Das Heidelberger Schloß

Hymne.


Wo die Tage, da du in deiner Herrlichkeit standest – als von Reisigen deine Tore, deine Vorhöfe erfüllt von wiehernden Rossen, von edler Ritter Gejauchz Gewölb und Bogen erklangen; süßer Frauen Blicke die Herzen entzündeten, weiser Männer Wort rein erklang wie geläutertes Gold? – Wo sind sie? –

Vorbei! – Ach! alles vorbei! – – Gras bedeckt deine Höfe, Efeu rankt um deine Mauern, Eulenruf hallet zur Dämmerstunde durch die Bogen und Gewölbe, der Mauerfalk zieht seine Kreise spähend um deine Türme, und eine Blindschleiche raschelt im dürren Laub am Boden, während der Molch in der feuchten Tiefe langsam von Stein zu Stein kriecht.

Ruin um mich her, Ruinen überrall! Trauer und ödes, totes Schweigen! O was warst du, an dem Jahrhunderte gebaut? Was warst du, als deine Fürsten durch dich hinschritten und hinausschauten vom Erker auf das Land des Segens, auf die ragenden Fluren, durch die Rhein und Neckar das silberne Kreuzband schlingen, [6] begrenzt von dem blauen Kranze der Höhen dort drüben?

Du warst die Perle, der Diamant am stattlichen Kurhut des Pfälzers; du warst die Wiege der Weisheit, die Heimat der Kraft und des Mutes, die Wiege des Volksglücks, die Stätte des Sanges, wo die Harfe klang und das Lied von des Minnesängers Lippen floß, weich und innig, weckend und beseeligend der Hörer Herzen! Trauert auch ihr, gefallene Fürsten? Hat auch in steinerner Brust der Schmerz eine Wohnstätte? Moos an eurer Schulter, Dorn wuchs um den Fürstenhut; weggeschlagen vom Wetterstrahle das Schwert und die glänzende Weltkugel; drüber ein Kreuz, das auf den Glauben wies, der warm im Herzen wohnte.

Ha! ihr trauert, – trauert mit in dem ganzen Verfall. – Um die zerstörte Feste, um das stolze Werk eurer Hände rollen unsichtbar Tränen, klagen, wenn auch ungehört, die Seufzer.

Und ich soll nicht klagen? Schlüg' ein Pfälzerherz in meiner Brust, wenn ich nicht klagte? Wär' ich wert, daß ich pfälzer Luft geatmet, daß Brot, gewachsen in Pfälzer Erde, mich gesättigt, Wein mich erquickt, den die Sonne an pfälzer Reben geläutert zu Geist? Wär' ichs wert, wenn ich nicht mitklagte, daß fränkische Frevlerhand die Brandfackel geschleudert in diese Räume und gesprengt mit des Pulvers unbändiger Gewalt diese Riesenmauern? Gesprengter' Turm, du gibst Zeugnis!

Fluch euch, die ihr Honig auf den Lippen und Galle im Herzen! Fluch euch, die ihr zum Trümmerhaufen machtet mein schönes Heimatland! die ihr Städte niedergebrannt, Fluren zertreten, Blutbäche fließen gemacht!

Wo ist die Ruine dort am Rheine, hier am Neckar, dort an der Nah, wo meine Wiege stand, dort, wo die Mosel schäumt, wo das Gebirge sich auftürmt zum waldreichen Hunsrück, die es nicht hinausriefe in die Welt!

Fluch dir Melac, dir Louis, dir gekröntem Wüstling, der du im weichen Arm der Buhlerin schwelgtest, als deine entmenschten Horden meine Heimat verwüsteten! Fluch dir und deinem Namen, du vierzehnter Louis von Frankreich, der du dich nanntest: Der Allerchristlichste!

Könnt' ich hier stehen, unter diesen Trümmern, groß im Vergehen, ohne zu weinen, wenn ich an euch denke, ihr Helden, die ihr wandeltet, die ihr niederblickt auf die Stätte eurer Kinderspiele, eurer Heldentaten, eurer Liebe, eures Leids, und sehet nur gefallene Majestät?

Ha! ihr wart einst groß, nicht unbedeutend im Verborgenen; eure Macht gebot weit in die Lande. Bis zum Kaiserthron reicht eure Reihe. Macht war der Atem, der hier geweht; Macht die Faust, die hier gewaltet; Macht das Wort, das hier befahl; Macht der Wink, dem sich alles gebeugt, diese Welt umher, die jeder sich schuf nach seinem Willen.

[7] Und nun! das glorreiche Haupt mit Moder umwachsen! Zerstört zu euren Füßen, in Trümmer all' eure Arbeit, zerrissen in Fetzen euer schönes Land! Zertreten ist alles, was ihr geschaffen.

Nur drunten in der Stadt blüht euer Werk. Über Ideen hat das Schwert keine Gewalt, das Pulver keine Macht. Für den Geist gibt es keine Ketten, seit er sich kleidet in das Gewand, das ihm Gutenberg gegeben. Die Quelle, die ihr mit Mosis Stab aus dem Granit dieser Berge geschlagen, fließet klar und hell, ein Labsal der Geister, die es hinaustragen in alle Welt. Zu den Füßen der Trümmer eurer Herrlichkeit stehet das Denkmal dauernder als Erz.

Wieder meine Blicke wend' ich zu diesen schwarzen Mauern. O daß eure Zinnen noch stünden! daß die Helden noch schritten in diesen Gängen! Aber ihr seid Moder geworden und Trümmer die Stätte eures Glanzes.

O was ist Größe? was ist Macht? Was sind Menschen?

Am Wasserfall sitzt das Kind, wälzt Steine hinab, schwellt und baut der Flut einen andern Weg – ferne stehts nun, horcht dem neuen Geräusch – steht lächelnd nah, freut sich seiner Schöpfung – und ihr! Ach ihr! Was ist das größte Menschenwerk? Gleicht's nicht dem neuen Rinnsal, das des Kindes Hand gebaut? Das Wasser rauscht stärker und alles ist dahin. Der Strom deckt es. So gehet die Zeit in ihrem Strome über jedwedes Menschenwerk, begräbt es in Trümmern und der Efeu rankt sich drum, der nur blühet, wenns Winter ist, und Früchte trägt, wenn ringsum waltet der Tod und kein Auferstehen ist, kein Frühlingswiederkehren des Lebens.

Und ich sank nieder, wo die Schwesterlinden stehen, in der Stämme Mitte die Steinbank. Meine Tränen rannen. Sie galten dem Untergange alles Großen, Schönen, Herrlichen, überall und auch hier!

Wer sind sie, die köstlich geschmückt einhergehen, stählern die Rüstung, glänzend das Schwert in der stahlumpanzerten Faust, sie blicken traurig aus den Visiren, wandeln stille die Stiegen hinab.

Vor allen schwebst du heran, Otto, du Erbauer dieser Hallen – seine Stirne furchet die Trauer, am Mooswuchs haftet sein Blick, schwere Seufzer drängen sich aus der Brust von Eisen umstarrt.

Ach dahin ist alles! ach zerstört, verfallen meine Burg, mein Sitz naß, dunkel, moderig – – wie öde mein Saal! – Fluch! – Fluch denen, die es verübt! hin, hin! mein Saal, den ich den Rittern erbauet, zerschlagen die herrlichen Türen, aufgerissen die Platten – zerstört, zerstört! das Werk meines nächtlichen Wachens. – Am Erker, wo nachspähten die Fräuleins den geliebten Rittern – nistet die traurige Eule. – Verstümmelt alles, o! Die Sonne wirft fremden Schatten herab, und ich kenne mich nicht mehr in meinen Gemächern!

[8] Und nun bäumt er sich auf, ans Schwert gelehnet, schwellend sein Busen, die Locken flatternd in die Sterne der Nacht, schwere Seufzer fallen tief ihm von den Lippen und ein langgetragenes Ach! tönt schauerlich durchs Gemäuer.

Und mehr, mehr sinkt nieder die Herrlichkeit. Fühllosigkeit und Stumpfsinn lassen niedersinken, was verrät'rische Grausamkeit übrig lies. – Ach!

»Kommt einst der Wandrer, meinen Saal zu sehen, die Herrlichkeit und Pracht, die er im Lande gehört: Wo ist Ottos fürstliches Werk, von dem die Kunde spricht, Ritter erzählet und Dichter sangen weit und breit? ... Ha! es ist dahin! Hinschauen über grünen Schutt und Stein wird er, sich umdrehen und mein und meines Saales vergessen.«

Und kühl wie ein Sommerregen träufelt mir's über die Wangen ... Verbergen wollt' ich mich, aber mir war's, als trügen mich Stürme des Himmels empor, meine Seele schauernd, zitternd meine Nerven, bebend die Lippe, entströmend süßem Gesang.

Harre, harre, trauernder Geist! Noch blüht dein Anseh'n, umsonst Ruin und Zeit.

Wird dein Name doch herrlich genannt vom fühlenden Edlen, vom Denker, wenn er mit Bewunderung auf deine Stufen tritt, deiner Werke Dauer ermißt, beschaut die Kühnheit des Gedankens.

Sorge, sorge du nicht! Noch steht viel – Wer wagt's, zu zerstören, dein Andenken zu verlöschen, zu brandmarken seinen eigenen Namen – wer? Daß man nicht mehr sehe das Denkmal der Vorwelt, den Geist vergangner Jahrhundert', und man nicht rufen könne: Siehe, dies waren sie! – Wer wagt's? – So sang ich vor Jahren, als ich stand in den bemoosten Trümmern deiner Herrlichkeit, du Pfalzgrafenschloß. So klagt' ich über der Grausamen Wut, dich zu vertilgen; über der Lebenden Fühllosigkeit, die die Nesseln wuchern ließen an der Stätte der Herrlichkeit, und wanderte dann über die Alpen hinunter in deinen Schooß, Roma, du Ewige! Und ich sah dich nicht wieder, du meiner Fürsten Stammsitz, ihres Stammes Wiege; sah dich nicht wieder, mein Heimatland, betete nicht mehr am Grabe der Mutter.

Aber über die Alpen drang zu mir die Kunde, wie um deine Trümmer aufblühe der Garten. So pflanzen liebende Kinder Blumen auf der Eltern Grab.

Dank euch aus weiter Ferne! O daß ich noch einmal schauen könnte aus dem Raume deiner Mauern in das Paradies der Pfalz, in das Paradies der Heimat! Mir bleibt nur in der Fremde ein Grab! ...

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Gedichte. Gedichte. Das Heidelberger Schloß. Das Heidelberger Schloß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5139-4