X. Die erste Liebe.

(1831.)


Ich weiß den Tag, da ich zum ersten Mal
Den Kampf der Liebe stritt und zu mir sprach:
Ist das die Liebe, weh, wie schafft sie Qual!
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Am Boden haftete der Blick, doch ach,
Ich sah nur Sie, die mit unschuld'gem Triebe
Zuerst sich Bahn zu diesem Herzen brach.
Wie schlimm mißhandelt hast du mich, o Liebe!
Warum nur stürzt uns diese süße Lust
In solcher Schmerzen sehnliches Getriebe!
Nicht sanft, nicht heiter ward ich mir bewußt
Der neuen Macht. Sie kam mit Weh und Klagen
Und schnürte mir mit dunkler Angst die Brust.
Sprich, zärtlich Herz, was machte dich verzagen,
Was bebtest du so tief vor dem Gedanken,
Der aller Wonnen Preis davongetragen?
Bei dem Gedanken, der sich ohne Wanken
Dir Tags gesellt' und Nachts dir raunte zu
Süßschmeichelnd, wenn in Schlaf die Fluren sanken?
In Unruh', Glück und Jammer stürmtest du
Lautpochend fort und fort an dein Gefängniß
Und scheuchtest mir von meinem Pfühl die Ruh'.
Und wenn ich, matt von glühender Bedrängniß,
Die Augen schloß zum Schlummer, o wie bald
Verstört' ihn, wie im Fieber, Traumesbängniß!
Wie leibhaft stand die reizende Gestalt
Im Finstern da, und ob ich auch die Lider
Zudrückte, sie erblickt' ich tausendfalt.
Wie floß mit süßem Grau'n durch meine Glieder
Verworrne Glut, wie wogten ohne Stocken
Gedanken durch den Geist mir auf und nieder.
So fährt ein Zephyr durch die dichten Locken
Des alten Waldes, im Vorüberschweben
Ihm lange, bange Klagen zu entlocken.
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Und da ich schweigend stand, wehrlos ergeben,
Was sagtest du, o Herz, als sie nun ging,
Um die in tiefer Noth du solltest beben?
Kaum, daß ich völlig an zu lodern fing,
So war des Lüftchens linder Hauch entschwunden,
Durch das ich Kühlung meiner Glut empfing.
Wach lag ich noch in frühen Morgenstunden,
Da stampfend schon an unsres Hauses Thor
Die Räuber meines Glücks, die Rosse stunden.
Und ich, verzagt und stumm, ein blöder Thor,
Hielt zum Balcon hin in den Finsternissen
Umsonst mein Aug' und mein begierig Ohr,
Ob ich noch einmal, eh' sie würd' entrissen,
Die Stimme hörte, die geliebte, traute,
Die Stimme nur! Mehr sollt' ich ewig missen.
Doch immer trafen nur gemeine Laute
Mein zweifelnd Ohr; ein Frösteln fiel mich an,
Indeß ich kaum zu athmen mir getraute.
Und als die theure Stimme endlich dann
Mir an die Seele drang und von den Rossen
Und Rädern schlug der Lärm zu mir hinan,
Da, nun verwais't, die Augen fest geschlossen,
Vergrub im Pfühl ich zuckend mein Gesicht,
Die Hand aufs Herz gepreßt, in Gram zerflossen.
Dann wankend unter meines Grams Gewicht
Schleppt' ich mich dumpf durchs schweigende Gemach
Und sprach: Was nun auch kommt, es rührt dich nicht!
Und bitterlich ward die Erinnrung wach
In meiner Brust, für jedes Bild verschlossen,
Für jede Stimme, die zum Herzen sprach.
[63]
Ein öder Schmerz war über mich ergossen,
Wie wenn der Regen weit und breit ins Land
Herniederrieselt, traurig und verdrossen.
Noch hatt' ich dich, o Liebe, nicht gekannt,
Und achtzehn Sommer lebt' ich bis zum Tage,
Wo ich mit Thränen deine Macht empfand.
Entwerthet war mir wie mit einem Schlage
Jedwede Lust, die heil'ge Morgenfrühe,
Der Sterne Glanz, des Frühlings Blütenhage.
Ich fühlte, wie die Sehnsucht selbst verglühe
Nach Ruhm, von der so heiß mein Busen brannte;
Nur Schönheit noch erschien mir werth der Mühe.
Nicht mehr zu den vertrauten Büchern wandte
Sich Aug' und Sinn. Leer schien mir auf einmal,
Was ich zuvor als einzig werth erkannte.
Wie hatt' ich mich verwandelt! ach, wie stahl
Die neue Leidenschaft mein Herz der alten!
Traun, eitle Menschen sind wir allzumal.
Nur noch mein Herz gefiel mir, Zwiesprach halten
Mit ihm, in ew'ge Träumerei begraben,
Und meinen Kummer hüten vorm Erkalten.
Nichts wollte mehr der Blick zu schauen haben,
Ob schön, ob häßlich; in sich selbst gekehrt,
Am eignen Licht nur wollt' er sich erlaben;
Aus Furcht, das reine Bild, so keusch verklärt,
Getrübt zu sehn im Spiegel meiner Brust,
Wie Seeflut, über die ein Lüftchen fährt.
Und jene Reue, daß ich nicht gewußt
Voll auszukosten, was so schön und gut,
Sie, die Vergifterin entschwundner Lust,
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Trieb ihren Dorn mir rastlos in das Blut
Im Rückgedenken; ob auch noch die Pein
Der Schuld nicht an mir nagt' in wilder Glut.
Euch, edle Seelen, dir, du Sonnenschein,
Schwör' ich's: kein niedrer Wunsch hat mich verzehrt;
Die Glut in mir war sündelos und rein.
Und noch wird diese Flamme fortgenährt,
Noch lebt das schöne Bild in meiner Seele,
Und ob sie nur ein Traumglück mir gewährt –
Sie bleibt der Trost, den ich allein erwähle!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Leopardi, Giacomo. Lyrik. Gesänge. 10. Die erste Liebe. 10. Die erste Liebe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E436-D