Trauerlied einer Braut

Die Totenglocke läutet
Entsetzen in mein Ohr;
Die Bahre kömmt, begleitet
Von banger Freunde Chor;
Sie tragen den Geliebten,
Den mir die Liebe gab,
Hinweg von der betrübten,
Gekränkten Braut ins Grab.
Des Chores dumpfe Töne
Erschallen feierlich!
»Welt, packe dich! ich sehne
Nur nach dem Himmel mich!«
Ja, guter, guter Himmel,
Ich sehne mich nach dir!
In diesem Weltgetümmel
Bleibt keine Freude mir.
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Ach Gott! zu Freudenfesten
War schon mein Haupt geschmückt!
Da hast du mir den besten
Der Jünglinge entrückt.
Ihn riß aus meinen Armen,
Auf deinen Wink, der Tod;
O fühl auch jetzt Erbarmen,
Und ende meine Not!
Laß bald die Stunde kommen,
Die meinen Bräutigam,
Den Zärtlichen, den Frommen,
Mit sich gen Himmel nahm!
Da sucht er jetzt, bekümmert
Auf Auen voller Licht,
Mich, die hier einsam wimmert,
Und ach, erblickt sie nicht.
Willst du, daß seine Freude
Ganz Himmelsfreude wird,
So seh' die Flur uns beide,
Wo er jetzt einsam irrt!
Bring unter lautem Segen,
Von Engeln angestimmt,
Ihm seine Braut entgegen,
Die hier in Thränen schwimmt!

Notes
Erstdruck in: Almanach der deutschen Musen auf das Jahr 1775.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Miller, Johann Martin. Trauerlied einer Braut. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3892-8