Ballade

Her kam er gefahren auf rollendem Rad,
Wie war er so stattlich und schön,
Fort ist er gefahren auf rollendem Rad,
Ich hab' ihn nie wieder gesehn.
Die Luft war so warm und der Himmel so klar,
Den Weg durch die Felder ich ging,
Ich stand damals grade im sechzehnten Jahr
Und war ein recht lustiges Ding;
Noch war nicht die Liebe im Herzen erwacht,
Die Liebe, die selig und unselig macht,
Die Herzblüten zeitigt und Herzblüten knickt –
Ach hätt' ich ihn niemals erblickt!
Grad als ich den Seitenweg einschlagen wollt',
Da klirrte es hinter mir laut,
Da kam er auf blitzendem Zweirad gerollt
Und grüßte so freundlich und traut;
Er sprang aus dem Sattel, ging neben mir her
Und fragte nach Wasser; ihn dürste so sehr, –
Ich sagte, ein Spring wäre ganz in der Näh', –
O Quell, dir entrauschte mein Weh.
[102]
Am Springe, wo Kresse und Otterwurz blüht,
Da war es so duftig und kühl,
Doch in meinem Herzen da hat es geglüht,
Mir war so beklommen und schwül.
Wo bist du, o Stunde, zerronnen so schnell
Wie sprudelndes Wasser von murmelndem Quell,
Du Stunde voll Liebe, voll Lust und voll Glück,
Ach, kehre noch einmal zurück!
O bittere Wonne, er zog mich ans Herz
Und sagte: »Lieb Mädchen, ade!«
Ich glaube, er lachte – er sah nicht den Schmerz,
Er sah nicht das schneidende Weh.
Bis hinten zum Walde noch sah ich ihm nach,
Dann warf ich mich neben den rieselnden Bach:
Vorüber, vorüber, vorbei, ach vorbei,
Da wußt' ich, was Liebhaben sei!
Her kam er gefahren auf rollendem Rad,
Wie war er so stattlich und schön,
Fort ist er gefahren auf rollendem Rad,
Ich hab' ihn nie wieder gesehn.

Münster 1887

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Löns, Hermann. Gedichte. Junglaub. Ballade. Ballade. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2393-7