[502] Letzte Gedichte

Prolog

zum Jubelfeste des Erzherzogs Karl


Gesprochen in Wien am 17. April 1843.


Schnell ist die Tat dem Aug des Tags entschwunden,
Doch ist sie nicht verloren und zunichte;
Sie bleibt, als hätt ein Zauber sie gebunden,
Gefesselt von dem Auge der Geschichte.
Sein Strahl ruht liebend, lohnend auf dem Guten,
Vor dieses ernsten Auges Zornesgluten
Ist das Gewölk der Lüge bald zerronnen,
Das hüllend um den Frevler ward gesponnen.
Gesegnet und gefeiert sei der Mann,
Der frei in dieses Auge blicken kann;
Und wenn es freudig ihm entgegenglänzet,
Verdient er, daß die Menschheit ihn bekränzet. –
Napoleon stand auf den Marchfeldsflächen,
Mit seinen Heldenscharen, Heeresmeistern,
Umrauscht, umflammt von allen Siegesgeistern,
Und fest entschlossen, Deutschlands Herz zu brechen.
Wie bebte dieses Herz vor seinem Tritte,
Das Völkerband vor seinem Todesschnitte!
Sein Wort gebot den Mächten dieser Erde,
Mehr als des Rechts altheiliger Bestand
Galt seines Munds ein Hauch, sein Wink, der Hand
Beglückende, vernichtende Gebärde.
Vom Königszittern schwankten rings die Thronen,
Und eine Wanderlust ergriff die Kronen,
Wie Vögel im Spätjahr der Reisezug,
Als er die alte Welt in Trümmer schlug. –
»Bald stürzt vor mir und meinem starken Heer
Der Leopard Britannias ins Meer!
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Der Briten Stolz verwandle ich in Gram
Und ihren Taumelkelch zur Tränenurne;
Hispania liegt zu meinen Füßen zahm,
Und wischt den Schlachtenstaub mir vom Kothurne
Mit ihrem weichen aufgelösten Haare;
Auf Lisbons Zinnen setz ich meine Aare;
Und Deutschland –« Halt! bei Aspern mußt du fragen,
Wie deutsche Herzen, deutsche Schwerter schlagen!
Dort zeigt sichs bald in blutigen Gewittern,
Ob du ganz ungelehrig für das Zittern!
Dort steht ein Fürst, ein gottgeadelt-echter,
Wie selten ihn gezeugt die Hochgeschlechter;
Der Brennpunkt jeder Freude, jedem Schmerz
Des Vaterlands ist sein geweihtes Herz;
Er ist an Heldenkraft selbst dir gemessen,
Doch eines schmückt ihn schön, was dir gebricht,
In seinem Herzen brennt der Liebe Licht,
Und nie hat er der Menschlichkeit vergessen! – –
Napoleon stand auf dem Marchfeldboden,
Für sich – die Welt gewaltig umzuroden;
Schon lag erobert Wien zu seinen Gnaden,
Mit Herzensangst, mit Schmach und Not beladen.
Geharnischt ritten durch die bange Stadt
Napoleons erlesne Kürassiere,
Die Erde bebte vom Gestampf der Tiere,
Der Schrecken sah an ihnen sich nicht satt.
Sie ritten, stolz auf sich und ihren Herrn,
Und gern beglänzt vom deutschen Sonnenstrahle,
Furchtbar dahin, in blanker Eisenschale
Des Kaiserheeres tödlich bittrer Kern.
Und als sie kamen auf das Feld der Schlacht
Und bodenschütternd sprengten an mit Macht,
Da stemmten Ostreichs tapfre Bataillone
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Wie felsgequadert sich dem Reiterheer,
Sie standen still, geschultert das Gewehr
Auf wenig Schritte noch, als wie zum Hohne.
Der Reiterschock auch plötzlich stille stand,
Erstaunt, als zweifelten sie scheu und bange,
Ob nicht in dieser starren Männerwand
Ein furchtlos Geisterheer sie kalt empfange.
Doch sollen sie bald bitterlich erfahren,
Wie kernhart und lebendig diese Scharen.
Denn »Feuer!« schallts, und Salvendonner schmettern,
Und rasselnd stürzen Roß und Mann zum Grunde,
Der, weithin schlitternd von den Todeswettern,
Vor Freude bebt in dieser großen Stunde.
Und Karl erscheint an jedem heißen Ort,
Wo er die Seinen sieht im Streite wanken,
Im wildesten Getümmel hier und dort,
Schnell, feurig, wie von Gott ein Siegsgedanken.
Die Fahne schwankt, im dichten Pulverdampfe,
Da faßt er sie und trägt sie selbst zum Kampfe.
Wie hat er stets das rechte Wort gefunden,
Die Herzen seiner Krieger zu entflammen!
Da raffte mancher letzte Kraft zusammen
Und trug zum neuen Sturm die Todeswunden.
Heiß war der Kampf um jenes Dorf entglommen,
Zehnmal gestürmt, verloren, und genommen
Ward jedes Haus, der Kirchhof, jede Scheune,
Man focht um einzle Bäume, Mauern, Zäune,
Den besten Helden aller Zeiten gleich,
Als wäre jeder Punkt ein Himmelreich.
In Rauch und Blut schien sich die Welt zu baden,
Die Trommeln wirbeln ohne Rast zum Laden,
Im Qualme blitzt der Schüsse roter Schimmer,
Ein Strom von Donnern rollt das Feuer immer.
Kolonnen stürzen zwischen Bajonette,
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Dem Vaterland zu brechen seine Kette. –
Wie rang in Wien die Hoffnung mit dem Trauern,
Sie lauschten dem Verhängnis von den Mauern,
Ob ferner die Kanonenschüsse grollen,
Ob tröstend ihre Donner näher rollen. –
Nun ward es still; die Luft muß müde sein
Vom tausendstimmig wilden Todesschrein;
Nur manchmal ruft ein Posten, eine Wacht,
Ein Stöhnen auf der Walstatt, ausgestoßen
Von wundgeschlagnen Menschen oder Rossen,
Dann wieder schweigt es, finster ist die Nacht.
Er ist besiegt, der Revolution
Gewaltger, muttermörderischer Sohn,
Der Riesige, der Frankreichs Freiheitsbäume
Zum Throne sich gezimmert und geschlichtet,
Der Herkules, der wilder Freiheitsträume
Stymphalisches Geflügel hat vernichtet.
Er ist besiegt, ihn trägt in leichtem Kahn
Die Donau rettend nach der Inselbucht,
Und eine Fackel leuchtet seiner Flucht,
Zu Füßen liegt ihm sein zerbrochner Wahn;
Gleichgültig blickt er nieder auf die Leichen,
Die mit den Wellen ihm vorüberstreichen;
Da lischt die Fackel aus im Windeswehen,
Wie seine Herrlichkeit einst wird vergehen. –
Noch wollte ihn der dunkle Strom erhalten,
Er trug ihn eigenmächtig ans Gestade,
Denn damals waren die Naturgewalten
Noch nicht verschworen gegen seine Pfade.
Was Karl empfand auf jenem Ehrenfeld,
Weiß nur des Schicksals Liebling, nur ein Held,
Der auch wie er, den Degen in der Hand,
Und Gottes Geist im Haupt, fürs Vaterland
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Mit solchem Helden rang, und es gerettet
Aus Schmerz und Schmach, worin es lag gekettet.
Mag immerhin nach Asperns blutger Schlacht
Der stolze Feind erheben seine Macht,
Aufwerfen siegreich seine Heldenfahne,
Sie blieb doch krank vom schüttelnden Orkane.
Die Donner Asperns habens ausgesprochen:
»Er ist besiegbar!« unvergeßlich allen,
Und Leipzig wird die Donner widerhallen;
Napoleons Waffenzauber war gebrochen.
O Karl! es war dein schönster Heldentag!
O Österreich! dein höchster Herzensschlag! – –
Der Feldherr gab dem Frieden seine Wehre;
Und weiter schuf an seinem edlen Bilde
Im stillen das Geschick; der Schreck der Heere
Steht nun vor uns ein Held an frommer Milde.
Für jeden, den er schlug auf rauher Bahn,
Lebt einer, der ihm freundlich wohlgetan.
Er zeichnete, entrückt den Tatenflügen,
Gedächtnisblätter, Kriegern zur Belehrung,
Und schauen wird die Nachwelt mit Verehrung,
Wie er sein Heer geführt in Meisterzügen.
Ihm ward auch Gram zu seinem Teil gegeben,
Und Bitterkeit geträufelt in das Leben;
Doch un verkümmert blieb der edle Mann,
Denn seine Seele hielt die Welt umschlossen,
Die bösen Tropfen schwanden und zerflossen,
Wie man das Weltmeer nicht vergiften kann;
Und Freude muß die Seele ihm bewegen,
Erblickt er seines Hauses reichen Segen,
Und wie das Volk ihn hoch im Herzen hielt,
Noch eh sein Sterbliches dahingegangen;
Wir sind beglückt, daß wir sein Heldenbild
Nicht aus der Hand des Todes erst empfangen.

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TextGrid Repository (2012). Lenau, Nikolaus. Gedichte. Gedichte. Sechstes Buch. Letzte Gedichte. Prolog. Prolog. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DEB4-F