VIII. Hymnus an die Patriarchen
oder
von den Anfängen des Menschengeschlechts.

(1824.)


Von euch, der Menschheit hocherlauchten Vätern,
Soll der Gesang der schmerzgeweihten Söhne
Mit Preis ertönen, die ihr so viel theurer
Dem Lenker der Gestirne war't und minder
[55]
Beweinenswerth, als wir, zum hehren Licht
Emporgeblickt. Unheilbar Unglück, das
Die armen Menschen traf: geboren werden
Zum Weinen und das Licht des Äthers freudig
Vertauschen mit der ew'gen Grabesnacht, –
Nicht hat's die milde und gerechte Satzung
Des Himmels euch verhängt. Wenn von der Sünde,
Die alle Menschenkinder der Gewalt
Der Seuchen und des Elends überliefert,
Die alte Sage spricht: noch ärgre Sünden
Der Sterblichen, ihr ruheloser Geist
Und schlimmrer Wahnsinn waffneten wider sie
Die Rache des Olympos und die Hand
Der lang vergessnen Nährerin Natur.
Da ward verleidet uns die Lebensflamme,
Verabscheut jede Neugeburt, und wüthend
Brach in die Welt herein der Erebus.
Du sahst zuerst den Tag, die Purpurfackeln
Der kreisenden Gestirne und die jungen
Thiere des Feldes weiden, alter Führer
Und Vater du der menschlichen Familie,
Sahst auf den frischen Au'n die Lüfte spielen,
Und wie herniederstürzend Alpenflut
An Felsenwänd' und öde Thäler schlug
Mit unerhörtem Schall, wie auf den heitern
Zukünft'gen Stätten hochberühmter Völker
Und lärmerfüllter Städte noch ein tief
Verborgner Frieden herrscht' und stumm und einsam
Der Strahl der Sonne und des goldnen Monds
Erklomm die ungepflügten Höh'n. O sel'ge,
Von Schuld und finstrem Schicksal unberührte
Welteinsamkeit! O wie viel bittres Leid,
Welch ungeheure Kette von Geschicken
[56]
Bereiten, armer Vater, deinen Kindern
Die ew'gen Mächte! Siehe, Blut besudelt
Und Brudergräuel nun zum ersten Mal
Die kargen Fluren, und die Lüfte hören
Zuerst der Todesfittiche schaurig Schwirren.
Der Brudermörder, bebend, heimathlos,
Einsame Schatten meidend und der Winde
Geheimes Grollen durch die tiefen Wälder,
Erbaut zuerst Stadthäuser, bleicher Sorgen
Wohnsitz und Herrschgebiet; zuerst vereinigt
Verzweiflungsvolle Reue, krank und stöhnend,
Die blinden Sterblichen und bietet ihnen
Gesellige Zufluchtsstätten; nun verschmäht
Die Frevlerhand den krummen Pflug; der Schweiß
Des Landmanns wird verachtet. Müssiggang
Herrscht in des Lasters Haus, die alte Kraft
Versiecht im faulen Leibe, Trägheit lähmt
Die schlaffen Geister, und der Übel größtes,
Knechtschaft, befällt die kampfentwöhnte Menschheit.
Und vor des Himmels Wuth und dem Gebrüll
Der Meerflut auf den wolkenschweren Berghöh'n
Errettest du die sünd'ge Brut, o du,
Dem aus der Trübe von umwogten Hügeln
Das erste Zeichen neu belebter Hoffnung
Die weiße Taube zutrug, da im West,
Schiffbrüchig dem Gewölk enttaucht, die Sonne
Die schwarze Luft geschmückt mit Iriszauber.
Zurückkehrt das gerettete Geschlecht
Zur Erd', und neu beginnen böse Lust
Und Tück' und Angst ihr Spiel. Der Frevler trotzt
Des unnahbaren Meeres Strafgericht
Und trägt zu neuen Küsten, neuen Sternen
Sein altes Elend hin und seine Thränen.
[57]
Nun denkt die Seele dein, du Ahn der Frommen,
Gerechter, Starker, und der edlen Sprossen
Aus deinem Samen. Künden will ich, wie
Du Mittags einsam in dem Schatten saßest
Der trauten Hütte, an den sanften Ufern,
Wo deine Heerde friedlich weidete,
Und dich beglückte himmlischer Besuch
Mit stiller Segensabsicht, und wie dann
Beim ländlich schlichten Brunnen, Sohn der klugen
Rebekka, Abends in dem holden Thal
Von Haran, das von frohen Hirtenspielen
Belebt war, Liebe dich ergriffen hat
Zur schönen Tochter Laban's, Liebe, die
Unwiderstehlich langer Arbeit, langer
Verbannung und verhaßtem Joch der Knechtschaft
Die tapfre Seele willig unterwarf.
Gewiß war einst – und nicht mit leerem Wahn
Nährt der aonische Sang und alte Sage
Das horchbegierige Volk – gewiß war einst
Befreundet unserm Stamm und lieb und traulich
Dies Jammerthal, und unser elend Leben
Floß golden hin. Nicht daß in lautrer Welle
Milch aus dem Spalt der heimathlichen Felsen
Gequollen wär', und daß der Hirt den Tiger
Der Heerde zugesellt, zum trauten Pferch,
Zu munterm Spiel den Wolf zur Tränke führend.
Doch arglos unbekannt mit ihrem Schicksal
Und ihren Leiden allen, mühlos lebten
Die Menschenkinder hin; der weiche Schleier
Des holden Irrthums und der Täuschung hüllte
Noch des Geschicks und der Natur geheime
Gesetze freundlich ein, und hoffnungsfroh
Glitt in den Hafen unser sanftes Schiff.
[58]
So lebt in Californiens weiten Wäldern
Ein glückliches Geschlecht, dem bleiche Sorge
Noch nicht das Herzblut saugt, noch grimmes Siechthum
Die Glieder bändigt. Speise beut der Forst,
Wohnung die tiefe Felskluft, Wasser spendet
Der Bach im Thal, und unerwartet bricht
Der finstre Tod herein. O warum seid ihr
So wehrlos gegen unsre frevle Kühnheit,
Ihr Reiche der Natur! Allmächtig stürmt
In eure Küsten, Höhlen, Wälder unsre
Habgier'ge Wuth herein, erzieht die Völker,
Die sie entehrt, zu unbekannten Leiden
Und neuen Lüsten nur und scheucht den nackten
Flüchtling, das Glück, bis in den fernsten Westen.

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TextGrid Repository (2012). Leopardi, Giacomo. Lyrik. Gesänge. 8. Hymnus an die Patriarchen. 8. Hymnus an die Patriarchen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E413-C