[76] Abschied und Rückkehr

1.

Vorbei, vorbei, auf feuchter Spur
Irrt trostlos nun mein Blick ins Weite.
Vorbei, vorbei, die Möwe nur
Giebt mir ein trauriges Geleite.
Nun kehrt auch sie, fernab, fernab
Ist längst mein Vaterland geblieben.
Aus meiner Heimat, wo mein Grab
Ich schon gewählt, bin ich vertrieben.
Als gestern ich im Abschiedszorn
Voll Schmerz den Lindenzweig gerüttelt,
Als ich den Rebhahn hört' im Korn,
Es hat ein Fieber mich geschüttelt.
Es wogt mein Schiff, es sinkt und hebt,
Ein Sturmlied singen die Matrosen.
Es wogt mein Herz, es ringt und bebt,
Es schlägt der Sturm den Heimatlosen.

2.

Aus Wogen taucht ein blasser Strand,
Es schimmert fern durch meine Thränen
Des Vaterlandes Küstenrand,
Erschöpft muß ich am Maste lehnen.
Der Flieder blüht, die Schwalbe zieht,
Und auf den Dächern schwatzen Staare,
Der Orgeldreher dreht sein Lied,
Ein linder Wind küßt mir die Haare.
[77]
Die Mädchen lachen Arm in Arm,
Soldaten stehen vor der Wache,
Und aus der Schule bricht ein Schwarm,
Der lustig lärmt in meiner Sprache.
Es schreit mein Herz, es jauchzt und bebt
Der alten Heimat heiß entgegen.
Und was als Kind ich je durchlebt,
Klingt wieder mir auf allen Wegen.

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Liliencron, Detlev von. Abschied und Rückkehr. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EDF6-2