[14] [151]Die Erschaffung der Welt

Ein Traum in den Schweizergebirgen.


Auf ihr Geister, zur Arbeit, es ist noch
Viel des Geschäftes bevor!
Schaut, dort liegt die Erde vor euch,
Ein dunkler Klumpen, aber der Herrlichkeit,
Die ihm mein Rat beschloß, soll es kein Ende sein.
Daß wir aber nicht schaffen in der Luft,
Sondern am Abend des Tagwerks uns freuen,
Setz' ich auch Götter daher wie wir,
In einen Leib, der aller Creatur
Inbegriff und Abbild ist. Mehr und weniger.
Horcht! und denkt diesem Gedanken
Nach in die Unendlichkeit.
Welche Verschiedenheit, welche Einheit!
Feuer und Wasser die großen Räder,
Die alles drehen. Ewigen Feuers
Kraft! wie viel Feindschaft bei dir!
Und ohne sie das Ganze doch tot;
Feuer leuchtend, Wasser dunkel
Und verschlingend die himmlischen Strahlen,
Feuer treibend, Wasser ersinkend,
Feuer auflösend, Wasser verdichtend,
Und ihre Festigkeit Erde genannt,
Und die ewige himmlische Freundschaft
Jauchzt der Siege, die daraus entstehen!
Schaut eine Ebene voll Kräuter und Lilien,
Die des Feuers Anblick gemalt,
[151]
Schaut die Gebirge, die sie umschließen,
Und die Felsen, aus Wasser gekocht.
Schaut das Rauchwerk der Naturdünste,
Die sich der Sonne zu heben,
Dann in tausend Farben zurück
Über die Welt als Wolken schweben.
An den Felsen herab hangt ein Mensch,
Dessen Aug wie die Erde gebildet,
Alles, was darauf ist, verkleinert empfindet,
Daß er für Staunen und Lust nicht vergeh.
In dem Wasser seines Auges
Stecken Geheimnisse, nie zu ergründen,
Hängt die Gemeinschaft Himmels und der Erde
Und ihre Geister, all euer Glück.
In dem Feuer seines Auges
Stecken Geheimnisse, nie zu ergründen,
Und du Erde, die ich gebildet,
Deine Verherrlichung und dein Glück,
Damit sucht er, damit liebt er,
Damit bildet er, setzt zusammen,
Was er gesucht, geliebet, gebildet
Und erschafft – o Spiegel von mir,
Wenn du den Kreis deiner Kräfte kennest.
In dem Wasser seines Auges
Tauchen sich alle Feuertriebe
Einer Schöpfung selig und ruhen
Selige Geister, da ruhet ihr
Und beglücket ihn und werdet beglückt.
O du ewige himmlische Freundschaft!
O der Wunder Unendlichkeit!
Weh uns, weh, so riefen die Geister!
O das Mittel die ewig verschiednen,
All die Götter zu herbergen.
Furcht und Begier, die großen Mittel,
Feuer und Wasser, die ganze Natur.
Wähnen, sie wärens, fühlen sich Götter,
Fühlen sich toter als Staub und Nichts.
[152]
Zagt nicht, Geister, sie sollen beisammen,
Alle beisammen in einer Welt
Ewig sich lieben, ewig sich hassen,
Und nicht wissen, wie sehr sie sich lieben,
Wie sie sich hassen, wie sehr sie sich wohltun
Und wie alles in mir schwindet.
Schaut die Liebe ist ihre Seele,
Liebe ihr Wirken, was es auch sei.
Schaut die ewigen Funken des Himmels,
Schaut die Wunder, die er erschafft.
Aber die Furcht, die Ruhe der Schöpfung,
Furcht das große Grab der Natur,
Wo alles erstarrt, doch haben sie keine
Größere, keine ungemessnere,
Als die ewige Furcht vor einander,
Weil sie ihr Glück von einander erwarten.
Schaut, das hält sie, zaget nicht.
Jeder glaubt dem andern das, was er ist, und mehr.
Und unendlich weniger, wenn er mich fühlt.
Schaut das hält sie, zaget nicht.
Schaut die ewigen Wunder der Furcht.
Jeder weist dem andern die schlechteste
Seite von sich selbst – die beste zu mir.
Und das hält sie, sie würden erbittert
Einer des Andern Absicht durchkreuzen,
Und ein Chaos würde die Welt;
Daß die kleinen Außenseiten
Platz bei einander im Ganzen finden,
Haben sie sich ein Mittel erfunden,
Ihre Begierden auszutauschen,
Und das Mittel nennen sie Geld.
Aber die große Begierde von mir
Tauschen sie nie. –
Entweder sie schlummern im Eise der Furcht,
Oder sie wirken im Feuer der Liebe
Ewige Gottesverschiedenheit.
[153]
Tausend wissen nicht, was sie wirken,
Und noch minder warum –
Jeder scheut des Andern Auge,
Scheute gern meins und leugnete mich –
Leugnet mich – und beweist mich durch Taten.
Nur das Genie, das, seiner Schöpfungskraft
Sich bewußt, mich trunken fühlt
In jeder Natur und Gestalt der Schöpfung,
Nur das Genie erzittert nicht.
Schau, es enthüllt sich ewig den andern
Ohne Furcht und fühlet in andern
Den sich neu offenbarenden Gott;
Fühlt er höhere Wirkungskreise,
Wirkt auch er auf seine Weise
Und setzt alles ins Gleichgewicht.
Nur das Genie mißtrauet sich nicht.
Wie zwo Berge bei einander,
Ohne sich zu berühren, stehn,
Und doch immer ihre eigne,
Immer des andern Größe sehn.
Zwar auch sie in Grenzen zu setzen,
Unter Menschen Menschen zu sein,
Fühlen die Furcht in ihrer Schwäche,
Wenn sie müd von der Arbeit ruhn,
Wenn die Sonne den Himmel verläßt,
Alle Gestalten zusammenschwimmen,
Die dem Geist nach sich widerstimmen,
Mit von ihrer Kälte gepreßt.
Ach da türmen sich Schreckbilder auf,
Wie kein Mittelgeschöpf sie empfunden.
Und ein zürnender Gott scheint ihm sein Bruder,
Der ihm den Fuß auf den Nacken setzt;
Jeder Mensch ihm größer und besser,
Jedes Geschöpf ihm lebendiger als er,
Bis in die innerste Wurzel der Seele
Sich die Urstimme wieder erhebt.
[154]
Hier ist Berg – und Götter und Menschen
Werden auf dir ihres Daseins froh.
Schaut, so schaff ich, und so bestehn
Alle Geschöpfe neben sich,
Stärke und Schwäche so innig verbunden,
Ewig verschieden, ewig einander ähnlich und mir.
Schaut die Wunder meiner Schöpfungs-Demut so nahe der Größe.
In ihren Augen finden sie Ruhe,
Denn von da aus sprech ich sie an,
Und nur wo sie in ihnen mich finden,
Wie sie denn überall,
Wo das Paradies nur sich ahnden läßt,
Auch wider Willen suchen mich müssen –
Freuen sie sich.
Ich der Urstoff ihrer Begierden und Frechheit,
Ihre Sättigung ewig Ich.
Schaut am glatten Felsen hinunter
Rinnt der Quell im Sonnenschein.
Nicht umsonst so silbern und rein.
Da keucht einer den Felsen hinan,
Dem die Sonne das Leben genommen;
Zehnfach wird ers wieder bekommen,
Himmlische Kühlung, du wartest auf ihn.
Seitab im Tale die ruhige Hütte.
In ihrem Eingang mit glänzendem Kinn
Harrt unterm Strohhut ein Engel auf ihn.
Arme und Busen strebt ihm entgegen,
Um der Unsterblichen Neid zu erregen.
Schaut, er klimmet zur Quelle hinauf.
Gute Stoa, sich selbst zu bezwingen,
Magst du Starken, als Weisheit singen.
Ströme hier Gift, ich schlürfte die Pein
Zuckend zu sterben, mit Wollust ein.
Und seine hohle Hand gewährt ihm einen Himmel –
er kniet und dankt für einen Tropfen, in dem ich war.
[155]
Ach an diesem Busen zu ruhen,
Himmel und Hölle in diesem Arm,
Eine schnelle Entzückung lang.
Macht dann auf ewig mit mir, was ihr wollt.
Und er kommt und sieht ihr ins Auge,
Und vergißt, was er von ihr verlangt.
Niemals ist er frömmer gewesen,
Als in diesem Augenblick,
In sein ganz entzücktes Wesen
Fließt der ganzen Gottheit Glück.
Nun, nun darf er sie umarmen
Wie er den Fuß einer Heiligen umarmet,
Darf ihre heilige Lippe berühren,
Wie ein Sünder die Hostie küßt.
Erdegebückt geht ein Anderer vorüber,
Dem der Most die Begier geschwellt,
Der die Gottheit des Auges nicht fühlt,
Dem das Geschlecht allein gefällt,
Und er bleibt versteinert da sitzen,
Sieht auf jenen mit Mitleid herab,
Weil die Natur sich so zu erhitzen,
Zu viel Furcht und Hochmut ihm gab.
Meint, er habe sich selbst überwunden,
Dünkt sich weiser und bleibt ein Tor,
Bis er die Furcht in tierschen Stunden
Mit einem Tier, das ihm gleicht, verlor.
Schaut, so halt ich sie alle beisammen,
Wie den Berg und das strupfigte Tal,
All' in unterschiedlichen Flammen,
Unterschiedlicher Lust und Qual.
Fürchtet nicht, ihr höhern Seelen,
Euren Genuß vom Neide der Niedern
Jemals getrübt zu sehen.
Ihr genießt mitten unter ihnen.
Sie begreifen's und ahnden's nicht.
[156]
Schaut da steht er, der göttliche Maler,
Hängt an Felsenwand herab
Über der Aussicht, die seinem Pinsel
Die Natur zur Eroberung gab.
An dem Fuße des Felsen kauert
Sich der Landmann über den Pflug.
Schaut wohl empor und lachet des Gottes,
Der ihn zu der Unsterblichkeit trug.
Aber sein Schweiß düngt jenem die Erde,
Der seinen Geistern mit Fröhlichkeit naht,
Dort durch Leiden, hier durch Beschwerden
Wird ein Heiland des andern wert.
Schaut die Augen, wie ewig verschieden,
Hier der sonnigte Feuerblick,
Dort die Bläue, das Bild des Friedens,
Wo sie dunkler, das Zeichen der Duldung
Und in jedem des andern Glück.
Wie die Sonne in dunkle Fluten
Gern all ihren Glanz versenkt,
Bohrt das brennende Aug' im Guten,
Bis es all seine Pein dort ertränkt.
Lieb ist allen das Wirken und Streben.
Selbst der zweifelnde Lästerschrei,
Denn die Foltern, die ihn umgeben,
Wirken allein auf sein Geschrei,
Wenn er alles, was lebet, fürchtet,
Fürchtet er sich nur vor sich selbst,
Und der ärmste der ganzen Schöpfung
Lebt im Goldgebirg – und er – –
Ha mein Donner hat sie gezeichnet,
Sie zersplittern wie Felsen,
Da liegen sie und missen auf ewig,
Ach! der Wollust der Ähnlichkeit!
Auf sie treten meine Gesalbten
Mit der ganzen Natur befreundet.
[157]
Auf sie treten sie hin wie auf Felsen,
Die mit keinem Geschöpf sich verzweiten.
Doch auch sie sind fest wie Felsen,
Aber nicht trocken und hart wie die,
Grünend, blühend von Sympathie,
Scheint in ihnen erschaffen durch sie
Eine ganze lebendige Welt sich zu wälzen,
Schaut, das Feuer sprengt ihre Seele,
Mit der Liebenden Ungeduld,
Schaut, das Wasser erhält ihre Seele
Mit allhoffender Geduld.
Schaut, die Erde macht ihren Vorsatz
Unerschütterlich ewig, wie sie.
Ihr könnt Welten aus Angeln heben,
Aber nicht ein liebendes Herz, – nie!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. Gedichte. Nachlese. Die Erschaffung der Welt. Die Erschaffung der Welt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E2AB-6