[258] Der glückliche Bauer

1775.


Nun nenn' ich schon ein ganzes Jahr
Mein liebes Weibchen mein;
Und, denk' ich nach, so scheint's fürwahr
Kaum Wochen her zu sein.
So hurtig streicht kein Bach dahin,
Als diese Zeit verstrich;
Denn immer war mir's hell im Sinn,
Und stündlich freut' ich mich.
Kam einmal eine Grille mir,
So schloß sie mich in Arm;
Und, hatt' ich einen Kuß von ihr,
Weg war der Grillen Schwarm!
Sie hat mich in der kurzen Zeit
So gänzlich umgekehrt,
Und – Gott sei Dank – mir Frömmigkeit
Und Christentum gelehrt.
Ich singe nun so brünstiglich
Mein Morgenlied mit ihr,
Und abends, da erbaut sie sich
Aus Gottes Wort mit mir.
Dafür ist Segen auch im Haus,
Kein Mangel ficht uns an;
Und komm' ich auf mein Feld hinaus,
So lacht mich alles an.
Gern trag' ich nun des Tages Last,
Er sei auch noch so warm!
Denn abends find' ich süße Rast
In ihrem treuen Arm.
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Und lacht mir, einem Engel gleich,
Mein Kind an ihrer Brust,
Dann nähm' ich nicht ein Königreich
Für diese Herzenslust!

Notes
Entstanden 1775. Erstdruck 1775.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Miller, Johann Martin. Der glückliche Bauer. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-37B9-9