[314] Gretchens Lied

Seit in der Näh' ich mein Hänschen gesehn,
Deucht mir kein anderer Bauer mehr schön;
Blauere Augen, und rötere Wangen,
Zähne, die weißer und lieblicher prangen,
Halten kein Mädchen im Dorfe gefangen.
Morgens, und abends gedenk' ich an ihn,
Wandle zum Spiegel wohl zehenmal hin;
Lege bald dieses, bald jenes zurechte;
Frage mich, wenn ich die Haare mir flechte,
Ob ich vor andern gefallen ihm möchte?
Aber, dann denk' ich, mit traurigem Mut,
Röschen ist schöner, und reicher ihr Gut,
Würd' er ihr Wiesen- und Gartenland zählen,
Himmel! dann würd' er zum Liebchen sie wählen,
Und ich mich Arme mein lebelang quälen.

Notes
Erstdruck in: Schwäbischer Musenalmanach, auf das Jahr 1784, hg. von Gotthold Friedrich Stäudlin, Tübingen.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Miller, Johann Martin. Gretchens Lied. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-380F-0