Die Dirne

Ja, weicht ihr nur aus, ihr ehrbaren Frauen,
Und hebt euer Kleid, daß es sie nicht berührt,
Sie darf euch gerade ins Angesicht schauen,
Sie ist nicht alleine prostituiert;
O führt nicht so stolz die Worte im Munde:
»Ich bin ein kirchlich getrautes Weib!«
Sie verkauft ihren Leib nur und auf eine Stunde,
Ihr habt euch verschachert mit Seele und Leib!
Wie viele denn sind es wohl unter euch allen,
Die freudig gefolgt sind dem Mann ihrer Wahl?
Ist keine von euch vor der Ehe gefallen?
Hat keine von euch je getäuscht den Gemahl?
Verschachert, verkuppelt von Eltern und Tanten,
Wie Tiere im Stalle zusammengeführt,
Die heiligen Flammen, die einst in euch brannten,
Ihr ehrbaren Frauen, sind prostituiert.
Was wißt ihr von Hunger und Mangel und Schande,
Von Armut und Krankheit, von Frost und von Not?
Euch Frommen und Guten im heiligen Lande
Gibt täglich der Herrgott das nötige Brot;
Geht einmal in Lumpen mit frostroten Händen,
Ihr Kinder der reichen, der glücklichen Welt –
Nur Tod oder Schande, das Elend zu enden –
Der Tod ist so bitter – und lachend bar Geld.

Münster 1889

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TextGrid Repository (2012). Löns, Hermann. Gedichte. Junglaub. Die Dirne. Die Dirne. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-1ED8-1