWEYTER MÖRDER.
Geh' weil voran. Ab.
ERSTER MÖRDER.
Tummel dich, daß bald nochkummst. Ab mit Genovefa.

Adam, Margrethe.
ADAM.
Schluchze nicht so laut.
[296]
MARGRETHE.

In der Stunde des Gerichts können wir drum nicht bestehn, so wir's leiden. Heraus mit 'nem Pfahl und gleich nach!

ADAM.
Uebereil' nicht. Geschwind drin meine Armbrust, über die Wiese hinten ihnen vor!
MARGRETHE.

Hast es gesehn, Adam, wie sie unter den Verruchten ging, gebunden und geführt, verstummt, wie ein Lamm, das Metzger zur Schlachtbank ziehn?

ADAM.
Fort, mir nach, geschwind! Ab.
13. Szene
[297] Dreyzehnte Scene.
Anfang des Waldes. Sandfels auf einer Seite.
Mörder stellt die Fackel an den Felsen, bindet Genovefen das Tuch los.

ERSTER MÖRDER
vor sich.

Rarer, delicater Bissen! Schwernoth, doch Schad drum. Wann nur wißt', daß der Schindhund mer nit so schnell uf'n Leib käm ... Do iß er schun. – Du, host ke Brandwein?


Zweyter Mörder.
ZWEYTER MÖRDER
gibt ihm das Fläschchen.
Sauf's nit all'.
ERSTER MÖRDER.
Hot schmeckt. – Curagi!
ZWEYTER MÖRDER.
Gibs her, noch'n Schluck. – Na, fang weil an.
ERSTER MÖRDER
wetzt.
Brur, frog 'mohl, ob se schun gebeth't.
[298]
ZWEYTER MÖRDER.
Vor was? – Hons sunst nie thon, wann mer umbrocht.
ERSTER MÖRDER.
Is e ander Korn, morde jetzt gerichtlich.
ZWEYTER MÖRDER.
En Teuwel, so oder so. – Her ihr! Faßt Genovefen am Haar. Zieh aus du!
ERSTER MÖRDER.
Edel Frau, habt ihr schun bethet?
GENOVEFA.
Gott, was macht ihr mit mir?
ZWEYTER MÖRDER.
Schneid' zu, Hund! Kehl' 'runter.
ERSTER MÖRDER.
Hon e stump Messer.
[299]
ZWEYTER MÖRDER.

Stech'! – Wart, will der helfe. Teuwels Bock! Will mitn Sten dir's Hern ausschlag, wo nit gleich fort machst. Brust uf!

GENOVEFA.

Ach nein, ihr werdet mich nicht ermorden! Ihr seyd so grausam nicht, hab' euch ja nie was zu Leide gethan.

ZWEYTER MÖRDER.

All ens! Sind bezahlt, euch umzubringen. – Wollt jetzt still halte oder soll ich euch strengle mit'n Kordel?

GENOVEFA.
Ich will ja gedultig halten, wie ihr's begehrt. Hier ist mein Hals.
ERSTER MÖRDER.
Noch e Wort, Bruder. Reden beyseit mitsammen.
GENOVEFA.

Ach Gott, wie grauenvoll! – Soll's denn hier geschehen? Ich und mein unschuldig Kind! Gott, wie bitter!

[300]
ZWEYTER MÖRDER.
Weg, Hund! – Gleich her, ihr! – Her mit dem Kind zuerst!
GENOVEFA.
Bringt mich lieber zuerst um.
ZWEYTER MÖRDER
will eben aushohlen, Adam schießt ihn.
Schwernoth, wer hots thon? – Verfluchter! Wüthiger! 'n Pfeil im Arm.

Adam hervor.
ADAM.
Ich bin's, Spitzbuben! Auch einer für dich!
ERSTER MÖRDER.
Höll! Teuwel! Og ich?
MARGRETHE
schlägt von hinten den Zweyten zusammen, er läßt Genovefa fahren.
MARGRETHE.
Für dich, Hund!
[301]
ZWEYTER MÖRDER.
All Teuwel! Faßt das Kind, springt hintern Baum.
ADAM.
Kommt nur!
ERSTER MÖRDER.
Soll dir's der Teuwel salze!Weist das Messer.
ADAM.
Herüber auf unsre Seite, Gräfin!
GENOVEFA.
Mein Kind! Er hat mein Kind!
ADAM.

Thu' dort dem Kinde kein Leids oder du bist verlohren! Ihr seht's, daß ich euch gewachsen bin. Gebt das Kind wieder der Mutter zurück, unversehrt, nehmt hier diesen ledernen Beutel, fünf baare Goldgulden sind drin an Silbermünze; geht eure Straße, und laßt die frey.

ERSTER MÖRDER.
Was sagst du zu, Brur?
[302]
ZWEYTER MÖRDER.
Ist's ag so drin?
ADAM.
Zähl's selbst.
ERSTER MÖRDER.
Brur, is der so?
ZWEYTER MÖRDER.
Könnens nit drum, verlier zu vil, di im Schloß drobe hon uns mehr versproch, wenn mer umbring.
ADAM.

Der Blutlohn von denen auf dem Schloß soll euch doch noch werden; die Gräfin geht mit ihrem Kinde weit fort von hier, wo sie von nun an keine Seele mehr sieht.

ERSTER MÖRDER.

Nur so lang bis mer wohl's Geld hon, dernoch schern mer uns nit mer drum. – Brur, bins zufride is ehrlich.

[303]
ZWEYTER MÖRDER.
Hon aber die Og' un Zung' versproch mitzubring'?
ADAM.

Auch dafür soll Rath geschafft werden. Hab' daheim ein Lamm geschlachtet, könnt davon Augen und Zunge nehmen, werden's droben nicht so genau examiniren.

ZWEYTER MÖRDER.
Nehmts hin! Nu, könnt ihr mer nicks weiters vorn Brandwein gen?
GENOVEFA.
Habe nichts als mein Gebet für eure Bekehrung zum Himmel.
ZWEYTER MÖRDER.
Hätt di Brüh. Kann selbst bethe. Brur, loß der de Ring vum Finger gebe.
ERSTER MÖRDER.
Is der ins Flesch gewachs.
[304]
ZWEYTER MÖRDER.
Schneid de Finger ab, Hund.
ADAM.

Zurück, ihr, jetzt, es wird bald Tag, damit uns Niemand hier wahrnimmt. Jäger und Schützen kommen früh durch den Wald herauf.

ERSTER MÖRDER.
Gehn mer.
ZWEYTER MÖRDER.

Du Hund, host de Ring hinne loß. – Will dich nächster Tag umbring, daß dei schlecht Camradschaft los werr. Di Kleder verspiel mer og, do mer di lebe loß.

ERSTER MÖRDER.
Vielfroß, hon mer ag Geld vor.
ZWEYTER MÖRDER.

'n Wort! Loß den en weng vor, will ihm vun hinne ens ins Gnick gen. Können en og ausziehn, hot schwere Krempen am Wams.

[305]
ERSTER MÖRDER.
Kannst's thun. Ab.
ADAM.

Adjes, theure Gräfin! Muß dicht hinter jenen drein, damit sie nicht umbeugen und euch von Neuem einhohlen. Entfernt euch in die Tiefe des Waldes, so lange bis wir sichre Freystatt ausgemacht; irgend ein Kloster. In meiner Hütte ist nicht zu trauen.

ERSTER MÖRDER
zurück.
Edel Frau, daß ihr ja nit heimkehrt, sunst gen mer euch ke Pardon. Ab.
GENOVEFA.
Will nicht einmahl mehr zurück schauen, geschweige zurückkehren.
ADAM.

Zu Gott. Diese Nacht komm' ich mit Essen und Trinken wieder in Wald heraus und such' euch auf; haltet euch um die drey Weyer herum, nah am Entenfang, im Gebüsch; geht ja nicht hervor, bis ich euch mit Singen und Pfeifen mein Zeichen gegeben, woran ihr mich kennt. – Begleit' sie bis dorthin, Weib, [306] mach' aber, daß du vor Mittag wieder daheim bist; es muß alles äusserst still gehalten werden. Ab.

MARGRETHE.
Das Morgenroth geht auf, laßt uns davon, liebe Gräfin.
GENOVEFA.

So flieh' ich denn mit meinem Unmündigen, verstoßen und Ehren beraubt, dem Tode nah, fern meines Gemahls friedlicher Wohnung, und suche in Wildnissen meinen Trost. O Gott!

MARGRETHE.
Vertraut, Theure! Vor Abend wird's nicht Nacht, so lange wir leben, grünt auch Hoffnung.
GENOVEFA.
Für mich keine Hoffnung mehr. Ab.
14. Szene
[307] Vierzehnte Scene.
Schloßsaal in Pfälzel.
Mathilde einen Brief in der Hand, Golo.

MATHILDE.

Alles läuft verkehrt! Der Herzog von Schwaben ist mit Dagobert nach Paris, ich muß Acht haben, daß mir nicht eine Französin dort die Karten anders mischt; muß den Alten mit Briefen warm halten.

GOLO.
Bis wann soll Siegfried hier eintreffen? Wie lautet die Nachricht?
MATHILDE.

Er befand sich in Strasburg, als der Bothe abging, und brach gleich hinten nach auf; der Rechnung zufolge müßt' er also heut Nacht, oder morgen gewiß hier eintreffen.

GOLO.
Was gibt's dort unten?
[308]
MATHILDE.

Meine Nichte Julie, die arme Verrückte, bringen sie jetzt nach Kloster Disibodenberg hinüber, zu ihrer Base Anne.

GOLO.

Morgen gewiß also Siegfried hier? Kommt er allein mit den Seinen, oder begleiten ihn noch Ulrich und Bernhard?

MATHILDE.
Vermuthlich werden die ihn bis hieher auf Pfälzel begleiten.
GOLO.
Ich mag nicht länger hier bleiben; will auf Sandthal hinüber, auf mein Gut.
MATHILDE.

Bleiben mußt du. Das wäre schön! Wäre dann Alles auf einmahl klar. Possen! Wollten Ulrich und Bernhard ihres Bruders wegen auch Miene machen haben wir auch noch Hülfe zur Hand.

[309]
GOLO.

Was fürcht' ich die? Möchten die bepanzert gegen mich anziehn im Zug von all' ihren Wehren! Ich scheute sie nicht. Nur Siegfried, wie soll ich den ertragen? Was dem antworten, wenn er nach Genovefen fragt?

MATHILDE.

Ueberlass' mir das All', will's schon so einleiten, daß wenn du's nicht mit Gewalt verderben willst, die Sache gewiß gehn soll. Wir haben Freunde im Hinterhalt; auf einen einzigen Schlag ist diese ganze Burg in meiner Gewalt. Ab.

GOLO.

Wüßt' ich nur von dem Allen gar nichts mehr! – Ein neuer quälender Anblick! Da sind sie, die sie umgebracht. Weg!


Die zwey Mörder.
ERSTER MÖRDER.
Hons verricht, streng Gnade, do sin Oge un Zung. Zeigt ein Tuch.
GOLO.
Sie kennen mich.
[310]
ZWEYTER MÖRDER.
Der hot Zung abschnitt, ich Oge ausstoch.
GOLO.
Sucht ihr mich hier?
ERSTER MÖRDER.
Seyd jo de Ritter, ihr oder de gnädge Fra, is all ens.
ZWEYTER MÖRDER.
Nehmt nur Og un Zung, un gen uns unser Lohn.
GOLO.

Weg! Werft's den Hunden vor! Was kommt ihr zu mir? Verhackt's in kleine Stücke, wer fragt darnach? Wüßte Niemand, der Augen verlangte. – Wie weit ist's von hier nach Strasburg?

ZWEYTER MÖRDER.
Strasburg?
GOLO.
Sagtet ihr nicht, Siegfried sey von dort her unterwegs?
[311]
ERSTER MÖRDER.
Hon nicks vun sproche.
GOLO.

Hinweg! Was peinigt ihr mich länger? Fort, ihr klemmt mir das Herz! Eure verfluchten Blicke durchstecken mir die Seele! Fort! Beschwert mich nicht länger! Verwünscht seyd ihr All'! Ihr Verdammten, wollt ihr davon! Wollt ihr ziehn!

ZWEYTER MÖRDER.
De Teuwel og, unser Geld!
GOLO.
Fort, hinter sich! Haut über sie.
ERSTER MÖRDER.
Brur, der isch der wüthig. Laufen ab.
GOLO.

Ach! Ach! Fällt in den Stuhl. Nun ist's geschehn. Springt auf. Fort denn, fort, fort! Laßt mich in Ruh! Bilder, weg! O einmahl, einmahl nur weg aus meinem Hirn! Nur einmahl heraus, es ringt [312] mich zu Grund! Blutender Carl, du, du Genovefa!Läuft umher. Sie trug einen grünen Hut, werd's in meinem Leben nicht vergessen, einen feinen grünen Hut; sie stand und schaute zur Erde, damahls hätt' ich sie noch retten können, damahls! Damahls! Jetzt ist sie hin. Warum hab' ich's nicht gethan? Wo waren meine Sinne? Warum nicht lieber Alles erlitten, warum nicht lieber mein Unrecht gestanden, warum nicht lieber geflohn? – Nein. Die Erde regt sich unter mir, die Hölle lodert herauf!


Steffen.
STEFFEN.
Gnäd'ger Herr.
GOLO.
Bin ich gnädig? Wahrhaftig, wußte das nicht.
STEFFEN.

Graf Siegfried ist schon in Schönthal ankommen, er wird in wen'gen Minuten hier seyn, Mathilde ist voraus, ihm entgegen, ihn einzuhohlen und zu empfangen.

[313]
GOLO
faßt ihn an der Brust.
Warum sagst du mir das? Warum? Wann ist er ankommen? Wann?
STEFFEN.
Ritter, so eben, den Augenblick.
GOLO
reißt ihn zu Boden.
Nieder mit dir, Verräther? Stirb unter meinen Füßen!
STEFFEN.
Kennt ihr eure Freunde nicht mehr?

Ein andrer Bedienter.
BEDIENTER.
Herr Ritter, Graf Siegfried ist hier in Pfälzel ankommen.
GOLO.
O all' Unglück! – Wer? Wer?
[314]
BEDIENTER.
Graf Siegfried! Geht hinaus, er läßt euch grüßen, zu sich bitten, verlangt euch zu sprechen.
GOLO.

Wer will mit mir sprechen? Was will er mit mir sprechen? Was hat er bey mir zu fragen? Verrätherische Hunde, sagt ihr's nicht All', Mathilde ist bey ihm draussen? Laßt die antworten.

BEDIENTER.

Freylich! Aber es wäre doch besser, ihr selbst gingt hinüber zum Grafen, ihn zu trösten. Er befindet sich im traurigsten Zustand, zerschmilzt fast in Thränen über den schmählichen Tod seiner Gemahlin.

GOLO
auf und ab.
Nein. Nein. Nie.
BEDIENTER.
Ein Wort von euch kann ihn am Besten beruhigen.
GOLO.

Nein! sag' ich. Spannt Pferde an diese Säulen und jagt die den Mühlberg hinan! Eh sollt ihr dies[315] Gewölb verrücken, eh ihr mich hinüber vor ihn hinbringt. Er mag mich richten, kann mich binden, schleifen lassen; gehn werd' ich gewiß nie vor ihn. Uh! Hin zu ihm? Ich weiß Alles, er hat mir den Tod geschworen; den schwör' ich ihm jetzt wieder. Keine Ruh, bis er oder ich erliegt. Auf, meinen Hengst gesattelt, ihr! Es schnauben noch in ein paar andre Bären im Dickicht, grunzen nach meinem Leben, aber dieß Schwert und Lanze verlacht sie! Laßt ankommen Bernhard und Ulrich, Rache fodern ihres erschlagnen Bruders wegen; und wären sie auch noch so ergrimmt und trügen die Stärke von zwanzig Männern in ihren Armen, hätten sie Füße von Stahl und Brüste von Eisen und Adlerschnelle zum Kampf: doch scheu' ich nicht! Lieber mit ihnen über dem Schwert fallen, als hören, wie Andre um hingerichtete Weiber heulen. Verflucht seyd! Weit von mir! Steffen ab.

BEDIENTER.
Weiß nicht, was ich zur Antwort zurück bringe, ob ihr kommen wollt oder nicht.
GOLO.

Kann ich ein untreu Weib treu machen? Kann ich Todte vom Grab auferwecken? Wer hat das Todesurtheil unterschrieben? Wer kann mir's beweisen, daß ich schuldig bin?

[316]
BEDIENTER.
Ritter Golo, ihr vergeßt euch gewißlich.
GOLO.

Habe keine Furcht vor Dingen, wo andre grausen. Es gibt Geheimnisse in der Natur, Merkzeichen, die verborgne Blutschuld offenbaren und heimlich verscharrt Unrecht zum Tageslicht hervor ziehn. Ich lache zu Allem! Wenn auch gleich Sonnenfinsterniß würde, Sterne blutig über mein Haupt herab winkten und durch eine angedeutete Zuchtruthe der Himmel mich bedräuen liesse: was liegt daran? Der Tod ist mir ein Spaß! Der ist doch immer das Letzte.


Ein andrer Bedienter.
GOLO.

Kommst du auch her, mich hinüber zu hetzen? Will euch Hunde all' zusammen wegprügeln, wo ihr nicht bald geht.

ZWEYTER BEDIENTE.
Frag' nur, ob ihr ...
[317]
GOLO
schlägt nach ihm.

Wieder mit deinen verdammten Fragen? Will von keinen Fragen hören! Fragt wo ihr wollt, nur nicht bey mir. Weg! Drey Schritt vom Leib mir! Ihr Gespenster! Schaut mir in die Augen her! Schaut in mich hinein, ich kann's vertragen.

ERSTER BEDIENTER.
Wir glauben das.
GOLO.
Glaubt's oder nicht, all' ein Teufel! Ab.
ERSTER BEDIENTER.
Wie kommt dir's vom Ritter vor?
ZWEYTER BEDIENTER.

Verdächtig genug. Wär' ich an Siegfrieds Stelle beym Kopf ließ ich ihn gleich nehmen, das Ding mit der Gräfin scharf und von Neuem untersuchen; wett' drauf, es käme da noch Manches unvermuthen hervor.

[318]
ERSTER BEDIENTER.

Sonst so freundlich und gut, nun auffallend wild, wie eine loßgelassne Bestie; ich kannte ihn nicht mehr.

ZWEYTER BEDIENTER.
Hin zu Siegfried, wir müssen's ihm sagen. Ab.
15. Szene
Fünfzehnte Scene.
Adolfs Gärtchen.
Adolf, Christine.

ADOLF.

Sag' mir gar nichts mehr, will nichts mehr davon wissen, wie's weiter in der Welt hergeht. Es ist eine Spruche unter die Redlichkeit kommen, jetzt müssen alle braven Leute dran glauben. Adams Leichnam ist im Wald gefunden worden, halb von Ameisen zerfressen. Alter Knecht, wirst schon im Himmel droben dein besser Thril funden haben, wo aller Redlichen Lohn steht; wird dort keine Ameise mehr deine Ruhe annagen. Hoi! wie mich's zwickt! Sieh, wie roth dort am Himmel, wie brennende Kohlen; glaubst du, Kind? Der jüngste Tag ist vor der Thür'.

[319]
CHRISTINE.
Soll ich euch was aus der Bibel vorlesen? Die Geschichte vom jungen Tobias.
ADOLF.

Bin wie Jacob jetzt kinderlos, mein Benjamin ist auch von mir gewichen in's Kloster hin. Sag' mir doch was von meiner Tochter, wie die sich im Kloster befindet. Hast lange nichts von der gehört?

CHRISTINE.

Ihr heftiger Schmerz lindert sich nach und nach, der freundschaftliche liebe Beystand ihrer Base Anne trägt viel dazu bey.

ADOLF.
Was ist's dann für ein Pilgerverlöbniß, das Beyde gethan? Ist's wahr?
CHRISTINE.
Ja, Herr. Sie bittet Erlaubniß und Segen zur Reise.
ADOLF.

Kann ihr nichts geben und versagen; kann ja gehn, wenn Gott sie dazu ruft; wollt's aber doch, daß sie nicht zu bald gingen. Mich däucht, ich treib' es nicht mehr weit.

[320]
CHRISTINE.

Ja, lieber Herr, ihr geht auch wenig in's Freye, waret doch sonst Wald und Jagd gewohnt und machtet euch viel Bewegung; jetzt sitzt ihr gar immer zu Haus. Graf Siegfried ist schon lange Zeit wieder zurück, alle Menschen besuchen und bewillkommen ihn; ihr allein seyd noch nicht dort gewesen, er hat doch schon oft nach euch gefragt.

ADOLF.

Meynst du, daß ich zu ihm hin soll? Sind aber noch Gesichter um ihn herum, die kann ich nicht ausstehn.

CHRISTINE.
Eure Schwester will nächstens sich von Pfälzel beurlauben.
ADOLF.
Oho! Dann krieg' ich wieder Luft! Mehr so gute Nachricht.
CHRISTINE.
Man sagt, Graf Siegfried betrübe sich so herzlich schmerzlich über den Tod seiner Gemahlin.
[321]
ADOLF.
So?
CHRISTINE.

Er will eine Kirche erbauen auf den Platz, wo sie den bittern Martertod erlitt; er läßt schon überall herum nach ihrem Leichnam suchen. Inwendig soll ihr Grabmahl gesetzt werden und hinten dran will er ein Kloster stiften zur Andacht heiliger Leute, in deren Orden er auch selbst eintreten will.

ADOLF.
Am Ende geht's doch immer so.
CHRISTINE.

Wollt ihr hier aussen ein wenig verweilen? Ich habe drin in der Küche einen Augenblick was Nöthiges nachzusehn, bin gleich wieder da.

ADOLF.
Nein, geh' lieber mit. Mag nirgend allein bleiben.
CHRISTINE.
Der arme alte Mann! Ab.
16. Szene
[322] Sechzehnte Scene.
Schloßhalle. Mitternacht.
Golo mit bloßem Dolch, schaut wild um, lauscht an der Pforte von Siegfrieds Schlafgemach.

Ueberall folgt mir sein Geseufze. Besser, auch ihn umgebracht mit, so hat er doch einmahl seines Härmens ein Ende; ein bischen Verdammniß mehr für mich, was thut's, ihm nur zu helfen? Der Arme, unglückliche. ach! Horcht an der Thür. Ist einmahl ruhig drinne. – Er schläft Gottlob. – Oh, was ist's wieder? – Das war ein Seufzer! Noch einer! Man hörr von innen ferne rufen: O Jesu. Oh! oh! Verstopft euch, ihr Ohren! – Sengt mir die Kehle ab! – Weltgerichtsposaune! Ha! Wer da Wer da? Die Mauern haben Zungen, mich anzurufen, die Säulen spiessen mich fest! – Wer ist da?


Mathilde im Nachthabit.

MATHILDE.

Golo, was fehlt wieder? Warum wieder vom Bett auf? Du wanderst wie in Nachtgespenst im Schloß herum, jetzt da alle vernünftigen Leute schlafen.

[323]
GOLO.

Schlaf', wer da schlafen kann. Ich kenne das Ding nicht mehr, das ihr Andern Schlaf nennt. Der Gräber wird mir einmahl aufdecken zur Ruh, eher nicht. Entweich' von mir, du meine Strafe, du Spiegel, worin ich alle meine begangnen Sünden schaue.

MATHILDE.
Ich verkannte dich; eine Memme, kein Mann bist du.
GOLO.
Sieh 'mahl hinter dich, wer dir zuwinkt; es ist so ein alter Bekannter.
MATHILDE.
Was hast du wieder?
GOLO.

Willst du's etwa auch noch läugnen, was mir vor Augen gewiß ist? Steht dort nicht der Geist des armen Giftschluckers? Ich will mich braten lassen, wenn das nicht seine Kappe, sein Wamms und Hosen [324] sind, darin er lag als er verscharrt ward. Ich hab' dich nicht in die andre Welt geschickt! Du wirst es wissen, wer es that!

MATHILDE.
Sinnloser!
GOLO.
Wie? Siehst du nichts?
MATHILDE.
Wo denn?
GOLO.
Dort an der Thür! Soll ich ihn dir am Aermel herziehn? – Her, du!
MATHILDE.
Rasender, was treibst du?
GOLO.
Sahst du ihn gewiß nicht?
[325]
MATHILDE.
Einen Narren seh' ich, der dir perfect gleicht.
GOLO.

So laß dich aufhängen, du, wenn unter euch Halunken drunten nicht besser Recht herrscht, als hier auf der Oberwelt. Den Ersten Besten wie tolle Hunde anzufallen, mit verwischten Blicken ihn zu peinigen, ohne zu fragen, ob einer schuldig oder unschuldig ist! Ich schmeiss' dir in deine Grimasse! Scher' dich weg von meiner Seite!

MATHILDE.
Sprich doch sachte, Golo! Du verräthst sonst unsre Heimlichkeit.
GOLO.

Hörst du, wie die Hölle bey dem Worte lacht? Es wird noch lange so in unsrer Lämmleinsunschuld fortwähren, ich seh's schon voraus. Aber, o Verruchte, sey's gewiß, ich kenne dich, weiß deine verdammten Schliche, deine Gedanken und Anschläge alle! Mir fällt's oft tief mitten in der Nacht ein.

MATHILDE.
Was weißt du denn wieder?
[326]
GOLO.
Läugne es 'mahl: bist du nicht mit Siegfried dran, mich bald mit Gift aus der Welt zu schaffen?
MATHILDE.
Was für ein toller Einfall!
GOLO.

Ich will zu Asche verbrannt werden, wenn Siegfried mir heut über'm Essen nicht Gift in Wein eingoß. Du lächeltest ihm zu, da er mir's gereicht, zähltest deine Halsperlen, wiesest deine verguldeten Finger; aber ich goß Alles brav hinter mich, ob ich's gleich so zum Schein annahm.

MATHILDE.
Hirngespinste, wie dieß, was du eben hier erblickt.
GOLO.

Wo ist's? – Und wär's auch Phantasie, war's doch in meinen Augen wirklich vorhanden, und die Ursach, warum es da vorhanden seyn darf, zermalmt mir das Herz. O du Schändliche! Wenn ich's gewiß wüßte, daß du falsch an mir thätest, mich nun auf diesem Punkt verlassen wolltest: Hölle! Wenn ich dich nur auf einer Spur von Untreue ertappe ...

[327]
MATHILDE.
Niederträchtiger, verdiene ich's, daß du so zu mir sprichst?
GOLO.

Bist du nicht die Verruchteste, die unter der Sonne lebt? Die mich verfälscht, verdammt, aus mir einen Teufel gemacht hat?

MATHILDE.
Weg, Rasender!
GOLO.
Blutschuldige!
MATHILDE.
Weh mir! O Abscheulicher, ist das mein Lohn!
GOLO.
Ha Lohn! – Da nimm ihn! Sticht sie in die Seite.
MATHILDE.
Ermorde deine Mutter nicht! Golo, ich bin deine Mutter!
[328]
GOLO.
Du ... du ...! O mehr als Fluch! Mehr als Alles, was ich schon erdultet! Ab.
MATHILDE.
Hilfe! O Hilfe!

Steffen mit Licht.
STEFFEN.
Was ist geschehn? Was soll's? – Gräfin, in Blut?

Ein andrer Bedienter mit Licht.
BEDIENTER.

Was für Aufruhr, welcher Lärm stört die allgemeine Ruh? – Ha ihr ...! Golo rennt eben wie ein Wüthiger mit blutigem Messer an mir vorbey der Schloßpforte zu; hat der euch verwundet?

MATHILDE.

Nicht er! Ein Mörder drang herein, der mir nach dem Leben gezückt, Golo hat den verwundet und verfolgt ihn auf der Flucht.

[329]
STEFFEN.

Wir müssen geschwind den Wundarzt wecken, damit er euch verbinde. Lauf du zu Heinrich, geschwind! Bedienter ab. Ich hoffe doch nicht, daß es gefährlich ist. Kommt, ich will euch sachte in's Zimmer hinein führen, eh' ihr euch hier weiter verblutet.

MATHILDE.

Steffen, vor Allem laß meine Pferde und Sänfte bey Tages Anbruch bereit stehn; ich muß gleich jetzt von Pfälzel weg, kann nicht länger von Hause abwesend bleiben.

STEFFEN.
Soll geschehen. Lehnt euch auf meine Schulter.
MATHILDE
vor sich.
O Genovefa, deine Rache fängt schon an! Ab mit Steffen.

5. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Ein buschiger Hang.
Julie, Anne in Pilgerkleidern.

JULIE.
Hier ein bischen ausruhn, Annchen. Sitzt unter einen grünen Busch.
ANNE.

Gerne; wohl müde bist du, Julchen. Gedult, Herz! Dort unten im Thal liegt ein Kloster von Frauen, da wollen wir bald einkehren, nach unsrer beschwerlichen Reise rasten; von dort sind wir nur noch zwey Tag' Wegs ab von Pfälzel. Wie will ich mich freuen, wenn wir dort wieder einmahl ankommen. Liebe, wenn dein alter Vater nach so langer Zeit dich endlich wieder 'mahl sieht! Wie lange ist es, daß du jetzt von Hause abwesend bist?

[331]
JULIE.
Annchen, geht stark in's fünfte Jahr.
ANNE.

Eine hübsche Zeit. Wie viel Tag' und Stunden sind uns seitdem verlaufen! Haben derweil so vielerley ausgestanden. Kind, sage mir's doch, hast du den Brief auch bey dir, den Genovefa vor ihrem Tode dir anvertraut, ihn in ihres Gemahls Hände zu überliefern? Oder liegt er noch daheim in Disibodenberg?

JULIE.
Ach, ich trag' ihn immer auf meinem Herzen. Soll von dem nirgend weg, als in Siegfrieds Hände.
ANNE.

Die gute Genovefa! Mir laufen gleich die Augen voll Wasser, wenn ich an ihr unglücklich Ende gedenke. Sie hat lange ihre Leiden überstanden, Gott tröste ihre Seele.

JULIE.
Sie starb als eine Märtrerin, starb unschuldig, eine Heilige.
[332]
ANNE.

Das ganze Land weit und breit umher ist jetzt voll von deiner Tante Mathildens Vermählung mit dem Herzog von Schwaben; in Trier soll schon in die acht Tage mit großem Pomp festivirt werden.

JULIE.

Wollte lieber was Heilsameres von ihr hören. Gott, sey ihr gnädig und gib ihrer Seele Raum zum Himmel.

ANNE.

Ruhe hier ein Weilchen, laß dir's nicht zu lange werden; ich will hierum eine frische Quelle suchen, unsre Flaschen füllen, ein wenig zum Waschen und Erlaben. Ich seh dir's an den Augen an, du bist durstig.

JULIE.
Ein frischer Trunk wäre mir wohl jetzt eine Erquickung.
ANNE.
Sollst ihn gleich haben.
[333]
JULIE.
Zu viel Mühe meinetwegen.
ANNE.
Keine zu viel um dich, mein Engel! Ab mit den Kürbisflaschen.
JULIE.

Ach über's Grab hinaus meine Wallfahrt! Dort erst find' ich die Ruhe. Die Jahre laufen dahin, schnell, schneller, als ein Adler fleucht. Sie sagen, mein alter Vater lebe noch; wenn er noch lebt, wer hat ihn in seiner Einsamkeit seitdem getröstet? Wie werden ihm in Kummer die Nächte so lang geworden seyn, die mir oft schnell in brünstiger Andacht dahin geschwunden? Hilf Gott, ich bin sehr matt. Dacht' es nicht mehr zu erleben, so weit in der Irre herum, und so nahe jetzt wieder meiner Heimath! Carl! Carl! auf deinem Grabe werd' ich jetzt bald ruhn. Ach! – Wie sanft weich hier im Moos! Meyne, habe nirgend noch so sanfte Ruhestätte gefunden. Die liebe Abendsonne, so freundlich reich; sey mir gesegnet! Herr Gott, mag doch so sanft bald mein Ende seyn. Süße Ruh, erquickende himmlische Ruh! – Lehnt an, entschlummert.

[334]
ANNE
kommt zurück.

Julchen, bring' hier eins zu trinken. Kind, das Kloster ist ganz nah. – Sie schlummert. Reine Seele! Süß, wie ein Gedanke zum Himmel. Die unter Stauden so anmuthig ruht, will ich nicht wecken, bis sie von selbst erwacht.Sitzt neben sie.

2. Szene
Zweyte Scene.
Grüner dunkler Wald.
Genovefa auf einem Stein sitzend, im Hintergrunde Schmerzenreich, ein vierjähriger Junge, im Grase sitzend, neben ihm liegt sein Reh.

GENOVEFA.

Ich lebe denn hier so, fern, verlassen, bethe für Alle, die mir im vorigen Leben Gutes gethan, und auch für Alle, die mich unschuldig verfolgt. Du Garten Gottes, der mich hier nährt, schöner, freundlicher Wald, du liebe Felshütte, die mir die milde Natur gebaut! – Schmerzenreich, meine Taube, bist du da, liebes Kind?

[335]
SCHMERZENREICH.
Hi! hi! Mutter, da bin ich. Gar viel schöne Herbstblumen!
GENOVEFA.

Geh' nicht zu weit ab, Kind, bleib' hübsch dort beym Reh. Singe eins, Lieber, damit ich dich immer höre. – Die Thiere selbst tragen Mitleid und Erbarmen zu unserm hilflosen Zustand; jene Rehkuh, die Amme, die meinen Kleinen bisher ernährte und auferzog ... Gott sey gedankt für Alles bisher! Der den jungen Raben Futter bringt, ernähr' auch uns. Meine Seele hat sich nun so willig ergeben, diese Einsamkeit wird mir so lieblich, daß auch kein Gedanke mehr mich zur Welt zurück zieht. Du allein, unglücklicher Gemahl, der du mich untreu glaubst! Könnt' ich dich vor meinem Ende noch einmahl sprechen, dir deinen Sohn zustellen: nur dieß. – Schmerzenreich, mein Liebchen, bist noch da?

SCHMERZENREICH.
Mutterchen, hab' euch 'nen Strauß gemacht.
GENOVEFA.
Schön Dank, Kind, bring' mir ihn her.
[336]
SCHMERZENREICH.
Noch nicht, sind gar schöne Blumen da, muß sie all' haben.
GENOVEFA.

Der liebe Junge! – Ach Siegfried, wo du eine andre Gemahlin, andre Kinder hast, was soll dann mein Armes hoffen?

SCHMERZENREICH.

Mutter, jetzt mach' ich der heil'gen Mutter Gottes 'nen Strauß, dann noch einen für meinen lieben Vater.

GENOVEFA.

Thu's, Lieber, bleib' hübsch! Will hierum Reiser sammeln, die wir heimziehn, muß schon anfangen Wintervorrath besorgen, es geht in's Jahr. Ab.

SCHMERZENREICH
hervor an einen Baum.
Da hast du's, Vater, nimm's. – Nun, wann kannst dann einmahl? Wann werd' ich dich sehn?
3. Szene
[337] Dritte Scene.
Schloßhalle.

SIEGFRIED
sitzt unter der Pforte.

Nein, ich kann sie nie vergessen! Ihr Andenken, ihr Verlust drückt mich immer mehr. Alles erinnert mich an die erste Zeit, da ich sie noch besaß. O Gott, wie glücklich war's!

HEINRICH
tritt auf.
SIEGFRIED.

Willkommen, Heinrich! Ihr kommt ja von Trier her, wo Mathildens Beylager celebrirt wird; ist's fröhlich dort hergangen? Was bringt ihr guts Neues mit? Erzählt mir davon.

HEINRICH.

Wenig Guts. Als ich vorgestern Nachts abritt, war Alles noch in Floribus, aber heut ist eine Hiobspost hier eingelaufen. Gestern in der Brautnacht ist in Mathildens Schloß zu Trier Feuer angelegt worden, so daß es mit allen Möbeln bis auf'n Stumpfen abgebrannt, der Herzog hat sich kaum salviren können. [338] Mathilde befindet sich sehr unpaß, vermuthlich aus Alteration, und hat sich schnell nach Rautenburg retirirt.

SIEGFRIED.

In Wahrheit, schlimme Nachricht; in der Brautnacht just! Wie geschah's? Weiß man nicht, wer's angelegt?

HEINRICH.
Nein, man weiß hiervon nichts Sichres.
SIEGFRIED.
Ihr habt vermuthlich auch Golo'n beym Fest drüben gesehn?
HEINRICH.
Er war nicht dort zugegen, so höflich ihn auch der Herzog selbst hin eingeladen.
SIEGFRIED.

Der Herzog erklärt ihn zu seinem Erben und er kommt nicht 'mahl zur Hochzeit hinüber? Was hat er denn für Entschuldigung?

[339]
HEINRICH.

Keine; sein Humor, daß es ihm eben nicht Spaß mache, dabey zu seyn, dergleichen Lappereyen mehr. Man trägt sich in der Gegend umher mit den wunderlichsten Geschichten von ihm, er soll manchmahl ganz wie vor den Kopf geschlagen seyn.

SIEGFRIED.
Hör' es auch.
HEINRICH.

Reitet wie ein Unsinniger im Land herum, Kreuz und die Queer, kehrt öfters in acht Tagen, wie mich's glaubwürdige Leute versichert, nicht heim unter Dach, sondern verliegt draussen im Wald in Wind und Wetter und passirt die Zeit mit Jagen.

SIEGFRIED.
Hm!
HEINRICH.
Ohnbezweifelt wissen eure Herrlichkeit doch den letzten Streich mit dem Abt von Sanct Gallen?
SIEGFRIED.
Wieder was Neues?
[340]
HEINRICH.

Ah, das ist infam. Da zog der Abt von Sanct Gallen, ein braver ehrlicher Herr, mit fünf seiner Knechte durch den Wald dahin, dacht' an nichts Uebles, und auf einmahl läßt sie Golo umringen und fangen, und ohne weiter Recht und Urtheil niederlegen und alle die Knechte schwarz und blau prügeln, daß der Abt zusehn muß. Der Teufel auch, zu arg! Und das bloß allein deswegen, weil sie mit grünen Hüten durch seinen Forst geritten.

SIEGFRIED.
Wunderbar! Hab's schon oft gehört, grüne Hüte sind ihm ganz zuwider.
HEINRICH.

Verflucht wüthig, wo er nur einen erblickt! Ha ha ha! Grün ist ordentlich ein Herausforderungszeichen für ihn, geht auf Alle los, die Grün haben.

SIEGFRIED.
Sehr wunderbar, Jäger lieben sonst das Grün.
HEINRICH.

Eine besondre Ursache! Grün ist sonst eine den Augen wohlthätige Farbe; ob's im Bau seiner Augensphären, [341] irgend im Schliff ... ob die etwa zu platt oder hoch gewölbt, so daß der inwendige Spiegel die Strahlen zu gedrängt faßt ... hm ...Zuckt die Achsel. Irgend so was.

SIEGFRIED.

Hätt' ich doch nur über Manches mehr sichre Auskunft! Ich habe schon zehnmahl seitdem Genovefens Verhör gelesen. Ich weiß nicht, diese Aufführung des Golo, sonst noch so Vielerley, das für sie spricht ... Mir steigen oft Traumbilder vor die Seele, als wäre meine Gemahlin gewiß unschuldig gestorben.

HEINRICH.

Schon gut das; Träume rühren aber gemeiniglich von der Verdauung her, je nachdem ... die heilige Schrift zwar ...

SIEGFRIED.
Unruhig macht mich's oft, daß ich mir kaum drüber zu helfen weiß.
HEINRICH.

Es muß natürlich daraus folgen, man sieht's eurer Herrlichkeit auch sehr wohl an, daß sie sich abzehren, [342] das Fleisch fällt von Tag zu Tag mehr weg; meine Schuldigkeit ist's, euch grade deswegen zuzusprechen. Die Doctores von Trier, die Gnaden mit mir consultiren, bathen mich schon oft drum, und wie ich sage, die eigentliche wahre Usach ist's, warum ich jetzt aufwarte. Begreiflich ist's, sonnenklar, daß alle leiblichen Mittel vergebens sind und weiter nicht anschlagen, wenn die Seele krank ist; diese aber zu curiren ist wohl ganz des Patienten eigne Sache. Muntert euch derowegen was Mehreres auf und beliebt zu überlegen, daß ihr eigentlich nicht um euch selbst willen ganz allein, sondern vielmehr, denk' ich, zum Wohl des ganzen Landes geschaffen seyd. Das Land für sich genommen ist eigentlich, von welcher Seite man es auch immer ansieht, ohnläugbar ein Corpus, das Haupt davon seyd ihr selbst; mich dünkt, der Vergleich ist richtig. Wenn ihr nun als das Haupt euch beständig solcher Schwermuth überlaßt, so wird auch nach und nach diese Krankheit, sag' ich, durch die Canäle der Landesverwaltung, die gleichsam die cirkulirenden Adern des Landkörpers sind – mich dünkt, das Gleichniß ist sehr richtig – Körpers sind, – nach und nach sich zu den übrigen Theilen verbreiten und eine allgemeine Dissolution nach sich ziehn; das kann nicht fehlen.

SIEGFRIED.
Ihr habt Recht.
[343]
HEINRICH.

Das weiß ich, ha ha ha! Wenigstens ist's gerade die Sache, wo unser einer auch am Besten verstehn sollte; doch das ist weiter die Frage hier nicht. Die Rede ist, was eigentlich gut und heilsam für eure jetzigen Gesundheitsumstände wäre; ha ha ha! Da sollten Gnaden von selbst ein Bißchen voran rücken. Was Henkers! Sonst schieben wir uns alle von hinten vergebens aus dem Athem. Ein Fürst muß sich über Nebenkleinigkeiten ganz emporheben; was Leute von gemeinem Rang lachen oder weinen macht, sind ihm, wie gesagt, Kleinigkeiten, die sich in Betrachtung des Ganzen, darauf er beständig sein Augenmerk hat, in ein Nichts verlieren. Ein und andre Beyspiele in der Geschichte ....

SIEGFRIED.
Ein andermahl mehr davon. Dort kommt ja eben mein lieber Baumeister.
HEINRICH.

Des Kirchhaus wegen hätte ohnmaßgeblich auch noch Eins und das Andre zu erinnern. Wie wollten's eure Gnaden wohl einrichten? Gnaden haben schon so vielerley Plane machen lassen. Es ist gut und schön, wenn man eine Sache, die auf lange Dauer und gleichsam [344] für die Zukunft bestimmt ist, wenn man die, sag' ich, zuvor auch bedächtlich überlegt, um auf alle Fälle das Beste zu wählen. Ich würde zum Exempel hinten einen schönen runden Chor anlegen lassen, hell und geräumig, rund um bemahlt mit einer oder der andern Geschichte, etwa so aus dem alten Testament, wie David vor der Bundeslade tanzte, oder Jephta ....

SIEGFRIED.
Laßt mir doch meine eignen Gedanken, ich weiß schon, wie ich's haben will.
ERWIN
tritt auf.
SIEGFRIED.

Hört ihr's, Heinrich, nächstens ist Huberti, will dann wieder 'mahl der Jagd beywohnen; schreibt es an meine Vettern Bernhard und Ulrich, daß sie doch herüber kommen und Alles hier zur Jagd einrichten nach altem Gebrauch. Ihr müßt weiters noch Einladungen an alle unsre Verwandten und Freunde schicken, ich will euch die Liste geben. Es soll glänzend werden, will dieß Jahr dann wieder 'mahl im Walde erscheinen.

HEINRICH.
Wohlgethan! Dieser Vorsatz wird gewiß jedermann erfreuen, wer's nur hört und vernimmt.
[345]
SIEGFRIED.
Daß ihr's ja nicht vergeßt, Golo'n einzuladen.
HEINRICH.

Der wird aber wohl nicht kommen. Euer Vetter Bernhard hat ihm öffentlich den Tod geschworen und ihm zweymahl an der Ellerbach aufgelauert; hätten Golo'n Schäfer, die dort herum gehüthet, nicht verwarnt, er wäre schnurstracks in die Falle gerannt.

SIEGFRIED.
Ladet ihn ein. Kommt er, so soll er hier sicher seyn, Niemand ihn antasten.
HEINRICH.
Werde Alles auf's Beste besorgen. Empfehle mich. Ab.
SIEGFRIED.

Mengen einem immer Kleyen unter's Mehl. – Komm näher, Erwin, du meiner Seele Vertrauter! Bey dir allein find' ich Trost, den ich sonst nirgendwo finde. Hast du deinen Plan jetzt fertig?

[346]
DER JUNGE ERWIN.
Plan und Aufzüge hier, wie Gott mir's gezeigt; wie's der Morgenröthe meines Herzens entglomm.
SIEGFRIED.

O Morgenröthe am schönsten Tage! Glückselig, wem Gott so ruft zu Werken der Liebe. Laß sehen, junger Künstler.

ERWIN.
Der Grundriß hier in Gestalt eines Kreuzes.
SIEGFRIED.

Nun ja, in Gestalt eines Kreuzes! So muß es auch. In Gestalt eines Kreuzes; es bildet meinen Schmerz nach, ach ja. Laß mich sehn die Aufzüge von aussen. – Erwin schlägt mehrere Risse auf. So, da hab' ich's! So stack's in mir. So was Hohes, Herzerhebendes, wie Wehn im Baum des Lebens.

ERWIN.
Wie Wehn im Baum des Lebens. – Für euch mag ich gern bauen, Graf, ihr fühlt's.
[347]
SIEGFRIED.
O, wie hast du es funden, Trauter?
ERWIN.
In der Mitternachtsstunde, beym Sternenklang, in der Stunde der Weihe ...
SIEGFRIED.
Hochgelobt!
ERWIN.
Ist's meiner Seele vorüber gangen im Traum und ich hab' das Werk gesetzt.
SIEGFRIED.
O glückselig!
ERWIN.
Nicht nach Uebung und Regel, dem Herzen nach, wie Gott mir's gezeigt.
SIEGFRIED.

Glückselig bist du gebohren. Küßt ihn an die Stirn. Auferweckt dich hat Gott zu seinem Heiligthum. Mein [348] Trost lehnt auf dir, gesegnet mir tausendmahl. Zeig' mir doch Alles. Dieß die Vorderseite des Münsters, nicht wahr?

ERWIN.
Ja.
SIEGFRIED.
So hoch und hehr auf, wie Orgelton im heiligen Gesang!
ERWIN.
Damit man es schaue, der Baumeister habe Gott gedacht.
SIEGFRIED.
Prophet bist du, Gottes Namen verkündigst du in deinen Werken.
ERWIN.

Prophet bin ich, zu halten fest, zu trauen fest, zu schaffen rein, wie er's mir zeit. Seht, in der Mitte hier im Giebel steht diese künstliche Uhr, der Hahn kräht oben drauf die Viertel, die Zeit dreht den Zeiger, [349] der Tod schlägt an; rund herum gehn die zwölf Apostel und über des Giebels Spitze erhebt sich Jesus Christus, der von den Todten aufersteht.

SIEGFRIED
trocknet sich die Augen.

Soll Alles so werden, ja, Alles so und nicht anders. Laß mich nun auch das Inwendige schauen. Hast du die Orgel so angebracht, wie ich's wünschte?

ERWIN.
Carls und Genovefa's Grabmahl gegen über.
SIEGFRIED.
Laß sehn das Grabmahl.
ERWIN.

Hier ihre Bahre, worauf oben über der Garbe eine Sichel ruht, unten am Fuß stehn Nelken und Hyacinthen, ihre Lieblingsblumen, an deren Stengel eine Schlange nagt. Hier unten steht ihr Name und Geschlecht in schwarzer Schrift in weißem Felde, und oben drüber mit goldnen Buchstaben: Jesus nimmt uns Sünder an.

[350]
SIEGFRIED
verbirgt sein Angesicht.

Oh ja! – Ich habe ihre Gebeine bisher noch nicht gefunden; ach! Bringe Alles so an, wie es dein Sinn mag, so kostbar als es seyn kann, spare nichts. Die Welt mag mich drum schelten, dennoch schelt' ich Genovefen nicht. Ich hab' sie treu gekannt, zu ihrem Andenken allein will ich diese Kirch' erbauen. Was kann ich geringer? Ist sie schuldig, so steht sie vor Gottes Gericht; wäre sie unschuldig, o wie wenig dann das Alles!

ERWIN.

Ich liebe euch, edler Graf, ehre euer Herz. Erwin sagt's nicht dem Größten, wenn er nicht edel denkt.

SIEGFRIED
küßt ihn an die Stirn.

Glückselig, die dich zur Welt gebracht! In dir liegt ein Schatz, reicher als in Goldminen: freyer ächter Sinn und ein fühlendes Herz. Du bist meiner Seele Trost, bey dir kann ich Mensch seyn und weinen, du verstehst mich, Andre verstehn mich nicht. – Hin dann in Gottes Namen, säume auch jetzt nicht länger am Werk. Ich habe meinen Schaffnern schon Befehl ertheilt, dir die verlangte Summe an Gold, Korn und Wein monatlich reiche zu lassen. Bescheide Steinhauer aus Strasburg hieher, wie du sie brauchst,[351] stich heute noch den Platz ab, ich werde den Grundstein mit eignen Händen legen, werde künftig dein untergebner Mitarbeiter an diesem Baue seyn.

ERWIN.
Graf, lebt wohl! Ab.
SIEGFRIED.
Will denn bauen, mir zur Ruhe; will Steinmetz werden, Gott zu Ehren hau'n.

Adolf von Christine geführt.
SIEGFRIED.
Es freut mich, Adolf, kommt ihr auch 'mahl wieder zu mir her? Ihr laßt euch so selten sehn.
ADOLF.
Hm. Ich habe wieder ein frey Hütchen auf.
SIEGFRIED.
Recht, Vater. Ihr werdet doch auch mit auf nächster Hubertusjagd erscheinen?
[352]
ADOLF.
Weiß nicht wohl.
SIEGFRIED.
Ihr seht ja heute recht munter aus.
ADOLF.

Ha ha ha! Es ist mir auch heut so, als wenn mir gewiß was Fröhliches käme, es ist mir einmahl wieder so leicht. – Bin schon lange drin im Zimmer; jetzt geht's 'mahl wieder in's Freye. – Uhi! Wie weit sind wir schon im Jahr drin? Dort unten am Wald gelbt sich's. Hubertus? Ja wohl. Haben die Moselbauern dieß Jahr guten Herbst gemacht? Wißt ihr's zu sagen?

SIEGFRIED.
Fiel so ziemlich aus.
ADOLF.
Was macht denn Graf Siegfried drin? Befindet er sich noch wohl?
[353]
SIEGFRIED.

Kennt mich nicht, seine Sinne nehmen täglich mehr ab. – Lieber Vater Adolf, schaut mich einmal recht an.

ADOLF.

Habt eine Linse auf der Nase; aber mich gehn andrer Leute Dinge nicht an. Ach wenn ich's doch nur wüßte, wo meine Tochter wäre! Kein Kloster in der Welt, wohin ich nicht schon ihretwegen gesandt; aber mir ist's doch wieder so wohl; meyne, krieg' heut noch von meiner Tochter Nachricht.

SIEGFRIED.
Es käme erwünscht.
ADOLF.
Nachricht von meiner Tochter oder mein letztes Stündlein ist vorhanden.
SIEGFRIED.
Herein mit, lieber Vater, es wird kühl gegen Abend. Das bischen Sonne hat jetzt nicht lange Kraft.
[354]
ADOLF.
Ja wohl, leider.
SIEGFRIED.
Kommt.
ADOLF.

Herr, ich brauch' euch nicht, geht nur eures Pfades; mag keine neue Bekanntschaft. Geht eures Wegs, sag' ich, geht, ihr thut mir einen großen Gefallen, geht, geht. Siegfried ab. Ich will hier auf dem Stein warten. Hinein, du, frag' nach, was Graf Siegfried macht, sag' ihm, ich werd' ihn bald 'mahl wieder besuchen.

CHRISTINE.
Ich habe schon nachgefragt, er befindet sich ganz wohl, läßt euch grüßen.
ADOLF.
So? – Schuck, schuck! Mich friert.
CHRISTINE.
Kommt heim, der Tag neigt sich bald.
[355]
ADOLF.

Ich muß hier warten. Guck' 'mahl selbst, fallen nicht schon alle Blätter dort? Der Wind schüttelt sie herunter. Die Zwetschen und die Aepfel stehen leider schon ganz nackend, Kirschen und Birnen haben noch wenig stolze hochrothe Kleider an, wird aber auch halb vorbey seyn. Rauh und stöbrisch, Mädchen, ist der Wintermann; wer 'nen warmen Pelz hat, wickle sich jetzt ein; schuck, schuck! Die armen Schäflein dort oben, wie die am Fels hinklimmen, ihr Bißchen Nahrung zu zwacken; wer wird's ihnen suchen, wenn jetzt der rauhe Winter einbricht und Schneeflocken die Erde verstecken?

CHRISTINE.
Lieber Herr, dann werden sie in Ställen gefüttert.
ADOLF.

Meine Tochter geht jetzt über Berg und Thal; wenn ihr der scharfe Wind in's Gesicht braust! Warum sie denn nicht lieber bey mir einkehrt?

CHRISTINE.
Sie kehrt bald ein, gewiß; ihr werdet sie bald sehn.
[356]
ADOLF.
Meynst du? – Sieh einmahl, dort kommt sie schon her.
CHRISTINE.
Wo?
ADOLF.
Dort! Dort hinter den Bäumen herauf.
CHRISTINE.
Zwey Pilger. Sie haben vielleicht Kundschaft von eurer Tochter; soll ich ihnen entgegen und fragen?
ADOLF.
Nicht doch, bleib! Wirst sehn, ob sie mich nicht aufsuchen.

Julie, Anne.
JULIE.

So weit meine Kraft; jetzt lassen alle Bande auf einmahl nach. – Herr Gott, wiederum in Pfälzel! Stützt sich auf den Stab. Dort unten, Annchen, der Kirchhof, wo er ruht.

[357]
ADOLF
seiner Tochter zu.
Ey tausend, tausend Mahl willkommen, herzliebe Tochter!
JULIE.
O mein Vater!
ADOLF.

Wie hab' ich mich hier schon so sehnlich nach dir umgesehn! Wie lange erwart' ich schon dein hier! Ey, wirst doch endlich einmahl kommen?

JULIE.
Da bin ich nun in euern lieben Armen.
ADOLF.

Ah, was bringst für gute Nachricht von meiner Tochter? Ist sie noch wohl? Wird sie denn auch bald kommen?

JULIE.
Bin ja schon da.
[358]
ADOLF.

Es wäre mir lieb. Aber bist du's auch gewiß, meine Tochter! Sag's frey, sag' mir's in's Angesicht: bist du mein Julchen?

JULIE.
Ja, Vater.
ADOLF.
Bist es gewiß?
JULIE.
Bin es gewiß.
ADOLF.

Nun laßt Alle mit einander hinfahren, alle Uebrigen – frage jetzt nichts weiters. – Weine nicht, weine nicht, die Zeit ist nahe, bald anbricht der große Aerndtetag; jeder dann gesammelt wird, wie er's gefruchtet. Der mit der Sichel scheidet sie zum Feuer hin! Da wird denn meine Schwester kommen und hier dein Carl ihr entgegen und Golo und Genovefa und auch ich und du. Julie weint. Mathilden ist die Herzogsmütze aus der Hand gefallen; sie hat Gift von ihrem Waldbruder geschluckt, hab's von einer [359] Dohl sispern gehört. Es war noch der Rest von Dragones Becher im Gefängniß, der ihr überblieb.

ANNE.
Ist's möglich was er sagt? Mathilde –
CHRISTINE.

Verhält sich so, Fräulein. Diesen Morgen stand's äusserst schlecht um sie, ihr Zustand ist ohne Hilfe.

JULIE.
O Gott!
ADOLF.
Wahr muß Alles werden! Aber laß sie nur voran, wollen bald ihr nach, du und ich.
ANNE.
Mädchen, führe deinen alten Herrn hinein. Komm Julchen, meine Seele!
ADOLF
mit Christine ab.
Kommt! Kommt! Alle zum Essen in mein Haus! – Herein alle zur Hochzeit!
[360]
JULIE.

Alles dieß drückt mich noch mehr zu Boden. Liebe, noch ehe ich ausruhe, laß Siegfrieden wissen, daß ich hier bin, was Wichtiges für ihn habe, das ich ihm selbst in eigne Hände zustellen muß. Wer weiß, wie lange ich's noch treibe; immer mehr und mehr matt! Will meine Schuld gleich abtragen, je eher je lieber.

ANNE.
Es soll geschehn, wie du es verlangst, Herz.
4. Szene
Vierte Scene.
Siegfrieds Cabinet.
Siegfried, Christoph.

SIEGFRIED.
Ist das gewiß so? Hast du selbst mit Mathildens Leuten gesprochen?
CHRISTOPH.

Meiner Seel', Herr, habe Alles genau ausgefragt, wie ihr mir's befohlen. Der nämliche Waldbruder, [361] der ihr Schloß in Trier angezündet, hat ihr auch das Gift gegeben. Man setzt ihm jetzt überall nach.

SIEGFRIED.

Großer Gott! Man hat mich's versichert, der nämliche Waldbruder habe auf Mathildens Geheiß Dragones im Kerker mit Gift hingerichtet.

CHRISTOPH.
Das wäre verflucht, grauslich!
SIEGFRIED.
Wie steht's mit Sandthal? Bist du auch da gewesen?
CHRISTOPH.
Ja Herr, Golo läßt euch rückgrüßen, will zur Hubertusjagd erscheinen.
SIEGFRIED.
Hat dir's selbst gesagt?
CHRISTOPH.

Er selbst. Seine Redensart war eigentlich: und wenn heute noch zwanzig Schlösser meiner Mutter zum [362] Teufel in die Luft brennten, will ich morgen doch nach Pfälzel hinüber und zur Hubertusjagd erscheinen.

SIEGFRIED.
Ha! – Weiß er denn auch seiner Mutter gefährlichen Zustand?
CHRISTOPH.

Freylich weiß er's. Er lachte laut, da man ihm diese Neuigkeit brachte, schalt den Waldbruder einen dummen Teufel, daß er durchging, ohne seiner nützlichen Arbeit wegen Rechnung einzugeben, für so was Gutes sich bezahlen zu lassen.

SIEGFRIED.
Gott! Ist's möglich!
CHRISTOPH.
Herr, meiner Seel', Alles so.
SIEGFRIED.

Geht nur wieder. Vetter Ulrich und Bernhard werden in Kurzem hier eintreffen, bereitet ihre Zimmer. Sobald sie ankommen, führt sie gleich herüber zu mir. Christoph ab. Du kommst, Golo. Hab' ich nicht [363] gerechte Ursach, dir zu mißtraun? Wie wendet sich's nach und nach! Ha wenn's so wäre! Unschuldig Blut so schnöde zur Erde vergossen! O wo wollt' ich mich hin verbergen? Golo, wo wäre eine Hölle tief genug für dich? – Meine Pflicht ist's, Alles anzuwenden, Alles zu durchdringen. Unschuldig vergossen Blut schreyt zu laut in den Himmel.


Blutrichter.
SIEGFRIED.
O was wollt ihr jetzt schon wieder? Es ist noch zu früh.
BLUTRICHTER.

Der Monat ist wieder verflossen, wir haben den Prozeß jetzt zum fünften Mahl durchgegangen und untersucht; das hohe Blutgericht bricht einstimmig den Stab über des Delinquenten Leben. Er hat doppelt den Tod verdient; hier ist das Urtheil.

SIEGFRIED.
Nun so muß ich's unterschreiben.
BLUTRICHTER.
Darauf wart' ich.
[364]
SIEGFRIED
legt die Feder wieder nieder.

Mir zu Liebe laßt es noch etwas anstehn; jetzt bin ich nicht zum Unterschreiben auf so was gefaßt. Seht's der Zeit noch recht nach, vielleicht ....

BLUTRICHTER.

Aber vorsätzlicher Mord, eingestanden und bezeugt! Herr, die Gerechtigkeit weint, wenn ihr Vormund zu gelinde ist. Friede und Bruderliebe sind der Gesetze Bürgen; Fürsten sind Väter ihres Volkes, aber auch Richter.

SIEGFRIED.

Ach, was ist es schwer, Richter zu seyn! Einmahl ein zu schnelles Urtheil, und o wie drückt es seitdem. Einmahl! – Ich wollte, ich hätte nie Gewalt gehabt, Urtheil zu sprechen. Ein andermahl will ich's unterschreiben, jetzt bin ich verhindert. Seht, da kommen schon meine wackern Vettern.

BLUTRICHTER.

So will ich gehn und zu gelegner Stunde wieder kommen. – Gar zu gelind, gar zu gelind, macht das Unrecht üppig; das darf, das soll kein Landesvater seyn. Ab.


[365] Ulrich, Bernhard.
SIEGFRIED.

Willkommen, theure Vettern! Seht, ich greife mich 'mahl wieder an. Morgen bey der Jagd seyd ihr die Meister und ordnet Alles nach euerm Gutdünken an. Ich bin jetzt auch euer Untergebner und erwarte von euch draussen meinen Stand. Ich bin schon zu lange ausser Jagdübung, ob mich's gleich gelüstet, wieder einmahl eins mit zu stöbern. Nehmt alle meine Leute zur Hand, macht euch Ehre, Vettern; hoffe, die Compagnie auf morgen soll brav zahlreich seyn.

ULRICH.
Wir wollen das Mögliche thun.
BERNHARD.
Wo wir was helfen können, sind wir gern bey der Hand, absonderlich euch, wackrer Vetter.
SIEGFRIED.

Bernhard, euch glückt es; eure Gemahlin hält sich tapfer im Ehbett, hat euch schon wieder mit einem lieben Jungen erfreut. Habt jetzt schon ein schön Häuschen beysammen! Eure Freude wächst täglich mehr.

[366]
BERNHARD.

Sie sagen immer, mit Kindern wachsen Sorgen; doch weiß ich bisher nichts davon. Meine freuen mich täglich mehr, so viel ihrer auch sind.

SIEGFRIED.

Es werde euch immer so. Glückselig, wen Gott so mit lieb Weib und Kindern gesegnet; mir war das nicht bescheert.

BERNHARD.
Solltet wieder 'mahl eins heirathen, Vetter, habt euch lange genug vertrauert.
ULRICH.
Meines Bruders Rath ist nicht übel.
SIEGFRIED.
Nimmermehr. Hab' Eine besessen, hab' sie verloren – ihr wißt, wie. Für mich ist's weiter vorbey.

Förster, Jägerknechte.
FÖRSTER.
Kommen her, Gnaden Befehle zu vernehmen.
[367]
SIEGFRIED.
Haltet euch morgen frisch und munter. Präsentire euch hier eure zwey Jagdkönige.
FÖRSTER UND JÄGER.

Freuen uns herzlich, unter Befehl so braver Jäger zu stehn. Werden das Möglichste thun, unsre Schuldigkeit genau zu vollbringen.


Christoph kommt, spricht zu Siegfried beyseit.
SIEGFRIED.
Was sagst du? Adolfs Tochter, die kaum hier angekommen, schon so schlecht?
CHRISTOPH.

Will vor dem Ende euch noch was in eigne Hände zustellen, verlangt sehnlichst, daß ihr zu ihr hinkommt.

SIEGFRIED.

Den Augenblick! Lauf, sag' es, wolle gleich dort seyn. Christoph ab. Traurige Botschaft! Des alten Mannes Tochter, Julie, erst vor ein Paar Tagen von ihrer langen Wallfahrt hier angekommen und schon wieder nah am Hinscheiden.

[368]
ULRICH.
O Schade, die Holde, Liebe! Wir wollen sie nachher auch besuchen.
SIEGFRIED.

Ich will gleich zu ihr hin. Vettern, mit Erlaubniß. Ihr, Förster und Jäger, begleitet mich, hab' euch unterwegs noch was zu sagen. Ab mit den Uebrigen.

ULRICH.
Das arme Kind!
BERNHARD.

Was mir's wieder einen Stich giebt, da ich Julien nennen höre! Carl fällt mir wieder ein, der brave Junge, der jetzt fault, indeß sein Mörder lebt! Reißt sich am Bart.

ULRICH.
Weißt du es, daß Golo morgen herüber auf die Jagd kommt?
BERNHARD.
So unsinnig ist er dir nicht.
[369]
ULRICH.
Weiß dir's aber ganz gewiß.
BERNHARD.

Oho! – Will ihm dann abzahlen, was er so lange bey mir stehn hat! Wenn er mir wieder lebendig heim reitet, so mag er meinetwegen nachher meine ganze Familie – o du Viper! Daß der Junge so brav seyn mußte draussen im Kriege und hier so von einer Viper fiel!

ULRICH.
Wirst doch nichts hier auf der Jagd anfangen, wo wir Beyde als Gäste erscheinen?
BERNHARD.

Halt's Maul. – Wetter! O es jauchzt in mir um Blut! Wie ein durstiger Luchs bellt's in mir herum, schmerzlich in mir nach seinem Sterben!

ULRICH.

Habe dir jüngst was Wunderliches von einem Schäferburschen vernommen; es kommt mir zwar selbst als was Unglaubliches vor, möcht' es aber doch untersuchen: [370] der will eine gewisse Frau kennen, des vorigen Gärtners Wittwe – der Schäfer war damahl ihr Gärtnerjung' und gerad' zu der Zeit in Pfälzel, als sich das all mit der Gräfin zugetragen. –

BERNHARD.
Nun, was ist's?
ULRICH.

Der behauptet, doch nur so unter der Hand, geheim, Genovefa lebe noch in einem Kloster, jene Frau wisse sicher ihren Aufenthalt.

BERNHARD.

Tollheit. Lebt unser Bruder auch noch? Werden sie verschont haben! Man weiß den Ort genau, wo sie umgebracht ward, heißt bis auf die heutige Stunde noch der Gräfin Fels.

ULRICH.

Laß uns denn Anstalt machen. Heinrich soll uns die Liste geben, wie zahlreich die Gesellschaft morgen ist. Bruder, mein Rath wäre, du ließest das mit Golo'n bis zu andrer Gelegenheit.

[371]
BERNHARD.
Das thu' ich nicht! o lange der lebt, bin ich unglücklich Ab.
5. Szene
Funfte Scene.
Adolfs Zimmer.
Julie liegt erblaßt auf dem Bett im Todtenhemd, die Hände auf der Brust zusammen gefaltet, Genovefa's Schreiben drin. Anne, Adolf sitzend neben dem Bett.

ANNE
setzt Julien einen Blumenkranz auf das Haupt.

So süß sie die reinste Liebe brach, setze ich sie auf dein Haupt, meiner Hand letztes unschuldiges Geschenk. Engel dich droben schöner krönen, Sanfte, Holde, Liebe! Schlaf' nun wohl, ewig, ewig wohl! Küßt sie.

ADOLF.

Verflucht ärgerlich, daß einer solche eisenfeste Natur hat. Könnt' ich jetzt gleich meiner Tochter nach, es ginge so in Einem hin. Nicht wahr?

[372]
ANNE.
Ja wohl.
ADOLF.
Wo habt ihr das Grab hin bestellt?
ANNE.
Dicht neben Carls, wie ihr's befohlen.
ADOLF.
Wird mich wieder einen Rosenstock kosten.
ANNE.
So was –
ADOLF.
Habe einen auf Carls Grab hingepflanzt, der muß noch floriren.
ANNE.
Sind doch weiße Rosen?
ADOLF.
O so weiß, wie Märzenschnee, die Lilie ist nicht weißer, weiß wie meiner Tochter Todtenhemd da.
[373]
ANNE.
Ey!
ADOLF.

Ha! ha ha! Muß dir herzlich lachen. Sagen Alle, meine Schwester ziehe heute noch. Meine Tochter ist jetzt schon voran; wenn die nun zusammen fahren, die Eine da hinauf, die Andre dort hinunter!

ANNE.

Graf Siegfried! – vor sich. Wüßt' ich nur den alten Mann wegzubringen, er bewacht den Leichnam immerfort.


Siegfried.
SIEGFRIED.

Ich wollte, ihr hättet mich zu was Freudigerm gerufen als dem Traueranblick. Schon erblichen, das holde Fräulein? Frieden ihrer Seele! Sie starb rein und unschuldig wie jeder zu sterben wünscht. Ist es der Brief, den ich lesen soll? Was für Inhalt muß er schließen, daß solch' eine Hand mir ihn überreicht?

ADOLF.
Könnt es sicher einnehmen, es laxirt nicht arg.
[374]
SIEGFRIED.
O Gott! Gott! Genovefens Handschrift!Wischt sich die Augen und schnell ab.

Die Glocken gehn. Träger kommen in schwarzen Mänteln.
ANNE
winkt hinzu.
Sachte. Faßt an! Fort, geschwind. Sie tragen Julien ab.
ADOLF
vor sich.
Ach Gott, wie drückt es, ach!
ANNE.
Wollt ihr ein Augenblickchen mit herüber kommen? Hätte euch drüben was zu zeigen.
ADOLF
schaut um Wo ist sie? Wo habt ihr sie hinbracht? Hört draussen zunageln.

Oh! Oh! Weltlicht, auf ewig .... Hüllt sich ein und fällt auf das Bett. Gute Nacht! – In's Grab! In's Grab!

6. Szene
[375] Sechste Scene.
Platz vor dem Schloß zu Rautenburg.
Ein Röhrbrunnen hinten, worauf Brandfuchs als Schäfer sitzt und singt.

Mein Grab sey unter Weiden

Am stillen dunkeln Bach!

Wenn Leib und Seele scheiden

Läßt Herz und Kummer nach.

Vollend' bald meine Leiden!

Mein Grab sey unter Weiden

Am stillen dunkeln Bach.

Die schöne Gräfin droben stirbt nun auch, bald ist's vorbey.

Mein Grab sey unter Weiden

Am stillen dunkeln – –

Werde sie von nun an nicht mehr Morgens und Abends am Söller hervortreten sehn, wenn ich zur Tränke trieb und dazu ein traurig Stückchen sang. Da war mir Winter und Sommer eins, und auch der Lohn nicht gering. Wie wenig Wochen dauert der Frühling, wie wenig Alles. Ich will fort, die Gegend stirbt auch hierum, irgend in der weiten Welt den Zaun suchen, woran mein Glück ein Bißchen blüht.

[376] Vollend' bald meine Leiden!

Mein Grab sey unter Weiden

Am stillen dunkeln Bach –


Golo den Jagdspieß in der Hand.

GOLO.

Ein thöricht Ding, wie einem Gesang an's Herz greift, in verflossne Zeiten wieder zurückrückt! Es wehet einem durch die Seele so nahe, als könnte man's nochmahls zu sich ziehn, und doch ist es vorbey, auch für immer! Wolken, Rauch und nächtlicher Nebel ... Was kümmert mich das All'? Ist's vorbey, so ist's vorbey. – Guten Tag, Brandfuchs! Bist du als Schäfer immer noch so lustig, als du als Gärtner warst?

BRANDFUCHS.

Treib' es eben so durch, wie man kann. Ein Himmel ober uns, aber drunter her vielerley Arten, sich die Zeit zu vertreiben, sagt das Sprichwort.

GOLO.

Wer's kann. Achte, daß dir der Wolf dort nicht paar Schaafe zerreißt, es ist mir einer im Busch begegnet. Pfeift. He drin! Heraus!


[377] Bedienter kommt, mit einem grünen Hut, Golo schlägt ihn.
BEDIENTER.
Hilfe! o! he! Der Ritter schlägt mich todt!

Andre Bedienten mit grünen Hüten.
GOLO.
Ist die Hölle los, daß mir heut alle grünen Hüte begegnen? Hunde! Schurken! Schlägt unter sie.
BRANDFUCHS.

Herr, thun's des Hubertus wegen, der heut und morgen gefeyert wird; können wir wegen der Gräfin Zustand morgen nicht mitjagen, wollen wir doch gerne grüne Hüte tragen.

GOLO.

In die Hölle mit ihnen! Schmeißt sie alle davon, verbrennt sie! Daß mir ja keiner mehr so begegnet, wo er nicht unglücklich seyn will! Meine Augen hassen dergleichen, mein Groll empört sich tödtlich dem nach, der so mir schmäht! Bediente schmeissen die Hüte weg. Genug. Wie ist's? Habt ihr der Zeit nichts Weiteres vom Waldbruder vernommen? Meine Knechte [378] stöbern überall, wo sie ihn fangen. An den ersten besten Baum an die Füße aufgehenkt, soll er schwitzen. Was macht die droben?

BEDIENTER.

Steht äusserst schlecht mit der Gräfin, die Doctores geben ihr keine Hoffnung weiter. So lange sie bey Sinnen ist, fragt sie beständig nach eurer Ankunft.

GOLO.
Hm!
ANDRER BEDIENTER.
Gewiß, gnäd'ger Herr, wenn ihr nicht bald hinaufgeht, trefft ihr sie nicht mehr lebendig an.
GOLO.

Geht auf die Seite. – Brandfuchs, hast du seitdem nichts Weiteres vernommen, daß Bernhard mir auflauern läßt?

BRANDFUCHS.
Seit der Zeit nichts mehr.
[379]
GOLO.

Will aller Orten ausreiten, wohin er Mannschaft gestellt, will ihn selbst aufsuchen und überstellen. Wo du etwa seiner Leute welche siehst, sag's ihnen, sie sollen sich vor mir wahrnehmen.

BRANDFUCHS.
Will's; mit so was verdien' ich immer großen Dank oder gar einen Krug Wein.
GOLO.

Sag's Allen genau an, daß ich's heut um diese Stunde zu dir gesprochen, um diese Zeit! Ich will nicht wie ein Schelm in's Dunkle mich verstecken und im Rücken anfallen; mein Gang ist immer im Freyen.


Steffen.
STEFFEN.

Geschwind, Ritter, hinauf! Eure Mutter stirbt schwer, wenn sie euch vor ihrem Ende nicht noch einmahl sieht. Sie wartet ordentlich mit dem Wegscheiden auf euch, mein Seel'.

GOLO.
Hat Andre mit geringern Umständen fahren lassen. – Adjes, Brandfuchs. Ab.
[380]
BEDIENTER.
Wunderbar! Kann grüne Hüte an Andern nicht vertragen und hat doch selbst einen.
STEFFEN.
Hm, hat seine Ursache; weiß, warum. Ab
BEDIENTER.
O du weißt auch vielleicht zu viel.
BRANDFUCHS.
Aprilwetter! – Ist er zur Gräfin hin auf?
BEDIENTER.
Nein, seht doch, geht erst hinunter in den Stall und sie verlangt droben doch so sehnlich nach ihm.
ANDRER BEDIENTER.
Wenig Respect, der Sohn zur Mutter.
7. Szene
[381] Siebente Scene.
Mathildens Zimmer.
Bett, worin Mathilde liegt, zwey Kerzen brennend, Franciskaner kniend, Doctor.

DOCTOR.
Leise – ha – noch.
FRANCISKANER
steht auf.
Vielleicht schläft sie.Doctor rückt den Vorhang.
MATHILDE
starr.
Golo! Sohn Golo!
FRANCISKANER.
Unruh nach ihm beständig! Wie dumpf hohl! Arbeitet mit der Hand in die Decke.
DOCTOR.
Giftkrampf.
FRANCISKANER.
Erstickt ... schäumt ... bäumt!
[382]
DOCTOR.
Der Tod liegt nun gewaltig ihr über den Nerven und spannt.
FRANCISKANER.
Hier geistlicher und leiblicher Rath umsonst! Seht, wie gräßlich sie jetzt knirscht.
DOCTOR.
Murmelt.
MATHILDE.
Iß dein Gift allein, hab' schon mein Theil verschluckt. Oh! Oh! Hellt!
FRANCISKANER.
Arme Seele, dir steh' die Gnade bey.
MATHILDE.
Ha! Dragones! Genovefa! Laßt mich! Helft!
DOCTOR.
Schwere Namen, Centner schwer!
[383]
MATHILDE.
Helft! Helft! O laßt mich doch nur ein mahl! Doch nur ein einzigmahl! Oh!
FRANCISKANER.
Zerschlagnes Herz, Gott heile dich.
MATHILDE.

Bist du der Waldbruder? Kriech' her unter die Decke! Wart noch! – Still drunten! – Tief drunten, bereitende sie unser Hochzeitbett! – Still, daß keine Maus hört, wenn wir beysammen sind!

FRANCISKANER.
Sie will auf.
DOCTOR.
Die Gicht krümmt sie.
MATHILDE.

Sie haben's Kist und Kasten voll .... sie tischen's uns voll! Wenn nur deren ihr Gesicht nicht dabey wäre – deren dort. – Mir schmeckt nichts! – Fort, gebt ihr ein Stück, haltet ihr die Hände vor, mag [384] ihre leeren Augenlöcher nicht sehn! – Fort! Begrabt sie, bevor es Tag wird! – Still, daß es Niemand weiß ... Siegfried nichts erfährt ... Uh! Oh! Oh! Stirbt.

DOCTOR.
Zerschnitten der Faden, ausgelöscht die Lampe, todt.
FRANCISKANER.
Gott, welch ein Ende!
DOCTOR.
Schrecklich, wie ich keines sah.
FRANCISKANER.

Der Spiel ihres vergangenen Lebens. – Gott, du Gnadenquelle, richte nach deiner großen Barmherzigkeit, fasse auf ihre sinkende Seele.

DOCTOR.
Sie hat wichtige Worte fahren lassen, sehr wichtige.
FRANCISKANER.

Wir stehn am Rande; sie mißt den Weg hin durch das Land der Ewigkeit. Wo Gott als Richter steht, [385] müssen Menschen schweigen. Rückt den Vorhang und zugleich auch einen Vorhang über diese traurige Scene.

DOCTOR.
Hier kommt der Ritter.

Golo.
GOLO.
Wie steht's mit ihr dort? Zieht den Vorhang wieder weg.
FRANCISKANER.
Verschied so eben, sie starb eines schweren Todes; hat oft vor ihrem Ende nach euch verlangt.
GOLO.

Besorgt ihr Leichenbegängniß. Ich kann nicht selbst dabey seyn, habe mein Wort gegeben, drüben in Pfälzel zu erscheinen, muß jetzt dorthin. Ordinirt ihr Alles, wie ihr's für gut und nöthig findet.

FRANCISKANER.

Ich unterziehe mich gern dieser Mühe, aber eure Gegenwart dünkt mich dabey höchst nothwendig und auch anständig.

[386]
GOLO.

Ein andermahl, im Fall wo ihr wollt, nur dießmahl unmöglich! Es thut sich nicht. Auf Pfälzel hinüber muß ich, wir haben nach der Jagd noch nothwendige Dinge mit einander abzumachen, Siegfried und ich. Es geschieht eine Gränzabtheilung unsers Forstes.

FRANCISKANER.
Aber auf einen Tag, was kommt drauf an? Siegfried wird euch gewißlich entschuldigen.
GOLO.

Auf eine Stunde, Herr! Ich sollte schon nicht so lange hier schwätzen. Morgen ist Hubertus, den kein braver Jäger ungejagt vorbey läßt. Steine Pferdewechsel sind schon auf diese Nacht bestellt, morgen bey guter Zeit drüben zu seyn. Uebernehmt die Mühe, auch ihr, Doctor, und macht mir nachher Rechnung; es soll euch nichts schaden.

FRANCISKANER.
Bleibt dießmahl von der Jagd, ich bitte euch sehr.
GOLO.
Unmöglich. Jagen ist für mich noch das Einzige; man vergißt so Vieles darüber.
[387]
DOCTOR.

Jagen ist schon gesund, wie alle Bewegung überhaupt, die den Körper nicht zu heftig anstrengt und mit Vergnügen verbunden ist; aber auch alles mit rechtem Maß und zur rechten Zeit.

GOLO.
Da werde der Henker fertig! Adjes. Ab.
DOCTOR.
Im Ernst fort.
FRANCISKANER.

O mein Gott! Noch raucht der Leichnam der eben verschiedenen Mutter, und ihr Sohn sie schon vergessen! Was soll's noch in dieser Zeit? Aelternliebe, Liebe zu Gott, wo find' ich die?

DOCTOR.

Wenn ihr wüßtet, was sich die Bedienten des Schlosses einander hier in die Ohren raunen! Mit dem Waldbruder soll's eine besondre Bewandtniß haben, er hat sich gewiß zu Trier dem Herzog offenbart, der ihn alsbald gegen Golo's Nachstellungen in Schutz genommen. Er soll der verlorne Sohn einer großen Familie [388] seyn, den dieser Strudel, Mathilde, die Alles, was ihr nahe kam, in sich zog, verschlungen. Man spricht Dinge davon, die eines Ehrenmannes Zunge nachzusprechen sich schämt; unter dem Vorwand geistlicher Uebung trieben sie sichrer ihr unzüchtig Spiel.

FRANCISKANER.

O Schande! Erröthe die Erde, die solche Ungeheuer trägt! Das Gewand, das frommer Andacht geweiht ist, so zu entehren, so den Bußrock zur geilen unzüchtigen Buhldecke besudeln! Ach! Ach!

DOCTOR.

Die Zeit bringt doch Alles endlich an's Licht. Laßt uns, es ist spät, die Nachtglocke wurde lange schon geläutet.

FRANCISKANER.
Was für ein Lärm unten? – Draussen! Wer schreyt?

Bedienter stürzt herein.
BEDIENTER.
Feuer! Feuer! Das ganze Schloß in Flammen!
[389]
DOCTOR.
Wo rett' ich mich? Hilfe! Läuft ab.
FRANCISKANER.
Gott, woher? Wo ist Golo?
BEDIENTER.
Vor einigen Minuten fort Pfälzel zu. – Flieht! Rettet euch!
FRANCISKANER.
Wer kommt da!
BEDIENTER.
Oh! Er ist's! Der verstellte Waldbruder mit der Mordfackel! Flieht, rettet euch! Bald, bald! Ab.
FRANCISKANER.
O Wallrod von Sponheim, was macht ihr hier? Im Namen Gottes, steht, sagt! Hält das Crucifix vor.
WALLROD
mit Fackel und Dolch in Ritterkleidung.
WALLROD.

Hinweg, wer Tod und Verderben nicht sucht! Fort! Reizt mich nicht zu Neuem, habe schon zu viel Sünden auf mir.

[390]
FRANCISKANER.

Kehre wieder, verlornes Schaf, komm! Er, der am Kreuz den bittern Tod erlitt, hat Gnade für all' unsre Sünde.

WALLROD
reißt sich los.

Laß mich! Geh deines Pfades! Hier ist der meine. Die Flammen schlagen herein, auswendig kracht es uns stürzt, der Franciskaner zieht sich zurück. Wie steht's? Liegst du jetzt so ruhig? Hab' ich dich endlich einmahl unterbracht, du? Jetzt hat dein Verrath ein Ende! Du wirst mir jetzt treu bleiben; nicht wahr? – Wie's hinauf, hinunter knattert! – Juh! Die Hitze umringt und verzehrt mich schon! Sitzt auf das Bett. Her deine Hand, feins Liebchen, brennen jetzt gewiß einmahl in einer Flamme! Wirft sich über sie.

8. Szene
Achte Scene.
Wald vor Pfälzel. Morgengrau.

GOLO.

Wenn alle abschnappen, die von der Sache wissen, bleibt auf die Letzt' Keiner, der mich verräth. Dann [391] komme ich vielleicht wieder einmahl zur Ruhe. Es sollte mir jetzt der Waldbruder nur noch in die Hände springen. – Wo nur die Bursche bleiben, die ich hinein auf Pfälzel gejagt! Steffen! – Ach! wie mir's durch alle Rippen kracht, schwer in den Knochen als ein Gewitter. Todt meine Mutter, von der nämlichen Hand vergiftet, die sie selbst zu ihren Mordthaten gebraucht; es ist doch Gerechtigkeit in allen Dingen, die Geschichte predigt's vom Anbeginn der Welt. Gift mit Gift, Blut um Blut, mit richtiger Wage so viel Strafe zugewogen, als das Verbrechen galt. Wenn's denn so ist – Narr, der ich bin! Hinzureiten, mich selbst meinen Beschuldigern in die Hände zu liefern! Sie müssen mich doch erst fangen, wenn sie's vermögen, ihr Recht an meine Gewalt probiren. Will nicht mein eigner Scherge seyn. – Höllisch!


Steffen.
GOLO.
Nun, was bringst du zurück?
STEFFEN.
Sie lassen euch wieder grüßen, sagen, sie freuen sich eurer Gesellschaft auf heutiger Jagd.
GOLO.
Wird bald aufgesessen? – Bernhard ist da?
[392]
STEFFEN.
Freylich.
GOLO.

Reite nur heim zurück, bestelle meine Pferdewechsel richtig; auf heut Nacht kehr' ich wieder nach Sandthal.

STEFFEN.
Wollt ihr meinem Rath folgen, Herr? Vermeidet dießmahl die Jagd, ich prophezeie euch nichts Guts.
GOLO.
Warum?
STEFFEN.

Bernhards Knecht hat's verschwätzt. Wir tranken eins an der Kellerthür' mitsammen, da hört' ich den Vogel von Weitem; bald drauf legte er's näher los, als er gehört, daß ihr heut gewiß herüber kämt. Er trank seines Herrn Gesundheit im Leben immer hoch zu Pferde, euch aber todt und hinunter tief unter die Erde. Es ist gegen euch angelegt, ich weiß es gewiß.

GOLO.

Was acht' ich heimliche Anschläge, Meuchelmord und Gewalt? Ich scheue dergleichen nichts. Ich wollte [393] vorhin von selbst wieder zurück heim; ist mir jetzt anders. Dergleichen Fällen trotzt mein Muth. Ich höre schon nahe Hörner; dort unten im Thale! Ich muß dabey seyn. Geschwind meinen Fuchs hervor, mir nach, ich muß hin! Ab.

STEFFEN.

Rennt in's Teufels Namen hinein in euer Verderben, wenn ihr nicht hören wollt! Ich bleibe hübsch zurück, so weit professionir' ich Ehrlichkeit nicht, mich selbst in die Schanze zu schlagen. Ab.

9. Szene
Neunte Scene.
Im Wald.
Bernhard, Heinrich, Förster.

BERNHARD.

Ihr habt auch Genovefens Brief gelesen, den Siegfried von Julien bekommen. Daraus sieht man's nun sonnenklar, wie unschuldig diese gute Frau gestorben.

[394]
FÖRSTER.

Habe so was nie gehört noch! Habe schon seit zehn Jahren, seit meines lieben Söhnleins Tod, kein naß Auge mehr gekriegt, es müßte denn manchmahl vom scharfen Märzwind geschehn, der einem so herb in die Nase sticht, daß es darnach wässert; hab' flennen müssen dabey wie ein junger Bub'.

HEINRICH.

Ein Brief von Genovefa? Was ist denn das für ein Brief? Hab' auch schon so was murmeln gehört. Nu? Was hat's denn damit? Wie ist das Ding? Bedeutung?

BERNHARD.
Schon gut. Dachte, ihr hättet ihn auch gelesen.
HEINRICH.

Nein, gelesen hab' ich nichts; aber was ist's denn nun? Wie? Ist's denn ein Brief von Interesse, oder etwa – wie? Wo hat ihn denn Julie her? Erzählt mir's doch auch, möcht' es gar zu gerne wissen.

BERNHARD.
Ein andermahl. – Kommen schon dort in hellen Haufen.
[395]
FÖRSTER.
Golo nahe um Siegfried.
BERNHARD.

Da ist er! Ich zweifelte bisher immer noch, ob er auch gewiß käme, da ist er nun, gewiß! Ein Wort auf Seite, Förster. Sprechen zusammen.

HEINRICH.

Hm, hm, ein Brief von Genovefen! Was es damit hat? – Blitzding; kann jetzt nicht ruhn, bis ich es weiß. Muß' mahl hinter Siegfrieden her, ob ich's da heraus kriege.


Siegfried, Golo, Ulrich, andre Ritter und Jäger.
SIEGFRIED.
Hier der Sammelplatz, wo unsre Pferde halten?
JÄGER.
Ein wenig weiter oben, gleich dort.
[396]
SIEGFRIED.

Wollen sehn, wer heut am glücklichsten jagt, wer einen Bruch erbeutet. Voran, ihr Herrn.Golo mit Rittern und Jägern ab. – Vettern, ein Wort. Haltet euch auf der Jagd immer dicht zu Golo hin, packt ihn so, daß ihr ihn nie verliert, ich will ihn nachher auf die Probe stellen, will's wagen.

BERNHARD.
Eher meine Nase, meine Augen! Wollen ihn Paar schon halten.
SIEGFRIED.
Nur keine Gewalt an sein Leben, bis –
BERNHARD.
Nicht gleich, aber nachher, wenn ihr Alles gefragt. Ich muß ihn umbringen, zittre darnach!
SIEGFRIED.
Er soll euch Preis seyn, sobald wir's genauer finden.
[397]
BERNHARD.
Gut, gut, es wird sich gewiß.
SIEGFRIED.
Auf jetzt, frisch zur Jagd! Ab.
10. Szene
Zehnte Scene.
Innerer Theil des Waldes.
Waldhörner von innen. Oberjäger, Förster.

FÖRSTER.
Wo zieht sich's hin? Dem Gebirge oder innern Wald zu?
OBERJÄGER.

Die meisten Treiber sind um's Gebirge hin vertheilt, es muß sich gewiß dem innern Theile zu ziehn. Muthig! Muthig! Stößt in's Horn.

FÖRSTER.

Gefällt's nur Siegfried heut, dann ist Alles gut, er kriegt dann wieder Muth zur Jagd. Ist Himmel-Sünde [398] so schönes Gehege und so wenig Pflegung. Hast den Grafen gesehn?

OBERJÄGER.

Den Wolf gerufen, so ist er vor der Hecke. Siehst du ihn dort? Sporenstreichs einem flüchtigen Schmahlthier nach, fleckicht vorn auf dem Blatt.

FÖRSTER.
Däucht mich eine Rehkuh.
OBERJÄGER.

Muthig jetzt, daß alles extra geht! Wollen nachher auch Eins zum Hubertus stoßen, bey einer Flasche Johannisberger. – Juh! Wieder einmahl in's Leben!

FÖRSTER.

Die Hitze sticht arg, bekommen spät im Jahr noch ein Gewitter heut. Komm, hab' dir noch was zu sagen.

OBERJÄGER
singt.
So laßt uns all' jagen, uns jagen und jagen,
So lang uns das Blut an dem Herzen frisch quillt!
[399] So laßt uns all' jagen in muthigen Tagen
So lang uns den Kragen, so lang uns den Magen
Vertumnus mit brausendem Most noch erfüllt!
Was gibt es denn Süßers zu thun und zu wagen,
Als Jagen und Jagen, als liebliches Jagen?
So laßt uns all' jagen in muthigen Tagen
So lang uns das Blut an dem Herzen frisch quillt! –

Ab.
GOLO
zu Fuß.

Verdammt! Bin in des Teufels Klauen! Wo nun durch? Wo? Ueberall wie zwey loßgelassene schwarze Geister sind die zwey zottigen Schelme mir beständig am Nacken, treiben mich herum zu Pferd' und zu Fuß. – Nur einmahl wieder im Freyen draussen, daheim! Da hat sie der Teufel von Neuem! Ab.


Bernhard, Ulrich zu Fuß.
BERNHARD.

Bricht dort durch die Hecken, nach ihm, grad zu, Bruder! Will umbeugen, ihm vor, und wenn er etwa durch will, oben an der Spitze ihn auffangen und stellen.

ULRICH.
Erinnere dich nur, was du Siegfrieden versprochen. Keine Gewalt! Ab.
[400]
BERNHARD.
Nachdem er sich gibt. Ab.

Oberjäger, Förster.
FÖRSTER.
Sie treiben ihn, er kommt nirgend durch. Zu Pferde jetzt und Siegfried angesagt! Ab.
OBERJÄGER
ins Horn stoßend.
Hurra! In's freye Grüne! Die Jagd geht frisch lieblich! Ab.
GOLO
läuft und schnauft.
Verdammt! Verdammt! Wo hinaus?

Bernhard.
BERNHARD
ihm entgegen.
Willst stehn!
ULRICH hinten Halt!
GOLO.
Was wollt ihr, Teufel? Ha, was jagt ihr mich?
[401]
BERNHARD.
Steh!
GOLO.
Hunde! Ich scheu' euch nicht! Der erste, der mich ... Hält den Speer vor.
ULRICH.
Du sollst bey uns bleiben. Wollen nichts, als dich immer begleiten.
GOLO.
Verflucht! Schert euch davon, weg. Will euer Gefangner nicht seyn. Ha! Zurück!
BERNHARD.
Bist unser Bär! Wollen dich kitzeln, wenn du nicht tanzen willst.
GOLO
wirft wild den Kopf rechts und links, mit vorgehaltnem Speer ab.
ULRICH.
Immer ihm nach, bis Siegfried uns das Zeichen gibt.
[402]
BERNHARD.
Kaum konnt' ich mich halten. Voran! Er setzt von Neuem durch! Husch!
ULRICH.
Siegfried dort! Ihm nach! Auch nach! Ab.
BERNHARD.
Gehetzt jetzt! Frisch! Bis er fällt! Ab.
11. Szene
Eilfte Scene.
Innerer Wald.
Auf einer Seite eine Felshöhle, ein hölzern Kreutz vor der Höhle, wovor Genovefa kniet.

GENOVEFA.
Du allein prüfst die Herzen, siehst in's Verborgene, du allein weißt es zu lenken nach deinem Rath.

[403] Schmerzenreich bringt Holz, wirft es nieder.
SCHMERZENREICH.

Bin müde, Mutter. Ißt Wurzeln. Hört 'mahl Mutter, trinkt das Täubchen denn immer aus Trübem, wenn ihm der Gatte stirbt?

GENOVEFA.
Ja, Kind.
SCHMERZENREICH.
Mutter, was ist denn ein Gatte?
GENOVEFA.
Hab' dir es ja schon gesagt.
SCHMERZENREICH.
Weiß es nicht.
GENOVEFA.
Jemand, den man sehr liebt.
SCHMERZENREICH.
Bin ich dein Gatte, Mutter?
[404]
GENOVEFA.
Närrchen! – Wie perfect er ihm gleicht.
SCHMERZENREICH.
Mutter, was Geschrey drin? – Hört 'mahl! Donnert.
GENOVEFA.
Im Wald drin, Jagdgeschrey!
SCHMERZENREICH.
Was ist's, Mutter?
GENOVEFA.
Männer, die böse Kinder schlagen, wenn sie nicht schön fromm sind.
SCHMERZENREICH.
Mutter, bin fromm. Mutter, es donnert sehr.
GENOVEFA.
Fürchte dich nicht.
SCHMERZENREICH.
Mutter, fürchte mich. Sieh dort, schwarz! Ist's Gott?
[405]
GENOVEFA.

Ja, sey fromm! Im Gewitter, wie im milden Sonnenschein ist er immer dein freundlicher Vater und Versorger.

SCHMERZENREICH.
Wollen hinauf zum Himmelvater bethen, daß der Weltvater bald zu uns komme.
GENOVEFA.

Kniee denn zu mir, die Händchen hübsch zusammen, mir nach. – Allmächtiger, wir knieen vor dir! Groß bist du und wohlthätig, laß mich vor dir bethen, Gewaltiger, Starker, Heiliger! – Lobsingt mit mir, Wälder umher! Tannen auf Felsen, neigt euch herab! Starker Gott! Schöpfer! Nährer! Erhalter, wohlthuend, liebend, die dir vertrauen!

SCHMERZENREICH.
Horcht, wie's draus regnet!
GENOVEFA.

Tränkst den Erdball jetzt, daß Menschen und Thiere leben. Den Hirsch auf öden Heiden verlässest du nicht, du höhlst den Felsgipfel, füllst ihn mit Nachtthau, [406] daß dem Adler auf Klippen der Quell springt und er von dir auch Nahrung findet.

SCHMERZENREICH.
Mutter, es hört auf. Es ist vorbey.
GENOVEFA.

Siehst du, wenn man hübsch fromm ist! Die Sonne scheint auch schon wieder hinter den Bergen hervor, der Sturm schweigt, das Wetter zieht hin.

SCHMERZENREICH.

Gott Lob! Vater im Himmel, laß ziehn die bösen Wetter, wollen fromm seyn, Mutter und ich. – O die liebe Sonne, wie wohl einem das nach Regen! Wie Lerch' und Amsel hüpfen und sich wieder freuen mit ihren Schnäbeln. – Schön Regenbogen auch noch, lieb Mutterchen, droben.

GENOVEFA.
Still 'mahl! Was rauscht in den Hecken drüben? Hörst! Jagdgeschrey, Hörner nahe.
SCHMERZENREICH.
Mutter, was ist's?
[407]
GENOVEFA.
Dein Reh dort gesprungen, zur Höhle hinein! – Hinten ...
SCHMERZENREICH.
O blutig, Mutter! Mutter, wer hat's geschlagen?
GENOVEFA.
Hinein, hinein! Laufen in die Höhle.

Golo stürzt hervor.
GOLO.

Nur Flügel, mich wegzuheben! Ein Sprung über die ganze Welt! – Soll ich dort ... will da hinein, mich verbergen! Geht in die Höhle.


Bernhard hervor.
BERNHARD.
Hier haben wir ihn! Dort in der Höhle

Ulrich hervor.
ULRICH.
Ha! Umringt, umstellt, gefangen!

[408] Siegfried hervor.
SIEGFRIED.
Wo ist er? – Herbey! Alle!

Jäger, Förster, Ritter, Heinrich, Golo aus der Höhle hervor.
GOLO.

Bin gefangen, sie haben mich! – Ha, was wollt ihr? Wen sucht ihr? Siegfried, was begehrst du von mir?

SIEGFRIED.
Antwort über Vieles. Kennst du diese Handschrift, diesen Namen?
GOLO.
Was soll's?
SIEGFRIED.
Les't es ihm vor, Heinrich! Genovefa's Schreiben kurz vor ihrer Hinrichtung an mich.
HEINRICH.

Recht sehr gern! Sehr deutlich geschrieben, hem! –»An meinen theuern, auch im bittern Tod geliebten [409] Gemahl.« Rührend, wahrhaftig. – »Du hast mein Todesurtheil unterschrieben; was ich verbrochen, ist mir unbekannt, ich sterbe unschuldig, doch zufrieden, weil du es befiehlst. Es werden Zeiten kommen, wo du dich mein wieder erinnerst, traure nicht zu tief, in Gottes Hand empfehl' ich dich und mein verwaistes Kind, in jener Welt erwart' ich dich ohne Vorwurf. Lebe wohl.«

SIEGFRIED.
Die Nachschrif.
HEINRICH.

Gleich. – »Auch denen verziehen, die dich fällschlich hintergangen, die mich unbeleidigt verfolgt, Mathilde, Golo; Gott gebe ihnen Gnade.«

GOLO.

Was quält ihr mich lange? Verlangt ihr mein Blut? Setzt alle eure Schwert' und Gewehre auf meine Brust her, mordet euch satt, ich weiß, daß ihr es wollt!


Genovefa am Eingange der Höhle.
GENOVEFA.

Gott! Er selbst hier! Verleihe mir Kraft, steh mir bey! Kommt hervor, kniet vor Siegfried. Herr, [410] schafft Recht einer unschuldigen Mutter, einer verstoßnen Waise.

SIEGFRIED.

Weib, wie kommst du hieher, in diese Wildniß, unter diese Felsen? Wer bist du? Was willst du, begehrst du von mir?

GENOVEFA.

O Siegfried, Siegfried! Gott sey mein Richter hier unter dem Himmel, hier vor diesen Menschen! Steht auf. Golo, wenn du noch einst Erbarmen und Seligkeit hoffst, so zeuge jetzt die Wahrheit! Ich bin Genovefa, die unglücklich Frau! Hier steht mein Gemahl, den ihr fälschlich betrogen! Zeuge die Wahrheit, wir Drey stehn hier vor Gottes Augen.

ALLE.
Oh! Was ist das? Genovefa! Genovefa!
GOLO.
Todte stehen auf, mich zu richten! Weh! Sie ist es! Selbst!
[411]
SIEGFRIED.
Wer bist du? Was sagst du? Weib! Gott! O Gott! Du –
GENOVEFA.

Ach Siegfried! Siegfried! – Ach Vettern, liebe Vettern, schaut mich an, erbarmt euch mein! Niemahls hab' ich eure Flüche verdient. Falsche Zungen haben mich zu Grunde gerichtet! Ich war niemahls das, was sie mich beschuldigt!

SIEGFRIED.
Du solltest ... Genovefa! Du lebendig – du –! Ach, bist du's?
GENOVEFA.

Siegfried, ich bin's, wahrhaftig und lebend, dir treu und rein immer, so wahr meine Hand die deine faßt, drin in dieser Höhle ist dein Sohn.

SIEGFRIED.

O hervor! Ulrich hinein. Genovefa, bist du's? O wenn's nur kein Traum ist! Soll ich dich gewißlich wieder besitzen? Bist du von den Todten erstanden? Bist du vom Himmel gestiegen hieher zu mir?

[412]
GENOVEFA.

Ich war nicht gestorben, der Allmächtige hat mich gnädig aus der Hand derer gerettet, die grausam mein Blut vergießen sollten. – Golo, ich klage dich nicht an, aber die Untreue gegen deinen Freund verdammt dich. Er war es selbst, Siegfried, der meine Treue zu dir zu fälschen gesucht, ich hörte ihn nicht, das war meine Schuld.

GOLO.

Begrabt mich doch lebendig! O schlagt mich todt: Ja, Siegfried, ich war's, der Alles that, dich so verrieth, gib mir deine Rache jetzt gleich und laß mich in Ruhe.


Ulrich führt Schmerzenreich hervor, Schmerzenreich starrt Alle an.
GENOVEFA.
Zu mir, Lieber, zu deinem Vater! Hier ist er, sieh.
SCHMERZENREICH.
Ach, Mutter, haben mein Rehchen geschlagen drin, drin! Ach weh! Wieder in die Höhle.
[413]
SIEGFRIED.

Ach Herz! Herz! Es weint, zerspringt, daß ich nicht mehr kann. – Unglückliche! – Ha Schlange, die ich in meinem Busen ernährt! Räuberischer Uhu, der mit stinkenden Flügeln Blüthen zerschlägt, die ihm nicht duften! – Ach Gott! Gott! – Ha du sollst sterben, nieder hier! Zieht das Waidmesser.

GOLO.

Hier! Oeffne diesen Busen! Mein Blut laß abwaschen die schweren Schulden an dir und an deiner Gemahlin, Siegfried! – Gern und leicht sterb' ich, weil die noch lebt.

GENOVEFA.
Gib Gnade, Siegfried, verzeih ihm, wie ich ihm verzeihe.
SIEGFRIED.

Nein. Zwar will ich an dem Tage, wo ich dich wieder fand, meine Hand nicht mit verrätherischem Blut besudeln: führt ihn weg von hier, fern dieser unschuldigen Ruhstätte; am Bach dort lohnt ihm nach seinen Thaten.

[414]
GOLO.

Siegfried, lebe lange und doppelt vergnügt, des Friedens willen, den ich dir geraubt! dürft' ich dir noch zum letztenmahl die Hand drücken! Lebe wohl! Auf deinem Todesbette, in der letzten Stunde, wo man Alles verzeih, erinnere dich meiner und verzeih' auch mir.

BERNHARD.
Fort jetzt! Mein Inwendiges hüpft, daß ich dich bald abthu'. Das Gewehr her!
ULRICH.
Voran! Entwaffnen und stoßen ihn ab.
SIEGFRIED
beyseit.

Gott! Wohin kommt's mit dem Menschen! Er war mir einst so lieb! Ach, ach! Und nun – daß ich ihn richten muß! ... Soll ich zurück rufen? – Verzeih ihm du im Himmel, wie ich ihm jetzt verzeihe. Doch er hat ihres Bruders Blut vergossen; sie fodern ihr Recht. Komm, Liebe, laß uns fort, einen Ort verlassen, wo Alles meinen Schmerz vermehrt.

GENOVEFA.
Ein Gelübde thu' ich hier.
[415]
SIEGFRIED.

Und meines dazu. Umarmt sie. Hier wollen wir einst sterben, hier der Auferstehung entgegen ruhn unter diesem Felsen. Nur so lange, Traute, laß uns zur Welt zurück kehren, bis wir unsern Sohn zu seinen Würden eingesetzt, bis er mannhaft, stark, selbst gelernt, Hirt seiner Heerde zu seyn. Dann wieder hieher, und wir wollen, so wie wir gelobet, Hand in Hand wallfahrten hinauf. Dann sey mir deine freundliche Dunklung zweymahl willkommen, wohlthätige Höhle; gesegnet bis dahin! Wo ist denn mein Sohn? – Lieber, wo bist du? Komm, dein Vater ruft. Komm doch, komm!Hinein in die Höhle.

GENOVEFA
kniet.

Segen ruhe über dir, freundliche Höhle, die mich aufgenommen und bewahrt! Steh immer grün zu meinem Andenken, sey ferner noch gedrückter Unschuld Freystatt, nimm vom Unglück Verfolgte in sichern Schirm auf! Meine Verbannung hat nun ein Ende.

12. Szene
[416] Zwölfte Scene.
Weidengebüsch.
Von fern die Melodie des Liedes: mein Grab sey unter Weiden, mit Waldhörnern.
Golo, Bernhard, Ulrich.

GOLO.
Ha, mein Sterbegesang!
ULRICH.
Drunten rauscht der Bach, sag' an seinen Tod, wie er sterben soll.
BERNHARD.

Niedergestochen wie ein Thier, sein Blut im Bach rinnend, zerhauen die Glieder und aufgehenkt in die Aeste, daß einmahl des Himmels Geyer in seinen Knochen horsten!

GOLO
faßt wüthig Bernhard, wirft ihn nieder, reißt das Schwert ihm aus der Faust und verwundet ihn.
Noch brennt Mannheit in mir! Verflucht neunmahl die Zunge, die solch Urtheil mir sprach!
[417]
ULRICH.
Ha! Noch meinen Bruder erschlagen? Blutdürstiger! Höllischer!
GOLO.
Bin ich nicht Ritter, so edel gebohren, wie ihr? Schlachtet ihr mich wie ein Thier?
ULRICH.
Hund! Wüthiger! Will dir's geben!
BERNHARD.
Halt' ein, Bruder Ulrich!
ULRICH.
Nein, soll mir darnieder!
BERNHARD.
Sonst bathest du mich, bitte jetzt dich.Ulrich flicht.
GOLO
schlägt ihm das Schwert aus der Hand.

Ihr wäret mir nichts, ich wollte euch eh Beyde Wolf und Geyern vorschmeissen, daß sie eure Glieder[418] zerhackten, eh ihr mich zu Boden brächtet! Ihr Niederträchtigen! Die ihr schnöde verdammt, ihr Elenden, die nicht fühlen, wie jammervoll dem Unglücklichen ist! Ihr schmähet mich, schaut auf mein Verbrechen, aber nicht auf das Schicksal, das mich bis dahin trieb. Oh ich wollte mich jetzt stellen gleich vor euch Allen an die Spitze hundert Bewaffneter hinter mir: wer wagt' es, mich dann noch zu richten, wo tausend und tausend! Aber hier, in meinem Busen, da ... ich habe Unglückliche gemacht, habe meinen edelsten Freund hintergangen, ach! Wirft das Schwert weg. Stehe hier unbewaffnet wieder! – Ritter-Tod und Begräbniß ehrlich: mehr begehr' ich nicht.

BERNHARD.

Habe mich zu sehr auf deinen Tod gefreut, habe zu sehr nach deinem Blute gelechzt! Geh' deines Weges, Gott wird dich finden.

GOLO.
Ich bin müde! Wer mir den Tod gibt, gibt mir Ruhe.
ULRICH
faßt das Schwert.

Unglücklicher! Sollst haben Ritter-Tod und Begräbniß, ehrlich Beydes von meiner Hand. Steh' her, will dein Richter seyn.Reckt das Schwert.

[419]
GOLO
fällt hinein.
Verzeiht mir, eh ich sterbe.
BEYDE.
Wir verzeihen dir!

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TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Dramen. Golo und Genovefa. Golo und Genovefa. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5169-7