Johann Kaspar Lavater
Aus: Schweizerlieder
1767

[70] An den Leser

Wenn, Leser! dir mein Reim gefällt,
Danks dem Tyrtäus Gleim!
Der sang von Helden wie ein Held,
Und dessen ist mein Reim.

2. Wilhelm Tell

Nein! vor dem aufgestekten Hut,
Du Mörderangesicht!
Bükt sich kein Mann voll Heldenmuth,
Bükt Wilhelm Tell sich nicht!
Knirsch immer, du Tyrannenzahn!
Wer frey ist, bleibet frey!
Und wenn er nichts mehr haben kann,
Hat er noch Muth und Treu!
Der Landvogt voll von Raache schnaubt
Ihn an: »Schieß deinem Kind
Schnell einen Apfel weg vom Haupt;
Sonst würg ich dich geschwind«!
Tell hört und seufzt: »Ach, der Tyrann!
Ich sterbe, Sohn, für dich!
Doch Sohn! ich schieße, ja ich kann
Erretten dich und mich«!
Drükt an die Brust ihn – welch ein Schmerz! –
Und lispelt ihm: »Steh still!
Eh schlägt nicht mehr mein Vaterherz,
Eh ich dich trefen will«!
[70]
Und führt ihn sanft an einen Baum,
Drükt ihm den Apfel auf
Und legt den angewiesnen Raum
Zurük im schnellen Lauf,
Nimmt eilends Pfeil und Bogen, spannt,
Blikt scharf – fest steht der Knab –
Und drükt mit unbewegter Hand –
Es knällt – den Apfel ab!
Voll jugendlicher Munterkeit
Sucht ihn der Knab; in Eil
Bringt er dem Vater voller Freud
Am Apfel seinen Pfeil.
»Hätt der ihm nur ein Haar gefehlt,
Der zweyte träfe doch«!
»Wen?« »Geßler, dich! Du lägst entseelt,
Und Tell wär frey vom Joch«!
Der Vogt von Raach und Wuth entflammt,
Bindt schnell ihm Händ' und Füß'
Und schäumt und stampfet und verdammt
Den Tell zur Finsterniß.
Gebunden bleibt der Held ein Held,
In Ketten Tell noch Tell.
Gott, dem die Freyheit stets gefällt,
Sieht ihn und hilft ihm schnell.
Er ruft dem Sturm. Der Sturm braust her,
Die Schiffer stehn erblaßt,
Sehn bebend keine Rettung mehr,
Wenn Tell das Steur nicht faßt.
Des Helden losgebundner Arm
Arbeitet fort zum Strand.
Tell springt und steht von Freyheit warm
(Das Schiff prellt weg) am Land!
[71]
Die Wogen rauschen fürchterlich
In des Tyrannen Ohr,
Tell sieht zu Gott auf, stärket sich
Und läuft ihm schnell zuvor.
Er kömmt, auf seiner Stirne Zorn,
Verwirrung im Gehirn;
Tell sieht ihn hinter einem Dorn,
Sieht Tod auf seiner Stirn'.
Da zielt er, drükte – Heil dir! – los;
Der Pfeil zischt in die Brust.
Des Mörders schwarzes Blut zerfloß,
Und Tell sah es mit Lust.
Die Freyheit seines Vaterlands
Steht auf mit Geßlers Fall,
Und bald verbreitet sich ihr Glanz,
Bald strahlt sie überall.

3. Der Schweizerbund

Sey ewig heilig, Schweizerbund!
Wir sind vom Joche frey!
Heil schwur uns unsrer Väter Mund!
Heil gab uns ihre Treu.
Tyrannen herrschten weit und breit
In unserm Vaterland,
Das Herz voll Stolz und Grausamkeit
Und Mord in ihrer Hand!
Sie truzten, Recht, dir mit Gewalt,
Bald löschten sie die Glut
Der geilen Lüste, raubten bald
Das schweißerrungne Gut.
[72]
»Was, freye Menschen, dulden wir
Noch lang das Sclavenjoch?
Tyrannen, wißt! wir sind, wie ihr
So gut, sind Menschen doch«.
So dacht' ein Patriotenklee,
Voll Unmuth gings einher:
»Wenn's auch das Leben kostete,
Das dulden wir nicht mehr«.
Gerecht, o Arnold, ist dein Schmerz!
»Mein Vater, ach, ist blind!
Tyrann«! – ja blute Sohnes Herz! –,
»Um meinetwillen blind«!
Von Staufach dich vertreibt und höhnt
Des Landvogts Übermuth,
Der dir dein neues Haus mißgönnt,
Gebaut aus eignem Gut!
Und du nimmst willig, Walther Fürst,
Dich der Bedrängten an.
Sie wissen, daß du helfen wirst,
Wo mann nur helfen kann!
Des Vaterlandes Jammer liegt
Auf Eurer Schulter schwer!
Ihr sehet alles Recht besiegt
Und alles hofnungleer.
Erbliket manches schöne Thal
Und manche Alpenhöh,
Und alles, Menschen ohne Zahl,
Voll Unmuth, Ach und Weh!
Auch weint das künfftige Geschlecht
Laut in der Helden Ohr:
»Hebt, Väter, – denn Gott hilft dem Recht –
Zu Gott die Händ empor«!
[73]
Da schwuren sie den theuren Eid
Und schlugen Hand in Hand
Zu retten von der Dienstbarkeit
Das liebe Vaterland.
Die stille felsigte Natur
Sah sie auf ihrem Knie,
Im Himmel hörte Gott den Schwur
Und blickte Muth auf sie.
Still drükte jeder seinem Freund
Die Hand: »Sey Patriot«!
Und jeder schwur, indem er weint,
Der Tyrannie den Tod.
Es kam die lang erseufzte Nacht,
Und sie umarmten sich
Und stiegen jeder wolbewacht
Und dachte, Freyheit, dich.
Die Mörder wurgen Mann für Mann
Am sichern Morgen früh
Und fielen die Tyrannen an
Und banden tüchtig sie.
Weg führten sie die Mörderschaar
Ohn einen Tropfen Bluts
Bis an die Gränzen. Alles war
Nun frey und guten Muths.
Sey ewig heilig, Schweizerbund!
Noch izo sind wir frey!
Das Heil, das unsrer Väter Mund
Uns schwur, bewahre Treu!

[74] 9. Die Schlacht bey St. Jakob im Jahr 1444

Der Schweizer höchste Dapferkeit,
Die keinem Schmerz entflieht,
Besiegt noch kämpft, den Tod nicht scheut,
Verdiente die kein Lied?
Ja, ströme mächtig und ertön,
Lied, das unsterblich macht!
Sie trutzten gleich den Alpenhöhn
Dem Donner in der Schlacht.
Sie sahn den Feind und schlugen ihn
Zurük mit kleiner Zahl;
Sie sehn ihn wieder, schlagen kühn
Ihn schnell zum zweitenmal.
Verwegen macht der frühe Sieg
Der Sieger Heldenhand:
Sie stürzten sich in tiefern Krieg
Zu voll von Vaterland.
Umsonst Kanonendonner brüll'
Und ströme Tod auf Tod!
Sie dringen ein; Tod ist ihr Spiel,
Und Feinde Morgenbrod.
Zwar stößt das zehnmal grösre Heer
Der Feinde sie zurük.
Doch zehnfach tödtet ihr Gewehr
Mit jedem Augenblik.
Bey Jacobs Mauren hörten sie
Der Kriegesrosse Trab:
»Eh unser auch nur einer flieh',
Eh find' er hier sein Grab«!
[75]
Der Feind stieg schnaubend von dem Pferd;
»Komm nur, wir bleiben still;
Maurüber flamme Schwerd an Schwerd
Nach Tod; wir bleiben still«!
Die Löwen stritten; jeder stand,
Wich keines Haares breit;
Die schon zerstükte Schweizerhand
War muthig noch im Streit.
Sink immer Glied um Glied zerfezt;
Sie kämpften tief im Blut.
Wer Freyheit mehr als Leben schäzt,
Behält im Tode Muth.
Der Feinde ungeheure Zahl
Schlug, traf, doch siegt' sie nicht;
Rief: »Strömt, Kanonen, noch einmal
Tod in ihr Angesicht«!
Die Kräffte sanken, nicht ihr Muth;
Nein! der sah nie zurük!
Sie rafften sich empor im Blut;
Tod war ihr lezter Blik.
Wenn Dapferkeit im heißen Krieg
Nicht immer siegen mag,
Schön ist sie doch; dem schönsten Sieg
Gleicht diese Niederlag!
Erstaunungsvoll sah der Delphin
Sein bestes Volk im Grab;
Sein Sieg erfüllt mit Grauen ihn,
Noch staunt er, bebt, zieht ab.

[76] 13. Der Schweizer

Wer, Schweizer, wer hat Schweizerblut?
Der, der mit Ernst und frohem Muth
Dem Vaterlande Gutes thut,
In seinem Schooße friedlich ruht;
Nicht fürchtet seiner Feinde Wut;
In dem fließt reines Schweizerblut.
Wer Falschheit haßt und arge List,
Und Schlangen gleich flieht jeden Zwist;
Und, was ihm Gott giebt, froh genießt,
Gern sein gesundes Blut vergießt,
Wenn sein Tod Andrer Leben ist,
Der ist ein Schweizer und ein Christ!
Wer seiner Väter Tugend ehrt,
Sie ausübt und sie andre lehrt,
Das Gute schützt, dem Bösen wehrt,
Des Schmeichlers Stimme niemals hört,
Und Treu hält, wenn er auch nicht schwört,
Der ist des Helden Namens werth!
Wen Vieler Glück und Sicherheit
Mehr als sein eigen Glück erfreut:
Wen keine schöne That gereut,
Wer frühe den Tyrannen dräut,
Dem Laster gleich die Knechtschaft scheut;
Der, der hat Schweizerredlichkeit!
Wer immer, wo er stehn soll, steht
Sich niemals über Andre bläht,
Den graden Weg in allem geht,
Gold, Wollust, Üppigkeit verschmäht,
Selbst erndtet, was er selber sät;
Ist über Könige erhöht!
[77]
O Schweiz, du Heldenvaterland!
Sey niemals deiner Väter Schand,
Und halt das vestgeknüpste Band
Der Einigkeit mit treuer Hand!
Dann ist in dieser Welt kein Land
Dir gleich du Heldenvaterland!

14. Gemeineidgnössisches Lied

Treue, liebe Eidsgenossen,
Aus der Helden Blut entsprossen!
Singt! und uns'rer Lieder Schall
Ströme, wie ein Wasserfall
Von den hohen Felsen nieder!
Felsen, Thäler hallet wieder!
Wer von alter Treue glüht,
Sing mit uns ein Schweizerlied!
Heilig, Brüder, sey die Stätte,
Wo die Väter um die Wette
Stritten und im Feur der Schlacht
Sich und Enkel frey gemacht!
Heil euch, Schwerdter tapf'rer Ahnen,
Heil euch, theurerworbne Fahnen!
Wer nur Freyheit fühlen kann,
Sieht euch ohne Schaur nicht an!
Hier, auf diesem Boden standen,
Die zur Freyheit sich verbanden,
Hier, hier flammt' ihr Heldenmuth,
Floß ihr, floß der Feinde Blut!
Blutgedüngter Boden zittre,
Daß sich Leib und Seel' erschüttre!
Rufe, Blut, vom Schlachtfeld: »Sey
Ewig, Schweizer, stark und frey«!
[78]
Brüder, werft euch auf die Kniee!
Dankt dem Himmel späth und frühe,
Dessen treue Vaterhand
Herz und Herz zusammenband!
Alte Eintracht, erste Liebe,
Feuer brüderlicher Triebe,
Löscht nicht mit der Jahre Lauf!
Lebt im Enkelbusen auf!
Jeder Staat soll allen Staaten
Gutes wünschen, Gutes rathen,
Jeder von dem Neide rein,
Alle nur ein Herze seyn,
Welche Freude! welch Entzükken,
Tausend Brüder zu erblikken!
O! wie lieblich ist's und schön,
Daß für einen alle stehn!
Friede soll in unsren Gränzen
Lang wie Eisgebürge glänzen!
Eh' auf jeder Alpenhöh,
Ferner Jahre tiefer Schnee,
(Unsers Bundes Zeuge) schmelzen,
Sich durch Monarchien wälzen,
Ehe sich durch Zank und Streit,
Brüder, unser Herz entzweyt.
Wenn Europens Völker kriegen,
Singen wir von alten Siegen,
Sehen im Gefühl der Ruh
Ihren Blutgefechten zu.
Weiden selbsterzogne Heerden,
Pflügen sicher eigne Erden,
Essen froh nach altem Schroot.
Käse, Milch und Roggenbrod.
[79]
Einfalt, Einfalt laßt uns lieben,
Friedlich uns in Waffen üben!
Unser Herz und unser Arm
Bleibe für die Freyheit warm!
Schweizer! Weichlinge verachten,
Nach der Väter Stärke schmachten!
Weh, wenn Wollust, Stolz und Pracht
Aus uns Freyen Sclaven macht!
Auch das Gold in Königshänden
Soll kein Schweizerauge blenden,
Soll uns seyn wie Wind und Rauch:
Goldne Fesseln fesseln auch!
Nein, nach Schmeicheley der Fürsten
Soll kein freyer Schweizer dürsten!
Demuth bleibe unser Ruhm,
Freyheit Schweizereigenthum!
Fremder Fürsten Feinde schlagen,
Feil sein Blut und Leben tragen,
Schweizer, das ist Raserey!
Das ist Knechtschafft! bleibet frey!
Sucht bey keinem fremden Heere,
Sucht nur in der Freyheit Ehre,
Stärke in der Eintracht nur,
Lieblingssöhne der Natur!
Treue, lieb Eidsgenossen,
Hand in Hand, ihr Heldensprossen,
Singt, und unsrer Lieder Schall
Töne mächtig überall!
Hallt ihr täglich, unsre Lieder
Von Kanton zu Kanton wieder!
Wer von alter Treue glüht,
Schweizer, sing diß Schweizerlied!

Notes
Entstanden 1766-1767. Erstdruck: »Schweizerlieder; von einem Mitgliede der helvetischen Gesellschaft zu Schinznach«, Bern (Beat Ludwig Walthard) 1767.
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TextGrid Repository (2012). Lavater, Johann Kaspar. Aus: Schweizerlieder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DC43-0