Der Genfersee

Ille terrarum mihi praeter omnes

Angulus ridet.

Hor.


An deinen Ufern, wo am frohen Heerd
Des Winzers, wie in stolzen Marmorhallen,
Der Ueberfluß sein goldnes Füllhorn leert
So weit der Freiheit Jubelhymnen schallen;
Wo mir die Freude stets, sokratisch mild,
Die wolkenfreie Stirn mit Epheu kränzte,
Seitdem, o See! des Montblancs Riesenbild
Zum erstenmal in deiner Fluth mir glänzte;
[137]
Wo Bonnet, der nicht früher als sein Ruhm,
Nicht früher als der Erdball sterben sollte,
In seines Tempels lichtem Heiligthum
Das grosse Buch der Wahrheit mir entrollte;
Wo er mir zurief: Ueber Grab und Zeit
Schwingt sich der Geist; sein dunkler Schleier modert!
Beglückt! wem Glaube der Unsterblichkeit,
Wie Vestas Feu'r, in reinem Herzen lodert;
Wo Agathon, den Grazien vertraut,
Der Musen Stolz, bewundert im Pallaste,
Des Volkes Lust bis wo der Jura blaut,
Wie seinen Gray, mit Liebe mich umfaßte;
Wo einsam oft, auf einer Klippe Rand,
Am Strom der brausend dir entgegenschäumte,
Mein Geist, an Xenophons und Platons Hand,
Sich des Illissus Mirthenhaine träumte;
[138]
Wo meine Blicke, der Natur geweiht,
An ihr, wie Bienen an der Blüthe, hiengen:
O See! schwebt mein Gesang in jene Zeit
Da menschenleere Wüsten dich umfiengen.
Da wälzte, wo im Abendlichte dort,
Geneva, deine Zinnen sich erheben,
Der Rhodan seine Wogen trauernd fort,
Von schauervoller Haine Nacht umgeben.
Da hörte deine Paradiesesflur,
Du stilles Thal, voll blühender Gehäge,
Die grossen Harmonie'n der Wildniß nur,
Orkan und Thiergeheul und Donnerschläge.
Kein Lustgesang der Traubenleserin,
Kein Erndtejubel, keines Hirten Flöte,
Kein schmetternd Horn aus reicher Wälder Grün,
Begrüßte da den Stern der Abendröthe.
Kein Rundetanz im sanften Vollmondschein!
Kein Freudenmahl vor Tells verehrtem Bilde!
Kein Gang der Liebenden im Frühlingshain,
An Veilchen reich wie Attikas Gefilde!
Die Oede schwieg; wenn auf verwachsnem Pfad,
Wo nur der Bär in Felsenklüften hauste,
Nicht etwa noch des Sees gewohntem Bad
Ein Uhr mit wilder Lust entgegenbrauste.
Als senkte sich sein zweifelhafter Schein
Auf eines Weltballs ausgebrannte Trümmer,
So goß der Mond auf diese Wüstenei'n,
Voll trüber Nebeldämmrung, seine Schimmer.
Da hieß aus dieses Chaos alter Nacht,
Der Herr, so weit des Lemans Fluthen wallten,
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Voll sanfter Anmuth, voll erhabner Pracht,
Sich zauberisch dies Paradies entfalten.
Dies stolzumthürmte Land, gleich Tempes Flur,
Mit jedem Reitz der Schöpfung übergossen!
Dies Wunderwerk der göttlichen Natur,
Von Schönheit, wie von Glanz die Sonn', umflossen!
Wo er, um dessen heil'gen Aschenkrug
Ein edles Weib den schönsten Kranz gewunden,
Die Bahn zum unerreichten Adlerflug
In Heloisens Zauberwelt gefunden.
O Clarens! friedlich am Gestad' erhöht,
Dein Name wird im Buch der Zeiten leben.
O Meillerie! voll rauher Majestät,
Dein Ruhm wird zu den Sternen sich erheben.
Zu deinen Felsen, die den Einsturz dräu'n,
In deren Schlund, wo nie die Dämm'rung tagte,
Um Julien, mit Sapphos wilder Pein,
Mit Orpheus Thränen der Verbannte klagte;
Zu deinen Gipfeln, wo der Adler schwebt,
Und aus Gewölk erzürnte Ströme fallen,
Wird oft, von süssen Schauern tief durchbebt,
An der Geliebten Arm, der Fremdling wallen.
Und wär' ich auch, mit Hallers Wissenschaft,
Von Grönlands Eis bis zu Taytis Wogen,
Mit Geßners Blick, mit Ansons Heldenkraft,
Mit Claude Lorrains Kunst die Erd' umflogen:
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Doch weiht' ich ewig, im Erinnrungstraum,
Nur dir der Sehnsucht und des Dankes Thränen;
Doch würd' ich mich in jedem Schöpfungsraum,
O See! verbannt aus deinen Himmeln wähnen.
Schön ists, von Aetnas Haupt des Meeres Plan,
Voll grüner Eiland', und die Fabelauen
Siziliens und Strombolis Volkan
Beglänzt von Phöbus erstem Stral zu schauen:
Doch schöner, wenn der Sommertag sich neigt,
Den Zaubersee, hoch von der Dole Rücken,
Wie Lunas Silberhörner sanft gebeugt,
Umragt von Riesengipfeln, zu erblicken.
Süß ist's, am Wogensturz in Tiburs Hain,
Wo Flakkus oft, entflohn den Schattenchören,
Im Mondlicht wandelt, bey Albanerwein,
Den Genius der Vorwelt zu beschwören:
Doch süsser noch, in Prangins Götterwald,
Wenn seine Laubgewölbe sich erneuern,
Und weitumher der Vögel Mailied schallt,
Erhabner Freundschaft Bundestag zu feyern.
[141]
Entzückend ists, wenn donnernd himmelan
Des Feuerberges Wogen sich erheben,
Auf Napels Golf, bey Nacht, im leichten Kahn,
In magischer Beleuchtung hinzuschweben:
Mit höh'rer Lust sieht auf des Lemans Fluth,
Wenn Thal und Hügel schon in Dämmrung sinken,
Der hohen Eiswelt reine Purpurgluth
Mein Aug' aus dunkler Klarheit wiederblinken.
Auf Hellas Höh'n erblickt der Wandrer nur,
Von Resten alter Herrlichkeit umgeben,
Der Tirannei tiefeingedrückte Spur,
So reizend auch sich Meer und Land verweben:
Hier segn' ich froh Helveziens Geschick,
Hier wo die Flur des Fleisses Lohn verkündet,
Hier theilt mein Herz des freyen Volkes Glück,
Auf Menschenrecht und auf Vernunft gegründet.
Am Strand der Seine tobt Gewittersturm;
Denn Gallien erwacht mit Löwengrimme!
Die Kette fällt; des Elends Riesenthurm,
O Freyheit, stürzt vor deiner Donnerstimme.
Am Leman weht des Friedens Palmenzweig!
In Stadt und Dorf erschallt das Lied der Freude;
Zufrieden, wähnt der ärmste Hirt sich reich,
Und Eintracht schützt der Freyheit Felsgebäude.
Der deutschen Ströme König bist du, Rhein!
Wie herrlich Mainz, umkränzt von Nektarhügeln,
Und Bacharach und Bingens Moosgestein
In deinem grünlichen Kristall sich spiegeln!
Bey Bonnets Tempel nur, auf Genthods Höh',
Muß deine Pracht der Alpenlandschaft weichen;
[142]
Hier scheint, im engern Bett', Genevas See
Dem mächt'gen Orellana selbst zu gleichen.
Ein Diadem, von Amors Hand gewebt,
Umstralt, seit ihrer dichterischen Wiese,
Mit Schwanenflug, Petrarkas Lied entschwebt,
Die ernste Stirn der Nymphe von Vauklüse:
Begeistrung wallt in deiner Dunkelheit,
Erwählter Lustort reingestimmter Seelen,
Divonnens Quell! dem zur Unsterblichkeit
Blandusias nur Flackus Hymnen fehlen.
An diesem Hain, vom Erlenbach durchtanzt,
Ein Gärtchen nur vor einer kleinen Hütte,
Mit schlanken Pappeln malerisch umpflanzt,
Ist alles was ich vom Geschick erbitte.
Hier würde mir die Weisheit Rosen streun,
Des Himmels Friede meinen Geist umfliessen,
Und einst, o goldnes Bild! im Abendschein,
Die Freundschaft mir die Augen weinend schliessen.
Hell würde sich des reinsten Glückes Spur
Mir dann entwölken, fern vom Weltgetümmel.
Wo Liebe, Freundschaft, Weisheit und Natur
In frommer Eintracht wohnen, ist der Himmel.
Auf jenem Vorland, von der Wog' umrauscht,
Wo die Betrachtung gern, auf grünen Matten,
[143]
Die leisen Tritte der Natur belauscht,
Erhübe sich mein Grab im Eichenschatten.
Kein Marmorbild, kein thatenreicher Stein,
Vor dem erröthend sich die Wahrheit wendet,
Entehrte des Entschlummerten Gebein,
Den eitler Grösse Schimmer nie geblendet.
Die Rose nur würd' über meinen Staub
Des zarten Mooses Wohlgeruch verhauchen,
Der Thränenweide niederhangend Laub
Mit leisem Flüstern in die Fluth sich tauchen;
Die Nachtigall, vom Lenzgesträuch umblüht,
Um ihren Freund dort in der Dämmrung klagen,
Und Daphne mir, von Zärtlichkeit durchglüht,
Das Opfer einer Thräne nicht versagen.
Auch würd' im Dorfe bald die Sage gehn,
Daß dort gedämpft, wie ferne Bienenchöre,
Sanft, wie am Blüthenbaum des Frühlings Wehn,
Der Hirt in stiller Mondnacht Lieder höre.

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TextGrid Repository (2012). Matthisson, Friedrich von. Gedichte. In der Fremde. Der Genfersee. Der Genfersee. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2C0F-2